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herunterladen - Berliner Liedertafel

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Berlin - der größte<br />

Chor der Welt<br />

Von Klassik bis Karaoke:<br />

Hunderttausende von<br />

Hauptstädtern singen -<br />

doch der Nachwuchs<br />

fehlt<br />

Johannes Heesters macht es noch mit<br />

102 Jahren täglich, jeder sechste <strong>Berliner</strong><br />

macht es im Auto und überhaupt: Nach<br />

einer Umfrage aus dem vergangenen Jahr<br />

entspannen sich 87 Prozent aller <strong>Berliner</strong><br />

von Zeit zu Zeit damit, dass sie singen.<br />

Kein Wunder, dass Berlin die Hauptstadt<br />

der Chöre ist. Ungefähr 1500 Chöre<br />

existieren in der Stadt, 800 gemischte,<br />

Männer-, Frauen- und Jugendchöre<br />

proben in den Rathäusern, einer Schulaula<br />

oder in anderen öffentlichen Räumen,<br />

dazu kommen noch einmal rund 700<br />

kirchliche Chöre der Gemeinden. Alle<br />

zusammen zählen viele Zehntausende<br />

Mitglieder, so genau weiß das niemand, da<br />

nicht alle Sangesgemeinschaften in einem<br />

Verband organisiert sind.<br />

Rolf Ahrens ist einer jener <strong>Berliner</strong>, die<br />

ohne Gesang nicht leben können. Der 54-<br />

Jährige ist seit 32 Jahren Chorleiter.<br />

Zurzeit betreut er neun Chöre, vom<br />

anspruchslosen Singkreis bis zum<br />

semiprofessionellen Ensemble ist alles<br />

dabei. In den drei Jahrzehnten seiner<br />

Tätigkeit beobachtete er einen<br />

ungebremsten Zulauf zu seinen Chören.<br />

Der Zuspruch ist seiner Meinung nach<br />

leicht erklärt. "Der Mensch ist ein<br />

Gruppenwesen, das Egodenken entspricht<br />

einer anderen Kraft, aber nicht so sehr der<br />

menschlichen Kultur", sagt Ahrens.<br />

Einander Zuhören und miteinander zu<br />

singen vermeide soziale Schäden, die<br />

dann später von der Gesellschaft teuer<br />

repariert werden müssten. "Das Singen<br />

erreicht ein zentrales, kulturelles Bedürfnis<br />

der Gesellschaft", sagt Ahrens.<br />

Chorsänger werden immer älter<br />

Während sich der Zuspruch in den<br />

vergangenen Jahrzehnten nicht geändert<br />

hat, stellt Ahrens allerdings zwei<br />

Entwicklungen fest. Das Durchschnittsalter<br />

der Neueinsteiger ist angestiegen, die<br />

Chöre werden immer älter. Und: Die Leute<br />

wollen vor allem Mainstream singen. "Es<br />

fällt immer schwerer, die Sänger für etwas<br />

Neues zu begeistern", sagt Ahrens, der mit<br />

seinem Konzertchor Friedenau gerade das<br />

"Lob der Träne" von Ernst Pepping<br />

einstudiert. Dagegen werden vermehrt<br />

Wünsche nach leichter Kost an ihn<br />

herangetragen. Lieder der Comedian<br />

Harmonists, oder englische<br />

Weihnachtslieder. "Es geht zunehmend in<br />

die Richtung Oberflächlichkeit."<br />

Dabei sind die eigenen Vorlieben der<br />

Sänger nach wie vor anspruchsvoll, wie<br />

eine Umfrage der Musikwissenschaftlerin<br />

Martha Brech von der Technischen<br />

Universität Berlin ergeben hat. "Die<br />

meisten der befragten 300 <strong>Berliner</strong> haben<br />

angegeben, privat am liebsten klassische<br />

Musik zu hören", sagt Brech. Die<br />

Studenten der Privatdozentin, die 180<br />

Chorsänger und 120 Menschen auf der<br />

Straße befragt hatten, haben außerdem<br />

festgestellt, dass es bei vielen<br />

Chorgängern nicht so sehr darum geht,<br />

etwas über Musik zu lernen, sondern vor<br />

allem darum, soziale Kontakte aufzubauen<br />

und zu pflegen.<br />

Jugendliche haben weniger Scham<br />

Anders ist dagegen das Singverhalten der<br />

jüngeren Generation. Statt im Chor,<br />

amüsieren sie sich auf Karaoke-Parties<br />

oder öffentlichen Singwettbewerben.<br />

