Geographie der Obdachlosigkeit - Freie Universität Berlin
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unsicher gelten kann (KIRSCH 2003: 54ff.). Die Gefahr, dort „Opfer einer Straftat zu werden,<br />
[ist] statistisch geringer als außerhalb.“ (ebd.) Die Verantwortlichen <strong>der</strong> Unternehmen wissen<br />
um diese Diskrepanz, nutzen aber das Unsicherheitsgefühl ihrer Kunden, um ihre eigenen<br />
Interessen – die Kommodifizierung des ÖPNVs – durchzusetzen.<br />
Die Bahnhöfe und ihr Umfeld werden zunehmend einer kommerziellen Nutzung unterwor-<br />
fen und ökonomisch aufgewertet. In fast allen Zugangsbauwerken und auf den Bahnsteigen<br />
werden Geschäfte und Dienstleister angesiedelt. Zentrale Umsteigebahnhöfe wie <strong>der</strong> Bahn-<br />
hof Zoologischer Garten, <strong>der</strong> Hauptbahnhof, <strong>der</strong> Bahnhof Alexan<strong>der</strong>platz o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ostbahn-<br />
hof werden zu Einkaufszentren ausgebaut und wie eben solche verwaltet. Die Passagiere<br />
werden zu Kunden. Das Ziel <strong>der</strong> Gewinnmaximierung ersetzt jenes, im Sinne <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Daseinsfürsorge preisgünstige Mobilität zu ermöglichen. In dem Zusammenhang präsentiert<br />
sich beson<strong>der</strong>s die Deutsche Bahn AG als Garant für die Belebung <strong>der</strong> Innenstädte (vgl.<br />
RONNEBERGER et al. 1999: 95ff.). Hierbei knüpft sie bewusst an das Flair und das Bild des<br />
Bahnhofs als historisch gewachsenen weltoffenen Treffpunkt an und präsentiert diesen als<br />
urbanen Marktplatz und Kommunikationsort (vgl. GERICKE 2002). Die Bahnhöfe werden äs-<br />
thetisiert. Das umfasst sowohl die bauliche Aufwertung als auch die Inszenierung einer at-<br />
traktiven Öffentlichkeit. Potentielle Normabweichler werden aus den Verkehrsmitteln, aber<br />
auch aus den Bahnhöfen und <strong>der</strong>en Vorplätzen und somit aus dem Blickfeld <strong>der</strong> zahlungs-<br />
kräftigen Konsumenten verbannt (vgl. KIRSCH 2003: 72). Bei genauerer Betrachtung <strong>der</strong><br />
Hausordnungen wird klar, dass auch Obdachlose unerwünscht sind, denn bereits <strong>der</strong> Auf-<br />
enthalt ohne die Absicht zu konsumieren o<strong>der</strong> zu fahren wird kriminalisiert (s. Tab. 2).<br />
Tab. 2: Hausordnungen und Beför<strong>der</strong>ungsbedingungen des ÖPNV in <strong>Berlin</strong><br />
Verbote gemäß <strong>der</strong> jeweiligen Hausordnungen bzw. <strong>der</strong> gemeinsamen Beför<strong>der</strong>ungsbestimmungen<br />
des Verkehrsverbundes <strong>Berlin</strong>-Brandenburg GmbH<br />
Durchsuchen <strong>der</strong> Abfallbehälter x x<br />
Weiterverkauf o<strong>der</strong> Weitergabe von entwerteten Fahrausweisen x<br />
übermäßiger Alkoholgenuss x x<br />
das bloße Verweilen, ohne Absicht, die Fahrt anzutreten x<br />
Sitzen und Liegen auf dem Boden, auf Treppen und Zugängen x<br />
35<br />
BVG<br />
Deutsche<br />
Bahn AG<br />
Betteln und Belästigen von Personen x<br />
Live-Musik, Auftritte, Veranstaltungen und Demonstrationen<br />
nur nach<br />
Absprache<br />
nur nach<br />
Absprache<br />
Verkaufen und Verteilen von Waren, Flugblättern und Ähnlichem<br />
nur nach<br />
Absprache<br />
nur nach<br />
Absprache<br />
Von <strong>der</strong> Beför<strong>der</strong>ung ausgeschlossene Personen BVG<br />
Personen, die unter Einfluss alkoholischer Getränke o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er berauschen<strong>der</strong> Mittel stehen x x<br />
verschmutze und/o<strong>der</strong> übel riechende Personen x x<br />
Deutsche<br />
Bahn AG<br />
Quellen: Hausordnung <strong>der</strong> S-Bahn (2007), Hausordnung <strong>der</strong> BVG (2010) und Beför<strong>der</strong>ungsbestimmungen des Verkehrsverbundes <strong>Berlin</strong>-<br />
Brandenburg (VBB) (2010)