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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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ISSN 1867-660X<br />

<strong>Die</strong> <strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>stud</strong>. <strong>iur</strong>. <strong>und</strong> <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong><br />

Titelthema<br />

Der Rechtsstaat in der Strafrechtspraxis<br />

Rechtsanwalt Dr. Christian Pelz<br />

„Freiheit ist nicht ohne Verantwortung zu haben“<br />

Ein Interview mit Prof. Dr. Ralf Höcker<br />

Alexander Otto <strong>und</strong> Ahmad John Sayed<br />

Lehre & Referendariat<br />

Teilnahme an Mord <strong>und</strong> Totschlag<br />

Nicolas Kneba<br />

Zur Anwendbarkeit von § 33 BauGB<br />

bei Aufhebung eines Bebauungsplans<br />

Sven-Sebastian Ohms<br />

Das Relationsgutachten im Rahmen der zivilrechtlichen Klausur<br />

im juristischen Vorbereitungsdienst<br />

RiLG Dr. Holger Schröder<br />

Praxis & Karriere<br />

„Ich habe manchmal vor der Frage gestanden, aufzugeben“<br />

Ein Interview mit Heinrich Hannover<br />

Vivien Eckhoff<br />

Aufbau<strong>stud</strong>ium „Europäisches <strong>und</strong> Internationales Recht“<br />

(LL.M.Eur.) an der Universität Bremen<br />

Merle Alena Wolter<br />

Wissenschaftlicher Beirat:<br />

Prof. Dr. Michael Kotulla<br />

Prof. Dr. Heribert Prantl<br />

Prof. Dr. Martin Schwab<br />

Ausgabe 1/2011 | www.IURRATIO.de<br />

Exklusiv-Partner dieser Ausgabe:<br />

NEU!<br />

Ab sofort mit Karteikarten


Welche Ziele hat der Verein<br />

„<strong>Iurratio</strong> – juristische Nachwuchsförderung e.V.“?<br />

Ziel des Vereins „<strong>Iurratio</strong> – juristische Nachwuchsförderung e.V.“ ist die<br />

Förderung des juristischen Nachwuchses, die Förderung der juristischen<br />

Ausbildung <strong>und</strong> der juris prudencia insgesamt. Außerdem soll die Kommuni-<br />

kation über Recht durch ideelle <strong>und</strong> materielle Unterstützung des b<strong>und</strong>eswei-<br />

ten juristischen Nachwuchsprojektes <strong>Iurratio</strong> sicher gestellt werden.<br />

Welche Vorteile bietet eine Mitgliedschaft ?<br />

Mit einer Mitgliedschaft im Verein „<strong>Iurratio</strong> - Juristische Nachwuchs-<br />

förderung e.V.“ unterstützt jedes Mitglied nachhaltig das Projekt <strong>Iurratio</strong><br />

<strong>und</strong> den oben beschriebenen Vereinszweck. Darüber hinaus sorgt der<br />

Verein insbesondere durch die Übernahme der Druck- <strong>und</strong> Versandkosten<br />

<strong>für</strong> die Verbreitung der Zeitung unter den Mitgliedern <strong>und</strong> den juristischen<br />

Bibliotheken in ganz Deutschland.<br />

Wie hoch ist der jährliche Mitgliedsbeitrag?<br />

Der jährliche Mitgliedsbeitrag beträgt <strong>für</strong> Fördermitglieder als natürliche<br />

Person 25,- Euro <strong>und</strong> als juristische Person 200,- Euro. Studierende zahlen bei<br />

Vorlage eines entsprechenden Nachweises nur 10,- Euro, wissenschaftliche<br />

Mitarbeiter 12,- Euro per annum. Sowohl Satzung als auch Beitragsordnung<br />

können beim Vorstand oder der Geschäftsstelle unter verein@<strong>iur</strong>ratio.de als<br />

PDF-Dokument angefordert werden.<br />

Hiermit trete ich dem Verein <strong>Iurratio</strong> – Juristische Nachwuchsförderung e.V. bei als<br />

SchülerIn, StudentIn, ReferendarIn (ermäßigter Jahresmitgliedsbeitrag 10 €,<br />

entsprechende Nachweise sind dem Vorstand jährlich vorzulegen),<br />

Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/-in (Jahresmitgliedsbeitrag 12 €),<br />

natürliche Person (Jahresmitgliedsbeitrag 25 €),<br />

juristische Person (Jahresmitgliedsbeitrag 200 €).<br />

Wie kann ich Mitglied werden?<br />

Der Verein steht jedermann offen, breite Unterstützung erhoffen wir uns von<br />

Studierenden, Professoren, <strong>Juristen</strong> <strong>und</strong> weiteren Persönlichkeiten aus Wis-<br />

senschaft, Politik <strong>und</strong> Wirtschaft. Auch juristische Personen, wie Kanzleien,<br />

können Mitglied werden. Nutzen Sie gerne das nachfolgende Anmeldeformular<br />

oder senden uns die entsprechenden Angaben per E-Mail an<br />

verein@<strong>iur</strong>ratio.de.<br />

Aufnahmeantrag <strong>Iurratio</strong> - Juristische Nachwuchsförderung e.V.<br />

Hiermit ermächtige ich den Verein „<strong>Iurratio</strong> - Juristische Nachwuchsförderung e.V.“ bis auf Widerruf den oben angegebenen Beitrag von meinem<br />

Konto einzuziehen. Der Mitgliedsbeitrag wird bei Eintritt in den Verein unverzüglich, danach gemäß Beitragsordnung jeweils zum Anfang des<br />

Kalenderjahres fällig. <strong>Die</strong> aktuelle Satzung <strong>und</strong> Beitragsordnung habe ich zur Kenntnis genommen.<br />

Firma/Titel/Frau/Herr:<br />

Name, Vorname:<br />

Geburtsdatum:<br />

Beitrittsdatum:<br />

Kontonummer:<br />

Kreditinstitut:<br />

Ort, Datum:<br />

<strong>Iurratio</strong> – Juristische Nachwuchsförderung e.V.<br />

Straße:<br />

PLZ/Stadt:<br />

E-Mail:<br />

Telefon:<br />

Bankleitzahl:<br />

Kontoinhaber (falls abweichend):<br />

Unterschrift:<br />

Das ausgefüllte Formular senden Sie bitte postalisch an <strong>Iurratio</strong> - Juristische Nachwuchsförderung e.V., Salzweg 62, 48431 Rheine,<br />

per Fax an 0228 - 96 28 37 89 oder per Mail an verein@<strong>iur</strong>ratio.de.


Das <strong>Iurratio</strong>-Team freut sich über<br />

fachk<strong>und</strong>ige Unterstützung<br />

Seit Beginn des neuen Jahres kann das gesamte <strong>Iurratio</strong>-Team auf<br />

fachk<strong>und</strong>ige Unterstützung in der täglichen Redaktionsarbeit zurückgreifen.<br />

Prof. Dr. Michael Kotulla (Universität Bielefeld),<br />

Prof. Dr. Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) <strong>und</strong><br />

Prof. Dr. Martin Schwab (Freie Universität Berlin)<br />

bilden von nun an einen wissenschaftlichen Beirat <strong>für</strong> <strong>Iurratio</strong> – die<br />

<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>stud</strong>. <strong>iur</strong>. <strong>und</strong> <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong>, stehen aber auch dem<br />

Gesamtprojekt <strong>Iurratio</strong> künftig mit Rat <strong>und</strong> Tat zur Seite.<br />

„Wir freuen uns, dass mit Prof. Dr. Michael Kotulla, Prof. Dr. Heribert<br />

Prantl <strong>und</strong> Prof. Dr. Martin Schwab drei Persönlichkeiten, die durch<br />

ihre herausragende fachliche Leistung <strong>und</strong> ihr persönliches Engagement<br />

hervorstechen, den wissenschaftlichen Beirat bilden <strong>und</strong> uns<br />

künftig als wichtige Ansprechpartner zur Seite stehen“, sagte <strong>Iurratio</strong>-Herausgeber<br />

Jens-Peter Thiemann <strong>und</strong> betonte weiter, dass die<br />

Einrichtung <strong>und</strong> Besetzung des Beirates mit diesen Personen den<br />

hohen akademischen Qualitätsstandard von <strong>Iurratio</strong> unterstreiche.<br />

Eine ausführliche Vorstellung unserer Beiratsmitglieder<br />

finden Sie in Kürze unter<br />

www.<strong>iur</strong>ratio.de.<br />

Frühjahrs GK 2011<br />

<strong>Die</strong> <strong>Iurratio</strong> Frühjahrs-Konferenz 2011 fand am 19. <strong>und</strong> 20. Februar in<br />

Hamburg bei der Kanzlei „Graf von Westphalen“ statt. Neben der Agenda<br />

<strong>für</strong> 2011 wurden redaktionelle <strong>und</strong> fachliche Themen diskutiert.<br />

Einen großen Mehrwert zogen alle Teilnehmer aus dem gegenseitigen<br />

Kennenlernen <strong>und</strong> Networking. Wir freuen uns jetzt schon auf die<br />

Herbstkonferenz im Oktober!<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

<strong>Iurratio</strong> Aktuell<br />

<strong>Iurratio</strong> Ranking „Online Innovation“:<br />

Urk<strong>und</strong>enüberreichung<br />

Nach der Veröffentlichung des <strong>Iurratio</strong> Rankings Online Innovation<br />

in Ausgabe 3/2010 besuchte eine <strong>Iurratio</strong>-Delegation viele Kanzleien<br />

um die Hintergründe des Rankings darzustellen <strong>und</strong> den<br />

Kanzleien Tipps <strong>für</strong> die erfolgreiche Social Media Implementierung<br />

zu geben. Den drei bestplatzierten Kanzleien wurde darüber hinaus<br />

eine Urk<strong>und</strong>e verliehen.<br />

Unsere Fotos zeigen die Urk<strong>und</strong>enübergabe bei<br />

HengelerMueller (Platz 1),<br />

Freshfields Bruckhaus Deringer (Platz 2)<br />

<strong>und</strong> GSK Stockmann + Kollegen (Platz 3).<br />

<strong>Iurratio</strong>-Karteikarten<br />

Ab sofort finden Sie pro Ausgabe mindestens acht Karteikarten zu sog.<br />

Rechtsprechungs-Klassikern <strong>und</strong> zu neuer Rechtsprechung in unserem<br />

Heft. Unter www.<strong>iur</strong>ratio.de werden Sie ab 2.5.2011 auch eine Langversion<br />

zu jeder Karteikarte mit noch mehr wertvollen Tipps <strong>und</strong><br />

Anmerkungen abrufen können. Gemeinsam mit unserer Übersicht zu<br />

ausbildungsrelevanten Entscheidungen der Obergerichte sind Sie<br />

künftig stets auf der Höhe der Zeit in Sachen Rechtsprechung.<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

beginnend mit dieser Ausgabe werden Sie kün� ig pro Ausgabe mindestens acht Karteikarten aus den drei Kerngebieten<br />

des Rechts � nden.<br />

Dabei werden Sie zwei unterschiedliche Karteikartentypen vor� nden: Mit den „Klassiker“-Karten wollen wir Ihnen<br />

Inhalte der typischen Klassiker, aber auch solcher Entscheidungen, die das Zeug zum „Klassiker“ haben, näher bringen.<br />

„Neue Rechtsprechung“ ist solche, die gängige Rechtsprechung ändert oder zu einem bislang noch nicht entschiedenen<br />

Problem Stellung nimmt.<br />

Alle Karteikarten sind so aufgebaut, dass Sie mit der Karte einen Einstieg in die � ematik bekommen, sie aber auch dazu<br />

nutzen können, Rechtsprechungsinhalte zu wiederholen. Mit den neuen <strong>Iurratio</strong>-Karteikarten sind sie immer „up to date“<br />

– egal ob im Studium, zum ersten oder zweiten Staatsexamen. Zudem erhalten Sie wertvolle methodische Hinweise, die<br />

Ihnen die Einordnung in die Fallbearbeitung erleichtern soll.<br />

Ab 02.05.2010 werden Sie unter www.<strong>iur</strong>ratio.de auch Langversionen zu jeder Karteikarte � nden. Darin werden wir die<br />

jeweilige Entscheidung ausführlicher <strong>für</strong> Sie au� ereiten, interessante Literaturhinweise <strong>und</strong> noch genauere Hinweise zur<br />

methodischen Bedeutung der Entscheidung geben. Mit der oben rechts aufgedruckten Nummer können Sie über die<br />

Suchfunktion auf unserer Seite ganz leicht zur Langversion der Karteikarte � nden.<br />

Viel Spaß beim Lernen mit den Karten,<br />

Alexander Otto<br />

Chefredakteur<br />

Gr<strong>und</strong>satz der Tarifeinheit<br />

Zivilrecht ArbR 2001<br />

NEU!<br />

Neue Rechtsprechung<br />

Zivilrecht SachenR 1002<br />

Reichweite des Eigentums an einem Gr<strong>und</strong>stück<br />

BGH, Urteil vom 17.12.2010, V ZR 44/10 (s. auch V ZR 45/10 <strong>und</strong> V ZR 46/10)<br />

Redaktion: Dr. Lena Rudkowski, Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Sachverhalt (verkürzt):<br />

K ist Eigentümerin von Schloss Sanssouci. B betreibt ein Internetportal, auf dem gewerbliche <strong>und</strong> freiberu� iche Fotogra-<br />

fen Fotos zum entgeltlichen Herunterladen einstellen können. Auf der Internetplattform des B sind ca. 1000 Fotos von<br />

Sanssouci verö� entlicht, die im Schloss selbst oder in dessen Park gefertigt worden sind. K verlangt, die gewerbliche<br />

Vermarktung der Fotos zu unterlassen, weil ein Eingri� in ihr Eigentumsrecht vorläge; dieses beschränke sich nicht auf<br />

den Schutz der Sachsubstanz <strong>und</strong> deren Verwertung.<br />

Einstieg:<br />

<strong>Die</strong> Entscheidung führt die Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 20.09.1974, I ZR 99/73, „Schloss Tegel“; Urt. v. 9.3.1989, I<br />

ZR 54/87, „Friesenhaus“) zur Reichweite des Gr<strong>und</strong>stückseigentums fort. <strong>Die</strong> Kernfrage ist, ob der Eigentümer hinnehmen<br />

muss, dass jemand Fotos der Anlagen seines Gr<strong>und</strong>stücks von diesem aus anfertigt <strong>und</strong> gewerblich verwertet.<br />

Rechtsprechung:<br />

Ein Anspruch der K gegen B auf Unterlassen der Foto-Bereitstellung kann sich aus § 1004 I BGB ergeben. § 1004 I BGB<br />

setzt eine Eigentumsbeeinträchtigung voraus, die hier vorliegt. Das Eigentum (§ 903 BGB) umfasst, dass der Eigentümer<br />

einer Sache mit dieser nach Belieben verfahren <strong>und</strong> andere von jeder Einwirkung ausschließen kann. Weil Eigentum sich<br />

auf eine körperliche Sache bezieht, setzt die Eigentumsbeeinträchtigung zumindest eine Auswirkung auf die tatsächliche<br />

Nutzungsmöglichkeit der Sache voraus. Da man mit der fotogra� erten Sache immer noch „nach Belieben verfahren“<br />

kann, ist Fotogra� eren grds. keine Eigentumsverletzung. Anders liegt dies, wenn die Gebäude/Anlagen eines Gr<strong>und</strong>-<br />

Zivilrecht SchuldR BT 1001<br />

Verschär� e Ha� ung Minderjähriger – Der Flugreisefall<br />

BAG, Urteil vom 07.07.2010, Az.: 4 AzR 549/08; Anfragebeschlüsse vom 27.1.2010, 4 AZR 537/08 (A)<br />

BGH, Urteil vom 07.01.1971, Az.: VII ZR 9/70 = BGHZ 55, 128 = NJW 1971, 609<br />

<strong>und</strong> 4 AZR 549/08 (A); Beschlüsse vom 23.6.2010, 10 AS 3/10 <strong>und</strong> 10 AS 3/10.<br />

Redaktion: Kathrin Böckmann, Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Redaktion: Dr. Lena Rudkowski, , Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Sachverhalt (verkürzt):<br />

Sachverhalt (verkürzt):<br />

Der 17-jährige Bekl. � og von M nach H <strong>und</strong> von dort aus ohne Flugticket weiter nach NY. Dort wurde ihm die Einreise<br />

A, Arzt <strong>und</strong> Mitglied des Marburger B<strong>und</strong>es, verlangt von seiner Arbeitgeberin K Zahlung eines Urlaubsaufschlags nach verweigert. <strong>Die</strong> klagende Fluggesellscha� ließ den Bekl. eine Zahlungsverp� ichtung unterschreiben, stellte ihm ein Flug-<br />

BAT, weil sie über ihren Arbeitgeberverband im Verhältnis zum Marburger B<strong>und</strong> an den BAT geb<strong>und</strong>en ist.<br />

ticket aus <strong>und</strong> � og ihn noch am selben Tag zurück nach M. <strong>Die</strong> Mutter des Bekl. verweigerte als gesetzliche Vertreterin<br />

K wendet ein, dass A sich auf den BAT nicht berufen könne, da sie, K, auch gegenüber der Gewerkscha� Ver.di geb<strong>und</strong>en die Genehmigung des Rechtsgeschä� s. <strong>Die</strong> Fluggesellscha� verlangt von dem Bekl. die Zahlung des Flugpreises <strong>für</strong> die<br />

sei, <strong>und</strong> zwar an den auch <strong>für</strong> Ärzte geltenden TVöD. <strong>Die</strong>ser verdränge als speziellere Regelung den BAT.<br />

Strecke H - NY sowie die Zahlung des Flugpreises <strong>für</strong> die Strecke NY - M. Zu Recht?<br />

Rechtsprechungsänderung:<br />

Einstieg:<br />

<strong>Die</strong> Rechtsprechung ging bislang vom „Gr<strong>und</strong>satz der Tarifeinheit“ aus: Es könne in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag Zentrales Problem dieses Klassikers ist der Wegfall der Bereicherung nach § 818 III BGB. Daneben hatte der BGH die<br />

Anwendung � nden (Motto: „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag!“). Bestehende Tarifpluralitäten müssten nach dem „Gr<strong>und</strong>satz Leistungs- von der Eingri� skondiktion abzugrenzen <strong>und</strong> zu entscheiden, ob der Beklagte überhaupt im Sinne von § 812<br />

der Spezialität aufgelöst werden. Es sei nur der Tarifvertrag anwendbar, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich Abs. 1 BGB „etwas erlangt“ hat. Zudem hatte sich der BGH mit den Rechtsfolgen der Bösgläubigkeit im Bereicherungs-<br />

<strong>und</strong> persönlich am nächsten steht, der den Eigenarten <strong>und</strong> Erfordernissen des Betriebs am besten Rechnung trägt. recht auseinanderzusetzen.<br />

Das BAG hat diesen Gr<strong>und</strong>satz nunmehr aufgegeben. Das hat nicht nur Bedeutung <strong>für</strong> die Frage nach dem auf den Methodische Bedeutung:<br />

Arbeitsvertrag anzuwendenden Tarifvertrag <strong>und</strong> damit <strong>für</strong> die Ansprüche des Arbeitnehmers, sondern auch <strong>für</strong> das <strong>Die</strong>ser Fall eignet sich zur Wiederholung der kompletten zivilrechtlichen Anspruchsreihenfolge: vor den bereicherungs-<br />

Arbeitskampfrecht (siehe Langversion).<br />

rechtlichen Ansprüchen sind zunächst vertragliche sowie deliktische Ansprüche anzuprüfen. Besonders gut lassen sich<br />

an diesem Fall aber auch Au� au <strong>und</strong> Struktur des Bereicherungsrechts lernen <strong>und</strong> verstehen. Daneben werden die<br />

systematischen Zusammenhänge zwischen dem Allgemeinen Teil des BGB, dem Deliktsrecht <strong>und</strong> dem Bereicherungsrecht<br />

deutlich.<br />

Klassiker<br />

Öffentliches Recht VerfR 4001<br />

Öffentliches Recht VerwR 4002<br />

Neue Rechtsprechung<br />

Neue Rechtsprechung<br />

<strong>Die</strong> Sicherungsverwahrung<br />

Enttarnung durch Presseverö� entlichung<br />

EGMR Urteile vom 13.01.2011, Az.: 6587/04 <strong>und</strong> 17.12.2009, Az.: 19359/04<br />

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.08.2010, Az. 1 S 2266/09<br />

Redaktion: Vivien Eckho� , Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Redaktion: Alexander Otto, Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Sachverhalt (verkürzt):<br />

Sachverhalt (verkürzt):<br />

In dieser Entscheidung vom 13.01.2011 ging es um die Frage, ob Deutschland in drei Fällen der Anordnung der nach- Krä� e eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei waren im Einsatz, um einen bereits in Untersuchungsha�<br />

träglichen Sicherungsverwahrung � nanzielle Entschädigung zu leisten hat. Bei den 1993, 1992 <strong>und</strong> 1985 zu längeren be� ndlichen Tatverdächtigen zu einem Arzttermin in der Innenstadt der Stadt S-H zu verbringen. Dazu fuhren die<br />

Ha� strafen verurteilten Stra� ätern wurde die zusätzliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bis 2010 mehr- Beamten mit zivilen <strong>Die</strong>nstfahrzeugen in den unmittelbaren Nahbereich der Praxis <strong>und</strong> brachten den Inha� ierten hinfach<br />

aufgr<strong>und</strong> von Sachverständigengutachten verlängert. Regel war es bis 1998, dass die Sicherungsverwahrung ein, während zwei Beamte vor dem Gebäude blieben. Einsatzleiter E postierte sich im Eingangsbereich. Alle Beamten<br />

10 Jahre nicht überschreiten darf. Aufgr<strong>und</strong> der Neuregelung in § 67 d III StGB ent� el 1998 diese zeitliche Begrenzung. waren zivil gekleidet, aber bewa� net, E sogar mit einer Maschinenpistole. <strong>Die</strong> Situation bemerkten zwei Journalisten, die<br />

Einstieg:<br />

um Auskun� über die Geschehnisse ersuchten <strong>und</strong> diese auch erhielten. Einer der beiden versuchte dann Bilder von<br />

Zentrale Bedeutung haben diese Entscheidungen zum einen wegen der unterschiedlichen Rechtsprechungspraxis der Einsatz, <strong>Die</strong>nstfahrzeugen <strong>und</strong> Beamten aufzunehmen, wurde dann aber von E aufgefordert, das Fotogra� eren zu unter-<br />

Gerichte. Zum anderen ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Gr<strong>und</strong>rechte aus der EMRK, insb. die Art. 5 lassen. E begründete dies damit, dass die Beamten aus Gründen des Identitätsschutzes <strong>und</strong> um mögliche Sanktionen der<br />

<strong>und</strong> 7 herauszuarbeiten.<br />

Gegenseite aus dem Bereich der organisierten Kriminalität auszuschließen, nicht abgelichtet werden sollten. <strong>Die</strong> Journa-<br />

Rechtsprechung:<br />

listen bestanden auf ihrem Rechercherecht, worau� in der Einsatzleiter eine Beschlagnahme von Kamera <strong>und</strong> Filmma-<br />

Der EGMR hat bereits 2009 in dem Verfahren der Individualbeschwerde M gegen Deutschland festgestellt: <strong>Die</strong> Entscheiterial androhte.<br />

dungen der deutschen Gerichte, die Stra� äter auch über die Dauer von zehn Jahren hinaus in der Sicherungsverwahrung Einstieg:<br />

zu belassen, verstoßen gegen Art. 5 <strong>und</strong> 7 EMRK <strong>und</strong> sind damit menschenrechtswidrig. Zu Art.5 I EMRK (nachlesen!): <strong>Die</strong> Entscheidung ist geeignet, um sich mit der Polizeifestigkeit der Pressefreiheit, v.a. aber mit den Vorschri� en des<br />

Voraussetzung einer Freiheitsentziehenden Maßnahme ist, dass <strong>für</strong> diese eine gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage vorliegt (zum Zeit- Kunsturhebergesetzes <strong>und</strong> der Frage auseinanderzusetzen, wann ein Mensch eine Person der Zeitgeschichte ist <strong>und</strong><br />

punkt der Verurteilung: § 67 d I StGB). Weiterhin muss ein Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Täters welche Auswirkungen dies hat.<br />

<strong>und</strong> der Fortdauer seiner Freiheitsentziehung vorhanden sein. Da er ohne die gesetzliche Änderung 1998 nach 10 Jahren<br />

klassiker<br />

Strafrecht StrR AT 6002<br />

Strafrecht StrR AT 6001<br />

Neue Rechtsprechung<br />

Neue Rechtsprechung<br />

Eissporthalle Bad Reichenhall<br />

Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch<br />

BGH, Urteil vom 12.01.2010, Az.: 1 StR 272/09<br />

BGH, Urteil vom 25.06.2010, Az.: 2 StR 454/09<br />

Redaktion: Christine Dutzmann, Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Redaktion: Alexander Otto, Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Sachverhalt (verkürzt):<br />

Sachverhalt (verkürzt):<br />

Durch den Dach-Einsturz der Eissporthalle von Bad Reichenhall starben 15 Besucher, 6 weitere wurden schwer verletzt. Nachdem ihr Mann eine Hirnblutung erlitt, erörterte P mit ihren Kindern, ob <strong>und</strong> wie sie sich in einem solchen Fall die<br />

Zum Einsturz kam es aufgr<strong>und</strong> gravierender Mängel in der Dachkonstruktion. Ingenieur I erhielt von der Stadt den Behandlung wünscht. Dabei äußerte sie klar, dass sie im Falle einer Bewusstlosigkeit <strong>und</strong> der verlorenen Fähigkeit, ihren<br />

Au� rag, ein Gesamtgutachten über anstehende Sanierungsmaßnahmen zu erstellen. Von dem Au� rag umfasst war auch Willen zu äußern, weder künstlich ernährt noch beatmet werden möchte. Kurz darauf erlitt P eine Hirnblutung <strong>und</strong> � el<br />

die Dachkonstruktion der Eishalle. Ein Standsicherheitsgutachten war nicht in Au� rag gegeben oder gewollt, wohl aber ins Wachkoma, wurde künstlich ernährt. Obwohl keine Streitigkeiten zwischen Familie <strong>und</strong> Ärzten über den Willen der<br />

eine „handnahe Überprüfung“ der Holzträger. I untersuchte einen Träger wegen au� älliger Flecken näher, die restlichen P bestanden, wurde ein Behandlungsabbruch abgelehnt bzw. durch Wiederaufnahme der Behandlung verhindert. Auf<br />

Balken betrachtete er mit einem Teleobjektiv vom Boden aus. Bei handnaher Untersuchung hätte I o� ene Fugen in der Anraten ihres Rechtsanwaltes schnitten die Kinder der P darau� in den Schlauch der Ernährungssonde durch. P wurde<br />

Verleimung gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ein Holzsachverständiger hätte darau� in die brüchigen Leimverbindungen aufgedeckt. I kam in eine Klinik eingeliefert <strong>und</strong> eine neue Ernährungssonde gelegt. Kurz darauf starb P eines natürlichen Todes.<br />

zu dem Schluss: „<strong>Die</strong> Tragkonstruktionen der gesamten Eissporthalle be� nden sich in einem allgemein als gut zu Einstieg:<br />

bezeichnenden Zustand.“ I hatte bereits bei einer Untersuchung der Schwimmhalle im Jahr 2001 starke Beschädigungen � ema des Urteils ist die Stra� arkeit des Behandlungsabbruchs durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer<br />

im Dach der Schwimmhalle reklamiert <strong>und</strong> diese im Jahr 2003 wiederholt. <strong>Die</strong> Stadt reagierte hierauf zunächst jedoch bereits begonnenen medizinischen Behandlung. Im Mittelpunkt der Entscheidung stehen die neuen Regelungen zur sog.<br />

nicht.<br />

Patientenverfügung. <strong>Die</strong> Entscheidung eignet sich zur Wiederholung der Rechtfertigungsgründe. In diesem Zusam-<br />

Einstieg:<br />

menhang sollten auch die Gr<strong>und</strong>sätze der „Hilfe zum Sterben“ <strong>und</strong> „Hilfe im Sterben“ wiederholt werden.<br />

<strong>Die</strong> Entscheidung eignet sich zur Wiederholung der Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts. Ob seiner Rechtsprechungsänderung:<br />

Aktualität <strong>und</strong> der großen Medienresonanz ist fast sicher davon auszugehen, dass dieses BGH-Urteil schon bald Gegen- Wurde bislang das aktive Tun bei der „zulässigen“ Sterbehilfe ausgeschlossen <strong>und</strong> auf einem wenig nachvollziehbaren<br />

stand einiger Examensklausuren sein wird.<br />

Weg dem Unterlassen gleichgestellt, stellt der BGH nun klar, dass auch das aktive Tun bei der Sterbehilfe einer Einwilligung<br />

zugänglich ist, sofern es sich im Rahmen eines Behandlungsabbruchs bewegt.<br />

3


Inhalt / Impressum<br />

S. 6<br />

Titelthema: Rechtsstaat in der Praxis<br />

Impressum Ausgabe 1/2011<br />

Herausgeber: Jens-Peter Thiemann (V.i.S.d.P.)<br />

herausgeber@<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Augen auf beim Robenkauf<br />

S. 51<br />

Interview: Heinrich Hannover<br />

Chefredaktion: Alexander Otto, Vivien Eckhoff (Stellvertreterin),<br />

Hanna Furlkröger (2. Stellvertreterin)<br />

chefredaktion@<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Redaktion:<br />

Ressort Zivilrecht (zivilrecht@<strong>iur</strong>ratio.de) Aimee Waldon (Ltg., Standortleiterin<br />

Universität Bremen), Christine Dutzmann, Ahmad Sayed<br />

Ressort Strafrecht (strafrecht@<strong>iur</strong>ratio.de)<br />

Kiyomi von Frankenberg (Ltg., Standortleiterin Uni Freiburg),<br />

Konstantina Papathanasiou (Standortleiterin Universität Heidelberg)<br />

Ressort Öffentliches Recht (oerecht@<strong>iur</strong>ratio.de) Stefanie Löhr, Katharina Walter,<br />

Georg <strong>Die</strong>tlein (Standortleiter Köln)<br />

Ressort Fallbearbeitungen (fallbearbeitung@<strong>iur</strong>ratio.de) Hanna Furlkröger (Ltg.)<br />

Ressort LawLifeSytle (lawlifestyle@<strong>iur</strong>ratio.de) Sandra Beuke, Julia Potdevin<br />

Ressort Praxis (praxis@<strong>iur</strong>ratio.de)<br />

Jan-Christoph Stephan (Ltg., Standortleiter Universität Konstanz), Dirk Veldhoff<br />

Ressort Rechtsprechung (rechtsprechung@<strong>iur</strong>ratio.de) Christine Dutzmann (Ltg.),<br />

Dirk Veldhoff (Ltg.), Alexander Otto (stv. Ltg.), Kathrin Böckmann, Maike Brinkert,<br />

Vivien Eckhoff, Dr. Lena Rudkowski<br />

Unsere Ansprechpartner an den Standorten erreichen Sie unter unistadtname@<strong>iur</strong>ratio.de,<br />

also z.B. die Standortleiterin in Bremen unter unibremen@<strong>iur</strong>ratio.de.<br />

Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Michael Kotulla (Universität Bielefeld),<br />

Prof. Dr. Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung/Universität Bielefeld),<br />

Prof. Martin Schwab (Freie Universität Berlin)<br />

Beilagen: <strong>Die</strong>ser Ausgabe liegen zwei Bögen à 4 Karteikarten bei. Sollten diese Karten<br />

fehlen, können Sie diese ab 01.05.2011 unter www.<strong>iur</strong>ratio.de abrufen.<br />

Ausschluss: Namentlich gekennzeichnete Beiträge repräsentieren nicht unbedingt die<br />

Meinung der Redaktion.<br />

Lektorat: Annica Klemme, Susanne Bettendorf<br />

Layout & Satz: Susanne Günther, Düsseldorf<br />

info@susanneguenther.de<br />

<strong>Iurratio</strong>-Logo: Tobias Kunkel.<br />

Geschäftsführer: Eckart Pradel, gf@<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Anzeigenabteilung: Marlene Alker, Daniel Frey, Niels Grotjohann, Sabrina Mokulys,<br />

Judith Simon, Björn Wittenstein, Lea Benning, Jenny Ryszka<br />

anzeigen@<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Auslandskorrespondenz: Inga Thiemann (Englisch, Niederländisch),<br />

Marlene Alker (Französisch)<br />

Vertrieb: Xinia Bitterlich, Eva-Maria Matt, Björn Wittenstein, Lars Buchtmann<br />

vertrieb@<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Postanschrift: <strong>Iurratio</strong>, Röckumstraße 63, 53121 Bonn<br />

Redaktionsanschrift: Postfach 1540, 26645 Westerstede<br />

S. 52<br />

Druck: Gutverlag, 48477 Hörstel, www.gutverlag.com<br />

Urheber- <strong>und</strong> Verlagsrechte: Alle in dieser <strong>Zeitschrift</strong> veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich<br />

geschützt. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken <strong>und</strong> ähnlichen<br />

Einrichtungen. Kein Teil dieser <strong>Zeitschrift</strong> darf außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes<br />

ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form reproduziert werden.<br />

Autorenhinweise: Ausführliche Autorenhinweise finden Sie auf unserer Homepage<br />

www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Titelthema<br />

„Der Rechtsstaat in der Praxis“<br />

PELZ Der Rechtsstaat in der Strafrechtspraxis 6<br />

OTTO / SAyED „Freiheit ist nicht ohne Verantwortung zu haben“ –<br />

Ein Interview mit Prof. Dr. Ralf Höcker<br />

10<br />

Lehre & Referendariat<br />

Ausbildung<br />

KNEBA Teilnahme an Mord <strong>und</strong> Totschlag 12<br />

OHMS Zur Anwendbarkeit von § 33 BauGB 15<br />

bei Aufhebung eines Bebauungsplans<br />

OTTO Wer ist eigentlich Herr Nießbrauch? 19<br />

SCHRöDER Das Relationsgutachten im Rahmen der zivilrechtlichen 20<br />

Klausur im juristischen Vorbereitungsdienst<br />

Schwerpunkte<br />

KLöVER Ombudsinstitutionen im deutschen Strafvollzug: 24<br />

Eine notwendige Ergänzung zum gerichtlichen Rechtsschutz?<br />

DAHLKE Wirtschaftliche Regulierung eines liberalisierten Marktes – 31<br />

ein immanenter Widerspruch?<br />

Fallbearbeitung<br />

BALZER / KINDLER Anfänger im Zivilrecht: „Fit in den Sommer“ 34<br />

DURU / GOLL Fortgeschrittene im öffentlichen Recht: 37<br />

„Atomkraft <strong>und</strong> deren Risiken“<br />

NAGEL / JALEESI Examenskandidaten im Strafrecht: „Todesangst“ 42<br />

Lawlife Style 50 / 51<br />

- „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen,<br />

wird am Ende beides verlieren“<br />

- „Augen auf beim Robenkauf “<br />

- „Angst ist ein schlechter Ratgeber“<br />

Praxis & Karriere<br />

ECKHOFF: „Ich habe manchmal vor der Frage gestanden, aufzugeben“ – 52<br />

Ein Interview mit Heinrich Hannover<br />

ExNER Referendarsstation an der deutschen Hochschule <strong>für</strong> 56<br />

Verwaltungswissenschaften in Speyer<br />

WOLTER Aufbau<strong>stud</strong>ium „Europäisches <strong>und</strong> Internationales Recht“ 58<br />

(LL.M.Eur.)<br />

DIETLEIN Schule <strong>und</strong> Studium parallel 59<br />

Stellenmarkt 60<br />

Rechtsprechung 62


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6<br />

Titelthema<br />

der Rechtsstaat in der Strafrechtspraxis<br />

von Rechtsanwalt Dr. Christian Pelz (München)<br />

Das in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegte Rechtsstaatsprinzip, wonach die Exe-<br />

kutive <strong>und</strong> die Judikative an Gesetz <strong>und</strong> Recht geb<strong>und</strong>en sind, wird gerade in<br />

der Strafrechtspflege auf eine besondere Bewährungsprobe gestellt. Kein<br />

Rechtsbereich ist derart eingriffsintensiv wie das Strafrecht. <strong>Die</strong>s gilt nicht nur<br />

<strong>für</strong> die Vollstreckung von Untersuchungs- <strong>und</strong> Strafhaft, sondern auch <strong>für</strong><br />

sonstige Zwangsmittel <strong>und</strong> (verdeckte) Ermittlungsmaßnahmen <strong>und</strong> Sankti-<br />

onen. Auch Geldstrafen, Unternehmensgeldbußen nach § 30 OWiG oder die<br />

Verhängung eines dinglichen Arrests in das gesamte Vermögen eines Ver-<br />

dächtigen nach § 111d StPO können erdrosselnde Wirkung haben.<br />

Anhand einiger ausgewählter Beispiele, die keinen Anspruch auf Vollständig-<br />

keit erheben, soll der Versuch unternommen werden, zu skizzieren, inwieweit<br />

die Strafrechtswirklichkeit den hohen Ansprüchen von Rechtsstaatlichkeit<br />

Genüge tut.<br />

Dr. Christian Pelz <strong>stud</strong>ierte Rechtswissenschaften an der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Partner in der<br />

internationalen Sozietät Noerr LLP <strong>und</strong> leitet den Bereich<br />

Wirtschafts- <strong>und</strong> Steuerstrafrecht. Seine Schwerpunkte liegen<br />

in der Verteidigung von Unternehmen <strong>und</strong> Unternehmensleitern<br />

sowie auf dem Gebiet der Compliance.<br />

A. KLASSENSTRAFRECHT<br />

Ein wesentlicher Gr<strong>und</strong>satz rechtsstaatlicher Strafrechtspflege ist das in § 152<br />

Abs. 2 StPO niedergelegte Legalitätsprinzip. Danach ist die Staatsanwaltschaft<br />

verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern tat-<br />

sächliche Anhaltspunkte hier<strong>für</strong> vorliegen. Nicht selten wird der Strafjustiz<br />

der Vorwurf gemacht, Strafverfolgung sei auch heute noch im Wesentlichen<br />

durch Repression gegen die Kriminalität der Unter- <strong>und</strong> Mittelschicht gekennzeichnet,<br />

während eine Strafverfolgung von Wirtschaftskriminalität als<br />

die Oberschicht prägende Kriminalitätsform nicht mit derselben Intensität<br />

erfolge. 1 <strong>Die</strong>ses Phänomen hat verschiedene Facetten. So ist zum einen zu<br />

konstatieren, dass Täter der Oberschicht bei vergleichbarer Deliktsschwere<br />

erheblich milder bestraft werden. 2 Es ist ein bekanntes Phänomen, dass in der<br />

Rechtswirklichkeit Straftaten mit kleinem Schaden verhältnismäßig härter<br />

sanktioniert werden als solche mit großen oder sehr großen Schäden. Sehr<br />

gut dokumentiert ist dieses Phänomen in den veröffentlichten Strafmaßtabellen<br />

zur Steuerhinterziehung. 3 Gegen die Privilegierung von vornehmlich aus<br />

der Oberschicht stammenden Tätern mit hohen Schadensfolgen ist der erste<br />

Strafsenat des BGH mit aufsehenerregenden Ausführungen zur Strafzumes-<br />

1 Neškovic, ZRP 2010, 70.<br />

2 Jahn, ZRP 2009, 247; 2007, 130.<br />

3 Statt vieler vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, S. 323 ff.<br />

Zur Unzulässigkeit einer rein tarifmäßigen Straffestsetzung vgl. BGH NStZ<br />

2009, 271, 272.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

sung bei Steuerstraftaten4 zu Felde gezogen. So fordert er, dass bei Schadenssummen<br />

im Millionenbereich eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe<br />

nur noch in Ausnahmefällen in Betracht kommen soll. 5 Obgleich diese Entscheidung<br />

zu Recht zum Teil heftiger Kritik ausgesetzt ist6 , so legt sie doch<br />

den Finger in die W<strong>und</strong>e der zu beobachtenden Sanktionsungleichheit.<br />

Verstärkt wird dieses Phänomen noch dadurch, dass eine Verfolgung von<br />

Wirtschaftskriminalität wegen der ungenügenden Ausstattung von Justiz <strong>und</strong><br />

Ermittlungsbehörden durch personelle <strong>und</strong> sachliche Ressourcen nur unzureichend<br />

stattfindet; 7 anders als bei der Alltagskriminalität. Da der Bereich<br />

des Wirtschaftsstrafrechts sowohl durch ein hochkomplexes normatives Regelungsgefüge,<br />

8 das manchmal nur noch von Experten durchdrungen werden<br />

kann, <strong>und</strong> durch schwierige tatsächliche Sachverhaltsgegebenheiten gekennzeichnet<br />

ist, ist der Ermittlungsaufwand hoch. <strong>Die</strong> Staatsanwaltschaften sind<br />

zwar bemüht, ihren Verpflichtungen aus dem Legalitätsprinzip Genüge zu<br />

tun, so dass sich mit spektakulären Großverfahren vielfach ganze Abteilungen,<br />

zum Teil verstärkt durch Staatsanwälte aus anderen Abteilungen, befassen.<br />

Andererseits bedeutet dies aber, dass <strong>für</strong> Monate oder Jahre die Strafverfolgung<br />

in anderen Bereichen faktisch weitgehend zum Erliegen kommt.<br />

B. DER DEAL<br />

Eines der umstrittensten Problembereiche des Strafprozessrechts waren <strong>und</strong><br />

sind verfahrensbeendende Absprachen, auch als Deal bezeichnet. Dabei sichert<br />

das Gericht zu, dass im Gegenzug gegen eine ganz oder teilweise geständige<br />

Einlassung des Angeklagten, eine zu verhängende Strafe eine bestimmte<br />

Höhe nicht überschreiten wird. In der Praxis waren derartige Absprachen<br />

schon lange gang <strong>und</strong> gäbe, haben sie doch erhebliche Vorteile <strong>für</strong> beide Seiten:<br />

Angesichts der oftmals sehr weiten Strafrahmen kann der Angeklagte mit<br />

einer klaren <strong>und</strong> oftmals milderen Strafe rechnen, die ihm frühzeitig eine<br />

weitere Lebensplanung ermöglicht. Für die Strafjustiz bedeutet dies einen<br />

schnelleren Verfahrensabschluss bei geringerem Verfahrensaufwand. Angesichts<br />

der überlasteten Justiz ist der Deal in der Praxis unverzichtbar, soll ein<br />

Kollaps des Gesamtsystems vermieden werden. Trotz der Vorbehalte, die gerade<br />

seitens des BGH gegen diesen Handel mit Gerechtigkeit vorgebracht<br />

worden sind, hat sich wohl vornehmlich aus dem letzten Gr<strong>und</strong> der Gesetzgeber<br />

dazu durchgerungen, den Deal zumindest gesetzlich zu regeln <strong>und</strong> ihm<br />

Grenzen zu setzen. Nach § 257c StPO kann Gegenstand einer Verständigung<br />

lediglich das Strafmaß sein, aber nicht der Schuldspruch, d.h. wegen welcher<br />

Straftaten eine Verurteilung erfolgt, <strong>und</strong> auch nicht Maßnahmen der Besserung<br />

<strong>und</strong> Sicherung (z.B. Dauer des Entzugs der Fahrerlaubnis, Unterbringung,<br />

etc.). Das Gericht kann eine Strafober- <strong>und</strong> -untergrenze <strong>für</strong> den Fall<br />

4 BGH NStZ 2009, 271.<br />

5 BGH NStZ 2009, 271, 273.<br />

6 Spatscheck/Zumwinkel, StraFo 2009, 361; Wulf, DStR 2009, 459; Flore,<br />

HRRS 2009, 493; Salditt, PStR 2009, 15.<br />

7 BGH NStZ 2006, 925, 929.<br />

8 Beispielsweise sind Wertpapierhandelsdelikte oder Außenwirtschafts-<br />

delikte als Blanketttatbestände ausgestaltet <strong>und</strong> nehmen im Rahmen einer<br />

Verweisungskette auf eine große Zahl weiterer Bestimmungen Bezug, die<br />

ihrerseits wiederum durch eine Vielzahl auslegungsbedürftiger <strong>und</strong> unbestimmter<br />

Rechtsbegriffe geprägt sind.


eines Geständnisses zusagen. In der Praxis erfolgt aber meist lediglich eine<br />

Zusage einer Strafobergrenze, die – bei Zustandekommen eines Deals –<br />

punktgenau ausgeschöpft wird. Voraussetzung einer Verständigung ist, dass<br />

Angeklagter <strong>und</strong> Staatsanwaltschaft disem zustimmen. Stimmt zwar der An-<br />

geklagte einer vorgeschlagenen Verfahrensabsprache zu, nicht aber die Staats-<br />

anwaltschaft, kommt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 257c Abs. 3 Satz 4<br />

StPO eine Verständigung nicht rechtswirksam zustande. Fühlt sich das Ge-<br />

richt gleichwohl an die dann lediglich informelle Absprache geb<strong>und</strong>en, beste-<br />

hen <strong>für</strong> den Angeklagten nicht unerhebliche Risiken. Vertraut er auf die<br />

(rechtlich unverbindliche) Zusage des Gerichts, muss er ein Geständnis able-<br />

gen, läuft aber Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft weitere Beweiserhebungen<br />

erzwingen kann, die im ungünstigen Fall, weitere Erkenntnisse hervorbrin-<br />

gen, welche die Tat in einem anderen Licht erscheinen lassen <strong>und</strong> bei denen<br />

die Gefahr besteht, dass das Erst- oder das Berufungsgericht eine höhere<br />

Strafe verhängt. Zugesagt werden darf nach § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO nämlich<br />

lediglich eine tat- <strong>und</strong> schuldangemessene Strafe. Damit soll in der Vergan-<br />

genheit vereinzelt aufgetretenen sogenannten „Sanktionsschere“ der Boden<br />

entzogen werden. Davon spricht man, wenn die von dem Gericht <strong>für</strong> den Fall<br />

eines Geständnisses bzw. einer streitigen Hauptverhandlung in Aussicht gestellten<br />

Strafrahmen so sehr auseinander klaffen, dass diese durch die strafmildernde<br />

Wirkung eines Geständnisses <strong>und</strong> andere Strafmilderungsgründe<br />

nicht mehr erklärt werden können. 9 In der Praxis gab es Einzelfälle, in denen<br />

die Strafrahmen extrem auseinandergefallen sind, 10 sodass der Angeklagte<br />

praktisch gezwungen war, einem Deal zuzustimmen.<br />

Nach meinen Erfahrungen halten sich Gerichte im Wesentlichen an die gesetzlichen<br />

Vorgaben, auch wenn es manche Vorsitzende gibt, die alten Gewohnheiten<br />

nicht abschwören können oder wollen. Nicht zuletzt mag dies darauf<br />

zurückzuführen sein, dass der BGH bei Verstößen gegen § 257c StPO<br />

stets von einer Unwirksamkeit der Absprachen ausgeht <strong>und</strong> damit das Risiko,<br />

vor allem <strong>für</strong> den Angeklagten, der im Vertrauen auf eine Absprache ein Geständnis<br />

abgegeben hat, extrem hoch ist. 11<br />

Entgegen der Intention der gesetzlichen Regelung werden aber vielfach informell<br />

weiterhin Absprachen über den Strafgr<strong>und</strong> <strong>und</strong> auch über Maßnahmen<br />

der Besserung <strong>und</strong> Sicherung getroffen. In nicht wenigen Fällen hat der Angeklagte<br />

ein Interesse daran, wegen einer bestimmten Straftat nicht verurteilt<br />

zu werden12 . Absprachen werden vielmals aber auch unmittelbar zwischen<br />

Verteidigung <strong>und</strong> Staatsanwaltschaft getroffen, beispielsweise über die Einstellung<br />

bestimmter Strafvorwürfe nach §§ 153 ff. StPO oder auch über die<br />

Strafhöhe bei Beantragung von Strafbefehlen, etc. <strong>Die</strong>se Art von Absprachen<br />

ist gesetzlich nicht geregelt. Auch hier können die oben geschilderten Probleme<br />

auftreten. Unzulässigem Druck seitens der Staatsanwaltschaft kann<br />

sich der Angeklagte (zumindest theoretisch) dadurch entziehen, dass er sich<br />

einer Verständigung in dieser Phase des Ermittlungsverfahrens verweigert. Je<br />

nach Stellung des Beschuldigten, ist aber vielmals bereits die Durchführung<br />

einer Hauptverhandlung mit schweren Nachteilen <strong>für</strong> das berufliche Fortkommen<br />

geprägt, so dass die Wahl eine solche zwischen Pest <strong>und</strong> Cholera ist.<br />

9 <strong>Die</strong>mer in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 136a Rn 30.<br />

10 BGH NStZ 2008, 170, 171; BGH NStZ 2005, 393.<br />

11 BGH, NStZ 2001, 107; BGH NStZ 2011, 107, 108.<br />

12 Z.B. würde eine Verurteilung wegen Bankrotts (§ 283 StGB) zum Ausschluss<br />

vom Geschäftsführeramt nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit. b) GmbHG<br />

führen, während eine Verurteilung wegen Untreue (sofern keine Freiheitsstrafe<br />

von mehr als einem Jahr verhängt wird) diese Wirkung nicht hat.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Titelthema<br />

C. STRAFTATBEGEHUNG IM NAMEN DES RECHTSSTAATS<br />

In besonderer Weise wird der Rechtsstaat auf die Probe gestellt, wenn staatliche<br />

Strafverfolgungsorgane Straftaten begehen, um einen Täter überführen zu<br />

können. Derartige Probleme werden insbesondere bei der Tatprovokation<br />

durch verdeckte Ermittler13 diskutiert. Aber es gibt auch andere vergleichbare<br />

Konstellationen wie den bewussten Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen,<br />

das Recht auf konsularischen Beistand14 , die völkerrechtswidrigen<br />

Entführung15 oder der jüngst breit diskutierte Erwerb von unrechtmäßig erlangten<br />

Steuerdaten16 aus Liechtenstein oder der Schweiz. Nach nahezu einhelliger<br />

Auffassung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum haben sich deutsche<br />

Ermittlungsorgane durch den Erwerb der Steuer-CD selbst strafbar gemacht17 .<br />

Entgegen der überwiegenden Auffassung in der Literatur hat das BVerfG ein<br />

Verwertungsverbot <strong>für</strong> auf solche Art erlangte Daten jedoch abgelehnt18 , allerdings<br />

ohne sich mit den in der Literatur geäußerten Gegenauffassung auch nur<br />

ansatzweise auseinanderzusetzen. Insbesondere die Argumentation, dass<br />

durch Straftaten Privater erlangte Beweismittel gr<strong>und</strong>sätzlich verwertbar<br />

seien, 19 verfängt insofern nicht, als dabei außer Acht gelassen wurde, dass nicht<br />

nur private, sondern auch staatliche Organe Straftaten begangen haben. Bei all<br />

diesen Fallgestaltungen ist augenscheinig, dass von der Rechtsprechung zwar<br />

rhetorisch immer darauf hingewiesen wird, dass bei besonders gravierenden<br />

Fällen von Rechtsverletzungen ein Beweisverwertungsverbot oder ein Verfahrenshindernis<br />

eingreifen könne, 20 es oftmals aber keine Entscheidung gibt, in<br />

der diese Konsequenz dann jemals gezogen worden wäre.<br />

<strong>Die</strong> Begehung von Straftaten, um andere Straftaten auszuklären, ist eines<br />

Rechtsstaats nicht würdig. <strong>Die</strong> Aufklärung von Straftaten darf nicht um jeden<br />

Preis erfolgen. 21 Zumindest bei schwerwiegenden Verfahrensverstößen, bei<br />

denen Ermittlungsbehörden selbst Straftaten begangen haben, ist die Nutzung<br />

solcher Beweismittel aus rechtsstaatlichen Gründen nicht mehr gestattet.<br />

Der Staat darf sich hier nicht auf eine Stufe mit dem Verbrecher stellen.<br />

D. RICHTERLICHE KONTROLLE<br />

Bei nahezu allen gewichtigen mit Zwangseingriffen verb<strong>und</strong>enen Ermittlungsmaßnahmen<br />

wie Blutentnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme, etc. ist<br />

eine vorhergehende richterliche Kontrolle vorgesehen. Lediglich dann, wenn<br />

ein Richter nicht zu erreichen ist <strong>und</strong> Gefahr im Verzug vorliegt, sind auch<br />

Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsbeamte berechtigt, derartige Maßnahmen<br />

anzuordnen. In der Praxis ist jedoch zu beobachten, dass derartige Richtervorbehalte<br />

nicht oder nur zum Teil gelebt werden. Besonders augenfällig<br />

die Blutentnahme nach § 81 a StPO, die nahezu nie mit richterlichem Beschluss<br />

durchgeführt wurde, da – so die Standardargumentation – wegen des<br />

Alkoholabbaus mit einem Verlust des Beweismittels zu rechnen gewesen wäre.<br />

22 Erst in neuester Zeit wurden Rufe nach einem Verwertungsverbot <strong>für</strong> sy-<br />

13 BGH NStZ 2008, 39; BGHSt 45, 321, 337.<br />

14 BVerfG NJW 2007, 499.<br />

15 BVerfG NStZ 1986, 178.<br />

16 BVerfG NStZ 2011, 103.<br />

17 Trüg, Habetha, NStZ 2008, 481, 489; NJW 2008, 887, 889; Schünemann,<br />

NStZ 2008, 305, 308; Sieber, NJW 2008, 881, 883f.<br />

18 BVerfG NStZ 2011, 103<br />

19 BVerfG NStZ 2011, 103, 105; BGHSt 34, 39, 52.<br />

20 BVerfG NStZ 1995, 95 m.w.Nachw.<br />

21 Trüg/Habetha, NStZ 2008, 481, 491; dies., NJW 2008, 887, 890.<br />

22 OLG Hamm NJW 2009, 242, 243; LG Hamburg, NZV 2008, 213, 214.<br />

7


Titelthema<br />

stematisch ohne richterliche Anordnung erhobene Blutuntersuchung laut. 23<br />

Oftmals findet eine präventive richterliche Kontrolle deshalb nicht statt, weil<br />

außerhalb üblicher Bürozeiten richterliche Notdienste nicht eingerichtet sind<br />

oder Richter sich weigern, ohne schriftliche Akte eine Entscheidung zu treffen.<br />

Da Ermittlungsmaßnahmen, deren Anordnung dem Richter vorbehalten ist,<br />

zu jeder Tages- <strong>und</strong> Nachtzeit erfolgen können, sind die Justizbehörden aufge-<br />

rufen, zumindest in den Fällen <strong>für</strong> eine ständige Erreichbarkeit eines richter-<br />

lichen Notdienstes zu sorgen, in denen in nennenswertem Umfang mit derar-<br />

tigen Maßnahmen zu rechnen ist. Insofern ist die Justizverwaltung aufgefor-<br />

dert, <strong>für</strong> entsprechende Einrichtung von Notdiensten Sorge zu tragen. 24<br />

Eine Weigerung von Richtern, ohne Vorliegen einer schriftlichen Akte auch<br />

nur einfache Entscheidungen zu treffen, ist in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar<br />

<strong>und</strong> kommt einer Rechtsverweigerung gleich. Zwar ist es nachvollziehbar,<br />

dass ein Richter eine gewisse Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage benötigt <strong>und</strong><br />

dass in Verfahren mit einiger Komplexität eine Entscheidung ohne Aktengr<strong>und</strong>lage<br />

nicht oder nur sehr schwer getroffen werden kann. In vielen Fällen<br />

einfacher oder mittlerer Kriminalität ist es jedoch möglich, eine Entscheidung<br />

auch ohne Kenntnis der vollen schriftlichen Akten auf Basis dessen zu<br />

treffen, was Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsbeamte mündlich berichten.<br />

In jedem Fall ist es besser, eine unabhängige Überprüfung durch einen Richter<br />

auf einer unvollständigen Aktengr<strong>und</strong>lage durchzuführen, als die Entscheidung<br />

über derart gravierende Zwangsmittel in die Hände von Staatsanwaltschaft<br />

oder Ermittlungsbeamte zu legen, die gerade in Fällen einfacher<br />

<strong>und</strong> mittlerer Kriminalität auch keine bessere Sachverhaltskenntnis besitzen<br />

23 BVerfG NJW 2010, 2864, 2865; Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker,<br />

Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl, § 81a StPO Rn. 3; OLG Hamburg NJW<br />

2008, 2597, 2598; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238, 238f..<br />

24 BVerfG NJW 2001, 1121, 1123; NJW 2007, 1444; BGH NJW 2007, 2269, 2272.<br />

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als der zur Entscheidung aufgerufene Richter.<br />

Als in der Praxis wichtigstes Problem zu beklagen ist der Umstand, dass in<br />

vielen Fällen auch durch Ermittlungsrichter eine umfassende Sach- <strong>und</strong><br />

Rechtsprüfung nicht stattfindet. Gerade in komplexen <strong>und</strong> rechtlich schwierigen<br />

Fragen besteht eine deutliche Tendenz dazu, Tatsachen- <strong>und</strong> Rechtsprobleme<br />

schlicht zu übergehen, weil die Zeit oder die Bereitschaft zur Durchdringung<br />

des Sachverhalts oder der Rechtslage fehlen oder weil man wegen<br />

des Charakters einer Zwischenentscheidung einen sehr groben Prüfungsmaßstab<br />

<strong>für</strong> ausreichend hält. <strong>Die</strong> übliche Praxis der Staatsanwaltschaft, richterliche<br />

Beschlüsse bereits im Entwurf vorzubereiten, so dass diese lediglich<br />

unterzeichnet werden müssen, mag einer vorschnellen Billigung beantragter<br />

Maßnahmen Vorschub leisten.<br />

E. FAZIT<br />

Man darf, auch <strong>und</strong> gerade im internationalen Vergleich mit der Rechtsordnung<br />

anderer Länder konstatieren, dass das Strafverfahren in Deutschland<br />

trotz der bestehenden Mängel rechtsstaatlichen Gr<strong>und</strong>sätzen genügt. <strong>Die</strong><br />

Kontrolldichte <strong>und</strong> der Schutz des Beschuldigten sind erheblich stärker ausgeprägt<br />

als in vielen anderen Rechtsordnungen. Gleichwohl trägt die mangelhafte<br />

Ausstattung der Justiz mit personellen <strong>und</strong> finanziellen Ressourcen<br />

dazu bei, dass erhebliche Ungleichgewichte entstehen <strong>und</strong> Aufgaben nicht<br />

oder nur noch rudimentär wahrgenommen werden können. <strong>Die</strong> größte Gefahr<br />

<strong>für</strong> den Rechtsstaat stellen daher nicht neue Erscheinungsformen von<br />

Kriminalität dar, sondern dass die Justiz ihre Belastbarkeitsgrenze erreicht<br />

hat. Hier muss schleunigst gegengesteuert werden, soll der Rechtsstaat nicht<br />

in Gefahr geraten.<br />

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F +49 89 - 21 21 59 59<br />

Ansprechpartnerin:<br />

F +49 30 - 61 68 94 56<br />

Ansprechpartner:<br />

F +49 69 - 71 71 298 10<br />

Ansprechpartner:<br />

Ansprechpartnerin:<br />

Dr. Claudia Böhm Ansprechpartner: Dr. Ulrich Block Ansprechpartner: Dr. Ulrich Lohmann<br />

Dr. Claudia cboehm@boetticher.com<br />

Böhm<br />

Dr. Ulrich ublock@boetticher.com<br />

Block<br />

Dr. Ulrich ulohmann@boetticher.com<br />

Lohmann<br />

cboehm@boetticher.com ublock@boetticher.com ulohmann@boetticher.com


10<br />

Titelthema<br />

Prof. Dr. ralf Höcker<br />

„Freiheit ist nicht ohne Verantwortung zu haben“<br />

Ein Interview mit Prof. Dr. Ralf Höcker<br />

von Alexander Otto (Oldenburg) <strong>und</strong> Ahmad John Sayed (Universität Bochum)<br />

„Der Rechtsstaat in der Praxis“ – kaum in einem anderen Bereich wie dem Presse- <strong>und</strong> Medienrecht<br />

wird das Spannungsfeld zwischen individuellen Interessen <strong>und</strong> dem öffentlichen Informations-<br />

bedürfnis deutlicher als hier. <strong>Iurratio</strong> sprach darüber <strong>und</strong> über das Medienrecht allgemein mit<br />

Prof. Dr. Ralf Höcker.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Herr Prof. Höcker, wir geben offen zu, dass wir uns bei der Aus-<br />

wahl unseres Titelthemas von einem derzeit in aller M<strong>und</strong>e befindlichen<br />

Strafverfahren gegen einen bekannten Meteorologen haben leiten lassen.<br />

Gleichwohl hat der „Rechtsstaat in der Praxis“ eine viel größere Dimension,<br />

als es an diesem Einzelbeispiel deutlich wird. Welche Bedeutung hat das Pres-<br />

serecht in unserem Rechtsstaat?<br />

Höcker: Viele Journalisten halten sich irrig <strong>für</strong> die „vierte Gewalt“. Und so<br />

benehmen sie sich auch. Das Presserecht hilft, die schädlichen Folgen dieses<br />

Missverständnisses <strong>für</strong> die Presseopfer aber auch <strong>für</strong> die Funktionsfähigkeit<br />

des Rechtsstaats zu begrenzen. Der Kachelmann-Prozess ist ein schlimmes<br />

Beispiel <strong>für</strong> eine pervertierte Prozessberichterstattung etwa des Hauses Burda,<br />

das über die Illustrierten FOCUS <strong>und</strong> BUNTE massiven Einfluss auf den Ver-<br />

fahrensausgang nimmt. Wenn Journalisten Zeuginnen da<strong>für</strong> bezahlen, dass<br />

sie schon vor ihrer Aussage im Gerichtssaal exklusiv in BUNTE „aussagen“, ist<br />

das durch nichts zu rechtfertigen. Wenn der FOCUS schneller Einsicht in die<br />

Akten der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> ihrer Ermittler erhält als die Verteidigung<br />

<strong>und</strong> wenn der FOCUS diese durch § 353 d StGB geschützten Informationen<br />

jede Woche dazu nutzt, um dreist, einseitig <strong>und</strong> verfälschend Stimmung im<br />

Sinne der mutmaßlichen Quelle zu machen, dann hat das bananenrepublika-<br />

nische Züge.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Das Internet hat die Medienlandschaft in den letzten gut 20 Jah-<br />

ren rasant verändert. Hat diese Entwicklung ein höheres Regelungsbedürfnis<br />

im Bereich des Medienrechts ausgelöst oder ist in diesem Bereich Deregulie-<br />

rung der Schlüssel zum Erfolg?<br />

Höcker: Deregulierung ist natürlich immer sehr beliebt. Ich sehe das Erset-<br />

zen von klaren gesetzlichen Regelungen durch unübersichtliche Rechtspre-<br />

chung zu schwammigen Generalklauseln nicht ganz so euphorisch. Wenn die<br />

Rechtsprechung es zum Beispiel nicht schafft, Online-Händlern Klarheit<br />

Höcker, seit 2003 mit eigener Kanzlei im Marken- <strong>und</strong> Medienrecht in Köln tätig, ist intimer<br />

Kenner dieser Materie. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit ist er Professor <strong>für</strong> Deutsches <strong>und</strong><br />

Internationales Marken- <strong>und</strong> Medienrecht an der Cologne Business School (CBS) <strong>und</strong> dort Wissen-<br />

schaftlicher Direktor des Deutschen Instituts <strong>für</strong> Kommunikation <strong>und</strong> Recht im Internet (DIKRI).<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

darüber zu verschaffen, wie ihre Widerrufsbelehrungen auszusehen haben,<br />

weshalb soll der Gesetzgeber dann nicht eine detaillierte Musterwiderrufsbe-<br />

lehrung entwerfen? Natürlich ist das gesetzgeberisches Klein-Klein. Aber es<br />

hilft dem Rechtsanwender.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Kommen wir auf ein Strafverfahren zu sprechen, dass derzeit in<br />

aller M<strong>und</strong>e ist <strong>und</strong> in wirklich nahezu jedem Detail von den Medien be-<br />

leuchtet wird. Was halten Sie davon, dass schon nach wenigen St<strong>und</strong>en die<br />

Öffentlichkeit wusste, wer von diesem Strafverfahren betroffen ist <strong>und</strong> welche<br />

Tatvorwürfe erhoben werden?<br />

Höcker: Ein korrupter Staatsdiener hat diese Information rechtswidriger-<br />

weise an die Presse verkauft. Journalisten <strong>und</strong> Polizisten haben mir berichtet,<br />

dass man solche Informationen auf deutschen Polizeidienststellen <strong>für</strong> durch-<br />

schnittlich 500 EUR erwerben kann. Was ich davon halte, können Sie sich<br />

denken. Deutschland ist nicht Nigeria. Wer aber glaubt, wir lebten in einem<br />

korruptionsfreien Staatsbürgerparadies, irrt gewaltig. In meiner Praxis habe<br />

ich bislang keinen Fall erlebt, in dem Polizisten, Staatsanwälte, Richter,<br />

Gutachter <strong>und</strong> Journalisten derart pflichtvergessen agiert haben, wie im Fall<br />

Kachelmann. Ich habe auch keinen Fall erlebt, bei dem nach <strong>und</strong> nach derar-<br />

tig viel Dreck aus dem weiteren Verfahrensumfeld nach oben gespült wurde.<br />

Und damit meine ich ausdrücklich nicht den Schmutz, der über Herrn<br />

Kachelmann verbreitet wurde. Das wenigste davon wurde bislang öffentlich<br />

gemacht <strong>und</strong> das ist wahrscheinlich auch gut so.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Lässt sich das Spannungsfeld zwischen dem öffentlichen Informa-<br />

tionsbedürfnis <strong>und</strong> den Interessen der betroffenen Personen auflösen?<br />

Höcker: Darum bemühen sich jeden Tag die Pressekammern vor allem<br />

der Landgerichte Köln, Hamburg <strong>und</strong> Berlin. Und im Allgemeinen machen<br />

sie ihre Arbeit sehr gut.