"Jugendliche haben weniger Scham zu<br />

singen als ihre Eltern", sagt Brech. So<br />

lässt sich auch der Erfolg der Superstar-<br />

Wettbewerbe im Fernsehen erklären.<br />

Jüngeren macht es offenbar überhaupt<br />

nichts aus, ihr Unvermögen öffentlich zur<br />

Schau zu stellen. Die Ergebnisse ihrer<br />

Umfrage haben die Musikwissenschaftlerin<br />

derart überrascht, dass sie diese zu einer<br />

Studie ausbauen will.<br />

Tipps und Tricks vom Profi<br />

Professor Dr. Bernhard Richter<br />

vom Verband der HNO-Ärzte rät:<br />

Haltung<br />

Eine aufrechte und offene Körperhaltung<br />

begünstigt die freie Entfaltung der Stimme.<br />

Weniger räuspern. Das Räuspern kann<br />

schnell zum Tick werden und belastet die<br />

Stimmbänder.<br />

Stimmbildung<br />

Zuhören, die eigene Stimme bewusst<br />

wahrnehmen, um ein Gefühl dafür zu<br />

bekommen, wann sie sich angenehm,<br />

wann angestrengt anhört.<br />

Vorbereitung auf Auftritte<br />

Steht eine große stimmliche Belastung an,<br />

sollte man vorher ausreichend schlafen.<br />

Vor dem Termin sollte man allerdings<br />

mindestens bereits zwei Stunden wach<br />

sein. Außerdem müssen Sänger darauf<br />

achten, ausreichend zu trinken.<br />

Mindestens zwei bis drei Liter täglich<br />

sollten es schon sein.<br />

ker<br />

Singen hat in Berlin lange Tradition. Die<br />

Wiege des gemischten Chors liegt hier an<br />

der Spree. Die noch heute bestehende<br />

"Sing-Akademie zu Berlin" ist die älteste<br />

gemischte Chorvereinigung der Welt. Sie<br />

wurde 1791 von Carl Friedrich Christian<br />

Fasch (1736 - 1800), dem Hofcembalisten<br />

Friedrichs des Großen, ins Leben<br />

gerufen und zeigt exemplarisch den<br />

Übergang von höfischer Musikkultur zur<br />

bürgerlichen Musikpflege. Danach wuchs<br />

die Chorlandschaft Berlins stetig. Vor 100<br />

Jahren erlebten vor allem die<br />

Singgemeinschaften und Sängerbünde in<br />

Berlin große Popularität - nicht immer zur<br />

eigenen Freude. Panzerknacker und<br />

Einbrecher nutzten die Gelegenheit, sich in<br />

Kneipenhinterzimmern unter dem<br />

Deckmantel eines Gesangsvereins zu<br />

treffen, um ihre nächsten Coups<br />

auszubaldowern. Dabei gaben sie sich so<br />

unverfängliche Namen wie "Sängerbund<br />

Butterblume" oder "Chorverein<br />

Vergissmeinnicht".<br />

Endemol suchte den Superchor<br />

Die Tradition der einfachen Sängertreffen<br />

in der Eckkneipe nebenan ist längst vorbei.<br />

Zum Leidwesen von Rolf Ahrens. Denn die<br />

bestehenden Chöre würden sich fast<br />

ausschließlich der Qualität verschreiben.<br />

Chormusik würde dadurch ganze<br />

Bevölkerungsschichten nicht mehr<br />

erreichen. Ein Beispiel dafür erlebte<br />

Ahrens im vergangenen Jahr. Die<br />

holländischen TV-Produzenten von<br />

Endemol hatten ihn gefragt, ob er sich<br />

eines Chores mit "verwilderten<br />

Jugendlichen" aus Problembezirken<br />

annehmen würde. Im Fernsehen sollte<br />

dann das Bemühen dokumentiert werden,<br />

aus den musikalisch nicht vorgebildeten<br />

Jugendlichen einen passablen Chor zu<br />

formen. Ahrens sagte zu, warnte die<br />

Fernsehmacher aber vor zu viel Euphorie.<br />

In der Tat verlief das Projekt im Sand. Es<br />

ließen sich kaum Mitstreiter auftreiben, die<br />

daran interessiert waren, sich langfristig<br />

und ernsthaft mit dem Singen zu<br />

beschäftigen. "Chorsingen ist out", sagt<br />

Ahrens. Vielleicht auch, weil es Disziplin<br />

verlangt, ein gewisses Niveau zu<br />

erreichen.<br />

Helga Engel las die Reportage<br />

von Jens Anker in der<br />

<strong>Berliner</strong> Morgenpost<br />

vom 4. Juni 2007

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