Editorial - KUNST Magazin
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Darüber hinaus ist das Symbol vom Zeichen zu<br />
unterscheiden. Kultur gründet auf der elementaren<br />
Fähigkeit des Menschen zur Symbolerzeugung.<br />
„Der Umstand, dass ‚äußere’ Zeichen als ‚Symbole’<br />
dienen, ist eine der konstitutiven Voraussetzungen<br />
aller sozialen Beziehungen“, wie es Max Weber<br />
treffend formulierte. Vereinfacht dargestellt<br />
verweist das Zeichen auf eindeutige Sachverhalte,<br />
die – einmal erkannt – keine Zweifel und keine<br />
Fehldeutungen zulassen. Zu dieser Gattung zählen<br />
beispielsweise Verkehrszeichen. Sie dürfen nicht<br />
zu Diskussionen und Überlegungen einladen, denn<br />
sonst bricht der Verkehr zusammen. Es ist auch<br />
weitgehend gleichgültig, ob ein Stopp-Schild groß<br />
oder klein ist. Es muss gut sichtbar sein für den<br />
Verkehrsteilnehmer – mehr nicht. Wenn dieses<br />
Zeichen jedoch in einen anderen kommunikativen<br />
Kontext gestellt, wenn es also im Rahmen einer<br />
Kunstaktion im Stadtraum verwendet wird, kann<br />
die Größe des Verkehrsschilds eine gesteigerte<br />
Bedeutung annehmen. Und diese Bedeutung geht<br />
dann über jede Zeichenhaftigkeit hinaus. Das<br />
Schild wird zum Symbol, das mehr ist als ein<br />
Zeichen und auf tiefere Sinnschichten verweist.<br />
Diese zu ergründen, erfordert umfassende<br />
Analysen der genannten Beziehungen zwischen<br />
Künstler, Werk und Betrachter. Herkunft (z. B.<br />
Ausbildung, Sozialisation), Umgebung (z. B.<br />
Auftraggeber) und Intention des Künstlers sind<br />
dabei konstitutive Einheiten, die das Werk und<br />
seinen Stil beeinflussen und symbolische Bedeutung<br />
generieren. Doch ist nicht zu vergessen, dass der<br />
Betrachter die Symbolik zu erkennen versucht<br />
und eigene Interpretationsmaßstäbe einbringt,<br />
die von zahlreichen biografischen, sozialen und<br />
psychologischen Parametern abhängen und mit<br />
Mythen, Religion, Sprache und Kunst engstens<br />
verbunden sind. Für längst vergangene Zeiten ist<br />
das Netz solcher Bedingungen kaum vollständig zu<br />
rekonstruieren, und für die eigene Gegenwart fehlt<br />
uns die zeitliche Distanz, um eine ausreichend<br />
sachliche Außenperspektive anzulegen. Den<br />
symbolischen Gehalt der Kunst und ihrer Zeichen<br />
restlos zu ergründen, ist so gesehen ausgeschlossen.<br />
Das Bildsymbol besitzt einen Überschuss an<br />
Bedeutung, der jenseits der Zeichengrenzen liegt<br />
und sein Geheimnis nie vollständig offenbaren<br />
wird.<br />
Dieser komplizierte theoretische Zusammenhang,<br />
der hier nur angerissen werden kann, mag<br />
anhand eines Beispiels aus der Renaissance besser<br />
verständlich werden, um das Verhältnis von<br />
Zeichen und Symbol zu erhellen. Dieses lässt sich<br />
besonders anschaulich am Problem der Kleidung<br />
im Bild erörtern, die während des gesamten<br />
Zivilisationsprozesses eine bedeutende Rolle für<br />
soziale Kommunikation gespielt hat. Besonders<br />
interessant dabei ist, dass Kleidung im Alltag eine<br />
andere Bedeutung beanspruchen konnte als im<br />
Max Weber correctly postulated. Put simply, the sign<br />
refers to unambiguous things that, once recognized,<br />
do not allow for any doubt or false interpretation.<br />
To this category belong traffic signs, for example.<br />
They are not supposed to serve as invitations to<br />
discussions or reflections. Otherwise, traffic would<br />
come to a standstill. It also doesn’t much matter<br />
whether a stop sign is large or small. It just has to<br />
be easily visible to the driver. If, however, the stop<br />
sign is placed in another communicative context,<br />
if is used as part of an artwork in an urban area,<br />
its size can obtain an increasing significance. And<br />
this significance surpasses everything related to its<br />
nature as a sign. The sign becomes a symbol that<br />
is more than just a sign, and it refers to deeper<br />
layers of meaning. A full comprehension of this<br />
fact requires extensive analysis of the relationships<br />
between the artist, the work, and the observer.<br />
The background (i.e. education, socialisation), the<br />
context (i.e. the person commissioning the work),<br />