<strong>Iurratio</strong>: Medien wollen zu Recht möglichst frei von staatlicher Regulierung<br />

<strong>und</strong> Kontrolle sein. In Zeiten von Blogs <strong>und</strong> der Expansion des „social<br />

media“-Bereichs kann fast jeder einem großen Publikum mehr oder weniger<br />

f<strong>und</strong>ierte Informationen zugänglich machen. Wie wird das Medienrecht dem<br />

gerecht <strong>und</strong> wie wird es auch den (berechtigten) Interessen der Medien an<br />

ihrer Unabhängigkeit gerecht?<br />

Höcker: Das Medienrecht behandelt Blogger zu Recht nicht viel anders<br />

als die klassischen Medien. Sie dürfen nichts berichten, was falsch, beleidigend<br />

oder die Privatsphäre verletzend ist. Daran müssen sich viele Blogger<br />

noch gewöhnen. Sie sitzen in ihren Pantoffeln vor dem PC <strong>und</strong> empfinden<br />

sich vor allem als Privatmensch, als schutzbedürftiger Verbraucher, Mieter<br />

oder Arbeitnehmer. Dass das Internet aus einem bloggenden David ganz<br />

schnell einen medialen Goliath machen kann, will nicht jeder Blogger einsehen.<br />

<strong>Die</strong>se Erfahrung mache ich immer wieder, wenn ich <strong>für</strong> Mandanten<br />

gegen rechtsverletzende Blog-Einträge vorgehe <strong>und</strong> bei den abgemahnten<br />

Bloggern <strong>und</strong> Blog-Nutzern auf großes Unverständnis stoße. Klassische<br />

Medien, Blogger <strong>und</strong> alle, die in den sozialen Medien unterwegs sind <strong>und</strong> sich<br />

dort über andere auslassen, müssen wissen, dass Freiheit nicht ohne Verantwortung<br />

zu haben ist. Und die richtige Ausübung der Verantwortung muss<br />

nun einmal kontrolliert werden.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Unsere Leser sind zu einem großen Teil <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong> in allen<br />

Ausbildungsstadien, die unter Umständen vor der Frage stehen, welchen<br />

beruflichen Weg sie konkret einschlagen wollen. Wie sieht der Alltag eines<br />

„Medienanwalts“ aus? Wie beurteilen Sie die Perspektiven <strong>für</strong> eine auf Medienrecht<br />

fokussierte, berufliche Tätigkeit?<br />

Höcker: Der Beruf des Medienanwalts kann durchaus so spannend <strong>und</strong> –<br />

vergleichsweise - „glamourös“ sein, wie man ihn sich klischeehaft vorstellt.<br />

<strong>Die</strong> Lebenssachverhalte sind hochinteressant <strong>und</strong> man hat das Gefühl, sich<br />

ständig am Puls der Zeit zu bewegen. Der Markt ist allerdings winzig klein,<br />

absurd überlaufen <strong>und</strong> die Verdienstmöglichkeiten sind <strong>für</strong> die Masse der<br />

Medienanwälte sehr bescheiden. „Gefühlte“ Großunternehmen wie die Branchenriesen<br />

RTL oder Axel Springer sind im gesamtwirtschaftlichen Vergleich<br />

mittelständische Zwerge mit lächerlichen Umsätzen. Unter den 100 größten<br />

deutschen Unternehmen ist mit Bertelsmann nur ein einziges Medienhaus.<br />

Das Geld wird in Deutschland mit Autos, Energie, Handel, Maschinenbau,<br />

Pharma <strong>und</strong> Chemie verdient, außerdem bei Banken <strong>und</strong> Versicherungen.<br />

Medienrecht brauchen diese Branchen kaum. Ein Rechtsgebiet, das sich dagegen<br />

immer lohnt, ist das Steuerrecht. Das ist zwar deutlich langweiliger, man<br />

findet aber viel schneller einen gut bezahlten Job, denn die meisten <strong>Juristen</strong><br />

haben nun einmal keine Lust, sich mit Zahlen zu beschäftigen. Auch das Arbeitsrecht<br />

bietet einen riesigen weil branchenübergreifenden Massenmarkt,<br />

in dem man es auch als Junganwalt immer irgendwie hinbekommt, sich ein<br />

Stück vom Kuchen abzuschneiden. Man sollte den Job des Medienanwalts<br />

daher nur anstreben, wenn er eine echte Herzensangelegenheit ist <strong>und</strong> man<br />

bereit <strong>und</strong> befähigt ist, sich in einem proppenvollen Haifischbecken gegen<br />

härteste Konkurrenz durchzusetzen. Wer sich das zutraut, darf sich gerne in<br />

meiner Kanzlei bewerben!<br />

<strong>Iurratio</strong>: Herr Prof. Höcker, wir danken Ihnen <strong>für</strong> das interessante<br />

Gespräch.<br />

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Rechtsanwälte Brockmeier, Grotholt, Bietmeier, Faulhaber <strong>und</strong> Kollegen<br />

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12<br />

Ausbildung<br />

A. EINFüHRUNG<br />

Teilnahme an Mord <strong>und</strong> Totschlag<br />

von Wiss. Mit. Nicolas Kneba (Universität Tübingen)<br />

Nicolas Kneba, Jahrgang 1984, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

am Lehrstuhl <strong>für</strong> Strafrecht, Strafprozessrecht <strong>und</strong> Rechtsphilosophie<br />

von Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Kristian Kühl an der Eberhard<br />

Karls Universität in Tübingen.<br />

<strong>Die</strong> Teilnahme i.S.d. §§ 26, 27 StGB ist ein beliebter Gegenstand strafrechtlicher<br />

Klausuren. Besonderer Beliebtheit erfreut sich die Thematik, wenn<br />

die Teilnahme mit Mordmerkmalen zusammentrifft. Der Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong><br />

ist wohl darin zu finden, dass sich in solchen Fällen das Gr<strong>und</strong>verständnis<br />

über das Verhältnis von Mord <strong>und</strong> Totschlag besonders gut abprüfen lässt.<br />

Es gilt daher, sich die maßgeblichen Konstellationen vor Augen zu führen.<br />

Es lassen sich drei Gr<strong>und</strong>konstellationen finden, in denen Mordmerkmale<br />

bei der Teilnahme eine Rolle spielen <strong>und</strong> zu Problemen führen können. So<br />

ist erstens denkbar, dass der Haupttäter ein Mordmerkmal erfüllt, welches<br />

als besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 StGB anzusehen ist, der<br />

Teilnehmer hingegen kein Mordmerkmal verwirklicht. Zweitens kann der<br />

Haupttäter sich lediglich eines Totschlags strafbar gemacht haben, der Teilnehmer<br />

hingegen ein täterbezogenes Mordmerkmal i.S.d. § 28 StGB erfüllen.<br />

Drittens lässt sich der Fall anführen, dass sowohl Haupttäter als auch<br />

Teilnehmer jeweils unterschiedliche Mordmerkmale erfüllen, die besondere<br />

persönliche Merkmale i.S.d. § 28 StGB darstellen. Zwar lassen sich in<br />

diesen drei Konstellationen eine Vielzahl von Unterfällen bilden. Doch ist<br />

<strong>für</strong> das Verständnis der Problematik ausreichend, sich die Gr<strong>und</strong>konstellationen<br />

zu vergegenwärtigen. Aus diesem Verständnis heraus lassen sich<br />

dann auch die weiteren Varianten vertretbar lösen.<br />

In den drei Konstellationen ist zunächst zu fragen, ob das in Rede stehende<br />

Mordmerkmal als ein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 StGB<br />

anzusehen ist. Ist dies der Fall, kommt es nämlich zu einer Lockerung der<br />

Akzessorietät der Teilnahme: Im Falle des § 28 I StGB wird die Strafe des<br />

Teilnehmers nach § 49 I StGB gemildert; im Falle des § 28 II StGB kommt es<br />

zu einer Tatbestandsverschiebung. Greift nun § 28 StGB ein, bedarf es also<br />

einer Entscheidung zwischen den beiden Absätzen des § 28 StGB. <strong>Die</strong>se<br />

Entscheidung hängt davon ab, in welchem Verhältnis Mord <strong>und</strong> Totschlag<br />

zueinander stehen. Das Verhältnis von Mord <strong>und</strong> Totschlag stellt daher<br />

letztlich die entscheidende Weiche <strong>für</strong> die Lösung der genannten Fälle.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

B. KONSTELLATIONEN<br />

I. ERSTE KONSTELLATION: NUR DER (HAUPT-)TäTER VERWIRK-<br />

LICHT EIN MORDMERKMAL<br />

Fall 1: A tötet den O mit einer Bombe. B unterstützte den A beim Bau der<br />

Bombe durch technische Ratschläge.<br />

In Fall 1 stellt sich die Sache einfach dar: A hat O mit einem gemeingefährlichen<br />

Mittel getötet. Er ist also strafbar wegen Mordes nach § 211 Abs. 1,<br />

Abs. 2, 2. Gr. Alt. 3 StGB. B ist Gehilfe. <strong>Die</strong>sem Ergebnis könnte auf den<br />

ersten Blick entgegenstehen, dass B selbst kein Mordmerkmal verwirklicht<br />

hat. <strong>Die</strong> Anwendung des § 28 StGB könnte daher <strong>für</strong> ihn zu einem<br />

anderen Ergebnis führen. Doch vermag § 28 StGB (nach dem eindeutigen<br />

Wortlaut) nur dann einzugreifen, wenn ein besonderes persönliches Merkmal<br />

in Rede steht. Besondere persönliche Merkmale sind solche, die den<br />

Täter charakterisieren, 1 also täterbezogen sind. 2 Nach der ganz h.M. sind<br />

die Mordmerkmale der ersten <strong>und</strong> dritten Gruppe als täterbezogene, mithin<br />

als besondere persönliche Merkmale i.S.d. § 28 StGB, anzusehen. 3 <strong>Die</strong><br />

Mordmerkmale der zweiten Gruppe (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen<br />

Mitteln) sind hingegen tatbezogen <strong>und</strong> fallen daher nicht in<br />

den Anwendungsbereich des § 28 StGB. 4 Somit findet im vorliegenden Fall<br />

§ 28 StGB keine Anwendung. Es bleibt bei einer Beihilfe des B zu einem<br />

Mord mit gemeingefährlichen Mitteln nach §§ 211 Abs. 1, Abs. 2, 2. Gr. Alt.<br />

3, 27 StGB.<br />

Fall 2: A erschießt seine Ehefrau, um seinem Verhältnis zu seiner Geliebten<br />

ungestört frönen zu können. B besorgt dem A in Kenntnis dessen Pläne <strong>und</strong><br />

Beweggründe die Tatwaffe.<br />

Auch in Fall 2 hat Haupttäter A einen Mord begangen. Seine Tötungsmotive<br />

sind als auf sittlich tiefster Stufe stehend <strong>und</strong> deshalb als besonders<br />

verwerflich anzusehen. Sie stellen daher einen niedrigen Beweggr<strong>und</strong> i.S.d.<br />

§ 211 Abs. 1, Abs. 2, 1. Gr. Alt. 4 StGB dar. 5 B ist somit gr<strong>und</strong>sätzlich als<br />

Gehilfe zum Mord aus niedrigen Beweggründen nach §§ 211 Abs. 1, Abs.<br />

2, 1. Gr. Alt. 4, 27 StGB anzusehen. Jedoch handelte B selbst nicht aus niedrigen<br />

Beweggründen <strong>und</strong> erfüllt auch sonst kein Mordmerkmal. Das beim<br />

Haupttäter vorliegende Mordmerkmal fehlt also gerade beim Teilnehmer.<br />

Da der niedrige Beweggr<strong>und</strong> ein täterbezogenes Mordmerkmal ist (s.o.),<br />

findet somit (im Gegensatz zu Fall 1) § 28 StGB Anwendung.<br />

1 Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2008, § 20, Rn. 148; Lackner/<br />

Kühl, 27. Aufl. 2011, § 28, Rn. 4.<br />

2 Geppert, in: Jura 2008, 34 (35 f.); Lackner/Kühl, 27. Aufl. 2011, § 28, Rn. 4;<br />

Wessels/Beulke, Allgemeiner Teil, 40. Aufl. 2010, Rn. 555.<br />

3 Statt aller Geppert, in: Jura 2008, 34 (36).<br />

4 Eser, in: Schönke/Schröder, 28. Auflage 2010, § 211, Rn. 47 f.; Lackner/<br />

Kühl, 27. Aufl. 2011, § 211, Rn. 16; Schneider, in: Münchener Kommentar<br />

StGB, 2003, Bd. 3, § 211, Rn. 209.<br />

5 Vgl. BGHSt 3, 132; 35, 116 (126 f.); 42, 226 (228).


Nun stellt sich die Frage, ob Absatz 1 oder Absatz 2 des § 28 StGB anzuwen-<br />

den ist. Mit dieser Frage ist ein absoluter „Streitklassiker“ des Strafrechts<br />

verb<strong>und</strong>en: In welchem Verhältnis stehen Mord <strong>und</strong> Totschlag zueinander?<br />

Sieht man in § 211 StGB einen selbstständigen Tatbestand, begründen die<br />

Mordmerkmale die Strafbarkeit des Täters. Dann käme § 28 Abs. 1 StGB<br />

zur Anwendung. Es bliebe bei einer Strafbarkeit des B wegen Beihilfe zum<br />

Mord aus niedrigen Beweggründen. Es käme lediglich zu einer (neben die<br />

Milderung nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB tretenden) Milderung der Strafe nach<br />

§§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB. <strong>Die</strong>se Auffassung hat die Rechtsprechung bisher<br />

konsequent vertreten. 6 Hier<strong>für</strong> wird der Wortlaut des § 212 StGB (ohne<br />

Mörder zu sein) angeführt. Auch soll die systematische Stellung des § 211<br />

StGB vor § 212 StGB <strong>für</strong> dieses Verständnis sprechen.<br />

In der Literatur wird hingegen in seltener Einhelligkeit der Mord als Qualifikation<br />

des Totschlags angesehen. 7 <strong>Die</strong>sem Verständnis folgend schärfen<br />

die Mordmerkmale daher die Strafe, sodass § 28 Abs. 2 StGB zur Anwendung<br />

kommt. Der Rechtsprechung kann entgegengehalten werden, dass<br />

dem Wortlaut des § 212 StGB die veraltete Tätertypenlehre zugr<strong>und</strong>e liegt,<br />

sodass mit ihm eine selbstständige Stellung des Mordes nicht begründet<br />

werden kann. 8 <strong>Die</strong> Verortung des § 211 StGB vor § 212 StGB kann damit<br />

erklärt werden, dass dem Mord aufgr<strong>und</strong> des besonderen Unrechtsgehalts<br />

<strong>und</strong> der besonderen Rechtsfolgen eine herausgehobene Stellung zugebilligt<br />

werden soll. 9 Zudem führt die Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB zu nur<br />

schwer nachvollziehbaren Ergebnissen: Durch die von § 28 Abs. 1 StGB<br />

vorgesehene Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB senkt<br />

sich z.B. die Mindeststrafe eines Anstifters zum Mord auf (nur) drei Jahre<br />

ab; der Anstifter zu einem Totschlag sieht sich hingegen mit einer Mindeststrafe<br />

von fünf Jahren konfrontiert. 10 Auch der Mordgehilfe stünde durch<br />

die doppelte Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB (über § 28 Abs. 1 StGB <strong>und</strong> §<br />

27 Abs. 2 S. 2 StGB) besser als der Gehilfe zum Totschlag, dessen Strafe nur<br />

einmal nach §§ 27 Abs. 2 S. 2 i.V.m. 49 Abs. 1 StGB gemildert wird. 11<br />

<strong>Die</strong> besseren Argumente sprechen daher da<strong>für</strong>, im Totschlag das Gr<strong>und</strong>delikt<br />

<strong>und</strong> im Mord dessen Qualifikation zu sehen. Es ist somit im vorliegenden<br />

Fall § 28 Abs. 2 StGB heranzuziehen mit der Folge, dass eine sog.<br />

Tatbestandsverschiebung eintritt: B hat sich danach wegen einer Beihilfe<br />

zum Totschlag nach §§ 212, 27, 28 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.<br />

Der 5. Strafsenat des BGH hat nun in einem obiter dictum „gewichtige Argumente“<br />

<strong>für</strong> das von der Literatur vertretene Verständnis anerkannt <strong>und</strong><br />

„Probleme der bisherigen Rechtsprechung“ eingeräumt. 12 Es darf daher erwartet<br />

werden, dass sich der BGH in Zukunft, so sich ihm denn die Möglichkeit<br />

dazu bietet, von seiner bisherigen Linie verabschieden wird.<br />

6 BGHSt 1, 368 (371); 22, 375 (377); 50, 1 (5).<br />

7 Geppert, in: Jura 2008, 34 (37); Ihring/Noack, in: Jura 2007, 787 (790 f.);<br />

Kühl/Hinderer, in: JuS 2010, 697 (702); Kraatz, in: Jura 2006, 613 (618 f.);<br />

Lackner/Kühl, 27. Aufl. 2011, vor § 211, Rn. 22; Norouzi, in: JuS 2005, 914<br />

(917); Weißer, in: JuS 2009, 135 (137); Zöller, in: Jura 2007, 305 (312 f.).<br />

8 Kühl/Hinderer, in: JuS 2010, 697 (702); Norouzi, in: JuS 2005, 914 (917);<br />

Weißer, in: JuS 2009, 135 (137); Zöller, in: Jura 2007, 305 (313).<br />

9 Zöller, in: Jura 2007, 305 (312 f.).<br />

10 Ihring/Noak, in: Jura 2007, 787 (791); Neumann, in: Nomos Kommentar,<br />

Strafgesetzbuch, 3. Auflage 2010, Bd. 2, § 211, Rn. 119.<br />

11 Geppert, in: Jura 2008, 34 (38); einen ähnlichen Wertungswiderspruch<br />

hat der BGH bei einer versuchten Anstiftung zum Mord erkannt, vgl. BGH<br />

NStZ 2006, 34.<br />

12 BGH NJW 2006, 1008 (1013).<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Ausbildung<br />

Fall 3: Wie Fall 2, nur hat B keine Kenntnisse über die Beweggründe des A.<br />

In Fall 3 leistet B ebenfalls Hilfe zu einem Mord aus niedrigen Beweggründen.<br />

Doch verwirklicht B nicht nur kein Mordmerkmal selbst; es fehlt darüber<br />

hinaus auch der Gehilfenvorsatz hinsichtlich eines Mordes als Haupttat,<br />

da B nicht um die niedrigen Beweggründe des A wusste. <strong>Die</strong> Literatur<br />

kann diesen Fall ohne Schwierigkeiten lösen: Da bei B das strafschärfende<br />

Mordmerkmal des niedrigen Beweggr<strong>und</strong>es nicht vorliegt, findet durch<br />

Anwendung des § 28 Abs. 2 StGB eine Tatbestandsverschiebung statt. B hat<br />

sich danach wegen Beihilfe zum Totschlag nach §§ 212, 27, 28 Abs. 2 StGB<br />

strafbar gemacht.<br />

Das von der Rechtsprechung bisher vertretene Verständnis des Verhältnisses<br />

von Mord <strong>und</strong> Totschlag zöge hier hingegen erhebliche Probleme nach<br />

sich: Da B nur Gehilfenvorsatz hinsichtlich eines Totschlags hatte, scheidet<br />

eine Strafbarkeit nach §§ 211, 27 StGB aus. Somit kann auch § 28 Abs. 1<br />

StGB nicht zur Anwendung gelangen. Versteht man nun die Auffassung der<br />

Rechtsprechung so, dass Mord <strong>und</strong> Totschlag sich gegenseitig ausschließen,<br />

würde auch eine Beihilfe zum Totschlag, mangels entsprechender Haupttat<br />

des A, ausscheiden. Letztlich käme nur eine versuchte Beihilfe zum Totschlag<br />

in Betracht. 13 <strong>Die</strong>se ist jedoch, wie sich aus § 30 Abs. 1 StGB ergibt,<br />

nicht strafbar. Es bliebe wohl nur eine Strafbarkeit des B nach §§ 224, 27<br />

StGB. 14 <strong>Die</strong>ses Ergebnis ist kaum nachvollziehbar <strong>und</strong> stützt die Ansicht,<br />

dass die Einordnung des Mordes als selbstständigen Tatbestand zu unbefriedigenden<br />

<strong>und</strong> wenig überzeugenden Ergebnissen führt.<br />

II. ZWEITE KONSTELLATION: NUR DER TEILNEHMER VERWIRK-<br />

LICHT EIN MORDMERKMAL<br />

Fall 4: B stiftet den A dazu an, den kranken O umzubringen. A tötet den O<br />

daraufhin aus tiefem Mitleid. B hingegen hat es allein auf die Erbschaft des<br />

O abgesehen.<br />

In dieser Konstellation verwirklicht der Haupttäter A kein Mordmerkmal.<br />

A hat sich daher „nur“ wegen Totschlags nach § 212 StGB strafbar gemacht.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich ist der B daher als Anstifter zum Totschlag nach §§ 212, 26<br />

StGB anzusehen. Doch verwirklichte B in seiner Person das täterbezogene<br />

Mordmerkmal der Habgier, da er durch ein ungezügeltes, rücksichtsloses<br />

Streben nach Gewinn zur Tat motiviert war. 15 Somit könnte § 28 StGB anwendbar<br />

sein. <strong>Die</strong> Rechtsprechung, die Mordmerkmale als strafbegründend<br />

ansieht, müsste eine Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB jedoch ablehnen: So<br />

fehlen besondere persönliche Merkmale beim Anstifter B gerade nicht. Im<br />

Gegenteil: Nur bei ihm, nicht aber bei Haupttäter A, liegt das Mordmerkmal<br />

der Habgier vor. Der eindeutige Wortlaut steht der Anwendung des<br />

§ 28 Abs. 1 StGB in diesem Fall daher entgegen. Es bliebe somit bei einer<br />

Anstiftung zum Totschlag. Das Mordmerkmal wäre allein im Rahmen der<br />

Strafzumessung nach § 46 StGB zu berücksichtigen. 16<br />

13 Geppert, in: Jura 2008, 34 (39); Horn, in: Systematischer Kommentar<br />

zum Strafgesetzbuch, 124. Lieferung, September 2010, § 211, Rn. 23; Küper,<br />

in: JZ 1991, 910 (912).<br />

14 Vgl. Horn, in: Systematischer Kommentar zum StGB, 124. Lieferung,<br />

September 2010, § 211, Rn. 23.<br />

15 Zum Mordmerkmal der Habgier vgl. Kühl, in: JA 2009, 566 (570).<br />

16 BGHSt 50, 1 (6).<br />

13


Ausbildung<br />

<strong>Die</strong> herrschende Literatur würde hingegen § 28 Abs. 2 StGB anwenden. Da<br />

Habgier nur bei B vorliegt, käme man durch § 28 Abs. 2 StGB zu einer Tat-<br />

bestandsverschiebung: B wäre nicht mehr „nur“ strafbar wegen Anstiftung<br />

zum Totschlag, sondern wegen Anstiftung zum Mord aus Habgier nach §§<br />

211 Abs. 1, Abs. 2, 1. Gr. Alt. 3, 26, 28 Abs. 2 StGB. Auch in diesem Fall ge-<br />

lingt es mit dem Verständnis der Literatur, ein befriedigendes Ergebnis zu<br />

erzielen. <strong>Die</strong>s spricht daher ebenfalls da<strong>für</strong>, in § 211 StGB eine Qualifikati-<br />

on des Totschlags, also in den täterbezogenen Mordmerkmalen strafschär-<br />

fende besondere persönliche Merkmale i.S.d. § 28 Abs. 2 StGB zu sehen. 17<br />

III. DRITTE KONSTELLATION: GEKREUZTE MORDMERKMALE<br />

Fall 5: A tötet den O, um an dessen Erbe zu gelangen. B hilft ihm hierbei,<br />

um zu vertuschen, dass er den O vor seinem Tod um eine stattliche Summe<br />

betrogen hat.<br />

In Fall 5 verwirklichen nun sowohl Täter A als auch Gehilfe B täterbezoge-<br />

ne Mordmerkmale. A handelte aus rücksichtslosem Gewinnstreben, also<br />

aus Habgier i.S.d. § 211 Abs. 1, Abs. 2, 1. Gr. Alt. 3 StGB. Als Haupttat ist<br />

daher ein Habgiermord gegeben. Das Handeln des B war hingegen moti-<br />

viert durch das Bestreben, seinen vorangegangenen Betrug zu verdecken<br />

i.S.d. § 211 Abs. 1, Abs. 2, 3. Gr. Alt. 2 StGB. Es liegt also ein Fall „gekreuzter<br />

17 Ebenso Neumann, in: Nomos Kommentar, Strafgesetzbuch, 3. Auflage<br />

2010, Bd. 2, § 211, Rn. 120.<br />

Mordmerkmale“ vor. 18 Da der B jedoch selbst nicht aus Habgier handel-<br />

te, müsste die Rechtsprechung konsequenterweise unter Anwendung des §<br />

28 Abs. 1 StGB die Strafe des B nach § 49 Abs. 1 StGB mildern. Hingegen<br />

könnte nicht berücksichtigt werden, dass der B seinerseits ein täterbezoge-<br />

nes Mordmerkmal verwirklicht hat, welches wiederum beim A fehlt. 19 Dass<br />

dieses Ergebnis wahrlich unbefriedigend ist, wird auch von der Rechtspre-<br />

chung nicht verkannt. Deswegen verweigert die Rechtsprechung dem Teil-<br />

nehmer eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB, wenn bei ihm ebenfalls<br />

ein gleichartiges täterbezogenes Mordmerkmal vorliegt. 20 Da hier die von<br />

A verwirklichte Habgier <strong>und</strong> die von B an den Tag gelegte Verdeckungsab-<br />

sicht wohl als gleichwertig anzusehen sind, 21 bliebe es bei einer Strafbarkeit<br />

des B wegen Beihilfe zum Mord aus Habgier nach §§ 211 Abs. 1, Abs. 2, 1.<br />

Gr. Alt. 3, 27 StGB.<br />

Sieht man hingegen mit der Literatur in Mordmerkmalen strafschärfende<br />

Merkmale <strong>und</strong> wendet den Absatz 2 des § 28 StGB an, muss ein derartiger<br />

„Zickzack“-Kurs gar nicht erst eingeschlagen werden. <strong>Die</strong> Fallgestaltung<br />

ließe sich problemlos durch eine doppelte Anwendung des § 28 Abs. 2 StGB<br />

lösen: Durch eine erste (<strong>für</strong> den Teilnehmer vorteilhafte 22 ) Anwendung des<br />

§ 28 Abs. 2 StGB wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nur Haupttäter<br />

A, nicht aber Gehilfe B aus Habgier handelte. Es kommt daher zu einer<br />

Tatbestandsverschiebung. B ist danach strafbar wegen Beihilfe zum Totschlag<br />

nach §§ 212, 27 StGB. Dem Umstand, dass allein der B, nicht aber<br />

Haupttäter A, mit Verdeckungsabsicht handelte, wird durch eine zweite<br />

(<strong>für</strong> den Teilnehmer nachteilige) Anwendung des § 28 Abs. 2 StGB genügt.<br />

Es kommt daher zu einer erneuten Tatbestandsverschiebung, sodass B nun<br />

strafbar wegen Beihilfe zum Mord aus Verdeckungsabsicht nach §§ 211 Abs. 1,<br />

Abs. 2, 3. Gr. Alt. 2, 27, 28 Abs. 2 StGB ist.<br />

Auch anhand des Falls 5 wird die Überlegenheit des Verständnisses deutlich,<br />

den Mord als Qualifikation des Totschlags einzustufen. <strong>Die</strong> Rechtsprechung<br />

sieht sich selbst gezwungen, sich über den eindeutigen Wortlaut des<br />

§ 28 Abs. 1 StGB hinwegzusetzen. Das dadurch erzielte Ergebnis mag zwar<br />

zufriedenstellen; dogmatisch sauber ist diese „Notlösung“ aber nicht. <strong>Die</strong>s<br />

gilt umso mehr, als derlei Ungereimtheiten bei einer Anwendung des § 28<br />

Abs. 2 StGB gänzlich ausbleiben.<br />

C. FAZIT<br />

<strong>Die</strong> Probleme, welche sich um die Teilnahme an Mord <strong>und</strong> Totschlag ranken,<br />

sind zwar durchaus vielschichtig. Doch lassen sie sich sowohl in der<br />

Fallbearbeitung als auch in der Praxis lösen, wenn man sich vor Augen<br />

führt, dass letztlich drei Gr<strong>und</strong>konstellationen zu unterscheiden sind. Erkennt<br />

man nun auch noch, dass die maßgebliche Weichenstellung bei der<br />

Frage nach dem Verhältnis von Mord <strong>und</strong> Totschlag erfolgt, steht einer zufriedenstellenden<br />

Bearbeitung dieser Problematik nichts entgegen.<br />

18 Begrifflich so Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2008, § 20, Rn 164.<br />

19 Vgl. dazu die Ausführungen zu Fall 4.<br />

20 BGHSt 50, 1 (9).<br />

21 Vgl. BGHSt 23, 39 f., wonach zwischen Verdeckungsabsicht <strong>und</strong> einem anderen<br />

niedrigen Beweggr<strong>und</strong> eine solche Gleichartigkeit anzunehmen ist.<br />

22 Vgl. Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2008, § 20, Rn. 164.


Zur Anwendbarkeit von § 33 BauGB bei Aufhebung eines Bebauungsplans<br />

von Rechtsreferendar Sven-Sebastian Ohms (Bielefeld)<br />

A. EINLEITUNG<br />

Zur Genehmigung von an sich den planungsrechtlichen Anforderungen<br />

der §§ 34 <strong>und</strong> 35 BauGB nicht entsprechenden Bauvorhaben bei Übereinstimmung<br />

mit den Festsetzungen eines noch nicht in Form eines Satzungsbeschlusses<br />

öffentlich bekannt gemachten Bebauungsplanes hält das BauGB mit<br />

§ 33 eine Regelung bereit, aufgr<strong>und</strong> derer die zukünftige Rechtslage des Bebauungsplans<br />

<strong>für</strong> den Einzelfall bereits vorverlagert werden kann. Fraglich ist,<br />

ob eine entsprechende Vorverlagerung der zukünftigen Rechtslage über § 33<br />

BauGB auch bei zukünftigem ersatzlosem Wegfall eines Bebauungsplans mit<br />

der Folge der (Wieder-)Geltung der §§ 34 oder 35 BauGB möglich ist. In der<br />

Literatur findet sich dazu bis dato kein einheitliches Bild.<br />

Bevor in diesem Beitrag der Frage der Anwendbarkeit des § 33 BauGB oder<br />

wenigstens seines Recht sgedankens <strong>für</strong> den Fall des absehbaren ersatzlosen<br />

Wegfalls eines Bebauungsplans in einem Teil B erörtert werden soll, soll zu-<br />

vörderst die gr<strong>und</strong>legende Systematik der Vorschrift in einem Teil A heraus-<br />

gearbeitet werden.<br />

B. DIE SySTEMATIK DES § 33 BAUGB<br />

I. ALLGEMEINES<br />

<strong>Die</strong> Vorschrift des § 33 BauGB ermöglicht zugunsten des Bauherren einen<br />

Vorgriff auf die zukünftige Rechtslage eines in Aufstellung befindlichen Be-<br />

bauungsplans bereits vor dessen öffentlicher Bekanntmachung als Satzung<br />

<strong>und</strong> Rechtskrafterlangung in Form eines Satzungsbeschlusses der jeweili-<br />

gen Gemeinde bzw. des jeweiligen Gemeinderates. 1 In Betracht kommt die<br />

Anwendung des § 33 BauGB dabei immer in den Fällen, in denen ein Vor-<br />

haben den Anforderungen an die Regelungen <strong>für</strong> den unbeplanten oder<br />

jedenfalls nicht qualifiziert beplanten Bereich, den §§ 30, 34 <strong>und</strong> 35 BauGB,<br />

nicht entspricht, wobei diese Regelungen stets vorrangig zu prüfen sind. 2<br />

§ 33 BauGB enthält insoweit einen die zunächst negative Beurteilung nach<br />

den §§ 30, 34 <strong>und</strong> 35 BauGB aufhebenden zusätzlichen positiven Zulas-<br />

sungstatbestand, der gleichwertig – wenn auch subsidiär – neben die Zulas-<br />

sungstatbestände der §§ 30, 34 <strong>und</strong> 35 BauGB tritt 3 , ohne dabei jedoch ei-<br />

nen zusätzlichen planungsrechtlichen Bereich zu schaffen. Vielmehr gehö-<br />

ren die Gebiete, auf die sich § 33 BauGB bezieht, jeweils zu einem der pla-<br />

nungsrechtlichen Gebiete der §§ 30, 34 oder 35 BauGB. 4 <strong>Die</strong> Regelung des<br />

§ 33 BauGB stärkt dabei die Planungshoheit der Gemeinden, als nach ihren<br />

Wünschen <strong>und</strong> Planungen <strong>für</strong> die Zukunft „plankonforme“ Vorhaben trotz<br />

bisweilen zeitintensiver Durchführung des Planaufstellungsverfahrens als<br />

notwendiger Durchgangsstation zum bekannt gemachten, rechtswirksa-<br />

1 Instruktiv zur Baugenehmigung nach § 33 BauGB: Bartholomäi, <strong>Die</strong><br />

vorzeitige Zulässigkeit nach § 33 BauGB, BauR 2001, S. 725 ff.<br />

2 Vgl. statt vieler Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch,<br />

11. Auflage 2009, § 33 Rn. 2.<br />

3 Stollmann, Öffentliches Baurecht, 7. Auflage 2010, § 15 Rn. 2.<br />

4 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 1.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Ausbildung<br />

Sven-Sebastian Ohms, Jahrgang 1983, hat in Bielefeld Jura mit<br />

dem Schwerpunkt Umwelt-, Technik- <strong>und</strong> Planungsrecht <strong>stud</strong>iert.<br />

Im Zuge seines Referendariats am Landgericht Bielefeld<br />

darf er sich zurzeit im Bauamt der Stadt Bielefeld insbesondere<br />

mit bauplanungsrechtlichen Fragen auseinandersetzen, woraus<br />

auch dieser Beitrag resultiert. Der Beitrag stellt die Auffassung<br />

des Verfassers dar <strong>und</strong> spiegelt nicht unbedingt die Rechtsauffassung<br />

des Bauamtes der Stadt Bielefeld wieder.<br />

men Bebauungsplan in der gewünschten Form zulässig sind <strong>und</strong> bereits<br />

entstehen können. 5 Ferner wird durch die Regelung der Umfang der an der<br />

Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG festgemachten, durch Gesetz<br />

regelbaren Baufreiheit um einen weiteren gesetzlichen Genehmigungstat-<br />

bestand erweitert. 6 Aufgr<strong>und</strong> des subsidiären Anwendungsraumes kommt<br />

§ 33 BauGB stets nur positive, die Zulässigkeit eines an sich unzulässigen<br />

Vorhabens doch noch be gründende Funktion zu, niemals jedoch negative,<br />

die Zulässigkeit eines bereits nach allgemeinen Regeln zulässigen Vorha-<br />

bens doch noch verhindernde Funktion. Ist ein Vorhaben einmal nach all-<br />

gemeinen Regeln zulässig, bedarf es keines Rückgriffs auf § 33 BauGB mehr,<br />

sodass eine vorhabenausschließende Funktion ausgeschlossen ist. 7 Indes<br />

bedarf es einer derartigen verhindernden Funktion auch gar nicht, als mit<br />

der Veränderungssperre nach §§ 14, 16 BauGB <strong>und</strong> der Möglichkeit der Zu-<br />

rückstellung eines Bauvorhabens vor Beschluss einer Veränderungssperre<br />

nach § 15 BauGB hinreichende Sicherungsmöglichkeiten gegeben sind. 8<br />

II. ANWENDUNGSVORAUSSETZUNGEN<br />

1. § 33 ABS. 1 BAUGB<br />

Den Regelfall der Anwendung des §§ 33 BauGB stellt dessen Abs. 1 dar, bei<br />

dessen Vorliegen der Bürger einen Rechtsanspruch auf Erteilung der be-<br />

gehrten Baugenehmigung hat. 9 <strong>Die</strong> Voraussetzungen des Abs. 1 sind dabei,<br />

dass<br />

• ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist<br />

(Abs. 1 Halbs. 1),<br />

• die Öffentlichkeits- <strong>und</strong> Behördenbeteiligung nach § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2<br />

<strong>und</strong> § 4a Abs. 2 bis 5 BauGB durchgeführt worden ist (sog. formelle Plan-<br />

reife, Abs. 1 Nr. 1),<br />

• anzunehmen ist, dass das Vorhaben den künftigen Festsetzungen des Be-<br />

bauungsplans nicht entgegensteht (sog. materielle Planreife, Abs. 1 Nr. 2)<br />

– wobei die Möglichkeit von Ausnahmen <strong>und</strong> Befreiungen nach § 31<br />

5 Vgl. Stollmann, Öffentliches Baurecht, § 15 Rn. 3.<br />

6 Vgl. Stollmann, Öffentliches Baurecht, § 2 Rn. 3, 9.<br />

7 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 2.<br />

8 Vgl. Hellermann in: <strong>Die</strong>tlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in<br />

Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl age 2009, § 4 Rn. 212.<br />

9 Statt aller Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 33<br />

Rn. 5, unter Berufung auf BVerwGE 20, 127, 131.<br />

15


16<br />

Ausbildung<br />

Abs. 1 <strong>und</strong> 2 BauGB wie bei einem bereits rechtsgültigen Bebauungsplan<br />

besteht 10 –,<br />

• der Antragsteller diese Festsetzungen <strong>für</strong> sich <strong>und</strong> seine Rechtsnachfol-<br />

ger schriftlich anerkennt (Abs. 1 Nr. 3) – wobei diesem Anerkenntnis<br />

dingliche Wirkung zukommt 11 – <strong>und</strong><br />

• die Erschließung gesichert ist (Abs. 1 Nr. 4).<br />

2. § 33 ABS. 2 BAUGB<br />

Nach § 33 Abs. 2 BauGB kann ein Vorhaben im Bereich eines zukünftigen<br />

Bebauungsplans, der nach erfolgter Bürger- <strong>und</strong> Behördenbeteiligung nach<br />

den §§ 3 <strong>und</strong> 4 BauGB nochmals geändert oder ergänzt wird, zugelassen<br />

werden, wenn sich die vorgenommenen Änderung oder Ergänzung des Be-<br />

bauungsplanentwurfs nicht auf das Vorhaben auswirken <strong>und</strong> die soeben<br />

aufgezeigten Voraussetzungen des Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 erfüllt sind. Insoweit<br />

besteht allerdings kein Rechtsanspruch des Bürgers auf die von ihm begehrte<br />

Genehmigung, sondern lediglich auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. 12<br />

3. § 33 ABS. 3 BAUGB<br />

Nach § 33 Abs. 3 BauGB besteht schließlich <strong>für</strong> das vereinfachte Baugeneh-<br />

migungsverfahren nach § 13 BauGB sowie <strong>für</strong> Bebauungspläne der Innen-<br />

entwicklung nach § 13a BauGB die Möglichkeit, ein Vorhaben bereits vor<br />

Durchführung der an sich erforderlichen Bürger- <strong>und</strong> Behördenbeteili-<br />

gung zu genehmigen, sofern den Bürgern <strong>und</strong> Behörden bezogen auf dieses<br />

einzelne Vorhaben Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemesse-<br />

ner Frist gegeben wird, soweit sie dazu nicht bereits zuvor Gelegenheit hat-<br />

ten. Dabei handelt es sich wiederum wie bereits bei Abs. 2 um eine Ermes-<br />

sensvorschrift. 13<br />

C. ZUR ANWENDBARKEIT DES § 33 BAUGB BEI ERSATZLOSEM<br />

WEGFALL EINES BEBAUUNGSPLANS<br />

Schwieriger als die aus dem Gesetz ablesbare Frage nach den Anwendungs-<br />

voraussetzungen des § 33 BauGB während der Aufstellung eines zukünfti-<br />

gen Bebauungsplans zu beantworten ist die Frage nach der Anwendung des<br />

§ 33 BauGB – oder seines Rechtsgedankens im Wege einer Analogie – im<br />

Falle des geplanten ersatzlosen Wegfalls eines Bebauungsplans, wenn durch<br />

einen dem Aufstellungsbeschluss vergleichbaren Aufhebungsbeschluss das<br />

Aufhebungsverfahren be reits in die Wege geleitet ist. Während die Anwen-<br />

dung bei einem in Aufstellung befindlichen Bebauungsplan völlig unum-<br />

stritten ist, schweigt sich die Großzahl der einschlägigen Fachliteratur, die<br />

diesen Umstand noch bejaht, zur Frage der Anwendbarkeit bei geplantem,<br />

ersatzlosem Wegfall eines Bauleitplans aus. 14<br />

10 Stollmann, Öffentliches Baurecht, § 15 Rn. 10.<br />

11 Vgl. Stock in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch,<br />

§ 33 Rn. 38.<br />

12 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 13.<br />

13 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, a.a.O.<br />

14 Nur mit einem allgemeinen Hinweis zur Änderung <strong>und</strong> Ergänzung eines<br />

Bauleitplans ohne ein Eingehen auf die Aufhebung bei einem geplanten,<br />

ersatzlosen Wegfall eines Bauleitplans lässt es etwa Krautzberger in: Battis/<br />

Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 3, bewenden.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

I. GESETZLICHE ANORDNUNG IN § 1 ABS. 8 BAUGB?<br />

Gelegentlich wird <strong>für</strong> die Anwendbarkeit des § 33 BauGB die Regelung des<br />

§ 1 Abs. 8 BauGB über die Anwendbarkeit der Vorschriften zur Aufstellung<br />

der Bauleitpläne auch zu deren Änderung, Ergänzung <strong>und</strong> insbesondere<br />

Aufhebung ins Feld geführt. 15<br />

1. ExKURS: DIE VERWEISUNGSNORM DES § 1 ABS. 8 BAUGB<br />

Gemäß § 1 Abs. 8 BauGB gelten die formellen (§ 2 ff. BauGB) <strong>und</strong> materiel-<br />

len (§ 1 BauGB) Vorschriften über die Aufstellung von Bauleitplänen auch<br />

<strong>für</strong> die Änderung, Ergänzung <strong>und</strong> Aufh ebung von Bauleitplänen, worunter<br />

nach § 1 Abs. 2 BauGB Flächennutzungspläne <strong>und</strong> die hier in Rede stehen-<br />

den Bebauungspläne zu verstehen sind. <strong>Die</strong> Änderung eines Bauleitplans<br />

ist die inhaltliche Veränderung von Darstellungen oder Festsetzungen ei-<br />

nes vorhandenen Bauleitplans. 16 <strong>Die</strong> Ergänzung eines Bauleitplanes ist das<br />

Hinzutreten von Darstellungen oder Festsetzungen in einem vorhandenen<br />

Bauleitplan. 17 <strong>Die</strong> Aufhebung eines Bauleitplans bedeutet seine vollständi-<br />

ge Aufhebung, unabhängig davon, ob der Bauleitplan durch einen neuen<br />

Bauleitplan ersetzt wird. 18 Einer separaten Aufhebung eines Bauleitplans<br />

bedarf es dabei nur in den Fällen, in denen ein Bauleitplan ersatzlos aufge-<br />

hoben werden soll 19 oder in denen einem Bauleitplan auch bei Unwirksam-<br />

keit seines Nachfolgeplans keine rechtliche Wirkung mehr zukommen<br />

soll 20 . Andernfalls verliert der frühere Plan seine Wirksamkeit mit Wirk-<br />

samwerden des späteren Planes nach dem allgemeinen, gewohnheitsrecht-<br />

lich anerkannten Gr<strong>und</strong>satz „<strong>Die</strong> jüngere Rechtsnorm geht der älteren vor“,<br />

ohne das es insoweit noch eines gesonderten Willensentschlusses oder<br />

-beschlusses der Gemeinde bedarf. 21<br />

2. ZUSAMMENSPIEL VON § 1 ABS. 8 BAUGB MIT § 33 BAUGB?<br />

Der argumentative Ansatz, die Vorschrift des § 33 BauGB über die Verwei-<br />

sungsnorm des § 1 Abs. 8 BauGB auch in Fällen des geplanten ersatzlosen<br />

Wegfalls eines Bebauungsplans anzuwenden, vermag indes nicht zu über-<br />

zeugen, als er übersieht, dass die Regelung des § 33 BauGB zwar im thema-<br />

tischen Zusammenhang mit der Aufstellung eines Bebauungsplans steht, es<br />

sich dabei jedoch gerade nicht um eine Vorschrift zur Aufstellung von Bau-<br />

leitplänen – gemeint sind neben inhaltliche Anforderungen an die Bauleit-<br />

15 Vgl. Roeser in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, 17. Ergänzungslieferung<br />

Oktober 2010, § 33 Rn. 5, der eine Anwendung des § 33 BauGB auch<br />

bei Aufhebung eines Bauleitplanes aufgr<strong>und</strong> der Regelung in § 1 Abs. 8<br />

BauGB gr<strong>und</strong>sätzlich „nahe liegend“ findet, einer direkte Anwendung jedoch<br />

das Fehlen zukünftiger Festsetzungen entgegenstehen sieht.<br />

16 Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch 97. Ergänzungslieferung<br />

September 2010, § 1 Rn. 254.<br />

17 Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, a.a.O.<br />

18 Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, a.a.O.<br />

19 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 1 Rn. 132.<br />

20 Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 1<br />

Rn. 254a.<br />

21 Vgl. Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, a.a.O.


pläne vor allem Verfahrens(!)-Vorschriften 22 – handelt, sondern um einen<br />

bauplanungsrechtlichen Genehmigungstatbestand! Eine die Anwendbar-<br />

keit statuierende Verweisung auf § 33 BauGB enthält § 1 Abs. 8 BauGB folg-<br />

lich gerade nicht.<br />

II. DIREKTE ANWENDBARKEIT DES § 33 BAUGB?<br />

Einer direkten Anwendung des § 33 BauGB auf den Fall des geplanten er-<br />

satzlosen Wegfalls eines Bauleitplans steht der Wortlaut der Vorschrift ent-<br />

gegen, der insoweit lediglich von der Anwendung bei „Planaufstellung“<br />

bzw. der „Aufstellung eines Bebauungsplans“ spricht 23 , ein Umstand, über<br />

den wie aufgezeigt auch die gesetzliche Anordnung in § 1 Abs. 8 BauGB<br />

nicht hinwegzuhelfen vermag. In methodischer Hinsicht spricht gegen eine<br />

direkte Anwendung des § 33 BauGB weiter der Umstand, dass es bei geplan-<br />

tem, ersatzlosem Wegfall eines Bebauungsplans in zukünftiger Ermange-<br />

lung eines ebensolchen an zukünftigen Festsetzungen fehlt, denen das Bau-<br />

vorhaben entsprechen könnte – wo kein Bauleitplan, da auch keine Festset-<br />

zungen. 24<br />

III. ANALOGE ANWENDBARKEIT DES § 33 BAUGB?<br />

In Ermangelung einer gesetzlichen Verweisungsnorm <strong>und</strong> des Vorliegens<br />

der Tatbestandsvoraussetzungen des § 33 BauGB verbleibt bei methodi-<br />

scher Betrachtung nur noch die Möglichkeit der Anwendung des Rechtsge-<br />

dankens des § 33 BauGB im Wege einer Analogie. Fraglich ist indes, ob es<br />

<strong>für</strong> eine analoge Anwendung der Vorschrift überhaupt ein Bedürfnis gibt<br />

oder ob den zu erwarten stehenden Änderungen der Zulässigkeitsvoraus-<br />

setzungen eines Bauvorhabens in einem konkreten Gebiet nach absehba-<br />

rem ersatzlosem Wegfall eines Bebauungsplans nicht mit anderen Instru-<br />

menten des BauGB hinreichend begegnet werden kann. Stock <strong>und</strong> Charlier<br />

sprechen sich <strong>für</strong> eine Anwendung des Befreiungstatbestandes des § 31<br />

Abs. 2 BauGB, sog. Baudispens, aus. 25 <strong>Die</strong>ser auf den ersten Blick bestechen-<br />

de Ansatz übersieht jedoch, dass der Befreiungsmöglichkeit nach § 31<br />

Abs. 2 BauGB enge, gesetzliche Grenzen gezogen sind. Neben den Alterna-<br />

tiven Allgemeinwohlerfordernis nach Nr. 1 oder städtebauliche Vertretbar-<br />

keit nach Nr. 2 oder Vorliegen eines unbeabsichtigten Härtefalls nach Nr. 3<br />

(selten!) dürfen insoweit <strong>für</strong> alle drei Nummern gemein durch die Befrei-<br />

ung insbesondere die Gr<strong>und</strong>züge der Planung nicht berührt werden, was<br />

22 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 1 Rn. 132<br />

spricht insoweit von den „formellen <strong>und</strong> materiellen Vorschriften über die<br />

Aufstellung von Bauleitplänen“ – <strong>und</strong> mithin inhaltlichen <strong>und</strong> Verfahrensvorschriften;<br />

auch Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, § 1 Rn. 254,<br />

nennt „insbesondere die Vorschriften des I. Kapitels, 1. <strong>und</strong> 2. Teil (§§ 1 ff.,<br />

§§ 14 ff.)“ – <strong>und</strong> stellt somit ebenfalls auf inhaltliche <strong>und</strong> Verfahrensvorschriften<br />

ab.<br />

23 Tophoven in: Spannowsky/Uechtritz, Baugesetzbuch, 1. Auflage 2009, § 33<br />

Rn. 5 = BeckOnline-Kommentar BauGB, § 33 Rn. 5; Charlier in: Rixner/<br />

Biedermann/Steger (Hrsg.), Systematischer Praxiskommentar BauGB/BauNVO,<br />

1. Auflage 2010, § 33 Rn. 12.<br />

24 Tophoven in: Spannowsky/Uechtritz, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 5 = BeckOnline-Kommentar<br />

BauGB, § 33 Rn. 5; Roeser in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch,<br />

§ 33 Rn. 5; Stock in: Ernst/Zink hahn/Bielenberg/Krautzberger,<br />

Baugesetzbuch, § 33 Rn. 28; Charlier in: Rixner/Biedermann/Steger (Hrsg.),<br />

Systematischer Praxiskommentar BauGB/BauNVO, § 33 Rn. 12.<br />

25 Stock in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 33<br />

Rn. 28; Charlier in: Rixner/Biedermann/Steger (Hrsg.), Systematischer Praxiskommentar<br />

