Geographie der Obdachlosigkeit - Freie Universität Berlin
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Straße ist an<strong>der</strong>erseits klar überlastet. Hier wird bereits ein erzwungener Wandel <strong>der</strong> inner-<br />
städtischen Raumnutzung deutlich. Berücksichtigt man dabei, dass Obdachlose bestimmte<br />
Einrichtungen meiden, weil sie gezielt an<strong>der</strong>en Menschen ausweichen, wird klar, dass sich<br />
damit ihre Rückzugsmöglichkeiten entscheidend verringern. Ihr Raum wird eng und zwi-<br />
schenmenschliche Spannungen nehmen zu. Die in den Interviews wahrgenommene Konkur-<br />
renz zu Obdachlosen aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n – beson<strong>der</strong>s gegenüber Polen – könnte sich<br />
dann zu einer gefährlichen Fremdenfeindlichkeit entwickeln.<br />
8 Fazit: Bewertung und Schlussfolgerung<br />
Der Anblick von Armut, <strong>Obdachlosigkeit</strong> und „individueller Verwahrlosung“ ist sicherlich für<br />
niemanden angenehm. Er ist aber notwendig, um die bestehenden, offensichtlich unzurei-<br />
chenden Verhältnisse zu erkennen und zu hinterfragen. Andreas FELDTKELLER schreibt, zum<br />
urbanen Leben gehörte stets auch die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit allem Hässlichen, Unerfreuli-<br />
chen und Quälenden des Stadtalltags (vgl. ebd. 1995: 59). Deren Sichtbarkeit nun gezielt zu<br />
reduzieren, indem man sie räumlich vertreibt und sozial ausgrenzt, hieße lediglich, äußerli-<br />
che Symptome zu verbergen. Die eigentliche soziale Kernproblematik bliebe dabei unbe-<br />
trachtet. Gleichzeitig verschlechtert sich mit einer innerstädtischen Verdrängung die allge-<br />
meine Situation <strong>der</strong> Betroffenen. In diesem Sinne kann sie nur als romantisierende und zu-<br />
gleich radikale Verklärung <strong>der</strong> eigentlichen sozialen Lage verstanden werden. Sie fungiert<br />
als gesellschaftliche Kosmetik und schafft lediglich potjomkinsche Scheinwelten. Der Verlust<br />
echter Öffentlichkeit als verbindendes Element verursacht jedoch Segregation, Intimisierung<br />
und soziale Polarisierung <strong>der</strong> urbanen Gesellschaft<br />
In <strong>Berlin</strong> findet durchaus eine Verdrängung <strong>der</strong> Obdachlosen aus dem innerstädtischen<br />
Raum durch dessen Kommodifizierung statt. Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> semi-öffentliche Raum gewinnt<br />
aufgrund wirtschaftsliberaler Stadtumstrukturierungen an Bedeutung und nimmt gleichzeitig<br />
eine Vorreiterrolle bei dem systematischen Ausschluss unerwünschter Bevölkerungsgruppen<br />
ein. Hier ist die Rechtsgrundlage am restriktivsten und hier werden exekutive, technische<br />
und architektonische Maßnahmen konzeptgemäß perfektioniert. Den For<strong>der</strong>ungen nach <strong>der</strong><br />
Übertragung des privatwirtschaftlichen SOS-Konzeptes auf den öffentlichen Raum wird von<br />
Seiten <strong>der</strong> <strong>Berlin</strong>er Politik nur bedingt nachgekommen. Dort hält man sich zurück. Es beste-<br />
hen in <strong>Berlin</strong> keine US-amerikanischen Verhältnisse. Dennoch erscheinen das Modell <strong>der</strong><br />
gefährlichen Orte und die Möglichkeit, eine Verdrängung durch bezirkliche Son<strong>der</strong>nutzungs-<br />
verordnungen festzulegen, in Bezug auf das Grundgesetz zumindest fragwürdig und sollten<br />
dringend überdacht werden. Ein Blick auf die Verdrängungspolitik <strong>Berlin</strong>s vor 2001, auf die<br />
Situation von Obdachlosen in an<strong>der</strong>en, konservativ regierten Gemeinden und Städten (hier<br />
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