and the intention of the artist are constitutive<br />
elements influencing the work and its style and thus<br />
generating symbolic meaning. But one should not<br />
forget that the observer also attempts to recognize<br />
the symbolism using his own interpretive criteria,<br />
which depend upon numerous biographical, social<br />
and psychological parameters, and which are deeply<br />
related to myth, religion, language and art. For long<br />
forgotten periods in the past the network of such<br />
conditions can hardly be completely reconstructed;<br />
and for our own contemporary period we lack the<br />
temporal distance that would allow us to adopt an<br />
objective and impartial perspective. And thus it is<br />
impossible to completely comprehend the symbolic<br />
content of art and its signs. The symbolic image has<br />
an excess of meaning that lies beyond the limitations<br />
of the sign, never completely revealing its secret.<br />
This complicated theoretical context, which can only<br />
be briefly treated here, may perhaps be more easily<br />
understood using an example from the Renaissance<br />
that illuminates the relationship between sign and<br />
symbol. It is particularly apparent in the problem<br />
of clothing in pictures, since clothing has played a<br />
significant role in social communication during the<br />
entire process of civilisation. In this instance, it is of<br />
particular interest that our everyday clothing could<br />
take on a different meaning when it appeared in<br />
a painting. On its path from everyday clothing to<br />
image it experienced a metamorphosis of meaning<br />
that graphically illustrates that the symbol is not a<br />
consistent quantity; it is rather like malleable wax.<br />
This is particularly true for the use of fur during the<br />
German Renaissance. In the early modern period<br />
fur was an insigne or emblem indicative of one’s<br />
position within a feudal society, and the wearing of<br />
fur in that age was strictly regulated and reserved for<br />
certain high members of that society. Such insignia<br />
Bild. Sie erfuhr auf ihrem Weg vom Alltag ins Bild<br />
eine Bedeutungsmetamorphose, die anschaulich<br />
belegen kann, dass das Symbol keine feste Größe,<br />
sondern wie formbares Wachs ist.<br />
So verhält es sich auch mit dem Pelz in der deutschen<br />
Renaissance. In der Frühen Neuzeit war der Pelz<br />
eine Standesinsignie, die durch Kleiderordnungen<br />
der Zeit streng reglementiert und nur bestimmten<br />
hohen Gesellschaftsschichten zugesprochen<br />
wurde. Insignien sind Zeichen, nicht nur wegen der<br />
wörtlichen Übersetzung des lateinischen Begriffs<br />
(insigne = Kennzeichen, Abzeichen), sondern auch<br />
wegen ihrer Verwendung im Alltag und in der<br />
Kunst. Zepter, Krone und Reichsapfel waren die<br />
Insignien des Kaisers, Zeichen der Macht. Der Pelz<br />
in deutschen Renaissancestädten war Zeichen des<br />
gesellschaftlichen Standes. Unterschieden wurde<br />
penibel zwischen Lamm, Fuchs, Iltis, Kehl- und<br />
Rückenmarder. Beispielsweise zählten Fuchs und<br />
Iltis in der Pelzhierarchie zu den minderwertigen<br />
Fellen. Dagegen ist das dichte Marderfell besonders<br />
gleichmäßig und samtig in seiner Färbung und<br />
galt in der Zeit der deutschen Renaissance als<br />
hochwertig, weshalb es in den entsprechenden<br />
Kleiderordnungen den gesellschaftlichen Eliten<br />
vorbehalten war. Zahlreich sind die erhaltenen<br />
Porträts dieser Zeit, die ehrbare Bürger im<br />
Marderfell zeigen wie etwa Hieronymus Holzschuher,<br />
von Dürer 1526 gemalt. Aufgrund der<br />
Kleiderordnungen kann der Marder leicht als<br />
Insignie und folglich als Zeichen identifiziert<br />
werden, das seinen Träger als geschäftstüchtigen,<br />
reichen Mann kennzeichnet, der – so ist es in<br />
den Gesetzbüchern vorgeschrieben – von seinem<br />
Vermögen leben können muss, ohne zu arbeiten.<br />
Arbeit an sich war ihm nicht verboten. Doch<br />
aufgrund seines hohen Standes, der durch den Pelz<br />
ausgewiesen ist, konnte er auch in den Rat der Stadt<br />
– die Stadtregierung – gewählt werden. Und das<br />
ausreichende Vermögen des Stadtrats war in der<br />
