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Gefesselte Gespenster - Jungschar.biz

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Das war eine Kneipe in der Nähe von Camilles Werkstatt.<br />

Maurice und Seppe hatten nichts zu versäumen, sie wollten hinkommen. Auch Pipin wollte erscheinen,<br />

sobald er seine Zeitungen verkauft hatte.<br />

„Aber lasst euch nicht blicken!“ befahl René. „Erst wenn ich pfeife, klar?“<br />

Sehr früh erschien René am nächsten Morgen in der Werkstatt. Er krrempelte die Ärmel hoch und<br />

begann, dabei ebenso fröhlich wie falsch ein Lied brummend. Er wühlte und schuftete, als gelte es, einen<br />

Rekord zu brechen. Seine Kollegen kannten ihn zwar als emsiges Arbeitstier, aber so wie heute hatten<br />

sie ihn noch nicht arbeiten sehen. Sie standen um ihn herum und lachten ihn aus. René ließ sich nicht<br />

beirren. Zunächst musste er Platz schaffen, denn der Wagen stand ganz hinten im Schuppen, von<br />

tausenderlei Gerümpel verdeckt.<br />

„Sur le pont...“‚ summte er schaurig unmelodisch und hob eine alte Kühlerhaube auf. „D‘Avignon . . .“<br />

Krachend schmetterte er die Kühlerhaube in eine andere Ecke. „On y danse...“ Ein zentnerschweres<br />

Differential wurde hochgewuchtet und beiseite geschleppt. „On y danse...“<br />

Zehn Minuten später war der Weg frei. René rollte den Wagen in den Hof und bockte ihn auf. Unter den<br />

haufenweise herumliegenden alten Reifen suchte er vier passende heraus, die noch brauchbar waren,<br />

machte vier Schläuche fertig und zog die Reifen auf. Sogleich wirkte das Fahrzeug manierlicher als<br />

vorher auf seinen Plattfüßen. Es war aber noch grausig genug.<br />

„Dass man so ‘n Modell mal schön gefunden hat, ist einfach nicht zu verstehen!“ meinte er<br />

kopfschüttelnd.<br />

Und jetzt begann der zweite Akt. Er schob den<br />

Karren auf die Hebebühne und schaltete die Pressluft<br />

ein. Langsam und majestätisch hob sich die Bühne<br />

mitsamt dem Ungetüm darauf. Da stand der Wagen<br />

nun, zwei Meter hoch über dem Boden. Wie auf<br />

einem Präsentierteller breitete er seine Schönheit aus.<br />

„Kerl, René!“ riefen die Kollegen Albert und<br />

Bernard. „Die Mühle ist ja zum Wimmern schön!<br />

Nein, was ‘n Ding! Was willst du mit diesem<br />

Museumsstück?“<br />

René verzog keine Miene. Nun ja, schön war der<br />

Wagen nicht, das war ihm schon aufgefallen. Und<br />

außerdem noch alt. Eben ein Renault aus der<br />

glorreichen Zeit vor 1930. Ein großer offener Viersitzer,<br />

mit zerfranstem Klappverdeck, zersprungenen<br />

Windschutzscheiben und verbeulten Lampen. Farbe<br />

und hintere Kotflügel fehlten so gut wie ganz.<br />

„Lasst mich nur“, sagte René und wühlte pausenlos<br />

weiter. Mit dem Hammer klopfte er den<br />

zementharten Dreck der letzten zwanzig Jahre von<br />

den Achsen. Er musste sich beeilen. Camille kam<br />

zwar selten vor halb elf, aber bis dahin war noch viel<br />

zu tun. Mit dem Schlauch spülte er gründlich das<br />

ganze Chassis ab. Nun nahm er die Pressluftpistole zur Hand und setzte die Staubbrille auf. Der starke<br />

Luftstrahl der Pistole fegte die letzten Dreckstäubchen fort und überzog gleichzeitig alle Teile mit einem<br />

dünnen, glänzenden Ölfilm.<br />

Eine Stunde arbeitete René wie besessen, dann machte der alte Renault schon einen besseren Eindruck.<br />

Einen Teil seines früheren Glanzes hatte er wiedergewonnen. Wenigstens äußerlich, im Innern sah es<br />

noch schlimm aus.<br />

Da erschien endlich Camille. Er hatte wie üblich etwas zuviel „vin ordinaire“, billigen Rotwein,<br />

getrunken. Wie üblich, machte er sich Vorwürfe wegen der Gesundheit und wegen des Geschäftes. Die<br />

drei Strolche, seine Mechaniker, hatten bestimmt während seiner Abwesenheit keinen Finger gerührt. In<br />

dieser Stimmung bog er in den Hof ein.<br />

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