Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio
Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio
Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio
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ISSN 1867-660X<br />
<strong>Die</strong> <strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>stud</strong>. <strong>iur</strong>. <strong>und</strong> <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong><br />
Titelthema<br />
Der Rechtsstaat in der Strafrechtspraxis<br />
Rechtsanwalt Dr. Christian Pelz<br />
„Freiheit ist nicht ohne Verantwortung zu haben“<br />
Ein Interview mit Prof. Dr. Ralf Höcker<br />
Alexander Otto <strong>und</strong> Ahmad John Sayed<br />
Lehre & Referendariat<br />
Teilnahme an Mord <strong>und</strong> Totschlag<br />
Nicolas Kneba<br />
Zur Anwendbarkeit von § 33 BauGB<br />
bei Aufhebung eines Bebauungsplans<br />
Sven-Sebastian Ohms<br />
Das Relationsgutachten im Rahmen der zivilrechtlichen Klausur<br />
im juristischen Vorbereitungsdienst<br />
RiLG Dr. Holger Schröder<br />
Praxis & Karriere<br />
„Ich habe manchmal vor der Frage gestanden, aufzugeben“<br />
Ein Interview mit Heinrich Hannover<br />
Vivien Eckhoff<br />
Aufbau<strong>stud</strong>ium „Europäisches <strong>und</strong> Internationales Recht“<br />
(LL.M.Eur.) an der Universität Bremen<br />
Merle Alena Wolter<br />
Wissenschaftlicher Beirat:<br />
Prof. Dr. Michael Kotulla<br />
Prof. Dr. Heribert Prantl<br />
Prof. Dr. Martin Schwab<br />
Ausgabe 1/2011 | www.IURRATIO.de<br />
Exklusiv-Partner dieser Ausgabe:<br />
NEU!<br />
Ab sofort mit Karteikarten
Welche Ziele hat der Verein<br />
„<strong>Iurratio</strong> – juristische Nachwuchsförderung e.V.“?<br />
Ziel des Vereins „<strong>Iurratio</strong> – juristische Nachwuchsförderung e.V.“ ist die<br />
Förderung des juristischen Nachwuchses, die Förderung der juristischen<br />
Ausbildung <strong>und</strong> der juris prudencia insgesamt. Außerdem soll die Kommuni-<br />
kation über Recht durch ideelle <strong>und</strong> materielle Unterstützung des b<strong>und</strong>eswei-<br />
ten juristischen Nachwuchsprojektes <strong>Iurratio</strong> sicher gestellt werden.<br />
Welche Vorteile bietet eine Mitgliedschaft ?<br />
Mit einer Mitgliedschaft im Verein „<strong>Iurratio</strong> - Juristische Nachwuchs-<br />
förderung e.V.“ unterstützt jedes Mitglied nachhaltig das Projekt <strong>Iurratio</strong><br />
<strong>und</strong> den oben beschriebenen Vereinszweck. Darüber hinaus sorgt der<br />
Verein insbesondere durch die Übernahme der Druck- <strong>und</strong> Versandkosten<br />
<strong>für</strong> die Verbreitung der Zeitung unter den Mitgliedern <strong>und</strong> den juristischen<br />
Bibliotheken in ganz Deutschland.<br />
Wie hoch ist der jährliche Mitgliedsbeitrag?<br />
Der jährliche Mitgliedsbeitrag beträgt <strong>für</strong> Fördermitglieder als natürliche<br />
Person 25,- Euro <strong>und</strong> als juristische Person 200,- Euro. Studierende zahlen bei<br />
Vorlage eines entsprechenden Nachweises nur 10,- Euro, wissenschaftliche<br />
Mitarbeiter 12,- Euro per annum. Sowohl Satzung als auch Beitragsordnung<br />
können beim Vorstand oder der Geschäftsstelle unter verein@<strong>iur</strong>ratio.de als<br />
PDF-Dokument angefordert werden.<br />
Hiermit trete ich dem Verein <strong>Iurratio</strong> – Juristische Nachwuchsförderung e.V. bei als<br />
SchülerIn, StudentIn, ReferendarIn (ermäßigter Jahresmitgliedsbeitrag 10 €,<br />
entsprechende Nachweise sind dem Vorstand jährlich vorzulegen),<br />
Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/-in (Jahresmitgliedsbeitrag 12 €),<br />
natürliche Person (Jahresmitgliedsbeitrag 25 €),<br />
juristische Person (Jahresmitgliedsbeitrag 200 €).<br />
Wie kann ich Mitglied werden?<br />
Der Verein steht jedermann offen, breite Unterstützung erhoffen wir uns von<br />
Studierenden, Professoren, <strong>Juristen</strong> <strong>und</strong> weiteren Persönlichkeiten aus Wis-<br />
senschaft, Politik <strong>und</strong> Wirtschaft. Auch juristische Personen, wie Kanzleien,<br />
können Mitglied werden. Nutzen Sie gerne das nachfolgende Anmeldeformular<br />
oder senden uns die entsprechenden Angaben per E-Mail an<br />
verein@<strong>iur</strong>ratio.de.<br />
Aufnahmeantrag <strong>Iurratio</strong> - Juristische Nachwuchsförderung e.V.<br />
Hiermit ermächtige ich den Verein „<strong>Iurratio</strong> - Juristische Nachwuchsförderung e.V.“ bis auf Widerruf den oben angegebenen Beitrag von meinem<br />
Konto einzuziehen. Der Mitgliedsbeitrag wird bei Eintritt in den Verein unverzüglich, danach gemäß Beitragsordnung jeweils zum Anfang des<br />
Kalenderjahres fällig. <strong>Die</strong> aktuelle Satzung <strong>und</strong> Beitragsordnung habe ich zur Kenntnis genommen.<br />
Firma/Titel/Frau/Herr:<br />
Name, Vorname:<br />
Geburtsdatum:<br />
Beitrittsdatum:<br />
Kontonummer:<br />
Kreditinstitut:<br />
Ort, Datum:<br />
<strong>Iurratio</strong> – Juristische Nachwuchsförderung e.V.<br />
Straße:<br />
PLZ/Stadt:<br />
E-Mail:<br />
Telefon:<br />
Bankleitzahl:<br />
Kontoinhaber (falls abweichend):<br />
Unterschrift:<br />
Das ausgefüllte Formular senden Sie bitte postalisch an <strong>Iurratio</strong> - Juristische Nachwuchsförderung e.V., Salzweg 62, 48431 Rheine,<br />
per Fax an 0228 - 96 28 37 89 oder per Mail an verein@<strong>iur</strong>ratio.de.
Das <strong>Iurratio</strong>-Team freut sich über<br />
fachk<strong>und</strong>ige Unterstützung<br />
Seit Beginn des neuen Jahres kann das gesamte <strong>Iurratio</strong>-Team auf<br />
fachk<strong>und</strong>ige Unterstützung in der täglichen Redaktionsarbeit zurückgreifen.<br />
Prof. Dr. Michael Kotulla (Universität Bielefeld),<br />
Prof. Dr. Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) <strong>und</strong><br />
Prof. Dr. Martin Schwab (Freie Universität Berlin)<br />
bilden von nun an einen wissenschaftlichen Beirat <strong>für</strong> <strong>Iurratio</strong> – die<br />
<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>stud</strong>. <strong>iur</strong>. <strong>und</strong> <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong>, stehen aber auch dem<br />
Gesamtprojekt <strong>Iurratio</strong> künftig mit Rat <strong>und</strong> Tat zur Seite.<br />
„Wir freuen uns, dass mit Prof. Dr. Michael Kotulla, Prof. Dr. Heribert<br />
Prantl <strong>und</strong> Prof. Dr. Martin Schwab drei Persönlichkeiten, die durch<br />
ihre herausragende fachliche Leistung <strong>und</strong> ihr persönliches Engagement<br />
hervorstechen, den wissenschaftlichen Beirat bilden <strong>und</strong> uns<br />
künftig als wichtige Ansprechpartner zur Seite stehen“, sagte <strong>Iurratio</strong>-Herausgeber<br />
Jens-Peter Thiemann <strong>und</strong> betonte weiter, dass die<br />
Einrichtung <strong>und</strong> Besetzung des Beirates mit diesen Personen den<br />
hohen akademischen Qualitätsstandard von <strong>Iurratio</strong> unterstreiche.<br />
Eine ausführliche Vorstellung unserer Beiratsmitglieder<br />
finden Sie in Kürze unter<br />
www.<strong>iur</strong>ratio.de.<br />
Frühjahrs GK 2011<br />
<strong>Die</strong> <strong>Iurratio</strong> Frühjahrs-Konferenz 2011 fand am 19. <strong>und</strong> 20. Februar in<br />
Hamburg bei der Kanzlei „Graf von Westphalen“ statt. Neben der Agenda<br />
<strong>für</strong> 2011 wurden redaktionelle <strong>und</strong> fachliche Themen diskutiert.<br />
Einen großen Mehrwert zogen alle Teilnehmer aus dem gegenseitigen<br />
Kennenlernen <strong>und</strong> Networking. Wir freuen uns jetzt schon auf die<br />
Herbstkonferenz im Oktober!<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
<strong>Iurratio</strong> Aktuell<br />
<strong>Iurratio</strong> Ranking „Online Innovation“:<br />
Urk<strong>und</strong>enüberreichung<br />
Nach der Veröffentlichung des <strong>Iurratio</strong> Rankings Online Innovation<br />
in Ausgabe 3/2010 besuchte eine <strong>Iurratio</strong>-Delegation viele Kanzleien<br />
um die Hintergründe des Rankings darzustellen <strong>und</strong> den<br />
Kanzleien Tipps <strong>für</strong> die erfolgreiche Social Media Implementierung<br />
zu geben. Den drei bestplatzierten Kanzleien wurde darüber hinaus<br />
eine Urk<strong>und</strong>e verliehen.<br />
Unsere Fotos zeigen die Urk<strong>und</strong>enübergabe bei<br />
HengelerMueller (Platz 1),<br />
Freshfields Bruckhaus Deringer (Platz 2)<br />
<strong>und</strong> GSK Stockmann + Kollegen (Platz 3).<br />
<strong>Iurratio</strong>-Karteikarten<br />
Ab sofort finden Sie pro Ausgabe mindestens acht Karteikarten zu sog.<br />
Rechtsprechungs-Klassikern <strong>und</strong> zu neuer Rechtsprechung in unserem<br />
Heft. Unter www.<strong>iur</strong>ratio.de werden Sie ab 2.5.2011 auch eine Langversion<br />
zu jeder Karteikarte mit noch mehr wertvollen Tipps <strong>und</strong><br />
Anmerkungen abrufen können. Gemeinsam mit unserer Übersicht zu<br />
ausbildungsrelevanten Entscheidungen der Obergerichte sind Sie<br />
künftig stets auf der Höhe der Zeit in Sachen Rechtsprechung.<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
beginnend mit dieser Ausgabe werden Sie kün� ig pro Ausgabe mindestens acht Karteikarten aus den drei Kerngebieten<br />
des Rechts � nden.<br />
Dabei werden Sie zwei unterschiedliche Karteikartentypen vor� nden: Mit den „Klassiker“-Karten wollen wir Ihnen<br />
Inhalte der typischen Klassiker, aber auch solcher Entscheidungen, die das Zeug zum „Klassiker“ haben, näher bringen.<br />
„Neue Rechtsprechung“ ist solche, die gängige Rechtsprechung ändert oder zu einem bislang noch nicht entschiedenen<br />
Problem Stellung nimmt.<br />
Alle Karteikarten sind so aufgebaut, dass Sie mit der Karte einen Einstieg in die � ematik bekommen, sie aber auch dazu<br />
nutzen können, Rechtsprechungsinhalte zu wiederholen. Mit den neuen <strong>Iurratio</strong>-Karteikarten sind sie immer „up to date“<br />
– egal ob im Studium, zum ersten oder zweiten Staatsexamen. Zudem erhalten Sie wertvolle methodische Hinweise, die<br />
Ihnen die Einordnung in die Fallbearbeitung erleichtern soll.<br />
Ab 02.05.2010 werden Sie unter www.<strong>iur</strong>ratio.de auch Langversionen zu jeder Karteikarte � nden. Darin werden wir die<br />
jeweilige Entscheidung ausführlicher <strong>für</strong> Sie au� ereiten, interessante Literaturhinweise <strong>und</strong> noch genauere Hinweise zur<br />
methodischen Bedeutung der Entscheidung geben. Mit der oben rechts aufgedruckten Nummer können Sie über die<br />
Suchfunktion auf unserer Seite ganz leicht zur Langversion der Karteikarte � nden.<br />
Viel Spaß beim Lernen mit den Karten,<br />
Alexander Otto<br />
Chefredakteur<br />
Gr<strong>und</strong>satz der Tarifeinheit<br />
Zivilrecht ArbR 2001<br />
NEU!<br />
Neue Rechtsprechung<br />
Zivilrecht SachenR 1002<br />
Reichweite des Eigentums an einem Gr<strong>und</strong>stück<br />
BGH, Urteil vom 17.12.2010, V ZR 44/10 (s. auch V ZR 45/10 <strong>und</strong> V ZR 46/10)<br />
Redaktion: Dr. Lena Rudkowski, Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Sachverhalt (verkürzt):<br />
K ist Eigentümerin von Schloss Sanssouci. B betreibt ein Internetportal, auf dem gewerbliche <strong>und</strong> freiberu� iche Fotogra-<br />
fen Fotos zum entgeltlichen Herunterladen einstellen können. Auf der Internetplattform des B sind ca. 1000 Fotos von<br />
Sanssouci verö� entlicht, die im Schloss selbst oder in dessen Park gefertigt worden sind. K verlangt, die gewerbliche<br />
Vermarktung der Fotos zu unterlassen, weil ein Eingri� in ihr Eigentumsrecht vorläge; dieses beschränke sich nicht auf<br />
den Schutz der Sachsubstanz <strong>und</strong> deren Verwertung.<br />
Einstieg:<br />
<strong>Die</strong> Entscheidung führt die Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 20.09.1974, I ZR 99/73, „Schloss Tegel“; Urt. v. 9.3.1989, I<br />
ZR 54/87, „Friesenhaus“) zur Reichweite des Gr<strong>und</strong>stückseigentums fort. <strong>Die</strong> Kernfrage ist, ob der Eigentümer hinnehmen<br />
muss, dass jemand Fotos der Anlagen seines Gr<strong>und</strong>stücks von diesem aus anfertigt <strong>und</strong> gewerblich verwertet.<br />
Rechtsprechung:<br />
Ein Anspruch der K gegen B auf Unterlassen der Foto-Bereitstellung kann sich aus § 1004 I BGB ergeben. § 1004 I BGB<br />
setzt eine Eigentumsbeeinträchtigung voraus, die hier vorliegt. Das Eigentum (§ 903 BGB) umfasst, dass der Eigentümer<br />
einer Sache mit dieser nach Belieben verfahren <strong>und</strong> andere von jeder Einwirkung ausschließen kann. Weil Eigentum sich<br />
auf eine körperliche Sache bezieht, setzt die Eigentumsbeeinträchtigung zumindest eine Auswirkung auf die tatsächliche<br />
Nutzungsmöglichkeit der Sache voraus. Da man mit der fotogra� erten Sache immer noch „nach Belieben verfahren“<br />
kann, ist Fotogra� eren grds. keine Eigentumsverletzung. Anders liegt dies, wenn die Gebäude/Anlagen eines Gr<strong>und</strong>-<br />
Zivilrecht SchuldR BT 1001<br />
Verschär� e Ha� ung Minderjähriger – Der Flugreisefall<br />
BAG, Urteil vom 07.07.2010, Az.: 4 AzR 549/08; Anfragebeschlüsse vom 27.1.2010, 4 AZR 537/08 (A)<br />
BGH, Urteil vom 07.01.1971, Az.: VII ZR 9/70 = BGHZ 55, 128 = NJW 1971, 609<br />
<strong>und</strong> 4 AZR 549/08 (A); Beschlüsse vom 23.6.2010, 10 AS 3/10 <strong>und</strong> 10 AS 3/10.<br />
Redaktion: Kathrin Böckmann, Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Redaktion: Dr. Lena Rudkowski, , Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Sachverhalt (verkürzt):<br />
Sachverhalt (verkürzt):<br />
Der 17-jährige Bekl. � og von M nach H <strong>und</strong> von dort aus ohne Flugticket weiter nach NY. Dort wurde ihm die Einreise<br />
A, Arzt <strong>und</strong> Mitglied des Marburger B<strong>und</strong>es, verlangt von seiner Arbeitgeberin K Zahlung eines Urlaubsaufschlags nach verweigert. <strong>Die</strong> klagende Fluggesellscha� ließ den Bekl. eine Zahlungsverp� ichtung unterschreiben, stellte ihm ein Flug-<br />
BAT, weil sie über ihren Arbeitgeberverband im Verhältnis zum Marburger B<strong>und</strong> an den BAT geb<strong>und</strong>en ist.<br />
ticket aus <strong>und</strong> � og ihn noch am selben Tag zurück nach M. <strong>Die</strong> Mutter des Bekl. verweigerte als gesetzliche Vertreterin<br />
K wendet ein, dass A sich auf den BAT nicht berufen könne, da sie, K, auch gegenüber der Gewerkscha� Ver.di geb<strong>und</strong>en die Genehmigung des Rechtsgeschä� s. <strong>Die</strong> Fluggesellscha� verlangt von dem Bekl. die Zahlung des Flugpreises <strong>für</strong> die<br />
sei, <strong>und</strong> zwar an den auch <strong>für</strong> Ärzte geltenden TVöD. <strong>Die</strong>ser verdränge als speziellere Regelung den BAT.<br />
Strecke H - NY sowie die Zahlung des Flugpreises <strong>für</strong> die Strecke NY - M. Zu Recht?<br />
Rechtsprechungsänderung:<br />
Einstieg:<br />
<strong>Die</strong> Rechtsprechung ging bislang vom „Gr<strong>und</strong>satz der Tarifeinheit“ aus: Es könne in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag Zentrales Problem dieses Klassikers ist der Wegfall der Bereicherung nach § 818 III BGB. Daneben hatte der BGH die<br />
Anwendung � nden (Motto: „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag!“). Bestehende Tarifpluralitäten müssten nach dem „Gr<strong>und</strong>satz Leistungs- von der Eingri� skondiktion abzugrenzen <strong>und</strong> zu entscheiden, ob der Beklagte überhaupt im Sinne von § 812<br />
der Spezialität aufgelöst werden. Es sei nur der Tarifvertrag anwendbar, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich Abs. 1 BGB „etwas erlangt“ hat. Zudem hatte sich der BGH mit den Rechtsfolgen der Bösgläubigkeit im Bereicherungs-<br />
<strong>und</strong> persönlich am nächsten steht, der den Eigenarten <strong>und</strong> Erfordernissen des Betriebs am besten Rechnung trägt. recht auseinanderzusetzen.<br />
Das BAG hat diesen Gr<strong>und</strong>satz nunmehr aufgegeben. Das hat nicht nur Bedeutung <strong>für</strong> die Frage nach dem auf den Methodische Bedeutung:<br />
Arbeitsvertrag anzuwendenden Tarifvertrag <strong>und</strong> damit <strong>für</strong> die Ansprüche des Arbeitnehmers, sondern auch <strong>für</strong> das <strong>Die</strong>ser Fall eignet sich zur Wiederholung der kompletten zivilrechtlichen Anspruchsreihenfolge: vor den bereicherungs-<br />
Arbeitskampfrecht (siehe Langversion).<br />
rechtlichen Ansprüchen sind zunächst vertragliche sowie deliktische Ansprüche anzuprüfen. Besonders gut lassen sich<br />
an diesem Fall aber auch Au� au <strong>und</strong> Struktur des Bereicherungsrechts lernen <strong>und</strong> verstehen. Daneben werden die<br />
systematischen Zusammenhänge zwischen dem Allgemeinen Teil des BGB, dem Deliktsrecht <strong>und</strong> dem Bereicherungsrecht<br />
deutlich.<br />
Klassiker<br />
Öffentliches Recht VerfR 4001<br />
Öffentliches Recht VerwR 4002<br />
Neue Rechtsprechung<br />
Neue Rechtsprechung<br />
<strong>Die</strong> Sicherungsverwahrung<br />
Enttarnung durch Presseverö� entlichung<br />
EGMR Urteile vom 13.01.2011, Az.: 6587/04 <strong>und</strong> 17.12.2009, Az.: 19359/04<br />
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.08.2010, Az. 1 S 2266/09<br />
Redaktion: Vivien Eckho� , Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Redaktion: Alexander Otto, Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Sachverhalt (verkürzt):<br />
Sachverhalt (verkürzt):<br />
In dieser Entscheidung vom 13.01.2011 ging es um die Frage, ob Deutschland in drei Fällen der Anordnung der nach- Krä� e eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei waren im Einsatz, um einen bereits in Untersuchungsha�<br />
träglichen Sicherungsverwahrung � nanzielle Entschädigung zu leisten hat. Bei den 1993, 1992 <strong>und</strong> 1985 zu längeren be� ndlichen Tatverdächtigen zu einem Arzttermin in der Innenstadt der Stadt S-H zu verbringen. Dazu fuhren die<br />
Ha� strafen verurteilten Stra� ätern wurde die zusätzliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bis 2010 mehr- Beamten mit zivilen <strong>Die</strong>nstfahrzeugen in den unmittelbaren Nahbereich der Praxis <strong>und</strong> brachten den Inha� ierten hinfach<br />
aufgr<strong>und</strong> von Sachverständigengutachten verlängert. Regel war es bis 1998, dass die Sicherungsverwahrung ein, während zwei Beamte vor dem Gebäude blieben. Einsatzleiter E postierte sich im Eingangsbereich. Alle Beamten<br />
10 Jahre nicht überschreiten darf. Aufgr<strong>und</strong> der Neuregelung in § 67 d III StGB ent� el 1998 diese zeitliche Begrenzung. waren zivil gekleidet, aber bewa� net, E sogar mit einer Maschinenpistole. <strong>Die</strong> Situation bemerkten zwei Journalisten, die<br />
Einstieg:<br />
um Auskun� über die Geschehnisse ersuchten <strong>und</strong> diese auch erhielten. Einer der beiden versuchte dann Bilder von<br />
Zentrale Bedeutung haben diese Entscheidungen zum einen wegen der unterschiedlichen Rechtsprechungspraxis der Einsatz, <strong>Die</strong>nstfahrzeugen <strong>und</strong> Beamten aufzunehmen, wurde dann aber von E aufgefordert, das Fotogra� eren zu unter-<br />