BauGB/BauNVO, § 33 Rn. 12.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Ausbildung<br />

gerade bei Vorliegen eines qualifizierten Bebauungsplanes i.S.d. § 30 Abs. 1<br />

BauGB mit seinen dezidierten <strong>und</strong> umfassenden Festlegungen über Art<br />

<strong>und</strong> das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Gr<strong>und</strong>stücksflä-<br />

chen <strong>und</strong> die örtlichen Verkehrsflächen häufig der Fall sein wird. Hat mit<br />

anderen Worten der Plangeber eine Festsetzung im Angesicht des Falles so<br />

<strong>und</strong> nicht anders gewollt, ist <strong>für</strong> eine Befreiung kein Raum. 26<br />

In einer Vielzahl von Fällen ließe sich somit eine befriedigende Lösung nur<br />

über eine analoge Anwendung des § 33 BauGB <strong>für</strong> den Fall des absehbaren<br />

ersatzlosen Wegfalls eines Bebauungsplans herbeiführen, sofern nämlich<br />

die Analogievoraussetzungen vorliegen. Methodisch setzt dies eine plan-<br />

widrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage voraus.<br />

1. PLANWIDRIGE REGELUNGSLüCKE<br />

Für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke spricht der Umstand,<br />

dass der Gesetzgeber mit Schaffung des § 33 BauGB seiner Wertung klar<br />

Ausdruck verschafft hat, einem Vorhaben, dass nach geltendem Recht noch<br />

unzulässig ist, aber in absehbarer Zeit zulässig werden wird <strong>und</strong> sich diese<br />

Zulässigkeit nur aus verfahrenstechnischen Gründen zeitlich noch verzö-<br />

gert, bereits vorab zur Zulässigkeit zu verhelfen. An einer entsprechenden,<br />

diese Wert ung transportierenden Regelung <strong>für</strong> den Bereich des absehbaren<br />

ersatzlosen Wegfalls eines Bebauungsplans fehlt es im BauGB indes, sodass<br />

eine planwidrige Regelungslücke vorliegt.<br />

2. VERGLEICHBARE INTERESSENLAGE<br />

Sowohl im Falle des Zulässigwerdens eines Bauvorhabens nach der zukünftigen<br />

Rechtslage eines Bebauungsplans als auch des Zulässigwerdens nach<br />

dem zukünftigen Wegfall eines zur Zeit noch bestehenden Bebauungsplanes<br />

handelt es sich um eine Vorverlagerung der in abseh bar Zeit kommen-<br />

den Rechtslage zugunsten des Bauherrn, sodass auch eine vergleichbare<br />

Interessenlage hier vorliegt.<br />

3. ERGEBNIS UND PRAKTISCHE ANWENDUNG<br />

Aufgr<strong>und</strong> des Vorliegens der Analogievoraussetzungen kann <strong>für</strong> den Fall<br />

des absehbaren er satz losen Wegfalls eines Bebauungsplans über eine ana-<br />

loge Anwendung des § 33 BauGB die absehbare zukünftige Rechtslage in<br />

sich in die Systematik des Baugesetzbuchs nahtlos ein passender Weise in<br />

ihrer Gültigkeit <strong>für</strong> den Bauherrn vorverlagert werden. 27<br />

Hinsichtlich der praktischen Anwendung ist zu beachten, dass anstelle der<br />

zukünftigen Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 33 Abs. 1 Nr. 2<br />

BauGB die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen – das Einfügen in<br />

die nähere Umgebung nach § 34 BauGB bzw. das Vorliegen einer Privilegie-<br />

rung nach § 35 BauGB – gelten. Bezüglich der schriftlichen Anerkennung<br />

26 Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 31 Rn. 57.<br />

27 So <strong>für</strong> den Rückfall in den unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB im<br />

Ergebnis auch Roeser in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, § 33 Rn. 5;<br />

Tophoven in: Spannowsky/Uechtritz, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 5 = BeckOnline-Kommentar<br />

BauGB, § 33 Rn. 5; – wobei die Einschränkung auf ein<br />

Baugebiet nach § 34 BauGB in keinem der Fälle näher begründet wird <strong>und</strong><br />

wohl unter dogmatischen wie systematischen Gesichtspunkten auch nicht<br />

begründbar ist.<br />

17


Ausbildung<br />

der zukünftigen Rechtslage nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 BauGB ergeben sich keine<br />

Besonderheiten; der Antragsteller erkennt einfach die zukünftige Geltung<br />

der §§ 34 oder 35 BauGB, mit denen <strong>für</strong> ihn unter Umständen auch einzel-<br />

ne, <strong>für</strong> ihn günstige Festsetzungen des in Aufhebung befindlichen Bebau-<br />

ungsplans entfallen, an.<br />

D. ZUSAMMENFASSUNG<br />

In der Zusammenschau aus der mit Schaffung des § 33 BauGB zu Tage getre-<br />

tenen gesetzgeberischen Wertung pro Bebaubarkeit <strong>und</strong> dem von Art. 14<br />

Abs. 1 GG umfassten Gr<strong>und</strong>recht der Baufreiheit ergibt sich die dogmati-<br />

sche Notwendigkeit einer analogen Anwendung des § 33 BauGB in Fällen, in<br />

denen ein Bebauungsplan absehbar ersatzlos aufgehoben werden wird. Ne-<br />

ben dem dogmatischen Ansatz vermag dieses Ergebnis auch rein praktisch<br />

zu überzeugen, als ein Abwarten der verfahrensbedingten Verzögerungen<br />

des Aufhebungsverfahrens dem Bauherrn in vielen Fällen aufgr<strong>und</strong> der<br />

Rahmenbedingungen des Baus nicht zumutbar sein wird <strong>und</strong> es nicht Auf-<br />

gabe der Baubehörden oder überhaupt der Behörden ist, dem Bürger bei sei-<br />

nem Vorhaben – seien es nun Vorhaben im baurechtlichen Sinne, seien es<br />

andere Vorhaben – unnötig Steine in den Weg zu legen. Gerade im Bereich<br />

des Bauens mit der Schaffung von längerfristigen Zuständen wäre ein Fest-<br />

halten des Bürgers an einer in absehbarer Zeit mangels Notwendigkeit nicht<br />

mehr bestehenden Bauplanungsvorschrift inhaltlich nicht zu be gründen<br />

<strong>und</strong> stellte sich somit als unverhältnismäßiger Gr<strong>und</strong>rechtseingriff dar.<br />

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LUC.edu/prolaw


Geben Sie es zu: Beim Lesen der Frage, wer eigentlich genau der Herr Nieß-<br />

brauch ist, haben Sie sich gefragt, ob das ernst gemeint ist. Zu Recht!<br />

Und ja, diese Frage ist ernst gemeint. Sie stammt zwar nicht von mir. Im Rah-<br />

men meines derzeitigen Referendardaseins ist sie mir aber gerade erst kürzlich<br />

von einem Mandanten gestellt worden <strong>und</strong> ich musste mich im ersten Moment<br />

– ehrlich gesagt – zusammenreißen, um nicht vor Lachen loszuprusten.<br />

Im Nachhinein muss man sich aber wirklich fragen, ob eine solche Fragestel-<br />

lung wirklich zum Lachen veranlassen sollte oder eher dazu geeignet ist, ein an<br />

sich abgegriffenes Thema mal wieder zu Tage zu fördern <strong>und</strong> aus einem etwas<br />

anderen Blickwinkel zu betrachten. Muss es sein, dass wir tagtäglich mit wilden<br />

Fachbegriffen um uns werfen <strong>und</strong> uns alle verstehen, nur die nicht, die es ei-<br />

gentlich etwas angeht?<br />

Hier krankt schon die ganze <strong>Juristen</strong>ausbildung. Man nehme einen frischgeba-<br />

ckenen Diplom-<strong>Juristen</strong> <strong>und</strong> konfrontiere ihn mit einem juristisch unbewan-<br />

derten Menschen, der eine vergleichbar einfache Frage zu einem juristischen<br />

Problem hat. Beim frischgebackenen Diplom-<strong>Juristen</strong> flackert dann sofort der<br />

Begriff „Drittschadensliquidation“ auf. Soll er nun aber seinem Gegenüber in<br />

einfachen Worten erklären, was damit gemeint ist <strong>und</strong> dass ein Dritter nicht ge-<br />

tötet werden soll, stellt sich schnell Hilflosigkeit ein – ist es doch eine vermeint-<br />

lich schier unlösbare Aufgabe.<br />

Aber warum tun wir uns damit so schwer? Eigentlich setzen wir uns doch so-<br />

wohl im Studium, als auch in der späteren Praxis nur mit sehr unterschiedlich<br />

gelagerten Lebenssachverhalten auseinander. Wir schöpfen also aus dem Leben<br />

<strong>und</strong> versuchen dort aufgetretene Probleme einer überzeugenden <strong>und</strong> nach<br />

Möglichkeit gerechten Lösung zuzuführen.<br />

Einerseits ist dies sicherlich Ergebnis der derzeitigen <strong>Juristen</strong>ausbildung. Im<br />

Studium werden die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen gesetzt, die praktischen Fähig-<br />

keiten sollen dann im Referendariat vermittelt werden. So soll es zumindest<br />

sein. Tatsächlich ist es häufig wohl eher so, dass im Studium ein Teil der theore-<br />

tischen Kenntnisse vermittelt, im Referendariat aber ein solides Wissen in Ver-<br />

bindung mit ersten praktischen Fähigkeiten erwartet wird.<br />

Vor Jahren haben Universitäten dies erkannt <strong>und</strong> versuchen dies meist mit so<br />

genannten Schlüsselqualifikationskursen oder anderen Konzepten zu kompen-<br />

sieren – häufig zum Glück unter Heranziehung von Praktikern, die dann auch<br />

den erforderlichen Praxis-Erfahrungsschatz mitbringen <strong>und</strong> auszugsweise wei-<br />

tergeben können. An einigen Universitäten funktioniert das offenbar sehr gut,<br />

bei anderen wirken diese Kurse eher als Schminke, um hinter anderen Fakul-<br />

täten nicht zurückzustehen oder Vorwürfe der <strong>für</strong> das Referendariat meist zu-<br />

ständigen OLG-Präsidenten einer mangelnden Praxisbezogenheit des Jura-Stu-<br />

diums vorzubeugen.<br />

Wirklich überzeugend ist die praktische Ausrichtung des Studiums mit Schlüs-<br />

selqualifikationskursen <strong>und</strong> Praktika meines Erachtens aber bis heute nicht.<br />

Das wahre Leben scheint an einigen Fakultäten vor der Hörsaaltür zu enden.<br />

Schade!<br />

Andererseits ist das allein nicht der Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong>, dass es <strong>junge</strong>n <strong>Juristen</strong> so<br />

schwer fällt zu erklären, wer eigentlich nun der ominöse Herr Nießbrauch ist.<br />

„wer ist eigentlich Herr Nießbrauch?“<br />

von <strong>Iurratio</strong>-Chefredakteur Alexander Otto (Oldenburg)<br />

Hinterfragen muss man vielleicht auch einmal, ob es wirklich sein muss, dass<br />

wir eine über Jahrh<strong>und</strong>erte hinweg mehr <strong>und</strong> mehr ausufernde <strong>und</strong> immer<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Ausbildung<br />

weniger verständlichere Fachsprache erlernen, aber nicht die Fähigkeit besitzen,<br />

sie so zu übersetzen, dass uns der juristische Laie versteht.<br />

Natürlich ist es wichtig, eine solche Fachsprache zu erlernen. Und natürlich ist<br />

es wichtig, diese über Jahrh<strong>und</strong>erte gewachsene Rechtssprache zu bewahren.<br />

Solche Werte sind in der Tat erhaltenswert. Auch kann man nicht von der Hand<br />

weisen, dass das Beherrschen einer soliden Fachsprache zum Austausch unter<br />

Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen hilfreich ist <strong>und</strong> in so mancher Auseinandersetzung<br />

dazu beiträgt, dass diese niveauvoll <strong>und</strong> sachlich bleibt.<br />

Aber nein, ich muss nicht stolz darauf sein, wenn ich in der Anfängervorlesung<br />

mit Fachbegriffen um mich werfe, von denen ich nur im Ansatz weiß, was sich<br />

dahinter verbirgt. Das gilt auch <strong>für</strong> Klausuren <strong>und</strong> Hausarbeiten. Klar, ver-<br />

ständlich <strong>und</strong> angemessen sollen Ausdruck <strong>und</strong> Sprache in solchen Prüfungs-<br />

leistungen sein. Sie werden aber nicht dadurch besser, dass sie zu einem großen<br />

Teil aus Fachbegriffen bestehen.<br />

Aber hier geht es ja nun wirklich nur um Prüfungsarbeiten, die ihrerseits von<br />

<strong>Juristen</strong> gelesen werden, die das juristische Kauderwelsch verstehen. Aber solch<br />

eine Sprache schleift sich schnell ein <strong>und</strong> setzt sich in einem eindimensionalen<br />

Wortschatz fest. Und schnell merkt man dann auch im Alltag, wie sich das aus-<br />

wirkt. Denn wer kennt nicht die Party, auf der man als angehender Jurist ent-<br />

larvt <strong>und</strong> sofort <strong>für</strong> ein privates, juristisches Problem des Gegenübers verein-<br />

nahmt wird? Meist handelt es sich um vergleichbar einfache Fallgestaltungen,<br />

auf die man sofort eine Antwort weiß <strong>und</strong> diese in gewohntem <strong>Juristen</strong>deutsch<br />

abhandelt. Das Gegenüber wird dann sicherlich denken, dass man schon einen<br />

sehr bewanderten Eindruck macht. Nur versteht es uns auch, wenn wir mit<br />

culpa in contrahendo <strong>und</strong> einem Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter,<br />

der in einem Wohl-<strong>und</strong>-Wehe-Verhältnis zum eigentlichen Gläubiger steht,<br />

auf ein liegengebliebenes Salatblatt im Einkaufsmarkt reagieren? Nein! Das Gegenüber<br />

wird sich im Zweifel aber nicht outen <strong>und</strong> noch weiter nachfragen,<br />

sondern es bei dem Akzeptieren dieser Antwort belassen. Ziel erreicht, weil ich<br />

in Ruhe die Party weiterfeiern kann <strong>und</strong> nicht mehr mit Juristischem genervt<br />

werde? Wer damit zufrieden ist, sollte so weitermachen wie bisher.<br />

Wer aber Menschen helfen <strong>und</strong> sich ihnen sachgerecht widmen will, sollte<br />

schon früh damit beginnen, nicht nur Fachbegriffe auswendig zu lernen, sondern<br />

versuchen, diese in einfache, <strong>für</strong> Jedermann verständliche Worte zu übersetzen.<br />

Das hilft nicht nur Herrn Nießbrauch, sondern auch einem selbst. Denn,<br />

wer mit einfachen Worten erklären kann, wer Herr Nießbrauch ist, der wird im<br />

Examen keine Probleme mehr mit ihm haben, weil er genau weiß, wer oder was<br />

sich dahinter verbirgt!<br />

Diskutieren Sie mit anderen <strong>und</strong> uns über dieses Thema! Besuchen Sie uns<br />

dazu einfach unter www.facebook.de/<strong>iur</strong>ratio!<br />

19


20<br />

Ausbildung<br />

das Relationsgutachten im Rahmen der zivilrechtlichen Klausur<br />

im juristischen Vorbereitungsdienst<br />

von RiLG Dr. Holger Schröder (Bremen)<br />

A. EINLEITUNG<br />

Dr. Holger Schröder <strong>stud</strong>ierte Jura an der Universität Bremen<br />

<strong>und</strong> absolvierte 2004 sein 1. <strong>und</strong> 2006 sein 2. Staatsexamen.<br />

In der Zeit von 2006-2007 promovierte er an der Universität<br />

Bremen <strong>und</strong> absolvierte 2004 <strong>und</strong> 2006 seine Examina“. Seit<br />

2007 ist er Richter in Bremen, seit 2010 am Landgericht <strong>und</strong><br />

zusätzlich als Prüfer beim Senator <strong>für</strong> Justiz <strong>und</strong> Verfassung<br />

<strong>für</strong> das 1. Staatsexamen <strong>und</strong> in der Referendarausbildung<br />

beim Hanseatischen Oberlandesgericht Bremen tätig.<br />

<strong>Die</strong> Relationstechnik stellt in der (zivil-)gerichtlichen Praxis ein Instrument<br />

dar, mit dem der Richter im Zuge eines integrierten fallumgreifenden<br />

Subsumtionsprozesses den Prozessstoff fallrelevant ordnet, auswertet <strong>und</strong><br />

bewertet <strong>und</strong> damit schließlich zu einer Entscheidung gelangt, die im Ergebnis<br />

häufig mit einem Urteil oder Beschluss verkündet wird. 1 Für Rechtsreferendare<br />

ist von daher die in einem Relationsgutachten umgesetzte Relationstechnik<br />

unabdingbarer Ausbildungsgegenstand. 2 Dabei wird der<br />

Klausursachverhalt regelmäßig aus einem zivilgerichtlichen Aktenstück<br />

bestehen, das z.B. eine Klageschrift, eine Klageerwiderung, ggf. Replik <strong>und</strong><br />

Duplik sowie ein Hauptverhandlungsprotokoll enthalten kann. Hieraus<br />

sind dann die notwendigen Informationen <strong>für</strong> das Relationsgutachten zu<br />

entnehmen.<br />

<strong>Die</strong> Parteien tragen in einem zivilgerichtlichen Gerichtsverfahren eine Vielzahl<br />

von Tatsachen vor, die insgesamt unstreitig, streitig, aber auch - wie<br />

regelmäßig - teilweise unstreitig <strong>und</strong> streitig sein können. <strong>Die</strong>se gilt es nach<br />

eben diesen Kriterien einzuordnen, um einen strukturierten Überblick da<strong>für</strong><br />

zu erhalten, ob die seitens des Klägers vorgetragenen Tatsachen überhaupt<br />

sein Begehren in rechtlicher Hinsicht tragen. Und im bejahenden Fall,<br />

ob auch die seitens des Beklagten vorgetragenen Tatsachen <strong>für</strong> die Verteidigung<br />

gegen den klägerischen Anspruch in rechtlicher Hinsicht von Bedeutung,<br />

d.h. geeignet sind, den Anspruch des Klägers zu vernichten. Auch ist<br />

der sortierte Tatsachenvortrag wichtig <strong>für</strong> die Frage, welche - nur streitigen<br />

- Tatsachen Anlass zur Beweiserhebung geben. Schließlich endet das Relationsgutachten<br />

in der Regel mit dem, womit das Urteil nach dem Rubrum<br />

anfängt, nämlich mit dem Hauptsachetenor <strong>und</strong> den Nebenentscheidungen.<br />

B. RELATIONSGUTACHTEN<br />

Das Relationsgutachten 3 unterteilt sich äußerlich ordnend in den Sachbe-<br />

1 Aber auch das Erfordernis eines rechtlichen Hinweises z.B. kann das Ergebnis<br />

eines Relationsgutachtens sein.<br />

2 Ob eine Relationsklausur als Pflichtklausur <strong>für</strong> das 2. Staatsexamen gestellt<br />

wird, ist in den B<strong>und</strong>esländern unterschiedlich geregelt. In Bremen wird eine<br />

solche nicht gestellt, aber durchaus noch als zu bewertende Übungsklausur<br />

eingesetzt.<br />

3 <strong>Die</strong> nachfolgende Darstellung kann nur einen groben Umriss zur Thematik<br />

bieten, die als Einstiegshilfe zum besseren Verständnis des Sinns <strong>und</strong> Zwecks<br />

einer Relation gedacht ist.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

richt, ggf. die Auslegungs- <strong>und</strong> Zulässigkeitsstation, die Kläger- <strong>und</strong> Beklagtenstation,<br />

Beweisstation, sowie die Tenorierungsstation mit der<br />

abschließenden Hauptsacheentscheidung <strong>und</strong> den Nebenentscheidungen.<br />

I. DER SACHBERICHT<br />

Dem Relationsgutachten ist ein Sachbericht4 voranzustellen, der aus unstreitigen<br />

<strong>und</strong> streitigen Tatsachen, den Parteianträgen <strong>und</strong> ggf. einer<br />

Prozessgeschichte besteht. Der Sachbericht stellt den entscheidungsreifen<br />

<strong>und</strong> nach bestimmten - im nachfolgenden dargestellten - Kriterien sortierten<br />

Rechtsstreit dar.<br />

1. UNSTREITIGE TATSACHEN<br />

Der Sachbericht beginnt zunächst mit den unstreitigen Tatsachen 5 , die<br />

sprachlich zwingend im Imperfekt 6 darzustellen sind. Unstreitig sind solche<br />

Tatsachen, die von den Parteien7 übereinstimmend vorgetragen worden<br />

sind, oder aber von einer Seite vorgetragene Tatsachen, die von der anderen<br />

Seite nicht bestritten werden. Trägt der Kläger z.B. vor, dass der Beklagte<br />

ihn geschlagen <strong>und</strong> dabei die Nase gebrochen habe, <strong>und</strong> erwidert der Beklagte<br />

darauf, dass er den Kläger zwar auf die Brust geschlagen habe, aber<br />

eben nicht auf die Nase, so dass jedenfalls er diese nicht gebrochen haben<br />

könne, wäre der Sachbericht bezüglich dieser Informationen einfach wie<br />

folgt zu fassen: Der Beklagte schlug den Kläger. Denn den Schlag selbst bestreitet<br />

nicht mal der Beklagte. Nur das Ziel des Schlages <strong>und</strong> die daraus<br />

resultierende Verletzungsfolge wären streitig.<br />

2. STREITIGE TATSACHEN<br />

Nachdem akribisch alle unstreitigen Tatsachen in der Imperfektform zusammengetragen<br />

wurden, schließen sich die streitigen Tatsachen an, <strong>und</strong><br />

zwar eben solche, die von der jeweils anderen Partei bestritten werden.<br />

a) Streitiges Klägervorbringen<br />

Dabei ist zwingend mit dem streitigen klägerischen Tatsachenvortrag anzufangen,<br />

der im Konjunktiv darzustellen ist. Im vorgenannten Fall müsste<br />

es heißen: Der Kläger behauptet, dass der Beklagte ihm auf die Nase geschla-<br />

4 Der Sachbericht ähnelt dem Tatbestand im Urteil. Unterscheidend ist nur,<br />

dass der (Urteils)Tatbestand nur diejenigen Tatsachen zum Inhalt hat, die wesentlich<br />

<strong>für</strong> die Entscheidung sind, während in den Sachbericht auch solche<br />

gehören, die darüber hinausgehen. Der Sachbericht wird jedoch in einer<br />

Klausursituation regelmäßig erlassen.<br />

5 Bei einem längeren Sachverhalt bietet sich ein Einleitungssatz an, wie etwa:<br />

<strong>Die</strong> Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall.<br />

6 Einfache Vergangenheitsform.<br />

7 Dazu gehören regelmäßig der Kläger <strong>und</strong> der Beklagte.


gen <strong>und</strong> ihm diese dadurch gebrochen habe. 8 Wichtig ist, dass nur Tatsachen<br />

streitig sein können. Rechtsansichten stellen gerade keine Tatsachen dar,<br />

<strong>und</strong> gehören somit im Gr<strong>und</strong>satz nicht in den Sachbericht. 9 Meint der<br />

Kläger, der Darlehensvertrag sei wegen der vereinbarten Zinsen i.H.v. 20%<br />

sittenwidrig, so kann allenfalls nur die vereinbarte Höhe (20%) als Tatsache<br />

streitig werden, nicht aber die Sittenwidrigkeit, die als Rechtsfrage vom Gericht<br />

zu beantworten ist. 10<br />

b) Parteianträge<br />

Nach dem streitigen Klägervorbringen werden zunächst die Parteianträge<br />

angebracht. Dabei werden diese aus der Klageschrift 11 <strong>und</strong> der Klageerwiderung12<br />

unverändert übernommen, <strong>und</strong> zwar auch dann, wenn die Anträge<br />

unverständlich, missverständlich oder gar unvollständig sind. Solche<br />

Mängel werden dann ggf. in der Auslegungsstation beseitigt. 13 <strong>Die</strong> Anträge<br />

werden jeweils mit: Der Kläger/Der Beklagte beantragt, eingeleitet <strong>und</strong> in der<br />

nächsten Zeile dann - eingerückt - weiter der konkrete Antrag übernommen. 14<br />

c) Streitiges Beklagtenvorbringen<br />

Nach den übernommenen Parteianträgen folgt das streitige Beklagtenvorbringen.<br />

Hier gilt nichts anderes als das unter 2. a) Gesagte, auch hinsichtlich<br />

des in sprachlicher Form zu verwendenden Konjunktivs. Dabei ist aber<br />

hervorzuheben, dass nur solches streitige Beklagtenvorbringen darzustellen<br />

ist, mit dem auf das klägerische Vorbringen eingegangen wurde. 15 Wenn<br />

also der Kläger z.B. behauptet, dass der Beklagte ihn geschlagen habe, <strong>und</strong><br />

der Beklagte stellt schon den Schlag selbst in Abrede, bräuchte nach der<br />

Darstellung des dann streitigen Klägervorbringens (Der Kläger behauptet,<br />

dass der Beklagte ihn geschlagen habe) bei dem streitigen Beklagtenvorbringen<br />

nichts mehr dazu gesagt werden. Denn aus dem streitigen Klägervorbringen<br />

wird diese streitige Tatsache deutlich. Es würde eine reine - <strong>und</strong><br />

damit überflüssige - Wiederholung darstellen, würde es dann noch im Rahmen<br />

des streitigen Beklagtenvorbringens heißen: Der Beklagte behauptet,<br />

dass er den Kläger nicht geschlagen habe.<br />

Da hier aber der Beklagte den Schlag nicht negiert, sondern näher auf ihn<br />

eingegangen ist16 , wäre an dieser Stelle im streitigen Beklagtenvorbringen<br />

8 Wesentlich ist zu erkennen, dass der Beklagte nicht den Bruch der Nase als<br />

solchen bestreitet, sondern nur seinen Verursachungsbeitrag dazu, mithin die<br />

haftungsbegründende Kausalität, also ob zwischen dem Verhalten des Schädigers<br />

(Schlag) <strong>und</strong> der eingetretenden Rechtsgutverletzung (gebrochene<br />

Nase) ein Ursachenzusammenhang gegeben ist; vgl. Grüneberg, in: Palandt,<br />

70. Auflage, Vorb. v. § 249, Rn. 24 . In der Praxis würde wohl auch der Bruch<br />

selbst bestritten werden, so dass dieser durch ein ärztliches Attest oder durch<br />

eine Inaugenscheinnahme zu beweisen wäre.<br />

9 Anders ist dies, wenn nur durch die Darstellung der Rechtsansicht der<br />

Zusammenhang verständlich wird, oder aber, wenn wesentlich um solche<br />

gestritten wird.<br />

10 Damit ist den Parteien natürlich nicht verwehrt, ihre Rechtsmeinungen<br />

dazu k<strong>und</strong>zutun, die auch Einfluss auf die richterliche Entscheidungsfindung<br />

haben können. Nur gehören diese Ansichten eben nicht in den Sachbericht<br />

aufgenommen.<br />

11 Das sind in der Regel der Hauptsacheantrag (z.B. Zahlung) <strong>und</strong> ggf. die Nebenanträge<br />

(z.B. Zinsen).<br />

12 Das wird in der Regel der Klagabweisungsantrag sein.<br />

13 Siehe dazu unten, II. 1..<br />

14 Dabei können lediglich die häufig angebrachten, aber überflüssigen Anträge<br />

auf Kostenauferlegung <strong>und</strong> Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit<br />

weggelassen werden, weil über diese ohnehin von Amts wegen zu entscheiden<br />

ist, siehe § 308 Abs. 2, §§ 708 ff. ZPO.<br />

15 Sog. qualifiziertes Bestreiten.<br />

16 Womit er qualifiziert bestritten hat.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Ausbildung<br />

anzuführen: Der Beklagte behauptet, den Kläger nicht auf die Nase, sondern<br />

auf die Brust geschlagen zu haben. In diesem Fall würde es nicht ausreichen,<br />

wenn der Beklagte den Schlag zwar ohne nähere Konkretisierung zugibt,<br />

den dadurch seitens des Klägers behaupteten Nasenbruch aber einfach bestreitet.<br />

Denn <strong>für</strong> jeden objektiven Leser würde sich dann die Frage ergeben,<br />

wieso der Beklagte dem Kläger die Nase denn nicht gebrochen haben<br />

soll, wenn er ihn doch geschlagen habe: Weil er ihn eben nicht auf die Nase,<br />

sondern auf die Brust geschlagen haben will. <strong>Die</strong>se Information muss der<br />

Beklagte deshalb hier liefern.<br />

Wichtig in diesem Zusammenhang ist die - nur gedankliche - Feststellung<br />

der Beweislastverteilung17 , um ermitteln zu können, ob die jeweilige<br />

Behauptung in das streitige Kläger- oder in das streitige Beklagtenvorbringen<br />

anzuführen ist. In unserem zuerst genannten Fall ist der Kläger beweisbelastet<br />

<strong>für</strong> die anspruchsbegründenden Tatsachen im Rahmen des § 823<br />

Abs. 1 BGB, also u.a. <strong>für</strong> die hier dargestellte Handlung, Rechtsgutverletzung<br />

<strong>und</strong> haftungsbegründende Kausalität. Von daher gehört diese<br />

Behauptung in das klägerische streitige Vorbringen.<br />

3. PROZESSGESCHICHTE<br />

<strong>Die</strong> Prozessgeschichte, die sprachlich in der Perfektform zu fassen ist, enthält<br />

nur solche Fakten, die im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren<br />

stehen, sie haben dagegen nichts mit den materiell rechtlichen Fragen<br />

zu tun. Solche prozessgeschichtlich relevanten Informationen sind<br />

z.B. Zustellungsdaten von Klageschrift oder Repliken <strong>und</strong> Dubliken, wenn<br />

z.B. Verspätung gerügt wird, oder aber wenn sich Besonderheiten ergeben,<br />

wie z.B. (teilweise) Erledigungen. 18 Stellen sich solche Probleme nicht,<br />

braucht eine Prozessgeschichte nicht mit aufgenommen zu werden. 19 Nur<br />

wenn eine Beweisaufnahme stattgef<strong>und</strong>en hat, ist im Rahmen der Prozessgeschichte<br />

diese darzustellen. Es könnte wie folgt formuliert werden:<br />

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen X, Y <strong>und</strong><br />

Z. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll<br />

vom 01.02.2011 Bezug genommen.<br />

II. DAS GUTACHTEN<br />

Nach dem Sachbericht folgt nun das Gutachten, das mit den sog. Darlegungsstationen<br />

beginnt. Dort werden die jeweiligen tatsächlichen Darlegungen<br />

der Parteien - wie aus dem ersten Staatsexamen bekannt - einer<br />

rechtsgutachterlichen Prüfung unterzogen. Eingeleitet wird das Gutachten<br />

mit einem Entscheidungsvorschlag wie z.B.: Ich schlage vor, der Klage statt-<br />

17 Wobei die allgemeine Gr<strong>und</strong>regel gilt, dass jede Partei die Behauptungs-<br />

<strong>und</strong> Beweislast da<strong>für</strong> trägt, dass der Tatbestand der ihr günstigen Rechtsnorm<br />

erfüllt ist, wenn denn nicht besondere Beweislastregeln durch Gesetz oder<br />

Rechtsprechung greifen, vgl. Reichold, in: Thomas/Putzo, 29. Auflage, Vorb.<br />

§ 284, Rn. 23.<br />

18 <strong>Die</strong>se Darstellung ist bei weitem nicht abschließend. <strong>Die</strong> Kenntnisse dazu<br />

können nur im Rahmen der weiteren Ausbildung erworben <strong>und</strong> vertieft<br />

werden.<br />

19 Der Sachbericht ist hier nicht vollständig dargestellt, sondern wird z.B.<br />

durch Widerklage oder besondere Klagearten entsprechend modifiziert oder<br />

ergänzt. Insoweit wird auf Fn. 18 verwiesen.<br />

21


22<br />

Ausbildung<br />

zugeben oder: Ich schlage vor, die Klage abzuweisen. 20<br />

1. AUSLEGUNGSSTATION<br />

Eine Auslegungsstation ist nur dann aufzunehmen, wenn die Anträge von<br />

auch nur einer Partei nicht hinreichend bestimmt gestellt sind. Sind sie also<br />

auslegungsbedürftig <strong>und</strong> auch auslegungsfähig21 kann hier der tatsächlich<br />

gewollte Antrag dargelegt werden. Stellt z.B. der Kläger den Antrag, den<br />

Beklagten zu verurteilen, ihm die geliehenen 200,- € zurück zu bringen,<br />

müsste der Antrag auf Zahlung von 200,- € ausgelegt werden.<br />

2. ZULäSSIGKEITSSTATION ODER AUCH PROZESSSTATION<br />

In der Zulässigkeitsstation werden nur solche Zulässigkeitsfragen geklärt, die<br />

klärungsbedürftig sind oder von einer Partei gerügt werden, wie z.B. die örtliche<br />

oder sachliche Zuständigkeit des Gerichts. Stellen sich hinsichtlich der<br />

Zulässigkeit der Anträge keine Probleme, fällt diese Station ersatzlos weg.<br />

3. KLäGERSTATION<br />

In der Klägerstation werden die Behauptungen des Klägers als wahr unterstellt<br />

<strong>und</strong> unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt geprüft. Wichtig in diesem<br />

Zusammenhang ist, dass man an dieser Stelle nicht von der Begründetheit<br />

oder Unbegründetheit der Klage spricht, sondern lediglich von der<br />

Schlüssigkeit oder Unschlüssigkeit des Klägervorbringens. Denn auch<br />

wenn seine Behauptungen sich unter einer rechtlichen Norm subsumieren<br />

lassen, bedeutet dies nicht, dass der Kläger auch seinen Anspruch durchgesetzt<br />

bekommt. 22 In unserem ersten Beispiel steht dem Kläger nach seinem<br />

Vortrag ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs.1 BGB <strong>und</strong> auch ein solcher<br />

aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 223 Abs. 1 StGB zu, so dass sein Vorbringen<br />

schlüssig ist. 23 Auch wenn der Beklagte den Schlag auf die Nase bestreitet,<br />

ist das an dieser Stelle bedeutungslos, weil eben der Vortrag des Klägers<br />

als wahr zu unterstellen ist. Der Sinn liegt darin, dass es auf den Beklagtenvortrag<br />

nicht mehr ankommt, wenn schon der eigene Vortrag des Klägers<br />

seinen Anspruch nicht tragen würde. Legt z.B. der Kläger dar, dass er dem<br />

Beklagten eine DVD geschenkt habe, <strong>und</strong> klagt er nunmehr auf Herausgabe<br />

derselben, wäre sein Vorbringen unschlüssig, weil weder ein vertraglicher<br />

noch ein dinglicher Herausgabeanspruch ersichtlich ist. 24<br />

20 Es kann sich anbieten in der Klausur eine Zeile offen zu lassen, wenn sich<br />

einem das Ergebnis erst später erschließt. Man sollte aber nicht vergessen, zum<br />

Schluss den Entscheidungsvorschlag nachzutragen. Wichtig ist, dass man an<br />

dieser Stelle noch von „Stattgeben der Klage“ reden darf, weil es sich eben nur<br />

um einen Vorschlag handelt <strong>und</strong> noch nicht um den Tenor selbst. Ein häufig<br />

gemachter Fehler sollte indes dringend vermieden werden, nämlich später im<br />

Tenor von „der Klage wird stattgegeben“ zu sprechen. Siehe dazu Fn. 40.<br />

21 Andernfalls wäre ein richterlicher Hinweis zu erteilen, so dass ggf. nachgebessert<br />

werden könnte, § 139 ZPO.<br />

22 Denn der Beklagte könnte sich z.B. auf die Einrede der Verjährung berufen,<br />

auf den Untergang der Forderung etc.<br />

23 Im Gutachten ist hier, wie aus der universitären Ausbildung bekannt, der<br />

§ 823 Abs. 1 BGB <strong>und</strong> § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 223 StGB durchzuprüfen.<br />

24 Anders natürlich dann, wenn z.B. eine Herausgabeverpflichtung wegen Widerrufs<br />

bei groben Undanks bestünde, §§ 530 Abs. 1, 531 Abs. 2, 812 BGB.<br />

<strong>Die</strong> da<strong>für</strong> erforderlichen Tatsachen müssten dann aber vorgetragen werden.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

4. BEKLAGTENSTATION<br />

In der Beklagtenstation verhält es sich wie in der Klägerstation, d.h., das<br />

Beklagtenvorbringen ist als wahr zu unterstellen <strong>und</strong> unter jedem rechtlichen<br />

Gesichtpunkt einer gutachterlichen Prüfung zu unterziehen. Auch an<br />

dieser Stelle spricht man nicht von Be- oder Unbegründetheit, sondern,<br />

weil der Beklagte sich verteidigt, von Erheblich- oder Unerheblichkeit des<br />

Beklagtenvorbringens. In unserem Fall wäre das Beklagtenvorbringen erheblich,<br />

weil nach dem Vortrag des Beklagten es mangels Schlages auf die<br />

Nase an der erforderlichen haftungsbegründenden Kausalität fehlt <strong>und</strong><br />

demnach § 823 BGB nicht greift <strong>und</strong> auch andere Verletzungsfolgen nicht<br />

vorgetragen sind, die zu der Annahme der Kausalität führen könnten.<br />

5. BEWEISSTATION<br />

Für den Fall, dass schon das Klägervorbringen unschlüssig ist, wäre das<br />

Gutachten beendet, weil es dann auf das Beklagtenvorbringen nicht mehr<br />

ankommt. 25 Ist dagegen zwar das Klägervorbringen schlüssig, das Beklagtenvorbringen<br />

aber unerheblich, wäre das Gutachten ebenfalls - dann nach<br />

der Beklagtenstation - beendet, weil der Kläger zwar mit seinem Anspruch<br />

durchdringt, der Beklagte aber keine erheblichen Tatsachen vorträgt, die<br />

eine Beweisaufnahme erforderlich machen würden. 26 Nur wenn - wie hier -<br />

sowohl das Klägervorbringen schlüssig, als auch das Beklagtenvorbringen<br />

erheblich ist, schließt sich die Beweisstation an, weil nunmehr im Wege einer<br />

Beweisaufnahme zu ermitteln ist, welcher Vortrag in tatsächlicher Hinsicht<br />

richtig ist. In einer Klausursituation wird häufig ein Hauptverhandlungsprotokoll<br />

Aktenbestandteil sein, das eine, oder auch mehrere Zeugenaussagen<br />

enthalten kann. <strong>Die</strong>se Aussagen gilt es dann zu würdigen. Im<br />

Gutachten würde im unserem Fall wie folgt eingeleitet werden: Ist bewiesen,<br />

dass der Beklagte den Kläger auf die Nase geschlagen hat? Auch an dieser<br />

Stelle wird wieder gedanklich die Beweislastverteilung gefasst. 27 Denn nur<br />

weil der Kläger <strong>für</strong> die Tatsache der haftungsbegründenden Kausalität beweisbelastet<br />

ist, ist die Frage so zu formulieren. Ginge es z.B. um einen unstreitig<br />

geschlossenen Kaufvertrag, aus dem der Kläger den Kaufpreis fordert,<br />

der Beklagte aber einwendet, diesen schon bezahlt zu haben, so müsste<br />

es heißen: Ist bewiesen, dass der Beklagte den Kaufpreis in Höhe von X €<br />

bezahlt hat? Denn <strong>für</strong> die Erfüllung ist der Schuldner, mithin der Beklagte<br />

nach § 362 Abs. 1 BGB beweisbelastet. 28 Sodann ist weiter anzuführen: <strong>Die</strong>s<br />

könnte bewiesen sein durch die Aussage/Bek<strong>und</strong>ungen/Angaben der Zeugin<br />

Y. 29 <strong>Die</strong> von der Gegenseite benannten <strong>und</strong> vernommenen Zeugen sind<br />

dann im Anschluss zu würdigen: Der Schlag auf die Nase ist auch nicht<br />

durch die Aussage des Zeugen Z widerlegt. Denn dieser hat den Schlag nach<br />

eigener Bek<strong>und</strong>ung nicht einmal gesehen. Das Ergebnis dieser Station könn-<br />

25 <strong>Die</strong> Klage wäre abzuweisen, es folgt unmittelbar die Tenorierungsstation<br />

<strong>und</strong> dann der Tenor, siehe II. 6.<br />

26 Der Klage wäre stattzugeben, es geht wiederum unmittelbar mit der Tenorierungsstation<br />

weiter, siehe II. 6.<br />

27 <strong>Die</strong> Erklärung, wer die Beweislast trägt ist entbehrlich, weil an der Beweisfrage<br />

zu sehen ist, ob die Beweislastverteilung richtig verstanden <strong>und</strong> vorgenommen<br />

worden ist.<br />

28 Konsequent müsste es dann im streitigen Beklagtenvorbringen heißen: Der<br />

Beklagte behauptet, den Kaufpreis gezahlt zu haben.<br />

29 Es sind nun die protokollierten Aussagen zu würdigen, was an dieser Stelle<br />

nicht vertieft werden kann. Hierzu empfiehlt sich die Lektüre einschlägiger<br />

Ausbildungsliteratur oder einfach das Lesen von Urteilen!


te dann lauten: Damit ist bewiesen, dass der Beklagte den Kläger auf die<br />

Nase geschlagen hat; die Klage ist damit begründet 30 , oder: Damit ist nicht<br />

bewiesen, dass der Beklage den Kläger auf die Nase geschlagen hat; die Klage<br />

ist damit unbegründet 31 . Sollte der seitens des Beklagten benannte <strong>und</strong> ver-<br />

nommene Zeuge Z glaubhaft 32 <strong>und</strong> glaubwürdig 33 den Schlag nur auf die<br />

Brust bestätigen, könnte es heißen: Damit steht fest, dass der Beklagte den<br />

Kläger nicht auf die Nase geschlagen hat. 34<br />

6. TENORIERUNGSSTATION<br />

<strong>Die</strong> Tenorierungsstation muss in jedem Fall folgen, unabhängig davon, ob<br />

eine Tatsache bewiesen worden ist oder nicht. Denn hier werden nunmehr<br />

die rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> die Entscheidung dargestellt 35 , also im Falle<br />

der Begründetheit der Klage die <strong>für</strong> die Verurteilung, <strong>und</strong> im Falle der Un-<br />

begründetheit der Klage die <strong>für</strong> die Klagabweisung notwendigen Vorschrif-<br />

ten <strong>für</strong> die Kostentragung <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Entscheidung über die vorläufige<br />

Vollstreckbarkeit. 36 Im erstgenannten Fall könnte es z.B. wie folgt heißen:<br />

Der Beklagte trägt nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits. Das<br />

Urteil ist nach § 709 S. 2 ZPO <strong>für</strong> den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung <strong>für</strong><br />

vorläufig vollstreckbar zu erklären. 37 Im zuletzt genannten Fall könnte for-<br />

muliert werden: Dem Kläger sind nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des<br />

Rechtsstreits aufzuerlegen. Das Urteil ist <strong>für</strong> den Beklagten nach § 708<br />

Nr. 11 ZPO (ohne Sicherheitsleistung) <strong>für</strong> vorläufig vollstreckbar zu erklären.<br />

Gemäß § 711 ZPO ist zugunsten des Klägers, hier als Schuldner 38 , eine Ab-<br />

wendungsbefugnis aufzunehmen.<br />

7. TENOR<br />

Zuletzt ist der vollständige Tenor, also die Hauptsacheentscheidung sowie<br />

die Nebenentscheidungen ausformuliert darzustellen. 39<br />

z.B.:<br />

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.300 € zu zahlen. 40<br />

30 An dieser Stelle muss von Begründetheit oder Unbegründetheit der Klage<br />

gesprochen werden, weil nunmehr das Ergebnis feststeht.<br />

31 Z.B. bei einem non liquet.<br />

32 Glaubhaft kann nur die Aussage als solche sein, nicht aber der Zeuge selbst.<br />

Bei diesem kann nur von Glaubwürdigkeit gesprochen werden. Wenn z.B. der<br />

Zeuge angeben würde, dass der Beklagte 2,80 groß sein würde, ist die Aussage<br />

nicht glaubhaft, wobei der Zeuge selbst durchaus glaubwürdig sein könnte,<br />

wenn er das selbst nachvollziehbar glaubt. Lügt der Beklagte offenk<strong>und</strong>ig ist<br />

er selbst unglaubwürdig, seine Angaben sind unglaubhaft.<br />

33 Siehe Fn. 32.<br />

34 Mit dieser Formulierung ist aber keine Beweislastumkehr gemeint. Der<br />

Beklagte hat nur den Gegenbeweis erbracht.<br />

35 In dieser Station ist es durchaus möglich, sich auf den Urteilsstil zu<br />

beschränken.<br />

36 <strong>Die</strong>se stellen Nebenentscheidungen dar, die einer eigenen ausführlichen<br />

Darstellung bedürfen <strong>und</strong> hier nicht weiter vertieft werden können.<br />

37 Das wäre der Fall, wenn der Hauptsachebetrag der Verurteilung 1.250 €<br />

übersteigt, wie sich aus §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO ergibt.<br />

38 Denn der Kläger schuldet dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits.<br />

39 Hier zeigt sich, ob eine Auslegungsstation sinnvoll gewesen wäre. Der<br />

Tenor muss so konkret sein, dass er vollstreckbar ist, was mitunter bei Herausgabe-<br />

oder Unterlassungsklagen Schwierigkeiten bereiten kann.<br />

40 Der Rechtsgr<strong>und</strong> der Zahlung, wie z.B. Schmerzensgeld, ist nicht mit aufzunehmen,<br />

dieser ergibt sich aus den Entscheidungsgründen im anschließenden<br />

Urteil. Wie bereits oben erläutert (Fn. 20), darf es hier auf keinem Fall heißen:<br />

„Der Klage wird stattgegeben“. Ein solches Urteil wäre nicht vollstreckbar.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Academic Year 2011/2012<br />

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2. <strong>Die</strong> Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.<br />

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu<br />

vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. 41<br />

C. FAZIT<br />

Das Relationsgutachten bereitet - z.B. - ein Urteil vor. Nach Abschluss des<br />

Relationsgutachtens sind also alle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> das in der Praxis nun-<br />

mehr anzufertigende Urteil geschaffen. Das erleichtert die Absetzung des<br />

Urteils in erheblichem Maße. Tatsächlich verhält es sich so, dass in der Pra-<br />

xis wohl kaum jemand die Zeit da<strong>für</strong> hat, ein solches Gutachten zu erstellen.<br />

Jedoch muss die Relationstechnik jedenfalls gedanklich - <strong>und</strong> wird meist<br />

unbewusst - bei der Urteilsabsetzung angewandt werden. Sie spielt eine we-<br />

sentliche Rolle nicht nur <strong>für</strong> die Arbeitserleichterung, sondern auch <strong>für</strong> das<br />

geordnete Verständnis <strong>für</strong> den Fall <strong>und</strong> damit <strong>für</strong> die richtige Entschei-<br />

dungsfindung. Der Ausbildungsabschnitt über das Relationsgutachten soll-<br />

te von daher nicht unterschätzt werden.<br />

www.ibl-llm.com<br />

41 Der Kläger braucht keine Erwähnung zu finden, weil sich aus Nr. 2 des<br />

Tenors ergibt, dass nur der Kläger Gläubiger ist, <strong>und</strong> damit nur er vollstrecken<br />

kann. Anders ist dies bei Teilabweisungen.<br />

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23


24<br />

Schwerpunkte<br />

Ombudsinstitutionen im deutschen Strafvollzug: eine notwendige<br />

ergänzung zum gerichtlichen Rechtsschutz?<br />

von Rechtsreferendarin Maren Klöver (Hannover)<br />

A. EINLEITUNG<br />

Maren Klöver, Jahrgang 1985, <strong>stud</strong>ierte von 2005 bis 2010<br />

Rechtswissenschaften an der Universität Bremen, wo sie<br />

das erste Staatsexamen ablegte. Seit dem 1. Dezember ist<br />

sie Rechtsreferendarin am OLG Celle. Bei dieser Arbeit han-<br />

delt es sich um die gekürzte Fassung ihrer Examenshaus-<br />

arbeit aus dem Jahr 2009 im Schwerpunkt „Strafrecht <strong>und</strong><br />

Kriminalpolitik in Europa“.<br />

Immer wird in den Medien über Zwischenfälle in verschiedenen Justizvoll-<br />

zugsanstalten deutschlandweit berichtet. Insbesondere der sogenannte<br />

„Foltermord“ in der JVA Siegburg (Nordrhein-Westfalen) im Jahr 2006<br />

sorgte <strong>für</strong> ein großes mediales <strong>und</strong> öffentliches Interesse. Vor allem die<br />

Haftbedingungen der Justizvollzugsanstalten standen dabei im Fokus der<br />

Berichterstattung. Auch das Komitee zur Verhütung von Folter <strong>und</strong> un-<br />

menschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, kurz CPT, stell-<br />

te erhebliche strukturelle Gefahrenlagen fest 1 .<br />

Als Reaktion darauf ernannte die nordrhein-westfälische Justizministerin<br />

Müller-Piepenkötter im April 2007 den pensionierten Amtsgerichtsdirek-<br />

tor Rolf Söhnchen zum Ombudsmann <strong>für</strong> die Justizvollzugsanstalten in<br />

NRW. Söhnchens Funktion ist derzeit einmalig in der B<strong>und</strong>esrepublik.<br />

Hauptargument der Länder gegen die Einführung eines Ombudsmannes<br />

im Bereich des Strafvollzuges ist, dass es bereits ein zweistufiges Rechts-<br />

schutzsystem geregelt in den §§ 109 ff. des Strafvollzugsgesetzes gebe <strong>und</strong><br />

ein solches zusätzliches Instrument nicht notwendig sei.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der<br />

Frage, ob es tatsächlich nicht notwendig ist, eine solche Institution im deut-<br />

schen Strafvollzug einzuführen.<br />

B. WAS SIND OMBUDSINSTITUTIONEN?<br />

Das Wort Ombudsmann leitet sich aus dem altertümlichen schwedischen<br />

Wort „umbup“ her, was so viel bedeutet wie Macht, Autorität. <strong>Die</strong> schwedi-<br />

sche Bezeichnung „ombudsman“ führt dabei auf eine Person zurück, die<br />

als Sprecher oder Vertreter eines anderen handelt 2 . Wörtlich übersetzt be-<br />

deutet „ombudsman“ Beauftragter 3 .<br />

Im staatsrechtlichen Sinn handelt es sich bei dem Ombudsmann um eine<br />

vom Parlament eingesetzte Vertrauensperson. Aufgabe dieser an sich un-<br />

abhängigen Person ist es, die Rechte der Bürger zu schützen <strong>und</strong> das Parla-<br />

1 Feest in: Deutsches Institut <strong>für</strong> Menschenrechte: Justizvollzugsanstalten:<br />

totale Institutionen, Folter <strong>und</strong> Verbesserung der Prävention, S.66 (im weiteren<br />

Feest 2007).<br />

2 Hansen in ders. <strong>Die</strong> Institution des Ombudsmann S.3 (im weiteren Hansen<br />

1972); Franke in ders. Ein Ombudsmann <strong>für</strong> Deutschland S. 27 (im weiteren<br />

Franke 1999).<br />

3 Siehe Pietzner in evangelisches Staatslexikon S.2312.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

ment zu kontrollieren. Mängel <strong>und</strong> Verletzungen können von ihm jedoch<br />

nur beanstandet <strong>und</strong> nicht korrigiert werden 4 . Demnach wird er überwie-<br />

gend als Hilfsorgan des Parlaments <strong>und</strong> Beschwerdeinstanz <strong>für</strong> den Bürger<br />

angesehen 5 .<br />

C. NOTWENDIGKEIT EINES VOLLZUGSOMBUDSMANNES<br />

In Deutschland stehen den Strafgefangenen die unterschiedlichsten Rechts-<br />

mittel zur Verfügung um ihre Rechte <strong>und</strong> Interessen durchzusetzen, so<br />

dass zu klären bleibt, ob denn überhaupt die Notwendigkeit <strong>für</strong> solch eine<br />

Institution bestehe. <strong>Die</strong>se sollen zunächst kurz erläutert werden, um an-<br />

schließend die Vor- <strong>und</strong> Nachteile der Einführung eines Vollzugsombuds-<br />

mannes erläutern zu können.<br />

I. RECHTSMITTEL IM STRAFVOLLZUG<br />

Neben dem förmlichen Rechtsmittel des gerichtlichen Rechtsschutzes,<br />

geregelt in den §§ 109 ff. StVollzG 6 , besteht das formlose Mittel aus § 108,<br />

dem Beschwerderecht. Daneben gibt es noch die Möglichkeit sich gem.<br />

§§ 162 ff. an die Anstaltsbeiräte zu wenden oder eine Petition einzulegen.<br />

1. GERICHTLICHER RECHTSSCHUTZ §§ 109 FF. STVOLLZG<br />

Zur Durchsetzung seiner Rechte steht dem Inhaftierten darüber hinaus ein<br />

zweistufiges Rechtssystem zur Verfügung 7 . In der ersten Instanz ist die<br />

Strafvollstreckungskammer des jeweiligen Landgerichtsbezirks zuständig<br />

<strong>für</strong> den Rechtsschutz im Bereich des Strafvollzuges. Gegen das Urteil kön-<br />

nen anschließend Rechtsmittel gem. §§ 116 ff. beim zuständigen Oberlan-<br />

desgericht eingelegt werden.<br />

Der Rechtsschutz nach §§ 109 ff. ist der Struktur des Verwaltungsprozesses<br />

nachgebildet. Das bedeutet, dass das Antragsprinzip gilt <strong>und</strong> das Gericht<br />

vom Inhaftierten „angerufen“ werden muss 8 .<br />

In einigen B<strong>und</strong>esländern ist zudem noch ein Widerspruchsverfahren er-<br />

forderlich, so bspw. in NRW, Bremen, Baden-Württemberg, Hamburg <strong>und</strong><br />

Schleswig-Holstein. <strong>Die</strong>ses muss durchgeführt werden, wenn sich die Maß-<br />

nahme nicht schon während der Widerspruchsfrist erledigt hat 9 . D.h. ins-<br />

besondere beim Anfechtungs- <strong>und</strong> Verpflichtungsantrag besteht ein<br />

Widerspruchserfordernis. Das Verfahren beginnt, sobald der Widerspruch<br />

4 Hansen (1972) S. 4; Wild in ders. Der Ombudsmann in Deutschland S.1<br />

(im weiteren Wild 1970).<br />

5 Hansen (1972) S.13; Matthes in ders. Der Bürgerbeauftrage; eine rechtsvergleichende<br />

Studie unter Berücksichtigung des Ombudsmann Modells in<br />

Rheinland Pfalz , S.17 f.(im weiteren Matthes 1981).<br />

6 Paragraphen im Folgenden sind, sofern nicht anders benannt, solche des<br />

StVollzG.<br />

7 Feest 2007, S. 109.<br />

8 Laubenthal in ders. Strafvollzug Rn. 758 f., 785(im weiteren Laubenthal<br />

2007) Kamann/Volckart in AK-StVollzG § 109 Rn. 1f.; Callies/Müller-<strong>Die</strong>tz<br />

StVollzG §109 Rn.1ff.; Kaiser/Schöch Strafvollzug § 9 Rn.18f..<br />

9 Volckart in ders. Verteidigung in der Strafvollstreckung <strong>und</strong> im Vollzug Rn.<br />

515 (im weiteren Volckart 2001).


ei der Widerspruchsbehörde eingelegt wurde, versäumt der Antragsteller<br />

dabei die landesrechtlich geregelte Widerspruchsfrist, wird sein Wider-<br />

spruch als unzulässig zurückgewiesen <strong>und</strong> das Widerspruchsverfahren gilt<br />

als nicht durchgeführt. Somit wäre auch ein Antrag auf gerichtliche Ent-<br />

scheidung unzulässig. Ob die Voraussetzungen des Vorverfahrens einge-<br />

halten wurden, ermittelt das Gericht von Amtswegen 10 .<br />

Dem Inhaftierten stehen dann die Anfechtungs- ( § 109 Abs. 1, S.1), Verpflich-<br />

tungs- oder Vornahmeklage ( § 109 Abs. 1, S.2) bzw. nach § 113 Leistungs-<br />

klage zur Verfügung. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann auch eine Unterlassungsklage<br />

erhoben werden, was sich aus der Systematik des Art. 19 IV GG ergibt 11 .<br />

Voraussetzung da<strong>für</strong> ist, dass sich die Klage gegen eine Maßnahme auf dem<br />

Gebiet des Justizvollzuges bezieht, dies ist der Fall, wenn sie sich aus der<br />

Rechtsbeziehung zwischen Staat <strong>und</strong> Gefangenen auf Gr<strong>und</strong> des Strafvoll-<br />

zugsgesetzes ergibt. Liegt eine solche nicht vor <strong>und</strong> ergibt sich aufgr<strong>und</strong> der<br />

Rechtsgr<strong>und</strong>lage kein anderer Rechtsweg, steht dem Inhaftierten nur der<br />

Rechtsbehelf nach §§ 23 ff. EGGVG zur Verfügung, insbesondere bei Maßnahmen<br />

der Vollstreckungsbehörde12 .<br />

Maßnahme im Sinne des § 109 umfasst jedes Handeln der Vollzugsbehörde,<br />

welches die Lebensverhältnisse der Gefangenen betrifft <strong>und</strong> ist weit zu verstehen.<br />

Sie müssen zudem mittelbare Rechtswirkung besitzen, also subjektive<br />

Rechte des Einzelnen betreffen. Dazu zählen der Vollzugsplan wie auch<br />

einzelne Behandlungsmaßnahmen <strong>und</strong> Maßnahmen, die vom Anstaltsleiter<br />

an den Abteilungsleiter delegiert wurden, sofern sie unmittelbare<br />

Rechtswirkung entfalten13 . Eine Rechtsverletzung muss zumindest möglich<br />

sein14 .<br />

<strong>Die</strong> Antragsfrist beträgt nach § 112 I zwei Wochen ab Zustellung oder<br />

schriftlicher Bekanntgabe der Maßnahme oder ihrer Ablehnung. Mit<br />

mündlicher Bekanntgabe oder mündlichem Erlass beginnt die Frist noch<br />

nicht, es gilt dann die Jahresfrist gem. § 113 III15 .<br />

Der Antrag ist schriftlich einzulegen oder bei der Geschäftsstelle zur Niederschrift<br />

zu geben. Dabei kann sich der Inhaftierte auch der Hilfe eines<br />

Anwalts oder eines Mitgefangenen bedienen, sofern letzterer nicht die<br />

Grenze des § 1 RBerG überschreitet 16 . Sollte das der Fall sein, ist der Antrag<br />

des Antragstellers jedoch nicht schon deswegen unzulässig weil dies eine<br />

Einschränkung des Rechts aus Art. 19 IV GG darstellen würde17 . Ferner<br />

muss auch deutlich werden, gegen welche Maßnahme sich der Antrag richtet.<br />

<strong>Die</strong> Entscheidungen entsprechenden Antrags- oder Klagearten. Das<br />