Regel Voraussetzung für seine Abkömmlichkeit,<br />
welche die Ehrenamtlichkeit der Stellen erzwang.<br />
Der Marderpelz war aber nicht nur Insignie.<br />
Denn im Bild wurde er zum Symbol, dessen<br />
ansatzweise Entschlüsselung nicht einfach ist.<br />
Die symbolische Bedeutung des Rückenmarders<br />
über die Standesinsignie hinaus ist nicht durch<br />
Schriftquellen überliefert. Wir finden sie in den<br />
Bildern selbst. Denn der Marderpelz – das ist<br />
bislang unbeachtet geblieben – erfuhr im Bild eine<br />
andere Verwendung, als es die Kleidervorschriften<br />
vermuten lassen. Insbesondere die Pelzschaube mit<br />
ihrem Pelzkragen ist in den Bildern der deutschen<br />
Renaissance häufig, aber eben nicht beliebig<br />
vertreten. Bei der Durchsicht unzähliger Bilder,<br />
die Handlungen und die Zusammenkunft vieler<br />
Personen in einem Bild oder -zyklus darstellen, ist<br />
festzustellen, dass nur bestimmte Protagonisten<br />
den Marderpelz tragen. Der bezeichnende Pelz<br />
are signs not only because of their literal translation<br />
from the Latin term insigne (badge, emblem), but<br />
also because of their use in everyday life and in art.<br />
The sceptre, the crown and the orb were the insignia<br />
of the king, the signs of his power. Fur in German<br />
Renaissance cities was a sign of one’s social standing.<br />
Considerable pains were taken to differentiate<br />
between lamb, fox, polecat, and the ermine, sable<br />
and mink. The fox and polecat occupy a low rank<br />
in the hierarchy of furs. The thick furs of the various<br />
members of the mustelidae family, among them the<br />
sable, ermine and mink, were known during the<br />
German Renaissance particularly for their evenness<br />
and the soft hues of their colouring, for which they<br />
were highly valued. For that reason, their use in<br />
clothing was reserved in the dress regulations of<br />
the period for the social elites. There are numerous<br />
portraits from the period showing the honourable<br />
citizens adorned in ermine and mink, as in the portrait<br />
of Hieronymous Holzschuher painted by Dürer in<br />
1526. Due to the dress regulations, the fur worn<br />
here can easily be identified as an insigne and thus as<br />
a sign that its wearer is marked as an industrious and<br />
wealthy man: one who, according to the laws of the<br />
period, could live from his wealth without having to<br />
work. Work itself was not forbidden. Yet on account<br />
of his high status, documented here by the fur he is<br />
wearing, he could also be elected to the city council<br />
or government. And proof of adequate financial<br />
resources befitting a city council member was, as<br />
a rule, the necessary precondition for his ability to<br />
assume such an unsalaried honorary post.<br />
Ermine, sable or mink fur was not merely an insigne.<br />
For, in the painting itself, it is transformed into a symbol<br />
that is by no means easy to decipher. The symbolic<br />
meaning of mink beyond its status significance has<br />
not been conveyed to us in written documents. We<br />
find it rather in the pictures themselves. Although<br />
long overlooked, mink fur was used quite differently<br />
than one would suspect according to the dress<br />
regulations. Particularly the fur “Schaube” or robe<br />
with fur collar is common in Renaissance paintings,<br />
but its representation is far from coincidental.<br />
Upon examining countless paintings that portray<br />
the actions and encounters of many people in one<br />
image or one series of paintings, it became clear that<br />
only certain figures wear mink. This type of fur is<br />
thus obviously rare in painting, where it is allowed<br />
to adorn only very few protagonists. The mink in<br />
the painting obviously stands for norms and values<br />
that are not synonymous with the reconstructable<br />
everyday reality of the period. The depictions of<br />
urban societies of the first half of the 16th century<br />
give us evidence that mink was very selectively used<br />
in images.<br />
One example that will help us to understand the<br />
relationship between mink and image can be found<br />
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