Gerichte. Zum anderen ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Gr<strong>und</strong>rechte aus der EMRK, insb. die Art. 5 lassen. E begründete dies damit, dass die Beamten aus Gründen des Identitätsschutzes <strong>und</strong> um mögliche Sanktionen der<br />
<strong>und</strong> 7 herauszuarbeiten.<br />
Gegenseite aus dem Bereich der organisierten Kriminalität auszuschließen, nicht abgelichtet werden sollten. <strong>Die</strong> Journa-<br />
Rechtsprechung:<br />
listen bestanden auf ihrem Rechercherecht, worau� in der Einsatzleiter eine Beschlagnahme von Kamera <strong>und</strong> Filmma-<br />
Der EGMR hat bereits 2009 in dem Verfahren der Individualbeschwerde M gegen Deutschland festgestellt: <strong>Die</strong> Entscheiterial androhte.<br />
dungen der deutschen Gerichte, die Stra� äter auch über die Dauer von zehn Jahren hinaus in der Sicherungsverwahrung Einstieg:<br />
zu belassen, verstoßen gegen Art. 5 <strong>und</strong> 7 EMRK <strong>und</strong> sind damit menschenrechtswidrig. Zu Art.5 I EMRK (nachlesen!): <strong>Die</strong> Entscheidung ist geeignet, um sich mit der Polizeifestigkeit der Pressefreiheit, v.a. aber mit den Vorschri� en des<br />
Voraussetzung einer Freiheitsentziehenden Maßnahme ist, dass <strong>für</strong> diese eine gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage vorliegt (zum Zeit- Kunsturhebergesetzes <strong>und</strong> der Frage auseinanderzusetzen, wann ein Mensch eine Person der Zeitgeschichte ist <strong>und</strong><br />
punkt der Verurteilung: § 67 d I StGB). Weiterhin muss ein Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Täters welche Auswirkungen dies hat.<br />
<strong>und</strong> der Fortdauer seiner Freiheitsentziehung vorhanden sein. Da er ohne die gesetzliche Änderung 1998 nach 10 Jahren<br />
klassiker<br />
Strafrecht StrR AT 6002<br />
Strafrecht StrR AT 6001<br />
Neue Rechtsprechung<br />
Neue Rechtsprechung<br />
Eissporthalle Bad Reichenhall<br />
Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch<br />
BGH, Urteil vom 12.01.2010, Az.: 1 StR 272/09<br />
BGH, Urteil vom 25.06.2010, Az.: 2 StR 454/09<br />
Redaktion: Christine Dutzmann, Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Redaktion: Alexander Otto, Langversion unter www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Sachverhalt (verkürzt):<br />
Sachverhalt (verkürzt):<br />
Durch den Dach-Einsturz der Eissporthalle von Bad Reichenhall starben 15 Besucher, 6 weitere wurden schwer verletzt. Nachdem ihr Mann eine Hirnblutung erlitt, erörterte P mit ihren Kindern, ob <strong>und</strong> wie sie sich in einem solchen Fall die<br />
Zum Einsturz kam es aufgr<strong>und</strong> gravierender Mängel in der Dachkonstruktion. Ingenieur I erhielt von der Stadt den Behandlung wünscht. Dabei äußerte sie klar, dass sie im Falle einer Bewusstlosigkeit <strong>und</strong> der verlorenen Fähigkeit, ihren<br />
Au� rag, ein Gesamtgutachten über anstehende Sanierungsmaßnahmen zu erstellen. Von dem Au� rag umfasst war auch Willen zu äußern, weder künstlich ernährt noch beatmet werden möchte. Kurz darauf erlitt P eine Hirnblutung <strong>und</strong> � el<br />
die Dachkonstruktion der Eishalle. Ein Standsicherheitsgutachten war nicht in Au� rag gegeben oder gewollt, wohl aber ins Wachkoma, wurde künstlich ernährt. Obwohl keine Streitigkeiten zwischen Familie <strong>und</strong> Ärzten über den Willen der<br />
eine „handnahe Überprüfung“ der Holzträger. I untersuchte einen Träger wegen au� älliger Flecken näher, die restlichen P bestanden, wurde ein Behandlungsabbruch abgelehnt bzw. durch Wiederaufnahme der Behandlung verhindert. Auf<br />
Balken betrachtete er mit einem Teleobjektiv vom Boden aus. Bei handnaher Untersuchung hätte I o� ene Fugen in der Anraten ihres Rechtsanwaltes schnitten die Kinder der P darau� in den Schlauch der Ernährungssonde durch. P wurde<br />
Verleimung gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ein Holzsachverständiger hätte darau� in die brüchigen Leimverbindungen aufgedeckt. I kam in eine Klinik eingeliefert <strong>und</strong> eine neue Ernährungssonde gelegt. Kurz darauf starb P eines natürlichen Todes.<br />
zu dem Schluss: „<strong>Die</strong> Tragkonstruktionen der gesamten Eissporthalle be� nden sich in einem allgemein als gut zu Einstieg:<br />
bezeichnenden Zustand.“ I hatte bereits bei einer Untersuchung der Schwimmhalle im Jahr 2001 starke Beschädigungen � ema des Urteils ist die Stra� arkeit des Behandlungsabbruchs durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer<br />
im Dach der Schwimmhalle reklamiert <strong>und</strong> diese im Jahr 2003 wiederholt. <strong>Die</strong> Stadt reagierte hierauf zunächst jedoch bereits begonnenen medizinischen Behandlung. Im Mittelpunkt der Entscheidung stehen die neuen Regelungen zur sog.<br />
nicht.<br />
Patientenverfügung. <strong>Die</strong> Entscheidung eignet sich zur Wiederholung der Rechtfertigungsgründe. In diesem Zusam-<br />
Einstieg:<br />
menhang sollten auch die Gr<strong>und</strong>sätze der „Hilfe zum Sterben“ <strong>und</strong> „Hilfe im Sterben“ wiederholt werden.<br />
<strong>Die</strong> Entscheidung eignet sich zur Wiederholung der Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts. Ob seiner Rechtsprechungsänderung:<br />
Aktualität <strong>und</strong> der großen Medienresonanz ist fast sicher davon auszugehen, dass dieses BGH-Urteil schon bald Gegen- Wurde bislang das aktive Tun bei der „zulässigen“ Sterbehilfe ausgeschlossen <strong>und</strong> auf einem wenig nachvollziehbaren<br />
stand einiger Examensklausuren sein wird.<br />
Weg dem Unterlassen gleichgestellt, stellt der BGH nun klar, dass auch das aktive Tun bei der Sterbehilfe einer Einwilligung<br />
zugänglich ist, sofern es sich im Rahmen eines Behandlungsabbruchs bewegt.<br />
3
Inhalt / Impressum<br />
S. 6<br />
Titelthema: Rechtsstaat in der Praxis<br />
Impressum Ausgabe 1/2011<br />
Herausgeber: Jens-Peter Thiemann (V.i.S.d.P.)<br />
herausgeber@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Augen auf beim Robenkauf<br />
S. 51<br />
Interview: Heinrich Hannover<br />
Chefredaktion: Alexander Otto, Vivien Eckhoff (Stellvertreterin),<br />
Hanna Furlkröger (2. Stellvertreterin)<br />
chefredaktion@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Redaktion:<br />
Ressort Zivilrecht (zivilrecht@<strong>iur</strong>ratio.de) Aimee Waldon (Ltg., Standortleiterin<br />
Universität Bremen), Christine Dutzmann, Ahmad Sayed<br />
Ressort Strafrecht (strafrecht@<strong>iur</strong>ratio.de)<br />
Kiyomi von Frankenberg (Ltg., Standortleiterin Uni Freiburg),<br />
Konstantina Papathanasiou (Standortleiterin Universität Heidelberg)<br />
Ressort Öffentliches Recht (oerecht@<strong>iur</strong>ratio.de) Stefanie Löhr, Katharina Walter,<br />
Georg <strong>Die</strong>tlein (Standortleiter Köln)<br />
Ressort Fallbearbeitungen (fallbearbeitung@<strong>iur</strong>ratio.de) Hanna Furlkröger (Ltg.)<br />
Ressort LawLifeSytle (lawlifestyle@<strong>iur</strong>ratio.de) Sandra Beuke, Julia Potdevin<br />
Ressort Praxis (praxis@<strong>iur</strong>ratio.de)<br />
Jan-Christoph Stephan (Ltg., Standortleiter Universität Konstanz), Dirk Veldhoff<br />
Ressort Rechtsprechung (rechtsprechung@<strong>iur</strong>ratio.de) Christine Dutzmann (Ltg.),<br />
Dirk Veldhoff (Ltg.), Alexander Otto (stv. Ltg.), Kathrin Böckmann, Maike Brinkert,<br />
Vivien Eckhoff, Dr. Lena Rudkowski<br />
Unsere Ansprechpartner an den Standorten erreichen Sie unter unistadtname@<strong>iur</strong>ratio.de,<br />
also z.B. die Standortleiterin in Bremen unter unibremen@<strong>iur</strong>ratio.de.<br />
Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Michael Kotulla (Universität Bielefeld),<br />
Prof. Dr. Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung/Universität Bielefeld),<br />
Prof. Martin Schwab (Freie Universität Berlin)<br />
Beilagen: <strong>Die</strong>ser Ausgabe liegen zwei Bögen à 4 Karteikarten bei. Sollten diese Karten<br />
fehlen, können Sie diese ab 01.05.2011 unter www.<strong>iur</strong>ratio.de abrufen.<br />
Ausschluss: Namentlich gekennzeichnete Beiträge repräsentieren nicht unbedingt die<br />
Meinung der Redaktion.<br />
Lektorat: Annica Klemme, Susanne Bettendorf<br />
Layout & Satz: Susanne Günther, Düsseldorf<br />
info@susanneguenther.de<br />
<strong>Iurratio</strong>-Logo: Tobias Kunkel.<br />
Geschäftsführer: Eckart Pradel, gf@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Anzeigenabteilung: Marlene Alker, Daniel Frey, Niels Grotjohann, Sabrina Mokulys,<br />
Judith Simon, Björn Wittenstein, Lea Benning, Jenny Ryszka<br />
anzeigen@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Auslandskorrespondenz: Inga Thiemann (Englisch, Niederländisch),<br />
Marlene Alker (Französisch)<br />
Vertrieb: Xinia Bitterlich, Eva-Maria Matt, Björn Wittenstein, Lars Buchtmann<br />
vertrieb@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Postanschrift: <strong>Iurratio</strong>, Röckumstraße 63, 53121 Bonn<br />
Redaktionsanschrift: Postfach 1540, 26645 Westerstede<br />
S. 52<br />
Druck: Gutverlag, 48477 Hörstel, www.gutverlag.com<br />
Urheber- <strong>und</strong> Verlagsrechte: Alle in dieser <strong>Zeitschrift</strong> veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich<br />
geschützt. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken <strong>und</strong> ähnlichen<br />
Einrichtungen. Kein Teil dieser <strong>Zeitschrift</strong> darf außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes<br />
ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Form reproduziert werden.<br />
Autorenhinweise: Ausführliche Autorenhinweise finden Sie auf unserer Homepage<br />
www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Titelthema<br />
„Der Rechtsstaat in der Praxis“<br />
PELZ Der Rechtsstaat in der Strafrechtspraxis 6<br />
OTTO / SAyED „Freiheit ist nicht ohne Verantwortung zu haben“ –<br />
Ein Interview mit Prof. Dr. Ralf Höcker<br />
10<br />
Lehre & Referendariat<br />
Ausbildung<br />
KNEBA Teilnahme an Mord <strong>und</strong> Totschlag 12<br />
OHMS Zur Anwendbarkeit von § 33 BauGB 15<br />
bei Aufhebung eines Bebauungsplans<br />
OTTO Wer ist eigentlich Herr Nießbrauch? 19<br />
SCHRöDER Das Relationsgutachten im Rahmen der zivilrechtlichen 20<br />
Klausur im juristischen Vorbereitungsdienst<br />
Schwerpunkte<br />
KLöVER Ombudsinstitutionen im deutschen Strafvollzug: 24<br />
Eine notwendige Ergänzung zum gerichtlichen Rechtsschutz?<br />
DAHLKE Wirtschaftliche Regulierung eines liberalisierten Marktes – 31<br />
ein immanenter Widerspruch?<br />
Fallbearbeitung<br />
BALZER / KINDLER Anfänger im Zivilrecht: „Fit in den Sommer“ 34<br />
DURU / GOLL Fortgeschrittene im öffentlichen Recht: 37<br />
„Atomkraft <strong>und</strong> deren Risiken“<br />
NAGEL / JALEESI Examenskandidaten im Strafrecht: „Todesangst“ 42<br />
Lawlife Style 50 / 51<br />
- „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen,<br />
wird am Ende beides verlieren“<br />
- „Augen auf beim Robenkauf “<br />
- „Angst ist ein schlechter Ratgeber“<br />
Praxis & Karriere<br />
ECKHOFF: „Ich habe manchmal vor der Frage gestanden, aufzugeben“ – 52<br />
Ein Interview mit Heinrich Hannover<br />
ExNER Referendarsstation an der deutschen Hochschule <strong>für</strong> 56<br />
Verwaltungswissenschaften in Speyer<br />
WOLTER Aufbau<strong>stud</strong>ium „Europäisches <strong>und</strong> Internationales Recht“ 58<br />
(LL.M.Eur.)<br />
DIETLEIN Schule <strong>und</strong> Studium parallel 59<br />
Stellenmarkt 60<br />
Rechtsprechung 62
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6<br />
Titelthema<br />
der Rechtsstaat in der Strafrechtspraxis<br />
von Rechtsanwalt Dr. Christian Pelz (München)<br />
Das in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegte Rechtsstaatsprinzip, wonach die Exe-<br />
kutive <strong>und</strong> die Judikative an Gesetz <strong>und</strong> Recht geb<strong>und</strong>en sind, wird gerade in<br />
der Strafrechtspflege auf eine besondere Bewährungsprobe gestellt. Kein<br />
Rechtsbereich ist derart eingriffsintensiv wie das Strafrecht. <strong>Die</strong>s gilt nicht nur<br />
<strong>für</strong> die Vollstreckung von Untersuchungs- <strong>und</strong> Strafhaft, sondern auch <strong>für</strong><br />
sonstige Zwangsmittel <strong>und</strong> (verdeckte) Ermittlungsmaßnahmen <strong>und</strong> Sankti-<br />
onen. Auch Geldstrafen, Unternehmensgeldbußen nach § 30 OWiG oder die<br />
Verhängung eines dinglichen Arrests in das gesamte Vermögen eines Ver-<br />
dächtigen nach § 111d StPO können erdrosselnde Wirkung haben.<br />
Anhand einiger ausgewählter Beispiele, die keinen Anspruch auf Vollständig-<br />
keit erheben, soll der Versuch unternommen werden, zu skizzieren, inwieweit<br />
die Strafrechtswirklichkeit den hohen Ansprüchen von Rechtsstaatlichkeit<br />
Genüge tut.<br />
Dr. Christian Pelz <strong>stud</strong>ierte Rechtswissenschaften an der<br />
Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Partner in der<br />
internationalen Sozietät Noerr LLP <strong>und</strong> leitet den Bereich<br />
Wirtschafts- <strong>und</strong> Steuerstrafrecht. Seine Schwerpunkte liegen<br />
in der Verteidigung von Unternehmen <strong>und</strong> Unternehmensleitern<br />
sowie auf dem Gebiet der Compliance.<br />
A. KLASSENSTRAFRECHT<br />
Ein wesentlicher Gr<strong>und</strong>satz rechtsstaatlicher Strafrechtspflege ist das in § 152<br />
Abs. 2 StPO niedergelegte Legalitätsprinzip. Danach ist die Staatsanwaltschaft<br />
verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern tat-<br />
sächliche Anhaltspunkte hier<strong>für</strong> vorliegen. Nicht selten wird der Strafjustiz<br />
der Vorwurf gemacht, Strafverfolgung sei auch heute noch im Wesentlichen<br />
durch Repression gegen die Kriminalität der Unter- <strong>und</strong> Mittelschicht gekennzeichnet,<br />
während eine Strafverfolgung von Wirtschaftskriminalität als<br />
die Oberschicht prägende Kriminalitätsform nicht mit derselben Intensität<br />
erfolge. 1 <strong>Die</strong>ses Phänomen hat verschiedene Facetten. So ist zum einen zu<br />
konstatieren, dass Täter der Oberschicht bei vergleichbarer Deliktsschwere<br />
erheblich milder bestraft werden. 2 Es ist ein bekanntes Phänomen, dass in der<br />
Rechtswirklichkeit Straftaten mit kleinem Schaden verhältnismäßig härter<br />
sanktioniert werden als solche mit großen oder sehr großen Schäden. Sehr<br />
gut dokumentiert ist dieses Phänomen in den veröffentlichten Strafmaßtabellen<br />
zur Steuerhinterziehung. 3 Gegen die Privilegierung von vornehmlich aus<br />
der Oberschicht stammenden Tätern mit hohen Schadensfolgen ist der erste<br />
Strafsenat des BGH mit aufsehenerregenden Ausführungen zur Strafzumes-<br />
1 Neškovic, ZRP 2010, 70.<br />
2 Jahn, ZRP 2009, 247; 2007, 130.<br />
3 Statt vieler vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, S. 323 ff.<br />
Zur Unzulässigkeit einer rein tarifmäßigen Straffestsetzung vgl. BGH NStZ<br />
2009, 271, 272.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
sung bei Steuerstraftaten4 zu Felde gezogen. So fordert er, dass bei Schadenssummen<br />
im Millionenbereich eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe<br />
nur noch in Ausnahmefällen in Betracht kommen soll. 5 Obgleich diese Entscheidung<br />
zu Recht zum Teil heftiger Kritik ausgesetzt ist6 , so legt sie doch<br />
den Finger in die W<strong>und</strong>e der zu beobachtenden Sanktionsungleichheit.<br />
Verstärkt wird dieses Phänomen noch dadurch, dass eine Verfolgung von<br />
Wirtschaftskriminalität wegen der ungenügenden Ausstattung von Justiz <strong>und</strong><br />
Ermittlungsbehörden durch personelle <strong>und</strong> sachliche Ressourcen nur unzureichend<br />
stattfindet; 7 anders als bei der Alltagskriminalität. Da der Bereich<br />
des Wirtschaftsstrafrechts sowohl durch ein hochkomplexes normatives Regelungsgefüge,<br />
8 das manchmal nur noch von Experten durchdrungen werden<br />
kann, <strong>und</strong> durch schwierige tatsächliche Sachverhaltsgegebenheiten gekennzeichnet<br />
ist, ist der Ermittlungsaufwand hoch. <strong>Die</strong> Staatsanwaltschaften sind<br />
zwar bemüht, ihren Verpflichtungen aus dem Legalitätsprinzip Genüge zu<br />
tun, so dass sich mit spektakulären Großverfahren vielfach ganze Abteilungen,<br />
zum Teil verstärkt durch Staatsanwälte aus anderen Abteilungen, befassen.<br />
Andererseits bedeutet dies aber, dass <strong>für</strong> Monate oder Jahre die Strafverfolgung<br />
in anderen Bereichen faktisch weitgehend zum Erliegen kommt.<br />
B. DER DEAL<br />
Eines der umstrittensten Problembereiche des Strafprozessrechts waren <strong>und</strong><br />
sind verfahrensbeendende Absprachen, auch als Deal bezeichnet. Dabei sichert<br />
das Gericht zu, dass im Gegenzug gegen eine ganz oder teilweise geständige<br />
Einlassung des Angeklagten, eine zu verhängende Strafe eine bestimmte<br />
Höhe nicht überschreiten wird. In der Praxis waren derartige Absprachen<br />
schon lange gang <strong>und</strong> gäbe, haben sie doch erhebliche Vorteile <strong>für</strong> beide Seiten:<br />
Angesichts der oftmals sehr weiten Strafrahmen kann der Angeklagte mit<br />
einer klaren <strong>und</strong> oftmals milderen Strafe rechnen, die ihm frühzeitig eine<br />
weitere Lebensplanung ermöglicht. Für die Strafjustiz bedeutet dies einen<br />
schnelleren Verfahrensabschluss bei geringerem Verfahrensaufwand. Angesichts<br />
der überlasteten Justiz ist der Deal in der Praxis unverzichtbar, soll ein<br />
Kollaps des Gesamtsystems vermieden werden. Trotz der Vorbehalte, die gerade<br />
seitens des BGH gegen diesen Handel mit Gerechtigkeit vorgebracht<br />
worden sind, hat sich wohl vornehmlich aus dem letzten Gr<strong>und</strong> der Gesetzgeber<br />
dazu durchgerungen, den Deal zumindest gesetzlich zu regeln <strong>und</strong> ihm<br />
Grenzen zu setzen. Nach § 257c StPO kann Gegenstand einer Verständigung<br />
lediglich das Strafmaß sein, aber nicht der Schuldspruch, d.h. wegen welcher<br />
Straftaten eine Verurteilung erfolgt, <strong>und</strong> auch nicht Maßnahmen der Besserung<br />
<strong>und</strong> Sicherung (z.B. Dauer des Entzugs der Fahrerlaubnis, Unterbringung,<br />
etc.). Das Gericht kann eine Strafober- <strong>und</strong> -untergrenze <strong>für</strong> den Fall<br />
4 BGH NStZ 2009, 271.<br />
5 BGH NStZ 2009, 271, 273.<br />
6 Spatscheck/Zumwinkel, StraFo 2009, 361; Wulf, DStR 2009, 459; Flore,<br />
HRRS 2009, 493; Salditt, PStR 2009, 15.<br />
7 BGH NStZ 2006, 925, 929.<br />
8 Beispielsweise sind Wertpapierhandelsdelikte oder Außenwirtschafts-<br />
delikte als Blanketttatbestände ausgestaltet <strong>und</strong> nehmen im Rahmen einer<br />
Verweisungskette auf eine große Zahl weiterer Bestimmungen Bezug, die<br />
ihrerseits wiederum durch eine Vielzahl auslegungsbedürftiger <strong>und</strong> unbestimmter<br />
Rechtsbegriffe geprägt sind.
