Editorial - KUNST Magazin
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wird in der Malerei also auffallend selten und<br />
nur sehr wenigen Protagonisten zugestanden.<br />
Der Marder im Bild steht offensichtlich für<br />
Normen und Werte, die mit der rekonstruierbaren<br />
Alltagsrealität der Zeit nicht deckungsgleich sind.<br />
Darstellungen städtischer Gesellschaften aus der<br />
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts geben also<br />
darüber Aufschluss, dass der Marder im Bild nur<br />
selektiv zum Einsatz kam.<br />
Exemplarisch sei nur ein Beispiel in Kürze erwähnt,<br />
das den eigenwilligen Zusammenhang von Marder<br />
und Bild verständlich macht: die „Bilder des<br />
Todes“ von Hans Holbein d. J. (um 1523–1525).<br />
Auf 41 Holzschnitten charakterisierte Holbein<br />
die verschiedenen Gesellschaftsstände in ihren<br />
typischen Handlungen und Kostümen, wie sie<br />
stets vom skelettierten Tod begleitet werden.<br />
Zahlreiche Vertreter der dargestellten Stände und<br />
Berufsgruppen tragen jedoch keinen Marderpelz,<br />
obwohl die Kleiderordnung ihnen das Privileg<br />
zuspräche. Nur zwei Mal taucht er in Holbeins<br />
Holzschnittserie auf, nämlich in der Darstellung<br />
des Ratsherrn und des Richters. Im Gegensatz<br />
zu seiner vermeintlichen Alltäglichkeit verweist<br />
der Marderpelz in Holbeins Holzschnitten auf<br />
die Rolle der Rechtsprechungsgewalt. Ähnlich ist<br />
der Befund zum Beispiel für Martyriumsszenen<br />
in dieser Zeit. Von den vielen Protagonisten in<br />
dieser Bildgattung tragen lediglich die Richter den<br />
Marder, die das Urteil über den Märtyrer fällen.<br />
Holbeins Gesellschaftsbild oder die Gesellschaft<br />
der Martyriumsszenen, wie sie durch die<br />
dargestellte Kleidung entworfen wird, ist kein<br />
Einzelfall. Der Marder beansprucht in zahlreichen<br />
Historienbildern der Dürerzeit – auch im Oeuvre<br />
Dürers selbst – die Rolle der Richter- und<br />
Ratsinsignie gleichermaßen. In diesen Bildern, die<br />
eine Geschichte erzählen, wird der Marderpelz<br />
als Zeichen konkretisiert. Von der Standesinsignie<br />
des Alltags wandelt er sich zur Amtsinsignie des<br />
Bildes.<br />
Nun könnte man sagen, dass mit der bildlichen<br />
Umdeutung die Zeichenhaftigkeit des Pelzes noch<br />
deutlicher, das Zeichen eindeutig und Symbolisches<br />
negiert wird. Es ist aber im Gegenteil so, dass die<br />
Bildtradition jede zeichenhafte Eindeutigkeit des<br />
Marderpelzes demontiert, indem sie verschiedene<br />
Interpretationsmöglichkeiten anbietet, die sehr<br />
stark auf den Bildkontext bezogen sind. In der<br />
schriftlich überlieferten Alltagskommunikation<br />
ist der Pelz eine Standesinsignie – mehr nicht.<br />
Durch die im Historienbild verbürgte Verengung<br />
der Bedeutung des Marders im handelnden<br />
Kontext zur Rats- und Rechtsinsignie verliert<br />
die Insignie ihre Eindeutigkeit. Das ist ein<br />
Widerspruch, der sich auflöst, wenn man bedenkt,<br />
dass mit der Konkretisierung von Stadtrat und<br />
Recht eine tiefere Sinnschicht aufgetan wird,<br />
die weitere Interpretationen und Assoziationen<br />
0<br />
THEMA<br />
in Hans Holbein’s “Pictures of Death” (circa 1523-<br />
1525). In these 41 woodcuts Holbein characterised<br />
the various social ranks or estates in their typical<br />
activities and costumes, continuously pursued by the<br />
skeletal image of death. Numerous representatives of<br />
these estates and professions do not, however, wear<br />
mink, although the dress regulations would have<br />
allowed them that privilege. Mink only appears twice<br />
in Holbein’s series of woodcuts: in portraits of an<br />
alderman and a judge. In contrast to its purported<br />
everyday use, mink fur in Holbein’s woodcuts alludes<br />
to the roll of the power of law. The same observation<br />
can be made in regard to depictions of martyrdom<br />
in this period. Among the many protagonists in this<br />
