kenzeichen 3'10 - Kantonsschule Enge
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Das Internet bildet ein neues Universum von Wissen, aber auch<br />
von Halbwissen, Wichtigem und Unwichtigem. Ein Meer von Informationen.<br />
Bildung bedeutet viel mehr als ein Sammeln von Informationen:<br />
Gewichtung, Einordnung und Auswahl. Bildung bedeutet in die<br />
Tiefe zu gehen, stabile Wurzeln zu schlagen in diesem Boden, den<br />
ihr zu bebauen habt. Ad fontes, zu den Quellen des Wissenswerten,<br />
wie es die Renaissance-Wissenschaftler forderten. Erst dort<br />
zeigt sich auch, wie etwas einzuordnen, zu verstehen ist. Dass dies<br />
mit der riesigen, nicht mehr überschaubaren Menge der Wissensmöglichkeiten<br />
schwierig geworden ist, versteht sich. Eine leichte<br />
Aufgabe wäre euch aber auch nicht angemessen.<br />
Es ist nicht nur die Menge, die dem genauen Hinschauen so viel<br />
mehr Bedeutung verleiht, es ist auch die Qualität der Information.<br />
Eine brandneue Untersuchung der Universität Zürich zeigt,<br />
dass sich die Medienlandschaft rasch und eindeutig verändert:<br />
Die Hintergrund-Information, die politischen Kommentare, die<br />
Recherche verschwinden zugunsten von sogenannten «People-<br />
und Human-Interest-Storys», die in knappster Form Unterhaltung<br />
bieten. Die Autoren der Studie befürchten einen Verlust der<br />
Grundlagen für die gesellschaftspolitische Meinungsbildung, für<br />
das Funktionieren der Demokratie. Das Ziel eurer Bildung ist es,<br />
weit dahinter schauen zu können – und schauen zu wollen.<br />
Von Hölderlins Gedicht «Hälfte des Lebens» heisst es, es sei eines<br />
der schönsten in deutscher Sprache.<br />
Hälfte des Lebens<br />
Mit gelben Birnen hänget<br />
Und voll mit wilden Rosen<br />
Das Land in den See,<br />
Ihr holden Schwäne,<br />
Und trunken von Küssen<br />
Tunkt ihr das Haupt<br />
Ins heilignüchterne Wasser.<br />
Weh mir, wo nehm ich, wenn<br />
Es Winter ist, die Blumen, und wo<br />
Den Sonnenschein,<br />
Und Schatten der Erde?<br />
Die Mauern stehn<br />
Sprachlos und kalt, im Winde<br />
Klirren die Fahnen.<br />
Vieles erscheint auf den ersten Blick rätselhaft: Wer sind die «holden<br />
Schwäne»? Wer ist «trunken von Küssen»? Die Jugend? «Heilignüchtern»<br />
– ein Gegensatz von Gefühl und Vernunft, von zwei<br />
Weisen der Dichtung? «Wo nehm ich Blumen» - stehen sie für die<br />
Worte des Dichters, die er zu verlieren fürchtet? «Mauern» - das<br />
Nicht-mehr-Dazugehören im Alter?<br />
Das, was im Buch heute gedruckt wird, ist nur die halbe Wahrheit.<br />
Dahinter versteckt sich ein Akt des sprachlichen Kampfes um das<br />
richtige Wort, wie das handschriftliche Blatt von Hölderlin und<br />
der darauf ersichtliche Versuch der Umsetzung zeigen: ein Zusammenfallen<br />
von Gedichtansätzen, die in der Verdichtung erst<br />
zu einem Gedicht geworden sind.<br />
Im Deutsch-Unterricht werdet ihr deuten lernen, hinter den<br />
Wörtern Vorstellungen finden, Zusammenhänge mit Leben und<br />
Zeit des Dichters aufdecken, und ihr werdet euch dazu auf einen<br />
sprachlichen Bildungsprozess einlassen.<br />
Wenn ihr euch mit Gedichten oder auch mit Malerei und Musik<br />
beschäftigt, geht ihr über das unmittelbar Nützliche hinaus.<br />
Die ästhetische Bildung umfasst die eigene Betätigung, das eigene<br />
Schaffen – ihr alle werdet ein Instrument spielen oder bildnerisch<br />
gestalten, ihr habt euch bereits entschieden – ihr werdet aber auch<br />
lernen, wie über Kunst gesprochen wird, was hinter Kunstwerken<br />
verborgen ist, warum es heisst, eine umfassende Bildung ermögliche<br />
den Zugang zu Schönheit, Wahrheit und Glück.<br />
An die Quellen und Ursprünge, von denen die Rede war, geht ihr<br />
in jedem Fach, noch nicht so tief wie an den Hochschulen, aber<br />
euch auf diese vorbereitend. Ihr beschäftigt euch zum Beispiel<br />
mit den Stoffen der Chemie, mit den Weltgesetzen der Physik, mit<br />
der Quellenkunde der Geschichte, den Bauweisen der Biologie.<br />
Ihr lernt Modelle kennen, mit denen die Welt beschrieben wird,<br />
und ihr lernt sie hinterfragen.<br />
Ihr lernt aber auch so arbeiten, wie es für eine substanzielle Bildung<br />
und später für die Forschung wichtig ist. Dazu ist zweierlei<br />
notwendig: eigenständige Reflexion, aber auch Zusammenarbeit.<br />
Ihr könntet ja heute zu Hause unterrichtet werden, über E-Learning.<br />
Im Outback von Australien ist dies notwendig. Wir aber<br />
sind – und dies ganz bewusst – eine Lerngemeinschaft. Zusammenarbeit<br />
ist für alle spätere Tätigkeit, in Beruf und Forschung,<br />
entscheidend. Und sie ist viel mehr als Aufteilung der Arbeit:<br />
Voneinander lernen, die Meinung des anderen als wertvoll erkennen,<br />
zu verstehen, dass jeder Beitrag jedes Einzelnen die Sache<br />
weiterbringen kann, dass Austausch Bildung überhaupt erst ermöglicht,<br />
dies sind die Kerngedanken einer öffentlichen Schule.<br />
Wir haben mit Projektunterricht, Arbeitswochen und der Maturitätsarbeit<br />
vielfältige Bereiche, in denen ihr über den Fachunterricht<br />
hinaus kooperativ arbeiten und lernen werdet.<br />
An der Feier zum 175-jährigen Bestehen der Universität wurde in<br />
einer Rede mit Stolz festgehalten, dass die Universität Zürich die<br />
erste Hochschule in Europa war, die nicht von einem Fürstenhaus<br />
oder der Kirche, sondern von einem demokratischen Staatswesen<br />
gegründet worden war. Die Stimmbürger wollten und bezahlten<br />
eine Institution, welche sie mit Wissen und Erkenntnissen versorgen<br />
würde. Kein Selbstzweck, sondern eine Einrichtung, die dem<br />
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