eines Geständnisses zusagen. In der Praxis erfolgt aber meist lediglich eine<br />
Zusage einer Strafobergrenze, die – bei Zustandekommen eines Deals –<br />
punktgenau ausgeschöpft wird. Voraussetzung einer Verständigung ist, dass<br />
Angeklagter <strong>und</strong> Staatsanwaltschaft disem zustimmen. Stimmt zwar der An-<br />
geklagte einer vorgeschlagenen Verfahrensabsprache zu, nicht aber die Staats-<br />
anwaltschaft, kommt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 257c Abs. 3 Satz 4<br />
StPO eine Verständigung nicht rechtswirksam zustande. Fühlt sich das Ge-<br />
richt gleichwohl an die dann lediglich informelle Absprache geb<strong>und</strong>en, beste-<br />
hen <strong>für</strong> den Angeklagten nicht unerhebliche Risiken. Vertraut er auf die<br />
(rechtlich unverbindliche) Zusage des Gerichts, muss er ein Geständnis able-<br />
gen, läuft aber Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft weitere Beweiserhebungen<br />
erzwingen kann, die im ungünstigen Fall, weitere Erkenntnisse hervorbrin-<br />
gen, welche die Tat in einem anderen Licht erscheinen lassen <strong>und</strong> bei denen<br />
die Gefahr besteht, dass das Erst- oder das Berufungsgericht eine höhere<br />
Strafe verhängt. Zugesagt werden darf nach § 257c Abs. 4 Satz 1 StPO nämlich<br />
lediglich eine tat- <strong>und</strong> schuldangemessene Strafe. Damit soll in der Vergan-<br />
genheit vereinzelt aufgetretenen sogenannten „Sanktionsschere“ der Boden<br />
entzogen werden. Davon spricht man, wenn die von dem Gericht <strong>für</strong> den Fall<br />
eines Geständnisses bzw. einer streitigen Hauptverhandlung in Aussicht gestellten<br />
Strafrahmen so sehr auseinander klaffen, dass diese durch die strafmildernde<br />
Wirkung eines Geständnisses <strong>und</strong> andere Strafmilderungsgründe<br />
nicht mehr erklärt werden können. 9 In der Praxis gab es Einzelfälle, in denen<br />
die Strafrahmen extrem auseinandergefallen sind, 10 sodass der Angeklagte<br />
praktisch gezwungen war, einem Deal zuzustimmen.<br />
Nach meinen Erfahrungen halten sich Gerichte im Wesentlichen an die gesetzlichen<br />
Vorgaben, auch wenn es manche Vorsitzende gibt, die alten Gewohnheiten<br />
nicht abschwören können oder wollen. Nicht zuletzt mag dies darauf<br />
zurückzuführen sein, dass der BGH bei Verstößen gegen § 257c StPO<br />
stets von einer Unwirksamkeit der Absprachen ausgeht <strong>und</strong> damit das Risiko,<br />
vor allem <strong>für</strong> den Angeklagten, der im Vertrauen auf eine Absprache ein Geständnis<br />
abgegeben hat, extrem hoch ist. 11<br />
Entgegen der Intention der gesetzlichen Regelung werden aber vielfach informell<br />
weiterhin Absprachen über den Strafgr<strong>und</strong> <strong>und</strong> auch über Maßnahmen<br />
der Besserung <strong>und</strong> Sicherung getroffen. In nicht wenigen Fällen hat der Angeklagte<br />
ein Interesse daran, wegen einer bestimmten Straftat nicht verurteilt<br />
zu werden12 . Absprachen werden vielmals aber auch unmittelbar zwischen<br />
Verteidigung <strong>und</strong> Staatsanwaltschaft getroffen, beispielsweise über die Einstellung<br />
bestimmter Strafvorwürfe nach §§ 153 ff. StPO oder auch über die<br />
Strafhöhe bei Beantragung von Strafbefehlen, etc. <strong>Die</strong>se Art von Absprachen<br />
ist gesetzlich nicht geregelt. Auch hier können die oben geschilderten Probleme<br />
auftreten. Unzulässigem Druck seitens der Staatsanwaltschaft kann<br />
sich der Angeklagte (zumindest theoretisch) dadurch entziehen, dass er sich<br />
einer Verständigung in dieser Phase des Ermittlungsverfahrens verweigert. Je<br />
nach Stellung des Beschuldigten, ist aber vielmals bereits die Durchführung<br />
einer Hauptverhandlung mit schweren Nachteilen <strong>für</strong> das berufliche Fortkommen<br />
geprägt, so dass die Wahl eine solche zwischen Pest <strong>und</strong> Cholera ist.<br />
9 <strong>Die</strong>mer in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 136a Rn 30.<br />
10 BGH NStZ 2008, 170, 171; BGH NStZ 2005, 393.<br />
11 BGH, NStZ 2001, 107; BGH NStZ 2011, 107, 108.<br />
12 Z.B. würde eine Verurteilung wegen Bankrotts (§ 283 StGB) zum Ausschluss<br />
vom Geschäftsführeramt nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit. b) GmbHG<br />
führen, während eine Verurteilung wegen Untreue (sofern keine Freiheitsstrafe<br />
von mehr als einem Jahr verhängt wird) diese Wirkung nicht hat.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Titelthema<br />
C. STRAFTATBEGEHUNG IM NAMEN DES RECHTSSTAATS<br />
In besonderer Weise wird der Rechtsstaat auf die Probe gestellt, wenn staatliche<br />
Strafverfolgungsorgane Straftaten begehen, um einen Täter überführen zu<br />
können. Derartige Probleme werden insbesondere bei der Tatprovokation<br />
durch verdeckte Ermittler13 diskutiert. Aber es gibt auch andere vergleichbare<br />
Konstellationen wie den bewussten Verstoß gegen völkerrechtliche Verpflichtungen,<br />
das Recht auf konsularischen Beistand14 , die völkerrechtswidrigen<br />
Entführung15 oder der jüngst breit diskutierte Erwerb von unrechtmäßig erlangten<br />
Steuerdaten16 aus Liechtenstein oder der Schweiz. Nach nahezu einhelliger<br />
Auffassung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum haben sich deutsche<br />
Ermittlungsorgane durch den Erwerb der Steuer-CD selbst strafbar gemacht17 .<br />
Entgegen der überwiegenden Auffassung in der Literatur hat das BVerfG ein<br />
Verwertungsverbot <strong>für</strong> auf solche Art erlangte Daten jedoch abgelehnt18 , allerdings<br />
ohne sich mit den in der Literatur geäußerten Gegenauffassung auch nur<br />
ansatzweise auseinanderzusetzen. Insbesondere die Argumentation, dass<br />
durch Straftaten Privater erlangte Beweismittel gr<strong>und</strong>sätzlich verwertbar<br />
seien, 19 verfängt insofern nicht, als dabei außer Acht gelassen wurde, dass nicht<br />
nur private, sondern auch staatliche Organe Straftaten begangen haben. Bei all<br />
diesen Fallgestaltungen ist augenscheinig, dass von der Rechtsprechung zwar<br />
rhetorisch immer darauf hingewiesen wird, dass bei besonders gravierenden<br />
Fällen von Rechtsverletzungen ein Beweisverwertungsverbot oder ein Verfahrenshindernis<br />
eingreifen könne, 20 es oftmals aber keine Entscheidung gibt, in<br />
der diese Konsequenz dann jemals gezogen worden wäre.<br />
<strong>Die</strong> Begehung von Straftaten, um andere Straftaten auszuklären, ist eines<br />
Rechtsstaats nicht würdig. <strong>Die</strong> Aufklärung von Straftaten darf nicht um jeden<br />
Preis erfolgen. 21 Zumindest bei schwerwiegenden Verfahrensverstößen, bei<br />
denen Ermittlungsbehörden selbst Straftaten begangen haben, ist die Nutzung<br />
solcher Beweismittel aus rechtsstaatlichen Gründen nicht mehr gestattet.<br />
Der Staat darf sich hier nicht auf eine Stufe mit dem Verbrecher stellen.<br />
D. RICHTERLICHE KONTROLLE<br />
Bei nahezu allen gewichtigen mit Zwangseingriffen verb<strong>und</strong>enen Ermittlungsmaßnahmen<br />
wie Blutentnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme, etc. ist<br />
eine vorhergehende richterliche Kontrolle vorgesehen. Lediglich dann, wenn<br />
ein Richter nicht zu erreichen ist <strong>und</strong> Gefahr im Verzug vorliegt, sind auch<br />
Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsbeamte berechtigt, derartige Maßnahmen<br />
anzuordnen. In der Praxis ist jedoch zu beobachten, dass derartige Richtervorbehalte<br />
nicht oder nur zum Teil gelebt werden. Besonders augenfällig<br />
die Blutentnahme nach § 81 a StPO, die nahezu nie mit richterlichem Beschluss<br />
durchgeführt wurde, da – so die Standardargumentation – wegen des<br />
Alkoholabbaus mit einem Verlust des Beweismittels zu rechnen gewesen wäre.<br />
22 Erst in neuester Zeit wurden Rufe nach einem Verwertungsverbot <strong>für</strong> sy-<br />
13 BGH NStZ 2008, 39; BGHSt 45, 321, 337.<br />
14 BVerfG NJW 2007, 499.<br />
15 BVerfG NStZ 1986, 178.<br />
16 BVerfG NStZ 2011, 103.<br />
17 Trüg, Habetha, NStZ 2008, 481, 489; NJW 2008, 887, 889; Schünemann,<br />
NStZ 2008, 305, 308; Sieber, NJW 2008, 881, 883f.<br />
18 BVerfG NStZ 2011, 103<br />
19 BVerfG NStZ 2011, 103, 105; BGHSt 34, 39, 52.<br />
20 BVerfG NStZ 1995, 95 m.w.Nachw.<br />
21 Trüg/Habetha, NStZ 2008, 481, 491; dies., NJW 2008, 887, 890.<br />
22 OLG Hamm NJW 2009, 242, 243; LG Hamburg, NZV 2008, 213, 214.<br />
7
Titelthema<br />
stematisch ohne richterliche Anordnung erhobene Blutuntersuchung laut. 23<br />
Oftmals findet eine präventive richterliche Kontrolle deshalb nicht statt, weil<br />
außerhalb üblicher Bürozeiten richterliche Notdienste nicht eingerichtet sind<br />
oder Richter sich weigern, ohne schriftliche Akte eine Entscheidung zu treffen.<br />
Da Ermittlungsmaßnahmen, deren Anordnung dem Richter vorbehalten ist,<br />
zu jeder Tages- <strong>und</strong> Nachtzeit erfolgen können, sind die Justizbehörden aufge-<br />
rufen, zumindest in den Fällen <strong>für</strong> eine ständige Erreichbarkeit eines richter-<br />
lichen Notdienstes zu sorgen, in denen in nennenswertem Umfang mit derar-<br />
tigen Maßnahmen zu rechnen ist. Insofern ist die Justizverwaltung aufgefor-<br />
dert, <strong>für</strong> entsprechende Einrichtung von Notdiensten Sorge zu tragen. 24<br />
Eine Weigerung von Richtern, ohne Vorliegen einer schriftlichen Akte auch<br />
nur einfache Entscheidungen zu treffen, ist in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar<br />
<strong>und</strong> kommt einer Rechtsverweigerung gleich. Zwar ist es nachvollziehbar,<br />
dass ein Richter eine gewisse Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage benötigt <strong>und</strong><br />
dass in Verfahren mit einiger Komplexität eine Entscheidung ohne Aktengr<strong>und</strong>lage<br />
nicht oder nur sehr schwer getroffen werden kann. In vielen Fällen<br />
einfacher oder mittlerer Kriminalität ist es jedoch möglich, eine Entscheidung<br />
auch ohne Kenntnis der vollen schriftlichen Akten auf Basis dessen zu<br />
treffen, was Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsbeamte mündlich berichten.<br />
In jedem Fall ist es besser, eine unabhängige Überprüfung durch einen Richter<br />
auf einer unvollständigen Aktengr<strong>und</strong>lage durchzuführen, als die Entscheidung<br />
über derart gravierende Zwangsmittel in die Hände von Staatsanwaltschaft<br />
oder Ermittlungsbeamte zu legen, die gerade in Fällen einfacher<br />
<strong>und</strong> mittlerer Kriminalität auch keine bessere Sachverhaltskenntnis besitzen<br />
23 BVerfG NJW 2010, 2864, 2865; Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker,<br />
Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl, § 81a StPO Rn. 3; OLG Hamburg NJW<br />
2008, 2597, 2598; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238, 238f..<br />
24 BVerfG NJW 2001, 1121, 1123; NJW 2007, 1444; BGH NJW 2007, 2269, 2272.<br />
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Als in der Praxis wichtigstes Problem zu beklagen ist der Umstand, dass in<br />
vielen Fällen auch durch Ermittlungsrichter eine umfassende Sach- <strong>und</strong><br />
Rechtsprüfung nicht stattfindet. Gerade in komplexen <strong>und</strong> rechtlich schwierigen<br />
Fragen besteht eine deutliche Tendenz dazu, Tatsachen- <strong>und</strong> Rechtsprobleme<br />
schlicht zu übergehen, weil die Zeit oder die Bereitschaft zur Durchdringung<br />
des Sachverhalts oder der Rechtslage fehlen oder weil man wegen<br />
des Charakters einer Zwischenentscheidung einen sehr groben Prüfungsmaßstab<br />
<strong>für</strong> ausreichend hält. <strong>Die</strong> übliche Praxis der Staatsanwaltschaft, richterliche<br />
Beschlüsse bereits im Entwurf vorzubereiten, so dass diese lediglich<br />
unterzeichnet werden müssen, mag einer vorschnellen Billigung beantragter<br />
Maßnahmen Vorschub leisten.<br />
E. FAZIT<br />
Man darf, auch <strong>und</strong> gerade im internationalen Vergleich mit der Rechtsordnung<br />
anderer Länder konstatieren, dass das Strafverfahren in Deutschland<br />
trotz der bestehenden Mängel rechtsstaatlichen Gr<strong>und</strong>sätzen genügt. <strong>Die</strong><br />
Kontrolldichte <strong>und</strong> der Schutz des Beschuldigten sind erheblich stärker ausgeprägt<br />
als in vielen anderen Rechtsordnungen. Gleichwohl trägt die mangelhafte<br />
Ausstattung der Justiz mit personellen <strong>und</strong> finanziellen Ressourcen<br />
dazu bei, dass erhebliche Ungleichgewichte entstehen <strong>und</strong> Aufgaben nicht<br />
oder nur noch rudimentär wahrgenommen werden können. <strong>Die</strong> größte Gefahr<br />
<strong>für</strong> den Rechtsstaat stellen daher nicht neue Erscheinungsformen von<br />
Kriminalität dar, sondern dass die Justiz ihre Belastbarkeitsgrenze erreicht<br />
hat. Hier muss schleunigst gegengesteuert werden, soll der Rechtsstaat nicht<br />
in Gefahr geraten.<br />
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Dr. Claudia Böhm Ansprechpartner: Dr. Ulrich Block Ansprechpartner: Dr. Ulrich Lohmann<br />
Dr. Claudia cboehm@boetticher.com<br />
Böhm<br />
Dr. Ulrich ublock@boetticher.com<br />
Block<br />
Dr. Ulrich ulohmann@boetticher.com<br />
Lohmann<br />
cboehm@boetticher.com ublock@boetticher.com ulohmann@boetticher.com
10<br />
Titelthema<br />
Prof. Dr. ralf Höcker<br />
„Freiheit ist nicht ohne Verantwortung zu haben“<br />
Ein Interview mit Prof. Dr. Ralf Höcker<br />
von Alexander Otto (Oldenburg) <strong>und</strong> Ahmad John Sayed (Universität Bochum)<br />
„Der Rechtsstaat in der Praxis“ – kaum in einem anderen Bereich wie dem Presse- <strong>und</strong> Medienrecht<br />
wird das Spannungsfeld zwischen individuellen Interessen <strong>und</strong> dem öffentlichen Informations-<br />
bedürfnis deutlicher als hier. <strong>Iurratio</strong> sprach darüber <strong>und</strong> über das Medienrecht allgemein mit<br />
Prof. Dr. Ralf Höcker.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Herr Prof. Höcker, wir geben offen zu, dass wir uns bei der Aus-<br />
wahl unseres Titelthemas von einem derzeit in aller M<strong>und</strong>e befindlichen<br />
Strafverfahren gegen einen bekannten Meteorologen haben leiten lassen.<br />
Gleichwohl hat der „Rechtsstaat in der Praxis“ eine viel größere Dimension,<br />
als es an diesem Einzelbeispiel deutlich wird. Welche Bedeutung hat das Pres-<br />
serecht in unserem Rechtsstaat?<br />
Höcker: Viele Journalisten halten sich irrig <strong>für</strong> die „vierte Gewalt“. Und so<br />
benehmen sie sich auch. Das Presserecht hilft, die schädlichen Folgen dieses<br />
Missverständnisses <strong>für</strong> die Presseopfer aber auch <strong>für</strong> die Funktionsfähigkeit<br />
des Rechtsstaats zu begrenzen. Der Kachelmann-Prozess ist ein schlimmes<br />
Beispiel <strong>für</strong> eine pervertierte Prozessberichterstattung etwa des Hauses Burda,<br />
das über die Illustrierten FOCUS <strong>und</strong> BUNTE massiven Einfluss auf den Ver-<br />
fahrensausgang nimmt. Wenn Journalisten Zeuginnen da<strong>für</strong> bezahlen, dass<br />
sie schon vor ihrer Aussage im Gerichtssaal exklusiv in BUNTE „aussagen“, ist<br />
das durch nichts zu rechtfertigen. Wenn der FOCUS schneller Einsicht in die<br />
Akten der Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> ihrer Ermittler erhält als die Verteidigung<br />
<strong>und</strong> wenn der FOCUS diese durch § 353 d StGB geschützten Informationen<br />
jede Woche dazu nutzt, um dreist, einseitig <strong>und</strong> verfälschend Stimmung im<br />
Sinne der mutmaßlichen Quelle zu machen, dann hat das bananenrepublika-<br />
nische Züge.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Das Internet hat die Medienlandschaft in den letzten gut 20 Jah-<br />
ren rasant verändert. Hat diese Entwicklung ein höheres Regelungsbedürfnis<br />
im Bereich des Medienrechts ausgelöst oder ist in diesem Bereich Deregulie-<br />
rung der Schlüssel zum Erfolg?<br />
Höcker: Deregulierung ist natürlich immer sehr beliebt. Ich sehe das Erset-<br />
zen von klaren gesetzlichen Regelungen durch unübersichtliche Rechtspre-<br />
chung zu schwammigen Generalklauseln nicht ganz so euphorisch. Wenn die<br />
Rechtsprechung es zum Beispiel nicht schafft, Online-Händlern Klarheit<br />
Höcker, seit 2003 mit eigener Kanzlei im Marken- <strong>und</strong> Medienrecht in Köln tätig, ist intimer<br />
Kenner dieser Materie. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit ist er Professor <strong>für</strong> Deutsches <strong>und</strong><br />
Internationales Marken- <strong>und</strong> Medienrecht an der Cologne Business School (CBS) <strong>und</strong> dort Wissen-<br />
schaftlicher Direktor des Deutschen Instituts <strong>für</strong> Kommunikation <strong>und</strong> Recht im Internet (DIKRI).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
darüber zu verschaffen, wie ihre Widerrufsbelehrungen auszusehen haben,<br />
weshalb soll der Gesetzgeber dann nicht eine detaillierte Musterwiderrufsbe-<br />
lehrung entwerfen? Natürlich ist das gesetzgeberisches Klein-Klein. Aber es<br />
hilft dem Rechtsanwender.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Kommen wir auf ein Strafverfahren zu sprechen, dass derzeit in<br />
aller M<strong>und</strong>e ist <strong>und</strong> in wirklich nahezu jedem Detail von den Medien be-<br />
leuchtet wird. Was halten Sie davon, dass schon nach wenigen St<strong>und</strong>en die<br />
Öffentlichkeit wusste, wer von diesem Strafverfahren betroffen ist <strong>und</strong> welche<br />
Tatvorwürfe erhoben werden?<br />
Höcker: Ein korrupter Staatsdiener hat diese Information rechtswidriger-<br />
weise an die Presse verkauft. Journalisten <strong>und</strong> Polizisten haben mir berichtet,<br />
dass man solche Informationen auf deutschen Polizeidienststellen <strong>für</strong> durch-<br />
schnittlich 500 EUR erwerben kann. Was ich davon halte, können Sie sich<br />
denken. Deutschland ist nicht Nigeria. Wer aber glaubt, wir lebten in einem<br />
korruptionsfreien Staatsbürgerparadies, irrt gewaltig. In meiner Praxis habe<br />
ich bislang keinen Fall erlebt, in dem Polizisten, Staatsanwälte, Richter,<br />
Gutachter <strong>und</strong> Journalisten derart pflichtvergessen agiert haben, wie im Fall<br />
Kachelmann. Ich habe auch keinen Fall erlebt, bei dem nach <strong>und</strong> nach derar-<br />
tig viel Dreck aus dem weiteren Verfahrensumfeld nach oben gespült wurde.<br />
Und damit meine ich ausdrücklich nicht den Schmutz, der über Herrn<br />
Kachelmann verbreitet wurde. Das wenigste davon wurde bislang öffentlich<br />
gemacht <strong>und</strong> das ist wahrscheinlich auch gut so.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Lässt sich das Spannungsfeld zwischen dem öffentlichen Informa-<br />
tionsbedürfnis <strong>und</strong> den Interessen der betroffenen Personen auflösen?<br />
Höcker: Darum bemühen sich jeden Tag die Pressekammern vor allem<br />
der Landgerichte Köln, Hamburg <strong>und</strong> Berlin. Und im Allgemeinen machen<br />
sie ihre Arbeit sehr gut.