Gericht wird dabei durch § 115 IV in seiner Ermessensausübung begrenzt,<br />

sofern der Behörde bei der Maßnahme ein Ermessen eingeräumt wurde. Es<br />

kann daher die Maßnahme nur auf Ermessensüberschreitungen <strong>und</strong> –fehlgebrauch<br />

prüfen. Unbestimmte Rechtsbegriffe unterliegen der gerichtlichen<br />

Kontrolle, sofern nicht der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum<br />

zusteht, der ihr mehrere gleichermaßen vertretbare Entscheidungen<br />

10 Laubenthal (2007) Rn. 783 f.<br />

11 Kaiser/Schöch Strafvollzug § 9 Rn. 32.<br />

12 Callies/Müller-<strong>Die</strong>tz StVollzG §109 Rn.7f.; Schwind/Böhm/Jehle StVollzG<br />

§ 109 Rn. 10; Kamann/Volckert in AK-StVollzG § 109 Rn. 11; Laubenthal<br />

(2007) Rn. 765.<br />

13 BVerfG NStZ 2003, 620 (621); BVerfG StV 1994, 93 (95); BVerfG NStZ<br />

1990, 557 (558).<br />

14 Laubenthal (2007) Rn. 779; OLG Celle NStZ 1989, 295 (296); Kaiser/<br />

Schöch Strafvollzug § 9 Rn. 36f.<br />

15 Laubenthal (2007) Rn. 793; Callies/Müller-<strong>Die</strong>tz StVollzG § 112 Rn. 1.<br />

16 Laubenthal (2007) Rn. 760.<br />

17 BVerfG NJW 2004, 1373 (1374).<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Schwerpunkte<br />

einräumt, wie bspw. Wahrscheinlichkeitsprognosen oder sonstige Fragen<br />

mit höchstpersönlicher Wertung. In diesen Fällen kann nur ein Bescheidungsurteil<br />

erwirkt werden, welches die Behörde dazu veranlasst, die Maßnahme<br />

neu zu bescheiden, dies gilt insbesondere <strong>für</strong> den Verpflichtungs<strong>und</strong><br />

Vornahmeantrag18 .<br />

Der Beschluss wird ohne mündliche Verhandlung gefasst (§ 115 I), weshalb<br />

<strong>für</strong> die Beweiserhebung das Freibeweisverfahren mit den Grenzen der Beweisverbote<br />

der StPO gilt19 . Im Gegensatz zum Verwaltungsverfahren kann<br />

eine zwangsweise Durchsetzung nach §§ 170, 172 VwGO nicht erwirkt werden20<br />

. Bei Nichtbefolgung der Behörde stehen dem Inhaftierten nur Rechtsbehelfe<br />

wie <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde, Vornahmeantrag oder Petition zur<br />

Durchsetzung der gerichtlichen Entscheidung zur Verfügung.<br />

<strong>Die</strong> Rechtsbeschwerde gegen das Urteil muss beim Strafsenat des zuständigen<br />

OLG eingelegt werden. Sie hat gem. § 116 III,1 keine aufschiebende<br />

Wirkung, ebenfalls findet keine mündliche Verhandlung statt (§ 119 I, V).<br />

Das Urteil ist gem. § 119 V unanfechtbar, dem Inhaftierten bleibt demnach<br />

nur noch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr.<br />

4a GG oder die Klage vor dem EGMR.<br />

2. BESCHWERDERECHT NACH § 108 STVOLLZG<br />

Nach § 108 hat der Gefangene mehrere Möglichkeiten sich formlos zu beschweren,<br />

so kann er sich an den Anstaltsleiter wenden (§ 108 I,1), an den<br />

Vertreter der Aufsichtsbehörde (§ 108 II) oder eine <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde<br />

(§ 108 III) erheben. <strong>Die</strong>se Mittel haben dabei gr<strong>und</strong>sätzlich Vorrang<br />

vor dem Rechtsschutz nach §§ 109 ff. Ihnen kommt in der Praxis erhebliche<br />

Bedeutung zu, da den Anliegen der Inhaftierten auf diesem Weg<br />

eher entsprochen werden kann21 . Alles in allem besteht durch die Gespräche<br />

die Möglichkeit zur persönlichen Aussprache, was zum Abbau von Aggressionen<br />

<strong>und</strong> zur Klärung des Anliegens oder aber auch zur Kompromissfindung<br />

beitragen kann. Um somit dem Gefangenen die Fähigkeiten einer<br />

„normalen Konfliktbewältigung“ vermitteln zu können22 . Weiterhin können<br />

die Angelegenheiten auch behördenintern geregelt werden.<br />

Bei der <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde gem. § 108 III handelt es sich um ein<br />

formloses verwaltungsinternes Mittel um den <strong>Die</strong>nstvorgesetzten zur<br />

Überprüfung <strong>und</strong> Korrektur einer dienstlichen Entscheidung oder der einer<br />

<strong>Die</strong>nstpflichtverletzung eines Vollzugsbeamten zu veranlassen. Eine gerichtliche<br />

Nachprüfung der <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde ist nicht möglich23 auch kann sie nicht gerichtlich erzwungen werden24 . Lediglich die zugr<strong>und</strong>e<br />

liegende Maßnahme gegen den Inhaftierten kann gerichtlich überprüft<br />

werden25 .<br />

18 Laubenthal (2007) Rn. 793ff.; Kaiser/Schöch Strafvollzug § 9 Rn. 55.<br />

19 Kamann/Volckart AK-StVollzG § 115 Rn. 3.<br />

20 LG Gießen NStZ-RR 2006, 61 (61); OLG Frankfurt NStZ 1983, 335 (335);<br />

OLG Celle NStZ 1990, 207 (208).<br />

21 Kamann/Volckart in AK-StVollzG § 108 Rn. 1; Kretschmer ZfStrVO 2005,<br />

217 (217).<br />

22 Kaiser/ Schöch Strafvollzug § 9 Rn. 5; Kamann/Volckart in AK-StVollzG<br />

§ 108 Rn. 2.<br />

23 OLG Hamm NStZ 1993, 425 (425).<br />

24 Laubenthal (2007) Rn. 756.<br />

25 OLG Hamburg NStZ 1991, 560 (560); Callies/Müller-<strong>Die</strong>tz StVollzG<br />

§ 108 Rn. 10.<br />

25


26<br />

Schwerpunkte<br />

3. ANSTALTSBEIRäTE §§ 162 FF. STVOLLZG<br />

Neben dem Beschwerderecht steht den Gefangenen die ebenfalls vollzug-<br />

sinterne Kontrollinstanz zur Verfügung, die Anstaltsbeiräte. Sie haben<br />

gem. § 163 die Aufgabe, bei der Vollzugsgestaltung <strong>und</strong> der Betreuung der<br />

Gefangenen mitzuwirken. <strong>Die</strong> Einzelbetreuung der Probleme der Gefange-<br />

nen ist dabei nicht ihre gr<strong>und</strong>legende Aufgabe, vielmehr soll sie auf einer<br />

gr<strong>und</strong>sätzlichen Ebene stattfinden, die auch die Bediensteten umfasst 26 .<br />

Weshalb letztere gem. § 162 I auch nicht Mitglieder im Beirat sein dürfen,<br />

um Interessenskonflikte zu vermeiden. <strong>Die</strong> Bestellung der Beiräte obliegt<br />

den Justizverwaltungen, wie sie zusammengesetzt sein sollen ist dabei nicht<br />

gesetzlich geregelt 27 . Dabei kann der Beirat lediglich Beanstandungen der<br />

Gefangenen entgegennehmen <strong>und</strong> besitzt nicht die Aufgabe Beschwerden<br />

zu überprüfen, sondern ist dazu verpflichtet, auf das Beschwerderecht der<br />

§§ 108 ff. zu verweisen, weshalb sie auch als „Durchgangsstation“ beschrie-<br />

ben werden 28 . Dennoch sehen nach einer Untersuchung von Gerken die<br />

meisten Beiratsmitglieder die Einzelbetreuung als einen Schwerpunkt ihrer<br />

Tätigkeit 29 .<br />

Um diesen Aufgaben nachgehen zu können, sind sie dazu berechtigt gem.<br />

§ 164 I sich umfassend in der Anstalt zu informieren, sie unangekündigt zu<br />

besuchen <strong>und</strong> auch Akteneinsicht 30 zu erhalten. Sie unterliegen dabei der<br />

Verschwiegenheitspflicht (§ 165) <strong>und</strong> § 164 II,2 zufolge dürfen weder die<br />

Gespräche noch der Schriftwechsel mit dem Gefangenen überwacht wer-<br />

den, um so die Möglichkeit einer Vertrauensbasis schaffen zu können.<br />

4. PETITIONSRECHT ART. 17 GG<br />

Zusätzlich steht den Gefangenen auch das Petitionsrecht aus Art. 17 GG zur<br />

Verfügung um die Kontrolle der Verwaltung zu veranlassen. Sie können<br />

sich da<strong>für</strong> an die Volksvertretung wenden, d.h. an das Parlament, Petiti-<br />

onsausschüsse, Fraktionen <strong>und</strong> die Länderparlamente, nicht jedoch an die<br />

zuständige Stelle, da dieses Recht bereits in § 108 ausgestaltet ist.<br />

<strong>Die</strong> Petition muss schriftlich eingereicht werden <strong>und</strong> unterliegt gem. § 29 II, 1<br />

nicht der Überwachung, weshalb sie einen besonderen Anreiz <strong>für</strong> die In-<br />

haftierten darstellen um sich über die Vollzugsbedingungen zu beschweren.<br />

Auf Gr<strong>und</strong> der Gewaltenteilung kann den Petitionen jedoch nicht direkt<br />

abgeholfen werden.<br />

Dennoch spielen Petitionen in der Praxis eine wichtige Rolle, da die Gefan-<br />

genen hoffen, durch die sachliche <strong>und</strong> politische Autorität der Abgeordneten<br />

auf die Missstände im Vollzug öffentlich aufmerksam machen zu können 31 .<br />

26 Gerken (1986)S. 252; Bammann/Feest in AK-StVollzG Vor §§ 162 ff Rn. 4.<br />

27 Bammann/Feest in AK-StVollzG § 163 Rn. 9; als Bsp. <strong>für</strong> die<br />

Zusammensetzung siehe <strong>Die</strong>penbruck (1981) S. 165; Kaiser/Kerner/Schöch<br />

Strafvollzug § 12 Rn.13; Laubenthal (2007)Rn. 297<br />

28 <strong>Die</strong>penbruck (1981) S. 163; Schibol/Senff ZfStrVO 1986, 202 (202);<br />

Bammann/Feest in AK-StVollzG § 163 Rn. 4,6; Laubenthal (2007) Rn. 757.<br />

29 Gerken in dies. Anstaltsbeiräte, Erwartungen an die Beteiligung der<br />

Öffentlichkeit am Strafvollzug <strong>und</strong> praktische Erfahrungen in Hamburg S.<br />

222 (im weiteren Gerken 1986).<br />

30 Bammann/Feest in AK-StVollzG § 164 Rn. 2.<br />

31 Kaiser/Schöch Strafvollzug § 9 Rn. 7; <strong>Die</strong>penbruck (1981) S. 128 ff.;<br />

Laubenthal (2007) Rn. 846.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

II. VOR- UND NACHTEILE DER EINFüHRUNG EINES VOLLZUGS-<br />

OMBUDSMANNES<br />

Im Hinblick auf die Aufgaben eines künftigen Ombudsmannes <strong>und</strong> den<br />

bisherigen Rechtsschutzmöglichkeiten ergeben sich dementsprechend die<br />

unterschiedlichsten Argumente <strong>für</strong> <strong>und</strong> gegen die Einführung einer solchen<br />

Institution. Daneben gibt es etliche Alternativlösungen von denen einige<br />

näher betrachtet werden sollen.<br />

1. VOR- UND NACHTEILE EINES OMBUDSMANNES BEZüGLICH<br />

DES GERICHTLICHEN RECHTSSCHUTZES GEM. §§ 109 FF.<br />

Sicherlich steht den Inhaftierten wie oben dargestellt ein gut ausgestaltetes<br />

Rechtsschutzverfahren zur Verfügung. In der Praxis verbergen sich jedoch<br />

erhebliche Problemlagen in diesem.<br />

Eines ist, dass viele der Inhaftierten gar nicht darüber informiert sind 32 ,<br />

welche Rechte ihnen zustehen <strong>und</strong> wie sie diese wahrnehmen können.<br />

Hier<strong>für</strong> benötigen sie Unterstützung von Anwälten oder von anderen<br />

rechtsk<strong>und</strong>igen Personen.<br />

Sofern es um den anwaltlichen Beistand geht kommt zudem noch das Kosten-<br />

problem auf. Denn es stellt sich die Frage, wie die Finanzierung eines An-<br />

walts aus der Inhaftierung heraus besorgt werden kann, insbesondere,<br />

wenn der Inhaftierte generell nicht über die Notwendigen Mittel verfügt<br />

oder gar aus eventuellen vorherigen Prozessen verschuldet ist. Zwar kann<br />

der Inhaftierte gem. § 120 II StVollzG i.V.m. §§ 140 ff ZPO Prozesskostenhilfe<br />

beantragen, diese wird jedoch nur bewilligt, wenn eine hinreichende<br />

Erfolgswahrscheinlichkeit besteht 33 . Dabei darf laut einer Entscheidung des<br />

BVerfG 34 kein Auslegungsmaßstab angelegt werden, der dem Antragsteller<br />

die Geltendmachung seiner Rechte erschwert. Insbesondere in schwierigen<br />

Angelegenheiten muss die PKH bewilligt werden, weil nur eine pauschale<br />

Prüfung des Anliegens stattfinden darf, um die „Chancengleichheit“ der<br />

Parteien <strong>für</strong> das spätere Verfahren aufrecht zu erhalten. <strong>Die</strong> Ablehnung der<br />

PKH ist unanfechtbar 35 .<br />

Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, dass der Inhaftierte zur<br />

Wahrnehmung seiner Rechte anwaltliche Beratungshilfe nach dem BerHG<br />

in Anspruch nehmen kann, zumindest, wenn es sich um Gesichtspunkte<br />

handelt, die nicht unter §§ 109 ff. fallen. <strong>Die</strong>se kann bewilligt werden auch<br />

ohne dass der Antragsteller die Absicht besitzt, eine gerichtliche Entscheidung<br />

zu begehren. Dabei werden überwiegend vollzugliche Probleme mit<br />

dem Anwalt besprochen 36 .<br />

<strong>Die</strong> Beratung durch einen Ombudsmann hingegen wäre, bis auf das Briefporto,<br />

kostenlos. Er könnte die Inhaftierten auch über diese Möglichkeiten<br />

der Unterstützung informieren <strong>und</strong> sie dahingehend beraten, an wen sie<br />

sich wenden können. Denn viele der Inhaftierten scheinen nicht zu wissen,<br />

dass sie die vorgenannten Institutionen in Anspruch nehmen können.<br />

32 Koeppel in dies. Kontrolle des Strafvollzuges, individueller Rechtsschutz<br />

<strong>und</strong> generelle Aufsicht, ein Rechtsvergleich S. 237 (im weiteren Koeppel<br />

1999).<br />

33 Laubenthal (2007) Rn. 817; Eschke in ders. Mängel im Rechtsschutz gegen<br />

Strafvollstreckungs- <strong>und</strong> Strafvollzugsmaßnahmen, eine Darstellung ausgewählter<br />

Probleme mit Lösungsvorschlägen S.173 (im weiteren Eschke 1993).<br />

34 BVerfG ZfStrVO 2001, 187 (187).<br />

35 Kamann/Volckert AK-StVollzG § 120 Rn. 12, Rn.17 m.w.N..<br />

36 Laubenthal (2007) Rn. 817; Kamann/Volckart AK-StVollzG § 120 Rn. 18.


Dabei ergibt sich aus den alltäglichen Haftsituationen heraus ein erhebli-<br />

cher Bedarf an Rechtsberatung. <strong>Die</strong>sem kann die Anstalt auf Gr<strong>und</strong> der<br />

begrenzten Belastbarkeit nur bedingt nachkommen, d.h. nicht sehr um-<br />

fangreich <strong>und</strong> nur in Bezug auf „einfache“ rechtliche Fragen 37 .<br />

Doch selbst wenn sie diese Informationen besitzen scheitert es meist an den<br />

einzuhaltenden Fristen, welche es bei einer Beschwerde an den Ombuds-<br />

mann nicht gäbe. Auch können sie sich meist nicht schriftlich ausdrücken,<br />

was mit mangelnden Sprachkenntnissen, juristischem Sachverstand <strong>und</strong><br />

mangelnden Kenntnissen des Vollzugsrechts zusammenhängt 38 .<br />

Wiederum andere sehen von einer Beschwerde aus Angst vor möglichen<br />

negativen Konsequenzen ab, insbesondere solche, die in juristischen Dau-<br />

erkonflikten mit der Anstalt <strong>und</strong> ihnen dies als „Querulantentum“ entge-<br />

gengehalten wird 39 . Und diesen Stempel, so Kamann, können Inhaftierte<br />

besonders schnell aufgedrückt bekommen, insbesondere wenn der Gefange-<br />

ne „häufig auf seine Rechte pochend an die Behörde <strong>und</strong> die StVK mit Ein-<br />

gaben herantritt“ 40 .<br />

Bei der Beschwerde an den Ombudsmann hingegen müssten sie nicht mit<br />

solchen Repressalien rechnen, da ihm keine Entscheidungskompetenz zu<br />

gute kommt. <strong>Die</strong>s stellt auch zugleich einen Nachteil dar, da er nur eine<br />

Anregungskompetenz besitzt 41 .<br />

Im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren spricht andererseits <strong>für</strong> den<br />

Ombudsmann, dass er mit den Gefangenen über ihre Anliegen spricht.<br />

Auch können sie sich in seinen Sprechst<strong>und</strong>en direkt an ihn wenden ohne<br />

zuvor einen einwandfreien schriftlichen Antrag gestellt zu haben. <strong>Die</strong><br />

mündliche Verhandlung ist zwar in § 115 I vorgesehen, wird in der Praxis<br />

jedoch weitgehend nicht angewandt 42 .<br />

<strong>Die</strong> Vorteile einer mündlichen Aussprache liegen dabei auf der Hand: Der<br />

zugr<strong>und</strong>eliegende Sachverhalt bzw. die Situation kann geklärt werden, sie<br />

ist kurzfristig <strong>und</strong> mit geringen Mitteln möglich, Missverständnisse kön-<br />

nen direkt geklärt <strong>und</strong> „die psychische Belastung durch den Vollzug“ kann<br />

erleichtert werden <strong>und</strong> „dient damit [gleichzeitig] der Verwirklichung des<br />

Vollzugsziels“ 43 . Vor allem aber fühlt sich der Beschwerdeführer ernst ge-<br />

nommen.<br />

Dem Argument, dass eine persönliche Anhörung einen erheblichen Auf-<br />

wand mit sich bringt 44 kann entgegengehalten werden, dass es mit Sicher-<br />

heit auch einen erheblichen Aufwand darstellt die Akten zu lesen <strong>und</strong> wei-<br />

tere Informationen einzuberufen. Zumal es durch eine frühzeitige Aus-<br />

sprache eventuell gar nicht mehr zu einem gerichtlichen Verfahren kom-<br />

men muss, weil schon vorher eine Einigung erreichbar sein kann. Es be-<br />

stünde daneben die Gelegenheit durch die Anhörung des Gefangenen das<br />

Vorurteil zu beseitigen, dass das Gericht „Erfüllungsgehilfe der Vollzugs-<br />

37 Rotthaus NStZ 1990, 164 (165);Eschke (1993) S. 154, 158; Rotthaus in FS<br />

Blau (1985), S. 335.<br />

38 Eschke (1993) S. 175; Koeppel (1999) S. 237.<br />

39 Feest/Lesting/Selling in dies. Totale Institution <strong>und</strong> Rechtsschutz; eine<br />

Untersuchung zum Rechtsschutz im Strafvollzug S. 65 (im weiteren Feest/<br />

Lesting/Selling); Koeppel (1999) S. 237.<br />

40 Kamann in ders. Gerichtlicher Rechtsschutz im Strafvollzug, Grenzen <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten der Kontrollen vollzuglicher Maßnahmen am Beispiel der<br />

Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Arnsberg S. 298 (im weiteren<br />

Kamann 1991).<br />

41 Koeppel (1999) S. 234.<br />

42 Vgl. u.a. Eschke (1993) . 144 f..<br />

43 Eschke (1993) S. 145; so auch Kamann/Volckart AK-StVollzG § 115 Rn. 10.<br />

44 Wagner GA 1975 S.321.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Schwerpunkte<br />

behörde“ 45 sei. Außerdem macht sich die Strafvollstreckungskammer ein<br />

wenig unabhängiger von den Informationen der Anstalt, indem sie sich ein<br />

eigenes Bild von dem Beschwerdeführer macht. Vom Umfang der Informa-<br />

tionen hängt es nämlich unter anderem ab, welchen Gestaltungsspielraum<br />

das Gericht bei seiner Entscheidung hat 46 .<br />

Besondere Bedeutung kommt dem Ombudsmann bezüglich seiner Mittler-<br />

rolle zu, wenn der Betroffene die Begründung einer Maßnahme nicht ver-<br />

steht, weil er die Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> die Entscheidung nur selten kennt <strong>und</strong> der<br />

Ombudsmann ihm diese erklären kann um möglicherweise die Entschei-<br />

dung verständlich zu machen 47 . Weiterer Vorteil einer Ombudsinstitution<br />

ist, dass durch Vermittlung zwischen dem Inhaftierten <strong>und</strong> der Anstaltslei-<br />

tung, allen ein <strong>für</strong> alle zeitaufwendiges Verfahren erspart bleibt. Das hat<br />

auch den Vorteil, dass sich die Inhaftierten eventuell in ihrer Rechtspositi-<br />

on gestärkt fühlen. Vor allem <strong>für</strong> den Bereich von alltäglichen Dingen wie<br />

Fernsehen auf der eigenen Zelle etc. ist das von besonderer Bedeutung, da<br />

auch diese wie alle anderen Bereiche von der Anstalt bestimmt werden 48 .<br />

Auch bewirke eine außergerichtliche Lösung, dass besser auf die „soziale<br />

Dimension zahlreicher (Rechts-)Konflikte im Strafvollzug“ 49 eingegangen<br />

werden kann.<br />

Vorteil eines Ombudsmannes wäre auch, dass seine Prüfungskompetenz<br />

weiter als die der Gerichte geht, da er das Verwaltungshandeln kontrollie-<br />

ren kann <strong>und</strong> sich nicht an bestimmten Verfahrensarten orientieren muss.<br />

Zudem kann er durch entsprechende Vorschläge die Reform des Vollzugs<br />

<strong>und</strong> der Vollzugsgesetzgebung anregen 50 .<br />

2. VOR- UND NACHTEILE EINES OMBUDSMANNES GEGENüBER<br />

DEN ANSTALTS-BEIRäTEN<br />

Sieht man sich die oben genannten Aufgaben des Beirates genau an, fällt<br />

einem sogleich die Ähnlichkeiten zu denen des Ombudsmannes auf, wes-<br />

halb letzterer zunächst nicht notwendig scheint 51 . Der Beirat ist somit theo-<br />

retisch das „funktionale Äquivalent“ 52 zum Ombudsmann. Allerdings sieht<br />

wie auch beim Rechtsschutz nach § 109 die Praxis anders aus als die Theorie.<br />

So können die Beiräte dahingehend unterlaufen werden, indem sich die<br />

Landesjustizbehörden bei der Besetzung des Räte einmischen <strong>und</strong> mitbe-<br />

stimmen, wer daran teilnimmt, sie entscheidet also über ihre eigenen Kon-<br />

trolleure 53 . <strong>Die</strong> Chance eine b<strong>und</strong>esgesetzliche Regelung zur Besetzung des<br />

Beirats zu erlassen ist zudem durch die Föderalismusreform dahingehend<br />

vertan, da die Gesetzgebungskompetenz <strong>für</strong> den Strafvollzug nun bei den<br />

Ländern liegt <strong>und</strong> sie nach wie vor über die Zusammensetzung entscheiden<br />

dürfen. Von Unabhängigkeit kann da keine Rede sein 54 . Wird der Ombuds-<br />

mann hingegen vom Parlament eingesetzt ist er zumindest gegenüber der<br />

Justizbehörde unabhängig <strong>und</strong> es besteht die Möglichkeit, dass er von den<br />

Inhaftierten nicht pauschal abgelehnt wird.<br />

Ein weiteres Problem der nicht vorhandenen Vorgaben über die Auswahl der<br />

45 Rotthaus in FS <strong>für</strong> Blau (1985) S. 332.<br />

46 Vgl. Rotthaus in FS <strong>für</strong> Blau S. 331.<br />

47 Hansen (1972) S. 150.<br />

48 Koeppel (1999), S. 247.<br />

49 Feest/Lesting/Selling S. 201; Lesting, KrimJ 1993, 48 (48).<br />

50 Koeppel (1999) S. 233; Kaiser/Schöch Strafvollzug § 4 Rn. 53.<br />

51 So auch Kaiser/Kerner/Schöch Strafvollzug § 12 Rn. 16.<br />

52 vgl. Koeppel (1999) S. 175.<br />

53 Bammann/Feest in AK-StVollzG Vor §§ 162 ff Rn. 3; Koeppel (1999) S.110.<br />

54 Koeppel (1999) S. 110.<br />

27


28<br />

Schwerpunkte<br />

Mitglieder der Beiräte ist, dass diese zunächst meist über unzureichende<br />

juristische Kenntnisse bzgl. des Strafvollzuges verfügen, sodass „die Anstalt<br />

„insgeheim“ die Arbeit der Beiräte leitet“. Bammann <strong>und</strong> Feest bezeichnen<br />

die Aufgabe der Anstaltsbeiräte daher als „Alibifunktion“ 55 .<br />

Gegen eine Einführung des Ombudsmanns wird weiterhin angeführt, dass<br />

er sich außerhalb der JVA befindet <strong>und</strong> somit keinen Überblick über das<br />

Alltagsleben in der Anstalt hat <strong>und</strong> „folglich kleine Missstände im Alltägli-<br />

chen nur zufällig <strong>und</strong> wahrscheinlich noch schwerer feststellen, als dies<br />

den mit „ihrer“ Anstalt vertrauten Anstaltsbeiräten möglich wäre“ 56 . Ande-<br />

rerseits kann ihm dies gerade zugute kommen, da er nicht als „zum System<br />

gehörend“ gesehen wird.<br />

<strong>Die</strong> Beiräte können diese Missstände jedoch auch nur dann feststellen,<br />

wenn sie den Problemen des Vollzuges offen <strong>und</strong> engagiert gegenüber ste-<br />

hen 57 . Doch engagiert kann nur sein, wer auch Informationen über seine<br />

Rechte <strong>und</strong> Aufgaben erhält <strong>und</strong> sich diese nicht selbst beibringen muss 58 .<br />

So hat das Engagement von Politikern eher den Beigeschmack, dass sie nur<br />

auf Gr<strong>und</strong> ihrer Parteizugehörigkeit mit entsprechenden Einstellungen in<br />

den Beirat bestellt werden <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong> ihrer umfassenden sonstigen<br />

Aufgaben diese eher etwas weniger hingebungsvoll erledigen 59 .<br />

Andererseits wird argumentiert, dass der Ombudsmann den Anstaltsbeirat<br />

nicht ersetzen kann, da die verlangte Öffentlichkeitsarbeit nur einen klei-<br />

nen Ausschnitt des Tätigkeitsbereiches der Beiräte darstelle 60 .<br />

Gerade in Bezug auf die erwünschte <strong>und</strong> vor allem geforderte Öffentlich-<br />

keitsarbeit der Beiräte gibt es einiges zu kritisieren, denn sie findet größten-<br />

teils nicht statt. So gibt es Tätigkeitsberichte, die nicht veröffentlicht wer-<br />

den 61 oder die landesrechtlichen Verordnungen verbieten den Kontakt mit<br />

der Presse, es sei denn er findet mit Einvernehmen der Anstaltsleitung statt<br />

so bspw. in Thüringen, Brandenburg, <strong>und</strong> Rheinland-Pfalz. Allerdings<br />

sehen nach einer Untersuchung von Gerken auch nur die wenigsten Beirats-<br />

mitglieder ihre Aufgabe darin, öffentlichkeitswirksam tätig zu werden 62 .<br />

Der Ombudsmann hätte im Gegensatz zu den Beiräten jedoch die Ver-<br />

pflichtung einmal jährlich einen Bericht zu veröffentlichen <strong>und</strong> könnte<br />

dementsprechend dieser Aufgabe besser nachkommen.<br />

3. VOR- UND NACHTEILE DES OMBUDSMANNES GEGENüBER<br />

DEN SONSTIGEN BESCHWERDERECHTEN<br />

Auch bezüglich der sonstigen Beschwerderechte besitzt der Ombudsmann<br />

diesen gegenüber einige Vorteile. So besteht bei den <strong>Die</strong>nstaufsichtsbe-<br />

schwerden zunächst das Problem, dass der Beschwerdeführer tagtäglich<br />

mit seinen Aufsichtsbeamten zu tun hat <strong>und</strong> auch auf ihn angewiesen ist.<br />

Beschwert sich der Gefangene muss er mit Aversionen des angegriffenen<br />

Beamten gegen sich <strong>und</strong> andere Häftlinge rechnen 63 . Zumal die Beschwer-<br />

den meist nicht sachlich verfasst werden <strong>und</strong> somit vom Betroffenen als<br />

55 Bammann/Feest in AK-StVollzG Vor § 162 Rn. 5ff., § 162 Rn 7.<br />

56 Gerken (1986) S. 271.<br />

57 Kaiser/Kerner/Schöch Strafvollzug § 12 Rn. 12.<br />

58 Was nach Gerken (1986) S. 61 der Fall zu sein scheint.<br />

59 Koeppel (1999) S. 112.<br />

60 Münchbach in ders. Strafvollzug <strong>und</strong> Öffentlichkeit unter besonderer<br />

Berücksichtigung der Anstaltsbeiräte S. 85 (im weiteren Münchbach 1973).<br />

61 Siehe Koeppel (1999) S.111.<br />

62 Nur ein Mitglied von 7 Befragten sah dies als wichtigste Aufgabe an, vgl.<br />

Gerken (1986) S. 207.<br />

63 <strong>Die</strong>penbruck in ders. Rechtsmittel im Strafvollzug S. 48 f..<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

unberechtigter persönlicher Tadel verstanden werden kann. 64 <strong>Die</strong>penbruck<br />

merkt dazu an, dass „eine <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde einzureichen, (...)<br />

schon einer gewissen Portion Mut“ 65 bedarf, zumal die Gefahr besteht, dass<br />

der Anstaltsleiter die Angegriffene Maßnahme eventuell <strong>für</strong> in Ordnung be-<br />

findet <strong>und</strong> dem Bediensteten generell mehr glauben schenkt als dem<br />

Beschwerdeführer 66 . Das hängt auch damit zusammen, dass gegenüber den<br />

Inhaftierten immer noch gewisse Negativ-Einstellungen bestehen, die es<br />

abzubauen gilt 67 . Der Inhaftierte kann seine Lage durch die <strong>Die</strong>nstaufsichts-<br />

behörde also nicht unbedingt verbessern. Wird jedoch ein Ombudsmann<br />

eingesetzt so können die Probleme in einem Gespräch direkt geklärt werden<br />

<strong>und</strong> auch eventuelle Missverständnisse können sofort beseitigt werden, ohne<br />

dass sich einer der beiden Beteiligten persönlich angegriffen fühlen müsste.<br />

Auch die Beschwerde bei Ausschüssen enthält etliche Nachteile gegenüber<br />

dem Ombudsmann. Denn <strong>für</strong> die Ausschüsse gilt, dass sie nur dann aktiv<br />

werden, wenn es eigentlich schon zu spät ist <strong>und</strong> medienwirksam über<br />

bestimmte Vorfälle berichtet worden ist. Sie können somit nicht den Effekt<br />

nutzen allein durch die Möglichkeit einer Kontrolle die Verwaltung zu opti-<br />

mieren 68 <strong>und</strong> besitzen kein Eigeninitiativrecht.<br />

Im Gegenteil zu den Ausschüssen hat der Ombudsmann zudem den Vorteil,<br />

dass es sich bei ihm nicht um jemanden anonymes handelt, „sondern als<br />

konkrete Einzelperson zur Verfügung steht“ 69 <strong>und</strong> auch nicht durch Wahlen<br />

bedingten personellen Veränderungen unterliegt, wodurch eher eine Vertrau-<br />

ensbasis entstehen könnte. Ferner ist er unabhängig von Parteien <strong>und</strong> Frak-<br />

tionen <strong>und</strong> unterliegt keinerlei versteckten Fraktionszwängen. Daher ist eine<br />

objektive <strong>und</strong> neutrale Behandlung der Angelegenheit durch einen Ombuds-<br />

mann wahrscheinlicher als durch einen Ausschuss. Denn, so stellt Franke fest,<br />

bei vielen Abstimmungen „werden letztlich den parteipolitischen Mehrheits-<br />

verhältnissen gemäß entschieden“ 70 .<br />

Auf Gr<strong>und</strong> der Zusammensetzung aus etlichen Mitgliedern benötigen die<br />

Ausschüsse einen erheblichen Zeitrahmen um eine Entscheidung treffen bzw.<br />

sich verständigen zu können71 .<br />

Daneben besteht bei Ausschussmitgliedern bezüglich der Arbeitsauslastung<br />

ein ähnliches Problem wie bei den Richtern der Strafvollstreckungskammern,<br />

sie sind nicht nur in einem Ausschuss tätig, sondern gehören noch weiteren<br />

an <strong>und</strong> müssen auch noch Fraktionsarbeit leisten72 .<br />

Der Ombudsmann ist daher als unpolitische Instanz eine Alternative zu den<br />

Ausschüssen, der allein durch seine Besuche in den Anstalten <strong>und</strong> seine regelmäßigen<br />

Sprechst<strong>und</strong>en „näher am Bürger“ ist. Da er unabhängig von den<br />

Parlamenten etc. ist hat er zudem den Vorteil, dass er sich nicht um die Kontrolle<br />

der Funktionserfüllung der Regierung kümmern muss73 , sondern er<br />

kann unmittelbar die Verwaltungstätigkeit kontrollieren.<br />

64 Kaiser/Kerner/Schöch Strafvollzug § 8 Rn. 8.<br />

65 <strong>Die</strong>penbruck Rechtsmittel im Strafvollzug S. 48.<br />

66 <strong>Die</strong>penbruck Rechtsmittel im Strafvollzug S. 49; Kamann/Volckart in AK-<br />

StVollzG § 108 Rn. 15.<br />

67 Eschke (1993) S. 140 m.w.N..<br />

68 Franke in ders. Ein Ombudsmann <strong>für</strong> Deutschland? S. 91.<br />

69 Franke in ders. Ein Ombudsmann <strong>für</strong> Deutschland? S. 215.<br />

70 Franke in ders. Ein Ombudsmann <strong>für</strong> Deutschland? S. 71.<br />

71 Vgl. auch Franke in ders. Ein Ombudsmann <strong>für</strong> Deutschland? S. 69.<br />

72 Matthes (1981) S. 82 f.<br />

73 Vgl. Wild (1970) S. 118.


4. ALTERNATIVEN ZUM OMBUDSMANN: RICHTER ALS MEDIATOR?<br />

Statt der Einführung einer neuen Institution könnten auch die bisherigen<br />

Möglichkeiten des Inhaftierten seine Rechte geltend zu machen <strong>und</strong> die Haft-<br />

bedingungen zu verbessern, reformiert werden. Um somit einen Ombuds-<br />

mann überflüssig zu machen. Auch diese Alternativen sollen mit Hinblick auf<br />

ihre Vor- <strong>und</strong> Nachteile zum Ombudsmann betrachtet werden.<br />

Überlegungen könnten bspw. dahingehend gemacht werden, den Richter der<br />

StVK als Mediator einzubinden, anstatt einer neuen Institution wie den Om-<br />

budsmann da<strong>für</strong> einzusetzen. Doch auch hier spricht zunächst das Zeitargu-<br />

ment dagegen, insbesondere wenn es darum gehen soll, dem Gefangenen<br />

auch eine gleichzeitige Rechtsberatung zu gewähren. Da<strong>für</strong>, so Kamann, sei<br />

nicht einmal „in durchschnittlichen Sachen (...) die nötige Ruhe <strong>und</strong> Zeit“ 74 .<br />

Desgleichen dürfte sich auch die Anstaltsleitung zur Wehr setzen, wenn der<br />

Richter dem Gefangenen erst eine umfassende Rechtsberatung erteilt <strong>und</strong><br />

dann anschließend über seine Beschwerde entscheiden soll 75 .<br />

Das Problem der Form- <strong>und</strong> Fristeinhaltung kann jedoch auch nicht mit Hilfe<br />

eines Mediators gelöst werden, sofern der Gefangene sich erst nach abgelau-<br />

fener Frist an ihn wendet 76 .<br />

Überlegungen könnten lediglich dahingehend gemacht werden, dass der<br />

Richter im Rahmen der Mediation auf Vergleichsabschlüsse abzielen sollte.<br />

Solche können jedoch nur zustande kommen, wenn den Anstalten bei ihrer<br />

Entscheidung auch ein Ermessen zusteht. <strong>Die</strong>s dürfte allerdings, wie oben<br />

dargestellt, das geringste Problem darstellen, da es sich bei den meisten Ent-<br />

scheidungen um solche mit Ermessen handelt.<br />

Gegen ein Mediationsverfahren spricht ferner, dass sich bei der Mediation<br />

möglichst auf einer Ebene stehende Konfliktpartner gegenüber stehen sollten,<br />

wovon beim Verhältnis Gefangener <strong>und</strong> Anstalt nicht ausgegangen werden<br />

kann. So könnte es vorkommen, dass sich bspw. Abteilungsleiter nicht wie<br />

Verfahrensbeteiligte aufführen sondern wie „ein Vorgesetzter, den ein Unter-<br />

gebener unrechtmäßigerweise zur Rechenschaft zu ziehen sucht“ 77 . Auch die<br />

Möglichkeit an Autorität zu verlieren, sofern man Zugeständnisse machen<br />

sollte, könnte eher dazu führen, dass man nicht von gleichberechtigten<br />

Konfliktparteien sprechen kann. Schon gar nicht, wenn die Gefangenen<br />

(natürlich) jede noch so kleine „Niederlage“ der Anstalt - auch wenn sich<br />

nichts an der Situation ändern sollte - bejubelt wird 78 . Es herrscht also gr<strong>und</strong>-<br />

sätzlich ein Klima des Misstrauens, das es gilt abzubauen.<br />

Hinzu kommt, dass die Anstalt insbesondere dann kein Interesse an einem<br />

Vergleich zu haben scheint, wenn sie da<strong>für</strong> zu einer Anhörung vor die StVK<br />

muss anstatt alles schriftlich abzuwickeln, was Arbeit ersparen würde 79 . Und<br />

nicht nur Arbeit würde es sparen, auch kann es nur von Vorteil sein, wenn es<br />

ein rein schriftliches Verfahren gibt, wenn man bedenkt, dass die meisten In-<br />

haftierten wie oben bereits erwähnt sich nicht schriftlich ausdrücken können.<br />

<strong>Die</strong> Anstalt würde also durch ein schriftliches Verfahren „alle Karten in der<br />

Hand behalten“ 80 . Der Richter kann daher nicht tiefer in den „Definitionsbe-<br />

reich der totalen Institution (...) eindringen“ 81 . Eine Mediation durch den Rich-<br />

74 Kamann KrimJ 1993, 13 (17).<br />

75 Vgl. Kamann KrimJ 1993, 13 (17).<br />

76 Kamann KrimJ 1993, 13 (15 f.).<br />

77 Kamann KrimJ 1993, 13 (21).<br />

78 Kamann KrimJ 1993, 13 (18 ff.).<br />

79 Kamann (1991) S. 208.<br />

80 Kamann (1991) S. 81.<br />

81 Kamann (1991) S. 212.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Schwerpunkte<br />

ter bzw. eine Vergleichslösung scheint daher nicht möglich. Und das, obwohl<br />

eine Untersuchung zum Strafvollzug ergab, dass Aushandlungsprozesse in<br />

Anstalten üblich seien, <strong>und</strong> eine Kompromisslösung durchaus möglich sei. 82<br />

Eventuell kann diese jedoch durch den Ombudsmann erreicht werden. Der<br />

eigentliche Nachteil, dass er keine Entscheidungsbefugnis hat könnte hier<br />

zum Vorteil werden. <strong>Die</strong> Anstaltsleitung kann die Anregungen annehmen<br />

oder auch nicht, ihr wird die Entscheidung jedoch nicht wie vom Gericht<br />

aufgezwungen. Und vielleicht ist sie so auch eher bereit einen Kompromiss zu<br />

suchen.<br />

Weiterhin verlangt ein Mediationsverfahren ein erhebliches Maß an Einfüh-<br />

lungsvermögen <strong>und</strong> Sachkenntnis der StVK, was zumindest Kamann bei eini-<br />

gen Richtern der StVK anzweifelt, zumal es sich meist obendrein um Richter<br />

aus anderen rechtlichen Bereichen handelt, die quasi in die StVK „zwangsver-<br />

setzt“ wurden weil sich sonst niemand <strong>für</strong> das Amt finden konnte 83 . <strong>Die</strong>se<br />

setzen alles daran um möglichst schnell das Ressort zu wechseln, was zu er-<br />

heblichen Wechseln in der Besetzung führt, sodass sie nicht die spezifischen<br />

kriminologischen <strong>und</strong> strafvollzugswissenschaftlichen Erfahrungen <strong>und</strong><br />

Kenntnisse erlangen können 84 .<br />

Dabei es würde vermutlich schon ausreichen, wenn der Richter ein Einzelge-<br />

spräch mit dem Gefangenen führen würde, um ihm „die rechtliche Aussichts-<br />

losigkeit seines Antrags nachvollziehbar zu erklären“ 85 <strong>und</strong> so vielleicht auch<br />

da<strong>für</strong> zu sorgen, dass der Inhaftierte, wenn alle Missstände geklärt sind, sei-<br />

nen Antrag zurücknimmt. Mit Hilfe eines unabhängigen Ombudsmannes<br />

könnten sie hingegen eine Kompromisslösung direkt mit der Anstalt ausar-<br />

beiten <strong>und</strong> müssten diese Ängste nicht ausstehen.<br />

5. ZUSAMMENFASSUNG<br />

Es lässt sich also zusammenfassend sagen, dass es scheinbar kein von der Voll-<br />

zugsbehörde unabhängiges Inspektionsgremium gibt. Und es trotz einem<br />

umfangreichen Rechtsschutzsystems nicht gelingt, den Gefangenen das Ge-<br />

fühl zu vermitteln nach „Recht <strong>und</strong> Gesetz behandelt zu werden“ 86 .<br />

III. AUFGABEN EINES OMBUDSMANNES IM STRAFVOLLZUG<br />

Nach dieser allgemeinen Darstellung soll nun kurz skizziert werden, wie die<br />

Aufgaben eines Ombudsmannes im Strafvollzug ausgestaltet sein sollen um<br />

den besonderen Verhältnissen in den Justizvollzugsanstalten gerecht werden<br />

zu können.<br />

So muss der Ombudsmann gr<strong>und</strong>sätzlich zwei Aufgaben nachkommen, zum<br />

einen dem Gr<strong>und</strong>rechtsschutz <strong>und</strong> zum anderen die Kontrolle des Verwal-<br />

tungshandelns. Insoweit unterscheiden sich die Anforderungen nicht zu den<br />

oben genannten Institutionen. Auch in dem ihm einzuräumendem Recht auf<br />

Akteneinsicht, Auskunftsrecht <strong>und</strong> Anwesenheitsrecht 87 bestehen keine Un-<br />

terschiede.<br />

82 Vgl. Feest/Lesting/Selling (1997) S. 77.<br />

83 Müller-<strong>Die</strong>tz in Eser/Kaiser (Hrsg.): Zweites deutsch-ungarisches Kolloqium<br />

über Strafrecht <strong>und</strong> Kriminologie; Strafrechtsreform, Strafver-fahrensrecht,<br />

Wirtschafts- <strong>und</strong> Umweltstrafrecht; Strafvollstreckungsrecht S. 294 (im<br />

weiteren Müller-<strong>Die</strong>tz 1995; vgl. Kamann (1991) S.17.<br />

84 Laubenthal Strafvollzug Rn. 833.<br />

85 Laubenthal Strafvollzug Rn. 836.<br />

86 Vgl. Rotthaus FS <strong>für</strong> Blau (1985), S. 335.<br />

87 Kretschmar, ZfStrVO 2005,217 (220 f.); Lesting KrimJ 1993, 48 (52 f.).<br />

29


30<br />

Schwerpunkte<br />

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Johannes Gutenberg-Universität zum WS 2011/12 den akkreditierten<br />

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Ergänzend zu den Gerichten kann er die gesamte Behörde kontrollieren, da<br />

mehr Anstaltsnähe besteht. Zudem kann er durch seine Gespräche mit den<br />

Inhaftierten eine Art „kostenlosen Rechtsschutz“ 88 bieten. Dabei soll er je-<br />

doch nur eine Vermittlungsinstanz darstellen <strong>und</strong> keine Konfliktentscheidungskompetenz<br />

besitzen89 .<br />

Weiterhin wird eingeräumt, dass ein Klagerecht „zwecks Klärung gr<strong>und</strong>sätzlicher<br />

Fragen sinnvoll“ sei, um die Lasten <strong>und</strong> Risiken einer Klage <strong>für</strong> Gefangene<br />

zu vermindern <strong>und</strong> zudem auf eine „Generalisierung der erstrittenen<br />

gerichtlichen Entscheidung“ hinwirken zu können. Dadurch soll als primäres<br />

Ziel vor allem die Transparenz erhöht, die Selbstkontrolle der Verwaltung gestärkt<br />

werden90 .<br />

Der Vollzugsombudsmann soll dabei als „Vertreter des Strafvollzuges“ gesehen<br />

werden <strong>und</strong> dementsprechend nicht von der Justizverwaltung, sondern<br />

wie auch bspw. der Bürgerbeauftragte vom Parlament als „Hilfsorgan“ des<br />

Parlaments ernannt werden. Schließlich, so Kretschmer, soll der Vollzugsombudsmann<br />

„dem Strafgefangenen einen zugänglichen, unabhängigen <strong>und</strong> effektiven<br />

Weg zur Lösung seiner Beschwerden (...)gewähren <strong>und</strong> zu einem<br />

gerechten <strong>und</strong> humanen Strafsystem“ 91 beitragen <strong>und</strong> nicht als einer der „zum<br />

System“ gehört gesehen werden.<br />

D. FAZIT<br />

<strong>Die</strong> Einrichtung eines Vollzugsombudsmannes scheint somit eine notwendige<br />

Ergänzung zum bisherigen Rechtsschutz zu sein. Dabei soll er nicht wie<br />

teilweise be<strong>für</strong>chtet bisherige Organisationen verdrängen oder gegenstandslos<br />

werden lassen sondern er kontrolliert die Art <strong>und</strong> Weise des Machtgebrauchs<br />

der Anstalt, um in der Vergangenheit gemachte Fehler zu beheben<br />

aber vor allem um gegenwärtige Konflikte abzubauen <strong>und</strong> keine neuen entstehen<br />

zu lassen. 92 Seine Kontrollfunktion besteht also nicht darin, die Rechtmäßigkeit<br />

oder Angemessenheit bestimmter Maßnahmen zu überprüfen.<br />

Vielmehr steht er außerhalb der Staatsgewalten.<br />

88 Lesting KrimJ 1993, 48 (53).<br />

89 Kretschmar, ZfStrVO 2005, 217 (220).<br />

90 Lesting KrimJ 1993, 48 (53f.)<br />

91 Kretschmar, ZfStrVO 2005, 217 (222).<br />

92 Vgl. Hansen (1972) S. 174.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Er könnte sich also insbesondere in nicht juristischen Bereichen <strong>und</strong> Situationen<br />

als „bedeutsam <strong>und</strong> unersetzlich“ erweisen zumal sich gezeigt habe, dass<br />

Ombudsmänner eben gerade in solchen Ländern erfolgreich wirken können,<br />

in denen sich die Verwaltung <strong>und</strong> Rechtsprechung auf hohem Niveau befindet,<br />

da er ansonsten mit Eingaben überschwemmt <strong>und</strong> dadurch seine Tätigkeit<br />

gelähmt werden würde93 .<br />

Ob der Ombudsmann Erfolg bei seiner Arbeit hat oder nicht hängt neben<br />

seiner Persönlichkeit auch von dem Maß der Unterstützung ab, die er von der<br />

Behörde, den Parlament <strong>und</strong> der Öffentlichkeit erhält94 .<br />

Vor allem muss er den Spagat schaffen sowohl auf die Interessen des Anstaltspersonals<br />

als auch auf die Probleme der Inhaftierten einzugehen. Gerade im<br />

Hinblick auf das Personal muss er verhindern, nicht als „Anwalt der Inhaftierten“<br />

abgestempelt zu werden. Ansonsten kann er ebenfalls keinen von<br />

beiden Seiten akzeptierter Vermittler sein.<br />

Denn das Hauptproblem der Anstalten sind mangelnde Kommunikation <strong>und</strong><br />

das nicht vorhandene Verständnis der jeweiligen Parteien <strong>für</strong> die andere. Erst<br />

wenn diese Probleme gelöst wurden, können sich die Lebensbedingungen <strong>für</strong><br />

die Inhaftierten verbessern.<br />

Sicherlich könnte auch eine Reformation des Strafvollzuggesetzes einiges<br />

dazu beitragen die Haftsituation zu verbessern. Gerade durch die Föderalismusreform<br />

sollte sich die Möglichkeit bieten die Kompetenzen bspw. der Anstaltsbeiräte<br />

neu zu gestalten <strong>und</strong> den jeweiligen verschiedenen Anstaltstypen<br />

anzupassen. Auf jeden Fall bietet sich Möglichkeit durch die Berichte des<br />

Ombudsmannes die Haftbedingungen transparenter zu machen um die<br />

Öffentlichkeit besser zu informieren <strong>und</strong> so Vorurteile gegenüber Strafgefangenen<br />

abzubauen.<br />

Schon der erste Bericht des Vollzugsombudsmannes Söhnchen im Jahr 2008<br />

zeigte, wo die Probleme liegen: bei fehlender Chancengleichheit <strong>und</strong> Ungleichbehandlungen<br />

sowohl von Bediensteten als auch Inhaftierten95 . Daran scheint<br />

sich auch nach einem weiteren Jahr nichts bzw. nur wenig geändert zu haben.<br />

Söhnchen kritisiert diesbezüglich die etwas langsamen Reaktionen des Ministeriums<br />

<strong>und</strong> hat in diese Richtung seine Tätigkeit ausgeweitet96 .<br />

Ob sich die Institution bewährt bleibt also abzuwarten. Auf jeden Fall scheint<br />

die Einführung eines Ombudsmannes neben den bestehenden Institutionen<br />

derzeit zumindest als Chance um die Haftbedingungen etwas erträglicher zu<br />

machen. Zumal die Aufgaben des Ombudsmannes in alle Richtungen offen<br />

sind <strong>und</strong> gegebenenfalls erweitert werden können.<br />

Durch diese „individuelle“ Gestaltungsmöglichkeiten kann der Ombudsmann<br />

„Lücken im jeweiligen System der staatlichen Rechtskontrolle ausgleichen<br />

<strong>und</strong> damit zur Verbesserung des individuellen Rechtsschutzes“ 97 der<br />

Inhaftierten beitragen.<br />

93 Hansen (1972) S. 172.<br />

94 Hansen (1972) S. 173.<br />

95 Tätigkeitsbericht 2007/2008 S. 49.<br />

96 Vgl. Der Ombudsmann <strong>für</strong> den Justizvollzug Nordrhein-Westfalen, Jahresbericht<br />

2008/2009, S. 65 ff.; URL: http://www.ombudsmann-justizvollzug. nrw.<br />

de/service/Infomaterial/Taetigkeitsbericht_2009.pdf (Download am 11.04.2009).<br />

97 Kucsko-Stadlmayer in dieselbe: Europäische Ombudsinstitutionen: eine<br />

rechtsvergleichende Untersuchung zur vielfältigen Umsetzung einer Idee,<br />

S. 70.


<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Schwerpunkte<br />

wirtschaftliche Regulierung eines liberalisierten Marktes –<br />

ein immanenter widerspruch?<br />

von Rechtsreferendar Marcel Dahlke (Wuppertal)<br />

Das Wettbewerbsrecht ist die Schnittstelle von Rechtswissenschaft <strong>und</strong><br />

Wirtschaftswissenschaftt. Durch diese Kombination muss der sich dieser<br />

Materie widmende Jurist nicht nur die gesetzlichen Regelungen des<br />

Wettbewerbsrechts beherrschen, sondern vor allem den wirtschaftlichen<br />

Hintergr<strong>und</strong> dieser Gesetze verstehen lernen. Für den wirtschaftlich inter-<br />

essierten Studenten im Haupt<strong>stud</strong>ium ist diese dynamische <strong>und</strong> innovative<br />

Rechtsmaterie im Schwerpunktbereichs<strong>stud</strong>ium eine willkommene Ab-<br />

wechslung zu dem altbewährten Pflichtfachstoff.<br />

A. EINFüHRUNG<br />

Ende September 2010 gab das Europäische Parlament grünes Licht <strong>für</strong> die<br />

Schaffung einer europäischen Finanzmarktaufsicht, indem es dem europä-<br />

ischen Finanzaufsichtspaket zustimmte. Es folgte damit, nach einjährigem<br />

Ringen mit den Mitgliedsstaaten, dem Beschluss der Europäischen Kommis-<br />

sion, die Finanzmärkte in Zukunft stärker europäisch zu beaufsichtigen, um<br />

etwaigen zukünftigen Finanzkrisen effizient <strong>und</strong> zentral entgegensteuern<br />

zu können. Zu diesem Zweck gehen aus den bereits bestehenden Koordina-<br />

tionsausschüssen drei neue Aufsichtsbehörden hervor. <strong>Die</strong> Europäische<br />

Aufsichtsbehörde <strong>für</strong> das Versicherungswesen <strong>und</strong> die betriebliche Alters-<br />

versorgung wird in Frankfurt, die Europäische Bankenaufsichtsbehörde in<br />

London <strong>und</strong> die Europäische Wertpapieraufsicht in Paris ansässig sein.<br />

<strong>Die</strong>se sollen da<strong>für</strong> Sorge tragen, dass die EU-Finanzmarktregeln in Europa<br />

einheitlich angewandt werden. Zudem wird ein Europäischer Ausschuss<br />

<strong>für</strong> Systemrisiken (ESRB) eingerichtet, welcher als eine Art Frühwarn-<br />

system die Finanzmärkte beobachtet.<br />

Im November 2010 verabschiedeten die G-20 Staaten die neuen Risikovor-<br />

schriften des Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) im südko-<br />

reanischen Seoul. <strong>Die</strong>ses unter Basel III geläufige Regelwerk sieht eine<br />

gesetzlich vorgeschriebene Eigenkapitalerhöhung von Banken vor, um<br />

durch die Erhöhung des Kapitalgr<strong>und</strong>stocks ihre Robustheit gegenüber<br />

etwaigen Kreditausfällen zu stärken. Einen ersten Richtlinienentwurf will<br />

die Europäische Kommission im März 2011 vorlegen. Wobei EU-Binnen-<br />

marktkommissar Michel Barnier erklärte, die neuen Regeln könnten nur<br />

funktionieren, wenn sie weltweit gleichzeitig einheitlich eingeführt würden.<br />

Darüber hinaus möchte die Europäische Kommission den Handel mit risikoreichen<br />

Finanzprodukten wie Derivaten <strong>und</strong> Leerverkäufen in Zukunft<br />

unter Kontrolle bringen. So machte EU-Binnenmarktkommissar Michel<br />

Barnier am 15.09.10 in Brüssel deutlich, dass es künftig verbindliche<br />

EU-Standards <strong>für</strong> solche Finanzprodukte geben werde <strong>und</strong> erklärte dazu:<br />

„Auf Finanzmärkten darf es nicht zugehen wie im Wilden Westen“ 1 .<br />

Ist diese Entwicklung nun als Regulierung des Finanzsektors im Sinne<br />

einer Wirtschaftsregulierung zu verstehen? Was bedeutet überhaupt Wirtschaftsregulierung?<br />

1 „EU setzt auf Transparenz statt auf Verbote“, in: Handelsblatt, 16.09.10.<br />

Marcel Dahlke ist Rechtsreferendar am Landgericht Wup-<br />

pertal <strong>und</strong> arbeitet in Nebentätigkeit bei der Wirtschafts-<br />

kanzlei Runkel Schneider Weber. An der Rheinischen<br />

Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn <strong>stud</strong>ierte der Autor<br />

Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt öffentliches<br />

Wirtschaftsrecht.<br />

I. DER REGULIERUNGSBEGRIFF<br />

Der Begriff der Regulierung war dem herkömmlichen deutschen Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />

fremd. Erst im Jahre 1990 tauchte der Begriff der<br />

Regulierung in Zusammenhang mit der Liberalisierung <strong>und</strong> Privatisierung<br />

des Telekommunikationssektors auf. 2<br />

In den Natur- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften versteht man unter Regulierung<br />

sehr allgemein die kontrollierte Einwirkung auf gegebene Ordnungen oder<br />

Vorgänge. Ähnlich weit fassen die Wirtschaftswissenschaftler diesen<br />

Begriff auf, er wird dort als jegliche staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft<br />

verstanden.<br />

<strong>Die</strong> Schaffung von Aufsichtsbehörden <strong>und</strong> neuer Gesetze wäre somit<br />

sowohl aus natur-, sozial- <strong>und</strong> wirtschaftswissenschaftlicher Sicht als<br />

