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kenzeichen 3'10 - Kantonsschule Enge

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4 <strong>kenzeichen</strong> 03/10<br />

Das Wissen darum, dass Lernen dann einfach ist, wenn Interesse<br />

und Neugier vorhanden sind, werdet ihr euch zunutze machen können.<br />

Wer gleichgültig ist, lernt nichts oder er lernt höchstens, ohne<br />

wirklich zu lernen. Interesse ist aber nicht dem Zufall oder Lustprinzip<br />

unterworfen, sondern es steigt, wenn man sich ganz auf eine<br />

Sache einlässt, sich ihr ganz zuwendet und in die Tiefe geht.<br />

Bildung ist bekanntlich auch mit Leistung und Selbstdisziplin<br />

verbunden. Mit Noten und Arbeit. In der Probezeit und danach.<br />

Dies ist ein Maturitätszeugnis eines berühmten Mannes.<br />

Sie sehen, dass Albert Einstein Begabungen, aber auch Schwächen<br />

hatte. Seine 6er-Reihe war für seine späteren Studien und Forschungen<br />

vorbestimmend.<br />

Dass er sich auch in die politische Meinungsbildung seiner Zeit<br />

einmischte, sich für eine Welt ohne Krieg stark machte – er sagte:<br />

«Wir müssen uns stellen, für die Sache des Friedens die gleichen<br />

Opfer zu bringen, die wir widerstandslos für die Sache des Krieges<br />

gebracht haben. Es gibt nichts, das mir wichtiger ist und mir mehr<br />

am Herzen liegt.» –, dass er sich also einmischte, war nur auf dem<br />

Hintergrund einer Allgemeinbildung möglich, die auch in andere<br />

Fächer einführte und der Persönlichkeitsbildung Raum gab.<br />

Ihr habt euch für einen Weg der Bildung entschieden. Für ein<br />

Gut, das euch nicht zum Konsum vorgelegt wird, sondern das<br />

ihr euch erobern müsst. Die moderne Hirnforschung sagt es einfach<br />

und unmissverständlich: Das Gehirn ist das, was wir – jeder<br />

Einzelne – selber daraus machen. Diese Erkenntnis lässt keinen<br />

Spielraum für die Frage der Verantwortlichkeit. Wir alle sind für<br />

unsere Bildung verantwortlich.<br />

Der griechische Philosoph Platon vergleicht die Seele mit der beschreibbaren<br />

Wachstafel. Der englische Philosoph John Locke<br />

verwendet diese Vorstellung als Bild für den menschlichen Verstand<br />

bei der Geburt eines Kindes. Ausgangspunkt der Erkenntnis<br />

sei die sinnliche Wahrnehmung. Der Verstand werde erst im<br />

Verlauf des Lebens durch die Erfahrung geprägt. Wenn unser<br />

Gehirn so weitgehend formbar ist wie eine Wachstafel, was die<br />

Forschung nicht bestreitet, so gilt dies vor allem für die Bildung.<br />

So liegt es also an euch, liebe Schülerinnen und Schüler, dass ihr<br />

die Autoren eurer Bildung werdet und nicht andere machen lässt.<br />

Ihr seid aufgefordert, euer Land der Bildung zu erobern. Ihr sollt<br />

es kultivieren, verfeinern, ihm Kontur geben. Dies wird euch<br />

stark und selbstbewusst machen, der eigenen Bildung bewusst.<br />

Und unabhängig von Meinungen, Urteilen, Werbebotschaften,<br />

Konsumverführungen, von alldem, was sich für euch und eure<br />

Sinne täglich lautstark in dieser Welt meldet.<br />

Dies ist der Sinn von Bildung. Der Sinn unserer Institution, ein<br />

Haus der Bildung zu sein, in dem ihr euren eigenen Weg gehen<br />

könnt. Ich sage dies mit Nachdruck, weil zu oft die Vorstellung<br />

herrscht, dass Lehrer etwas vorsetzten, Schüler etwas für eine<br />

Prüfung lernten, in einem Aktenordner ablegten oder in einem<br />

schweren Bildungsrucksack mittrügen. Es ist umgekehrt: Ihr selber<br />

müsst die Urheber eurer Bildung sein.<br />

Was gehört also zu diesem Land, das ihr erobert? Es soll weit sein,<br />

einen grossen Horizont haben. Wer breit gebildet ist, kann breit<br />

ausschreiten. Allgemeinbildung heisst in der Schweiz Sprachen, Naturwissenschaften,<br />

Mathematik, Geistes- und Sozialwissenschaften,<br />

Kunst und Sport – bis zur Maturität lassen wir eine Verengung<br />

des Blickfeldes nicht zu. Freifächer erweitern das Spektrum.<br />

Breite Allgemeinbildung heisst aber auch, dass ihr euch mit einer<br />

Vielzahl von Fachexperten auseinandersetzen werdet, mit Lehrerinnen<br />

und Lehrern, die ihre Materie lieben und sich darin in<br />

ihrem Studium vertieft haben. Dies ist euer Privileg. Ihr seid hier<br />

mit lauter Spezialisten konfrontiert.<br />

Bildung heisst fernerhin, dass ihr mehr sehen werdet, als es bei einem<br />

oberflächlichen Über-die-Sache-Gleiten möglich wäre. Ihr<br />

müsst euch ja in eurer Bildung verwurzeln, da sie das Einzige ist,<br />

das ihr haben werdet. Ihr werdet Generalisten sein, man nimmt<br />

euch nur ernst, wenn ihr trittfest seid. Deshalb braucht ihr Neugier<br />

und Forschergeist: Lasst nicht locker, fragt nach, bringt euch<br />

ein, versucht der Sache auf den Grund zu gehen. Nur so wird eure<br />

Bildungslandschaft fruchtbar.<br />

Dies ist heute wichtiger denn je. In der Renaissance – an der Wende<br />

vom Mittelalter zur Neuzeit – hatte das gesamte zugängliche<br />

Wissen über die Welt, so wurde es einmal berechnet, den Umfang<br />

einer einzigen heutigen Zeitung. Man konnte also Universalgelehrter<br />

sein: schlicht alles wissen.

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