<strong>Iurratio</strong>: Medien wollen zu Recht möglichst frei von staatlicher Regulierung<br />
<strong>und</strong> Kontrolle sein. In Zeiten von Blogs <strong>und</strong> der Expansion des „social<br />
media“-Bereichs kann fast jeder einem großen Publikum mehr oder weniger<br />
f<strong>und</strong>ierte Informationen zugänglich machen. Wie wird das Medienrecht dem<br />
gerecht <strong>und</strong> wie wird es auch den (berechtigten) Interessen der Medien an<br />
ihrer Unabhängigkeit gerecht?<br />
Höcker: Das Medienrecht behandelt Blogger zu Recht nicht viel anders<br />
als die klassischen Medien. Sie dürfen nichts berichten, was falsch, beleidigend<br />
oder die Privatsphäre verletzend ist. Daran müssen sich viele Blogger<br />
noch gewöhnen. Sie sitzen in ihren Pantoffeln vor dem PC <strong>und</strong> empfinden<br />
sich vor allem als Privatmensch, als schutzbedürftiger Verbraucher, Mieter<br />
oder Arbeitnehmer. Dass das Internet aus einem bloggenden David ganz<br />
schnell einen medialen Goliath machen kann, will nicht jeder Blogger einsehen.<br />
<strong>Die</strong>se Erfahrung mache ich immer wieder, wenn ich <strong>für</strong> Mandanten<br />
gegen rechtsverletzende Blog-Einträge vorgehe <strong>und</strong> bei den abgemahnten<br />
Bloggern <strong>und</strong> Blog-Nutzern auf großes Unverständnis stoße. Klassische<br />
Medien, Blogger <strong>und</strong> alle, die in den sozialen Medien unterwegs sind <strong>und</strong> sich<br />
dort über andere auslassen, müssen wissen, dass Freiheit nicht ohne Verantwortung<br />
zu haben ist. Und die richtige Ausübung der Verantwortung muss<br />
nun einmal kontrolliert werden.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Unsere Leser sind zu einem großen Teil <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong> in allen<br />
Ausbildungsstadien, die unter Umständen vor der Frage stehen, welchen<br />
beruflichen Weg sie konkret einschlagen wollen. Wie sieht der Alltag eines<br />
„Medienanwalts“ aus? Wie beurteilen Sie die Perspektiven <strong>für</strong> eine auf Medienrecht<br />
fokussierte, berufliche Tätigkeit?<br />
Höcker: Der Beruf des Medienanwalts kann durchaus so spannend <strong>und</strong> –<br />
vergleichsweise - „glamourös“ sein, wie man ihn sich klischeehaft vorstellt.<br />
<strong>Die</strong> Lebenssachverhalte sind hochinteressant <strong>und</strong> man hat das Gefühl, sich<br />
ständig am Puls der Zeit zu bewegen. Der Markt ist allerdings winzig klein,<br />
absurd überlaufen <strong>und</strong> die Verdienstmöglichkeiten sind <strong>für</strong> die Masse der<br />
Medienanwälte sehr bescheiden. „Gefühlte“ Großunternehmen wie die Branchenriesen<br />
RTL oder Axel Springer sind im gesamtwirtschaftlichen Vergleich<br />
mittelständische Zwerge mit lächerlichen Umsätzen. Unter den 100 größten<br />
deutschen Unternehmen ist mit Bertelsmann nur ein einziges Medienhaus.<br />
Das Geld wird in Deutschland mit Autos, Energie, Handel, Maschinenbau,<br />
Pharma <strong>und</strong> Chemie verdient, außerdem bei Banken <strong>und</strong> Versicherungen.<br />
Medienrecht brauchen diese Branchen kaum. Ein Rechtsgebiet, das sich dagegen<br />
immer lohnt, ist das Steuerrecht. Das ist zwar deutlich langweiliger, man<br />
findet aber viel schneller einen gut bezahlten Job, denn die meisten <strong>Juristen</strong><br />
haben nun einmal keine Lust, sich mit Zahlen zu beschäftigen. Auch das Arbeitsrecht<br />
bietet einen riesigen weil branchenübergreifenden Massenmarkt,<br />
in dem man es auch als Junganwalt immer irgendwie hinbekommt, sich ein<br />
Stück vom Kuchen abzuschneiden. Man sollte den Job des Medienanwalts<br />
daher nur anstreben, wenn er eine echte Herzensangelegenheit ist <strong>und</strong> man<br />
bereit <strong>und</strong> befähigt ist, sich in einem proppenvollen Haifischbecken gegen<br />
härteste Konkurrenz durchzusetzen. Wer sich das zutraut, darf sich gerne in<br />
meiner Kanzlei bewerben!<br />
<strong>Iurratio</strong>: Herr Prof. Höcker, wir danken Ihnen <strong>für</strong> das interessante<br />
Gespräch.<br />
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wirtschaftlich- <strong>und</strong> privatrechtlich ausgerichteten Rechtsanwalts-<br />
<strong>und</strong> Notariatskanzlei einen vertieften Einblick in die<br />
juristische Praxis zu gewähren <strong>und</strong> Sie bei ihrem beruflichen<br />
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z. Hd. Hans-Joachim Brockmeier<br />
Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!<br />
Rechtsanwälte Brockmeier, Grotholt, Bietmeier, Faulhaber <strong>und</strong> Kollegen<br />
Büro Rheine | Humboldplatz 4 | 48429 Rheine
12<br />
Ausbildung<br />
A. EINFüHRUNG<br />
Teilnahme an Mord <strong>und</strong> Totschlag<br />
von Wiss. Mit. Nicolas Kneba (Universität Tübingen)<br />
Nicolas Kneba, Jahrgang 1984, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am Lehrstuhl <strong>für</strong> Strafrecht, Strafprozessrecht <strong>und</strong> Rechtsphilosophie<br />
von Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Kristian Kühl an der Eberhard<br />
Karls Universität in Tübingen.<br />
<strong>Die</strong> Teilnahme i.S.d. §§ 26, 27 StGB ist ein beliebter Gegenstand strafrechtlicher<br />
Klausuren. Besonderer Beliebtheit erfreut sich die Thematik, wenn<br />
die Teilnahme mit Mordmerkmalen zusammentrifft. Der Gr<strong>und</strong> hier<strong>für</strong><br />
ist wohl darin zu finden, dass sich in solchen Fällen das Gr<strong>und</strong>verständnis<br />
über das Verhältnis von Mord <strong>und</strong> Totschlag besonders gut abprüfen lässt.<br />
Es gilt daher, sich die maßgeblichen Konstellationen vor Augen zu führen.<br />
Es lassen sich drei Gr<strong>und</strong>konstellationen finden, in denen Mordmerkmale<br />
bei der Teilnahme eine Rolle spielen <strong>und</strong> zu Problemen führen können. So<br />
ist erstens denkbar, dass der Haupttäter ein Mordmerkmal erfüllt, welches<br />
als besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 StGB anzusehen ist, der<br />
Teilnehmer hingegen kein Mordmerkmal verwirklicht. Zweitens kann der<br />
Haupttäter sich lediglich eines Totschlags strafbar gemacht haben, der Teilnehmer<br />
hingegen ein täterbezogenes Mordmerkmal i.S.d. § 28 StGB erfüllen.<br />
Drittens lässt sich der Fall anführen, dass sowohl Haupttäter als auch<br />
Teilnehmer jeweils unterschiedliche Mordmerkmale erfüllen, die besondere<br />
persönliche Merkmale i.S.d. § 28 StGB darstellen. Zwar lassen sich in<br />
diesen drei Konstellationen eine Vielzahl von Unterfällen bilden. Doch ist<br />
<strong>für</strong> das Verständnis der Problematik ausreichend, sich die Gr<strong>und</strong>konstellationen<br />
zu vergegenwärtigen. Aus diesem Verständnis heraus lassen sich<br />
dann auch die weiteren Varianten vertretbar lösen.<br />
In den drei Konstellationen ist zunächst zu fragen, ob das in Rede stehende<br />
Mordmerkmal als ein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 StGB<br />
anzusehen ist. Ist dies der Fall, kommt es nämlich zu einer Lockerung der<br />
Akzessorietät der Teilnahme: Im Falle des § 28 I StGB wird die Strafe des<br />
Teilnehmers nach § 49 I StGB gemildert; im Falle des § 28 II StGB kommt es<br />
zu einer Tatbestandsverschiebung. Greift nun § 28 StGB ein, bedarf es also<br />
einer Entscheidung zwischen den beiden Absätzen des § 28 StGB. <strong>Die</strong>se<br />
Entscheidung hängt davon ab, in welchem Verhältnis Mord <strong>und</strong> Totschlag<br />
zueinander stehen. Das Verhältnis von Mord <strong>und</strong> Totschlag stellt daher<br />
letztlich die entscheidende Weiche <strong>für</strong> die Lösung der genannten Fälle.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
B. KONSTELLATIONEN<br />
I. ERSTE KONSTELLATION: NUR DER (HAUPT-)TäTER VERWIRK-<br />
LICHT EIN MORDMERKMAL<br />
Fall 1: A tötet den O mit einer Bombe. B unterstützte den A beim Bau der<br />
Bombe durch technische Ratschläge.<br />
In Fall 1 stellt sich die Sache einfach dar: A hat O mit einem gemeingefährlichen<br />
Mittel getötet. Er ist also strafbar wegen Mordes nach § 211 Abs. 1,<br />
Abs. 2, 2. Gr. Alt. 3 StGB. B ist Gehilfe. <strong>Die</strong>sem Ergebnis könnte auf den<br />
ersten Blick entgegenstehen, dass B selbst kein Mordmerkmal verwirklicht<br />
hat. <strong>Die</strong> Anwendung des § 28 StGB könnte daher <strong>für</strong> ihn zu einem<br />
anderen Ergebnis führen. Doch vermag § 28 StGB (nach dem eindeutigen<br />
Wortlaut) nur dann einzugreifen, wenn ein besonderes persönliches Merkmal<br />
in Rede steht. Besondere persönliche Merkmale sind solche, die den<br />
Täter charakterisieren, 1 also täterbezogen sind. 2 Nach der ganz h.M. sind<br />
die Mordmerkmale der ersten <strong>und</strong> dritten Gruppe als täterbezogene, mithin<br />
als besondere persönliche Merkmale i.S.d. § 28 StGB, anzusehen. 3 <strong>Die</strong><br />
Mordmerkmale der zweiten Gruppe (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen<br />
Mitteln) sind hingegen tatbezogen <strong>und</strong> fallen daher nicht in<br />
den Anwendungsbereich des § 28 StGB. 4 Somit findet im vorliegenden Fall<br />
§ 28 StGB keine Anwendung. Es bleibt bei einer Beihilfe des B zu einem<br />
Mord mit gemeingefährlichen Mitteln nach §§ 211 Abs. 1, Abs. 2, 2. Gr. Alt.<br />
3, 27 StGB.<br />
Fall 2: A erschießt seine Ehefrau, um seinem Verhältnis zu seiner Geliebten<br />
ungestört frönen zu können. B besorgt dem A in Kenntnis dessen Pläne <strong>und</strong><br />
Beweggründe die Tatwaffe.<br />
Auch in Fall 2 hat Haupttäter A einen Mord begangen. Seine Tötungsmotive<br />
sind als auf sittlich tiefster Stufe stehend <strong>und</strong> deshalb als besonders<br />
verwerflich anzusehen. Sie stellen daher einen niedrigen Beweggr<strong>und</strong> i.S.d.<br />
§ 211 Abs. 1, Abs. 2, 1. Gr. Alt. 4 StGB dar. 5 B ist somit gr<strong>und</strong>sätzlich als<br />
Gehilfe zum Mord aus niedrigen Beweggründen nach §§ 211 Abs. 1, Abs.<br />
2, 1. Gr. Alt. 4, 27 StGB anzusehen. Jedoch handelte B selbst nicht aus niedrigen<br />
Beweggründen <strong>und</strong> erfüllt auch sonst kein Mordmerkmal. Das beim<br />
Haupttäter vorliegende Mordmerkmal fehlt also gerade beim Teilnehmer.<br />
Da der niedrige Beweggr<strong>und</strong> ein täterbezogenes Mordmerkmal ist (s.o.),<br />
findet somit (im Gegensatz zu Fall 1) § 28 StGB Anwendung.<br />
1 Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2008, § 20, Rn. 148; Lackner/<br />
Kühl, 27. Aufl. 2011, § 28, Rn. 4.<br />
2 Geppert, in: Jura 2008, 34 (35 f.); Lackner/Kühl, 27. Aufl. 2011, § 28, Rn. 4;<br />
Wessels/Beulke, Allgemeiner Teil, 40. Aufl. 2010, Rn. 555.<br />
3 Statt aller Geppert, in: Jura 2008, 34 (36).<br />
4 Eser, in: Schönke/Schröder, 28. Auflage 2010, § 211, Rn. 47 f.; Lackner/<br />
Kühl, 27. Aufl. 2011, § 211, Rn. 16; Schneider, in: Münchener Kommentar<br />
StGB, 2003, Bd. 3, § 211, Rn. 209.<br />
5 Vgl. BGHSt 3, 132; 35, 116 (126 f.); 42, 226 (228).
Nun stellt sich die Frage, ob Absatz 1 oder Absatz 2 des § 28 StGB anzuwen-<br />
den ist. Mit dieser Frage ist ein absoluter „Streitklassiker“ des Strafrechts<br />
verb<strong>und</strong>en: In welchem Verhältnis stehen Mord <strong>und</strong> Totschlag zueinander?<br />
Sieht man in § 211 StGB einen selbstständigen Tatbestand, begründen die<br />
Mordmerkmale die Strafbarkeit des Täters. Dann käme § 28 Abs. 1 StGB<br />
zur Anwendung. Es bliebe bei einer Strafbarkeit des B wegen Beihilfe zum<br />
Mord aus niedrigen Beweggründen. Es käme lediglich zu einer (neben die<br />
Milderung nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB tretenden) Milderung der Strafe nach<br />
§§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB. <strong>Die</strong>se Auffassung hat die Rechtsprechung bisher<br />
konsequent vertreten. 6 Hier<strong>für</strong> wird der Wortlaut des § 212 StGB (ohne<br />
Mörder zu sein) angeführt. Auch soll die systematische Stellung des § 211<br />
StGB vor § 212 StGB <strong>für</strong> dieses Verständnis sprechen.<br />
In der Literatur wird hingegen in seltener Einhelligkeit der Mord als Qualifikation<br />
des Totschlags angesehen. 7 <strong>Die</strong>sem Verständnis folgend schärfen<br />
die Mordmerkmale daher die Strafe, sodass § 28 Abs. 2 StGB zur Anwendung<br />
kommt. Der Rechtsprechung kann entgegengehalten werden, dass<br />
dem Wortlaut des § 212 StGB die veraltete Tätertypenlehre zugr<strong>und</strong>e liegt,<br />
sodass mit ihm eine selbstständige Stellung des Mordes nicht begründet<br />
werden kann. 8 <strong>Die</strong> Verortung des § 211 StGB vor § 212 StGB kann damit<br />
erklärt werden, dass dem Mord aufgr<strong>und</strong> des besonderen Unrechtsgehalts<br />
<strong>und</strong> der besonderen Rechtsfolgen eine herausgehobene Stellung zugebilligt<br />
werden soll. 9 Zudem führt die Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB zu nur<br />
schwer nachvollziehbaren Ergebnissen: Durch die von § 28 Abs. 1 StGB<br />
vorgesehene Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB senkt<br />
sich z.B. die Mindeststrafe eines Anstifters zum Mord auf (nur) drei Jahre<br />
ab; der Anstifter zu einem Totschlag sieht sich hingegen mit einer Mindeststrafe<br />
von fünf Jahren konfrontiert. 10 Auch der Mordgehilfe stünde durch<br />
die doppelte Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB (über § 28 Abs. 1 StGB <strong>und</strong> §<br />
27 Abs. 2 S. 2 StGB) besser als der Gehilfe zum Totschlag, dessen Strafe nur<br />
einmal nach §§ 27 Abs. 2 S. 2 i.V.m. 49 Abs. 1 StGB gemildert wird. 11<br />
<strong>Die</strong> besseren Argumente sprechen daher da<strong>für</strong>, im Totschlag das Gr<strong>und</strong>delikt<br />
<strong>und</strong> im Mord dessen Qualifikation zu sehen. Es ist somit im vorliegenden<br />
Fall § 28 Abs. 2 StGB heranzuziehen mit der Folge, dass eine sog.<br />
Tatbestandsverschiebung eintritt: B hat sich danach wegen einer Beihilfe<br />
zum Totschlag nach §§ 212, 27, 28 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.<br />
Der 5. Strafsenat des BGH hat nun in einem obiter dictum „gewichtige Argumente“<br />
<strong>für</strong> das von der Literatur vertretene Verständnis anerkannt <strong>und</strong><br />
„Probleme der bisherigen Rechtsprechung“ eingeräumt. 12 Es darf daher erwartet<br />
werden, dass sich der BGH in Zukunft, so sich ihm denn die Möglichkeit<br />
dazu bietet, von seiner bisherigen Linie verabschieden wird.<br />
6 BGHSt 1, 368 (371); 22, 375 (377); 50, 1 (5).<br />
7 Geppert, in: Jura 2008, 34 (37); Ihring/Noack, in: Jura 2007, 787 (790 f.);<br />
Kühl/Hinderer, in: JuS 2010, 697 (702); Kraatz, in: Jura 2006, 613 (618 f.);<br />
Lackner/Kühl, 27. Aufl. 2011, vor § 211, Rn. 22; Norouzi, in: JuS 2005, 914<br />
(917); Weißer, in: JuS 2009, 135 (137); Zöller, in: Jura 2007, 305 (312 f.).<br />
8 Kühl/Hinderer, in: JuS 2010, 697 (702); Norouzi, in: JuS 2005, 914 (917);<br />
Weißer, in: JuS 2009, 135 (137); Zöller, in: Jura 2007, 305 (313).<br />
9 Zöller, in: Jura 2007, 305 (312 f.).<br />
10 Ihring/Noak, in: Jura 2007, 787 (791); Neumann, in: Nomos Kommentar,<br />
Strafgesetzbuch, 3. Auflage 2010, Bd. 2, § 211, Rn. 119.<br />
11 Geppert, in: Jura 2008, 34 (38); einen ähnlichen Wertungswiderspruch<br />
hat der BGH bei einer versuchten Anstiftung zum Mord erkannt, vgl. BGH<br />
NStZ 2006, 34.<br />
12 BGH NJW 2006, 1008 (1013).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Ausbildung<br />
Fall 3: Wie Fall 2, nur hat B keine Kenntnisse über die Beweggründe des A.<br />
In Fall 3 leistet B ebenfalls Hilfe zu einem Mord aus niedrigen Beweggründen.<br />
Doch verwirklicht B nicht nur kein Mordmerkmal selbst; es fehlt darüber<br />
hinaus auch der Gehilfenvorsatz hinsichtlich eines Mordes als Haupttat,<br />
da B nicht um die niedrigen Beweggründe des A wusste. <strong>Die</strong> Literatur<br />
kann diesen Fall ohne Schwierigkeiten lösen: Da bei B das strafschärfende<br />
Mordmerkmal des niedrigen Beweggr<strong>und</strong>es nicht vorliegt, findet durch<br />
Anwendung des § 28 Abs. 2 StGB eine Tatbestandsverschiebung statt. B hat<br />
sich danach wegen Beihilfe zum Totschlag nach §§ 212, 27, 28 Abs. 2 StGB<br />
strafbar gemacht.<br />
Das von der Rechtsprechung bisher vertretene Verständnis des Verhältnisses<br />
von Mord <strong>und</strong> Totschlag zöge hier hingegen erhebliche Probleme nach<br />
sich: Da B nur Gehilfenvorsatz hinsichtlich eines Totschlags hatte, scheidet<br />
eine Strafbarkeit nach §§ 211, 27 StGB aus. Somit kann auch § 28 Abs. 1<br />
StGB nicht zur Anwendung gelangen. Versteht man nun die Auffassung der<br />
Rechtsprechung so, dass Mord <strong>und</strong> Totschlag sich gegenseitig ausschließen,<br />
würde auch eine Beihilfe zum Totschlag, mangels entsprechender Haupttat<br />
des A, ausscheiden. Letztlich käme nur eine versuchte Beihilfe zum Totschlag<br />
in Betracht. 13 <strong>Die</strong>se ist jedoch, wie sich aus § 30 Abs. 1 StGB ergibt,<br />
nicht strafbar. Es bliebe wohl nur eine Strafbarkeit des B nach §§ 224, 27<br />
StGB. 14 <strong>Die</strong>ses Ergebnis ist kaum nachvollziehbar <strong>und</strong> stützt die Ansicht,<br />
dass die Einordnung des Mordes als selbstständigen Tatbestand zu unbefriedigenden<br />
<strong>und</strong> wenig überzeugenden Ergebnissen führt.<br />
II. ZWEITE KONSTELLATION: NUR DER TEILNEHMER VERWIRK-<br />
LICHT EIN MORDMERKMAL<br />
Fall 4: B stiftet den A dazu an, den kranken O umzubringen. A tötet den O<br />
daraufhin aus tiefem Mitleid. B hingegen hat es allein auf die Erbschaft des<br />
O abgesehen.<br />
In dieser Konstellation verwirklicht der Haupttäter A kein Mordmerkmal.<br />
A hat sich daher „nur“ wegen Totschlags nach § 212 StGB strafbar gemacht.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich ist der B daher als Anstifter zum Totschlag nach §§ 212, 26<br />
StGB anzusehen. Doch verwirklichte B in seiner Person das täterbezogene<br />
Mordmerkmal der Habgier, da er durch ein ungezügeltes, rücksichtsloses<br />
Streben nach Gewinn zur Tat motiviert war. 15 Somit könnte § 28 StGB anwendbar<br />
sein. <strong>Die</strong> Rechtsprechung, die Mordmerkmale als strafbegründend<br />
ansieht, müsste eine Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB jedoch ablehnen: So<br />
fehlen besondere persönliche Merkmale beim Anstifter B gerade nicht. Im<br />
Gegenteil: Nur bei ihm, nicht aber bei Haupttäter A, liegt das Mordmerkmal<br />
der Habgier vor. Der eindeutige Wortlaut steht der Anwendung des<br />
§ 28 Abs. 1 StGB in diesem Fall daher entgegen. Es bliebe somit bei einer<br />
Anstiftung zum Totschlag. Das Mordmerkmal wäre allein im Rahmen der<br />
Strafzumessung nach § 46 StGB zu berücksichtigen. 16<br />
13 Geppert, in: Jura 2008, 34 (39); Horn, in: Systematischer Kommentar<br />
zum Strafgesetzbuch, 124. Lieferung, September 2010, § 211, Rn. 23; Küper,<br />
in: JZ 1991, 910 (912).<br />
14 Vgl. Horn, in: Systematischer Kommentar zum StGB, 124. Lieferung,<br />
September 2010, § 211, Rn. 23.<br />
15 Zum Mordmerkmal der Habgier vgl. Kühl, in: JA 2009, 566 (570).<br />
16 BGHSt 50, 1 (6).<br />
13
Ausbildung<br />
<strong>Die</strong> herrschende Literatur würde hingegen § 28 Abs. 2 StGB anwenden. Da<br />
Habgier nur bei B vorliegt, käme man durch § 28 Abs. 2 StGB zu einer Tat-<br />
bestandsverschiebung: B wäre nicht mehr „nur“ strafbar wegen Anstiftung<br />
zum Totschlag, sondern wegen Anstiftung zum Mord aus Habgier nach §§<br />
211 Abs. 1, Abs. 2, 1. Gr. Alt. 3, 26, 28 Abs. 2 StGB. Auch in diesem Fall ge-<br />
lingt es mit dem Verständnis der Literatur, ein befriedigendes Ergebnis zu<br />
erzielen. <strong>Die</strong>s spricht daher ebenfalls da<strong>für</strong>, in § 211 StGB eine Qualifikati-<br />
on des Totschlags, also in den täterbezogenen Mordmerkmalen strafschär-<br />
fende besondere persönliche Merkmale i.S.d. § 28 Abs. 2 StGB zu sehen. 17<br />
III. DRITTE KONSTELLATION: GEKREUZTE MORDMERKMALE<br />
Fall 5: A tötet den O, um an dessen Erbe zu gelangen. B hilft ihm hierbei,<br />
um zu vertuschen, dass er den O vor seinem Tod um eine stattliche Summe<br />
betrogen hat.<br />
In Fall 5 verwirklichen nun sowohl Täter A als auch Gehilfe B täterbezoge-<br />
ne Mordmerkmale. A handelte aus rücksichtslosem Gewinnstreben, also<br />
aus Habgier i.S.d. § 211 Abs. 1, Abs. 2, 1. Gr. Alt. 3 StGB. Als Haupttat ist<br />
daher ein Habgiermord gegeben. Das Handeln des B war hingegen moti-<br />
viert durch das Bestreben, seinen vorangegangenen Betrug zu verdecken<br />
i.S.d. § 211 Abs. 1, Abs. 2, 3. Gr. Alt. 2 StGB. Es liegt also ein Fall „gekreuzter<br />
17 Ebenso Neumann, in: Nomos Kommentar, Strafgesetzbuch, 3. Auflage<br />
2010, Bd. 2, § 211, Rn. 120.<br />
Mordmerkmale“ vor. 18 Da der B jedoch selbst nicht aus Habgier handel-<br />
te, müsste die Rechtsprechung konsequenterweise unter Anwendung des §<br />
28 Abs. 1 StGB die Strafe des B nach § 49 Abs. 1 StGB mildern. Hingegen<br />
könnte nicht berücksichtigt werden, dass der B seinerseits ein täterbezoge-<br />
nes Mordmerkmal verwirklicht hat, welches wiederum beim A fehlt. 19 Dass<br />
dieses Ergebnis wahrlich unbefriedigend ist, wird auch von der Rechtspre-<br />
chung nicht verkannt. Deswegen verweigert die Rechtsprechung dem Teil-<br />
nehmer eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB, wenn bei ihm ebenfalls<br />
ein gleichartiges täterbezogenes Mordmerkmal vorliegt. 20 Da hier die von<br />
A verwirklichte Habgier <strong>und</strong> die von B an den Tag gelegte Verdeckungsab-<br />
sicht wohl als gleichwertig anzusehen sind, 21 bliebe es bei einer Strafbarkeit<br />
des B wegen Beihilfe zum Mord aus Habgier nach §§ 211 Abs. 1, Abs. 2, 1.<br />
Gr. Alt. 3, 27 StGB.<br />
Sieht man hingegen mit der Literatur in Mordmerkmalen strafschärfende<br />
Merkmale <strong>und</strong> wendet den Absatz 2 des § 28 StGB an, muss ein derartiger<br />
„Zickzack“-Kurs gar nicht erst eingeschlagen werden. <strong>Die</strong> Fallgestaltung<br />
ließe sich problemlos durch eine doppelte Anwendung des § 28 Abs. 2 StGB<br />
lösen: Durch eine erste (<strong>für</strong> den Teilnehmer vorteilhafte 22 ) Anwendung des<br />
§ 28 Abs. 2 StGB wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nur Haupttäter<br />
A, nicht aber Gehilfe B aus Habgier handelte. Es kommt daher zu einer<br />
Tatbestandsverschiebung. B ist danach strafbar wegen Beihilfe zum Totschlag<br />
nach §§ 212, 27 StGB. Dem Umstand, dass allein der B, nicht aber<br />
Haupttäter A, mit Verdeckungsabsicht handelte, wird durch eine zweite<br />
(<strong>für</strong> den Teilnehmer nachteilige) Anwendung des § 28 Abs. 2 StGB genügt.<br />
Es kommt daher zu einer erneuten Tatbestandsverschiebung, sodass B nun<br />
strafbar wegen Beihilfe zum Mord aus Verdeckungsabsicht nach §§ 211 Abs. 1,<br />
Abs. 2, 3. Gr. Alt. 2, 27, 28 Abs. 2 StGB ist.<br />
Auch anhand des Falls 5 wird die Überlegenheit des Verständnisses deutlich,<br />
den Mord als Qualifikation des Totschlags einzustufen. <strong>Die</strong> Rechtsprechung<br />
sieht sich selbst gezwungen, sich über den eindeutigen Wortlaut des<br />
§ 28 Abs. 1 StGB hinwegzusetzen. Das dadurch erzielte Ergebnis mag zwar<br />
zufriedenstellen; dogmatisch sauber ist diese „Notlösung“ aber nicht. <strong>Die</strong>s<br />
gilt umso mehr, als derlei Ungereimtheiten bei einer Anwendung des § 28<br />
Abs. 2 StGB gänzlich ausbleiben.<br />
C. FAZIT<br />
<strong>Die</strong> Probleme, welche sich um die Teilnahme an Mord <strong>und</strong> Totschlag ranken,<br />
sind zwar durchaus vielschichtig. Doch lassen sie sich sowohl in der<br />
Fallbearbeitung als auch in der Praxis lösen, wenn man sich vor Augen<br />
führt, dass letztlich drei Gr<strong>und</strong>konstellationen zu unterscheiden sind. Erkennt<br />
man nun auch noch, dass die maßgebliche Weichenstellung bei der<br />
Frage nach dem Verhältnis von Mord <strong>und</strong> Totschlag erfolgt, steht einer zufriedenstellenden<br />
Bearbeitung dieser Problematik nichts entgegen.<br />
18 Begrifflich so Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2008, § 20, Rn 164.<br />
19 Vgl. dazu die Ausführungen zu Fall 4.<br />
20 BGHSt 50, 1 (9).<br />
21 Vgl. BGHSt 23, 39 f., wonach zwischen Verdeckungsabsicht <strong>und</strong> einem anderen<br />
niedrigen Beweggr<strong>und</strong> eine solche Gleichartigkeit anzunehmen ist.<br />