Regulierung zu qualifizieren. <strong>Die</strong>se Sichtweise wird als so genannter „weiter<br />

Regulierungsbegriff“ formuliert.<br />

Im juristischen Kontext wird dagegen der „enge Regulierungsbegriff“<br />

bevorzugt. Zusammenhängend mit der oben genannten Liberalisierung<br />

<strong>und</strong> Privatisierung des Telekommunikationssektors <strong>und</strong> damit einherge-<br />

hend mit dem Übergang von „leistungsgewährendem zu leistungsgewähr-<br />

leistendem Staat“ 3 entwickelte sich unter den <strong>Juristen</strong> ein Verständnis von<br />

Regulierung, welches ein Instrumentarium des modernen Wirtschaftsver-<br />

waltungsrechts beschreibt, mit dem in liberalisierte netzgeb<strong>und</strong>ene Wirt-<br />

schaftssektoren asymmetrisch regulierend von Seiten des Staates eingegrif-<br />

fen wird, um künstlich eine „Als-ob-Wettbewerbssituation“ zumindest<br />

„transitorisch“ 4 zu erzeugen, bis ein funktionsfähiger, also „nachhaltiger“<br />

(§ 2 II 2. Hs. TKG) Wettbewerb auf Märkten in diesen Wirtschaftssektoren<br />

hergestellt ist.<br />

Sollte im Zuge der Entwicklung funktionsfähiger Wettbewerb auf den ein-<br />

zelnen Märkten entstehen, reicht dann eine Anwendung der allgemeinen<br />

Vorschriften zum Schutz des Wettbewerbs, im Wesentlichen des GWB, auf<br />

2 M. Ruffer, Regulierung im System des Verwaltungsrechts – Gr<strong>und</strong>strukturen<br />

des Privatisierungsfolgerechts der Post <strong>und</strong> Telekommunikation, AöR 124<br />

(1999), S. 237f.<br />

3 G.F. Schubert, in: König/Benz, Privatisierung <strong>und</strong> staatliche Regulierung,<br />

Baden-Baden 1997, S. 539 f.<br />

4 So: Möschel, MMR 2007, S. 243.<br />

31


32<br />

Schwerpunkte<br />

diesen Märkten aus. 5 Folglich ist die asymmetrische Regulierung in diesen<br />

Wirtschaftssektoren notwendig, um langfristig die Deregulierung des In-<br />

cumbent 6 zu bewirken.<br />

<strong>Die</strong>ser ordnungspolitische Paradigmenwechsel beruht auf der ökonomi-<br />

schen <strong>und</strong> politischen Einsicht, dass in den volkswirtschaftlich bedeuten-<br />

den netzgeb<strong>und</strong>enen Wirtschaftssektoren, wie der Telekommunikation,<br />

aber auch der Post- <strong>und</strong> Energiewirtschaft sowie der Eisenbahn durch<br />

staatliche Regulierungsmaßnamen nachhaltiger Wettbewerb geschaffen<br />

werden kann.<br />

Bei „Regulierung“ handelt es sich folglich um ein Ordnungsinstrument des<br />

leistungsgewährenden Staates, welches im Wirtschaftsverwaltungsrecht zu<br />

einem besonderen Begriff <strong>für</strong> die moderne staatliche Steuerung liberali-<br />

sierter Wirtschaftszweige geworden ist 7 .<br />

II. ZWISCHENERGEBNIS<br />

Eine derartige staatliche Steuerung wird im Finanzsektor jedoch nicht an-<br />

gestrebt. Hierbei handelt es sich lediglich um die Bestrebung, neue Rah-<br />

menbedingen <strong>und</strong> neue Aufsichtsbehörden zu schaffen. Schaffung von<br />

Wettbewerb ist nicht Gegenstand dieser Maßnahmen.<br />

Daher ist der Begriff der wirtschaftlichen Regulierung auf Netzindustrien<br />

beschränkt.<br />

B. WETTBEWERB DURCH LIBERALISIERUNG, PRIVATISIE-<br />

RUNG UND REGULIERUNG<br />

Warum wird in den Netzindustrien zusätzlich zur Liberalisierung <strong>und</strong><br />

Privatisierung eine hoheitlich gesteuerte Regulierung vorgenommen?<br />

I. LIBERALISIERUNG<br />

Liberalisierung bezeichnet allgemein die Rücknahme oder Abschwächung<br />

bisher bestehender gesetzlicher Regelungen oder anderweitiger Verordnun-<br />

gen <strong>und</strong> Verhaltensvorschriften. 8<br />

<strong>Die</strong> Liberalisierung der oben bereits aufgeführten Netzindustrien führt<br />

allgemein zu der Aufhebung der in diesen Wirtschaftssektoren typischen<br />

Monopolrechte, welche in erster Linie mit der Daseinsvorsorge gerecht-<br />

fertigt wurden.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich werden Wirtschaftssektoren liberalisiert, um dort Wettbe-<br />

werb zu schaffen.<br />

II. PRIVATISIERUNG<br />

Privatisierung bezeichnet die Veräußerung <strong>und</strong> Umwandlung hoheitlichen<br />

5 Möschel, in: MMR 2007, S. 343; Holznagel/Enaux/Nienhaus, Telekommunikationsrecht,<br />

2. Aufl., Rn. 138f.<br />

6 Das ehemalige Monopolunternehmen.<br />

7 Bullinger, in: DVBL 2003, S. 1357.<br />

8 Schubert, Klaus/Martina Klein, Das Politiklexikon, 4.Aufl.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Vermögens in Privateigentum. 9 So sieht Art. 87f II GG vor, dass Telekom-<br />

munikationsdienstleistungen in privatwirtschaftlicher Form durch die<br />

Deutsche Telekom AG <strong>und</strong> andere Anbieter erbracht werden, so genanntes<br />

Privatisierungsgebot. 10<br />

III. WETTBEWERB ALS GEMEINSAMES ZIEL<br />

<strong>Die</strong> Ziele der Wirtschaftsregulierung sowie der Liberalisierung sind iden-<br />

tisch, die Schaffung von nachhaltigem Wettbewerb in den jeweiligen Wirt-<br />

schaftssektoren.<br />

IV. WETTBEWERB<br />

Wettbewerb bezeichnet allgemein das Konkurrieren, also ein antagonis-<br />

tisches Verhalten 11 verschiedener Unternehmen um die Gunst ihrer Abneh-<br />

mer bzw. ihrer Lieferanten. 12 Dabei sind die Begriffe „Wettbewerb“ <strong>und</strong><br />

„Konkurrenz“ nach dem Klassiker der Ökonomie, Adam Smith, im Sinne<br />

einer Wettkampfrivalität - vergleichbar mit der des sportlichen Wettstreits - 13<br />

zu verstehen, die aber ihrerseits von gewissen Bedingungen abhängt. 14<br />

Hintergr<strong>und</strong> dieser Bestrebung ist die Erkenntnis, dass ein auf dem<br />

Wettbewerbsprinzip basierendes Wirtschaftssystem aufgr<strong>und</strong> des imma-<br />

nenten Konkurrenzdrucks <strong>und</strong> der damit einhergehenden Anreizmecha-<br />

nismen das effektivste Wirtschaftssystem ist, um wirtschaftliche Ziele <strong>und</strong><br />

vor allem gemeinschaftlichen Wohlstand <strong>und</strong> technischen Fortschritt zu<br />

erreichen.<br />

1. Ex-POST AUFSICHT<br />

Auf einem lediglich liberalisierten Wirtschaftssektor halten sich der deut-<br />

sche Staat <strong>und</strong> die EU aus dem Konkurrieren der einzelnen Unternehmen<br />

auf einem bestimmten Markt heraus. Das Kartellrecht des B<strong>und</strong>es, dass<br />

GWB <strong>und</strong> das der EU, der AEUV, verfolgen das Ziel, wirksamen Wettbe-<br />

werb zu schützen. Dabei geht es nur um die Erhaltung einer Plattform, dem<br />

so genannten level playing field <strong>für</strong> antagonistisches Konkurrenzverhalten<br />

<strong>und</strong> darum, die Fairness der Wettbewerber im Konkurrenzkampf durch<br />

kompetente Wettbewerbsbehörden zu beaufsichtigen. Es erfolgt also<br />

lediglich eine Ex-post Aufsicht durch die Kartellbehörden. <strong>Die</strong> staatlichen<br />

„Schiedsrichter“ sind zwar mit geeigneten Sanktionsmöglichkeiten 15 <strong>für</strong><br />

den Fall von Regelverstößen ausgestattet, sie sind aber nicht <strong>für</strong> die<br />

Schaffung bestimmter - wirtschaftspolitisch erwünschter - Marktzustände<br />

zuständig. 16<br />

9 Schubert, Klaus/Martina Klein, Das Politiklexikon, 4.Aufl.<br />

10 Holznagel/Enaux/Nienhaus, Telekommunikationsrecht, 2. Aufl., Rn. 554.<br />

11 I. Schmidt, Wettbewerbspolitik <strong>und</strong> Kartellrecht, 8.Aufl., S.1f.<br />

12 Der Vollständigkeit halber ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine allgemein<br />

akzeptierte Wettbewerbsdefinition aber nicht existiert. Vgl. dazu: Herzdina,<br />

Wettbewerbspolitik, 5.Aufl., S. 96; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht,<br />

2. Aufl., § 2 Rn. 75.<br />

13 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., § 2 Rn. 94;<br />

Herzdina, Wettbewerbspolitik, 5.Aufl., S. 88.<br />

14 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 1 Rn. 18.<br />

15 Z.B. mit der Möglichkeit zur Erteilung von Abstellungsverfügungen, Bußgeldern,<br />

Erlösabschöpfungen, usw.<br />

16 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 1 Rn. 27.


Sowohl das deutsche als auch das europäische Kartellrecht wenden sich<br />

zwar gegen den Missbrauch von Marktmacht, aber nicht gegen die Inneha-<br />

bung einer significant market power (SMP) Stellung als solche.<br />

2. Ex-ANTE REGULIERUNG<br />

Im Gegensatz zur Ex-post Aufsicht der Kartellbehörden wirkt die Regulie-<br />

rungsbehörde, die B<strong>und</strong>esnetzagentur, durch Wirtschaftsregulierung,<br />

Ex-ante auf das SMP-Unternehmen in dem konkreten netzgeb<strong>und</strong>enen<br />

Wirtschaftssektor auf einen ganz bestimmten Markt ein.<br />

3. RECHTFERTIGUNG DER REGULIERUNG<br />

a) <strong>Die</strong> ökonomische Erkenntnis<br />

Das staatliche Ordnungsinstrument der Wirtschaftsregulierung wird in<br />

einer freien Marktwirtschaft im Gegensatz zur Zentralverwaltungswirt-<br />

schaft 17 nur ganz punktuell eingesetzt, um Wettbewerb auf bestimmten<br />

netzgeb<strong>und</strong>enen Wirtschaftssektoren zu schaffen, wo er sonst durch bloße<br />

Liberalisierung <strong>und</strong> Privatisierung nicht entstehen würde. <strong>Die</strong> sektorspezi-<br />

fische Regulierung wird daher als notwendige ökonomische Absicherung<br />

der Liberalisierung zur Schaffung eines level playing field verstanden.<br />

Ausschlaggebend <strong>für</strong> diese Regulierungsauffassung ist die Erkenntnis, dass<br />

in allen netzgeb<strong>und</strong>enen Wirtschaftssektoren die Infrastruktur des eta-<br />

blierten Anbieters eine so genannte wesentliche Einrichtung darstellt. Es<br />

handelt sich dabei um natürliche Monopole. Ein natürliches Monopol im<br />

Sinne der ökonomischen Monopoltheorie liegt dann vor, wenn ein einziges<br />

Unternehmen aufgr<strong>und</strong> seiner Größen- (economies of scale) <strong>und</strong> Verb<strong>und</strong>s-<br />

vorteile (economies of scope) die am Markt nachgefragte Menge eines Gutes<br />

oder einer <strong>Die</strong>nstleistung zu niedrigeren Kosten produzieren kann, als von<br />

jeder größeren Anzahl von Unternehmen. 18<br />

Ein nachhaltig funktionsfähiger Wettbewerb auf den verschiedenen Wert-<br />

schöpfungsstufen, etwa Erbringung von <strong>Die</strong>nstleistungen, Aufbau eigener<br />

Infrastrukturen bzw. Erzeugung, Beschaffung, Handel <strong>und</strong> Verkauf kann<br />

in diesen leistungsgeb<strong>und</strong>enen Sektoren nur entstehen, wenn die Wettbe-<br />

werber zur Netzinfrastruktur als wesentliche Einrichtung Zugang zu wett-<br />

bewerbsfähigen Konditionen erhalten.<br />

b) <strong>Die</strong> besondere Rolle der B<strong>und</strong>esnetzagentur<br />

<strong>Die</strong> B<strong>und</strong>esnetzagentur hat die gegenseitigen Interessen im Hinblick auf<br />

die Regulierungsziele auszubalancieren <strong>und</strong> vor allem ihrem verfassungs-<br />

rechtlichen Auftrag der Daseinsvorsorge gerecht zu werden. „Der erfüllen-<br />

de Wohlfahrts- <strong>und</strong> Interventionsstaat wird durch den ermöglichenden<br />

Gewährleistungsstaat überlagert <strong>und</strong> teilweise ersetzt.“ 19<br />

17 Während in marktwirtschaftlichen Systemen die Befugnis zur Teilnahme<br />

am Wirtschaftsverkehr eine nicht weiter begründungsbedürftige Regel ist,<br />

bleibt sie in planwirtschaftlichen Systemen gr<strong>und</strong>sätzlich dem Staat vorbehalten.<br />

Vgl. dazu: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht,<br />

2. Aufl., § 2 Rn.73.<br />

18 Borrmann/Frisinger, Markt <strong>und</strong> Regulierung, S. 101 ff., 342ff.; Howe/<br />

Rasmussen, Public Utility Economics and Finance, Englewood Cliffs, 1982,<br />

S. 19ff.<br />

19 Schuppert, Der moderne Staat als Gewährleistungsstaat, in: Schröter,<br />

Empirische Policy <strong>und</strong> Verwaltungsforschung, 2001, S. 399.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Schwerpunkte<br />

<strong>Die</strong> Maßnahmen der B<strong>und</strong>esnetzagentur müssen effizient sein, Raum <strong>für</strong><br />

Flexibilität lassen <strong>und</strong> möglichst geringe Eingriffsintensität aufweisen. <strong>Die</strong><br />

Sicherstellung der Entwicklungsfähigkeit <strong>und</strong> die Innovationskraft des<br />

einseitig regulierten SMP-Unternehmens muss bei den regulatorischen<br />

Entscheidungen genauso berücksichtigt werden wie die Stärkung der Wett-<br />

bewerbsfähigkeit alternativer Anbieter einerseits <strong>und</strong> der Bedarf der End-<br />

verbraucher an Netzdiensten mit ausgewogenem Preisleistungsverhältnis<br />

andererseits. Der Spagat, den die B<strong>und</strong>esnetzagentur hinbekommen muss,<br />

bezieht sich auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wirtschaftlich ange-<br />

messenen Entgelten <strong>und</strong> einer guten Netzqualität <strong>und</strong> Netzdichte.<br />

V. ZWISCHENERGEBNIS<br />

Etappenziel der Wirtschaftsregulierung ist demnach die Schaffung eines<br />

level playing field, um dann die asymmetrische Regulierung stetig zurück-<br />

zufahren, mit dem Ziel der vollständigen Deregulierung <strong>und</strong> der Aufnah-<br />

me des konkreten Marktes in die allgemeine Wettbewerbsaufsicht des<br />

B<strong>und</strong>eskartellamtes.<br />

C. ENDERGEBNIS<br />

Wirtschaftsregulierung <strong>und</strong> Liberalisierung sind daher keine widerstrei-<br />

tenden ordnungspolitisch eingeleiteten Prozesse. Ganz im Gegenteil, sie<br />

gehen Hand in Hand, um Wettbewerb auch auf netzgeb<strong>und</strong>enen Wirt-<br />

schaftssektoren zu ermöglichen, wo er durch reine Liberalisierung <strong>und</strong><br />

Privatisierung aufgr<strong>und</strong> der gegebenen Marktstruktur sonst nicht entstehen<br />

würde.<br />

Beides bedingt sich daher gegenseitig, Liberalisierung <strong>und</strong> Privatisierung<br />

schaffen in netzgeb<strong>und</strong>enen Wirtschaftssektoren weder eigene Märkte<br />

noch Wettbewerb <strong>und</strong> müssen daher durch asymmetrische sektorspezifi-<br />

sche Regulierung begleitet werden, um einen fruchtbaren Nährboden <strong>für</strong><br />

nachhaltigen Wettbewerb zu schaffen.<br />

Wir suchen Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die Lust<br />

haben, an der Gestaltung unserer Publikationen mitzuwirken. Der<br />

Aufgabenbereich umfasst u.a die Einwerbung von Beiträgen <strong>und</strong> das<br />

Entwickeln eigener Ideen <strong>für</strong> Titelthemen oder sonstige Beiträge.<br />

Redakteure (m/w)<br />

Berwerbungen bitte per E-Mail an Mitarbeit@<strong>iur</strong>ratio.de<br />

33


34<br />

Fallbearbeitung<br />

SACHVERHALT<br />

Anfänger im Zivilrecht: „Fit in den Sommer“<br />

von Rechtsanwalt Dr. Peter Balzer <strong>und</strong> Volker Kindler (Bonn)<br />

Dr. Peter Balzer (li.), Rechtsanwalt sowie Fachanwalt <strong>für</strong> Bank- <strong>und</strong> Kapitalmarktrecht <strong>und</strong> Partner der Kanzlei Balzer Kühne<br />

Lang Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mit Sitz in Bonn. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Siegburg, Autor ei-<br />

ner Fallsammlung zum Schuldrecht <strong>und</strong> zahlreicher Fachveröffentlichungen im Bank- <strong>und</strong> Kapitalmarktrecht.<br />

Volker Kindler (re.) hat in Bonn Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt „Bank- <strong>und</strong> Kapitalmarktrecht“ <strong>stud</strong>iert, ist als Tutor im<br />

Zivilrecht tätig <strong>und</strong> arbeitet als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter <strong>für</strong> die Kanzlei Balzer Kühne Lang in Bonn.<br />

F betreibt in Bonn ein großes Fitness<strong>stud</strong>io. A ist dort seit dem Jahr 2007<br />

Mitglied, zuletzt hat er im August 2010 seine Mitgliedschaft (Monatsbei-<br />

trag € 29,-) um ein weiteres Jahr bis zum 31.7.2011 verlängert. Am Morgen<br />

des 15.9.2010 begibt sich A in das Studio des F, um sein regelmäßiges Aus-<br />

dauertraining zu absolvieren. Nachdem er sich wie üblich kurz auf dem<br />

Laufband aufgewärmt hat, begibt sich A zu den Rudergeräten, um hier sein<br />

Training fortzusetzen. Leider ist das Rudergerät, das A <strong>für</strong> sein Training<br />

auswählt, defekt, da die Befestigung der Zugkette am Schwungrad abgeris-<br />

sen ist. Als A zum ersten Ruderzug ausholt, fällt er mangels Widerstands<br />

rückwärts vom Rollsitz herunter <strong>und</strong> zieht sich eine schmerzhafte Schulter-<br />

prellung zu, die eine ärztliche Behandlung erforderlich macht. Es stellt sich<br />

heraus, dass bereits am Vorabend das Studiomitglied S den Mitarbeiter M<br />

des F, der <strong>für</strong> die Überwachung <strong>und</strong> Instandhaltung der Geräte zuständig<br />

ist, über den Defekt des Rudergerätes informiert hatte. M hatte sich vorge-<br />

nommen, das Rudergerät zur Reparatur in den Keller zu bringen, dies aber<br />

in der Folge aufgr<strong>und</strong> der Hektik des Studiobetriebs wieder vergessen. Als<br />

A hiervon erfährt, macht er dem F Vorhaltungen, dass er sich nicht um die<br />

Sicherheit seiner Mitglieder kümmere. F ist der Meinung, dass er <strong>für</strong> das<br />

Fehlverhalten des M nichts könne. Er verweist auf eine schriftliche Arbeits-<br />

anweisung, die allen Mitarbeitern (<strong>und</strong> damit auch dem M) zur Kenntnis<br />

gebracht worden sei. Dort steht ausdrücklich, dass defekte Geräte unver-<br />

züglich entsprechend zu kennzeichnen <strong>und</strong> nach Möglichkeit aus dem<br />

Trainingsbereich zu entfernen sind. F kontrolliert auch regelmäßig, ob sich<br />

seine Mitarbeiter an diese Vorgabe halten; bei M hat es in der Vergangen-<br />

heit keinerlei Beanstandungen gegeben.<br />

Nach seiner Verletzung hat F das Vertrauen in sein Fitness<strong>stud</strong>io verloren<br />

<strong>und</strong> beschließt, nun zu Hause zu trainieren. Aus diesem Gr<strong>und</strong> bestellt er<br />

am 9.10.2010 beim Gerätehersteller G einen Crosstrainer „LifeFitness X7<br />

Advanced“ zum Preis von € 4.999,-. <strong>Die</strong> Lieferung soll spätestens am<br />

29.02.2011 erfolgen, da F das Gerät ab März 2011 in seinen erweiterten<br />

Räumlichkeiten einsetzen will. Am 15.03.2011 teilt G dem F schriftlich mit,<br />

dass er infolge gestiegener Lohn- <strong>und</strong> Materialkosten den Preis <strong>für</strong> den<br />

Crosstrainer auf € 5.499,- anheben müsse. F besteht auf Lieferung des<br />

Gerätes zum vereinbarten Preis von € 4.999,-. Hierzu ist G nicht bereit, er<br />

teilt F per Fax vom 17.03.2011 mit, dass dieser sich dann das Gerät anderweitig<br />

beschaffen müsse. F gelingt es erst am 20.03.2011, beim Händler H<br />

einen Crosstrainer „LifeFitness X7 Advanced“ zu erwerben, <strong>für</strong> den er<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

allerdings € 5.199,- aufwenden muss. Mit Schreiben vom 22.03.2011 nimmt<br />

F den G auf Ersatz der Mehrkosten <strong>für</strong> die Anschaffung des Crosstrainers<br />

in Höhe von € 200,- in Anspruch. A verlangt weiter von F <strong>und</strong> M Ersatz der<br />

Behandlungskosten von € 300,- sowie ein angemessenes Schmerzensgeld<br />

von € 100,-.<br />

Wie ist die Rechtslage? Zu prüfen sind nur Vorschriften des BGB.<br />

LöSUNG<br />

1. TEIL: DAS DEFEKTE RUDERGERäT<br />

A. ANSPRüCHE DES A GEGEN F AUF ZAHLUNG VON € 400,-<br />

I. ANSPRUCH DES A GEGEN F AUS §§ 280 ABS. 1, 241 ABS. 2 BGB<br />

A könnte gegen F einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 400,aus<br />

§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB haben.<br />

1. SCHULDVERHäLTNIS<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> einen solchen Anspruch ist zunächst das Bestehen eines<br />

Schuldverhältnisses zwischen A <strong>und</strong> F. Ein Schuldverhältnis besteht dann,<br />

wenn die eine Partei von der anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen<br />

kann, § 241 Abs. 1 BGB. Zwischen A <strong>und</strong> F bestand, nachdem A seine<br />

Mitgliedschaft bis zum 31.7.2008 verlängert hatte, ein Fitness<strong>stud</strong>iovertrag<br />

(typengemischter Vertrag mit miet- <strong>und</strong> dienstvertraglichen Elementen1 ,<br />

§§ 535, 611 BGB). Das erforderliche Schuldverhältnis liegt daher vor.<br />

2. PFLICHTVERLETZUNG<br />

Weiterhin müsste F eine aus diesem Schuldverhältnis resultierende Pflicht<br />

verletzt haben, § 280 Abs. 1 S. 1 BGB. Im Rahmen des bestehenden Fitness<strong>stud</strong>iovertrages<br />

traf F nach § 241 Abs. 2 BGB die (Neben-) Pflicht, alle erforderlichen<br />

<strong>und</strong> zumutbaren Maßnahmen zu veranlassen, um Schädigungen<br />

der Mitglieder zu vermeiden2 . In diesem Fall besteht diese darin, dass,<br />

sofern bei einzelnen Geräten ein Defekt auftritt, diese unverzüglich zu<br />

kennzeichnen sind, damit Mitglieder bei der Benutzung nicht zu Schaden<br />

kommen. <strong>Die</strong>se Sorgfaltspflicht könnte auf Gr<strong>und</strong> der unterbliebenen<br />

Kennzeichnung bzw. Entfernung des defekten Rudergerätes aus dem<br />

Trainingsbereich verletzt worden sein.<br />

1 LG Darmstadt, NJW-RR 1991, 1015.<br />

2 Katzenstein, in: Jura 2004, 800 ff; Mangel, in: Jauernig, § 241 Rn. 10.


Bearbeiterhinweis: Im Folgenden ist es wichtig zu erkennen, dass die<br />

Pflichtverletzung gerade nicht durch F sondern durch seinen Mitarbeiter M<br />

erfolgte. <strong>Die</strong> Zurechnung erfolgt dann über § 278 S. 1 BGB bei einem<br />

Erfüllungsgehilfen 3 . <strong>Die</strong>s dient dazu, dass sich derjenige, der sich der<br />

Arbeitsleistung Dritter zur Erfüllung eigener Verpflichtungen bedient,<br />

hier<strong>für</strong> auch so haften soll, als hätte er die Verpflichtungen selbst übernom-<br />

men 4 . § 278 BGB ist somit eine bloße Zurechnungsnorm, <strong>und</strong> keine eigene<br />

Anspruchsgr<strong>und</strong>lage. Anders jedoch bei einem Verrichtungsgehilfen. Hier<br />

handelt es sich bei § 831 um eine eigene Anspruchsgr<strong>und</strong>lage 5 .<br />

Zwar ist F hier<strong>für</strong> nicht selbst unmittelbar verantwortlich, ihm könnte aber<br />

das sorgfaltswidrige Verhalten seines Mitarbeiters M nach § 278 S. 1 BGB<br />

zuzurechnen sein. Dann müsste M Erfüllungsgehilfe des F gewesen sein.<br />

a) Erfüllungsgehilfe ist jede Person, der sich der Schuldner zur Erfüllung<br />

seiner Verpflichtungen aus dem Schuldverhältnis bedient 6 . M war Erfüllungs-<br />

gehilfe i.S.d. § 278 S. 1 BGB, da er bei der Überwachung <strong>und</strong> Instandhaltung<br />

der Trainingsgeräte mit Wissen <strong>und</strong> Wollen des F in dessen Pflichtenkreis<br />

tätig wurde <strong>und</strong> daher auch die Sorgfaltspflichten des F zu erfüllen hatte.<br />

b) Gegen die ihm übertragenen Sorgfaltspflichten hat M verstoßen, indem<br />

er entgegen der Arbeitsanweisung nicht da<strong>für</strong> sorgte, dass die Mitglieder<br />

durch das defekte Rudergerät nicht gefährdet wurden.<br />

c) Der Sorgfaltspflichtverstoß des M erfolgte auch in Ausübung der ihm<br />

von F übertragenen Pflichten <strong>und</strong> nicht nur bei Gelegenheit 7 .<br />

3. VERTRETENMüSSEN / VERSCHULDEN<br />

M müsste die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben. Der Schuldner hat<br />

Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit zu vertreten, § 276 Abs. 1 BGB. <strong>Die</strong> Pflichtver-<br />

letzung des M kann vorliegend durch die unterbliebene Kennzeichnung<br />

bzw. Entfernung des defekten Rudergerätes, die auch sorgfaltswidrig <strong>und</strong><br />

damit fahrlässig i.S.d. § 276 Abs. 2 BGB 8 erfolgte, erblickt werden. <strong>Die</strong>ses ist<br />

dem F nach § 278 S. 1 BGB zuzurechnen.<br />

Bearbeiterhinweis: Nach § 280 Abs. 1 S.2 BGB findet eine Beweislastumkehr<br />

statt. 9 „<strong>Die</strong>s gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu<br />

vertreten hat“. <strong>Die</strong> Beweislast trifft damit den Schuldner <strong>und</strong> nicht, wie<br />

sonst üblich, den Gläubiger.<br />

4. SCHADEN<br />

Rechtsfolge der schuldhaften Pflichtverletzung ist, dass F dem A den hier-<br />

aus entstehenden Schaden ersetzen muss. Der Umfang des zu leistenden<br />

Schadensersatzes bestimmt sich nach den §§ 249 ff. BGB. <strong>Die</strong> Schadens-<br />

berechnung erfolgt nach der Differenzhypothese, es ist also die Ver-<br />

mögenslage nach der Pflichtverletzung mit der Vermögenslage, die ohne<br />

die Pflichtverletzung bestehen würde, zu vergleichen 10 . Nach § 249 Abs. 2 S. 1<br />

3 zur Vertiefung: Armbrüster, in: Gr<strong>und</strong>fälle zum Schadensrecht, JuS 2007, 605.<br />

4 BGHZ 95, 128, 132 = BGH NJW 1985, 1939.<br />

5 Sprau in: Palandt, § 831 Rn. 1.<br />

6 Stadler, in: Jauernig, § 278 Rn. 6; Schmidt-Kessel, in Prütting/Wegen/<br />

Weinreich, § 278 Rn. 7 f.<br />

7 Gr<strong>und</strong>mann, in: MüKo § 278 Rn. 46.<br />

8 Vgl. ausführlich zum Begriff der Fahrlässigkeit: Lorenz, in: JuS 2007, 611.<br />

9 Ernst in: MüKo § 280 Rn. 27 f.<br />

10 Teichmann in: Palandt, § 249 Rn. 6.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Fallbearbeitung<br />

BGB kann A somit Ersatz der Behandlungskosten von € 300,- verlangen.<br />

Weiterhin hat er gem. § 253 Abs. 2 BGB zudem einen Anspruch auf ein<br />

angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von € 100,- 11 .<br />

Ergebnis:<br />

A hat somit gegen F einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 400,-<br />

aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.<br />

II. ANSPRUCH DES A GEGEN F AUS § 831 ABS. 1 S. 1 BGB<br />

A könnte gegen F zudem einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von<br />

€ 400,- aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB haben.<br />

1. Dann müsste M Verrichtungsgehilfe des F gewesen sein <strong>und</strong> bei Aus-<br />

führung der Verrichtung dem A rechtswidrig einen Schaden zugefügt haben.<br />

Verrichtungsgehilfe ist, wer von einem anderen (dem sog. Geschäftsherrn),<br />

von dem er weisungsabhängig ist, mit einer bestimmten Tätigkeit betraut<br />

worden ist 12 . Vorliegend war M als Mitarbeiter weisungsabhängig <strong>und</strong> übte<br />

bei der Überwachung <strong>und</strong> Instandhaltung der Trainingsgeräte eine ihm<br />

von F übertragene Tätigkeit aus. Er war damit Verrichtungsgehilfe des F i. S.<br />

von § 831 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

2. Weiterhin müsste er bei Ausführung der Verrichtung <strong>und</strong> nicht nur bei<br />

Gelegenheit gehandelt haben. 13<br />

Als er die Kennzeichnung bzw. die Entfernung des defekten Rudergerätes<br />

entgegen der Arbeitsanweisung unterließ, handelte M in Ausführung der<br />

ihm von F übertragenen Verrichtung.<br />

3. Es müsste auch eine rechtswidrige Schädigung des A durch M vorliegen14 .<br />

<strong>Die</strong>s ist durch die zugefügten Verletzungen des A der Fall. Indem M die<br />

Kennzeichnung bzw. die Entfernung des defekten Rudergerätes unterließ,<br />

setzte er eine Ursache da<strong>für</strong>, dass A rückwärts vom Rollsitz herunterfiel<br />

<strong>und</strong> sich eine Schulterprellung zuzog. Hieraus resultierte ein Schaden des A<br />

in Höhe von € 400,- (Behandlungskosten von € 300,-; Schmerzensgeld in<br />

Höhe von € 100,-).<br />

4. Nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB tritt die Ersatzpflicht aber nicht ein, wenn den<br />

Geschäftsherrn kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft15 .<br />

Ein solches Verschulden wird nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB gr<strong>und</strong>sätzlich vermutet.<br />

Da M ein entsprechender Fehler in der Vergangenheit indes noch<br />

nie unterlaufen ist, muss davon ausgegangen werden, dass F ihn sorgfältig<br />

ausgewählt hat. Zudem hat F auch regelmäßig kontrolliert, ob M die<br />

Arbeitsanweisung einhielt. F kann sich somit nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB<br />

entlasten (exkulpieren), sodass eine Schadensersatzpflicht gegenüber A<br />

nicht besteht.<br />

11 <strong>Die</strong> Höhe des Schmerzensgeldes ist im Sachverhalt im Regelfall immer angegeben.<br />

In der Praxis richtet sich die Berechnung nach der Art <strong>und</strong> der Schwere<br />

der Verletzung, vgl. hierzu BGHZ 138, 391. Auch gibt es verschiedene<br />

Schmerzensgeldtabellen, u.a. vom ADAC, die einen ersten Anhaltspunkt liefern<br />

können. Vgl. weiterhin die Übersicht bei Jeager/Luckey, in: VRR 2010, 84.<br />

12 Sprau in: Palandt, § 831 Rn. 5; Wagner in: MüKo § 831 Rn. 14.<br />

13 Teichmann in: Jauernig, § 831 Rn. 8.<br />

14 Sprau in: Palandt, § 831 Rn. 8.<br />

15 Wagner, in: MüKo § 831 Rn. 33 f.<br />

35


36<br />

Fallbearbeitung<br />

Ergebnis:<br />

A hat daher gegen F keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von<br />

€ 400,- aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

B. ANSPRUCH DES A GEGEN M AUF ZAHLUNG VON € 400,-<br />

A könnte gegen M einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 400,-<br />

aus § 823 Abs. 1 BGB haben.<br />

1. RECHTSGUTSVERLETZUNG<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> das Bestehen dieses Anspruchs ist zunächst, dass M ein<br />

durch § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut des A verletzt hat. § 823 I<br />

schützt u.a. den Körper <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heit eines Menschen. Durch den<br />

Sturz des A vom Rollsitz ist sein Körper sowie seine Ges<strong>und</strong>heit verletzt<br />

worden, sodass eine Beeinträchtigung eines seiner Rechtsgüter vorliegt.<br />

2. ZURECHENBARKEIT DER RECHTSGUTSVERLETZUNG<br />

<strong>Die</strong> Handlung des M führt nur dann zu einer Rechtsgutverletzung, wenn<br />

diese ihm objektiv zugerechnet werden kann 16 . <strong>Die</strong>s setzt zunächst voraus,<br />

dass die Handlung adäquat kausal <strong>für</strong> die Rechtsgutsverletzung geworden<br />

ist 17 . Der Sturz ist darauf zurückzuführen, dass M das defekte Rudergerät<br />

nicht gekennzeichnet bzw. aus dem Trainingsbereich entfernt hat. M hat<br />

daher durch sein Verhalten die Ursache <strong>für</strong> die Rechtsgutverletzung des A<br />

gesetzt.<br />

3. VERTRETENMüSSEN<br />

M müsste die Rechtsgutverletzung des A ferner zu vertreten haben, d.h. er<br />

müsste fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt haben, § 276 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />

Da M trotz Kenntnis des Defekts am Rudergerät die Kennzeichnung bzw.<br />

die Entfernung in der Folge vergessen hat, hat er die im Verkehr erforderli-<br />

che Sorgfalt außer Acht gelassen, sodass die Rechtsgutverletzung nach<br />

§ 276 Abs. 2 BGB fahrlässig <strong>und</strong> damit schuldhaft erfolgt ist.<br />

4. RECHTSWIDRIGKEIT<br />

<strong>Die</strong> Rechtsgutsverletzung müsste auch rechtswidrig sein. <strong>Die</strong>s ist immer<br />

dann der Fall, wenn keine Rechtfertigungsgründe vorliegen 18 . Auch die<br />

Rechtswidrigkeit der Rechtsgutverletzung ist gegeben, da keine Recht-<br />

fertigungsgründe zu Gunsten des M eingreifen.<br />

5. SCHADEN<br />

Als Rechtsfolge ordnet § 823 Abs. 1 BGB eine Haftung auf Schadensersatz<br />

an, dessen Umfang sich wiederum nach den §§ 249 ff. BGB bestimmt. 19<br />

Bearbeiterhinweis: An dieser Stelle können Sie, da sich keine Abweichungen<br />

zu der oben vorgenommenen Berechnung ergeben, nach oben verweisen.<br />

Daher beträgt der ersatzfähige Schaden des A € 400,-.<br />

Ergebnis:<br />

A hat daher gegen M einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von<br />

€ 400,- aus § 823 Abs. 1 BGB.<br />

16 Teichmann, in: Jauernig, § 823 Rn. 20.<br />

17 BGHZ 41, 123.<br />

18 Wagner, in: MüKo § 823 Rn. 304; BGHZ 122, 6 f.<br />

19 Sprau, in: Palandt, vor § 823 Rn 17.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

2. TEIL: DER CROSSTRAINER<br />

A. ANSPRUCH DES F GEGEN G AUF SCHADENSERSATZ IN HöHE<br />

VON € 200,-<br />

F könnte gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in<br />

Höhe von € 200,- aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB haben.<br />

1. SCHULDVERHäLTNIS<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> einen solchen Anspruch ist zunächst das Bestehen eines<br />

Schuldverhältnisses zwischen F <strong>und</strong> G. Zwischen F <strong>und</strong> G ist infolge der<br />

Bestellung des Crosstrainers „LifeFitness X7 Advanced“ zum Preis von<br />

€ 4.999,- ein Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB zustande gekommen. Ein<br />

Schuldverhältnis zwischen F <strong>und</strong> G bestand daher.<br />

2. PFLICHTVERLETZUNG<br />

Weiterhin müsste G eine aus diesem Schuldverhältnis resultierende Pflicht<br />

verletzt haben, § 280 Abs. 1 S. 1 BGB 20 . G hat entgegen der vertraglichen<br />

Absprachen den bestellten Crosstrainer nicht (spätestens) am 29.02.2011<br />

geliefert. Eine Pflichtverletzung des G liegt daher vor.<br />

3. VERSCHULDEN<br />

Das nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche Verschulden wird vermutet 21 ;<br />

G hat sich nicht exkulpiert.<br />

4. FRISTSETZUNG<br />

Für einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung müssen weiterhin die<br />

Voraussetzungen des § 281 BGB erfüllt sein. Nach § 281 Abs. 1 S. 1 BGB ist<br />

insoweit erforderlich, dass der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine an-<br />

gemessene Nachfrist zur Leistung bestimmt. Eine solche Nachfrist hat F<br />

dem G indes nicht eingeräumt.<br />

Allerdings ist die Setzung einer Nachfrist nach § 281 Abs. 2 BGB u. a. ent-<br />

behrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft <strong>und</strong> endgültig verwei-<br />

gert. Vorliegend hat G dem F sowohl mit Schreiben vom 15.3.2011 als auch<br />

mittels Telefax vom 2.4.2011 zu erkennen gegeben, dass er den Vertrag nicht<br />

wie vereinbart erfüllen wird, sondern auf eine Änderung des Vertrages<br />

in Form einer Preiserhöhung besteht. Hierin kann eine Erfüllungs-<br />

verweigerung 22 des G gesehen werden, sodass die Setzung einer Nachfrist<br />

durch F nach § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich war.<br />

5. SCHADEN<br />

<strong>Die</strong> Tatbestandsvoraussetzungen nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB sind mit-<br />

hin erfüllt, F hat gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz statt der<br />

Leistung, dessen Höhe sich nach den §§ 249 ff. BGB bestimmt. G muss den<br />

F daher so stellen, als hätte er den bestellten Crosstrainer vereinbarungsge-<br />

mäß zum Preis von € 4.999,- geliefert. Dann wäre es dem F erspart geblie-<br />

ben, sich den Crosstrainer bei H zum Preis von € 5.199,- besorgen zu müs-<br />

sen. Der ersatzfähige Schaden des F beläuft sich demnach auf € 200,-.<br />

Ergebnis:<br />

F hat daher gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung<br />

in Höhe von € 200,- aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB.<br />

20 Stadler, in: Jauernig, § 280 Rn. 58.<br />

21 vgl. die Ausführungen unter A I c).<br />

22 Ernst, in: MüKo § 281 Rn. 50 ff.


SACHVERHALT 1<br />

Der in Gießen lebende A ist ein Anhänger der Anti-Atomkraft-Bewegung.<br />

Als in der Vergangenheit Atommüll in das Zwischenlager nach Gorleben<br />

transportiert wurde, beteiligte er sich an den Demonstrationen <strong>und</strong> trat<br />

mehrfach strafrechtlich in Erscheinung. Im B<strong>und</strong>eszentralregister sind<br />

einige rechtskräftige Verurteilungen eingetragen. In der polizeilichen<br />

Gewaltdatei „Gewalttäter-Links“ wird er nicht mehr geführt.<br />

Das Polizeipräsidium Mittelhessen (PP) be<strong>für</strong>chtet bei dem im Oktober 2010<br />

geplanten Castortransport, der über Hessen nach Gorleben erfolgen soll, un-<br />

kontrollierbare Auseinandersetzungen zwischen der Polizei <strong>und</strong> den Demon-<br />

stranten. Deshalb richtet das PP am 15.09.2010 an A folgendes Schreiben:<br />

„Dem Polizeipräsidium Mittelhessen ist bekannt, dass Sie im Zusammenhang<br />

mit versammlungsrechtlichen Aktionen mehrfach <strong>und</strong> wiederholt polizeilich<br />

in Erscheinung getreten sind. Es ist nicht auszuschließen, dass Sie auch in<br />

Zukunft an demonstrativen Ereignissen teilnehmen werden. Für den im Ok-<br />

tober 2010 angekündigten, teilweise durch Hessen führenden, Castortransport<br />

sind demonstrative Aktionen geplant. Bei gleich gelagerten Aktionen<br />

kam es in der Vergangenheit stets zu erheblichen gewaltsamen Ausschreitungen<br />

seitens einiger Demonstrationsteilnehmer. Auch während des diesjährigen<br />

Castortransports ist damit zu rechnen. Um zu vermeiden, dass Sie sich<br />

der Gefahr präventiver polizeilicher Maßnahmen im Rahmen der Gefahrenabwehr<br />

bis hin zu strafprozessualen Maßnahmen aus Anlass der Begehung<br />

von Straftaten aussetzen, legen wir Ihnen daher nahe, sich nicht an den geplanten<br />

Aktionen in Hessen zu beteiligen.“ 2<br />

Entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben, seine Haltung gegenüber der<br />

Atomkraftenergie k<strong>und</strong>zutun, leistet A Folge. Vor der Staatsmacht eingeknickt<br />

zu sein, wurmt nun A. Er trägt vor, dass er sich in Zukunft an<br />

vergleichbaren Aktionen beteiligen werde. Daher möchte er von Ihnen heute<br />

geklärt wissen, ob ein gerichtliches Vorgehen gegen das Verhalten Erfolg<br />

versprechend ist.<br />

1 Ein ähnlicher Sachverhalt wurde im Rahmen des Examensklausurenkurses<br />

zur Bearbeitung gestellt. Zu prüfen waren Zulässigkeit <strong>und</strong> Begründetheit des<br />

Klagebegehrens. Der Autor Goll war Teilnehmer des Examensklausurenkurses.<br />

2 Der Inhalt des Gefährderschreibens ist an die Entscheidung OVG Lüneburg,<br />

NJW 2006, 391 ff. angelehnt.<br />

Vom Einhalten der Zuständigkeits-, Verfahrens,- <strong>und</strong> Formvorschriften ist<br />

auszugehen.<br />

LöSUNG<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Eine Klage von A hat Aussicht auf Erfolg, wenn der Verwaltungsrechtsweg<br />

eröffnet <strong>und</strong> die Klage zulässig sowie begründet ist.<br />

A. VERWALTUNGSRECHTSWEG<br />

Eine aufdrängende Sonderzuweisung liegt nicht vor. Das PP kündigt zwar repressive<br />

Maßnahmen an, dies geschieht jedoch um drohende Rechtsgüterschäden<br />

abzuwenden, wodurch die Ankündigung solcher Maßnahmen nicht<br />

repressiv ist. Präventive Handlungen sind im Unterschied zu repressiven stets<br />

zukunftsorientiert, wodurch hier kein Justiz-VA vorliegt. Somit scheidet eine<br />

abdrängende Sonderzuweisung nach § 23 I 1 EGGVG aus3 . Der Verwaltungsrechtsweg<br />

ist nach § 40 I 1 VwGO eröffnet. 4<br />

B. ZULäSSIGKEIT<br />

I. STATTHAFTE KLAGEART<br />

<strong>Die</strong> statthafte Klageart richtet sich im Wesentlichen gem. § 88 VwGO nach<br />

dem Klagebegehren. Vorliegend möchte A die Rechtswidrigkeit des polizeilichen<br />

Vorgehens geklärt wissen.<br />

1. ANFECHTUNGSKLAGE (AK)<br />

Fallbearbeitung<br />

Fortgeschrittene im Öffentlichen Recht: „Atomkraft <strong>und</strong> deren Risiken“<br />

von Boris Duru <strong>und</strong> Christoph Goll (Universität Gießen)<br />

Christoph Goll (re.) <strong>stud</strong>ierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Mainz, Freiburg <strong>und</strong> Gießen. Er war als gewählter<br />

Fachschaftsrat an der Universität Mainz tätig <strong>und</strong> ist derzeit candidatus <strong>iur</strong>is.<br />

Boris Duru (li.) ist Lehrbeauftragter am rechtswissenschaftlichen Fachbereich der Justus-Liebig-Universität Gießen.<br />

Eine AK gem. § 42 I Alt.1 VwGO wäre statthaft, wenn es sich bei dem Gefährderanschreiben<br />

des PP vom 15.09.2010 um einen VA i.S.d. § 79 I Nr. 1 VwGO,<br />

§ 35 S.1 VwVfG handelt. Aus der Zusammenschau zwischen § 113 I 1 VwGO<br />

<strong>und</strong> § 113 I 4 VwGO folgt, dass sich der VA noch nicht erledigt haben darf. 5<br />

Im Zeitpunkt der Klageerhebung ist der Castor in Gorleben angekommen.<br />

<strong>Die</strong> Demonstration ist beendet. Vom Schreiben geht somit keine Rechtswirkung<br />

mehr aus. Hierdurch ist Erledigung eingetreten. Eine AK ist nicht<br />

statthaft.<br />

3 Ausführlich: Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht (VerwProzR), 4. Aufl. Rn. 14.<br />

4 Zur Drei-Schritte-Prüfung Rubel/Duru, in: JA 2010, 281 (282).<br />

5 Wienbracke, VerwProzR, Rn. 98; Gersdorf, VerwProzR, 4. Aufl. Rn. 85.<br />

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38<br />

Fallbearbeitung<br />

2. FORTSETZUNGSFESTSTELLUNGSKLAGE (FFK)<br />

<strong>Die</strong> FFK könnte gem. § 113 I 4 VwGO analog die statthafte Klageart sein. <strong>Die</strong><br />

analoge Anwendung von § 113 I 4 VwGO auf erledigte VA vor Klageerhebung<br />

ist allgemein anerkannt. 6<br />

Das Schreiben muss einen VA gem. § 35 S.1 VwVfG darstellen. Fraglich ist<br />

hier das Tatbestandsmerkmal „zur Regelung“. Eine Maßnahme ergeht zur Re-<br />

gelung, wenn die behördliche Maßnahme auf das unmittelbare Setzen einer<br />

Rechtsfolge gerichtet ist, wodurch „die Rechte des Betroffenen unmittelbar<br />

begründet, geändert, aufgehoben, mit bindender Wirkung festgestellt oder<br />

verneint werden“ 7 . Zur Beurteilung der rechtlichen Qualität sind ausschließ-<br />

lich objektive Gesichtspunkte maßgebend. Vorliegend legt das PP dem A mit<br />

dem Schreiben lediglich nahe, sich nicht an der geplanten Demonstration<br />

gegen den Castortransport zu beteiligen. Es handelt sich um einen schlichten<br />

Hinweis auf die allgemeine Rechtslage. Ein Gebrauchmachen von konkreten<br />

Maßnahmen durch Auferlegen <strong>und</strong> Bezeichnung eines jeweils konkreten<br />

Tuns, Duldens oder Unterlassens, wird weder bezeichnet noch angedroht.<br />

A war es daher unbenommen, an der Veranstaltung teilzunehmen. Das<br />

Schreiben geht über die reine Informationsmitteilung nicht hinaus. Mangels<br />

einer verbindlichen Rechtsfolge kommt der behördlichen Maßnahme keine<br />

Regelungswirkung zu. Es handelt sich somit um keinen VA, sondern um<br />

einen Realakt. § 113 I 4 VwGO müsste doppelt analog auf Realakte, die sich<br />

vor Klageerhebung erledigt haben, angewendet werden. Wegen fehlender Re-<br />

gelungslücke besteht da<strong>für</strong> jedoch kein Bedürfnis. <strong>Die</strong> FFK ist nicht statthaft.<br />

3. FESTSTELLUNGSKLAGE (FK)<br />

In Betracht kommt gem. § 43 I Var. 2 VwGO eine negative FK. 8 <strong>Die</strong> Erledi-<br />

gung des Realaktes steht ihr nicht entgegen. 9 <strong>Die</strong> FK ist statthaft, wenn es um<br />

die Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses<br />

geht. Ein Rechtsverhältnis sind die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgr<strong>und</strong><br />

einer Rechtsnorm des öffentlichen Rechts ergebenden rechtlichen<br />

Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. 10 Es<br />

muss sich um die Anwendung einer bestimmten Norm auf einen überschaubaren<br />

Sachverhalt handeln <strong>und</strong> darf nicht der Klärung abstrakter Rechtsfragen<br />

dienen. Fraglich ist, ob hier wegen des schlicht-hoheitliches Handelns<br />

eine abstrakte Rechtsfrage geklärt wird. Für schlicht-hoheitliches Handelns<br />

bedarf es nicht immer einer Eingriffsgr<strong>und</strong>lage. Ohne eine solche könnte ein<br />

rein abstraktes Rechtsverhältnis bestehen. Hat die Behörde durch das Schreiben<br />

lediglich auf die Rechtslage allgemein hingewiesen ohne diese rechtsverbindlich<br />

festzustellen <strong>und</strong> hat sie den Adressaten über allgemeine Tatsachen<br />

informiert, so spielt es <strong>für</strong> die Beurteilung eines Rechtsverhältnisses dennoch<br />

keine Rolle, ob es sich hierbei um einen unverbindlichen Ratschlag bzw. um<br />

die reine Mitteilung einer Wissenserklärung bzw. einer rechtlich unverbindlichen<br />

Empfehlung handelt. Liegt ein Rechtseingriff vor, muss die Behörde auf<br />

Gr<strong>und</strong>lage einer Eingriffsgr<strong>und</strong>lage gehandelt haben. Bei Realakten genügt<br />

dann eine reine polizeiliche Aufgabenzuweisungs- bzw. Zuständigkeitsvor-<br />

6 Detterbeck, öffentliches Recht (öR), 7. Aufl. Rn. 1470.<br />

7 Detterbeck, öR, Rn. 1470; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht (VwR),<br />

Rn. 1421.<br />

8 a.A. Schenke, Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht (POR), 6. Aufl. Rn. 667.<br />

9 h.M. vgl. Ehlers-Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im öffentlichen Recht,<br />

§ 26 Rn. 34 m.w.N.<br />

10 Wienbracke, VerwProzR, Rn. 127 m.w.N.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

schrift nicht. Hier steht die konkrete Rechtsfrage über die Befugnis des PP<br />

zum Erlass des Schreibens in Streit. Zwar stellt nicht das Schreiben selbst das<br />

Rechtsverhältnis dar, 11 dennoch geht es um eine bestimmte öffentlich-rechtliche<br />

Norm, im Verhältnis zwischen PP <strong>und</strong> A, in der Zeit vom 15.9.2010 bis<br />

heute. <strong>Die</strong>s ist ein überschaubarer, hinreichend klarer <strong>und</strong> eindeutiger Sachverhalt.<br />

Der Inhalt des Schreibens mit seinem informativen Charakter <strong>und</strong><br />

den abstrakten <strong>und</strong> pauschalen Hinweisen steht der Konkretheit des Rechtsverhältnisses<br />

nicht entgegen. Folglich liegt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis<br />

vor.<br />

Hier ist gerade zweifelhaft, ob das PP überhaupt handeln durfte, wodurch die<br />

negative FK statthaft sein könnte. <strong>Die</strong> Begründung eines Rechtsverhältnisses<br />

durch das Schreiben <strong>und</strong> deshalb eine positive FK kommen nicht in Be-<br />

tracht. 12<br />

Könnte A sein Begehren durch die Erhebung einer Leistungsklage (LK), in<br />

besonderer Ausprägung einer Unterlassungsklage, erreichen, so wäre die negative<br />

FK aber subsidiär, § 43 II VwGO. <strong>Die</strong> LK ist eine originäre Klageart, die<br />

auf Vornahme bzw. Unterlassen von Realakten gerichtet ist. 13 Sie ist zwar ungeregelt,<br />

aber in § 43 II Var. 2 VwGO ausdrücklich vorgesehen. Kommen LK<br />

<strong>und</strong> FK gleichwertig in Betracht <strong>und</strong> richtet sich die Klage gegen einen Träger<br />

öffentlicher Gewalt, so soll das Subsidiaritätsgebot nicht gelten. 14 Das Subsidiaritätsgebot<br />

aus § 43 II VwGO würde aber auch dann nicht greifen, wenn<br />

das Rechtsschutzbedürfnis des A <strong>für</strong> eine FK spräche. <strong>Die</strong> FK verfügt zwar<br />

über keinen vollstreckungsfähigen Inhalt, 15 könnte jedoch <strong>für</strong> A rechtsschutzintensiver<br />

sein als die LK. A trägt vor, dass er sich in Zukunft an vergleichbaren<br />

Aktionen wiederum beteiligen werde. Es geht ihm damit nicht um die<br />

Überprüfung des Einzelakts als solchem, sondern um das Rechtsverhältnis<br />

über den Einzelfall hinaus. A macht keinen Unterlassungs- <strong>und</strong>/oder Beseitigungsanspruch<br />

geltend. Es geht ihm nicht um das Unterlassen zukünftiger<br />

Schreiben. Er begehrt „nur“ die Feststellung des rechtswidrig verursachten<br />

Zustandes. A möchte festgestellt wissen, dass zukünftig in gleichgelagerten<br />

Fällen eine Berechtigung der Behörde <strong>für</strong> ähnliches Verhalten nicht bestehe.<br />

Da<strong>für</strong> ist die FK geeignet <strong>und</strong> somit rechtsschutzintensiver. <strong>Die</strong> Subsidiarität<br />

ist vorliegend ausnahmsweise nicht gegeben. <strong>Die</strong> negative FK gem. § 43 I Var.<br />

2 VwGO ist damit die statthafte Klageart.<br />

II. KLAGEBEFUGNIS<br />

Es ist umstritten, ob die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO analog auf die FK<br />

Anwendung findet. 16 Durch das Schreiben besteht jedenfalls die Möglichkeit,<br />

dass A zumindest in seinen Freiheitsrechten aus Art. 5 I <strong>und</strong> 8 I GG verletzt<br />

ist, sodass es auf einen Streitentscheid nicht ankommt. A ist zur Klageerhebung<br />

befugt.<br />

11 So Schenke, POR, 6. Aufl. Rn. 667.<br />

12 So aber Schenke, POR, 6. Aufl. Rn. 667.<br />

13 Detterbeck, VwR, Rn. 890, vgl. zu den Einschränkungen ders. VwR Rn. 1444.<br />

14 st. Rspr. BVerwG, vgl. BVerwGE 77, 207, 211; 51, 69, 75.<br />

15 Büscher, in: Wieczorek/Schütze, ZPO <strong>und</strong> Nebengesetze, Großkommentar,<br />

Bd. 2, Teilbd. 3, 2007, § 322 Rn. 41.<br />

16 Vgl. Nachweise bei Detterbeck, VwR Rn. 1403; Wienbracke, VerwProzR,<br />

Rn. 143.