pictorial genre, only the judges who pass sentence<br />
upon the martyrs wear mink.<br />
The manner in which both Holbein’s picture of<br />
his society as well as his portraits of the scenes of<br />
martyrdom are represented through the clothing<br />
depicted in them is not unique in this respect. In<br />
many historical pictures of the Dürer period (much<br />
as in Dürer’s own oeuvre) mink takes on the function<br />
of the insignia of judges as well as aldermen. In these<br />
images, which tell a story, mink fur is concretised as<br />
a symbol. From a status insigne of everyday life it<br />
is transformed into the official status insigne of the<br />
picture.<br />
Of course one could object that, in the pictorial<br />
reinterpretation, the sign-quality of the fur is<br />
rendered even more significant: that the sign thus<br />
becomes something unequivocal and its symbolic<br />
quality is thus negated. But, on the contrary, the<br />
pictorial tradition dismantles any unequivocalness<br />
of the sign by offering various possibilities for<br />
interpretation that are very closely related to the<br />
context of the picture. In the written documents<br />
of everyday communication still extant from this<br />
period, fur is a status insigne, and nothing more.<br />
But through the narrowed significance of mink<br />
documented in these historical images, which<br />
depict the active social context behind the insignia<br />
of aldermen and judges, the insigne loses its<br />
unequivocalness. That seems to be a contradiction<br />
that can however be resolved if we consider that,<br />
with the concretisation of city alderman and law, a<br />
deeper level of meaning has been opened up that<br />
evokes still other interpretations and associations.<br />
Texts of this period do not offer any clues in this<br />
respect. Only the world of the image concretises<br />
the meaning of the sign, thus opening the way to<br />
a symbolic interpretation that places law, justice,<br />
morality, and virtue firmly within the context of the<br />
image as parameters.<br />
This is even more the case in regard to the<br />
autonomous portrait. Here the symbolic content<br />
of the insigne “mink fur” is additionally enriched<br />
evoziert. Texte aus der Zeit liefern hierzu keine<br />
Anhaltspunkte. Allein die Bildwelt konkretisiert<br />
die Bedeutung des Zeichens und öffnet den<br />
Weg in die symbolische Deutung, die Recht,<br />
Gerechtigkeit, Moral und Tugend als Parameter<br />
in den Bildkontext stellt.<br />
Das gilt umso mehr für das autonome Porträt.<br />
Hier wird der symbolische Gehalt der Insignie<br />
„Marderpelz“ zusätzlich angereichert durch<br />
den handlungsfreien Bildraum. Nur der Mann<br />
mit Marderpelz ist zu sehen, ohne weitere<br />
Hinweise auf sein Leben, seinen Charakter, seine<br />
Tugenden und Laster. Vor dem Hintergrund der<br />
geschilderten Historienbilder aber kennen wir und<br />
kannte der zeitgenössische Betrachter die tieferen<br />
Sinnschichten des Pelzes. Nicht als Richter oder<br />
Ratsherren sind die Porträtierten durch den<br />
Marder ausgewiesen, von denen viele keines der<br />
Ämter innehatten. Der sichtbare Pelz und seine<br />
Bildtradition umgeben den Dargestellten mit<br />
der Aura dieser Ämter. Er tankt gewissermaßen<br />
soziales Kapital nicht nur durch das Zeichen der<br />
Elite, sondern vielmehr durch den symbolischen<br />
Gehalt von Macht und Gerechtigkeit.<br />
Metaphorisch auf das eingangs angeführte<br />
Beispiel des Verkehrszeichens bezogen, könnte<br />
der Marderpelz des Renaissancealltags mit<br />
dem Stoppschild verglichen werden, während<br />
der Marderpelz im Porträt in einen neuen<br />
bildlichen Kontext gestellt wird, so wie<br />
sich das Verkehrszeichen im künstlerischen<br />
Zusammenhang zum Symbol wandelt. Dessen<br />
Wahrheiten schließlich zu erkennen, ist das<br />
Wesen der „Philosophie der symbolischen Form“,<br />
die Bewusstes und Unbewusstes der visuellen<br />