22 Vgl. Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2008, § 20, Rn. 164.
Zur Anwendbarkeit von § 33 BauGB bei Aufhebung eines Bebauungsplans<br />
von Rechtsreferendar Sven-Sebastian Ohms (Bielefeld)<br />
A. EINLEITUNG<br />
Zur Genehmigung von an sich den planungsrechtlichen Anforderungen<br />
der §§ 34 <strong>und</strong> 35 BauGB nicht entsprechenden Bauvorhaben bei Übereinstimmung<br />
mit den Festsetzungen eines noch nicht in Form eines Satzungsbeschlusses<br />
öffentlich bekannt gemachten Bebauungsplanes hält das BauGB mit<br />
§ 33 eine Regelung bereit, aufgr<strong>und</strong> derer die zukünftige Rechtslage des Bebauungsplans<br />
<strong>für</strong> den Einzelfall bereits vorverlagert werden kann. Fraglich ist,<br />
ob eine entsprechende Vorverlagerung der zukünftigen Rechtslage über § 33<br />
BauGB auch bei zukünftigem ersatzlosem Wegfall eines Bebauungsplans mit<br />
der Folge der (Wieder-)Geltung der §§ 34 oder 35 BauGB möglich ist. In der<br />
Literatur findet sich dazu bis dato kein einheitliches Bild.<br />
Bevor in diesem Beitrag der Frage der Anwendbarkeit des § 33 BauGB oder<br />
wenigstens seines Recht sgedankens <strong>für</strong> den Fall des absehbaren ersatzlosen<br />
Wegfalls eines Bebauungsplans in einem Teil B erörtert werden soll, soll zu-<br />
vörderst die gr<strong>und</strong>legende Systematik der Vorschrift in einem Teil A heraus-<br />
gearbeitet werden.<br />
B. DIE SySTEMATIK DES § 33 BAUGB<br />
I. ALLGEMEINES<br />
<strong>Die</strong> Vorschrift des § 33 BauGB ermöglicht zugunsten des Bauherren einen<br />
Vorgriff auf die zukünftige Rechtslage eines in Aufstellung befindlichen Be-<br />
bauungsplans bereits vor dessen öffentlicher Bekanntmachung als Satzung<br />
<strong>und</strong> Rechtskrafterlangung in Form eines Satzungsbeschlusses der jeweili-<br />
gen Gemeinde bzw. des jeweiligen Gemeinderates. 1 In Betracht kommt die<br />
Anwendung des § 33 BauGB dabei immer in den Fällen, in denen ein Vor-<br />
haben den Anforderungen an die Regelungen <strong>für</strong> den unbeplanten oder<br />
jedenfalls nicht qualifiziert beplanten Bereich, den §§ 30, 34 <strong>und</strong> 35 BauGB,<br />
nicht entspricht, wobei diese Regelungen stets vorrangig zu prüfen sind. 2<br />
§ 33 BauGB enthält insoweit einen die zunächst negative Beurteilung nach<br />
den §§ 30, 34 <strong>und</strong> 35 BauGB aufhebenden zusätzlichen positiven Zulas-<br />
sungstatbestand, der gleichwertig – wenn auch subsidiär – neben die Zulas-<br />
sungstatbestände der §§ 30, 34 <strong>und</strong> 35 BauGB tritt 3 , ohne dabei jedoch ei-<br />
nen zusätzlichen planungsrechtlichen Bereich zu schaffen. Vielmehr gehö-<br />
ren die Gebiete, auf die sich § 33 BauGB bezieht, jeweils zu einem der pla-<br />
nungsrechtlichen Gebiete der §§ 30, 34 oder 35 BauGB. 4 <strong>Die</strong> Regelung des<br />
§ 33 BauGB stärkt dabei die Planungshoheit der Gemeinden, als nach ihren<br />
Wünschen <strong>und</strong> Planungen <strong>für</strong> die Zukunft „plankonforme“ Vorhaben trotz<br />
bisweilen zeitintensiver Durchführung des Planaufstellungsverfahrens als<br />
notwendiger Durchgangsstation zum bekannt gemachten, rechtswirksa-<br />
1 Instruktiv zur Baugenehmigung nach § 33 BauGB: Bartholomäi, <strong>Die</strong><br />
vorzeitige Zulässigkeit nach § 33 BauGB, BauR 2001, S. 725 ff.<br />
2 Vgl. statt vieler Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch,<br />
11. Auflage 2009, § 33 Rn. 2.<br />
3 Stollmann, Öffentliches Baurecht, 7. Auflage 2010, § 15 Rn. 2.<br />
4 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 1.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Ausbildung<br />
Sven-Sebastian Ohms, Jahrgang 1983, hat in Bielefeld Jura mit<br />
dem Schwerpunkt Umwelt-, Technik- <strong>und</strong> Planungsrecht <strong>stud</strong>iert.<br />
Im Zuge seines Referendariats am Landgericht Bielefeld<br />
darf er sich zurzeit im Bauamt der Stadt Bielefeld insbesondere<br />
mit bauplanungsrechtlichen Fragen auseinandersetzen, woraus<br />
auch dieser Beitrag resultiert. Der Beitrag stellt die Auffassung<br />
des Verfassers dar <strong>und</strong> spiegelt nicht unbedingt die Rechtsauffassung<br />
des Bauamtes der Stadt Bielefeld wieder.<br />
men Bebauungsplan in der gewünschten Form zulässig sind <strong>und</strong> bereits<br />
entstehen können. 5 Ferner wird durch die Regelung der Umfang der an der<br />
Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG festgemachten, durch Gesetz<br />
regelbaren Baufreiheit um einen weiteren gesetzlichen Genehmigungstat-<br />
bestand erweitert. 6 Aufgr<strong>und</strong> des subsidiären Anwendungsraumes kommt<br />
§ 33 BauGB stets nur positive, die Zulässigkeit eines an sich unzulässigen<br />
Vorhabens doch noch be gründende Funktion zu, niemals jedoch negative,<br />
die Zulässigkeit eines bereits nach allgemeinen Regeln zulässigen Vorha-<br />
bens doch noch verhindernde Funktion. Ist ein Vorhaben einmal nach all-<br />
gemeinen Regeln zulässig, bedarf es keines Rückgriffs auf § 33 BauGB mehr,<br />
sodass eine vorhabenausschließende Funktion ausgeschlossen ist. 7 Indes<br />
bedarf es einer derartigen verhindernden Funktion auch gar nicht, als mit<br />
der Veränderungssperre nach §§ 14, 16 BauGB <strong>und</strong> der Möglichkeit der Zu-<br />
rückstellung eines Bauvorhabens vor Beschluss einer Veränderungssperre<br />
nach § 15 BauGB hinreichende Sicherungsmöglichkeiten gegeben sind. 8<br />
II. ANWENDUNGSVORAUSSETZUNGEN<br />
1. § 33 ABS. 1 BAUGB<br />
Den Regelfall der Anwendung des §§ 33 BauGB stellt dessen Abs. 1 dar, bei<br />
dessen Vorliegen der Bürger einen Rechtsanspruch auf Erteilung der be-<br />
gehrten Baugenehmigung hat. 9 <strong>Die</strong> Voraussetzungen des Abs. 1 sind dabei,<br />
dass<br />
• ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist<br />
(Abs. 1 Halbs. 1),<br />
• die Öffentlichkeits- <strong>und</strong> Behördenbeteiligung nach § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2<br />
<strong>und</strong> § 4a Abs. 2 bis 5 BauGB durchgeführt worden ist (sog. formelle Plan-<br />
reife, Abs. 1 Nr. 1),<br />
• anzunehmen ist, dass das Vorhaben den künftigen Festsetzungen des Be-<br />
bauungsplans nicht entgegensteht (sog. materielle Planreife, Abs. 1 Nr. 2)<br />
– wobei die Möglichkeit von Ausnahmen <strong>und</strong> Befreiungen nach § 31<br />
5 Vgl. Stollmann, Öffentliches Baurecht, § 15 Rn. 3.<br />
6 Vgl. Stollmann, Öffentliches Baurecht, § 2 Rn. 3, 9.<br />
7 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 2.<br />
8 Vgl. Hellermann in: <strong>Die</strong>tlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in<br />
Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl age 2009, § 4 Rn. 212.<br />
9 Statt aller Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 33<br />
Rn. 5, unter Berufung auf BVerwGE 20, 127, 131.<br />
15
16<br />
Ausbildung<br />
Abs. 1 <strong>und</strong> 2 BauGB wie bei einem bereits rechtsgültigen Bebauungsplan<br />
besteht 10 –,<br />
• der Antragsteller diese Festsetzungen <strong>für</strong> sich <strong>und</strong> seine Rechtsnachfol-<br />
ger schriftlich anerkennt (Abs. 1 Nr. 3) – wobei diesem Anerkenntnis<br />
dingliche Wirkung zukommt 11 – <strong>und</strong><br />
• die Erschließung gesichert ist (Abs. 1 Nr. 4).<br />
2. § 33 ABS. 2 BAUGB<br />
Nach § 33 Abs. 2 BauGB kann ein Vorhaben im Bereich eines zukünftigen<br />
Bebauungsplans, der nach erfolgter Bürger- <strong>und</strong> Behördenbeteiligung nach<br />
den §§ 3 <strong>und</strong> 4 BauGB nochmals geändert oder ergänzt wird, zugelassen<br />
werden, wenn sich die vorgenommenen Änderung oder Ergänzung des Be-<br />
bauungsplanentwurfs nicht auf das Vorhaben auswirken <strong>und</strong> die soeben<br />
aufgezeigten Voraussetzungen des Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 erfüllt sind. Insoweit<br />
besteht allerdings kein Rechtsanspruch des Bürgers auf die von ihm begehrte<br />
Genehmigung, sondern lediglich auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. 12<br />
3. § 33 ABS. 3 BAUGB<br />
Nach § 33 Abs. 3 BauGB besteht schließlich <strong>für</strong> das vereinfachte Baugeneh-<br />
migungsverfahren nach § 13 BauGB sowie <strong>für</strong> Bebauungspläne der Innen-<br />
entwicklung nach § 13a BauGB die Möglichkeit, ein Vorhaben bereits vor<br />
Durchführung der an sich erforderlichen Bürger- <strong>und</strong> Behördenbeteili-<br />
gung zu genehmigen, sofern den Bürgern <strong>und</strong> Behörden bezogen auf dieses<br />
einzelne Vorhaben Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemesse-<br />
ner Frist gegeben wird, soweit sie dazu nicht bereits zuvor Gelegenheit hat-<br />
ten. Dabei handelt es sich wiederum wie bereits bei Abs. 2 um eine Ermes-<br />
sensvorschrift. 13<br />
C. ZUR ANWENDBARKEIT DES § 33 BAUGB BEI ERSATZLOSEM<br />
WEGFALL EINES BEBAUUNGSPLANS<br />
Schwieriger als die aus dem Gesetz ablesbare Frage nach den Anwendungs-<br />
voraussetzungen des § 33 BauGB während der Aufstellung eines zukünfti-<br />
gen Bebauungsplans zu beantworten ist die Frage nach der Anwendung des<br />
§ 33 BauGB – oder seines Rechtsgedankens im Wege einer Analogie – im<br />
Falle des geplanten ersatzlosen Wegfalls eines Bebauungsplans, wenn durch<br />
einen dem Aufstellungsbeschluss vergleichbaren Aufhebungsbeschluss das<br />
Aufhebungsverfahren be reits in die Wege geleitet ist. Während die Anwen-<br />
dung bei einem in Aufstellung befindlichen Bebauungsplan völlig unum-<br />
stritten ist, schweigt sich die Großzahl der einschlägigen Fachliteratur, die<br />
diesen Umstand noch bejaht, zur Frage der Anwendbarkeit bei geplantem,<br />
ersatzlosem Wegfall eines Bauleitplans aus. 14<br />
10 Stollmann, Öffentliches Baurecht, § 15 Rn. 10.<br />
11 Vgl. Stock in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch,<br />
§ 33 Rn. 38.<br />
12 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 13.<br />
13 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, a.a.O.<br />
14 Nur mit einem allgemeinen Hinweis zur Änderung <strong>und</strong> Ergänzung eines<br />
Bauleitplans ohne ein Eingehen auf die Aufhebung bei einem geplanten,<br />
ersatzlosen Wegfall eines Bauleitplans lässt es etwa Krautzberger in: Battis/<br />
Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 3, bewenden.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
I. GESETZLICHE ANORDNUNG IN § 1 ABS. 8 BAUGB?<br />
Gelegentlich wird <strong>für</strong> die Anwendbarkeit des § 33 BauGB die Regelung des<br />
§ 1 Abs. 8 BauGB über die Anwendbarkeit der Vorschriften zur Aufstellung<br />
der Bauleitpläne auch zu deren Änderung, Ergänzung <strong>und</strong> insbesondere<br />
Aufhebung ins Feld geführt. 15<br />
1. ExKURS: DIE VERWEISUNGSNORM DES § 1 ABS. 8 BAUGB<br />
Gemäß § 1 Abs. 8 BauGB gelten die formellen (§ 2 ff. BauGB) <strong>und</strong> materiel-<br />
len (§ 1 BauGB) Vorschriften über die Aufstellung von Bauleitplänen auch<br />
<strong>für</strong> die Änderung, Ergänzung <strong>und</strong> Aufh ebung von Bauleitplänen, worunter<br />
nach § 1 Abs. 2 BauGB Flächennutzungspläne <strong>und</strong> die hier in Rede stehen-<br />
den Bebauungspläne zu verstehen sind. <strong>Die</strong> Änderung eines Bauleitplans<br />
ist die inhaltliche Veränderung von Darstellungen oder Festsetzungen ei-<br />
nes vorhandenen Bauleitplans. 16 <strong>Die</strong> Ergänzung eines Bauleitplanes ist das<br />
Hinzutreten von Darstellungen oder Festsetzungen in einem vorhandenen<br />
Bauleitplan. 17 <strong>Die</strong> Aufhebung eines Bauleitplans bedeutet seine vollständi-<br />
ge Aufhebung, unabhängig davon, ob der Bauleitplan durch einen neuen<br />
Bauleitplan ersetzt wird. 18 Einer separaten Aufhebung eines Bauleitplans<br />
bedarf es dabei nur in den Fällen, in denen ein Bauleitplan ersatzlos aufge-<br />
hoben werden soll 19 oder in denen einem Bauleitplan auch bei Unwirksam-<br />
keit seines Nachfolgeplans keine rechtliche Wirkung mehr zukommen<br />
soll 20 . Andernfalls verliert der frühere Plan seine Wirksamkeit mit Wirk-<br />
samwerden des späteren Planes nach dem allgemeinen, gewohnheitsrecht-<br />
lich anerkannten Gr<strong>und</strong>satz „<strong>Die</strong> jüngere Rechtsnorm geht der älteren vor“,<br />
ohne das es insoweit noch eines gesonderten Willensentschlusses oder<br />
-beschlusses der Gemeinde bedarf. 21<br />
2. ZUSAMMENSPIEL VON § 1 ABS. 8 BAUGB MIT § 33 BAUGB?<br />
Der argumentative Ansatz, die Vorschrift des § 33 BauGB über die Verwei-<br />
sungsnorm des § 1 Abs. 8 BauGB auch in Fällen des geplanten ersatzlosen<br />
Wegfalls eines Bebauungsplans anzuwenden, vermag indes nicht zu über-<br />
zeugen, als er übersieht, dass die Regelung des § 33 BauGB zwar im thema-<br />
tischen Zusammenhang mit der Aufstellung eines Bebauungsplans steht, es<br />
sich dabei jedoch gerade nicht um eine Vorschrift zur Aufstellung von Bau-<br />
leitplänen – gemeint sind neben inhaltliche Anforderungen an die Bauleit-<br />
15 Vgl. Roeser in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, 17. Ergänzungslieferung<br />
Oktober 2010, § 33 Rn. 5, der eine Anwendung des § 33 BauGB auch<br />
bei Aufhebung eines Bauleitplanes aufgr<strong>und</strong> der Regelung in § 1 Abs. 8<br />
BauGB gr<strong>und</strong>sätzlich „nahe liegend“ findet, einer direkte Anwendung jedoch<br />
das Fehlen zukünftiger Festsetzungen entgegenstehen sieht.<br />
16 Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch 97. Ergänzungslieferung<br />