III. FESTSTELLUNGSINTERESSE<br />

Es bedarf eines berechtigten Interesses des A an der Feststellung über das<br />

Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses. Hierbei genügt jedes schützwürdige<br />

Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. 17 Vorliegend kommen<br />

das Rehabilitierungsinteresse <strong>und</strong> die Wiederholungsgefahr als anerkannte<br />

Feststellungsinteressengruppen des schutzwürdigen Interesses in Betracht.<br />

IV. KLAGEGEGNER<br />

Nach § 78 II Nr. 1 VwGO analog bzw. nach dem allgemeinen Rechtsträger-<br />

prinzip 18 kommt hier das B<strong>und</strong>esland Hessen als Klagegegner in Betracht.<br />

V. PARTEI- UND PROZESSFäHIGKEIT<br />

A ist nach den §§ 61 Nr. 1 Alt. 1, 62 I Nr. 1 VwGO partei- <strong>und</strong> prozessfähig.<br />

Das B<strong>und</strong>esland Hessen ist nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO parteifähig <strong>und</strong> wird<br />

nach § 62 III VwGO vertreten.<br />

VI. ZWISCHENERGEBNIS<br />

<strong>Die</strong> von A nach § 43 I Var. 2 VwGO zu erhebende negative FK ist zulässig.<br />

C. BEGRüNDETHEIT<br />

<strong>Die</strong> negative FK ist begründet, wenn das Rechtsverhältnis zwischen den<br />

Beteiligten nicht besteht. <strong>Die</strong>s ist dann der Fall, wenn das PP Rechte des A<br />

verletzt hat. Eine Rechtsverletzung liegt vor, wenn das Schreiben ohne Rechts-<br />

gr<strong>und</strong>lage erging.<br />

I. NOTWENDIGKEIT EINER ERMäCHTIGUNGSGRUNDLAGE<br />

WEGEN REALAKT-CHARAKTERS STAATLICHEN HANDELNS<br />

Fraglich ist, ob es <strong>für</strong> das Tätigwerden des PP einer gesetzlichen Ermächti-<br />

gungsgr<strong>und</strong>lage bedarf. Wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Aus-<br />

prägungen des Rechtsstaatsgebots in Gestalt des Vorrangs <strong>und</strong> Vorbehalts des<br />

Gesetzes <strong>und</strong> der Bindung an dieses Gebot aus Art. 20 III GG, bedarf das<br />

Handeln der vollziehenden Gewalt einer Gesetzesgr<strong>und</strong>lage, sofern Gr<strong>und</strong>-<br />

rechte betroffen sind. 19 <strong>Die</strong> wesentlichen Entscheidungen, die die Gr<strong>und</strong>-<br />

rechtsausübung berühren, muss der formelle Gesetzgeber regeln <strong>und</strong> je<br />

schwerwiegender der Gr<strong>und</strong>rechtseingriff ist, desto detaillierter, d.h. rege-<br />

lungsdichter muss das Gesetz sein. 20 Eine schlichte Aufgabenzuweisungs-<br />

norm genügt dieser verfassungsrechtlichen Anforderung nicht, wenn das<br />

schlicht-hoheitliche Handeln in Gr<strong>und</strong>rechte eingreift. 21 Vorliegend könnte in<br />

Art. 8 <strong>und</strong> Art. 5 GG des A eingegriffen worden sein.<br />

17 Gersdorf, VerwProzR, 4. Aufl. Rn. 124.<br />

18 Strittig, vgl. Meissner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Band<br />

I, § 78 Rn. 21, 49 m.w.N; Wienbracke, (VerwProzR), Rn. 167f.<br />

19 Detterbeck, öR, Rn. 55 f.<br />

20 Wesentlichkeitslehre des BVerfGE, vgl. etwa BVerfGE 1, 13 (60); 40, 237<br />

(248); 47, 46 (79); 49, 89 (126); 58, 257 (268); 77, 170 (230); 88, 103 (116).<br />

21 Kugelmann, POR, 5. Kapitel, Rn. 2.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

1. EINGRIFF IN ART. 8 I GG<br />

Fallbearbeitung<br />

A ist gem. Art. 116 I GG deutscher Staatsbürger. Eine Versammlung ist die<br />

örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen 22 zu einem bestimmten Zweck. 23<br />

<strong>Die</strong> Demonstrationsfreiheit als besondere Erscheinungsform der Versamm-<br />

lungsfreiheit wird von Art. 8 I GG geschützt. 24 Durch die Demo möchte A an<br />

der Erörterung einer öffentlichen Angelegenheit in Gestalt einer gemein-<br />

schaftlichen Meinungsbildung/-äußerung teilnehmen. <strong>Die</strong>s stellt einen<br />

schutzwürdigen Zweck i.S.d Art. 8 I GG dar.<br />

Art. 8 I GG schützt versammlungsspezifische Betätigungen, wozu auch solche<br />

Verhaltensweisen im Vorfeld einer Versammlung zählen. 25 <strong>Die</strong> Teilnahmeabsicht<br />

des A <strong>und</strong> dessen Zugang zur Versammlung sind von Art. 8 I GG<br />

geschützte Betätigungen. Geschützt ist zwar nur eine Versammlung, die friedlich<br />

<strong>und</strong> ohne Waffen erfolgt, allerdings bedarf es einer „kollektiven Unfriedlichkeit“.<br />

Eine Versammlung ist nicht schon unfriedlich, wenn erwartete Rechtsverstöße<br />

ohne Anwendung von Gewalt oder die Gewaltanwendung durch<br />

Dritte oder diese durch einzelne Versammlungsteilnehmer erfolgt. 26 Solche<br />

Anhaltspunkte fehlen hier. Vom unfriedlichen Gesamtverlauf der Versammlung,<br />

d.h. der begründeten Annahme, die Versammlung insgesamt werde die<br />

Schwelle zur Gewaltanwendung überschreiten, ist nicht auszugehen. Der<br />

Schutzbereich von Art. 8 I GG ist eröffnet.<br />

Weiterhin müsste ein Eingriff vorliegen. Ein Eingriff ist jede staatliche Maßnahme,<br />

die dem einzelnen Gr<strong>und</strong>rechtsträger die Ausübung des Gr<strong>und</strong>rechts<br />

erschwert oder unmöglich macht, unabhängig, ob von einer beabsichtigten<br />

oder unbeabsichtigten, unmittelbaren oder mittelbaren, individuellen oder<br />

generellen, rechtlichen oder tatsächlichen Wirkung <strong>und</strong> unabhängig vom<br />

Vorliegen von Befehl <strong>und</strong> Zwang. 27 Fraglich ist, ob dem Schreiben eine gr<strong>und</strong>rechtseingreifende<br />

Wirkung zukommt. Eine Einordnung anhand ausschließlich<br />

objektiver Kriterien ergibt, dass A von seiner Gr<strong>und</strong>rechtsausübung nicht<br />

abgehalten wurde. Das PP weist lediglich auf mögliche <strong>und</strong> unbestimmte<br />

Folgen hin, wenn A den allgemeinen Hinweisen nicht nachkommt.<br />

Auch wenn dieser Hinweis isoliert <strong>und</strong> objektiv betrachtet gegen einen<br />

Eingriff sprechen könnte, so kommt es <strong>für</strong> dessen Beurteilung dennoch<br />

auf die Gesamtschau aller Bedingungen an. Zur Beurteilung der durch<br />

die staatliche Maßnahme erzielten Wirkung könnten daher auch das<br />

Empfinden <strong>und</strong> die subjektive Einschätzung des Adressaten aus der<br />

Sicht eines objektiven Dritten maßgeblich sein. Rein psychisch empf<strong>und</strong>ene<br />

Zwänge können einen Eingriff darstellen. 28 Auf die Willensentschließungsfreiheit<br />

wird hier eingewirkt, wenn das Schreiben geeignet<br />

ist, eine Gr<strong>und</strong>rechtsausübung zu erschweren oder auszuschließen.<br />

Verbleibt dem Adressaten hingegen ein eigenständiger Handlungs- <strong>und</strong><br />

Beurteilungsspielraum, seine Willensentschließung unter Abwägung der im<br />

Schreiben mitgeteilten Informationen frei <strong>und</strong> selbstständig zu treffen, so<br />

wäre die Eingriffsschwelle nicht überschritten. 29 A wird zwar auf sein bis-<br />

22 Anzahl ist umstritten, vgl. Pieroth/Schlink, StaatsR II, 26. Aufl. Rn. 755.<br />

23 Zweckbestimmung ist umstritten vgl. Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG,<br />

Art. 8 Rn. 29 f., 46 jeweils m.w.N.<br />

24 Detterbeck, öR, Rn. 669.<br />

25 BVerfGE 84, 203 (209); BVerfG DÖV 2010, 698.<br />

26 Vgl. BVerfG, NVwZ 2006, 1049f.; zur Gefahrenprognose ferner BVerfG,<br />

NJW 2010, 141 (142f.).<br />

27 Detterbeck, öR, Rn. 462f.<br />

28 BVerfG, NJW 2008, 1515 (1518).<br />

29 OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 (392).<br />

39


40<br />

Fallbearbeitung<br />

Wir suchen Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die Lust<br />

haben, an der Gestaltung unserer Publikationen mitzuwirken. Der<br />

Aufgabenbereich umfasst u.a die Einwerbung von Beiträgen <strong>und</strong> das<br />

Entwickeln eigener Ideen <strong>für</strong> Titelthemen oder sonstige Beiträge.<br />

heriges Verhalten <strong>und</strong> auf seine polizeiliche Beobachtung aufmerksam ge-<br />

macht, die Mitteilung geht aber über eine reine wertneutrale Wiedergabe von<br />

Tatsachen hinaus. A wird suggeriert, er werde mit an Sicherheit grenzender<br />

Wahrscheinlich auch in Zukunft strafrechtlich in Erscheinung treten. <strong>Die</strong>ser<br />

Generalverdacht beinhaltet die Annahme von der Sozialschädlichkeit des A,<br />

der sich trotz seiner strafrechtlichen Vergangenheit nicht „bessern“ <strong>und</strong> de-<br />

linquent bleiben werde. Der Aussagegehalt des Schreibens hatte einen derart<br />

starken Einfluss auf A, dass er an der Veranstaltung nicht teilnahm. <strong>Die</strong> Wil-<br />

lensentschließungsfreiheit wurde beeinflusst. Sie wurde in eine vom PP ge-<br />

wollte Richtung gelenkt. Mangels eines Restes an Entschließungsspielraum<br />

liegt ein Eingriff in Art. 8 I GG vor.<br />

2. EINGRIFF IN ART. 5 I 1 VAR. 1 GG<br />

Fraglich ist, ob ein Eingriff in die von Art. 5 I 1 Var. 1 GG verbürgte Mei-<br />

nungsfreiheit vorliegt. Art. 5 I GG schützt neben der individuellen auch die<br />

kollektive Meinungsfreiheit. 30 Wenn über Art. 8 I <strong>und</strong> Art. 5 I 1 Var. 1 GG die<br />

kollektive Meinungsfreiheit geschützt ist, so bedarf deren Verhältnis<br />

der Klärung. 31 Geht es um die Versammlung <strong>und</strong> um die Teilnahme an ihr<br />

bzw. um versammlungstypisches Verhalten im Vorfeld zur Versammlung, so<br />

ist Art. 8 I GG betroffen, wenn die staatliche Maßnahme sich gegen die Art<br />

<strong>und</strong> Weise der Versammlung bzw. Versammlungsteilnahme richtet. Hat die<br />

staatliche Maßnahme hingegen zur Folge, dass eine Meinung im Rahmen der<br />

Versammlung nicht geäußert werden kann, so ist zugleich Art. 5 I 1 Var. 1 GG<br />

betroffen. 32 Ein solches Nebeneinander beider Freiheitsgr<strong>und</strong>rechte ist nicht<br />

nur wegen des Schutzes unterschiedlicher Rechtsgüter angebracht, sondern<br />

auch, um im Falle der Meinungsfreiheit den schärferen Rechtmäßigkeitsmaß-<br />

stab von Art. 5 II GG anzuwenden. 33 Durch das Schreiben nahm A an der<br />

Versammlung nicht teil <strong>und</strong> tat seine Meinung nicht k<strong>und</strong>. Folglich wird Art.<br />

5 I 1Var. 1 GG nicht von Art. 8 I GG verdrängt. Wegen der obigen Erwägungen<br />

liegt zugleich ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 5 I 1 Var. 1 GG vor.<br />

3. SONSTIGE GRUNDRECHTE<br />

Redakteure (m/w)<br />

Berwerbungen bitte per E-Mail an Mitarbeit@<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Art. 11 GG schützt Aufenthalt <strong>und</strong> Wohnsitz, nicht hingegen die Fortbewe-<br />

30 BVerfGE 104, 92 (103).<br />

31 Zum Streit: Herzog in: Maunz/Dürig, Art. 5 Rn. 34.<br />

32 BVerfGE 111, 147 (154ff.).<br />

33 BVerfG, NVwZ 2008, 671(674f.).<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

gungsfreiheit. 34 Nach dem hier vertretenen engen Verständnis von Art. 2 II 2<br />

i.V.m. Art. 104 GG ist der Schutzbereich der körperlichen Fortbewegungsfrei-<br />

heit nicht eröffnet. 35<br />

II. ZWISCHENERGEBNIS<br />

Das Handeln des PP berührt Gr<strong>und</strong>rechte des A. Der Realakt bedarf einer<br />

gesetzlichen Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage.<br />

III. ERMäCHTIGUNGSGRUNDLAGE<br />

1. VERSG<br />

Eine friedliche Versammlung unter freiem Himmel war geplant. Das Schrei-<br />

ben richtet sich gegen A als möglichen Teilnehmer der Versammlung, veran-<br />

stalterbezogene Maßnahmen scheiden aus.<br />

In Betracht käme § 18 III VersG analog <strong>und</strong> ggf. als Folgemaßnahme §§ 18 II,<br />

11 II VersG analog. Eine analoge Anwendung von § 18 III VersG <strong>für</strong> Vorfeld-<br />

maßnahmen wie der hier stattgef<strong>und</strong>enen Art ist jedoch nicht unproblema-<br />

tisch. Es bestünde keine Regelungslücke, wenn ein Rückgriff auf das allgemei-<br />

ne Polizeirecht (HSOG) möglich wäre. Das Schreiben könnte auf Ermächti-<br />

gungsgr<strong>und</strong>lagen des allgemeinen Polizeirechts gestützt werden, wodurch<br />

auch etwaige Minusmaßnahmen auf Gr<strong>und</strong>lage des VersG ausscheiden. 36<br />

Dann müsste das HSOG anwendbar sein. Eine Sperrwirkung wäre dann<br />

anzunehmen, wenn Bestimmungen des VersG abschließend wären. Im Zeit-<br />

punkt des behördlichen Handelns lag keine Versammlung vor, sodass Bestim-<br />

mungen des VersG wegen ihres lex specialis – Charakters den Bestimmungen<br />

des allgemeinen Polizeirechts nicht aus diesem Gr<strong>und</strong> vorgehen. 37 <strong>Die</strong> Maß-<br />

nahme findet hier im Vorfeld einer Versammlung statt. Vorfeldmaßnahmen<br />

sind im VersG nicht abschließend geregelt. <strong>Die</strong> einzige Vorschrift, die ein<br />

Einschreiten im Vorfeld einer Versammlung gegenüber einem einzelnen Teil-<br />

nehmer ermöglicht, ist § 17a VersG. Gegen dessen abschließenden Charakter<br />

spricht, dass es sich um eine Regelung zur Abwehr einer nicht versammlungsspezifischen<br />

Gefährdungssituation handelt. 38 Der Sinn <strong>und</strong> Zweck von Vorfeldmaßnahmen<br />

besteht darin, dass eine besondere Gefahr gar nicht erst entsteht<br />

bzw. die schon bestehende beendet wird. Hier soll durch Vorbeugung<br />

einer versammlungstypischen Gefahr die Versammlungsdurchführung<br />

ermöglicht werden. <strong>Die</strong>s dient dem Gr<strong>und</strong>rechtschutz Dritter. 39 Durch<br />

Vorfeldmaßnahmen wird daher ein anderer Lebenssachverhalt erfasst <strong>und</strong><br />

zur Abwehr einer anderen Gefahrenqualität eingeschritten. <strong>Die</strong>se Maßnahme<br />

ist anderen Maßnahmen vorgelagert bzw. vorgeschaltet. Doch das Handeln<br />

auf Gr<strong>und</strong>lage des allgemeinen Polizeirechts könnte einer anderen Schutzrichtung<br />

gerecht werden. Auch im Übrigen sind Bestimmungen des VersG<br />

nicht abschließender Natur. 40 Alle diese Gesichtspunkte bleiben vom VersG<br />

unberücksichtigt. Wegen der Lückenhaftigkeit des VersG ist dessen allumfas-<br />

34 Detterbeck, öR Rn. 706, 708.<br />

35 Vgl. zum Streit: Detterbeck, öR Rn. 515f. m.w.N.<br />

36 Verhältnis ist umstritten, vgl. Schenke, POR, 6. Aufl. Rn. 378 m.w.N.;<br />

Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, 14. Aufl. § 20 Rn. 15, 19.<br />

37 Vgl. BVerfG, NVwZ 2005, 80 (81).<br />

38 Kniesl/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl.<br />

Rn. 37.<br />

39 Vgl. Schenke, POR, Rn. 382 m.w.N.<br />

40 Götz, POR, 14. Aufl. § 17 Rn. 18.


sende Sperrwirkung abzulehnen. Ein Rückgriff auf HSOG-Bestimmungen ist<br />

somit möglich.<br />

2. HSOG<br />

Mögliche Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> das Schreiben könnte § 31 I 1 Var. 2<br />

HSOG41 bzw. § 11 HSOG42 darstellen.<br />

a. Platzverweisung<br />

Mangels hinreichender Bestimmtheit <strong>und</strong> Längerfristigkeit der Maßnahme<br />

scheidet ein Aufenthaltsverbot nach § 31 III HSOG aus. Schon die fehlenden<br />

Angaben hinsichtlich Ort <strong>und</strong> Zeit <strong>und</strong> damit auch hinsichtlich hinreichender<br />

Klarheit über Begrenzung lassen einen Platzverweis nach § 31 I 1 Var. 2<br />

HSOG ausscheiden. 43 Im Übrigen wird A kein Tun, Dulden oder Unterlassen<br />

auferlegt. Eine Minusmaßnahme als milderes Mittel scheidet deshalb ebenfalls<br />

aus.<br />

b. Generalklausel<br />

Fraglich ist, ob die polizei- <strong>und</strong> ordnungsrechtliche Generalklausel gem. § 11<br />

HSOG in Betracht kommt. <strong>Die</strong>se soll gerade atypische Fälle, die nicht unter<br />

eine spezielle Regelung fallen, auffangen, um der Polizei eine adäquate Handlungsmöglichkeit<br />

einzuräumen. Allerdings ist der Anwendungsbereich der<br />

spezielleren Standardmaßnahme nach § 31 I 1 Var. 2 HSOG betroffen, nur hat<br />

sich die Behörde eines solchen Mittels nicht bedient. Neben dem Bestimmtheitsgebot<br />

ist die Wesentlichkeitslehre zu beachten. <strong>Die</strong> wesentlichen Entscheidungen,<br />

die die Gr<strong>und</strong>rechtsausübung berühren, muss der formelle<br />

41 Vgl. hinsichtlich der Vorschriften anderer B<strong>und</strong>esländer § 27 a PolG BW;<br />

Art. 16 BayPAG; § 29 BerlASOG; § 16 BrandPolG; § 14 BremPolG; § 12 a<br />

HambSOG; § 52 MVSOG; § 17 NdsSOG; § 34 NWPolG, § 24 NWOBG; § 13<br />

Rh-PflPOG; § 12 SaarlPolG; § 36 SachsAnhSOG; § 21 SächsPolG, § 6<br />

SächsSWG; § 201 SchlHVwG; § 17 ThürOBG, § 18 ThürPAG.<br />

42 Vgl. hinsichtlich der Generalklausel anderer B<strong>und</strong>esländer § 3 PolG BW;<br />

Art. 11 BayPAG; § 17 BerlASOG; § 10 BrandPolG; § 19 BremPolG; § 3<br />

HambSOG; § 13 MVSOG; § 11 NdsSOG; § 8 NWPolG, § 14 NWOBG; § 9 Rh-<br />

PflPOG; § 8 SaarlPolG; § 13 SachsAnhSOG; § 3 SächsPolG; § 201 SchlHVwG;<br />

§ 174 SchlHVwG; § 5 ThürOBG, § 12 ThürPAG.<br />

43 Vgl. Meixner-Fredrich, 11. Aufl. § 31 HSOG Rn. 2, 6.<br />

Fallbearbeitung<br />

Gesetzgeber regeln <strong>und</strong> je schwerwiegender der Gr<strong>und</strong>rechtseingriff ist, desto<br />

detaillierter, d.h. regelungsdichter, muss das Gesetz sein. 44 Ein Rückgriff auf<br />

§ 11 HSOG als allgemeine Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage ist <strong>für</strong> die hiesigen<br />

Gr<strong>und</strong>rechtseingriffe dieser Art <strong>und</strong> Intensität fraglich. Der Gesetzgeber soll<br />

die wesentlichen Entscheidungen über Gr<strong>und</strong>rechtseingriffe <strong>und</strong> deren<br />

Reichweite regeln, sodass die Exekutive durch das Gesetz gesteuert <strong>und</strong> in<br />

ihrer Handlung begrenzt wird. <strong>Die</strong> Legislative hat Anlass, Zweck <strong>und</strong> Grenzen<br />

des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise <strong>und</strong> normenklar<br />

festzulegen. 45 Dem Betroffenen soll es möglich sein, sich auf mögliche Rechtsbeeinträchtigungen<br />

einstellen zu können. 46 Der oben beschriebene Eingriff in<br />

Art. 5 I <strong>und</strong> 8 I GG wiegt besonders schwer. <strong>Die</strong>se Vorgehensweise auf<br />

§ 11 HSOG zu stützen, hätte zur Folge, jedwedem polizeilichem Handeln eine<br />

Eingriffsgr<strong>und</strong>lage zu eröffnen. Spezielle Regelungen könnten dadurch stets<br />

unterlaufen werden <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rechtseingriffe uferlos stattfinden. Polizeilichen<br />

Rechtseingriffen in gr<strong>und</strong>rechtssensiblen Bereichen wären Tür <strong>und</strong> Tor geöffnet.<br />

Wegen seines Sinns <strong>und</strong> Zwecks enthält § 11 HSOG seinem Wortlaut nach<br />

gerade keine Begrenzungen staatlichen Handelns. <strong>Die</strong>se müsste die Behörde<br />

selbst vornehmen. Das ist aber eine originäre Aufgabe des Parlamentsgesetzgebers.<br />

Ohne hinreichend deutliche Bestimmungen <strong>und</strong> Begrenzungen von<br />

Gr<strong>und</strong>rechtseingriffen kann die hiesige Maßnahme wegen fehlender Bestimmtheit<br />

des § 11 HSOG nicht als Eingriffsgr<strong>und</strong>lage herangezogen werden.<br />

Folglich hat das PP ohne Eingriffsgr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> dadurch ohne das Bestehen<br />

eines Rechtsverhältnisses gehandelt. Das Verhalten des PP ist rechtswidrig.<br />

Es verletzt die Gr<strong>und</strong>rechte des A aus Art. 8 I GG <strong>und</strong> Art. 5 I 1 1. Var.<br />

GG. <strong>Die</strong> negative FK ist begründet.<br />

D. ERGEBNIS<br />

<strong>Die</strong> negative FK ist zulässig <strong>und</strong> begründet. Ein gerichtliches Vorgehen des A<br />

hat Aussicht auf Erfolg.<br />

44 Vgl. BVerfGE 1, 13 (60); 40, 237 (248); 49, 89 (126); 58, 257 (268); 77, 170<br />

(230); 88, 103 (116).<br />

45 BVerfGE 113, 348 (375).<br />

46 BVerfG, NJW 2008, 1505 (1509).<br />

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42<br />

Fallbearbeitung<br />

SACHVERHALT 1<br />

Katja Nagel, Jahrgang 1985 ist Rechtsreferendarin am Landgericht Bochum. Sie schloss das Studium der Rechtswissen-<br />

schaften Mitte 2010 an der Ruhr-Universität-Bochum mit der ersten juristischen Prüfung ab.<br />

Mani Jaleesi, Jahrgang 1984, schloss das Studium der Rechtswissenschaften Ende 2010 an der Ruhr-Universität-Bochum<br />

mit der ersten juristischen Prüfung ab.<br />

Um sich <strong>für</strong> eine bei einer Schlägerei erlittene schwere Knieverletzung sei-<br />

nes Fre<strong>und</strong>es C zu rächen, lockt A den B unter dem Vorwand eines illega-<br />

len Zigarettengeschäfts an einen abgelegenen Parkplatz am Ufer eines Sees.<br />

Verdutzt über den Ort der Übergabe, steckt B seinen ausziehbaren metal-<br />

lenen Schlagstock („Totschläger“) ein. <strong>Die</strong> Rachegelüste des A sehen wie<br />

folgt aus: er plant den A mit der Faust niederzustrecken <strong>und</strong> ihm dann mit<br />

dem unter seiner Jacke mitgeführten abgesägten Schrotgewehr ins Knie zu<br />

schießen, sodass dieses dauerhaft steif werde. Bei der Zusammenkunft am<br />

Treffpunkt holt A unvermittelt aus um B niederzuschlagen. B kommt ihm<br />

jedoch zuvor <strong>und</strong> schlägt A mit dem Schlagstock nieder. Damit hat A nicht<br />

gerechnet. A hält die Hände schützend vor sein Gesicht <strong>und</strong> hofft, das B<br />

nun nicht mehr zuschlagen werde. B stürzt sich hingegen mit den Worten<br />

„Ich bring dich um!“ auf den am Boden liegenden, ihm körperlich unterle-<br />

genen A. <strong>Die</strong>ser zieht in Todesangst die Waffe <strong>und</strong> drückt, unter billigender<br />

Inkaufnahme des Todes, ab. Er trifft B aus einer Entfernung von 20 cm in<br />

die Brust. S verblutet innerhalb weniger Minuten am Tatort.<br />

Nach diesem Erlebnis ist A geschockt <strong>und</strong> betrinkt sich, sodass er schließ-<br />

lich eine Blutalkoholkonzentration von 1,7 Promille hat. Er weiß, dass er<br />

eigentlich auf Gr<strong>und</strong> seines Zustandes nicht mehr fahren dürfte, dennoch<br />

macht er mit seinem Kollegen K eine Spritztour mit dem nagelneuen BMW<br />

seiner Mutter. Das Auto gerät diverse Male ins Schleudern, da A wegen sei-<br />

nes Alkoholgehalts den Pkw nicht mehr unter Kontrolle hat. K freut sich<br />

über diese seiner Meinung nach lustige <strong>und</strong> abwechslungsreiche Fahrt <strong>und</strong><br />

spornt A lauthals an, dass er noch schneller fahren solle. Gerade als beide<br />

lauthals grölen <strong>und</strong> sich des Geschwindigkeitsrausches erfreuen, kommt<br />

der Pkw erneut ins Schleudern <strong>und</strong> kommt gerade noch vor einem Baum<br />

zum Stehen. A ist froh über diesen Ausgang, da er seinen Kollegen niemals<br />

gefährden wollte. Es ist schon spät am Abend, sodass die Straße leer ist <strong>und</strong><br />

keine andere Person gefährdet wird.<br />

Prüfen Sie die Strafbarkeit des A nach dem StGB.<br />

examenskandidaten im Strafrecht: „Todesangst“<br />

von Rechtsreferendarin Katja Nagel <strong>und</strong> Dipl. Jur. Mani Jaleesi (Bochum)<br />

1 Der erste Tatkomplex ist angelehnt an BGH, Urt. v. 22. 11. 2000 - 3 StR<br />

331/00 = NStZ 2001, 143.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

GLIEDERUNG<br />

A. Tatkomplex: <strong>Die</strong> Zusammenkunft am Parkplatz<br />

I. § 212 Abs. 1 StGB (-) durch den Schuss<br />

1. Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit - § 32 StGB<br />

a) Notwehrlage<br />

aa) gegenwärtiger Angriff<br />

bb) Rechtswidrigkeit des Angriffs des B<br />

> Rechtfertigung gem. § 32 StGB<br />

> Gegenwärtigkeit (-)<br />

b) Notwehrhandlung<br />

- Erforderlichkeit bei Schusswaffengebrauch, i. E. (+)<br />

P) Gebotenheit – sonst vorwerfbare Notwehrprovokation<br />

> Dreistufentheorie (ganz h.M.), i.E. (+)<br />

c) Verteidigungswille<br />

> Rechtswidrigkeit (-)<br />

3. Ergebnis (-)<br />

II. §§ 223, 224, 227 StGB (-) durch den Schuss<br />

III. §§ 223, 227, 22, 23 StGB (-) durch Ausholen zum Faustschlag<br />

1. Vorprüfung<br />

2. Tatbestand § 223 (Tatentschluss <strong>und</strong> unmittelbares Ansetzen)<br />

3. Erfolgsqualifikation<br />

a) Erfolg<br />

b) tatbestandspezifischer Gefahrverwirklichungszusammenhang<br />

(P) Anknüpfungspunkt i. R. d. § 227 StGB<br />

(alternativ bereits in „Vorprüfung“)<br />

(P) Vorliegen des Gefahrverwirklichungszusammenhangs, i. E. (-)<br />

IV. § 222 StGB<br />

(P) Wertungswiderspruch -> „actio illicita in causa“<br />

i.Ü. objektive Zurechnung (-)<br />

B. Tatkomplex: <strong>Die</strong> Autofahrt


I. § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a i. V. m. Abs. 3 Nr. 1 StGB<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Führen eines Fahrzeugs trotz Fahruntüchtigkeit (+)<br />

b) Gefährdung des Beifahrers K<br />

Insassen gr<strong>und</strong>sätzlich von § 315 c geschützt<br />

(P) teilnehmender Beifahrer<br />

> zunächst Inzidentprüfung, ob K überhaupt Teilnehmer ist<br />

aa) Strafbare Teilnahme des K<br />

> vorsätzliche rechtswidrige Haupttat des A,<br />

Teilnahmehandlung des K<br />

aaa) Vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat<br />

> hier weitere Prüfung des § 315 c StGB (Gefährdungsobjekt<br />

ist zu unterstellen)<br />

P) Rechtswidrigkeit<br />

> Einwilligung möglich? i. E. (-)<br />

bbb) Teilnahmehandlung des K (+)<br />

ccc) Zwischenergebnis: Teilnahme (+)<br />

bb) (P) teilnehmender Beifahrer als geeignetes Gefährdungsobjekt<br />

> nun Meinungsstreit relevant<br />

> i. E. (-)<br />

c) Fahrzeug als Gefährdungsobjekt<br />

i. E. (-), da Tatwerkzeug <strong>und</strong> Gefährdungsobjekt nicht identisch<br />

sein können<br />

2. Ergebnis<br />

§ 315 c StGB (-)<br />

II. § 316 StGB (+)<br />

LöSUNG<br />

A. TATKOMPLEx: DIE ZUSAMMENKUNFT AM PARKPLATZ<br />

I. § 212 ABS. 1 STGB<br />

Indem A den Tod des B durch das Abfeuern der Waffe verursachte, könnte<br />

er sich des Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.<br />

1. TATBESTAND<br />

Der Tod des B wurde durch den Schuss des A äquivalent <strong>und</strong> zurechenbar<br />

verursacht. Auch wenn die Tötung eines Menschen das Überwinden einer<br />

besonderen Hemmschwelle erfordert, kann hier aufgr<strong>und</strong> der billigenden<br />

Inkaufnahme des Todes von bedingtem Vorsatz ausgegangen werden. 2<br />

2. RECHTWIDRIGKEIT<br />

A könnte jedoch durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt sein.<br />

2 vertiefend zur Hemmschwellentheorie BGH NStZ 1983, 407; NStZ 1983,<br />

365; NStZ 2004, 330; NStZ 2005, 629 mit Anm. Schneider; NStZ 2006, 98 ;<br />

NStZ 2006, 444; BGH NStZ 2009, 264.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Fallbearbeitung<br />

a) Notwehrlage<br />

aa) Erforderlich ist zunächst ein gegenwärtiger <strong>und</strong> rechtwidriger Angriff.<br />

Ein Angriff liegt bei einer drohenden Gefahr <strong>für</strong> rechtlich geschützte Güter<br />

oder Interessen vor. 3 Er ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht,<br />

gerade stattfindet oder noch andauert. 4 Vorliegend versieht A sich unmittelbar<br />

der Attacke des B, der sich mit den Worten „Ich bring dich um“ - zudem<br />

bewaffnet mit einem Teleskopschlagstock - auf ihn stürzt. Demzufolge<br />

ist die körperliche Integrität <strong>und</strong> das Leben des A gefährdet.<br />

bb) Es könnte jedoch an der Rechtswidrigkeit des Angriffs fehlen, sofern<br />

das Todesopfer B seinerseits gerechtfertigt war. <strong>Die</strong>ser schlug A mit dem<br />

Schlagstock nieder, als A gerade zum Faustschlag ausholte, um ihm nachfolgend<br />

ins Knie zu schießen. Damit lag zunächst ein gegenwärtiger, rechtswidriger<br />

Angriff durch A vor. B befand sich mithin in einer Notwehrlage.<br />

Fraglich ist, ob die Gegenwärtigkeit des Angriffs im Zeitpunkt des tödlichen<br />

Schusses noch gegeben war. Als A verletzt zu Boden ging, hielt er<br />

die Hände schützend vor sein Gesicht. Er war in diesem Zeitpunkt nicht<br />

mehr willens seinen zuvor gefassten Plan in die Tat umzusetzen, sodass<br />

sein Angriff nicht mehr gegenwärtig war <strong>und</strong> B sich somit, als er sich auf<br />

den am Boden liegenden A stürzte, nicht mehr in einer Notwehrlage befand.<br />

Demnach war der Angriff seitens des B rechtswidrig. A befand sich<br />

in einer Notwehrlage.<br />

b) Notwehrhandlung<br />

Zudem ist die Abgabe des Schusses auf die Erforderlichkeit <strong>und</strong> Gebotenheit<br />

hin zu prüfen.<br />

aa) Erforderlichkeit liegt bei Anwendung des relativ mildesten Mittels<br />

vor, der Angegriffene darf jedoch gr<strong>und</strong>sätzlich dasjenige Mittel wählen,<br />

das eine sofortige <strong>und</strong> endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. 5<br />

Gerade beim Einsatz lebensgefährdender Mittel, wie im vorliegenden<br />

Fall des Schusswaffengebrauchs, kommt dem Erfordernis des mildesten<br />

Mittels besondere Bedeutung zu. Der finale Todesschuss ist nur als „letztes<br />

Mittel“ anzuwenden. 6 Dem Gebot der stufenweisen Anwendung zufolge ist<br />

der Gebrauch zunächst anzudrohen, dann ist ein Warnschuss abzugeben.<br />

Zudem ist ein Schuss auf Beine <strong>und</strong> Arme zu richten bevor ein möglicherweise<br />

lebensbedrohlicher Schuss abgegeben werden darf. Gr<strong>und</strong>sätzlich ist<br />

diese Stufenfolge zu beachten. Es handelt sich hierbei jedoch lediglich um<br />

eine Faustformel. Entscheidend im Einzelfall sind die konkreten Umstände<br />

der Situation, die „konkrete Kampflage“. 7 Vorliegend hat A im entscheidenden<br />

Zeitpunkt keine andere Möglichkeit, den Angriff des körperlich überlegenen<br />

<strong>und</strong> mit einem „Totschläger“ bewaffneten B effektiv abzuwenden,<br />

als seinerseits einen Schuss mit der mitgeführten Schusswaffe abzufeuern.<br />

Durch einen kräftigen Schlag mit dem Schlagstock besteht die akute Gefahr<br />

einer todbringenden Verletzung. Damit ist kein milderes Mittel ersichtlich,<br />

sodass der Schusswaffengebrauch erforderlich ist.<br />

3 Wessels/Beulke, StR AT, Rn. 325.<br />

4 Wessels/Beulke, StR AT, Rn. 328 m.w.N.<br />

5 Kühl, StR AT, § 7; Rn. 88; Wessels/Beulke, StR AT, Rn. 335.<br />

6 BGHSt 27, 336; BGH NStZ 1986, 357.<br />

7 BGHSt 27, 336, 337; BGH NStZ 2006, 152 m. Anm. Satzger, in: JK 1/06,<br />

StGB 32/39.<br />

43


44<br />

Fallbearbeitung<br />

bb) Fraglich ist, ob der Schlag als geboten angesehen werden kann.<br />

Demnach ist das Notwehrrecht aus sozialethischen Erwägungen zu be-<br />

grenzen. Hierbei bedarf es jedoch der restriktiven Handhabung, da es sich<br />

bei der Notwehr um ein ‚schneidiges Recht‘ handelt („das Recht braucht<br />

dem Unrecht nicht zu weichen“ 8 ) <strong>und</strong> eine Güterabwägung gerade nicht<br />

angezeigt ist. 9<br />

Es könnte sich vorliegend um die Fallgruppe der Notwehrprovokation<br />

handeln. Hierbei ist zwischen sog. Absichtsprovokation <strong>und</strong> sonst vor-<br />

werfbarer Provokation zu differenzieren. Bei der Absichtsprovokation<br />

wird ein Angriff bewusst herausgefordert, um den Angreifer unter dem<br />

Deckmantel der Notwehr zu verletzen. 10 Hier ging es A jedoch darum, das<br />

Überraschungsmoment unmittelbar <strong>für</strong> die geplante Aktion auszunutzen.<br />

Er wollte einen Gegenangriff von B von Gr<strong>und</strong> auf verhindern, um sich keiner<br />

Gefahr auszusetzen. Demnach wollte er keinen Angriff des B provozieren.<br />

Absichtsprovokation scheidet folglich aus. Vielmehr hat A den Angriff<br />

sonst vorwerfbar dadurch verursacht, dass er den B anzugreifen versucht<br />

hat. Dadurch hat A den über das Notwehrrecht hinausgehenden Angriff des<br />

B hervorgerufen. Damit hat A die Gefahrenlage selbst verschuldet, sodass<br />

nur eine restriktive Ausübung des Notwehrrechts billig <strong>und</strong> damit zugleich<br />

geboten erscheint. Er hat daher zunächst auszuweichen <strong>und</strong>, sofern dies<br />

nicht möglich ist, seine Verteidigung auf defensive Abwehrmaßnahmen<br />

zu beschränken (sog. Schutzwehr). Erst bei der Gefahr erheblicher eigener<br />

Gefährdung sind verletzende Gegenangriffe (sog. Trutzwehr) als zulässig<br />

anzusehen (sog. Dreistufentheorie) 11 . Zu berücksichtigen ist hierbei, dass<br />

die Anforderungen an die Vermeidung gefährlicher Abwehrhandlungen<br />

umso höher sind, je schwerer der Provokationsvorwurf hinsichtlich<br />

Verwerflichkeit <strong>und</strong> Vorwerfbarkeit wiegt. 12 Hier wollte A den B tätlich<br />

schwer angreifen, sodass er den Angriff des B in besonders vorwerfbarer<br />

Weise hervorgerufen hat <strong>und</strong> besonders hohe Anforderungen an die<br />

Vermeidung der Gefahr zu stellen sind. Hier lag A auf dem Rücken <strong>und</strong><br />

war B, der ihm körperlich überlegen <strong>und</strong> zudem mit einem Totschläger<br />

bewaffnet war, hilflos ausgeliefert. Es bestand weder die Möglichkeit zur<br />

Flucht, noch wirksamer Schutzwehr. Daher war der Schuss des A das einzig<br />

wirksame Mittel, um sein Leben zu schützen. Trotz der an sich erhöhten<br />

Anforderungen an A, gelangt sein Notwehrrecht aufgr<strong>und</strong> der hier bestehenden<br />

akuten Lebensgefahr zu keiner Einschränkung. Der Schuss mit der<br />

Waffe ist damit geboten. 13<br />

c) Verteidigungswille<br />

Zudem handelte A in der Absicht, sein Leben zu bewahren <strong>und</strong> daher mit<br />

Verteidigungswillen.<br />

d) Der todbringende Schuss des A ist folglich gem. § 32 StGB gerechtfertigt.<br />

8 urspr. zurückgehend auf Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 18.<br />

Aufl. 1898, Neudruck 1986, S.107.<br />

9 Lackner/Kühl, § 32, Rn. 14; ausführlich Kühl, StR AT, §7, Rn. 157 ff.<br />

10 Kühl, StR AT, § 7, Rn. 228.<br />

11 erstmals BGHSt 24, 356 ff.<br />

12 BGHSt 39, 374, 379; BGHSt 42, 97, 101; BGH NStZ 2002, 425f.; 2003, 420 f.<br />

u. 2006, 332; kritisch zu einer Abwägung im Einzelfall Krack, in: JR 1996, 468f.<br />

13 so auch der BGH, NStZ 2001, 143.<br />

3. ERGEBNIS<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

A hat sich nicht des Totschlags gem. § 212 StGB strafbar gemacht.<br />

II. §§ 227, 223, 224 STGB<br />

Indem A den Tod des B durch das Abfeuern der Waffe verursachte, könnte<br />

er sich gem. §§ 227, 223, 224 StGB strafbar gemacht haben. Ebenso wie die<br />

Strafbarkeit wegen Totschlags scheitert jedoch auch die Verwirklichung der<br />

§§ 223, 224, 227 StGB an mangelnder Rechtswidrigkeit.<br />

III. §§ 227, 223, 22, 23 STGB<br />

Indem A zum Faustschlag gegenüber B ausholte, könnte er sich jedoch der<br />

versuchten Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 223, 224, 227, 22, 23<br />

StGB strafbar gemacht haben.<br />

1. VORPRüFUNG<br />

A wollte B mit der Faust niederstrecken. Mangels Erfolgseintritt ist die Tat<br />

- anknüpfend an die Ausholbewegung - nicht vollendet. <strong>Die</strong> Strafbarkeit<br />

des Versuchs ergibt sich bei Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB) gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

aus §§ 22, 23 Abs. 1 Alt.1 StGB. <strong>Die</strong> Versuchsvorschriften sind jedoch auf<br />

Vorsatzdelikte zugeschnitten. Bei § 227 StGB handelt es sich jedoch um<br />

eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination (sog. Erfolgsqualifikation). Wie<br />

sich aus § 11 Abs. 2 StGB ergibt, gelten erfolgsqualifizierte Delikte jedoch<br />

ebenfalls als Vorsatzdelikte, sodass eine Versuchsstrafbarkeit gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

möglich ist. 14<br />

2. TATENTSCHLUSS UND UNMITTELBARES ANSETZEN BZGL.<br />

§ 223 ABS. 1 STGB (TATBESTAND DES GRUNDDELIKTS)<br />

A müsste vorsätzlich bezüglich der Verwirklichung des Gr<strong>und</strong>tatbestandes<br />

gehandelt haben. A wollte B einen Faustschlag versetzen <strong>und</strong> ihn hierdurch<br />

körperlich misshandeln <strong>und</strong> an der Ges<strong>und</strong>heit schädigen. Mithin hatte A<br />

Vorsatz bzgl. der Verwirklichung des Gr<strong>und</strong>tatbestandes des § 223 Abs. 1 StGB.<br />

Mit dem Ausholen zum Schlag hat A subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht<br />

es los“ überschritten, so dass das Rechtsgut unmittelbar gefährdet war <strong>und</strong><br />

der tatbestandsmäßige Erfolg ohne wesentliche Zwischenakte eingetreten<br />

wäre. 15 Er hat damit unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.<br />

3. ERFOLGSqUALIFIKATION<br />

Zudem müsste A den qualifizierenden Erfolg - unter Berücksichtigung des<br />

sog. tatbestandsspezifischen Gefahrverwirklichungszusammenhangs16 -<br />

fahrlässig verursacht haben.<br />

14 Kühl, StR AT, § 17a, Rn. 4.<br />

15 zur gemischt subjektiv-objektiven Theorie z.B. BGHSt 30, 363; BGH StV<br />

1989, 526; BGH NStZ 1997, 83.<br />

16 synonyme Begriffe: Unmittelbarkeitszusammenhang, tatbestandstypischer<br />

Gefahrzusammenhang u.a.


a) Kausalität<br />

Der Tod des B beruht auf der Eskalation der Situation, die der Aushol-<br />

bewegung durch A folgte. Das Ausholen kann folglich nicht hinwegge-<br />

dacht werden, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.<br />

Der Kausalzusammenhang wird vor allem nicht durch die Reaktion des<br />

B unterbrochen, da diese als typische Folge des Angriffs anzusehen ist <strong>und</strong><br />

die Handlung des A damit fortwirkt. Der versuchte Faustschlag ist damit<br />

conditio sine qua non <strong>für</strong> den Todeserfolg.<br />

b) Gefahrverwirklichungszusammenhang<br />

Problematisch ist die Zurechnung über die Figur des Gefahrverwirk-<br />

lichungszusammenhangs. Demnach muss sich im Todeserfolg die der<br />

Köperverletzung ‚eigentümliche Gefahr‘ niedergeschlagen haben. 17<br />

aa) Fraglich ist zunächst, ob eine Zurechnung auch bei einer nur versuch-<br />

ten Körperverletzung möglich ist. 18 Entgegen anderer Stimmen 19 ist über-<br />

zeugenderweise nach dem jeweiligen Delikt zu differenzieren. 20 Sofern<br />

die deliktsspezifische Gefährlichkeit bereits auf der Tathandlung des<br />

Gr<strong>und</strong>delikts beruht, ist eine erfolgsqualifizierte Versuchsstrafbarkeit an-<br />

zunehmen. Beruht die Gefährlichkeit jedoch auf dem Erfolg, scheidet eine<br />

Versuchsstrafbarkeit mangels Erfolgseintritts beim Versuch konsequenter-<br />

weise aus.<br />

Bezogen auf den hiesigen Fall stellt sich damit die Frage, ob die beson-<br />

dere Gefahr des Todeserfolgs im Falle des § 227 StGB am Erfolg oder der<br />

Handlung anknüpft.<br />

aaa) Einerseits könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass sich im<br />

tödlichen Ausgang gerade die Gefahr verwirklicht haben muss, die auf der<br />

Art <strong>und</strong> Schwere der Verletzung beruht (Letalitätstheorie 21 ). Nur ein der-<br />

art enges Verständnis wäre demnach mit der dreijährigen Mindeststrafe<br />

vereinbar. Dass bereits der Verletzungserfolg eingetreten sein müsste,<br />

ergäbe sich zudem aus den Formulierungen „verletzten Person“ <strong>und</strong><br />

„Körperverletzung“ des § 227 StGB, sodass die Gegenansicht als verbotene<br />

Analogie zu Lasten des Täters nach Art. 103 Abs. 2 GG anzusehen wäre. 22<br />

bbb) Dem könnte man jedoch entgegenhalten, dass der Wortlaut sich<br />

gerade nur auf ein vollendetes Delikt bezieht, sodass der Wortlaut<br />

im Falle des Versuchs – im Einklang mit Art. 103 Abs. 2 GG – in<br />

Zusammenschau mit §§ 22, 23 StGB entsprechend umzudeuten ist. I.Ü.<br />

erfasst der Klammerzusatz „(§§ 223-226)“ auch die jeweiligen zweiten<br />

Absätze, in denen die Versuchsstrafbarkeit geregelt ist. Zudem stützen<br />

dieses Verständnis teleologische Gesichtspunkte, da sich bereits durch die<br />

Körperverletzungshandlung (z.B. das Lösen eines Schusses beim Schlag<br />

17 BGHSt 31, 96, 98f.; 32, 25, 28; 33, 322, 324.<br />

18 Alternativ hätte die Frage bereits i. R. d. Vorprüfung geklärt werden<br />

können; so bspw. Beulke, Klausurenkurs im StR III, Rn. 403, 405.<br />

19 a.A. (enge Ansicht) Maurach/Gössel/Zipf, AT2 ,§ 43, Rn. 117; a.A. Otto, AT<br />

§ 18 Rn. 83 ff.; Schroeder, in: JZ 1967, 368; Stree, GA 1960, 289, 292f.<br />

20 BGH NStZ 2001, 534; BGH NStZ 2003, 149; i.Ü. h.M. in Lit. z.B. Wessels/<br />

Beulke, StR AT, Rn. 617.<br />

21 so bereits RGSt 44, 137; OGHSt 2, 335; i.Ü. T.d.L, vgl. etwa Geilen, Welzel-FS,<br />

S.655; Hirsch, Oehler-FS, S.111; Küpper, Hirsch-FS, S. 615; Lackner/Kühl, §<br />

227 Rn.2 m.w.N.<br />

22 zum Ganzen Wessels/Hettinger, StR BT 1, Rn. 298ff.; näher Engländer, in:<br />

GA 2008, 673.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Fallbearbeitung<br />

mit einer Waffe 23 oder infolge von Panikreaktionen auf einen versuchten<br />

Angriff 24 ) typischerweise Gefahren ergeben können, welche einen todbrin-<br />

genden Erfolg zur Folge haben könnten. Folglich scheint es überzeugend,<br />

beim Tatbestand des § 227 StGB den erfolgsqualifizierten Versuch gr<strong>und</strong>-<br />

sätzlich als möglich anzusehen.<br />

bb) In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob der Gefahrverwirklich-<br />

ungszusammenhang im konkreten Einzelfall nicht unterbrochen ist.<br />

Nachdem A zum Faustschlag angesetzt hat, hat sich erst durch die darauf<br />

folgende - <strong>und</strong> über die Notwehr hinausgehende - Attacke des B eine den<br />

gerechtfertigten Todesschuss herbeiführende Situation ergeben.<br />

<strong>Die</strong> Zurechnung könnte durch das eigenverantwortliche Opferverhalten<br />

des B unterbrochen sein. Danach trägt derjenige, der seine Rechtsgüter<br />

selbst gefährdet, gr<strong>und</strong>sätzlich selbst die Verantwortung <strong>für</strong> sein Handeln. 25<br />

B hat es vorliegend nicht dabei belassen, sich bei der Abwehr des Faust-<br />

schlags i. R. d. Notwehr zu bewegen, sondern hat diese durch das beab-<br />

sichtigte weitere Zuschlagen mit dem Teleskopschlagstock überschritten. 26<br />

Durch diese Entscheidung zur Begehung der rechtswidrigen Tat trägt B<br />

zur Erhöhung der Gefahrintensität bei, sodass die spezifische Gefahr der<br />

Rechtgüterverletzung seinem Verantwortungsbereich unterfällt. Damit hat<br />

B sich eigenverantwortlich der Erhöhung der Gefahrensituation ausgesetzt,<br />

sodass der Gefahrverwirklichungszusammenhang als unterbrochen anzu-<br />

sehen ist.<br />

4. ERGEBNIS<br />

Folglich hat A sich nicht der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge<br />

gem. §§ 223, 224, 227, 22, 23 StGB strafbar gemacht.<br />

IV. § 222 STGB<br />

Indem A zum Faustschlag gegenüber B ausholte, könnte er sich allerdings<br />

der fahrlässigen Tötung gem. §§ 222 StGB strafbar gemacht haben.<br />

1. TATBESTAND<br />

Durch das Ausholen zum Faustschlag hat A den Tod des B adäquat kausal<br />

verursacht. Es stellt sich hier die Frage, ob die Annahme der fahrlässigen<br />

Tatbegehung nicht mit dem Ergebnis der durch Notwehr gerechtfertigten<br />

Abgabe des tödlichen Schusses (A. I, II) in Widerspruch steht. 27 Man könnte<br />

hierbei annehmen, dass es widersinnig sei, den Todeserfolg einerseits als<br />

gerechtfertigt <strong>und</strong> damit rechtmäßig anzusehen, andererseits hierauf die<br />

Strafbarkeit zu gründen. Ein Erfolg kann demzufolge nicht gleichzeitig als<br />

rechtswidrig <strong>und</strong> rechtmäßig angesehen werden. 28 Dem könnte jedoch ent-<br />

gegenhalten werden, dass solche unterschiedlichen Bewertungen seit jeher<br />

anerkannt sind. So schließt die mittelbare Täterschaft eines gerechtfertigt<br />

handelnden Tatmittlers die Strafbarkeit des Hintermanns nicht aus, wie<br />

23 BGHSt 14, 110 („Pistolenschlag“).<br />

24 BGHSt 48, 34 („Gubener Hetzjagd“).<br />

25 Engländer, in: JURA 2001, 534, 537.<br />

26 Engländer, in: JURA 2001, 534, 537.<br />

27 a.A. Mitsch, BGH JuS 2001, 751, 755.<br />

28 vgl. Jäger, in: JR 2001, 512, 513; Roxin, in: JZ 2001, 667, 668.<br />

45


46<br />

Fallbearbeitung<br />

beispielsweise im Falle einer auf einer bewusst falschen Anschuldigung<br />

beruhenden Verhaftung (Polizei nimmt aufgr<strong>und</strong> falscher Beschuldigung<br />

durch eine Person einen Anderen fest; die Polizeiaktion ist rechtmäßig,<br />

die Freiheitsberaubung steht der Rechtsordnung jedoch entgegen <strong>und</strong> der<br />

Hintermann ist deshalb strafbar). 29 <strong>Die</strong>ser Vergleich vermag jedoch nicht<br />

zu überzeugen. Der Erfolg der Freiheitsentziehung ist in diesem Fall eindeutig<br />

als rechtwidrig zu beurteilen, er kann den rechtmäßig handelnden<br />

Beamten lediglich nicht zugerechnet werden. Zudem fehlt es bei einem<br />

rechtskonformen, weil gerechtfertigten Erfolg, am Erfolgsunrecht. Würde<br />

man nun im Falle eines Fahrlässigkeitsdelikts eine Strafbarkeit lediglich<br />

auf den Handlungsunwert stützen, liefe dies auf die Bestrafung eines - sonst<br />

straflosen - fahrlässigen Versuchs hinaus. 30 Folglich führt die Annahme<br />

nicht nur zu einem Wertungswiderspruch, sondern darüber hinaus auch<br />

zu einem systemwidrigen Ergebnis <strong>und</strong> ist daher abzulehnen.<br />

Bearbeiterhinweis: Letztlich handelt es sich bei diesem Problem um einen<br />

(atypischen 31 ) Fall der actio illicita in causa, welcher von der h. M.<br />

überzeugender Weise abgelehnt wird. In der diesem Fall zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />

Entscheidung hat der BGH eine Strafbarkeit erstmals angenommen.<br />

Nach unserem Da<strong>für</strong>halten ist das Ausweisen als „aiic“ im Rahmen<br />

einer Fallbearbeitung nicht angezeigt. Für eine überdurchschnittliche<br />

Bearbeitung genügt es, das Problem zu erkennen (!), herauszuarbeiten <strong>und</strong><br />

mithilfe einiger Argumente zu diskutieren.<br />

2. ERGEBNIS<br />

A hat sich nicht der fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB strafbar gemacht.<br />

VI. §§ 226 I NR.2, II, 22, 23 STGB<br />

A könnte sich jedoch der versuchten schweren Körperverletzung gem.<br />

§§ 226 Abs.1 Nr.2, Abs. 2, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben, indem er<br />

zum Faustschlag gegenüber B ausholte.<br />

Bearbeiterhinweis: Hier handelt es sich um einen sog. Versuch der<br />

Erfolgsqualifikation. Dabei ist die qualifizierende Folge vom Vorsatz umfasst,<br />

tritt jedoch nicht ein. Das Gr<strong>und</strong>delikt kann dabei sowohl versucht<br />

(wie hier) als auch vollendet sein. Dessen Strafbarkeit ist allgemein anerkannt<br />

- anders der soeben geprüfte sog. erfolgsqualifizierte Versuch (A.III.).<br />

Hier wird die qualifizierende Folge durch den Versuch des Gr<strong>und</strong>delikts<br />

fahrlässig herbeigeführt. Mit der h. M. kommt es <strong>für</strong> die Strafbarkeit entscheidend<br />

darauf an, ob die spezielle Gefährlichkeit von der Handlung oder<br />

dem Erfolg herrührt.<br />

1. VERSUCH DES § 223 STGB<br />

A hat vorsätzlich bezüglich der Verwirklichung einer einfachen Körperverletzung<br />

gehandelt <strong>und</strong> hat hierzu - durch Ausholen zum Faustschlag -<br />

auch unmittelbar angesetzt.<br />

29 so z.B. im Falle der auf einer falschen Anschuldigung beruhenden<br />

Verhaftung (Roxin, in: JZ 2001, 667, 668).<br />

30 Jäger, in: JR 2001, 512, 514.<br />

31 Roxin, in: JZ 2001, 667 f.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

2. VORSATZ BZGL. § 226 STGB<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich bedarf es wenigstens der Fahrlässigkeit bezüglich des<br />

Eintritts des schweren Folge, vgl. § 226 i. V. m. § 18 StGB. Im Rahmen<br />

des Versuchs einer Erfolgsqualifikation ist allerdings Vorsatz hinsichtlich<br />

der schweren Folge erforderlich. Als schwere Folge kommt hier das<br />

Unbrauchbarmachen eines wichtigen Glieds des Körpers nach § 226<br />

Abs. 1 Nr. 2 Alt.2 in Betracht. Als Glied kann jedenfalls jedes nach außen in<br />

Erscheinung tretende Körperteil angesehen werden, das durch ein Gelenk<br />

mit dem Körper verb<strong>und</strong>en ist. 32 Dessen Wichtigkeit bestimmt sich nach<br />

seiner allgemeinen Bedeutung <strong>für</strong> den Gesamtorganismus. 33 A beabsichtigt,<br />

B ins Knie zu schießen, sodass dieses dauerhaft steif wird. Der durch ein<br />

Glied verb<strong>und</strong>ene untere Beinbereich hat eine ganz erhebliche Bedeutung<br />

<strong>für</strong> die Fortbewegung <strong>und</strong> ist daher als wichtiges Glied anzusehen. Damit<br />

hat A Vorsatz in Form von Absicht bezüglich § 226 Abs. 1 Nr.2 StGB, so<br />

dass zusätzlich die weitere Qualifikation aus § 226 Abs. 2 StGB greift. <strong>Die</strong><br />

Versteifung des Knies wäre typische Folge der Schussverletzung, sodass<br />

auch Vorsatz bezüglich der Verwirklichung des tatbestandsspezifischen<br />

Gefahrzusammenhangs bestünde.<br />

Bearbeiterhinweis: Es ist nur schwerlich möglich, sich <strong>für</strong> jedes (examensirrelevante)<br />

Delikt sämtliche Definitionen der jeweiligen Tatbestandsmerkmale<br />

einzuprägen. Sofern man in der Klausur keine Definition parat hat, empfiehlt<br />

es sich, eine Definition - durch Bildung typischer Beispielsfälle - selbst<br />

herzuleiten oder notfalls ohne Definition schlüssig zu begründen, warum<br />

der zu entscheidende Fall (nicht) erfasst wird. 34<br />

3. UNMITTELBARES ANSETZEN BZGL. § 226 STGB<br />

A müsste des Weiteren unmittelbar zur beabsichtigten Schussverletzung<br />

des Beines angesetzt haben. Hierzu müsste die Schwelle zum „Jetzt geht es<br />

los“ überschritten sein, sodass objektiv ein auf die Verwirklichung der Tat<br />

gerichtetes Verhalten an den Tag gelegt wird, das nach der Vorstellung des<br />

Täters der tatbestandsmäßige Erfolg ohne wesentliche Zwischenakte eintreten<br />

werde <strong>und</strong> das Rechtsgut unmittelbar gefährdet ist. A hat hier zum<br />