Kommunikation zu ergründen sucht und das Ende<br />
nie erreicht.<br />
Prof. Dr. Philipp Zitzlsperger<br />
This article is based upon the research the author published<br />
in 2008 in Dürer’s Fur and the Law in Painting: Clothing<br />
Codes as a Method in Art History (Akademie Verlag,<br />
Berlin). Philipp Zitzlsperger studied art history, archaeology<br />
and modern history in Munich and Rome. The focus of his<br />
research is upon European art of the early modern period,<br />
particularly in Italy and Germany. His dissertation was<br />
published in 2002 under the title Gianlorenzo Bernini:<br />
Portraits of Popes & Potentates (On the Relationship<br />
between Portrait and Power). His post-doc habilitation dealt<br />
with the pictorial symbolism of clothing. Portions of this<br />
work appeared in numerous publications, among them the<br />
aforementioned book on Dürer’s Fur. For nine years Philipp<br />
Zitzlsperger also directed the research project “REQUIEM:<br />
Rome’s Pope and Cardinal Portraits” at the Humboldt<br />
University in Berlin. In 2010 he was appointed professor for<br />
Pictorial Studies at the Design Academy AMD-Berlin and<br />
lecturer at the Institute for Art and Pictorial Studies at the<br />
Humboldt University.<br />
through the actionless space of the image. Only<br />
the man with the mink fur can be seen, without<br />
any further references to his life, his character, his<br />
virtues and vices. But within the context of the<br />
historical paintings discussed here we know, as the<br />
contemporary observer would know, that there is a<br />
deeper level of meaning to the fur. The mink fur<br />
does not attest to the status of those portrayed as<br />
judges or aldermen, for many of them had never<br />
actually acquired any such office. The visible fur<br />
and its pictorial tradition figuratively clothe the<br />
individual portrayed with the aura of these offices.<br />
The individual portrayed thus draws his social<br />
capital not only through the signs of the elite, but<br />
much more through the symbolic content of power<br />
and justice.<br />
Referring back metaphorically to the example of the<br />
traffic sign mentioned at the beginning, one could<br />
compare the mink fur in everyday Renaissance life<br />
with the stop sign, whereas the mink fur in portraits<br />
is placed in a new pictorial context, much as the<br />
traffic sign in an artistic context is transformed<br />
into a symbol. To recognise its truths is the very<br />
essence of the “philosophy of symbolic forms,”<br />
which attempts to come to grips with conscious and<br />
unconscious aspects of visual communication while<br />
never attaining that goal.<br />
Prof. Dr. Philipp Zitzlsperger<br />
Der Artikel basiert auf den<br />
Forschungen des Autors, die<br />
2008 unter dem Titel „Dürers<br />
Pelz und das Recht im Bild<br />
– Kleiderkunde als Methode<br />
der Kunstgeschichte“ im<br />
Akademie Verlag (Berlin)<br />
publiziert wurden. Philipp<br />
Zitzlsperger studierte<br />
Kunstgeschichte, Archäologie<br />
und Neuere Geschichte in<br />
München und Rom. Seine<br />
Forschungsschwerpunkte betreffen die europäische<br />
Kunst der Frühneuzeit, insbesondere in Italien und<br />
Deutschland. Die 2002 publizierte Dissertation<br />
trägt den Titel „Gianlorenzo Bernini. Die Papst- und<br />
Herrscherporträts. Zum Verhältnis von Bildnis und<br />
Macht“. In seiner Habilitationsschrift beschäftigte er<br />
sich mit der Symbolik der Kleidung im Bild. Sie ist in<br />
zahlreichen Einzelpublikationen wie dem oben erwähnten<br />
Buch zu Dürers Pelz erschienen. Zudem leitete Philipp<br />
Zitzlsperger neun Jahre lang das Forschungsprojekt<br />
„REQUIEM – Römische Papst- und Kardinalsporträts“<br />
an der Humboldt-Universität in Berlin. Seit 2010 ist er<br />
Professor für Bildwissenschaft an der Design-Akademie<br />
AMD-Berlin und Privatdozent am Institut für Kunst- und<br />
Bildwissenschaft der Humboldt-Universität.<br />
THEMA