September 2010, § 1 Rn. 254.<br />
17 Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, a.a.O.<br />
18 Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, a.a.O.<br />
19 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 1 Rn. 132.<br />
20 Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 1<br />
Rn. 254a.<br />
21 Vgl. Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, a.a.O.
pläne vor allem Verfahrens(!)-Vorschriften 22 – handelt, sondern um einen<br />
bauplanungsrechtlichen Genehmigungstatbestand! Eine die Anwendbar-<br />
keit statuierende Verweisung auf § 33 BauGB enthält § 1 Abs. 8 BauGB folg-<br />
lich gerade nicht.<br />
II. DIREKTE ANWENDBARKEIT DES § 33 BAUGB?<br />
Einer direkten Anwendung des § 33 BauGB auf den Fall des geplanten er-<br />
satzlosen Wegfalls eines Bauleitplans steht der Wortlaut der Vorschrift ent-<br />
gegen, der insoweit lediglich von der Anwendung bei „Planaufstellung“<br />
bzw. der „Aufstellung eines Bebauungsplans“ spricht 23 , ein Umstand, über<br />
den wie aufgezeigt auch die gesetzliche Anordnung in § 1 Abs. 8 BauGB<br />
nicht hinwegzuhelfen vermag. In methodischer Hinsicht spricht gegen eine<br />
direkte Anwendung des § 33 BauGB weiter der Umstand, dass es bei geplan-<br />
tem, ersatzlosem Wegfall eines Bebauungsplans in zukünftiger Ermange-<br />
lung eines ebensolchen an zukünftigen Festsetzungen fehlt, denen das Bau-<br />
vorhaben entsprechen könnte – wo kein Bauleitplan, da auch keine Festset-<br />
zungen. 24<br />
III. ANALOGE ANWENDBARKEIT DES § 33 BAUGB?<br />
In Ermangelung einer gesetzlichen Verweisungsnorm <strong>und</strong> des Vorliegens<br />
der Tatbestandsvoraussetzungen des § 33 BauGB verbleibt bei methodi-<br />
scher Betrachtung nur noch die Möglichkeit der Anwendung des Rechtsge-<br />
dankens des § 33 BauGB im Wege einer Analogie. Fraglich ist indes, ob es<br />
<strong>für</strong> eine analoge Anwendung der Vorschrift überhaupt ein Bedürfnis gibt<br />
oder ob den zu erwarten stehenden Änderungen der Zulässigkeitsvoraus-<br />
setzungen eines Bauvorhabens in einem konkreten Gebiet nach absehba-<br />
rem ersatzlosem Wegfall eines Bebauungsplans nicht mit anderen Instru-<br />
menten des BauGB hinreichend begegnet werden kann. Stock <strong>und</strong> Charlier<br />
sprechen sich <strong>für</strong> eine Anwendung des Befreiungstatbestandes des § 31<br />
Abs. 2 BauGB, sog. Baudispens, aus. 25 <strong>Die</strong>ser auf den ersten Blick bestechen-<br />
de Ansatz übersieht jedoch, dass der Befreiungsmöglichkeit nach § 31<br />
Abs. 2 BauGB enge, gesetzliche Grenzen gezogen sind. Neben den Alterna-<br />
tiven Allgemeinwohlerfordernis nach Nr. 1 oder städtebauliche Vertretbar-<br />
keit nach Nr. 2 oder Vorliegen eines unbeabsichtigten Härtefalls nach Nr. 3<br />
(selten!) dürfen insoweit <strong>für</strong> alle drei Nummern gemein durch die Befrei-<br />
ung insbesondere die Gr<strong>und</strong>züge der Planung nicht berührt werden, was<br />
22 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 1 Rn. 132<br />
spricht insoweit von den „formellen <strong>und</strong> materiellen Vorschriften über die<br />
Aufstellung von Bauleitplänen“ – <strong>und</strong> mithin inhaltlichen <strong>und</strong> Verfahrensvorschriften;<br />
auch Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, § 1 Rn. 254,<br />
nennt „insbesondere die Vorschriften des I. Kapitels, 1. <strong>und</strong> 2. Teil (§§ 1 ff.,<br />
§§ 14 ff.)“ – <strong>und</strong> stellt somit ebenfalls auf inhaltliche <strong>und</strong> Verfahrensvorschriften<br />
ab.<br />
23 Tophoven in: Spannowsky/Uechtritz, Baugesetzbuch, 1. Auflage 2009, § 33<br />
Rn. 5 = BeckOnline-Kommentar BauGB, § 33 Rn. 5; Charlier in: Rixner/<br />
Biedermann/Steger (Hrsg.), Systematischer Praxiskommentar BauGB/BauNVO,<br />
1. Auflage 2010, § 33 Rn. 12.<br />
24 Tophoven in: Spannowsky/Uechtritz, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 5 = BeckOnline-Kommentar<br />
BauGB, § 33 Rn. 5; Roeser in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch,<br />
§ 33 Rn. 5; Stock in: Ernst/Zink hahn/Bielenberg/Krautzberger,<br />
Baugesetzbuch, § 33 Rn. 28; Charlier in: Rixner/Biedermann/Steger (Hrsg.),<br />
Systematischer Praxiskommentar BauGB/BauNVO, § 33 Rn. 12.<br />
25 Stock in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 33<br />
Rn. 28; Charlier in: Rixner/Biedermann/Steger (Hrsg.), Systematischer Praxiskommentar<br />
BauGB/BauNVO, § 33 Rn. 12.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Ausbildung<br />
gerade bei Vorliegen eines qualifizierten Bebauungsplanes i.S.d. § 30 Abs. 1<br />
BauGB mit seinen dezidierten <strong>und</strong> umfassenden Festlegungen über Art<br />
<strong>und</strong> das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Gr<strong>und</strong>stücksflä-<br />
chen <strong>und</strong> die örtlichen Verkehrsflächen häufig der Fall sein wird. Hat mit<br />
anderen Worten der Plangeber eine Festsetzung im Angesicht des Falles so<br />
<strong>und</strong> nicht anders gewollt, ist <strong>für</strong> eine Befreiung kein Raum. 26<br />
In einer Vielzahl von Fällen ließe sich somit eine befriedigende Lösung nur<br />
über eine analoge Anwendung des § 33 BauGB <strong>für</strong> den Fall des absehbaren<br />
ersatzlosen Wegfalls eines Bebauungsplans herbeiführen, sofern nämlich<br />
die Analogievoraussetzungen vorliegen. Methodisch setzt dies eine plan-<br />
widrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage voraus.<br />
1. PLANWIDRIGE REGELUNGSLüCKE<br />
Für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke spricht der Umstand,<br />
dass der Gesetzgeber mit Schaffung des § 33 BauGB seiner Wertung klar<br />
Ausdruck verschafft hat, einem Vorhaben, dass nach geltendem Recht noch<br />
unzulässig ist, aber in absehbarer Zeit zulässig werden wird <strong>und</strong> sich diese<br />
Zulässigkeit nur aus verfahrenstechnischen Gründen zeitlich noch verzö-<br />
gert, bereits vorab zur Zulässigkeit zu verhelfen. An einer entsprechenden,<br />
diese Wert ung transportierenden Regelung <strong>für</strong> den Bereich des absehbaren<br />
ersatzlosen Wegfalls eines Bebauungsplans fehlt es im BauGB indes, sodass<br />
eine planwidrige Regelungslücke vorliegt.<br />
2. VERGLEICHBARE INTERESSENLAGE<br />
Sowohl im Falle des Zulässigwerdens eines Bauvorhabens nach der zukünftigen<br />
Rechtslage eines Bebauungsplans als auch des Zulässigwerdens nach<br />
dem zukünftigen Wegfall eines zur Zeit noch bestehenden Bebauungsplanes<br />
handelt es sich um eine Vorverlagerung der in abseh bar Zeit kommen-<br />
den Rechtslage zugunsten des Bauherrn, sodass auch eine vergleichbare<br />
Interessenlage hier vorliegt.<br />
3. ERGEBNIS UND PRAKTISCHE ANWENDUNG<br />
Aufgr<strong>und</strong> des Vorliegens der Analogievoraussetzungen kann <strong>für</strong> den Fall<br />
des absehbaren er satz losen Wegfalls eines Bebauungsplans über eine ana-<br />
loge Anwendung des § 33 BauGB die absehbare zukünftige Rechtslage in<br />
sich in die Systematik des Baugesetzbuchs nahtlos ein passender Weise in<br />
ihrer Gültigkeit <strong>für</strong> den Bauherrn vorverlagert werden. 27<br />
Hinsichtlich der praktischen Anwendung ist zu beachten, dass anstelle der<br />
zukünftigen Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 33 Abs. 1 Nr. 2<br />
BauGB die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen – das Einfügen in<br />
die nähere Umgebung nach § 34 BauGB bzw. das Vorliegen einer Privilegie-<br />
rung nach § 35 BauGB – gelten. Bezüglich der schriftlichen Anerkennung<br />
26 Söfker in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 31 Rn. 57.<br />
27 So <strong>für</strong> den Rückfall in den unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB im<br />
Ergebnis auch Roeser in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, § 33 Rn. 5;<br />
Tophoven in: Spannowsky/Uechtritz, Baugesetzbuch, § 33 Rn. 5 = BeckOnline-Kommentar<br />
BauGB, § 33 Rn. 5; – wobei die Einschränkung auf ein<br />
Baugebiet nach § 34 BauGB in keinem der Fälle näher begründet wird <strong>und</strong><br />
wohl unter dogmatischen wie systematischen Gesichtspunkten auch nicht<br />
begründbar ist.<br />
17
Ausbildung<br />
der zukünftigen Rechtslage nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 BauGB ergeben sich keine<br />
Besonderheiten; der Antragsteller erkennt einfach die zukünftige Geltung<br />
der §§ 34 oder 35 BauGB, mit denen <strong>für</strong> ihn unter Umständen auch einzel-<br />
ne, <strong>für</strong> ihn günstige Festsetzungen des in Aufhebung befindlichen Bebau-<br />
ungsplans entfallen, an.<br />
D. ZUSAMMENFASSUNG<br />
In der Zusammenschau aus der mit Schaffung des § 33 BauGB zu Tage getre-<br />
tenen gesetzgeberischen Wertung pro Bebaubarkeit <strong>und</strong> dem von Art. 14<br />
Abs. 1 GG umfassten Gr<strong>und</strong>recht der Baufreiheit ergibt sich die dogmati-<br />
sche Notwendigkeit einer analogen Anwendung des § 33 BauGB in Fällen, in<br />
denen ein Bebauungsplan absehbar ersatzlos aufgehoben werden wird. Ne-<br />
ben dem dogmatischen Ansatz vermag dieses Ergebnis auch rein praktisch<br />
zu überzeugen, als ein Abwarten der verfahrensbedingten Verzögerungen<br />
des Aufhebungsverfahrens dem Bauherrn in vielen Fällen aufgr<strong>und</strong> der<br />
Rahmenbedingungen des Baus nicht zumutbar sein wird <strong>und</strong> es nicht Auf-<br />
gabe der Baubehörden oder überhaupt der Behörden ist, dem Bürger bei sei-<br />
nem Vorhaben – seien es nun Vorhaben im baurechtlichen Sinne, seien es<br />
andere Vorhaben – unnötig Steine in den Weg zu legen. Gerade im Bereich<br />
des Bauens mit der Schaffung von längerfristigen Zuständen wäre ein Fest-<br />
halten des Bürgers an einer in absehbarer Zeit mangels Notwendigkeit nicht<br />
mehr bestehenden Bauplanungsvorschrift inhaltlich nicht zu be gründen<br />
<strong>und</strong> stellte sich somit als unverhältnismäßiger Gr<strong>und</strong>rechtseingriff dar.<br />
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LUC.edu/prolaw
Geben Sie es zu: Beim Lesen der Frage, wer eigentlich genau der Herr Nieß-<br />
brauch ist, haben Sie sich gefragt, ob das ernst gemeint ist. Zu Recht!<br />
Und ja, diese Frage ist ernst gemeint. Sie stammt zwar nicht von mir. Im Rah-<br />
men meines derzeitigen Referendardaseins ist sie mir aber gerade erst kürzlich<br />
von einem Mandanten gestellt worden <strong>und</strong> ich musste mich im ersten Moment<br />
– ehrlich gesagt – zusammenreißen, um nicht vor Lachen loszuprusten.<br />
Im Nachhinein muss man sich aber wirklich fragen, ob eine solche Fragestel-<br />
lung wirklich zum Lachen veranlassen sollte oder eher dazu geeignet ist, ein an<br />
sich abgegriffenes Thema mal wieder zu Tage zu fördern <strong>und</strong> aus einem etwas<br />
anderen Blickwinkel zu betrachten. Muss es sein, dass wir tagtäglich mit wilden<br />
Fachbegriffen um uns werfen <strong>und</strong> uns alle verstehen, nur die nicht, die es ei-<br />
gentlich etwas angeht?<br />
Hier krankt schon die ganze <strong>Juristen</strong>ausbildung. Man nehme einen frischgeba-<br />
ckenen Diplom-<strong>Juristen</strong> <strong>und</strong> konfrontiere ihn mit einem juristisch unbewan-<br />
derten Menschen, der eine vergleichbar einfache Frage zu einem juristischen<br />
Problem hat. Beim frischgebackenen Diplom-<strong>Juristen</strong> flackert dann sofort der<br />
Begriff „Drittschadensliquidation“ auf. Soll er nun aber seinem Gegenüber in<br />
einfachen Worten erklären, was damit gemeint ist <strong>und</strong> dass ein Dritter nicht ge-<br />
tötet werden soll, stellt sich schnell Hilflosigkeit ein – ist es doch eine vermeint-<br />
lich schier unlösbare Aufgabe.<br />
Aber warum tun wir uns damit so schwer? Eigentlich setzen wir uns doch so-<br />
wohl im Studium, als auch in der späteren Praxis nur mit sehr unterschiedlich<br />
gelagerten Lebenssachverhalten auseinander. Wir schöpfen also aus dem Leben<br />
<strong>und</strong> versuchen dort aufgetretene Probleme einer überzeugenden <strong>und</strong> nach<br />
Möglichkeit gerechten Lösung zuzuführen.<br />
Einerseits ist dies sicherlich Ergebnis der derzeitigen <strong>Juristen</strong>ausbildung. Im<br />
Studium werden die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen gesetzt, die praktischen Fähig-<br />
keiten sollen dann im Referendariat vermittelt werden. So soll es zumindest<br />
sein. Tatsächlich ist es häufig wohl eher so, dass im Studium ein Teil der theore-<br />
tischen Kenntnisse vermittelt, im Referendariat aber ein solides Wissen in Ver-<br />
bindung mit ersten praktischen Fähigkeiten erwartet wird.<br />
Vor Jahren haben Universitäten dies erkannt <strong>und</strong> versuchen dies meist mit so<br />
genannten Schlüsselqualifikationskursen oder anderen Konzepten zu kompen-<br />
sieren – häufig zum Glück unter Heranziehung von Praktikern, die dann auch<br />
den erforderlichen Praxis-Erfahrungsschatz mitbringen <strong>und</strong> auszugsweise wei-<br />
tergeben können. An einigen Universitäten funktioniert das offenbar sehr gut,<br />
bei anderen wirken diese Kurse eher als Schminke, um hinter anderen Fakul-<br />
täten nicht zurückzustehen oder Vorwürfe der <strong>für</strong> das Referendariat meist zu-<br />
ständigen OLG-Präsidenten einer mangelnden Praxisbezogenheit des Jura-Stu-<br />
diums vorzubeugen.<br />
Wirklich überzeugend ist die praktische Ausrichtung des Studiums mit Schlüs-<br />
selqualifikationskursen <strong>und</strong> Praktika meines Erachtens aber bis heute nicht.<br />
Das wahre Leben scheint an einigen Fakultäten vor der Hörsaaltür zu enden.<br />
Schade!<br />
Andererseits ist das allein nicht der Gr<strong>und</strong> da<strong>für</strong>, dass es <strong>junge</strong>n <strong>Juristen</strong> so<br />
schwer fällt zu erklären, wer eigentlich nun der ominöse Herr Nießbrauch ist.<br />
„wer ist eigentlich Herr Nießbrauch?“<br />
von <strong>Iurratio</strong>-Chefredakteur Alexander Otto (Oldenburg)<br />
Hinterfragen muss man vielleicht auch einmal, ob es wirklich sein muss, dass<br />
wir eine über Jahrh<strong>und</strong>erte hinweg mehr <strong>und</strong> mehr ausufernde <strong>und</strong> immer<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Ausbildung<br />
weniger verständlichere Fachsprache erlernen, aber nicht die Fähigkeit besitzen,<br />
sie so zu übersetzen, dass uns der juristische Laie versteht.<br />
Natürlich ist es wichtig, eine solche Fachsprache zu erlernen. Und natürlich ist<br />
es wichtig, diese über Jahrh<strong>und</strong>erte gewachsene Rechtssprache zu bewahren.<br />
Solche Werte sind in der Tat erhaltenswert. Auch kann man nicht von der Hand<br />
weisen, dass das Beherrschen einer soliden Fachsprache zum Austausch unter<br />
Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen hilfreich ist <strong>und</strong> in so mancher Auseinandersetzung<br />
dazu beiträgt, dass diese niveauvoll <strong>und</strong> sachlich bleibt.<br />
Aber nein, ich muss nicht stolz darauf sein, wenn ich in der Anfängervorlesung<br />
mit Fachbegriffen um mich werfe, von denen ich nur im Ansatz weiß, was sich<br />
dahinter verbirgt. Das gilt auch <strong>für</strong> Klausuren <strong>und</strong> Hausarbeiten. Klar, ver-<br />
ständlich <strong>und</strong> angemessen sollen Ausdruck <strong>und</strong> Sprache in solchen Prüfungs-<br />
leistungen sein. Sie werden aber nicht dadurch besser, dass sie zu einem großen<br />
Teil aus Fachbegriffen bestehen.<br />
Aber hier geht es ja nun wirklich nur um Prüfungsarbeiten, die ihrerseits von<br />
<strong>Juristen</strong> gelesen werden, die das juristische Kauderwelsch verstehen. Aber solch<br />
eine Sprache schleift sich schnell ein <strong>und</strong> setzt sich in einem eindimensionalen<br />
Wortschatz fest. Und schnell merkt man dann auch im Alltag, wie sich das aus-<br />
wirkt. Denn wer kennt nicht die Party, auf der man als angehender Jurist ent-<br />
larvt <strong>und</strong> sofort <strong>für</strong> ein privates, juristisches Problem des Gegenübers verein-<br />
nahmt wird? Meist handelt es sich um vergleichbar einfache Fallgestaltungen,<br />
auf die man sofort eine Antwort weiß <strong>und</strong> diese in gewohntem <strong>Juristen</strong>deutsch<br />
abhandelt. Das Gegenüber wird dann sicherlich denken, dass man schon einen<br />
sehr bewanderten Eindruck macht. Nur versteht es uns auch, wenn wir mit<br />
culpa in contrahendo <strong>und</strong> einem Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter,<br />
der in einem Wohl-<strong>und</strong>-Wehe-Verhältnis zum eigentlichen Gläubiger steht,<br />
auf ein liegengebliebenes Salatblatt im Einkaufsmarkt reagieren? Nein! Das Gegenüber<br />
wird sich im Zweifel aber nicht outen <strong>und</strong> noch weiter nachfragen,<br />
sondern es bei dem Akzeptieren dieser Antwort belassen. Ziel erreicht, weil ich<br />
in Ruhe die Party weiterfeiern kann <strong>und</strong> nicht mehr mit Juristischem genervt<br />
werde? Wer damit zufrieden ist, sollte so weitermachen wie bisher.<br />
Wer aber Menschen helfen <strong>und</strong> sich ihnen sachgerecht widmen will, sollte<br />
schon früh damit beginnen, nicht nur Fachbegriffe auswendig zu lernen, sondern<br />
versuchen, diese in einfache, <strong>für</strong> Jedermann verständliche Worte zu übersetzen.<br />
Das hilft nicht nur Herrn Nießbrauch, sondern auch einem selbst. Denn,<br />
wer mit einfachen Worten erklären kann, wer Herr Nießbrauch ist, der wird im<br />
Examen keine Probleme mehr mit ihm haben, weil er genau weiß, wer oder was<br />
sich dahinter verbirgt!<br />
Diskutieren Sie mit anderen <strong>und</strong> uns über dieses Thema! Besuchen Sie uns<br />
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19
20<br />
Ausbildung<br />
das Relationsgutachten im Rahmen der zivilrechtlichen Klausur<br />
im juristischen Vorbereitungsdienst<br />
von RiLG Dr. Holger Schröder (Bremen)<br />
A. EINLEITUNG<br />
Dr. Holger Schröder <strong>stud</strong>ierte Jura an der Universität Bremen<br />
<strong>und</strong> absolvierte 2004 sein 1. <strong>und</strong> 2006 sein 2. Staatsexamen.<br />
In der Zeit von 2006-2007 promovierte er an der Universität<br />
Bremen <strong>und</strong> absolvierte 2004 <strong>und</strong> 2006 seine Examina“. Seit<br />
2007 ist er Richter in Bremen, seit 2010 am Landgericht <strong>und</strong><br />
zusätzlich als Prüfer beim Senator <strong>für</strong> Justiz <strong>und</strong> Verfassung<br />
<strong>für</strong> das 1. Staatsexamen <strong>und</strong> in der Referendarausbildung<br />
beim Hanseatischen Oberlandesgericht Bremen tätig.<br />
<strong>Die</strong> Relationstechnik stellt in der (zivil-)gerichtlichen Praxis ein Instrument<br />
dar, mit dem der Richter im Zuge eines integrierten fallumgreifenden<br />
Subsumtionsprozesses den Prozessstoff fallrelevant ordnet, auswertet <strong>und</strong><br />
bewertet <strong>und</strong> damit schließlich zu einer Entscheidung gelangt, die im Ergebnis<br />
häufig mit einem Urteil oder Beschluss verkündet wird. 1 Für Rechtsreferendare<br />
ist von daher die in einem Relationsgutachten umgesetzte Relationstechnik<br />
unabdingbarer Ausbildungsgegenstand. 2 Dabei wird der<br />
Klausursachverhalt regelmäßig aus einem zivilgerichtlichen Aktenstück<br />
bestehen, das z.B. eine Klageschrift, eine Klageerwiderung, ggf. Replik <strong>und</strong><br />
Duplik sowie ein Hauptverhandlungsprotokoll enthalten kann. Hieraus<br />
sind dann die notwendigen Informationen <strong>für</strong> das Relationsgutachten zu<br />
entnehmen.<br />
<strong>Die</strong> Parteien tragen in einem zivilgerichtlichen Gerichtsverfahren eine Vielzahl<br />
von Tatsachen vor, die insgesamt unstreitig, streitig, aber auch - wie<br />
regelmäßig - teilweise unstreitig <strong>und</strong> streitig sein können. <strong>Die</strong>se gilt es nach<br />
eben diesen Kriterien einzuordnen, um einen strukturierten Überblick da<strong>für</strong><br />
zu erhalten, ob die seitens des Klägers vorgetragenen Tatsachen überhaupt<br />
sein Begehren in rechtlicher Hinsicht tragen. Und im bejahenden Fall,<br />
ob auch die seitens des Beklagten vorgetragenen Tatsachen <strong>für</strong> die Verteidigung<br />
gegen den klägerischen Anspruch in rechtlicher Hinsicht von Bedeutung,<br />
d.h. geeignet sind, den Anspruch des Klägers zu vernichten. Auch ist<br />
der sortierte Tatsachenvortrag wichtig <strong>für</strong> die Frage, welche - nur streitigen<br />
- Tatsachen Anlass zur Beweiserhebung geben. Schließlich endet das Relationsgutachten<br />
in der Regel mit dem, womit das Urteil nach dem Rubrum<br />
anfängt, nämlich mit dem Hauptsachetenor <strong>und</strong> den Nebenentscheidungen.<br />
B. RELATIONSGUTACHTEN<br />
Das Relationsgutachten 3 unterteilt sich äußerlich ordnend in den Sachbe-<br />
1 Aber auch das Erfordernis eines rechtlichen Hinweises z.B. kann das Ergebnis<br />
eines Relationsgutachtens sein.<br />
2 Ob eine Relationsklausur als Pflichtklausur <strong>für</strong> das 2. Staatsexamen gestellt<br />
wird, ist in den B<strong>und</strong>esländern unterschiedlich geregelt. In Bremen wird eine<br />
solche nicht gestellt, aber durchaus noch als zu bewertende Übungsklausur<br />
eingesetzt.<br />
3 <strong>Die</strong> nachfolgende Darstellung kann nur einen groben Umriss zur Thematik<br />
bieten, die als Einstiegshilfe zum besseren Verständnis des Sinns <strong>und</strong> Zwecks<br />
einer Relation gedacht ist.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
richt, ggf. die Auslegungs- <strong>und</strong> Zulässigkeitsstation, die Kläger- <strong>und</strong> Beklagtenstation,<br />
Beweisstation, sowie die Tenorierungsstation mit der<br />
abschließenden Hauptsacheentscheidung <strong>und</strong> den Nebenentscheidungen.<br />
I. DER SACHBERICHT<br />
Dem Relationsgutachten ist ein Sachbericht4 voranzustellen, der aus unstreitigen<br />
<strong>und</strong> streitigen Tatsachen, den Parteianträgen <strong>und</strong> ggf. einer<br />
Prozessgeschichte besteht. Der Sachbericht stellt den entscheidungsreifen<br />
<strong>und</strong> nach bestimmten - im nachfolgenden dargestellten - Kriterien sortierten<br />
Rechtsstreit dar.<br />
1. UNSTREITIGE TATSACHEN<br />
Der Sachbericht beginnt zunächst mit den unstreitigen Tatsachen 5 , die<br />
sprachlich zwingend im Imperfekt 6 darzustellen sind. Unstreitig sind solche<br />
Tatsachen, die von den Parteien7 übereinstimmend vorgetragen worden<br />
sind, oder aber von einer Seite vorgetragene Tatsachen, die von der anderen<br />
Seite nicht bestritten werden. Trägt der Kläger z.B. vor, dass der Beklagte<br />
ihn geschlagen <strong>und</strong> dabei die Nase gebrochen habe, <strong>und</strong> erwidert der Beklagte<br />
darauf, dass er den Kläger zwar auf die Brust geschlagen habe, aber<br />
eben nicht auf die Nase, so dass jedenfalls er diese nicht gebrochen haben<br />
könne, wäre der Sachbericht bezüglich dieser Informationen einfach wie<br />
folgt zu fassen: Der Beklagte schlug den Kläger. Denn den Schlag selbst bestreitet<br />
nicht mal der Beklagte. Nur das Ziel des Schlages <strong>und</strong> die daraus<br />
resultierende Verletzungsfolge wären streitig.<br />
2. STREITIGE TATSACHEN<br />
Nachdem akribisch alle unstreitigen Tatsachen in der Imperfektform zusammengetragen<br />
wurden, schließen sich die streitigen Tatsachen an, <strong>und</strong><br />
zwar eben solche, die von der jeweils anderen Partei bestritten werden.<br />
a) Streitiges Klägervorbringen<br />
Dabei ist zwingend mit dem streitigen klägerischen Tatsachenvortrag anzufangen,<br />
der im Konjunktiv darzustellen ist. Im vorgenannten Fall müsste<br />
es heißen: Der Kläger behauptet, dass der Beklagte ihm auf die Nase geschla-<br />
4 Der Sachbericht ähnelt dem Tatbestand im Urteil. Unterscheidend ist nur,<br />
dass der (Urteils)Tatbestand nur diejenigen Tatsachen zum Inhalt hat, die wesentlich<br />
<strong>für</strong> die Entscheidung sind, während in den Sachbericht auch solche<br />
gehören, die darüber hinausgehen. Der Sachbericht wird jedoch in einer<br />
Klausursituation regelmäßig erlassen.<br />
5 Bei einem längeren Sachverhalt bietet sich ein Einleitungssatz an, wie etwa:<br />
<strong>Die</strong> Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall.<br />