Faustschlag ausgeholt, um B niederzustrecken <strong>und</strong> ihm dann unmittelbar<br />

in das Knie zu schießen. Fraglich ist, ob A durch die Ausholbewegung zugleich<br />

unmittelbar zum Schuss ansetzt. Nach seiner Vorstellung hätte A<br />

nach dem Niederschlagen des B noch die Waffe ziehen <strong>und</strong> einen Schuss<br />

abfeuern müssen. Das Niederschlagen mit der Faust soll den entscheidenden<br />

Angriff mit der Waffe lediglich vorbereiten, sodass eine weitere<br />

eigenständige Handlung noch erforderlich wäre. Es ist ein zweiaktiges<br />

Geschehen geplant, bei dem erst die neue Handlung die schwere Folge<br />

hervorrufen soll. Demnach könnten die Zwischenakte als wesentlich angesehen<br />

werden, sodass das Ausholen zum Schlag noch in den Bereich der<br />

Vorbereitungshandlungen fiele. 35 Andererseits ist zuzugestehen, dass das<br />

Geschehen vom Ausholen bis zum Schuss in einem sehr engen räumlichen<br />

<strong>und</strong> zeitlichen Zusammenhang hat stattfinden sollen. Der Schlag <strong>und</strong><br />

die weiteren Handlungen sollten fließend ineinander übergehen. Sobald<br />

32 Wessels/Hettinger, StR BT 1, Rn. 288.<br />

33 st. Rspr.; im Einzelnen str. vgl. Wessels/Hettinger, StR BT 1, Rn. 289.<br />

34 Klaas/Scheinfeld, in: JURA 2010, 542, 547 mit weiteren Klausurtipps.<br />

35 so i.E. Eisele, in: NStZ 2001, 416, 418.


der Schlag versetzt wurde, sollte die Waffe idealerweise bereits gezogen<br />

sein <strong>und</strong> den beabsichtigten Knieschuss unmittelbar abfeuern. Daher<br />

scheint es überzeugend, bereits im Zeitpunkt des Ausholens eine unmittelbare<br />

Gefährdung auch des durch § 226 StGB geschützten Rechtsguts<br />

anzunehmen <strong>und</strong> die Zwischenakte nicht als wesentlich anzusehen.<br />

Überzeugenderweise ist das unmittelbares Ansetzen daher anzunehmen. 36<br />

4. RECHTSWIDRIGKEIT UND SCHULD<br />

Rechtfertigungs- <strong>und</strong> Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des Vorsatzes bezüglich der schweren Folge bedarf es keiner subjektiven<br />

Fahrlässigkeit.<br />

5. ERGEBNIS<br />

Somit hat A sich der versuchten schweren Körperverletzung gem. §§ 226 I<br />

Nr. 2, Abs. 2, 22, 23 StGB strafbar gemacht, indem er zum Faustschlag<br />

gegenüber B ausholte.<br />

B. TATKOMPLEx: DIE AUTOFAHRT<br />

I. GEFäHRDUNG DES STRAßENVERKEHRS, § 315 C ABS. 1 NR. 1 A<br />

I.V.M. ABS. 3 NR. 1 STGB<br />

A könnte sich wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c Abs. 1<br />

Nr. 1 a StGB strafbar gemacht haben.<br />

1. OBJEKTIVER TATBESTAND<br />

a) Führen eines Fahrzeugs trotz Fahruntüchtigkeit<br />

A hat vorliegend im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt. Er müsste hierbei<br />

in Folge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender<br />

Mittel nicht in der Lage gewesen sein, das Fahrzeug sicher zu führen.<br />

Fahruntüchtigkeit ist gegeben, wenn der Führer nicht fähig ist eine längere<br />

Strecke so zu steuern, dass er den Anforderungen des Straßenverkehrs,<br />

auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, so gewachsen<br />

ist, wie es von einem durchschnittlichen Fahrzeugführer zu erwarten ist. 37<br />

Im Rahmen der Nr. 1 a wird im Zusammenhang mit dem Genuss alkoholischer<br />

Getränke absolute Fahruntüchtigkeit beim Erreichen eines jeweiligen<br />

Grenzwertes unwiderleglich vermutet. <strong>Die</strong> Rechtsprechung nimmt<br />

<strong>für</strong> sämtliche Fahrer von Kraftfahrzeugen absolute Fahruntüchtigkeit<br />

bei einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von mindestens 1,1 Promille<br />

an. 38 A fuhr vorliegend mit einer BAK von 1,7 Promille, sodass absolute<br />

Fahruntüchtigkeit vorliegt. Fraglich ist, ob er dadurch Leib oder Leben eines<br />

Anderen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert konkret gefährdet<br />

hat.<br />

b) Gefährdung des Beifahrers K<br />

Zum einen kommt hier eine Gefährdung des Kollegen K in Betracht <strong>und</strong><br />

36 so Roxin, in: JZ 2001, 667; Jäger, in: JR 2001, 512, 513; Mitsch, in:, JuS 2001,<br />

751, 754 hält es <strong>für</strong> „vertretbar“.<br />

37 Fischer, § 315 c, Rn. 4.<br />

38 Sternberg-Lieben/Hecker, in Schönke/Schröder, § 316, Rn. 8.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Fallbearbeitung<br />

zum anderen eine Gefährdung des Pkws. Es genügt gr<strong>und</strong>sätzlich die<br />

Gefährdung eines beliebigen Menschen. 39 Der Mitfahrer ist in diesem<br />

Zusammenhang in den Strafschutz einbezogen. 40 Fraglich ist jedoch, ob<br />

dies auch gilt, wenn der Beifahrer selbst Teilnehmer der Tat ist.<br />

<strong>Die</strong>se Frage hat nur Relevanz, wenn K überhaupt eine strafbare Teilnahme<br />

begangen hat.<br />

aa) Teilnahme des K<br />

K könnte vorliegend dem A Beihilfe geleistet haben. Gemäß § 27 S. 1 StGB<br />

wird als Gehilfe bestraft, wer vorsätzlich einem Anderen zu dessen vorsätzlich<br />

begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. <strong>Die</strong> Strafbarkeit der<br />

Beihilfe setzt somit zunächst eine rechtswidrige <strong>und</strong> vom Täter vorsätzlich<br />

begangene Haupttat voraus. 41<br />

aaa) Vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat des A<br />

Als Haupttat kommt hier wiederum die Gefährdung des Straßenverkehrs<br />

nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB in Betracht. Dementsprechend müssten alle<br />

Tatbestandvoraussetzungen der Norm gegeben sein, wobei ein geeignetes<br />

Gefährdungsobjekt zu unterstellen ist.<br />

Bearbeiterhinweis: An dieser Stelle ist das Annehmen eines geeigneten<br />

Gefährdungsobjekts unbedingt notwendig. Denn nur dann gelangt die<br />

Inzident-Prüfung der vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat zu einem<br />

Ergebnis, sodass anschließend das eigentliche Problem diskutiert werden<br />

kann, ob der teilnehmende Beifahrer ein geeignetes Gefährdungsobjekt<br />

darstellt.<br />

(1) A hat vorliegend ein Fahrzeug geführt, obwohl er in Folge des Genusses<br />

alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen,<br />

s.o.<br />

(2) Dadurch müsste er Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet<br />

haben. <strong>Die</strong> Gefahr ist gegeben, wenn die Sicherheit einer bestimmten<br />

Person durch das Verhalten des Täters so stark beeinträchtigt wird, dass es<br />

nur noch vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt wird oder nicht (sog.<br />

„Beinahe-Unfall“). 42 Ein unbeteiligter Beobachter muss zu der Einschätzung<br />

gelangen, dass dies „gerade noch einmal gut gegangen“ ist. 43 Allein aus dem<br />

Umstand, dass ein alkoholbedingt unsicherer Fahrer einen Anderen mitgenommen<br />

hat, kann noch nicht auf eine konkrete Gefahr <strong>für</strong> Leib oder<br />

Leben des Mitfahrers geschlossen werden. 44 Eine konkrete Gefährdung ergibt<br />

sich gerade nicht schon aus der abstrakten Gefährdung bei absoluter<br />

Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugführers. 45 Ansonsten würde das konkrete<br />

Gefährdungsdelikt in ein abstraktes umgewandelt werden. Allerdings<br />

genügt es, dass der Fahrzeugführer in Folge seiner Alkoholisierung das<br />

Fahrzeug technisch nicht mehr beherrscht. 46 Vorliegend ist das Fahrzeug<br />

39 Groeschke, in MüKo, § 315 c, Rn. 53.<br />

40 Vgl. Sternberg-Lieben/Hecker, in Schönke-Schröder § 315 c, Rn. 31;<br />

Groeschke, in MüKo, § 315 c, Rn. 53.<br />

41 Fischer, § 27, Rn. 3.<br />

42 Groeschke, in MüKo, § 315 c, Rn. 52.<br />

43 Joecks, § 315 c, Rn. 15 a; BGH, JuS 2010, 364; Hecker,, in: JuS 2010, 364.<br />

44 Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, § 315 c, Rn. 33; BGH, Urt. v.<br />

30.03.1995, 4 StR 725/94, MDR 1995, 798; anders noch frühere Rspr., vgl.<br />

BGH, Urt. v. 20.10.1988, 4 StR 335/88, NStZ 1989, 73, 74.<br />

45 Fischer, § 315 c, Rn. 15 a.<br />

46 Joecks, § 315 c, Rn. 15; Lackner/Kühl, § 315 c, Rn. 23; BGH, Urt. v. 30.03.1995,<br />

4 StR 725/94, MDR 1995, 798.<br />

47


48<br />

Fallbearbeitung<br />

gerade noch vor einem Baum zum Stehen gekommen, sodass eine unfall-<br />

kritische Situation gegeben ist. Ein solcher „Beinahe-Unfall“ ist <strong>für</strong> die<br />

Bejahung einer konkreten Gefahr ausreichend.<br />

(3) Weiterhin müsste der tatbestandsspezifische Gefahrverwirklichungs-<br />

zusammenhang gegeben sein. Es muss sich die typische Gefährlichkeit<br />

des jeweiligen Verkehrsverstoßes realisiert haben, d.h. im Fall von Nr.<br />

1 a muss die konkrete Gefahr Folge der Fahruntüchtigkeit sein. 47 Das<br />

Fahrzeug kam hier ins Schleudern, weil A es auf Gr<strong>und</strong> seines alkoho-<br />

lisierten Zustandes nicht mehr unter Kontrolle hatte. A war hier nur<br />

noch eingeschränkt fähig, das Fahrzeug zu beherrschen <strong>und</strong> enthemmt,<br />

Situationen herbeizuführen, die nicht mehr zu beherrschen sind, was<br />

typische Folgen einer Alkoholisierung sind. Der tatbestandsspezifische<br />

Gefahrverwirklichungszusammenhang ist somit gegeben. Ein geeignetes<br />

Gefährdungsobjekt ist an dieser Stelle zu unterstellen. Damit ist der objektive<br />

Tatbestand des § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB erfüllt.<br />

(4) A müsste auch vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz bedeutet das<br />

Wissen <strong>und</strong> Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Vorliegend wusste A,<br />

dass er nicht mehr Autofahren durfte, sodass zumindest Vorsatz bezüglich<br />

der Fahruntüchtigkeit gegeben ist. Jedoch wollte A seinen Kollegen zu<br />

keinem Zeitpunkt gefährden. Vorsatz bezüglich einer konkreten Gefahr<br />

scheidet demnach aus. Dennoch kommt eine Strafbarkeit aus § 315 c Abs. 3<br />

Nr. 1 in Betracht (Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination). Fahrlässigkeit<br />

hinsichtlich der Gefährdung liegt jedenfalls vor. Gemäß § 11 Abs. 2 StGB<br />

ist eine Tat auch dann vorsätzlich im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie einen<br />

gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, der hinsichtlich der Handlung<br />

Vorsatz voraussetzt, hinsichtlich einer dadurch verursachten Gefahr jedoch<br />

Fahrlässigkeit ausreichen lässt. Eine Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination<br />

ist also in diesem Zusammenhang ausreichend.<br />

(5) Problematisch ist die Rechtswidrigkeit. K könnte in seine Gefährdung<br />

eingewilligt haben, sodass die Rechtswidrigkeit entfällt. Fraglich ist allerdings,<br />

ob es sich bei § 315 c StGB um ein einwilligungsfähiges Delikt<br />

handelt. <strong>Die</strong>s hängt davon ab, welchen Schutzzweck die Norm verfolgt.<br />

Sieht man den Unrechtsschwerpunkt des § 315 c StGB in der konkreten<br />

Individualgefährdung, ist eine Einwilligung möglich. Da<strong>für</strong> spricht, dass die<br />

Allgemeinheit schon durch § 316 StGB geschützt wird <strong>und</strong> der Gesetzgeber im<br />

Gegensatz zu § 315 b StGB das Merkmal der Beeinträchtigung der Sicherheit<br />

des Straßenverkehrs nicht in § 315 c StGB aufgenommen hat. 48 Der Schutz<br />

der Allgemeinheit wird dadurch erreicht, dass gerade der Einzelne <strong>und</strong><br />

ihm zugehörige Rechtsgüter geschützt werden. 49 Dagegen spricht allerdings<br />

schon die systematische Stellung der Vorschrift. § 315 c StGB befindet sich<br />

im 28. Abschnitt des StGB, der überschrieben ist mit „Gemeingefährliche<br />

Straftaten“. Geschützt werden soll die Sicherheit des Straßenverkehrs, d. h. die<br />

Allgemeinheit. 50 Dass dadurch auch der Einzelne geschützt wird, ist eine Art<br />

Nebenwirkung dieses verwirklichten Schutzes. 51 Im Rahmen des § 315 c StGB<br />

hat das Individualrechtsgut nur eine untergeordnete Bedeutung. Deshalb erscheint<br />

Letzteres überzeugend. Es fehlt somit an der Dispositionsbefugnis,<br />

47 Vgl. Fischer, § 315 c, Rn. 16; Joecks, § 315 c, Rn. 20.<br />

48 So Sternberg-Lieben/Hecker, in Schönke/Schröder, § 315 c, Rn. 2, 40.<br />

49 Wolters/Horn, in SK, vor § 306, Rn. 1.<br />

50 H.M., vgl. Herzog, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 315 c, Rn. 1;<br />

Groeschke, in MüKo, § 315 c, Rn. 1; Fischer, § 315 c, Rn. 2; Lackner/Kühl, § 315<br />

c, Rn. 1; BGH, Urt. v. 28.10.1976, 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, NJW 1977,<br />

1109.<br />

51 Vgl. BGH, Urt. v. 28.10.1976, 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, NJW 1977, 1109.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

eine Einwilligung des K kommt nicht in Betracht.<br />

(6) Folglich liegt eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat des A vor.<br />

bbb) Beihilfehandlung des K<br />

Dadurch dass K den A angefeuert hat, könnte er zumindest psychische<br />

Beihilfe geleistet haben. <strong>Die</strong> psychische Beihilfe ist ein Tatbeitrag, der den<br />

Haupttäter in seinem Tatentschluss bestärkt oder bei der Tatausführung<br />

unterstützt. 52 Durch das Anfeuern durch K wird A in seinem Vorhaben<br />

bestärkt. K hatte auch zumindest bedingten Vorsatz hinsichtlich der<br />

Gefährdung des Straßenverkehrs <strong>und</strong> hinsichtlich seiner Beihilfe (sog.<br />

doppelter Teilnehmervorsatz). Schließlich war die Beihilfehandlung auch<br />

rechtswidrig <strong>und</strong> K handelte schuldhaft.<br />

ccc) Zwischenergebnis<br />

Mithin ist K Teilnehmer. Daher ist nun relevant, ob K als Teilnehmer ein<br />

geeignetes Gefährdungsobjekt darstellt.<br />

bb) Teilnehmer als taugliches Gefährdungsobjekt<br />

K müsste als Tatbeteiligter zu den geschützten „Anderen“ i. S. d. § 315 c<br />

StGB gehören.<br />

aaa) Man könnte die Einbeziehung des Teilnehmers in den Schutzbereich<br />

des § 315 c StGB verneinen. 53 Da<strong>für</strong> spricht vor allem der Schutzzweck der<br />

Norm. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang das Schutzgut des<br />

§ 315 c StGB, nämlich die allgemeine Sicherheit des Straßenverkehrs, d.h.<br />

die Allgemeinheit54 . Der Teilnehmer steht jedoch nicht stellvertretend <strong>für</strong><br />

die Allgemeinheit, sondern vielmehr auf Seiten des Täters. <strong>Die</strong> Sicherheit<br />

des Straßenverkehrs wird gerade nicht tangiert, wenn lediglich der<br />

Teilnehmer konkret gefährdet wird <strong>und</strong> darüber hinaus niemand. Den<br />

Schutz des Teilnehmers bezweckt § 315 c StGB gerade nicht. Danach wäre<br />

kein anderer Mensch i. S. d. Vorschrift gefährdet worden.<br />

bbb) Demgegenüber könnte man vertreten, dass auch jemand, der an der<br />

Herbeiführung der konkreten Gefahr beteiligt ist, taugliches Tatobjekt<br />

sein kann. 55 Da<strong>für</strong> spricht, dass es nach dem Wortlaut des § 315 c StGB<br />

keine Beschränkung auf „Tatfremde“ gibt. Es gibt keinen Gr<strong>und</strong>satz, nach<br />

dem der Teilnehmer nicht selbst Objekt der Straftat sein kann. Jemand, der<br />

selbst gegen die Rechtsordnung verstößt, verwirkt nicht automatisch seinen<br />

strafrechtlichen Schutz. 56 Auch bei Ziehung einer Parallele zum Betrug ergibt<br />

sich, dass die Strafgesetze auch im Verhältnis von Straftätern untereinander<br />

gelten. Danach wäre K ein geeignetes Gefährdungsobjekt.<br />

ccc) <strong>Die</strong> letztgenannte Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Zwar<br />

kann von einer Verwirkung des Strafschutzes nicht ausgegangen werden,<br />

allerdings geht es bei konkreten Gefährdungsdelikten darum, dass ein<br />

Verhalten <strong>für</strong> eine Vielzahl von Personen abstrakt gefährlich ist <strong>und</strong> dessen<br />

52 Fischer, § 27, Rn. 11.<br />

53 Groeschke, in MüKo, § 315 c, Rn. 51; Fischer, § 315 c, Rn. 15 a; BGH, Beschl.<br />

v. 12.12.1990, 4 StR 531/90, NJW 1991, 1120; Hillenkamp, in: JuS 1977, 167.<br />

54 S. o.<br />

55 Graul, in: JuS 1992, 321, 324; Wolters/Horn, in: SK-StGB, vor § 306, Rn. 9.<br />

56 Wolters/Horn, in: SK, vor § 306, Rn. 9; Wirsch, in: JuS 2006, 400; im Erg.<br />

auch Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Rn. 31.


Gefährlichkeit sich in der Gefahr <strong>für</strong> einen Anderen konkretisiert. 57 Wer<br />

selbst die Gefahr (mit) herbeiführt, gehört nicht zur Masse derer, um deren<br />

abstrakten Schutz es in einer konkreten Situation geht. Teilnehmer sind<br />

vielmehr der Sphäre des Täters zuzuordnen. 58 Selbst wenn man § 315 c StGB<br />

als zumindest teilweise individualschützende Norm ansieht, kann man kei-<br />

ne Person in den Schutzbereich einer Vorschrift mit einbeziehen, um sie<br />

dann genau deshalb bestrafen zu können. Der Teilnehmer würde, wenn<br />

man ihn in den Schutzbereich des § 315 c StGB mit einbezieht, seine eigene<br />

Strafbarkeit begründen. Daher ist es überzeugend, den Teilnehmer nicht<br />

zum Kreis der tauglichen Gefährdungsobjekte zu zählen. Folglich wurde<br />

nicht Leib oder Leben eines anderen Menschen i. S. d. Vorschrift gefährdet.<br />

c) Gefährdung des Pkws<br />

A könnte allerdings eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefähr-<br />

det haben. Als Tatobjekt kommt hier der Pkw, mit dem A gefahren ist, in<br />

Betracht. Der Begriff der Fremdheit bestimmt sich nach dem bürgerlichen<br />

Recht, wonach eine Sache fremd ist, wenn sie nicht im Alleineigentum<br />

des Täters steht <strong>und</strong> nicht herrenlos ist. 59 Der Wagen steht vorliegend im<br />

Eigentum der Mutter <strong>und</strong> ist somit fremd. Darüber hinaus handelt es sich<br />

dabei auch um eine Sache von bedeutendem Wert, der zudem nahe liegender<br />

Weise ein bedeutender Schaden drohte.<br />

aa) Fraglich ist jedoch, ob das von A geführte, aber im fremden Eigentum<br />

stehende Tatfahrzeug als Tatobjekt i. R. d. § 315 c StGB in Betracht kommt.<br />

<strong>Die</strong> Gefährdung des im fremden Eigentum stehenden Tatfahrzeugs reicht<br />

nach h. L. <strong>und</strong> ständiger Rechtsprechung nicht aus. 60 <strong>Die</strong> Voraussetzung<br />

der Straßenverkehrsgefährdung sei selbst dann nicht erfüllt, wenn das<br />

Fahrzeug gestohlen sei. 61 Zwar bezieht die Vorschrift nach dem Wortlaut<br />

das von A geführte Fahrzeug mit ein, da nur eine konkrete Gefahr <strong>für</strong><br />

fremde Sachen von bedeutendem Wert verlangt wird, allerdings ist die<br />

Vorschrift einschränkend auszulegen. Entscheidend ist hierbei wiederum,<br />

dass das von § 315 c StGB geschützte Rechtsgut, die allgemeine Sicherheit<br />

des Straßenverkehrs, noch nicht dadurch beeinträchtigt wird, dass der<br />

Täter nur das von ihm geführte Fahrzeug gefährdet oder beschädigt. 62<br />

bb) <strong>Die</strong>s ist auch überzeugend. Das Tatfahrzeug ist notwendiges Werkzeug<br />

zur Verwirklichung des Tatbestandes <strong>und</strong> kann nicht gleichzeitig das<br />

Schutzobjekt sein. 63 Zudem käme es dann darauf an, ob der Fahrzeugführer<br />

das Fahrzeug geliehen, gemietet oder geleast hat oder es in seinem Eigentum<br />

steht. <strong>Die</strong>se zivilrechtlich zu beantwortende Frage sollte nicht über die<br />

Anwendbarkeit des § 315 c StGB entscheiden. 64 Der Unterschied, ob der Täter<br />

mit seinem eigenen oder einem fremden Fahrzeug fährt, darf auch nicht zu<br />

57 Joecks, Vor § 306, Rn. 6.<br />

58 Kudlich, in: Heintschel-Heinegg, § 315 c, Rn. 60.<br />

59 Groeschke, in: MüKo, § 315 c, Rn. 54.<br />

60 Herzog, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 315 c, Rn. 16; Fischer, § 315<br />

c, Rn. 15 b; Groeschke, in: MüKo, § 315 c, Rn. 54; Schönke/Schröder, § 315 c,<br />

Rn. 31; BGH, Urt. v. 16.01.1992, 4 StR 509/91, NStZ 1992, 233; BGH, Urt. v.<br />

28.10.1976, 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, NJW 1977, 1109; BGH Urt. v.<br />

15.12.1998, 4 StR 576/98, NStZ-RR 1999, 120.<br />

61 BGH, Urt. v. 28.10.1976, 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, NJW 1977, 1109.<br />

62 BGH, Urt. v. 28.10.1976, 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, NJW 1977, 1109.<br />

63 Vgl. Lackner/Kühl, § 315 c, Rn. 25; BGH, Urt. v. 28.10.1976, 4 StR 465/76,<br />

BGHSt 27, 40, NJW 1977, 1109.<br />

64 Geppert, in: Jura 2001, 559, 565.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Fallbearbeitung<br />

einer dermaßen unterschiedlichen Strafbarkeit führen, wie sie sich dann<br />

zwangsläufig ergeben würde (vgl. Strafrahmen des § 315 c u. § 316 StGB).<br />

2. ERGEBNIS<br />

Mangels tauglichen Tatobjekts scheidet eine Strafbarkeit nach § 315 c I Nr.<br />

1 a, Abs. 3 StGB aus.<br />

II. TRUNKENHEIT IM VERKEHR, § 316 ABS. 1 STGB<br />

A könnte sich dadurch, dass er mit einer BAK von 1,7 Promille Auto gefahren<br />

ist, wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 I StGB strafbar gemacht<br />

haben.<br />

1. TATBESTAND<br />

Das setzt voraus, dass A im Verkehr ein Fahrzeug geführt hat, obwohl er<br />

in Folge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender<br />

Mittel nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. A hat vorliegend<br />

mit seinem Kollegen eine Spritztour gemacht, obwohl er absolut fahruntüchtig<br />

war, s.o. Er wusste, dass er nicht mehr fahren durfte <strong>und</strong> handelt<br />

dementsprechend auch vorsätzlich.<br />

2. RECHTSWIDRIGKEIT UND SCHULD<br />

<strong>Die</strong> Tat war auch rechtswidrig <strong>und</strong> A handelte schuldhaft.<br />

3. ERGEBNIS<br />

A hat sich wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB strafbar<br />

gemacht.<br />

Wir suchen Studierende, Referendare/-innen <strong>und</strong> wissenschaftliche<br />

Mitarbeiter/-innen, die Zeit <strong>und</strong> Lust haben sich im <strong>Iurratio</strong>-Projekt<br />

zu engagieren. Wenn Du Interesse daran hast Dich an unserem<br />

ehrenamtlichen Projekt zu beteiligen, melde Dich per E-Mail bei<br />

unserer Geschäftsstelle unter Mitarbeit@<strong>iur</strong>ratio.de – auf Dich<br />

freuen sich über 70 Mitarbeiter aus ganz Deutschland!.<br />

49


50<br />

In Anlehnung an dieses Zitat von Benjamin Franklin hat sich ein amerika-<br />

nischer Onlineshop dem Thema Nacktscanner gewidmet; anders als dies in<br />

der öffentlichen Diskussion sonst zumeist der Fall ist, aber auf eine etwas<br />

humorvollere Art. Viele Menschen meckern <strong>und</strong> beschweren sich über<br />

die zwangsweise Entblößung durch die sogenannten Nacktscanner <strong>und</strong> die<br />

damit einhergehende Verletzung von Persönlichkeitsrechten; die Erfinder<br />

von Flying Pasties dagegen handeln.<br />

„Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen,<br />

wird am Ende beides verlieren“<br />

Unter www.flyingpasties.com bieten sie Körpersticker an, mit welchen sich<br />

Flugreisende vor den aufdringlichen Blicken der Nacktscanner <strong>und</strong> ihrer<br />

Bediener schützen können. <strong>Die</strong>se werden auf die intimsten Stellen des<br />

menschlichen Körpers gelegt <strong>und</strong> bleiben dort quasi von allein aufgr<strong>und</strong> der<br />

Körperwärme rutschfest am Körper haften <strong>und</strong> können beliebig oft wieder-<br />

verwendet werden. Ihr Material kann von dem Scanner nicht durchdrungen<br />

werden, so dass die entscheidenden Körperstellen tatsächlich verdeckt wer-<br />

den <strong>und</strong> damit vor unerwünschten Blicken geschützt sind.<br />

Auf dem Bildschirm des Scanners erscheinen die Aufkleber dann als ovale<br />

blickdichte Flächen, auf denen, ganz nach Belieben, verschiedene Aussagen<br />

aufgedruckt sind. Der Hersteller selbst bietet u.a. Aufkleber mit dem darauf<br />

befindlichen Hinweis „Only my husband/wife sees me naked” oder einem<br />

noch deutlicheren <strong>und</strong> ohne Worte auskommenden Mittelfinger an.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Der Interessent kann mit individuellen Sprüchen oder Werbeaufdrucken aber<br />

auch selbst kreativ werden <strong>und</strong> den Aufdruck der Sticker frei entwerfen <strong>und</strong><br />

so z.B. innovative <strong>und</strong> spaßige Werbegeschenke <strong>für</strong> vielreisende Geschäfts-<br />

k<strong>und</strong>en in Auftrag geben.<br />

Den Menschen, die aus Glaubensgründen oder sonst die Wahrung ihrer<br />

Persönlichkeitsrechte ernstnehmen <strong>und</strong> nicht zwangsweise entblößt werden<br />

wollen, soll diese Erfindung die Möglichkeit geben, weiterhin ein Flugzeug zu<br />

besteigen, ohne sich zu schämen oder entwürdigt zu fühlen.<br />

<strong>Die</strong> Erfinder dieser Aufkleber leben in den USA schon länger mit der Verwen-<br />

dung der Körperscanner <strong>und</strong> sehen sich mit der politischen Diskussion kon-<br />

frontiert, diese auch an anderen zu kontrollierenden Orten, wie z.B. in Sport-<br />

stadien, einzusetzen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wollen sie deutlich machen <strong>und</strong><br />

darauf hinweisen, dass sie sich der Rechte der Menschen bewusst sind <strong>und</strong><br />

diese mit ihrer Erfindung durchsetzen möchten.<br />

Eine witzige Idee, die ein ernsthaftes Problem zum Hintergr<strong>und</strong> hat. Da der<br />

Durchschnittsbürger zu diesem aber nicht befragt wird, hat er mit den Körperstickern<br />

die Möglichkeit, seine Rechte zu wahren <strong>und</strong> seinen Widerstand<br />

zum Ausdruck zu bringen, <strong>und</strong> gleichzeitig die erforderlichen Kontrollen zu<br />

respektieren, ohne die Flughafensicherheit zu gefährden.<br />

Des Richters <strong>und</strong> Staatsanwalts neue Kleider oder „Augen auf beim Robenkauf “<br />

Zum 01.01.2011 ist in Niedersachsen die neue „Anordnung<br />

über die Amtstracht im Geschäftsbereich des Justizministeriums“<br />

in Kraft getreten. <strong>Die</strong>se betrifft die ordentliche Gerichtsbarkeit,<br />

die Sozial-, Verwaltungs- <strong>und</strong> Finanzgerichtsbarkeit.<br />

§ 1 enthält eine Aufzählung der zum Tragen der<br />

Amtstracht verpflichteten <strong>und</strong> berechtigten Personen, § 2<br />

beschreibt die Gestaltung der Amtstracht, § 3 deren Beschaffung.<br />

Das Besondere dieser Anordnung ist das in § 2<br />

Abs. 3 erwähnte <strong>und</strong> vom Justizministerium Niedersachsen<br />

erstellte „Merkblatt über die Amtstracht im Geschäftsbereich<br />

des Niedersächsischen Justizministeriums“, welches in sieben Nummern<br />

nähere Angaben zur Form <strong>und</strong> Abmessung der Amtstracht enthält.<br />

So bestimmt Nr. 1, dass die Robe über der Kleidung getragen wird <strong>und</strong> diese<br />

verdecken muss. Nehme man dies wörtlich, entstünde bereits ein handfestes<br />

Problem, da Roben naturgemäß nur bis zur Mitte der Wade reichen <strong>und</strong> damit<br />

der untere Teil des Hosenbeines eben nicht verdeckt wird. Man munkelt,<br />

dass nun lediglich „Hochwasser-Hosen“ erlaubt seien, da ansonsten zwangsläufig<br />

Teile der Kleidung, entgegen der Vorschrift, unverdeckt bleiben würden.<br />

Gemäß Nr. 2 darf die Robe außerdem nur aus feinem Kammgarnstoff,<br />

Kaschmir oder Lasting bestehen. Nr. 3 des Merkblattes enthält u.a. folgende<br />

Vorgaben: „<strong>Die</strong> Robe fällt vorne <strong>und</strong> hinten weit <strong>und</strong> faltig bis über die Mitte<br />

der Unterschenkel herab. <strong>Die</strong> Robe liegt auf den Schultern <strong>und</strong> der Brust glatt<br />

an. In der rechten Seitennaht ist eine Tasche derart eingearbeitet, dass die<br />

obere Taschenecke ungefähr in Taillenhöhe liegt.“ Spätestens hier wird deutlich,<br />

dass das Justizministerium nichts dem Zufall überlassen möchte. Nr. 4 des<br />

Merkblattes unterstreicht diesen zaghaften ersten Eindruck.<br />

So hat der Besatz der Robe „die Form eines anliegenden<br />

Umlegekragens“ <strong>und</strong> ist „in der Rückenmitte <strong>und</strong> auf den<br />

Schultern 16 cm breit, verschmälert sich dann zwischen<br />

dem obersten <strong>und</strong> dem nächsten Knopf auf 11 cm <strong>und</strong> läuft<br />

in dieser Breite bis zur unteren Kante“. Auch die Nummern<br />

5 <strong>und</strong> 6 enthalten weitere Maßeinheiten <strong>und</strong> cm-genaue<br />

Abmessungsvorschriften hinsichtlich Quetschfalten am<br />

Rücken, gesteppten <strong>und</strong> umgeklappten Kanten <strong>und</strong> Ärmelausschnitten<br />

r<strong>und</strong> um den Achselknochen. Nr. 7 des Merkblattes<br />

lässt zumindest dahingehend Raum zur freien Entfaltung, als dass hier<br />

festgelegt wird, dass es „ zur Erleichterung beim Schreiben freigestellt ist, am<br />

rechten Ärmel einen Knopf anzubringen, um dadurch den weiten Ärmel enger<br />

um das Handgelenk zu schließen“. Ob es Linkshändern gestattet ist, einen<br />

Knopf auf der linken Seite einzunähen, bleibt unklar.<br />

Nach unbestätigten Gerüchten haben Richter bereits Anträge auf eine Übergangsregelung<br />

gestellt, um ihre alten Roben noch bis zu ihrer Pensionierung<br />

tragen zu dürfen. Eine Überprüfung der Einhaltung der neuen Anordnung<br />

durch stichprobenartige Inaugenscheinnahme in Gerichtssälen des Landes<br />

Niedersachsen inklusive genauester Abmessungen wäre sicherlich amüsant,<br />

da wohl davon ausgegangen werden darf, dass die Kleiderordnung des Merkblattes<br />

in den wenigsten Fällen eingehalten wird.<br />

Also: Augen auf beim künftigen Robenkauf – zumindest im B<strong>und</strong>esland Niedersachsen!


„Wenn wir nicht rasch <strong>und</strong> konsequent handeln, wenn wir unsere Rechts- <strong>und</strong><br />

Werteordnung nicht entschlossen durchsetzen, werden wir den Kampf gegen<br />

die Jugendgewalt verlieren.“ <strong>Die</strong>ser, neben einer kurzen Information zur Per-<br />

son der Autorin, einzige Satz auf dem Klappentext des Buches „Das Ende der<br />

Geduld – Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter, macht deutlich, wie<br />

ernst die Autorin Kirsten Heisig das Thema Jugendgewalt sieht <strong>und</strong> nimmt.<br />

Kirsten Heisig, 1961 in Krefeld geboren, trat nach ihrem Zweiten Staatsexa-<br />

men 1990 in den Berliner Justizdienst ein <strong>und</strong> war seit 1993 Jugendrichterin<br />

in Berlin. Von 2008 bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 war sie Jugendrichterin an<br />

Deutschlands größtem Amtsgericht Berlin-Tiergarten <strong>und</strong> zuständig <strong>für</strong> den<br />

Bezirk Neukölln/Nord.<br />

Heisig beschreibt in ihrem Buch eindrucksvoll <strong>und</strong> mit deutlichen Worten<br />

die Missstände in Berlin-Neukölln <strong>und</strong> macht gleichzeitig klar, dass diese<br />

auch in anderen deutschen Großstädten bestehen. Sie beschränkt sich aller-<br />

dings nicht darauf, die Probleme anzuprangern <strong>und</strong> Schuldzuweisungen zu<br />

tätigen, sondern forscht auch nach den Gründen, die zu jugendlichen Gewalt-<br />

straftaten führen <strong>und</strong> entwickelt die unterschiedlichsten Lösungsansätze. So<br />

wirft sie beispielsweise die Frage auf, warum die sogenannten „Ballerspiele“,<br />

die von jugendlichen Gewalttätern vermehrt genutzt werden <strong>und</strong> ursprüng-<br />

lich vom amerikanischen Militär entwickelt wurden, um den Soldaten die na-<br />

türliche Hemmschwelle vor dem Töten abzutrainieren, nicht einfach so hoch<br />

besteuert werden, dass mit ihnen kein wirtschaftlicher Erfolg mehr erzielt<br />

werden kann.<br />

Heisig schildert anhand vieler Beispielsfälle aus ihrer beruflichen Praxis die<br />

sinkenden Hemmschwellen von vielen jugendlichen Gewaltstraftätern <strong>und</strong><br />

stellt fest, dass die überwiegende Mehrheit männlich ist, die von Mädchen begangenen<br />

Gewaltstraftaten aber in den letzten Jahren stetig ansteigen. Bei beiden<br />

Geschlechtern steigt die Brutalität <strong>und</strong> Häufigkeit der Gewalttaten.<br />

Deutlich wird aus ihren Berichten auch, dass die Schwierigkeiten bereits in<br />

Kindertagen beginnen <strong>und</strong> diese dann mit Erreichen des 14. Lebensjahres<br />

zum Problem der Justiz werden, weil im Vorfeld gar nicht oder aber ohne Erfolg<br />

eingegriffen wurde. Das Problem der Schuldistanz zieht sich fast immer<br />

wie ein roter Faden durch alle Lebensläufe, weshalb bereits hier frühzeitig<br />

angesetzt <strong>und</strong> das oft verharmloste „Schule schwänzen“ konsequent bekämpft<br />

werden müsse. Bildung sei der Schlüssel.<br />

<strong>Die</strong> von Heisig geschilderten Fälle haben fast alle eine Gemeinsamkeit:<br />

Zwischen Begehung der Straftat <strong>und</strong> der Gerichtsverhandlung, in welcher der<br />

Jugendliche sich da<strong>für</strong> verantworten muss, vergehen viele Monate, nicht selten<br />

auch ein Jahr oder mehr. <strong>Die</strong>se Zeitspanne erschien Heisig stets zu lang,<br />

um nachhaltig Eindruck auf einen Jugendlichen machen zu können.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> hat sie zusammen mit einem Kollegen das „Neuköllner-<br />

Modell“ entwickelt, welches das Ziel hat, systemübergreifend besser zu kommunizieren,<br />

um so den Informationsfluss <strong>und</strong> das Arbeitstempo zu erhöhen.<br />

Nunmehr sind die Jugendrichter <strong>für</strong> bestimmte Bezirke zuständig, in selben<br />

gibt es spezielle Polizeibeamte, die <strong>für</strong> Jugenddelikte zuständig sind <strong>und</strong> von<br />

Heisig persönlich über die Anwendungsmöglichkeiten der §§ 76 ff. JGG, dem<br />

beschleunigten Jugendverfahren, informiert wurden. Auch die Jugendge-<br />

„Angst ist ein schlechter Ratgeber“<br />

Weitere interessante Berichte finden Sie auf unserer Homepage<br />

www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

richtshilfe wurde entsprechend einbezogen. Hierdurch ist es nun möglich, im<br />

beschleunigten Verfahren Delikte, deren Ahndung dem Jugendrichter obliegen,<br />

in wenigen Wochen vor Gericht zu bringen. Nach der Hauptverhandlung<br />

informiert Heisig die zuständigen Polizeibeamten über den Ausgang,<br />

damit diese sehen, dass ihr Bemühen auch Erfolg hat <strong>und</strong> so eine Motivation<br />

<strong>für</strong> künftige Fälle stattfindet.<br />

Heisig ist sich auch im Klaren darüber, dass Intensivtäter von dieser Maßnahme<br />

kaum betroffen sein werden. Doch sie erhofft sich durch eine schnelle<br />

Ahndung, die Weichen von Jugendlichen, die gerade erst am Anfang einer<br />

strafrechtlichen „Karriere“ stehen, noch in die andere Richtung stellen zu<br />

können, wenn sie durch schnelles Handeln sofort merken, dass ein solches<br />

Verhalten nicht geduldet wird.<br />

<strong>Die</strong>ses Buch enthält ehrliche <strong>und</strong> deutliche Worte einer erfahrenen <strong>und</strong> engagierten<br />

Jugendrichterin unserer Hauptstadt, die stets mutig vorangegangen ist<br />

<strong>und</strong> Dinge verändert hat, um jugendlichen Straftätern entgegenzuwirken.<br />

Wer eine hochwissenschaftliche Abhandlung im Sinne einer Studie oder einer<br />

Dissertation erwartet, ist fehl am Platze. Das dürfte aber auch nicht die Intention<br />

von Heisig gewesen sein.<br />

Ihre Ansätze weiter zu verfolgen <strong>und</strong> den von ihr in Berlin beschrittenen Weg<br />

fortzuführen, sollte gleichwohl das Ziel unserer Gesellschaft sein, um nicht<br />

eines Tages tatsächlich vor jugendlichen Gewaltstraftätern kapitulieren zu<br />

müssen.<br />

Heisig spricht wahrheitsgemäß aus, was viele Strafrechtler in deutschen<br />

Großstädten im Arbeitsalltag erfahren. Nur wenige trauen sich jedoch, dies<br />

öffentlich zu äußern – aus den vielfältigsten Gründen, wie sich vielleicht jeder<br />

denken kann. Doch wie Frau Heisig selbst in ihrem Buch sagt: „Angst ist ein<br />

schlechter Ratgeber. Deshalb müssen wir sie überwinden <strong>und</strong> handeln“.<br />

Kirsten Heisig<br />

Das Ende der Geduld – Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter<br />

Herder Verlag 2010<br />

205 Seiten<br />

ISBN 978-3-451-30204-6<br />

Ladenpreis: 14,95 €<br />

51


52<br />

Praxis & Karriere<br />

HeinricH Hannover<br />

„Ich habe manchmal vor der Frage gestanden, aufzugeben“<br />

Ein Interview mit Heinrich Hannover von cand. <strong>iur</strong>. Vivien Eckhoff (Universität Bremen)<br />

<strong>Iurratio</strong>: Wie kam es dazu, dass Sie eigentlich Forstwirt werden wollten<br />

<strong>und</strong> dann doch Jura <strong>stud</strong>iert haben?<br />

Hannover: Der Forstberuf war eine Empfehlung meines Vaters. Er war<br />

Arzt <strong>und</strong> hatte eigentlich Förster werden wollen. Und da wollte er seinem<br />

Sohn diesen schönen Beruf eröffnen. Ich war auch schon zugelassen in<br />

Pommern, aber nach dem Krieg war, wie es im Kinderlied heißt, Pommer-<br />

land abgebrannt, <strong>und</strong> da musste ich mir einen neuen Beruf suchen. Mir fiel<br />

nichts Besseres als Jura ein. Und das war, wie ich später merkte, genau der<br />

richtige Beruf <strong>für</strong> mich.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Was hatten Sie <strong>für</strong> eine Vorstellung von Ihrem Berufsleben, als<br />

Sie 1954 als Rechtsanwalt in Bremen angefangen haben?<br />

Hannover: Mir war schon zu Beginn des Studiums im Jahr 1946 klar,<br />

dass <strong>für</strong> mich nur der Rechtsanwaltsberuf in Frage kam. Denn ich bin kein<br />

Beamtentyp. Aber ich hatte mir die Praxis als Rechtsanwalt ganz anders<br />

vorgestellt. Ich dachte, wenn ich nach Bremen komme, werde ich wohl<br />

Mandate aus der Kaufmannschaft haben, viel Geld verdienen <strong>und</strong> in den<br />

sog. besseren Kreisen verkehren. Und das hatte auch gut angefangen, ich<br />

war gleich zu Beginn durch einen glücklichen Zufall Hausanwalt des „Haus-<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>besitzer Vereins“ geworden, <strong>und</strong> da war ich genau bei der Klientel,<br />

welche ich mir erträumt hatte. Aber dann bekam ich als Pflichtverteidiger<br />

die Verteidigung eines Kommunisten zugewiesen. Das sprach sich in Bremen<br />

herum, „der Hannover vertritt Kommunisten“, <strong>und</strong> da kam die Klientel, die<br />

ich eigentlich haben wollte, nicht mehr in Frage <strong>für</strong> mich. Dann kamen<br />

Leute von Links nach <strong>und</strong> so bin ich ein „linker Anwalt“ geworden, der sich<br />

dann auch mit vielem, was meine Mandanten politisch vertraten, identifi-<br />

zieren konnte. Nicht mit allem, aber mit vielem. Der Widerstand gegen die<br />

Remilitarisierung beispielsweise, das war nach meinem Herzen. Ich musste<br />

ja noch in der Hitlerzeit Soldat werden <strong>und</strong> habe am Krieg teilgenommen,<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Heinrich Hannover ist am 31. Oktober 1925 in Anklam (Vorpommern)<br />

als Sohn eines Arztes <strong>und</strong> einer Lehrerin geboren. Von August 1943<br />

bis Mai 1945 war er im Fronteinsatz <strong>und</strong> wurde kurz vor Kriegsende<br />

verw<strong>und</strong>et.<br />

Nach seiner Rückkehr <strong>stud</strong>ierte er in Göttingen Jura. Das Studium<br />

schloss er 1950 mit dem 1. Staatsexamen ab. Seine Referendarzeit<br />

absolvierte er bis 1954 in Bremen.<br />

Von Oktober 1954 bis 1995 war er als Rechtsanwalt in Bremen tätig.<br />

Er ist Ehrendoktor der Humboldt-Universität Berlin (1986) <strong>und</strong> der<br />

Universität Bremen (1996).<br />

Seine berufliche Tätigkeit war vorwiegend die (politische) Strafvertei-<br />

digung <strong>und</strong> die Vertretung von Kriegsdienstverweigerern. Außerdem<br />

hat er 1968 sein erstes von insgesamt 17 Kinderbüchern veröffentli-<br />

cht, von denen „Das Pferd Huppdiwupp“ auch auf Plattdeutsch <strong>und</strong><br />

als Hörbuch erschienen ist.<br />

<strong>und</strong> meine Kriegserlebnisse hatten mich zum Pazifisten gemacht. Ich war<br />

nach dem Kriege einer derjenigen, die mit voller Überzeugung sagen konn-<br />

ten: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Da gab es viele Mandate, die<br />

ich durchaus mit eigener Überzeugung vertreten konnte. Zum Beispiel<br />

Mandate von Menschen, die gegen Remilitarisierung <strong>und</strong> Reaktivierung alter<br />

Nazis protestierten <strong>und</strong> dabei mit der Polizei oder mit den Ignoranten des<br />

Rechts der freien Meinungsäußerung in Konflikt gerieten.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Ist dies dann auch irgendwann zum Problem geworden? Als<br />

Verteidiger wird <strong>und</strong> wurde man in der Presse leider oft mit seinen Man-<br />

danten gleichgesetzt <strong>und</strong> identifiziert.<br />

Hannover: Ja, das wurde zum Problem, wenn ich in der Öffentlichkeit<br />

mit Dingen identifiziert wurde, die überhaupt nicht meiner Überzeugung<br />

entsprachen. Zum Beispiel war ich natürlich ein entschiedener Gegner des<br />

Stalinismus <strong>und</strong> seiner Verbrechen, <strong>und</strong> es hat mich schon geschmerzt,<br />

dass nicht nur ich, sondern auch meine Familie, insbesondere meine minderjährigen<br />

Kinder mit dem Verdacht verfolgt wurden, wir seien Kommunisten<br />

der stalinistischen Linie. Das waren wir nicht. Ich habe dann in meiner<br />

Praxis auch Kommunisten kennengelernt, die ihrerseits nur mit Glück<br />

den sogenannten Säuberungen der Stalinisten entgangen waren. Ich habe<br />

Mandanten gehabt, die wirklich in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung<br />

standen, die eine andere Form von Sozialismus anstebten als das,<br />

was sich unter Stalin als der „real existierende Sozialismus“ etabliert hatte.<br />

Also Menschen, die den freiheitlichen Sozialismus fortsetzen wollten, <strong>für</strong><br />

den Rosa Luxemburg <strong>und</strong> Karl Liebknecht gekämpft haben. So habe ich<br />

dann gerade unter Menschen, die dem herrschenden Zeitgeist des militanten<br />

Antikommunismus widersprachen, politische Fre<strong>und</strong>e gef<strong>und</strong>en.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Was waren denn zu Ihrer Zeit die Aufgaben die die Justiz übernehmen<br />

musste?


Hannover: <strong>Die</strong> Justiz hätte die Aufarbeitung der NS-Zeit übernehmen<br />

müssen. <strong>Die</strong>s ist versäumt worden, denn es waren in der Justiz Richter <strong>und</strong><br />

Staatsanwälte von gestern unbesehen übernommen worden, die natürlich<br />

nicht im Traume daran dachten, ihre Gesinnungsgenossen zu verfolgen. Es<br />

ist ja heute auch ein offenes Geheimnis, dass die Justiz bei der Abrechnung<br />

mit den Nazi-Verbrechern versagt hat. Andererseits war die Justiz gleich<br />

nach Gründung der B<strong>und</strong>esrepublik bereit, Widerstandskämpfer von gestern<br />

zu verfolgen, insbesondere Kommunisten, die ein vorzeigbares politisches<br />

Leben hatten, im Gegensatz zu denen, die dann über sie zu Gericht saßen. Da<br />

habe ich also doch Erfahrungen in der Justiz <strong>und</strong> der b<strong>und</strong>esdeutschen Rea-<br />

lität gemacht, die mich sehr hellhörig <strong>und</strong> kritisch gemacht haben.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Wie haben Sie dabei Ihre Aufgabe gesehen?<br />

Hannover: Generell kann ich sagen, meine Aufgabe als Anwalt habe ich<br />

immer darin gesehen, <strong>für</strong> meine Mandanten Gerechtigkeit durchzusetzen.<br />

Und das war natürlich gerade in politischen Prozessen sehr schwierig.<br />

<strong>Iurratio</strong>: <strong>Die</strong> Zeiten haben sich nun <strong>für</strong> uns <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong> verändert,<br />

wie sehen Sie denn im Unterschied zu der Zeit, in der Sie als Verteidiger ge-<br />

arbeitet haben, die Aufgaben, die vor uns stehen?<br />

Hannover: Das ist natürlich eine Frage, die ein weites Feld von möglichen<br />

Antworten eröffnet, denn es gibt ja so viele Aufgabenbereiche, in denen Ju-<br />

risten tätig werden müssen <strong>und</strong> können. Ich sehe natürlich in erster Linie<br />

den Bereich der politischen Justiz. Seit ich selbst nicht mehr als Anwalt<br />

tätig bin, verfolge ich das nur als Zeitungsleser <strong>und</strong> Fernsehzuschauer <strong>und</strong><br />

da wird mir natürlich manchmal unbehaglich, wenn ich sehe, dass sich in<br />

vielen Urteilen die Bevorzugung von rechten Leuten <strong>und</strong> die Verfolgung<br />

von Linken fortsetzt. Da habe ich manchmal das Gefühl, dass wir noch<br />

genau in der Tradition stehen, in der ich meinen Beruf ausüben musste. Ich<br />

würde mir natürlich wünschen, dass die <strong>junge</strong>n <strong>Juristen</strong> ein genauso kritisches<br />

Verhältnis zum Zeitgeist <strong>und</strong> dessen Machern haben <strong>und</strong> sich vor<br />

Gericht durchzusetzen versuchen wie wir das gemacht haben.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Wie sind Sie während Ihrer Arbeit mit dem psychischen <strong>und</strong><br />

physischen Druck umgegangen?<br />

Hannover: Ich stand wirklich oft unter großem Druck <strong>und</strong> es war auch<br />

<strong>für</strong> die Familie schwierig. Ich habe manchmal vor der Frage gestanden, aufzugeben.<br />

Als ich Mitte der neunziger Jahre dann wirklich aufhörte war ich<br />

auch ges<strong>und</strong>heitlich so fertig, dass ich sicher gut getan habe, mich in den<br />

Ruhestand zurückzuziehen. Besonders langdauernde Prozesse brachten<br />

eine enorme psychische <strong>und</strong> physische Belastung mit sich, bei der natürlich<br />

die Feindseeligkeit, der ich bei vielen Richtern <strong>und</strong> Staatsanwälten begegnet<br />

bin, eine Rolle spielte. Das begann schon mit der oft schikanösen Festsetzung<br />

von Terminen, die meine Zeit <strong>für</strong> andere Mandate vollständig blockierten,<br />

<strong>und</strong> setzte sich in ehrenrührigen Verdächtigungen <strong>und</strong> Durchsuchungen<br />

<strong>und</strong> in verbalen Anfeindungen in der Verhandlung fort. Und es gab, insbesondere<br />

beim Umgang mit Beweisanträgen, eklatante Verletzungen der<br />

Strafprozeßordnung, die mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun hatten.<br />

Auch die Zurückhaltung von Aktenteilen <strong>und</strong> Beweismitteln, deren Kenntnis<br />

<strong>für</strong> die Verteidiger unentbehrlich waren, haben wir erlebt. Alles in allem<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Praxis & Karriere<br />

wurde da mitunter eine Willkür praktiziert, die geeignet war <strong>und</strong> vielleicht<br />

auch dazu dienen sollte, nicht nur die Angeklagten, sondern auch die Anwälte<br />

fix <strong>und</strong> fertig zu machen. Und das hat mich auch wirklich manchmal<br />

an die Grenze des Erträglichen gebracht.<br />

Andererseits habe ich natürlich in meiner Berufstätigkeit auch Verfahren<br />

erlebt <strong>und</strong> Erfolge erzielen können, die mich zum Weitermachen ermutigt<br />

haben. Es hat Freisprüche gegeben, die schwer erkämpft waren, aber dazu<br />

beigetragen haben, dass ich meine Arbeit als sinnvoll <strong>und</strong> notwendig begriff.<br />

Dass ich sogar in zwei sogenannten Terroristenprozessen zur Widerlegung<br />

von falschen Aussagen von Polizeibeamten beitragen <strong>und</strong> Freisprüche erzielen<br />

konnte, nämlich <strong>für</strong> Astrid Proll <strong>und</strong> Karl-Heinz Roth, das war schon<br />

eine Besonderheit, die nicht unerwähnt bleiben soll. Auch in meinem Buch<br />

„<strong>Die</strong> Republik vor Gericht“ habe ich einige Verfahren schildern können, in<br />

denen vorbildlich rechtsstaatliche Richter judiziert haben. Ich hüte mich<br />

daher vor jedem Pauschalurteil über b<strong>und</strong>esdeutsche Justiz.<br />

Zu meiner Beruftätigkeit gehörte auch die Vertretung von Kriegsdienstverweigerern,<br />

die damals noch ein umständliches Verfahren durchlaufen<br />

mussten bis ihre Gewissensentscheidung anerkannt wurde. Da habe ich<br />

sehr viele Prozesse gewonnen, so dass auch meine Kosten aus dem Wehretat<br />

bezahlt werden mussten. Deshalb kann ich von mir sagen, dass ich die<br />

B<strong>und</strong>eswehr eine kleine Kanone gekostet habe (lacht). Und diese Mandate<br />

waren natürlich nach meinem Herzen, diese <strong>junge</strong>n Leute vertraten eine<br />

Auffassung, die auch ich mir im Kriege erworben hatte, nämlich dass auch<br />

die Menschen, die man als Soldat befehlsgemäß töten soll, ein Recht auf Leben<br />

haben <strong>und</strong> dass die Menschheit nun endlich aufhören muss Probleme<br />

dieser Welt mit Gewalt lösen zu wollen.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Wie war die Situation <strong>für</strong> Ihre Familie, wie haben Sie vor allem<br />

Ihren Kindern die Reaktionen auf Ihre Tätigkeit, insbesondere aus den Medien,<br />

erklärt?<br />

Hannover: Meine Kinder sind leider direkt in diese Anfeindungen mit<br />

einbezogen worden. Sie haben in der Schule die Anfeindung aushalten<br />

müssen, „dein Vater verteidigt Kommunisten oder Terroristen“. Sie bekamen<br />

in der Zeit, als Verteidiger der als Terroristen Angeklagten in jahrelanger<br />

Medienkampagne als Komplizen der RAF verdächtigt <strong>und</strong> beschimpft<br />

wurden, unter Umständen Menschen ans Telefon, die Ihnen androhten:<br />

„Heute Nacht bringen wir Deinen Vater oder die ganze Familie um“. Da hat<br />

sich schon Angst in der Familie verbreitet. Das war sehr schlimm. Ich habe<br />

meinen Kindern immer zu erklären versucht, dass anonyme Anrufer feige<br />

sind <strong>und</strong> dass man diese Drohungen nicht ernst nehmen sollte, aber sie haben<br />

trotzdem Angst gehabt.<br />

Es hat allerdings auch Drohungen gegeben, die ich ernst nehmen musste.<br />

Ich nenne ein Beispiel, welches jetzt nicht mit einem Terroristenprozess zusammenhängt,<br />

sondern mit meiner Aufgabe, <strong>für</strong> eine Rückführung des im<br />

Jahr 1967 vom koreanischen Geheimdienst in Zusammenwirken mit einem<br />

deutschen Geheimdienst entführten Komponisten Isang Yun zu sorgen.<br />

Bei Isang Yun handelte es sich um einen weltberühmten Komponisten, der<br />

in der B<strong>und</strong>esrepublik lebte <strong>und</strong> zusammen mit anderen Landsleuten nach<br />

Südkorea entführt wurde. <strong>Die</strong>se Menschen wurden wegen angeblicher Verbindungen<br />

zum kommunistischen Nordkorea angeklagt, was in Südkorea<br />

ein todeswürdiges Verbrechen war. Sie bekamen einen Prozess, bei dem es<br />

zu Todesurteilen <strong>und</strong> lebenslänglichen Freiheitsstrafen gekommen ist. Yun<br />

53


54<br />

Praxis & Karriere<br />

ist erst nach jahrelanger Haft, in der er Folter <strong>und</strong> Todesangst erlitten hatte,<br />

freigekommen. Da ich Isang Yun nicht vor dem südkoreanischen Gericht<br />

verteidigen konnte, bestand meine Tätigkeit vor allem in Verhandlungen<br />

mit b<strong>und</strong>esdeutschen Instanzen (z.B. hatte ich ein mehrstündiges Gespräch<br />

mit dem damaligen B<strong>und</strong>esjustizminister Dr. Gustav Heinemann), sowie<br />

in Vorträgen, vor allem in Universitätsstädten, <strong>und</strong> Publikationen in den<br />

Medien. Und bei einer dieser öffentlichen Veranstaltungen in Hamburg<br />

habe ich es erlebt, dass im ganzen Stadtgebiet die Plakate zerstört waren,<br />

mit denen auf meine Rede hingewiesen wurde. Das konnte nicht ein Einzelner<br />

gemacht haben, sondern da musste eine ganze Organisation dahinter<br />

stehen, die das geschafft hat. Als ich nach meinem Vortrag an mein Auto<br />

zurückkam, hing eine Morddrohung am Scheibenwischer. Was also auch<br />

vor-aussetzt, dass jemand wusste, wie mein Auto aussieht, <strong>und</strong> dass jemand<br />

beobachtet hatte, wo ich geparkt hatte. Also das war schon ernst zu nehmen.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Standen Sie auch unter polizeilichem Schutz?<br />