6 Einfache Vergangenheitsform.<br />
7 Dazu gehören regelmäßig der Kläger <strong>und</strong> der Beklagte.
gen <strong>und</strong> ihm diese dadurch gebrochen habe. 8 Wichtig ist, dass nur Tatsachen<br />
streitig sein können. Rechtsansichten stellen gerade keine Tatsachen dar,<br />
<strong>und</strong> gehören somit im Gr<strong>und</strong>satz nicht in den Sachbericht. 9 Meint der<br />
Kläger, der Darlehensvertrag sei wegen der vereinbarten Zinsen i.H.v. 20%<br />
sittenwidrig, so kann allenfalls nur die vereinbarte Höhe (20%) als Tatsache<br />
streitig werden, nicht aber die Sittenwidrigkeit, die als Rechtsfrage vom Gericht<br />
zu beantworten ist. 10<br />
b) Parteianträge<br />
Nach dem streitigen Klägervorbringen werden zunächst die Parteianträge<br />
angebracht. Dabei werden diese aus der Klageschrift 11 <strong>und</strong> der Klageerwiderung12<br />
unverändert übernommen, <strong>und</strong> zwar auch dann, wenn die Anträge<br />
unverständlich, missverständlich oder gar unvollständig sind. Solche<br />
Mängel werden dann ggf. in der Auslegungsstation beseitigt. 13 <strong>Die</strong> Anträge<br />
werden jeweils mit: Der Kläger/Der Beklagte beantragt, eingeleitet <strong>und</strong> in der<br />
nächsten Zeile dann - eingerückt - weiter der konkrete Antrag übernommen. 14<br />
c) Streitiges Beklagtenvorbringen<br />
Nach den übernommenen Parteianträgen folgt das streitige Beklagtenvorbringen.<br />
Hier gilt nichts anderes als das unter 2. a) Gesagte, auch hinsichtlich<br />
des in sprachlicher Form zu verwendenden Konjunktivs. Dabei ist aber<br />
hervorzuheben, dass nur solches streitige Beklagtenvorbringen darzustellen<br />
ist, mit dem auf das klägerische Vorbringen eingegangen wurde. 15 Wenn<br />
also der Kläger z.B. behauptet, dass der Beklagte ihn geschlagen habe, <strong>und</strong><br />
der Beklagte stellt schon den Schlag selbst in Abrede, bräuchte nach der<br />
Darstellung des dann streitigen Klägervorbringens (Der Kläger behauptet,<br />
dass der Beklagte ihn geschlagen habe) bei dem streitigen Beklagtenvorbringen<br />
nichts mehr dazu gesagt werden. Denn aus dem streitigen Klägervorbringen<br />
wird diese streitige Tatsache deutlich. Es würde eine reine - <strong>und</strong><br />
damit überflüssige - Wiederholung darstellen, würde es dann noch im Rahmen<br />
des streitigen Beklagtenvorbringens heißen: Der Beklagte behauptet,<br />
dass er den Kläger nicht geschlagen habe.<br />
Da hier aber der Beklagte den Schlag nicht negiert, sondern näher auf ihn<br />
eingegangen ist16 , wäre an dieser Stelle im streitigen Beklagtenvorbringen<br />
8 Wesentlich ist zu erkennen, dass der Beklagte nicht den Bruch der Nase als<br />
solchen bestreitet, sondern nur seinen Verursachungsbeitrag dazu, mithin die<br />
haftungsbegründende Kausalität, also ob zwischen dem Verhalten des Schädigers<br />
(Schlag) <strong>und</strong> der eingetretenden Rechtsgutverletzung (gebrochene<br />
Nase) ein Ursachenzusammenhang gegeben ist; vgl. Grüneberg, in: Palandt,<br />
70. Auflage, Vorb. v. § 249, Rn. 24 . In der Praxis würde wohl auch der Bruch<br />
selbst bestritten werden, so dass dieser durch ein ärztliches Attest oder durch<br />
eine Inaugenscheinnahme zu beweisen wäre.<br />
9 Anders ist dies, wenn nur durch die Darstellung der Rechtsansicht der<br />
Zusammenhang verständlich wird, oder aber, wenn wesentlich um solche<br />
gestritten wird.<br />
10 Damit ist den Parteien natürlich nicht verwehrt, ihre Rechtsmeinungen<br />
dazu k<strong>und</strong>zutun, die auch Einfluss auf die richterliche Entscheidungsfindung<br />
haben können. Nur gehören diese Ansichten eben nicht in den Sachbericht<br />
aufgenommen.<br />
11 Das sind in der Regel der Hauptsacheantrag (z.B. Zahlung) <strong>und</strong> ggf. die Nebenanträge<br />
(z.B. Zinsen).<br />
12 Das wird in der Regel der Klagabweisungsantrag sein.<br />
13 Siehe dazu unten, II. 1..<br />
14 Dabei können lediglich die häufig angebrachten, aber überflüssigen Anträge<br />
auf Kostenauferlegung <strong>und</strong> Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit<br />
weggelassen werden, weil über diese ohnehin von Amts wegen zu entscheiden<br />
ist, siehe § 308 Abs. 2, §§ 708 ff. ZPO.<br />
15 Sog. qualifiziertes Bestreiten.<br />
16 Womit er qualifiziert bestritten hat.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Ausbildung<br />
anzuführen: Der Beklagte behauptet, den Kläger nicht auf die Nase, sondern<br />
auf die Brust geschlagen zu haben. In diesem Fall würde es nicht ausreichen,<br />
wenn der Beklagte den Schlag zwar ohne nähere Konkretisierung zugibt,<br />
den dadurch seitens des Klägers behaupteten Nasenbruch aber einfach bestreitet.<br />
Denn <strong>für</strong> jeden objektiven Leser würde sich dann die Frage ergeben,<br />
wieso der Beklagte dem Kläger die Nase denn nicht gebrochen haben<br />
soll, wenn er ihn doch geschlagen habe: Weil er ihn eben nicht auf die Nase,<br />
sondern auf die Brust geschlagen haben will. <strong>Die</strong>se Information muss der<br />
Beklagte deshalb hier liefern.<br />
Wichtig in diesem Zusammenhang ist die - nur gedankliche - Feststellung<br />
der Beweislastverteilung17 , um ermitteln zu können, ob die jeweilige<br />
Behauptung in das streitige Kläger- oder in das streitige Beklagtenvorbringen<br />
anzuführen ist. In unserem zuerst genannten Fall ist der Kläger beweisbelastet<br />
<strong>für</strong> die anspruchsbegründenden Tatsachen im Rahmen des § 823<br />
Abs. 1 BGB, also u.a. <strong>für</strong> die hier dargestellte Handlung, Rechtsgutverletzung<br />
<strong>und</strong> haftungsbegründende Kausalität. Von daher gehört diese<br />
Behauptung in das klägerische streitige Vorbringen.<br />
3. PROZESSGESCHICHTE<br />
<strong>Die</strong> Prozessgeschichte, die sprachlich in der Perfektform zu fassen ist, enthält<br />
nur solche Fakten, die im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren<br />
stehen, sie haben dagegen nichts mit den materiell rechtlichen Fragen<br />
zu tun. Solche prozessgeschichtlich relevanten Informationen sind<br />
z.B. Zustellungsdaten von Klageschrift oder Repliken <strong>und</strong> Dubliken, wenn<br />
z.B. Verspätung gerügt wird, oder aber wenn sich Besonderheiten ergeben,<br />
wie z.B. (teilweise) Erledigungen. 18 Stellen sich solche Probleme nicht,<br />
braucht eine Prozessgeschichte nicht mit aufgenommen zu werden. 19 Nur<br />
wenn eine Beweisaufnahme stattgef<strong>und</strong>en hat, ist im Rahmen der Prozessgeschichte<br />
diese darzustellen. Es könnte wie folgt formuliert werden:<br />
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen X, Y <strong>und</strong><br />
Z. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll<br />
vom 01.02.2011 Bezug genommen.<br />
II. DAS GUTACHTEN<br />
Nach dem Sachbericht folgt nun das Gutachten, das mit den sog. Darlegungsstationen<br />
beginnt. Dort werden die jeweiligen tatsächlichen Darlegungen<br />
der Parteien - wie aus dem ersten Staatsexamen bekannt - einer<br />
rechtsgutachterlichen Prüfung unterzogen. Eingeleitet wird das Gutachten<br />
mit einem Entscheidungsvorschlag wie z.B.: Ich schlage vor, der Klage statt-<br />
17 Wobei die allgemeine Gr<strong>und</strong>regel gilt, dass jede Partei die Behauptungs-<br />
<strong>und</strong> Beweislast da<strong>für</strong> trägt, dass der Tatbestand der ihr günstigen Rechtsnorm<br />
erfüllt ist, wenn denn nicht besondere Beweislastregeln durch Gesetz oder<br />
Rechtsprechung greifen, vgl. Reichold, in: Thomas/Putzo, 29. Auflage, Vorb.<br />
§ 284, Rn. 23.<br />
18 <strong>Die</strong>se Darstellung ist bei weitem nicht abschließend. <strong>Die</strong> Kenntnisse dazu<br />
können nur im Rahmen der weiteren Ausbildung erworben <strong>und</strong> vertieft<br />
werden.<br />
19 Der Sachbericht ist hier nicht vollständig dargestellt, sondern wird z.B.<br />
durch Widerklage oder besondere Klagearten entsprechend modifiziert oder<br />
ergänzt. Insoweit wird auf Fn. 18 verwiesen.<br />
21
22<br />
Ausbildung<br />
zugeben oder: Ich schlage vor, die Klage abzuweisen. 20<br />
1. AUSLEGUNGSSTATION<br />
Eine Auslegungsstation ist nur dann aufzunehmen, wenn die Anträge von<br />
auch nur einer Partei nicht hinreichend bestimmt gestellt sind. Sind sie also<br />
auslegungsbedürftig <strong>und</strong> auch auslegungsfähig21 kann hier der tatsächlich<br />
gewollte Antrag dargelegt werden. Stellt z.B. der Kläger den Antrag, den<br />
Beklagten zu verurteilen, ihm die geliehenen 200,- € zurück zu bringen,<br />
müsste der Antrag auf Zahlung von 200,- € ausgelegt werden.<br />
2. ZULäSSIGKEITSSTATION ODER AUCH PROZESSSTATION<br />
In der Zulässigkeitsstation werden nur solche Zulässigkeitsfragen geklärt, die<br />
klärungsbedürftig sind oder von einer Partei gerügt werden, wie z.B. die örtliche<br />
oder sachliche Zuständigkeit des Gerichts. Stellen sich hinsichtlich der<br />
Zulässigkeit der Anträge keine Probleme, fällt diese Station ersatzlos weg.<br />
3. KLäGERSTATION<br />
In der Klägerstation werden die Behauptungen des Klägers als wahr unterstellt<br />
<strong>und</strong> unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt geprüft. Wichtig in diesem<br />
Zusammenhang ist, dass man an dieser Stelle nicht von der Begründetheit<br />
oder Unbegründetheit der Klage spricht, sondern lediglich von der<br />
Schlüssigkeit oder Unschlüssigkeit des Klägervorbringens. Denn auch<br />
wenn seine Behauptungen sich unter einer rechtlichen Norm subsumieren<br />
lassen, bedeutet dies nicht, dass der Kläger auch seinen Anspruch durchgesetzt<br />
bekommt. 22 In unserem ersten Beispiel steht dem Kläger nach seinem<br />
Vortrag ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs.1 BGB <strong>und</strong> auch ein solcher<br />
aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 223 Abs. 1 StGB zu, so dass sein Vorbringen<br />
schlüssig ist. 23 Auch wenn der Beklagte den Schlag auf die Nase bestreitet,<br />
ist das an dieser Stelle bedeutungslos, weil eben der Vortrag des Klägers<br />
als wahr zu unterstellen ist. Der Sinn liegt darin, dass es auf den Beklagtenvortrag<br />
nicht mehr ankommt, wenn schon der eigene Vortrag des Klägers<br />
seinen Anspruch nicht tragen würde. Legt z.B. der Kläger dar, dass er dem<br />
Beklagten eine DVD geschenkt habe, <strong>und</strong> klagt er nunmehr auf Herausgabe<br />
derselben, wäre sein Vorbringen unschlüssig, weil weder ein vertraglicher<br />
noch ein dinglicher Herausgabeanspruch ersichtlich ist. 24<br />
20 Es kann sich anbieten in der Klausur eine Zeile offen zu lassen, wenn sich<br />
einem das Ergebnis erst später erschließt. Man sollte aber nicht vergessen, zum<br />
Schluss den Entscheidungsvorschlag nachzutragen. Wichtig ist, dass man an<br />
dieser Stelle noch von „Stattgeben der Klage“ reden darf, weil es sich eben nur<br />
um einen Vorschlag handelt <strong>und</strong> noch nicht um den Tenor selbst. Ein häufig<br />
gemachter Fehler sollte indes dringend vermieden werden, nämlich später im<br />
Tenor von „der Klage wird stattgegeben“ zu sprechen. Siehe dazu Fn. 40.<br />
21 Andernfalls wäre ein richterlicher Hinweis zu erteilen, so dass ggf. nachgebessert<br />
werden könnte, § 139 ZPO.<br />
22 Denn der Beklagte könnte sich z.B. auf die Einrede der Verjährung berufen,<br />
auf den Untergang der Forderung etc.<br />
23 Im Gutachten ist hier, wie aus der universitären Ausbildung bekannt, der<br />
§ 823 Abs. 1 BGB <strong>und</strong> § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 223 StGB durchzuprüfen.<br />
24 Anders natürlich dann, wenn z.B. eine Herausgabeverpflichtung wegen Widerrufs<br />
bei groben Undanks bestünde, §§ 530 Abs. 1, 531 Abs. 2, 812 BGB.<br />
<strong>Die</strong> da<strong>für</strong> erforderlichen Tatsachen müssten dann aber vorgetragen werden.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
4. BEKLAGTENSTATION<br />
In der Beklagtenstation verhält es sich wie in der Klägerstation, d.h., das<br />
Beklagtenvorbringen ist als wahr zu unterstellen <strong>und</strong> unter jedem rechtlichen<br />
Gesichtpunkt einer gutachterlichen Prüfung zu unterziehen. Auch an<br />
dieser Stelle spricht man nicht von Be- oder Unbegründetheit, sondern,<br />
weil der Beklagte sich verteidigt, von Erheblich- oder Unerheblichkeit des<br />
Beklagtenvorbringens. In unserem Fall wäre das Beklagtenvorbringen erheblich,<br />
weil nach dem Vortrag des Beklagten es mangels Schlages auf die<br />
Nase an der erforderlichen haftungsbegründenden Kausalität fehlt <strong>und</strong><br />
demnach § 823 BGB nicht greift <strong>und</strong> auch andere Verletzungsfolgen nicht<br />
vorgetragen sind, die zu der Annahme der Kausalität führen könnten.<br />
5. BEWEISSTATION<br />
Für den Fall, dass schon das Klägervorbringen unschlüssig ist, wäre das<br />
Gutachten beendet, weil es dann auf das Beklagtenvorbringen nicht mehr<br />
ankommt. 25 Ist dagegen zwar das Klägervorbringen schlüssig, das Beklagtenvorbringen<br />
aber unerheblich, wäre das Gutachten ebenfalls - dann nach<br />
der Beklagtenstation - beendet, weil der Kläger zwar mit seinem Anspruch<br />
durchdringt, der Beklagte aber keine erheblichen Tatsachen vorträgt, die<br />
eine Beweisaufnahme erforderlich machen würden. 26 Nur wenn - wie hier -<br />
sowohl das Klägervorbringen schlüssig, als auch das Beklagtenvorbringen<br />
erheblich ist, schließt sich die Beweisstation an, weil nunmehr im Wege einer<br />
Beweisaufnahme zu ermitteln ist, welcher Vortrag in tatsächlicher Hinsicht<br />
richtig ist. In einer Klausursituation wird häufig ein Hauptverhandlungsprotokoll<br />
Aktenbestandteil sein, das eine, oder auch mehrere Zeugenaussagen<br />
enthalten kann. <strong>Die</strong>se Aussagen gilt es dann zu würdigen. Im<br />
Gutachten würde im unserem Fall wie folgt eingeleitet werden: Ist bewiesen,<br />
dass der Beklagte den Kläger auf die Nase geschlagen hat? Auch an dieser<br />
Stelle wird wieder gedanklich die Beweislastverteilung gefasst. 27 Denn nur<br />
weil der Kläger <strong>für</strong> die Tatsache der haftungsbegründenden Kausalität beweisbelastet<br />
ist, ist die Frage so zu formulieren. Ginge es z.B. um einen unstreitig<br />
geschlossenen Kaufvertrag, aus dem der Kläger den Kaufpreis fordert,<br />
der Beklagte aber einwendet, diesen schon bezahlt zu haben, so müsste<br />
es heißen: Ist bewiesen, dass der Beklagte den Kaufpreis in Höhe von X €<br />
bezahlt hat? Denn <strong>für</strong> die Erfüllung ist der Schuldner, mithin der Beklagte<br />
nach § 362 Abs. 1 BGB beweisbelastet. 28 Sodann ist weiter anzuführen: <strong>Die</strong>s<br />
könnte bewiesen sein durch die Aussage/Bek<strong>und</strong>ungen/Angaben der Zeugin<br />
Y. 29 <strong>Die</strong> von der Gegenseite benannten <strong>und</strong> vernommenen Zeugen sind<br />
dann im Anschluss zu würdigen: Der Schlag auf die Nase ist auch nicht<br />
durch die Aussage des Zeugen Z widerlegt. Denn dieser hat den Schlag nach<br />
eigener Bek<strong>und</strong>ung nicht einmal gesehen. Das Ergebnis dieser Station könn-<br />
25 <strong>Die</strong> Klage wäre abzuweisen, es folgt unmittelbar die Tenorierungsstation<br />
<strong>und</strong> dann der Tenor, siehe II. 6.<br />
26 Der Klage wäre stattzugeben, es geht wiederum unmittelbar mit der Tenorierungsstation<br />
weiter, siehe II. 6.<br />
27 <strong>Die</strong> Erklärung, wer die Beweislast trägt ist entbehrlich, weil an der Beweisfrage<br />
zu sehen ist, ob die Beweislastverteilung richtig verstanden <strong>und</strong> vorgenommen<br />
worden ist.<br />
28 Konsequent müsste es dann im streitigen Beklagtenvorbringen heißen: Der<br />
Beklagte behauptet, den Kaufpreis gezahlt zu haben.<br />
29 Es sind nun die protokollierten Aussagen zu würdigen, was an dieser Stelle<br />
nicht vertieft werden kann. Hierzu empfiehlt sich die Lektüre einschlägiger<br />
Ausbildungsliteratur oder einfach das Lesen von Urteilen!