Hannover: Nein. Das wollte ich auch nicht haben.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Sie haben in Ihrem neuen Buch „Reden vor Gericht“ den Fall<br />

Otto Becker als den wichtigsten in Ihrer Karriere bezeichnet. Worum ging<br />

es in dem Fall <strong>und</strong> warum war er so wichtig <strong>für</strong> Sie?<br />

Hannover: Im Jahr 1971 war in Bremen die 17jährige Carmen Kampa<br />

vergewaltigt <strong>und</strong> ermordet worden. Menschen die in einem haltenden Vorortzug<br />

saßen, hatten vom Fenster aus den Beginn dieses Verbrechens beobachtet<br />

<strong>und</strong> die Hilferufe des Mädchens gehört, ohne die Notbremse zu ziehen<br />

oder sonst sinnvolle Maßnahmen zu treffen. Der Zug fuhr also weiter<br />

<strong>und</strong> das Verbrechen geschah. <strong>Die</strong> Beschreibung des Täters war ziemlich ungenau.<br />

Man erfuhr nur, dass der Mann dunkle Haare hatte <strong>und</strong> einen<br />

dunklen Anzug <strong>und</strong> ein weißes Hemd oder Pullover trug. Aber selbst diese<br />

dürftige Personenbeschreibung wurde der Öffentlichkeit erst verspätet mitgeteilt.<br />

Es kam zu weiteren Ermittlungsfehlern der Kriminalpolizei, die in<br />

der Öffentlichkeit kritisch kommentiert wurden, <strong>und</strong> zwei Jahre nach der<br />

Tat war der Täter immer noch nicht gef<strong>und</strong>en. Aber dann hat man einen<br />

Verdacht gegen den alkoholkranken Bauarbeiter Otto Becker aufgebaut, der<br />

den Ermittlungsmethoden der Kripo nicht gewachsen war <strong>und</strong> sich in Widersprüche<br />

verwickeln ließ, die schließlich zur Anklage wegen Mordes <strong>und</strong><br />

zu seiner Verurteilung in der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht<br />

führten. Da ich einen Fehler bei der Schöffenbesetzung rügen konnte, war<br />

meine Revision beim BGH erfolgreich. Und durch einen glücklichen Zufall<br />

bekam ich Kenntnis von einer Spurenakte gegen einen anderen Tatverdächtigen,<br />

die bei der Kripo weggelegt worden war. Gegen diesen Tatverdächtigen<br />

konnte ich in der erneuten Hauptverhandlung 21 Indizien da<strong>für</strong>,<br />

dass er der Mörder des Mädchens war, vortragen. So hatte er am Tage nach<br />

der Tat mehrere Anzüge, darunter auch einen dunklen, der möglicherweise<br />

Blutspuren aufwies, als Eilauftrag in die Reinigung gegeben, hat die Anzüge<br />

aber erst nach Wochen wieder abgeholt. Auch hatte er gegenüber einem Zeugen<br />

zugegeben, dass er am Tatabend mit Carmen Kampa zusammengewesen<br />

war. Und ein besonders wirkungsvolles Indiz war die Tatsache, dass der<br />

Mann einige Zeit vor dem Mord an Carmen Kampa ein Romanmanuskript<br />

angefertigt hatte, das genau den Ablauf dieser Mordtat vorwegnahm. Dass<br />

Otto Becker freigesprochen wurde war das mindeste. Aber da der später<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

zum Generalstaatsanwalt ernannte Ankläger nach wie vor Becker <strong>für</strong> den<br />

Täter hielt, der nach einem von mir veranlassten Sachverständigengutachten<br />

schon wegen homosexueller Veranlagung <strong>für</strong> den Lustmord an einem<br />

Mädchen kaum in Frage kam, unterblieb eine Anklage gegen den von mir<br />

ermittelten Tatverdächtigen. Der Fall ist insgesamt unglaublicher als ein<br />

Kriminalroman.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Seit 1995 sind Sie nun im Ruhestand, vermissen Sie Ihre Arbeit?<br />

Hannover: Nein! (stark kopfschüttelnd) Ich bin froh, dass ich den Stress<br />

<strong>und</strong> die Anfeindungen hinter mir habe. Aber ich habe dann noch die Verpflichtung<br />

gespürt das aufzuschreiben, was ich erlebt habe. Es hat mich<br />

belastet, dass ich das nicht schon längst getan hatte, denn Kollegen, die<br />

wussten, wie meine Praxis ausgesehen hat, haben oft gesagt: „Du bist der<br />

einzige, der vierzig Jahre lang Linke anwaltlich vertreten <strong>und</strong> damit diese<br />

ganze Misere der politischen Justiz kennengelernt hat, das musst du aufschreiben.“<br />

Ich war froh, dass ich es dann innerhalb von drei Jahren wirklich<br />

geschafft hatte, alles aufzuschreiben <strong>und</strong> in meinem ersten Buch, „<strong>Die</strong><br />

Republik vor Gericht“ zu veröffentlichen. Nachdem dieses Buch nun nicht<br />

mehr im Handel ist, eine <strong>für</strong> mich unverständliche Entscheidung des Aufbau-Verlages,<br />

habe ich dann gesagt, ich muss noch mal nachlegen, indem<br />

ich nun die vorhandenen Plädoyers veröffentliche. Dass es von einigen meiner<br />

Plädoyers Tonaufnahmen gibt, ist ja eine Besonderheit, die kein anderer<br />

Anwalt gemacht hat. Ich habe diese Plädoyers, mit Genehmigung des Gerichts<br />

natürlich, auf Tonband aufgenommen, ursprünglich, weil ich in politischen<br />

Prozessen immer damit rechnen musste, anschließend einem Ehrengerichtsverfahren<br />

ausgeliefert zu sein, später auch aus dokumentarischem Interesse.<br />

Es war üblich geworden, dass in politischen Prozessen der Anwalt<br />

später mit einem Ehrengerichtsverfahren überzogen wurde, weil er angeblich<br />

von seinem Rederecht zu extensiv Gebrauch gemacht habe. Um mich<br />

davor also zu schützen, beantragte ich dann, es mir zu gestatten, das Plädoyer<br />

auf Tonband aufzunehmen. Und auf diese Weise ist eine ganze Sammlung<br />

von Tonbandaufnahmen meiner Plädoyers zustande gekommen, die jetzt<br />

im Deutschen R<strong>und</strong>funkarchiv in Frankfurt am Main archiviert sind. Und<br />

eine kleine Auswahl daraus habe ich nun veröffentlicht.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Sie veröffentlichen auch Kinderbücher, wie kamen Sie dazu?<br />

Hannover: Ja, ich bin Vater von sechs Kindern <strong>und</strong> habe ihnen erdachte<br />

Geschichten erzählt, weil das, was an Gedrucktem vorlag, mir damals nicht<br />

ausreichte. Ich habe dann ab <strong>und</strong> zu eine Geschichte aufgeschrieben, um sie<br />

nicht wieder zu vergessen <strong>und</strong> vielleicht noch mal erzählen zu können. Eines<br />

Tages hat eine Literaturagentin aus Zürich, Dr. Ruth Liepman, die aus anderem<br />

Anlass meine Familie besuchte, entdeckt, dass ich Kindergeschichten erzählt<br />

<strong>und</strong> aufgeschrieben habe. Nach einem Blick in diese Geschichten<br />

sagte sie: „<strong>Die</strong> kann man drucken.“ Und dann hat sie nach einem Verlag<br />

gesucht, was allerdings 3 Jahre dauerte, <strong>und</strong> 1968 kam dann „Das Pferd<br />

Huppdiwupp“ raus <strong>und</strong> erscheint heute immer noch. Inzwischen sind das<br />

wohl an die 300.000 Exemplare die verkauft wurden. Und neuerdings habe<br />

ich „Das Pferd Huppdiwupp“ auch ins Plattdeutsche übersetzt, die Sprache<br />

mit der ich in Anklam aufgewachsen bin. Das kommt offenbar gut an. Ich<br />

habe auch eine CD besprochen, damit alle Leser wissen wie sich das anhören<br />

muss. „Dat Pierd Huppdiwupp“ ist in dem Bremer Verlag Edition Temmen,


die CD bei Jumbo in Hamburg erschienen.<br />

<strong>Iurratio</strong>: War das Schreiben der Kinderbücher auch eine Art Ausgleich<br />

zu dem doch ernsten Beruf?<br />

Hannover: Ja, zunächst einmal das Erzählen schon. Da konnte ich in<br />

diese zeitlose Welt, in der Kinder leben, eintauchen. In eine Traumwelt, die<br />

zwischen Realität <strong>und</strong> Phantasie schwebt <strong>und</strong> an die ich mich aus meiner<br />

eigenen Kindheit noch sehr gut erinnern kann. Ich merkte natürlich auch<br />

im Gespräch mit den Kindern, was sie hören wollten <strong>und</strong> wie sie sich den<br />

Fortgang der Geschichte wünschten. Das war mir auch schon immer wichtig,<br />

dass Kinder erkennen, dass es sich um ausgedachte Geschichten handelt, die<br />

man auch anders erzählen kann. Ich habe als Kind manchmal darunter gelit-<br />

ten, dass einige Märchen grausam ausgingen <strong>und</strong> mir gewünscht, dass es an-<br />

ders ausging. <strong>Die</strong>ses Gefühl habe ich meinen Kindern ersparen wollen. Ich<br />

wollte nicht, dass sie Angst vor Geschichten bekommen. Ich habe mich ge-<br />

freut, wenn die Kinder Vorschläge gemacht haben, die der Geschichte einen<br />

ganz anderen Inhalt gaben. Später habe ich Geschichten auch am Schreib-<br />

tisch erf<strong>und</strong>en. Aber ich habe immer das Gefühl, meine besten Geschichten<br />

sind wirklich im unmittelbaren Erzählen vor Kindern entstanden. Wenn<br />

ich von den Kindern die Rückmeldung sofort bekam. Es ist ganz wichtig,<br />

dass man spürt auf welcher gedanklichen <strong>und</strong> gefühlsmäßigen Ebene Kinder<br />

empfinden.<br />

Aber es muss vor allem auch die Sprache gewahrt werden, die Kinder verstehen.<br />

Wenn Erwachsene sich Kindergeschichten ausdenken, ist manchmal<br />

literarischer Ehrgeiz im Spiel. Der fällt weg, wenn Sie sich mit den Kindern<br />

unmittelbar unterhalten, weil Kinder ja über literarisch gehobene Sprache<br />

noch gar nicht verfügen.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Ich komme nun noch einmal auf die juristische Seite Ihrer Arbeit<br />

zurück. Das Titelthema unserer neusten Ausgabe lautet „Rechtsstaatlichkeit<br />

in der juristischen Praxis“, <strong>und</strong> gerade wenn man frisch aus der Uni<br />

kommt, hat man ein ganz bestimmtes Bild von Rechtsstaatlichkeit. Ist der<br />

Anspruch den wir an Rechtsstaatlichkeit stellen <strong>für</strong> die Praxis zu hoch?<br />

Hannover: Ich selbst bin naiv in den Beruf hineingegangen. Ich habe<br />

wirklich geglaubt, dass sich Rechtsstaatlichkeit so wie ich sie auf der Uni gelernt<br />

hatte ohne weiteres durchsetzen kann <strong>und</strong> dies auch von den Gerichten<br />

ausgeht. Ich habe dann die Erfahrung gemacht, dass in politischen<br />

Strafsachen die politischen Vorurteile von Richtern <strong>und</strong> Staatsanwälten<br />

sehr viel stärker sind, als rechtsstaatliche Prinzipien. Da habe ich manchmal<br />

wirklich kämpfen müssen, um die richtigen Tatsachenfeststellungen<br />

herbeizuführen <strong>und</strong> den Paragraphen zum Leben zu verhelfen. Nicht nur<br />

bei der Gesetzesauslegung, auch bei der Beweiswürdigung waren oft die<br />

politischen Vorurteile der Richter nicht zu überwinden. Das war <strong>für</strong> mich<br />

eine enttäuschende <strong>und</strong> schockierende Erfahrung. Und ich <strong>für</strong>chte diese<br />

Erfahrung werden auch Sie als <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong> machen. Vielleicht nicht in<br />

gleichem Maße, weil nicht dieselben Vorurteile <strong>und</strong> diese auch nicht in der<br />

ursprünglichen Schärfe vorhanden sind, wie zu meiner Zeit, aber Sie werden<br />

wahrscheinlich auch die Erfahrung machen, dass Richter jedenfalls in<br />

politischen Strafsachen die von ihnen gewollte Entscheidung manchmal<br />

geradezu blindlings durchsetzen, obwohl die Tatsachen <strong>und</strong> das Gesetz<br />

eine andere Entscheidung gefordert hätten.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Praxis & Karriere<br />

<strong>Iurratio</strong>: Gibt es etwas, was Sie uns als <strong>junge</strong>n <strong>Juristen</strong> noch mitgeben<br />

möchten?<br />

Hannover: Es kommt vor allem darauf an, dass Sie das aussprechen,<br />

was Sie <strong>für</strong> Recht halten. Und dazu gehört manchmal Mut. Seien Sie immer<br />

kritisch gegenüber dem, was Ihnen da als die richtige Auslegung des Gesetzes<br />

<strong>und</strong> der Tatsachen vom Gericht vorgegeben wird.<br />

Und dann würde ich mir natürlich wünschen, dass auch die jüngere <strong>Juristen</strong>generation<br />

nicht in erster Linie darauf bedacht ist, viel Geld zu verdienen,<br />

sondern sich auch den Justizschicksalen ärmerer Leute annimmt.<br />

Selbst wenn es kein Geld bringt oder sogar Geld kostet.<br />

<strong>Iurratio</strong>: Herr Hannover, wir danken Ihnen sehr <strong>für</strong> dieses Gespräch.<br />

Mit seinem neuen Buch: „Reden vor Gericht“ hat Heinrich Hannover erneut<br />

ein Stück Zeitgeschichte aufgeschrieben. In Fall-Kapiteln beschreibt<br />

er einige seiner interessantesten <strong>und</strong> politisch wichtigsten Prozesse <strong>und</strong><br />

knüpft damit an seine schon erschienenen Werke an. Er beschreibt seine<br />

Prozesse, zu fünf dieser Prozesse ist auf einer Audio-CD sein Original<br />

Plädoyer enthalten.<br />

Hannover berichtet in seinem Buch von vielen prominenten Strafverteidigungen,<br />

wie beispielsweise: der Fall Karl-Heinz Roth, der Mord an Ernst<br />

Thälmann <strong>und</strong> der Prozess gegen Astrid Proll. Er thematisiert mit diesen<br />

<strong>und</strong> noch 14 weiteren Fällen die großen, auch politischen, Fragen <strong>und</strong><br />

Anforderungen an die Zeit zwischen 1963 <strong>und</strong> 1993. <strong>Die</strong> „Terrorhysterie“,<br />

wie er den Zustand der 1970er Jahre bezeichnet, die Aufarbeitung der NS-<br />

Zeit, die Demokratie <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>rechte unserer Verfassung.<br />

Er kritisiert, diskutiert <strong>und</strong> erzählt in seinem Buch, vor allem aber in seinen<br />

Plädoyers. Er zeigt dem Leser auf eindrucksvolle <strong>und</strong> manchmal<br />

erschreckend ehrliche Art <strong>und</strong> Weise die Aufgabe <strong>und</strong> Verantwortung der<br />

Strafverteidigung, die vielen Lesern wohl nur selten bewusst wird.<br />

In fast allen seiner Fälle geht es um die (vermeintlichen) Gegensätze zwischen<br />

Polizei <strong>und</strong> Justiz, dem Verteidiger <strong>und</strong> dem Gericht <strong>und</strong> wohl auch<br />

um das Verhältnis von Wahrheit zu Schuldspruch. Und dokumentiert dadurch<br />

unsere Geschichte auf höchstem Niveau.<br />

Insbesondere in Verbindung mit dem von Heinrich Hannover im Jahre<br />

2005 veröffentlichten Buch „<strong>Die</strong> Republik vor Gericht 1954 - 1995 –<br />

Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts“ ist dieses Buch als Stück<br />

deutscher Nachkriegsgeschichte überaus lesenswert <strong>und</strong> lehrreich. Es ist<br />

ein Muss <strong>für</strong> jeden (<strong>junge</strong>n) <strong>Juristen</strong>, eigenes Handeln in den historischen<br />

Zusammenhang einzuordnen, uns so tragische Fehler der Geschichte nicht<br />

zu wiederholen.<br />

Darüber hinaus wird beim Lesen dieser Bücher klar, dass sich jeder Jurist,<br />

gleichgültig ob Staatsanwalt, Richter oder Anwalt einmal bewusst werden<br />

sollte, wo<strong>für</strong> er steht <strong>und</strong> mit welchen Mitteln er da<strong>für</strong> kämpft.<br />

<strong>Die</strong>ses Werk ist ein Glücksfall <strong>für</strong> die deutsche Geschichte, die wohl selten<br />

eine so hautnahe Betrachtung erfahren durfte.<br />

Heinrich Hannover „Reden vor Gericht – Plädoyers in Text <strong>und</strong> Ton“<br />

Hardcover mit einer Audio-CD, PapyRossa-Verlag, Köln<br />

276 Seiten, 14 s/w-Abb.<br />

ISBN: 978-3-89438-438-8<br />

Ladenpreis: 22,00 €<br />

55


Master<strong>stud</strong>iengang<br />

Master<strong>stud</strong>iengang<br />

Europäische <strong>und</strong> Internationale Verwaltung<br />

Europäische <strong>und</strong> Internationale Verwaltung<br />

WWW.ANDRASSYUNI.EU<br />

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FAKULTÄT FÜR VERGLEICHENDE<br />

FAKULTÄT FÜR VERGLEICHENDE<br />

STAATS- UND RECHTSWISSENSCHAFTEN<br />

STAATS- UND RECHTSWISSENSCHAFTEN<br />

Postgradualer europarechtlicher Studiengang (LL.M.)<br />

Postgradualer europarechtlicher Studiengang (LL.M.)<br />

mit zwei Spezialisierungsrichtungen:<br />

mit zwei Spezialisierungsrichtungen:<br />

• Internationales Unternehmensrecht: Schwerpunkt Ostmitteleuropa<br />

•<br />

•<br />

Internationales Unternehmensrecht: Schwerpunkt Ostmitteleuropa<br />

••<br />

Internationale <strong>und</strong> Europäische Verwaltung<br />

Internationale <strong>und</strong> Europäische Verwaltung<br />

•<br />

Praxis & Karriere<br />

A. „WARUM“ SPEyER? 1<br />

Referendarsstation an der deutschen Hochschule <strong>für</strong><br />

Verwaltungswissenschaften in Speyer 1<br />

von Christopher Exner (Rechtsreferendar am Oberlandesgericht Bremen)<br />

Referendare aus allen 16 B<strong>und</strong>esländern kommen nach Speyer, um dort ein<br />

dreimonatiges „Speyer-Semester“ 2 zu absolvieren. In den einzelnen B<strong>und</strong>esländern<br />

gibt es Unterschiede, in welcher Station man an die DHV entsendet<br />

werden kann. Nach meiner Erfahrung entscheiden sich die meisten Referendare<br />

dazu, <strong>für</strong> die Verwaltungsstation nach Speyer zu kommen. Darüber<br />

hinaus besteht oftmals auch Möglichkeit, das Semester auf die Anwalts- oder<br />

Wahlstation anrechnen zu lassen. 3 Zu den Referendaren gesellen sich Aufbauhörer<br />

aus den verschiedensten Fachgebieten, die ihrem bereits abgeschlossenen<br />

Studium einen weiteren Magistertitel hinzufügen möchten.<br />

Ein Kennenlernen untereinander ist schnell möglich, da ein Großteil der Hörer<br />

direkt auf dem DHV-Gelände wohnt <strong>und</strong> so tägliche Begegnungen stattfinden.<br />

Durch die regionale <strong>und</strong> inhaltliche Vielfalt der Hörerschaft stellt das<br />

Speyer-Semester neben der reinen Wissensvermittlung eine starke soziale Bereicherung<br />

dar.<br />

<strong>Die</strong> Hochschule wird größtenteils von den Hörern selbst organisiert. So werden<br />

Referate in verschiedenen Themengebieten (z.B. Kultur, Umwelt, Sport,<br />

etc.) eingesetzt, welche die anstehenden Punkte in dem jeweiligen Bereich bearbeiten.<br />

Das Kulturreferat organisierte beispielsweise Fahrten zum B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

nach Karlsruhe <strong>und</strong> zum Europäischen Gerichtshof <strong>für</strong><br />

Menschenrechte nach Straßburg mit anschließender Besichtigung der jeweiligen<br />

Stadt.<br />

1 Der Verfasser dieses Berichtes ist Referendar in Bremen <strong>und</strong> absolvierte im<br />

Sommersemester 2010 seine Verwaltungsstation an der DHV.<br />

2 Angeboten werden ein Sommer-(01.05 – 31.07) <strong>und</strong> ein Wintersemester<br />

(01.11 – 31.01). Alle wesentlichen Informationen hierzu findet man auf der<br />

Homepage der DHV: www.dhv-speyer.de.<br />

3 Auskünfte erhält man bei den jeweiligen Prüfungsämtern der Länder.<br />

B. LEHRVERANSTALTUNGEN<br />

<strong>Die</strong> DHV Speyer bietet eine breite Palette von Lehrveranstaltungen an. Neben<br />

examensrelevanten Vorlesungen wird ein hohes Maß an Interdisziplinarität<br />

gewährt, indem zusätzlich Kurse aus den Bereichen der Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften<br />

unterrichtet werden. So habe ich beispielsweise die Vorlesung<br />

„Regieren in Deutschland“ besucht <strong>und</strong> meinen Seminarschein in der<br />

Veranstaltung „Vertrauen in die Verwaltung, in der Verwaltung <strong>und</strong> in die Politik“<br />

gemacht.<br />

Trotz dieses fächerübergreifenden Angebotes wird ebenfalls eine Vielzahl von<br />

rechtswissenschaftlichen Fächern gelehrt. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf<br />

den Verwaltungswissenschaften, aber es werden ebenso Justizübungen im<br />

Zivil- <strong>und</strong> Strafrecht angeboten.<br />

<strong>Die</strong> heimische Arbeitsgemeinschaft wird durch die sog. Landesübung ersetzt,<br />

die eine qualifizierte Vorbereitung auf die öffentlich-rechtlichen Klausuren<br />

im zweiten Staatsexamen unter Berücksichtigung des jeweiligen Landesrechts<br />

gewährleisten soll. In der Regel werden in dieser Veranstaltung auch Klausuren<br />

geschrieben <strong>und</strong> Aktenvorträge abgehalten.<br />

Zusammenfassend ist zu sagen, dass durch dieses Angebot eine sehr gute Examensvorbereitung<br />

möglich ist.<br />

C. SEMESTERZEUGNIS<br />

Nach Abschluss der Station erhält jeder Referendar ein Semesterzeugnis,<br />

welches dem Stationszeugnis entspricht. <strong>Die</strong> Gesamtnote des Zeugnisses setzt<br />

sich aus den Noten <strong>für</strong> das zu belegende Seminar <strong>und</strong> die Projektbezogene<br />

Arbeitsgemeinschaft zusammen. In diesen beiden Veranstaltungen muss in<br />

aller Regel ein mündlicher Vortrag gehalten <strong>und</strong> eine dazugehörige schriftliche<br />

Hausarbeit angefertigt werden. Weitere Voraussetzung <strong>für</strong> die Aushän-<br />

FIT FÜR<br />

EUROPA! FIT FÜR<br />

EUROPA!


digung des Semesterzeugnisses ist eine Veranstaltungsmindestbelegung von<br />

insgesamt 20 Semesterwochenst<strong>und</strong>en.<br />

Für die Landesübungen werden – je nach B<strong>und</strong>esland – gesonderte Zeugnisse<br />

vergeben.<br />

D. SPEyER UND UMGEBUNG<br />

Speyer ist eine der ältesten Städte Deutschlands, liegt unmittelbar am Rhein<br />

<strong>und</strong> hat circa 50.000 Einwohner. Kulturelles „Highlight“ ist der Kaiser- <strong>und</strong><br />

Mariendom, welcher zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Daneben gibt es<br />

zahlreiche weitere Sehenswürdigkeiten wie das Technikmuseum oder das<br />

Feuerbachhaus.<br />

Gerade die Wochenenden bieten ausreichend Gelegenheit, das Umland<br />

Speyers zu erk<strong>und</strong>en – <strong>und</strong> auch dies hat einiges zu bieten! <strong>Die</strong> Region gehört<br />

zu den wärmsten <strong>und</strong> niederschlagsärmsten Gebieten Deutschlands, weshalb<br />

ein Aufenthalt an den nahe gelegenen Badeseen manchmal <strong>für</strong> die nötige Erfrischung<br />

sorgt. Historisch interessierte Hörer können schöne St<strong>und</strong>en am<br />

Hambacher Schloss verbringen, während andere nach einem Spaziergang in<br />

den Weinbergen die Zeit <strong>für</strong> eine gemeinschaftliche Weinprobe nutzen.<br />

Heidelberg <strong>und</strong> Mannheim sind nur einen Katzensprung entfernt <strong>und</strong> Karlsruhe,<br />

Straßburg <strong>und</strong> Stuttgart in relativ kurzer Zeit gut zu erreichen. Gerade<br />

<strong>für</strong> ein Nordlicht wie mich, der den Südwesten der Republik noch nicht wirklich<br />

bereist hatte, war die Erk<strong>und</strong>ung der Region ein zusätzlicher Anreiz.<br />

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E. GERüCHTE VS. REALITäT<br />

Häufig werde ich gefragt: „Mensch, du musst schon was über die ganzen Gerüchte<br />

erzählen, die man von Speyer so hört! Gibt’s da ehrlich ne Heiratsbörse?<br />

Wird da wirklich soviel getrunken??“<br />

Dazu kann ich nur sagen: Wie bei Gerüchten üblich, so ist neben einem wahren<br />

Kern ebensoviel Legendenbildung dabei. Nach meiner Erfahrung bleibt<br />

es jedem selbst überlassen, wie er oder sie die drei Monate in Speyer verbringen<br />

möchte. Es wird gefeiert (das stimmt!), aber es ist bei weitem nicht bei jeder<br />

Feier auch jeder Referendar anwesend. Viele konzentrieren sich auf die<br />

Lehrveranstaltungen <strong>und</strong> erhalten dadurch eine sehr gute Examensvorbereitung.<br />

Für andere steht der länderübergreifende Austausch (in welcher Form<br />

auch immer…) im Vordergr<strong>und</strong>. Jedoch müssen auch solche Hörer das oben<br />

genannte „Pflichtprogramm“ absolvieren <strong>und</strong> ihre Leistungen erbringen.<br />

F. PERSöNLICHES FAZIT<br />

Ich habe die Verwaltungsstation sehr genossen <strong>und</strong> würde auch im Nachhinein<br />

immer wieder nach Speyer gehen. Neben dem sehr guten Veranstaltungsangebot<br />

findet ein kultureller Austausch statt <strong>und</strong> es werden viele Verbindungen<br />

geknüpft, die oftmals über die gemeinsame Zeit in Speyer hinaus fortdauern.<br />

Alleine aus diesen Gründen kann ich das Speyer-Semester allen<br />

Referendaren nur empfehlen!<br />

ILF-SOMMERLEHRGANG<br />

vom 22. AUGUST bis 2. SEPTEMBER 2011<br />

In Kooperation mit:<br />

Bank- & Kapitalmarktrecht<br />

Der Lehrgang vermittelt einen umfassenden Einblick in die Praxis des Bank- <strong>und</strong><br />

Kapitalmarktrechts <strong>und</strong> der Unternehmensfinanzierung. Er wendet sich an hoch<br />

qualifizierte <strong>junge</strong> Juristinnen <strong>und</strong> <strong>Juristen</strong> vor dem Berufseinstieg mit ausgeprägtem<br />

wirtschaftlichen Verständnis <strong>und</strong> besonderem Interesse <strong>für</strong> das Bank<strong>und</strong><br />

Kapitalmarktrecht.<br />

<strong>Die</strong> Referenten sind Partner folgender Sozietäten:<br />

Darüber hinaus werden auch zahlreiche Vertreter von Banken teilnehmen.<br />

Ansprechpartnerin:<br />

Praxis & Karriere<br />

Christina Hagenbring, Projektleiterin<br />

Telefon: +49 (69) 798-33628 • E-Mail: info@ilf.uni-frankfurt.de


58<br />

Praxis & Karriere<br />

A. EINLEITUNG<br />

Aufbau<strong>stud</strong>ium „europäisches <strong>und</strong> Internationales Recht“<br />

(LL.M.eur.) an der Universität Bremen<br />

von Ass.<strong>iur</strong>. Merle Alena Wolter (Bremen)<br />

Schon nach wenigen Monaten des Jura<strong>stud</strong>iums war mir klar, dass das Eur-<br />

opa- <strong>und</strong> Völkerrecht mein Prüfungsschwerpunkt werden sollte. Ein ERAS-<br />

MUS-Jahr in Straßburg sowie ein freiwilliges Praktikum im Europäischen<br />

Parlament in Brüssel bestätigten mir diese Erkenntnis. Im Referendariat<br />

nutzte ich jede Gelegenheit, europarechtlich ausgerichtete Stationen auszuwählen<br />

(z.B. Generalkonsulat Marseille <strong>und</strong> Verwaltungshochschule Speyer).<br />

Während meiner Wahlstation, die ich beim Deutschen Anwaltverein (DAV)<br />

im Verbindungsbüro in Brüssel absolvierte, suchte ich schließlich nach einem<br />

europarechtlichen LL.M. Programm. Meine Wahl fiel schließlich auf das Aufbau<strong>stud</strong>ium<br />

„Europäisches <strong>und</strong> Internationales Recht“, das seit 1991 vom<br />

Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen angeboten wird.<br />

Mein Tipp: Deutsche LL.M.-Programme in der Nähe suchen <strong>und</strong> vergleichen<br />

– es muss nicht immer gleich das Ausland sein!<br />

B. STUDIUM<br />

Das Programm des Aufbau<strong>stud</strong>iums richtet sich an Juristinnen <strong>und</strong> <strong>Juristen</strong><br />

zur intensiven berufsbezogenen Vorbereitung auf die Anforderungen des europäischen<br />

Binnenmarkts <strong>und</strong> einer internationalen Berufspraxis. Das Studium<br />

beginnt am 01. Oktober eines Jahres <strong>und</strong> umfasst drei Trimester –<br />

Herbsttrimester (Vorlesungen), Wintertrimester (Pflichtpraktikum) <strong>und</strong><br />

Sommertrimester (Vorlesungen <strong>und</strong> Magisterarbeit). <strong>Die</strong> Teilnahme kann als<br />

Vollzeit- oder Teilzeit<strong>stud</strong>ium erfolgen. Das Vollzeit<strong>stud</strong>ium umfasst drei Trimester<br />

(1 Jahr), das Teilzeit<strong>stud</strong>ium sechs Trimester (2 Jahre).<br />

Schwerpunktmäßig wird das Recht der Europäischen Union (EU), Internationales<br />

Privat- <strong>und</strong> Wirtschaftsrecht sowie eine Einführung in die Gr<strong>und</strong>lagen<br />

der europäischen Rechtssysteme (Rechtsvergleichung) behandelt. Zur Vertiefung<br />

des Praxisbezugs werden regelmäßig Studienfahrten nach Brüssel (u. a.<br />

Europäische Kommission) <strong>und</strong> Luxemburg (u. a. Europäischer Gerichtshof)<br />

angeboten, die nicht nur informativ sind, sondern auch viel Spaß mit den<br />

überwiegend ausländischen Kommilitonen versprechen.<br />

Insgesamt ist das Angebot der Veranstaltungen sehr abwechslungsreich <strong>und</strong><br />

ansprechend. <strong>Die</strong> Professoren <strong>und</strong> Dozenten sind hilfsbereit <strong>und</strong> hinsichtlich<br />

der zu erbringenden Studienleistungen flexibel, insbesondere gegenüber ausländischen<br />

Studierenden. Mit ein wenig Vorbereitung ist jede Prüfung zu<br />

schaffen! Im Vergleich zum deutschen Staatsexamen ist es sogar wahrscheinlich,<br />

dass man gute bis sehr gute Ergebnisse erzielt. Mein Tipp: Zu Beginn jede<br />

Vorlesung mindestens einmal besuchen <strong>und</strong> herausfinden, welcher Leistungsnachweis<br />

gefordert wird. Hausarbeiten sind eine gute Übung <strong>für</strong> die<br />

Magisterarbeit, aber quasi genauso umfangreich wie eine Seminararbeit –<br />

also besser gleich das Seminar belegen. Klausuren sind mit ihrem Zeitlimit<br />

von 90 Minuten zwar oftmals weniger aufwendig als Hausarbeiten, aber man<br />

sollte trotzdem relativ sicher <strong>und</strong> schnell schreiben können.<br />

Für ausländische Studierende bieten sich gr<strong>und</strong>sätzlich mündliche Prüfungen<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

an, da es hierbei nicht so sehr auf die richtige Grammatik ankommt. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

gilt: Alles ist machbar!<br />

C. STUDIENVORAUSSETZUNGEN<br />

Bewerben können sich Juristinnen <strong>und</strong> <strong>Juristen</strong> mit einem ersten Hochschulabschluss<br />

eines juristischen Studiums einer deutschen Hochschule (Juristische<br />

Staatsprüfung, Juristisches Diplom oder Juristischer Bachelorgrad)<br />

oder einem als gleichwertig anerkannten Studiengang mit Studienleistungen<br />

im Umfang von mindestens 180 Leistungspunkten (Credit Points = CP) nach<br />

dem European Credit Transfer System (ECTS) oder äquivalenten Leistungen.<br />

Nachzuweisen sind Englisch- <strong>und</strong> Deutschkenntnisse, die mindestens dem<br />

Niveau B2 des Europäischen Referenzrahmens <strong>für</strong> Sprachen entsprechen<br />

oder Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung/ letzter Hochschulabschluss<br />

in englischer/ deutscher Sprache. Weiterhin ist in einem Motivationsschreiben<br />

das besondere Interesse am Aufbau<strong>stud</strong>iengang zu begründen.<br />

Bewerbungen müssen bis zum 31. Mai eines jeden Jahres eingereicht werden.<br />

<strong>Die</strong> Auswahl erfolgt u. a. auf der Gr<strong>und</strong>lage der bisherigen Studien- <strong>und</strong><br />

Prüfungsleistungen bzw. nachgewiesener Europarechtskenntnisse <strong>und</strong><br />

-interesse.<br />

Mein Tipp: Das Programm ist als Teilzeit<strong>stud</strong>ium – z. B. neben dem Referendariat<br />

– zu empfehlen, da auch die Auslands-Wahlstation als Praxis-Trimester<br />

anerkannt werden kann <strong>und</strong> sich der Arbeitsaufwand im Übrigen als verhältnismäßig<br />

erweist. Ich habe das Studium nach dem 2. Staatsexamen als Vollzeit<strong>stud</strong>ium<br />

absolviert. Nebenbei hatte ich trotzdem genügend Zeit, einer Nebenbeschäftigung<br />

nachzugehen. Im Vorfeld habe ich einen Sprachkurs an einer<br />

VHS belegt um den Englisch-Nachweis zu erbringen. <strong>Die</strong>ser muss erst<br />

zum Beginn des Herbsttrimesters, nicht bei Bewerbungsschluss vorliegen.<br />

D. STUDIENLEISTUNGEN<br />

<strong>Die</strong> einzelnen Leistungen werden nach dem ECTS-System gewichtet, wobei<br />

jede mit einem erfolgreichen Leistungsnachweis absolvierte Kurs-Wochenst<strong>und</strong>e<br />

mit 2,0 ECTS-Punkten, jede mit einem erfolgreichen Leistungsnachweis<br />

absolvierte Seminar-Wochenst<strong>und</strong>e mit 3,0 ECTS-Punkten bewertet<br />

wird. Insgesamt müssen 60 ECTS-Punkte erreicht werden. <strong>Die</strong> Magisterarbeit<br />

sollte ca. 50 Seiten umfassen. Das Praktikum soll im Ausland (deutsche Teilnehmer)<br />

bzw. kann im Inland (ausländische Teilnehmer) absolviert werden.<br />

Ich habe im Herbsttrimester bereits so viele Kurse belegt, dass ich im Sommertrimester<br />

viel Luft hatte zur Recherche <strong>für</strong> die Magisterarbeit. Außerdem<br />

ist die Vorlesungszeit im Herbsttrimester einige Wochen kürzer als im Sommertrimester,<br />

sodass mit weniger Aufwand dieselbe Punktezahl erreicht werden<br />

kann. Mein Tipp: Mindestens ein Pflichtseminar im Wintertrimester belegen,<br />

da eine schriftliche Abgabe meistens erst bis Ende des Wintertrimesters<br />

erfolgen muss. Ich habe sogar beide Pflichtseminare im Herbsttrimester belegt,<br />

sodass ich mich im Sommertrimester ganz auf meine Magisterarbeit<br />

konzentrieren konnte. Außerdem besteht die Möglichkeit, eine Seminararbeit<br />

als Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die Magisterarbeit zu nehmen – mit freier Themenwahl!


E. KOSTEN<br />

<strong>Die</strong> Kosten <strong>für</strong> das Aufbau<strong>stud</strong>ium sind relativ gering, da lediglich die offiziellen<br />

Studiengebühren der Universität Bremen (insgesamt ca. 500 EUR) sowie<br />

die allgemeinen Lebenshaltungskosten in Bremen bzw. am Ort des Praktikums<br />

(monatlich ca. 500-750 €) anfallen. Dank des Semestertickets konnten<br />

viele Teilnehmer zwischen Bremen <strong>und</strong> ihrer Heimatstadt (z. B. Oldenburg/<br />

Hannover/ Hamburg) pendeln. Mein Tipp: <strong>Die</strong> Zeit als ordentlich eingeschriebene<br />

Studentin/ eingeschriebener Student mit allen Rabatt-Möglichkeiten<br />

intensiv nutzen!<br />

Studieren ohne Abitur? ... „fachlich“ ist dies schon lange Zeit möglich, sind<br />

doch nicht alle in der Oberstufe vermittelten Inhalte gleich notwendig, um erfolgreich<br />

in ein Studium zu starten. ... aber rechtlich? Auch diese Hürde<br />

wurde, zumindest teilweise, durch ein Projekt gekippt, das mittlerweile b<strong>und</strong>esweite<br />

Verbreitung findet: das „Schüler<strong>stud</strong>ium“. An der Universität zu<br />

Köln besteht bereits seit Mitte 2000 die Möglichkeit an ausgewählten Lehrveranstaltungen<br />

einzelner Fakultäten teilzunehmen <strong>und</strong> auch Leistungsnachweise<br />

zu erwerben. Begonnen hat diese „Hochbegabten-“ oder besser „Begabtenförderung“<br />

mit dem Fach Mathematik. Der f<strong>und</strong>amentale Unterschied zu<br />

Schülerakademien <strong>und</strong> einer „Kinderuni“ besteht darin: Das Schüler<strong>stud</strong>ium<br />

ist ein ganz „normales“ Studium an einer Universität, das später „angerechnet“<br />

wird, ohne aber eingeschrieben zu sein <strong>und</strong> natürlich auf rein freiwilliger<br />

Basis.<br />

Mich selbst begleitet das „Schüler<strong>stud</strong>ium“ schon seit mehr als vier Jahren:<br />

Mit 13 Jahren habe ich angefangen in Köln <strong>und</strong> Bonn Katholische Theologie<br />

zu <strong>stud</strong>ieren; mittlerweile stehe ich im 9. Semester <strong>und</strong> nahe damit dem Ende<br />

meines Studiums. Als Mitte 2009 an der Universität zu Köln das Fach Rechtswissenschaft<br />

„freigegeben“ wurde, konnte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen<br />

lassen <strong>und</strong> stehe hier inzwischen im 3. Semester <strong>Die</strong> Gefahr, dass schulische<br />

Leistung unter dem Parallel<strong>stud</strong>ium leiden, besteht natürlich; wenn<br />

man das Schüler<strong>stud</strong>ium aber konsequent durchsetzt, muss das nicht der Fall<br />

sein. Letztes Jahr habe ich mein Abitur bestanden – trotz, oder aber gerade<br />

wegen der Universität: sehr gut.<br />

Ein Schüler<strong>stud</strong>ium kostet Zeit – Schulzeit <strong>und</strong> Freizeit. Dessen muss man<br />

sich bewusst sein. Man hat eigenen Interessen <strong>und</strong> Bedürfnissen zu genügen,<br />

aber auch den Anforderungen der Lehrer <strong>und</strong> Dozenten. Zugleich muss man<br />

sich innerlich überwinden <strong>und</strong> erst einmal den Schritt in die Universitätsgebäude<br />

wagen. <strong>Die</strong> ersten Semester lehren einen dann, dass auch die <strong>stud</strong>entisch-<br />

universitäre Arbeitsweise von der schulischen Motivation abweicht.<br />

Auch hier musste ich mich erst einleben – eine andere Arbeitshaltung an den<br />

Tag zu legen fällt aber dann nicht schwer, wenn einem das gewählte Fach auch<br />

Spaß macht.<br />

F. FAZIT<br />

Schule <strong>und</strong> Studium parallel<br />

von Georg <strong>Die</strong>tlein (Universität Köln)<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Praxis & Karriere<br />

Studiert man die Stellenanzeigen in der einschlägigen Presse, so wird deutlich,<br />

dass eine Zusatzqualifikation wie eine Promotion oder ein LL.M. gern<br />

gesehen wird. Auch bei mir war der Erwerb des LL. M. Eur. eine gute Visitenkarte,<br />

zumal das Europarecht quasi überall eine Rolle spielt. Darüber hinaus<br />

konnte ich mein Netzwerk – deutsche <strong>und</strong> ausländische <strong>Juristen</strong>, Professoren<br />

<strong>und</strong> Dozenten - erheblich erweitern <strong>und</strong> habe dabei auch noch Spaß gehabt!<br />

Mein Tipp: Weitere Informationen auf der Homepage unter:<br />

[http://www.europarecht.uni-bremen.de/startframeset1024.html]<br />

oder per E-Mail unter: [llmeur@uni-bremen.de].<br />

<strong>Die</strong> besten Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> ein Jura-Studium hat mir die Theologie gelegt,<br />

durch die ich meinen Sprachschatz ausweiten <strong>und</strong> mein Sprachverständnis<br />

vertiefen <strong>und</strong> präzisieren konnte, gr<strong>und</strong>legende Methoden erlernt habe <strong>und</strong><br />

durch das Kirchenrecht bereits auf Auslegung von Recht vorbereitet wurde.<br />

Ich habe auch schnell gespürt, dass eine gewisse persönliche Beziehung zu<br />

Jura nie verkehrt ist. Mir half zumindest mein politisches Engagement in der<br />

Union weiter, durch das ich bereits politische <strong>und</strong> rechtliche Strukturen näher<br />

kennen gelernt hatte. Auch durch meine Familie war ich ein wenig juristisch<br />

„vorbelastet“: einen ehemaligen Verfassungsrichter als Großvater <strong>und</strong> einen<br />

Professor <strong>für</strong> Öffentliches Recht als Onkel. So lag ein erstes Schnupper<strong>stud</strong>ium<br />

nah, das ich dann gerne in vertieftes Studium ausbaute.<br />

Über die ersten drei Semester habe ich mich an die einzelnen juristischen<br />

„Hauptfächer“ herangepirscht, indem ich mich in jedem Semester auf ein<br />

Fach konzentrierte: erst das Öffentliche Recht, dann das Strafrecht <strong>und</strong><br />

schließlich das Bürgerliche Recht. Eine solche Sortierung ist eher unüblich,<br />

war aber sehr effizient. Besonders das Verständnis der komplexen Strukturen<br />

des BGB war zeitaufwändig, so dass das fortgeschrittene Studium hier genau<br />

richtig kam.<br />

Das Schüler<strong>stud</strong>ium hat mich sehr stark bereichert, vor allem persönlich. Daher<br />

kann ich den parallelen Weg von Universität <strong>und</strong> Schule jedem Interessierten<br />

wirklich weiterempfehlen. Dazu gehören selbstverständlich Ernsthaftigkeit<br />

<strong>und</strong> Durchhaltevermögen, was sich aus der Doppelbelastung ergibt.<br />

Meiner Ansicht nach wird sich das Projekt „Schüler<strong>stud</strong>ium“ an noch mehr<br />

Studienorten etablieren <strong>und</strong> verstärkt bei Schülern Fuß fassen. Es bietet nicht<br />

nur die perfekte Gelegenheit spätere Studienfächer kennen zulernen <strong>und</strong> eigene<br />

Vorstellungen kritisch zu überprüfen, sondern auch die Möglichkeit einen<br />

Teil der späteren Studienbelastung auf die Schulzeit zu verlagen <strong>und</strong> damit<br />

das Jura-Studium zu entzerren <strong>und</strong> Frustrationen zu vermeiden. Das<br />

Schüler<strong>stud</strong>ium ist daher eine Vertiefung von Angeboten wie „Tag der offenen<br />

Tür“, „Schülercampus Jura“, das sich wirklich lohnt.<br />

59


60<br />

An dieser Stelle präsentieren wir Ihnen Kurzfassungen offener Stellenausschreibungen <strong>für</strong> <strong>stud</strong>entische Hilfskräfte,wissenschaftliche Hilfskräfte<br />

<strong>und</strong> wissenschaftliche Mitarbeiter an den Lehrstühlen aller juristischer Fakultäten sowie Referendars- <strong>und</strong> Praktikerstellen. <strong>Die</strong> ausführlichen<br />

Stellenausschreibungen finden Sie auf unserer Homepage unter www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt. Ihr <strong>Iurratio</strong>-Team.<br />

UNIVERSITÄT ZU KÖLN<br />

Prof. Dr. Hans-Peter Haferkamp<br />

Institut <strong>für</strong> Neuere Privatrechtsgeschichte,<br />

Deutsche <strong>und</strong> Rheinische Rechtsgeschichte<br />

1 <strong>stud</strong>entische Hilfskraft <strong>für</strong><br />

EDV-Aufgaben (m/w)<br />

(7 St<strong>und</strong>en/Woche)<br />

Bewerbungsschluss: Einstellung frühestmöglich<br />

<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />

http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />

UNIVERSITÄT MANNHEIM<br />

Prof. Dr. Carsten Schäfer<br />

Lehrstuhl <strong>für</strong> Bürgerliches Recht, Handels- <strong>und</strong><br />

Gesellschaftsrecht<br />

Wissenschaftlicher Mitarbeiter (m/w)<br />

(halbe Stelle E 13 TV-L)<br />

ab sofort zu besetzen<br />

<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />

http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />

GEORG-AUGUST-UNIVERSITÄT GÖTTINGEN<br />

Prof. Dr. D. Coester-Waltjen, LL.M.<br />

Lehrstuhl <strong>für</strong> deutsches, europäisches <strong>und</strong><br />

internationales Privat- <strong>und</strong> Prozessrecht<br />

1/3 wiss. Mit. TV-L 13<br />

(13,33 Wochenst<strong>und</strong>en)<br />

Bewerbungsschluss: möglichst bis 15.3.2011<br />

<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />

http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />

CMS HASCHE SIGLE<br />

Düsseldorf/Köln <strong>und</strong> Frankfurt am Main<br />

Praktikumsprogramm<br />

Einstellungszeitpunkt(e):<br />

Immer im März <strong>und</strong> September<br />

<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />

http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />

- stellenmarkt<br />

INTERNATIONAL MAX PLANCK RESEARCH<br />

SCHOOL ON ADAPTING BEHAVIOR IN A FUN-<br />

DAMENTALLY UNCERTAIN WORLD (IMPRS<br />

UNCERTAINTY)<br />

doctoral fellowships in Law<br />

(fulltime)<br />

Deadline for applications: March 20th 2011<br />

Call for applications:http://www.econ.mpg.de/files/<br />

2011/Stellenausschreibung_IMPRS_2011-03-20.pdf<br />

UNIVERSITÄT HAMBURG<br />

Prof. Dr. Stefan Oeter<br />

Institut <strong>für</strong> internationale Angelegenheiten, Fakultät<br />

<strong>für</strong> Rechtswissenschaft<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin (m/w)<br />

(19,5 St<strong>und</strong>en / Woche)<br />

Bewerbungsschluss: 28.3.2011<br />

<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />

http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />

GEORG-AUGUST-UNIVERSITÄT GÖTTINGEN<br />

Prof. Dr. D. Coester-Waltjen, LL.M.<br />

Lehrstuhl <strong>für</strong> deutsches, europäisches <strong>und</strong><br />

internationales Privat- <strong>und</strong> Prozessrecht<br />

CMS HASCHE SIGLE<br />

Hamburg<br />

Rechtsreferendar (m/w)<br />

Einstellungszeitpunkt(e): Laufend<br />

<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />

http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

UNIVERSITÄT MANNHEIM<br />

Prof. Dr. Georg Bitter<br />

Institut <strong>für</strong> Unternehmensrecht (Iurum)<br />

Lehrstuhl <strong>für</strong> Bürgerliches Recht, Bank <strong>und</strong> Kapitalmarktrecht,<br />

Insolvenzrecht<br />

wiss. Mitarbeiter (m/w)<br />

(1/2 Stelle E 13 TV-L)<br />

<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />

http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />

UNIVERSITÄT ROSTOCK<br />

Prof. Dr. Jörg Benedict<br />

Juristische Fakultät, Lehrstuhl <strong>für</strong> Deutsches <strong>und</strong><br />

Europäisches Privatrecht, Rechtsgeschichte <strong>und</strong> Rechtsphilosophie<br />

1 wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in<br />

(20 St<strong>und</strong>en/Woche)<br />

Bewerbungsschluss: 18.03.2011<br />

<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />

http://www.joerg.benedict.uni-rostock.de<br />

1/2 wiss. Mit. TV-L 13<br />

(19,90 Wochenst<strong>und</strong>en)<br />

partner im medizinrecht DIERKS + BOHLE RECHTSANWÄLTE<br />

rechtsgebiete<br />

| Prof. Dr. med. Dr. <strong>iur</strong>. Christian <strong>Die</strong>rks<br />

| Apothekenrecht<br />

Rechtsgebiet: Medizinrecht<br />

| Dr. <strong>iur</strong>. thomas bohle<br />

| Ärztliches Berufsrecht<br />

| Dr. <strong>iur</strong>. martin stellpflug , ma (Lond.) | Arzneimittelrecht<br />

| Dr. <strong>iur</strong>. ulriCh grau<br />

| Rechts-Referendar(in) Arzthaftungsrecht in Berlin<br />

| Dr. <strong>iur</strong>. gerharD nitz<br />

| GKV-Recht<br />

| torsten münnCh<br />

| Kooperationsrecht<br />

| Dr. <strong>iur</strong>. ronny hilDebranDt<br />

| Krankenhausrecht<br />

möglichst bis 15.3.2011<br />

| Dr. <strong>iur</strong>. thomas WillasChek<br />

| zum nächstmöglichen Zeitpunkt Medizinprodukterecht<br />

| Dr. <strong>iur</strong>. Christian burholt, ll.m.<br />

| Psychotherapeutenrecht<br />

| Dr. <strong>iur</strong>. Constanze püsChel<br />

| Vertragsarztrecht<br />

<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden | Christian Sie hier: pinnoW <strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />

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| Jan Daniel moeCk<br />

| Dr. <strong>iur</strong>. ben baCkmann<br />

| Dr. <strong>iur</strong>. sebastian rosenberg, m.mel.<br />

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PARTNERSCHAFTSGESELLSCHAFT<br />

Rechtsgebiet: Arbeitsrecht<br />

Rechtsanwalt/-anwältin in Berlin<br />

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BAKER & MCKENZIE<br />

PARTNERSCHAFTSGESELLSCHAFT<br />

Rechtsgebiet: Information Technology<br />

Rechtsanwalt/-anwältin in Frankfurt<br />

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Rechtsreferendar (m/w)<br />

Einstellungszeitpunkt(e): Laufend<br />

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V. BOETTICHER HASSE LOHMANN<br />

München<br />

Rechtsreferendar (m/w)<br />

Einstellungszeitpunkt(e): Laufend<br />

<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />

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V. BOETTICHER HASSE LOHMANN<br />

Frankfurt a.M.<br />

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Einstellungszeitpunkt(e): Laufend<br />

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29.4.2011, 16-21 Uhr<br />

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H E I L B R O N N


62<br />

Rechtsprechung<br />

Gericht<br />

Art der<br />

Entscheidung<br />

Datum Aktenzeichen Themenstichworte Rechtsgebiet<br />

BAG Beschluss 14.12.10 1 ABR 19/10 Tariffähigkeit einer Gewerkschaft (hier: CGZP)<br />

BAG Urteil 15.12.10 4 AZR 256/09<br />

BGH Urteil 17.12.10 V ZR44/10,45/10<br />

Koalitionsfreiheit: UT-Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband<br />

Stiftung darf auf ihrem Gelände gefertigte Foto- <strong>und</strong> Filmaufnahmen<br />

von ihren Schlössern <strong>und</strong> Gärten untersagen;<br />

siehe auch: <strong>Iurratio</strong>-Karteikarte SachenR 1002<br />

Zivirecht/<br />

Arbeitsrecht<br />

Zivilrecht/<br />

Arbeitsrecht<br />

Zivilrecht<br />

BGH Urteil 13.01.11 III ZR 87/10 Anspruch auf Vergütung <strong>für</strong> Kartenlegen Zivilrecht<br />

BGH Urteil 10.02.11 I ZR 164/09<br />

BVerfG Beschluss 09.11.10 2 BvR 2101/09<br />

BVerfG Urteil 24.11.10 1 BvF 2/05<br />

Zulässigkeit von Werbeanrufen: strengen Anforderungen<br />

des deutschen Rechts an die Zulässigkeit von Werbeanrufen<br />

bei Verbrauchern mit dem Recht der EU vereinbar<br />

Verfassungsbeschwerde gegen die auf Daten aus Liechtenstein<br />

("Steuer-CD") gestützte Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung<br />

erfolglos<br />

Normenkontrollantrag in Sachen " Gentechnikgesetz"<br />

erfolglos<br />

Zivilrecht<br />

Öffentliches<br />

Recht/Verfassungsrecht<br />

Öffentliches Recht<br />

BVerfG Beschluss 07.12.10 1 BvR 2628/07 Abschaffung der Arbeitslosenhilfe 2005 verfassungsgemäß Öffentliches Recht<br />

BVerfG Urteil 04.01.11 1 BvR 1106/08<br />

VGH<br />

München<br />

Ausbildungsrelevante entscheidungen<br />

SeIT deM 01.11.2010<br />

Beschluss 09.02.11 11 CS 10.3056<br />

Allgemeines Publikationsverbot <strong>für</strong> "Verbreitung rechtsextremistischen<br />

oder nationalsozialistischen Gedankenguts"<br />

in der Führungsaufsicht ist Verfassungswidrig.<br />

Der Widerruf der Fahrlehr- <strong>und</strong> Fahrschulerlaubnis wegen<br />

einer Verurteilung wegen Verbreitens pronographischer<br />

Schriften ist rechtmäßig, wenn ein Fahrlehrer während einer<br />

Fahrst<strong>und</strong>e einer Fahrschülerin pornographische Bilder<br />

zeigt.<br />

Öffentliches Recht<br />

Öffentliches<br />

Recht/Verwaltungsrecht<br />

BVerfG Urteil 22.02.11 1 BvR 699/06 Versammlungsfreiheit gilt auch am Flughafen Öffentliches Recht<br />

EuGH Urteil 01.03.11 C-236/09<br />

BGH Beschluss 15.11.10 1 StR 462/10<br />

Aufgr<strong>und</strong> der EU-Gleichstellungsrichtlinie aus dem Jahr<br />

2004 müssen Versicherungen Unisex-Tarife anbieten<br />

Gemeinschaftlicher Mord wegen Verdeckungsabsicht, da<br />

einer der Täter gemäß dem Tatplan zum Wohnungseinbruch<br />

gehandelt <strong>und</strong> die Tötung nicht verhindert hat.<br />

Öffentliches<br />

Recht/Europarecht<br />

Strafrecht/AT<br />

BGH Urteil 22.12.10 3 StR 2389/10 Urteil im "Zitronensaftfall" aufgehoben Strafrecht<br />

BGH Urteil 26.01.11 2 StR 338/10<br />

<strong>Die</strong> Mitwirkung einer Schöffin, die der deutschen Sprache<br />

nicht ausreichend mächtig ist, begründet einen absoluten<br />

Revisionsgr<strong>und</strong> gemäß § 338 Nr. 1 StPO. Sprachunk<strong>und</strong>igkeit<br />

ist soweit der Unfähigkeit zum Sprechen oder Sehen<br />

gleichzusetzen.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

Strafverfahrensrecht


STUDENT<br />

meets<br />

PRACTICE<br />

Das Praktikantenprogramm<br />

Vom 22. August bis 30. September 2011 veranstaltet Shearman & Sterling an allen deutschen<br />

Standorten zum fünften Mal das sechswöchige Praktikantenprogramm „Student meets Practice“.<br />

Unser Motto lautet: „Mittendrin statt nur dabei.“ Entsprechend werden Sie täglich aktiv in unsere<br />

spannende Mandatsarbeit einbezogen <strong>und</strong> können sich außerdem auf folgende Highlights freuen:<br />

- Besuch eines überörtlichen Seminars im Rahmen unseres Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungs-<br />

programms „Project Brain“<br />

- Teilnahme an den wöchentlich stattfindenden lokalen „Project Brain“-Veranstaltungen<br />

- Gemeinsamer Moot Court aller Praktikanten<br />

Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann bewerben Sie sich bitte bis zum 31. März 2011 <strong>und</strong> beachten<br />

Sie, dass nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen verfügbar ist. Mehr Informationen finden Sie unter:<br />

www.<strong>stud</strong>entmeetspractice.de<br />

Wir freuen uns auf Sie!<br />

Shearman & Sterling LLP<br />

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T +49.211.17888.346 I michael.mitt@shearman.com


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