te dann lauten: Damit ist bewiesen, dass der Beklagte den Kläger auf die<br />
Nase geschlagen hat; die Klage ist damit begründet 30 , oder: Damit ist nicht<br />
bewiesen, dass der Beklage den Kläger auf die Nase geschlagen hat; die Klage<br />
ist damit unbegründet 31 . Sollte der seitens des Beklagten benannte <strong>und</strong> ver-<br />
nommene Zeuge Z glaubhaft 32 <strong>und</strong> glaubwürdig 33 den Schlag nur auf die<br />
Brust bestätigen, könnte es heißen: Damit steht fest, dass der Beklagte den<br />
Kläger nicht auf die Nase geschlagen hat. 34<br />
6. TENORIERUNGSSTATION<br />
<strong>Die</strong> Tenorierungsstation muss in jedem Fall folgen, unabhängig davon, ob<br />
eine Tatsache bewiesen worden ist oder nicht. Denn hier werden nunmehr<br />
die rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> die Entscheidung dargestellt 35 , also im Falle<br />
der Begründetheit der Klage die <strong>für</strong> die Verurteilung, <strong>und</strong> im Falle der Un-<br />
begründetheit der Klage die <strong>für</strong> die Klagabweisung notwendigen Vorschrif-<br />
ten <strong>für</strong> die Kostentragung <strong>und</strong> <strong>für</strong> die Entscheidung über die vorläufige<br />
Vollstreckbarkeit. 36 Im erstgenannten Fall könnte es z.B. wie folgt heißen:<br />
Der Beklagte trägt nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits. Das<br />
Urteil ist nach § 709 S. 2 ZPO <strong>für</strong> den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung <strong>für</strong><br />
vorläufig vollstreckbar zu erklären. 37 Im zuletzt genannten Fall könnte for-<br />
muliert werden: Dem Kläger sind nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des<br />
Rechtsstreits aufzuerlegen. Das Urteil ist <strong>für</strong> den Beklagten nach § 708<br />
Nr. 11 ZPO (ohne Sicherheitsleistung) <strong>für</strong> vorläufig vollstreckbar zu erklären.<br />
Gemäß § 711 ZPO ist zugunsten des Klägers, hier als Schuldner 38 , eine Ab-<br />
wendungsbefugnis aufzunehmen.<br />
7. TENOR<br />
Zuletzt ist der vollständige Tenor, also die Hauptsacheentscheidung sowie<br />
die Nebenentscheidungen ausformuliert darzustellen. 39<br />
z.B.:<br />
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.300 € zu zahlen. 40<br />
30 An dieser Stelle muss von Begründetheit oder Unbegründetheit der Klage<br />
gesprochen werden, weil nunmehr das Ergebnis feststeht.<br />
31 Z.B. bei einem non liquet.<br />
32 Glaubhaft kann nur die Aussage als solche sein, nicht aber der Zeuge selbst.<br />
Bei diesem kann nur von Glaubwürdigkeit gesprochen werden. Wenn z.B. der<br />
Zeuge angeben würde, dass der Beklagte 2,80 groß sein würde, ist die Aussage<br />
nicht glaubhaft, wobei der Zeuge selbst durchaus glaubwürdig sein könnte,<br />
wenn er das selbst nachvollziehbar glaubt. Lügt der Beklagte offenk<strong>und</strong>ig ist<br />
er selbst unglaubwürdig, seine Angaben sind unglaubhaft.<br />
33 Siehe Fn. 32.<br />
34 Mit dieser Formulierung ist aber keine Beweislastumkehr gemeint. Der<br />
Beklagte hat nur den Gegenbeweis erbracht.<br />
35 In dieser Station ist es durchaus möglich, sich auf den Urteilsstil zu<br />
beschränken.<br />
36 <strong>Die</strong>se stellen Nebenentscheidungen dar, die einer eigenen ausführlichen<br />
Darstellung bedürfen <strong>und</strong> hier nicht weiter vertieft werden können.<br />
37 Das wäre der Fall, wenn der Hauptsachebetrag der Verurteilung 1.250 €<br />
übersteigt, wie sich aus §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO ergibt.<br />
38 Denn der Kläger schuldet dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits.<br />
39 Hier zeigt sich, ob eine Auslegungsstation sinnvoll gewesen wäre. Der<br />
Tenor muss so konkret sein, dass er vollstreckbar ist, was mitunter bei Herausgabe-<br />
oder Unterlassungsklagen Schwierigkeiten bereiten kann.<br />
40 Der Rechtsgr<strong>und</strong> der Zahlung, wie z.B. Schmerzensgeld, ist nicht mit aufzunehmen,<br />
dieser ergibt sich aus den Entscheidungsgründen im anschließenden<br />
Urteil. Wie bereits oben erläutert (Fn. 20), darf es hier auf keinem Fall heißen:<br />
„Der Klage wird stattgegeben“. Ein solches Urteil wäre nicht vollstreckbar.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Academic Year 2011/2012<br />
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2. <strong>Die</strong> Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.<br />
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu<br />
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. 41<br />
C. FAZIT<br />
Das Relationsgutachten bereitet - z.B. - ein Urteil vor. Nach Abschluss des<br />
Relationsgutachtens sind also alle Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> das in der Praxis nun-<br />
mehr anzufertigende Urteil geschaffen. Das erleichtert die Absetzung des<br />
Urteils in erheblichem Maße. Tatsächlich verhält es sich so, dass in der Pra-<br />
xis wohl kaum jemand die Zeit da<strong>für</strong> hat, ein solches Gutachten zu erstellen.<br />
Jedoch muss die Relationstechnik jedenfalls gedanklich - <strong>und</strong> wird meist<br />
unbewusst - bei der Urteilsabsetzung angewandt werden. Sie spielt eine we-<br />
sentliche Rolle nicht nur <strong>für</strong> die Arbeitserleichterung, sondern auch <strong>für</strong> das<br />
geordnete Verständnis <strong>für</strong> den Fall <strong>und</strong> damit <strong>für</strong> die richtige Entschei-<br />
dungsfindung. Der Ausbildungsabschnitt über das Relationsgutachten soll-<br />
te von daher nicht unterschätzt werden.<br />
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41 Der Kläger braucht keine Erwähnung zu finden, weil sich aus Nr. 2 des<br />
Tenors ergibt, dass nur der Kläger Gläubiger ist, <strong>und</strong> damit nur er vollstrecken<br />
kann. Anders ist dies bei Teilabweisungen.<br />
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Start: August 2011<br />
23
24<br />
Schwerpunkte<br />
Ombudsinstitutionen im deutschen Strafvollzug: eine notwendige<br />
ergänzung zum gerichtlichen Rechtsschutz?<br />
von Rechtsreferendarin Maren Klöver (Hannover)<br />
A. EINLEITUNG<br />
Maren Klöver, Jahrgang 1985, <strong>stud</strong>ierte von 2005 bis 2010<br />
Rechtswissenschaften an der Universität Bremen, wo sie<br />
das erste Staatsexamen ablegte. Seit dem 1. Dezember ist<br />
sie Rechtsreferendarin am OLG Celle. Bei dieser Arbeit han-<br />
delt es sich um die gekürzte Fassung ihrer Examenshaus-<br />
arbeit aus dem Jahr 2009 im Schwerpunkt „Strafrecht <strong>und</strong><br />
Kriminalpolitik in Europa“.<br />
Immer wird in den Medien über Zwischenfälle in verschiedenen Justizvoll-<br />
zugsanstalten deutschlandweit berichtet. Insbesondere der sogenannte<br />
„Foltermord“ in der JVA Siegburg (Nordrhein-Westfalen) im Jahr 2006<br />
sorgte <strong>für</strong> ein großes mediales <strong>und</strong> öffentliches Interesse. Vor allem die<br />
Haftbedingungen der Justizvollzugsanstalten standen dabei im Fokus der<br />
Berichterstattung. Auch das Komitee zur Verhütung von Folter <strong>und</strong> un-<br />
menschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, kurz CPT, stell-<br />
te erhebliche strukturelle Gefahrenlagen fest 1 .<br />
Als Reaktion darauf ernannte die nordrhein-westfälische Justizministerin<br />
Müller-Piepenkötter im April 2007 den pensionierten Amtsgerichtsdirek-<br />
tor Rolf Söhnchen zum Ombudsmann <strong>für</strong> die Justizvollzugsanstalten in<br />
NRW. Söhnchens Funktion ist derzeit einmalig in der B<strong>und</strong>esrepublik.<br />
Hauptargument der Länder gegen die Einführung eines Ombudsmannes<br />
im Bereich des Strafvollzuges ist, dass es bereits ein zweistufiges Rechts-<br />
schutzsystem geregelt in den §§ 109 ff. des Strafvollzugsgesetzes gebe <strong>und</strong><br />
ein solches zusätzliches Instrument nicht notwendig sei.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der<br />
Frage, ob es tatsächlich nicht notwendig ist, eine solche Institution im deut-<br />
schen Strafvollzug einzuführen.<br />
B. WAS SIND OMBUDSINSTITUTIONEN?<br />
Das Wort Ombudsmann leitet sich aus dem altertümlichen schwedischen<br />
Wort „umbup“ her, was so viel bedeutet wie Macht, Autorität. <strong>Die</strong> schwedi-<br />
sche Bezeichnung „ombudsman“ führt dabei auf eine Person zurück, die<br />
als Sprecher oder Vertreter eines anderen handelt 2 . Wörtlich übersetzt be-<br />
deutet „ombudsman“ Beauftragter 3 .<br />
Im staatsrechtlichen Sinn handelt es sich bei dem Ombudsmann um eine<br />
vom Parlament eingesetzte Vertrauensperson. Aufgabe dieser an sich un-<br />
abhängigen Person ist es, die Rechte der Bürger zu schützen <strong>und</strong> das Parla-<br />
1 Feest in: Deutsches Institut <strong>für</strong> Menschenrechte: Justizvollzugsanstalten:<br />
totale Institutionen, Folter <strong>und</strong> Verbesserung der Prävention, S.66 (im weiteren<br />
Feest 2007).<br />
2 Hansen in ders. <strong>Die</strong> Institution des Ombudsmann S.3 (im weiteren Hansen<br />
1972); Franke in ders. Ein Ombudsmann <strong>für</strong> Deutschland S. 27 (im weiteren<br />
Franke 1999).<br />
3 Siehe Pietzner in evangelisches Staatslexikon S.2312.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
ment zu kontrollieren. Mängel <strong>und</strong> Verletzungen können von ihm jedoch<br />
nur beanstandet <strong>und</strong> nicht korrigiert werden 4 . Demnach wird er überwie-<br />
gend als Hilfsorgan des Parlaments <strong>und</strong> Beschwerdeinstanz <strong>für</strong> den Bürger<br />
angesehen 5 .<br />
C. NOTWENDIGKEIT EINES VOLLZUGSOMBUDSMANNES<br />
In Deutschland stehen den Strafgefangenen die unterschiedlichsten Rechts-<br />
mittel zur Verfügung um ihre Rechte <strong>und</strong> Interessen durchzusetzen, so<br />
dass zu klären bleibt, ob denn überhaupt die Notwendigkeit <strong>für</strong> solch eine<br />
Institution bestehe. <strong>Die</strong>se sollen zunächst kurz erläutert werden, um an-<br />
schließend die Vor- <strong>und</strong> Nachteile der Einführung eines Vollzugsombuds-<br />
mannes erläutern zu können.<br />
I. RECHTSMITTEL IM STRAFVOLLZUG<br />
Neben dem förmlichen Rechtsmittel des gerichtlichen Rechtsschutzes,<br />
geregelt in den §§ 109 ff. StVollzG 6 , besteht das formlose Mittel aus § 108,<br />
dem Beschwerderecht. Daneben gibt es noch die Möglichkeit sich gem.<br />
§§ 162 ff. an die Anstaltsbeiräte zu wenden oder eine Petition einzulegen.<br />
1. GERICHTLICHER RECHTSSCHUTZ §§ 109 FF. STVOLLZG<br />
Zur Durchsetzung seiner Rechte steht dem Inhaftierten darüber hinaus ein<br />
zweistufiges Rechtssystem zur Verfügung 7 . In der ersten Instanz ist die<br />
Strafvollstreckungskammer des jeweiligen Landgerichtsbezirks zuständig<br />
<strong>für</strong> den Rechtsschutz im Bereich des Strafvollzuges. Gegen das Urteil kön-<br />
nen anschließend Rechtsmittel gem. §§ 116 ff. beim zuständigen Oberlan-<br />
desgericht eingelegt werden.<br />
Der Rechtsschutz nach §§ 109 ff. ist der Struktur des Verwaltungsprozesses<br />
nachgebildet. Das bedeutet, dass das Antragsprinzip gilt <strong>und</strong> das Gericht<br />
vom Inhaftierten „angerufen“ werden muss 8 .<br />
In einigen B<strong>und</strong>esländern ist zudem noch ein Widerspruchsverfahren er-<br />
forderlich, so bspw. in NRW, Bremen, Baden-Württemberg, Hamburg <strong>und</strong><br />
Schleswig-Holstein. <strong>Die</strong>ses muss durchgeführt werden, wenn sich die Maß-<br />
nahme nicht schon während der Widerspruchsfrist erledigt hat 9 . D.h. ins-<br />
besondere beim Anfechtungs- <strong>und</strong> Verpflichtungsantrag besteht ein<br />
Widerspruchserfordernis. Das Verfahren beginnt, sobald der Widerspruch<br />
4 Hansen (1972) S. 4; Wild in ders. Der Ombudsmann in Deutschland S.1<br />
(im weiteren Wild 1970).<br />
5 Hansen (1972) S.13; Matthes in ders. Der Bürgerbeauftrage; eine rechtsvergleichende<br />
Studie unter Berücksichtigung des Ombudsmann Modells in<br />
Rheinland Pfalz , S.17 f.(im weiteren Matthes 1981).<br />
6 Paragraphen im Folgenden sind, sofern nicht anders benannt, solche des<br />
StVollzG.<br />
7 Feest 2007, S. 109.<br />
8 Laubenthal in ders. Strafvollzug Rn. 758 f., 785(im weiteren Laubenthal<br />
2007) Kamann/Volckart in AK-StVollzG § 109 Rn. 1f.; Callies/Müller-<strong>Die</strong>tz<br />
StVollzG §109 Rn.1ff.; Kaiser/Schöch Strafvollzug § 9 Rn.18f..<br />
9 Volckart in ders. Verteidigung in der Strafvollstreckung <strong>und</strong> im Vollzug Rn.<br />
515 (im weiteren Volckart 2001).
ei der Widerspruchsbehörde eingelegt wurde, versäumt der Antragsteller<br />
dabei die landesrechtlich geregelte Widerspruchsfrist, wird sein Wider-<br />
spruch als unzulässig zurückgewiesen <strong>und</strong> das Widerspruchsverfahren gilt<br />
als nicht durchgeführt. Somit wäre auch ein Antrag auf gerichtliche Ent-<br />
scheidung unzulässig. Ob die Voraussetzungen des Vorverfahrens einge-<br />
halten wurden, ermittelt das Gericht von Amtswegen 10 .<br />
Dem Inhaftierten stehen dann die Anfechtungs- ( § 109 Abs. 1, S.1), Verpflich-<br />
tungs- oder Vornahmeklage ( § 109 Abs. 1, S.2) bzw. nach § 113 Leistungs-<br />
klage zur Verfügung. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann auch eine Unterlassungsklage<br />
erhoben werden, was sich aus der Systematik des Art. 19 IV GG ergibt 11 .<br />
Voraussetzung da<strong>für</strong> ist, dass sich die Klage gegen eine Maßnahme auf dem<br />
Gebiet des Justizvollzuges bezieht, dies ist der Fall, wenn sie sich aus der<br />
Rechtsbeziehung zwischen Staat <strong>und</strong> Gefangenen auf Gr<strong>und</strong> des Strafvoll-<br />
zugsgesetzes ergibt. Liegt eine solche nicht vor <strong>und</strong> ergibt sich aufgr<strong>und</strong> der<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lage kein anderer Rechtsweg, steht dem Inhaftierten nur der<br />
Rechtsbehelf nach §§ 23 ff. EGGVG zur Verfügung, insbesondere bei Maßnahmen<br />
der Vollstreckungsbehörde12 .<br />
Maßnahme im Sinne des § 109 umfasst jedes Handeln der Vollzugsbehörde,<br />
welches die Lebensverhältnisse der Gefangenen betrifft <strong>und</strong> ist weit zu verstehen.<br />
Sie müssen zudem mittelbare Rechtswirkung besitzen, also subjektive<br />
Rechte des Einzelnen betreffen. Dazu zählen der Vollzugsplan wie auch<br />
einzelne Behandlungsmaßnahmen <strong>und</strong> Maßnahmen, die vom Anstaltsleiter<br />
an den Abteilungsleiter delegiert wurden, sofern sie unmittelbare<br />
Rechtswirkung entfalten13 . Eine Rechtsverletzung muss zumindest möglich<br />
sein14 .<br />
<strong>Die</strong> Antragsfrist beträgt nach § 112 I zwei Wochen ab Zustellung oder<br />
schriftlicher Bekanntgabe der Maßnahme oder ihrer Ablehnung. Mit<br />
mündlicher Bekanntgabe oder mündlichem Erlass beginnt die Frist noch<br />
nicht, es gilt dann die Jahresfrist gem. § 113 III15 .<br />
Der Antrag ist schriftlich einzulegen oder bei der Geschäftsstelle zur Niederschrift<br />
zu geben. Dabei kann sich der Inhaftierte auch der Hilfe eines<br />
Anwalts oder eines Mitgefangenen bedienen, sofern letzterer nicht die<br />
Grenze des § 1 RBerG überschreitet 16 . Sollte das der Fall sein, ist der Antrag<br />
des Antragstellers jedoch nicht schon deswegen unzulässig weil dies eine<br />
Einschränkung des Rechts aus Art. 19 IV GG darstellen würde17 . Ferner<br />
muss auch deutlich werden, gegen welche Maßnahme sich der Antrag richtet.<br />
<strong>Die</strong> Entscheidungen entsprechenden Antrags- oder Klagearten. Das<br />
Gericht wird dabei durch § 115 IV in seiner Ermessensausübung begrenzt,<br />
sofern der Behörde bei der Maßnahme ein Ermessen eingeräumt wurde. Es<br />
kann daher die Maßnahme nur auf Ermessensüberschreitungen <strong>und</strong> –fehlgebrauch<br />
prüfen. Unbestimmte Rechtsbegriffe unterliegen der gerichtlichen<br />
Kontrolle, sofern nicht der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum<br />
zusteht, der ihr mehrere gleichermaßen vertretbare Entscheidungen<br />
10 Laubenthal (2007) Rn. 783 f.<br />
11 Kaiser/Schöch Strafvollzug § 9 Rn. 32.<br />
12 Callies/Müller-<strong>Die</strong>tz StVollzG §109 Rn.7f.; Schwind/Böhm/Jehle StVollzG<br />
§ 109 Rn. 10; Kamann/Volckert in AK-StVollzG § 109 Rn. 11; Laubenthal<br />
(2007) Rn. 765.<br />
13 BVerfG NStZ 2003, 620 (621); BVerfG StV 1994, 93 (95); BVerfG NStZ<br />
1990, 557 (558).<br />
14 Laubenthal (2007) Rn. 779; OLG Celle NStZ 1989, 295 (296); Kaiser/<br />
Schöch Strafvollzug § 9 Rn. 36f.<br />
15 Laubenthal (2007) Rn. 793; Callies/Müller-<strong>Die</strong>tz StVollzG § 112 Rn. 1.<br />
16 Laubenthal (2007) Rn. 760.<br />
17 BVerfG NJW 2004, 1373 (1374).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Schwerpunkte<br />
einräumt, wie bspw. Wahrscheinlichkeitsprognosen oder sonstige Fragen<br />
mit höchstpersönlicher Wertung. In diesen Fällen kann nur ein Bescheidungsurteil<br />
erwirkt werden, welches die Behörde dazu veranlasst, die Maßnahme<br />
neu zu bescheiden, dies gilt insbesondere <strong>für</strong> den Verpflichtungs<strong>und</strong><br />
Vornahmeantrag18 .<br />
Der Beschluss wird ohne mündliche Verhandlung gefasst (§ 115 I), weshalb<br />
<strong>für</strong> die Beweiserhebung das Freibeweisverfahren mit den Grenzen der Beweisverbote<br />
der StPO gilt19 . Im Gegensatz zum Verwaltungsverfahren kann<br />
eine zwangsweise Durchsetzung nach §§ 170, 172 VwGO nicht erwirkt werden20<br />
. Bei Nichtbefolgung der Behörde stehen dem Inhaftierten nur Rechtsbehelfe<br />
wie <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde, Vornahmeantrag oder Petition zur<br />
Durchsetzung der gerichtlichen Entscheidung zur Verfügung.<br />
<strong>Die</strong> Rechtsbeschwerde gegen das Urteil muss beim Strafsenat des zuständigen<br />
OLG eingelegt werden. Sie hat gem. § 116 III,1 keine aufschiebende<br />
Wirkung, ebenfalls findet keine mündliche Verhandlung statt (§ 119 I, V).<br />
Das Urteil ist gem. § 119 V unanfechtbar, dem Inhaftierten bleibt demnach<br />
nur noch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr.<br />
4a GG oder die Klage vor dem EGMR.<br />
2. BESCHWERDERECHT NACH § 108 STVOLLZG<br />
Nach § 108 hat der Gefangene mehrere Möglichkeiten sich formlos zu beschweren,<br />
so kann er sich an den Anstaltsleiter wenden (§ 108 I,1), an den<br />
Vertreter der Aufsichtsbehörde (§ 108 II) oder eine <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde<br />
(§ 108 III) erheben. <strong>Die</strong>se Mittel haben dabei gr<strong>und</strong>sätzlich Vorrang<br />
vor dem Rechtsschutz nach §§ 109 ff. Ihnen kommt in der Praxis erhebliche<br />
Bedeutung zu, da den Anliegen der Inhaftierten auf diesem Weg<br />
eher entsprochen werden kann21 . Alles in allem besteht durch die Gespräche<br />
die Möglichkeit zur persönlichen Aussprache, was zum Abbau von Aggressionen<br />
<strong>und</strong> zur Klärung des Anliegens oder aber auch zur Kompromissfindung<br />
beitragen kann. Um somit dem Gefangenen die Fähigkeiten einer<br />
„normalen Konfliktbewältigung“ vermitteln zu können22 . Weiterhin können<br />
die Angelegenheiten auch behördenintern geregelt werden.<br />
Bei der <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde gem. § 108 III handelt es sich um ein<br />
formloses verwaltungsinternes Mittel um den <strong>Die</strong>nstvorgesetzten zur<br />
Überprüfung <strong>und</strong> Korrektur einer dienstlichen Entscheidung oder der einer<br />
<strong>Die</strong>nstpflichtverletzung eines Vollzugsbeamten zu veranlassen. Eine gerichtliche<br />
Nachprüfung der <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde ist nicht möglich23 auch kann sie nicht gerichtlich erzwungen werden24 . Lediglich die zugr<strong>und</strong>e<br />
liegende Maßnahme gegen den Inhaftierten kann gerichtlich überprüft<br />
werden25 .<br />
18 Laubenthal (2007) Rn. 793ff.; Kaiser/Schöch Strafvollzug § 9 Rn. 55.<br />
19 Kamann/Volckart AK-StVollzG § 115 Rn. 3.<br />
20 LG Gießen NStZ-RR 2006, 61 (61); OLG Frankfurt NStZ 1983, 335 (335);<br />
OLG Celle NStZ 1990, 207 (208).<br />
21 Kamann/Volckart in AK-StVollzG § 108 Rn. 1; Kretschmer ZfStrVO 2005,<br />
217 (217).<br />
22 Kaiser/ Schöch Strafvollzug § 9 Rn. 5; Kamann/Volckart in AK-StVollzG<br />
§ 108 Rn. 2.<br />
23 OLG Hamm NStZ 1993, 425 (425).<br />
24 Laubenthal (2007) Rn. 756.<br />
25 OLG Hamburg NStZ 1991, 560 (560); Callies/Müller-<strong>Die</strong>tz StVollzG<br />
§ 108 Rn. 10.<br />
25
26<br />
Schwerpunkte<br />
3. ANSTALTSBEIRäTE §§ 162 FF. STVOLLZG<br />
Neben dem Beschwerderecht steht den Gefangenen die ebenfalls vollzug-<br />
sinterne Kontrollinstanz zur Verfügung, die Anstaltsbeiräte. Sie haben<br />
gem. § 163 die Aufgabe, bei der Vollzugsgestaltung <strong>und</strong> der Betreuung der<br />
Gefangenen mitzuwirken. <strong>Die</strong> Einzelbetreuung der Probleme der Gefange-<br />
nen ist dabei nicht ihre gr<strong>und</strong>legende Aufgabe, vielmehr soll sie auf einer<br />
gr<strong>und</strong>sätzlichen Ebene stattfinden, die auch die Bediensteten umfasst 26 .<br />
Weshalb letztere gem. § 162 I auch nicht Mitglieder im Beirat sein dürfen,<br />
um Interessenskonflikte zu vermeiden. <strong>Die</strong> Bestellung der Beiräte obliegt<br />
den Justizverwaltungen, wie sie zusammengesetzt sein sollen ist dabei nicht<br />
gesetzlich geregelt 27 . Dabei kann der Beirat lediglich Beanstandungen der<br />
Gefangenen entgegennehmen <strong>und</strong> besitzt nicht die Aufgabe Beschwerden<br />
zu überprüfen, sondern ist dazu verpflichtet, auf das Beschwerderecht der<br />
§§ 108 ff. zu verweisen, weshalb sie auch als „Durchgangsstation“ beschrie-<br />
ben werden 28 . Dennoch sehen nach einer Untersuchung von Gerken die<br />
meisten Beiratsmitglieder die Einzelbetreuung als einen Schwerpunkt ihrer<br />
Tätigkeit 29 .<br />
Um diesen Aufgaben nachgehen zu können, sind sie dazu berechtigt gem.<br />
§ 164 I sich umfassend in der Anstalt zu informieren, sie unangekündigt zu<br />
besuchen <strong>und</strong> auch Akteneinsicht 30 zu erhalten. Sie unterliegen dabei der<br />
Verschwiegenheitspflicht (§ 165) <strong>und</strong> § 164 II,2 zufolge dürfen weder die<br />
Gespräche noch der Schriftwechsel mit dem Gefangenen überwacht wer-<br />
den, um so die Möglichkeit einer Vertrauensbasis schaffen zu können.<br />
4. PETITIONSRECHT ART. 17 GG<br />
Zusätzlich steht den Gefangenen auch das Petitionsrecht aus Art. 17 GG zur<br />
Verfügung um die Kontrolle der Verwaltung zu veranlassen. Sie können<br />
sich da<strong>für</strong> an die Volksvertretung wenden, d.h. an das Parlament, Petiti-<br />
onsausschüsse, Fraktionen <strong>und</strong> die Länderparlamente, nicht jedoch an die<br />
zuständige Stelle, da dieses Recht bereits in § 108 ausgestaltet ist.<br />
<strong>Die</strong> Petition muss schriftlich eingereicht werden <strong>und</strong> unterliegt gem. § 29 II, 1<br />
nicht der Überwachung, weshalb sie einen besonderen Anreiz <strong>für</strong> die In-<br />
haftierten darstellen um sich über die Vollzugsbedingungen zu beschweren.<br />
Auf Gr<strong>und</strong> der Gewaltenteilung kann den Petitionen jedoch nicht direkt<br />
abgeholfen werden.<br />
Dennoch spielen Petitionen in der Praxis eine wichtige Rolle, da die Gefan-<br />
genen hoffen, durch die sachliche <strong>und</strong> politische Autorität der Abgeordneten<br />
auf die Missstände im Vollzug öffentlich aufmerksam machen zu können 31 .<br />
26 Gerken (1986)S. 252; Bammann/Feest in AK-StVollzG Vor §§ 162 ff Rn. 4.<br />
27 Bammann/Feest in AK-StVollzG § 163 Rn. 9; als Bsp. <strong>für</strong> die<br />
Zusammensetzung siehe <strong>Die</strong>penbruck (1981) S. 165; Kaiser/Kerner/Schöch<br />
Strafvollzug § 12 Rn.13; Laubenthal (2007)Rn. 297<br />
28 <strong>Die</strong>penbruck (1981) S. 163; Schibol/Senff ZfStrVO 1986, 202 (202);<br />
Bammann/Feest in AK-StVollzG § 163 Rn. 4,6; Laubenthal (2007) Rn. 757.<br />
29 Gerken in dies. Anstaltsbeiräte, Erwartungen an die Beteiligung der<br />
Öffentlichkeit am Strafvollzug <strong>und</strong> praktische Erfahrungen in Hamburg S.<br />
222 (im weiteren Gerken 1986).<br />
30 Bammann/Feest in AK-StVollzG § 164 Rn. 2.<br />
31 Kaiser/Schöch Strafvollzug § 9 Rn. 7; <strong>Die</strong>penbruck (1981) S. 128 ff.;<br />
Laubenthal (2007) Rn. 846.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
II. VOR- UND NACHTEILE DER EINFüHRUNG EINES VOLLZUGS-<br />
OMBUDSMANNES<br />
Im Hinblick auf die Aufgaben eines künftigen Ombudsmannes <strong>und</strong> den<br />
bisherigen Rechtsschutzmöglichkeiten ergeben sich dementsprechend die<br />
unterschiedlichsten Argumente <strong>für</strong> <strong>und</strong> gegen die Einführung einer solchen<br />
Institution. Daneben gibt es etliche Alternativlösungen von denen einige<br />
näher betrachtet werden sollen.<br />
1. VOR- UND NACHTEILE EINES OMBUDSMANNES BEZüGLICH<br />
DES GERICHTLICHEN RECHTSSCHUTZES GEM. §§ 109 FF.<br />
Sicherlich steht den Inhaftierten wie oben dargestellt ein gut ausgestaltetes<br />
Rechtsschutzverfahren zur Verfügung. In der Praxis verbergen sich jedoch<br />
erhebliche Problemlagen in diesem.<br />
Eines ist, dass viele der Inhaftierten gar nicht darüber informiert sind 32 ,<br />
welche Rechte ihnen zustehen <strong>und</strong> wie sie diese wahrnehmen können.<br />
Hier<strong>für</strong> benötigen sie Unterstützung von Anwälten oder von anderen<br />
rechtsk<strong>und</strong>igen Personen.<br />
Sofern es um den anwaltlichen Beistand geht kommt zudem noch das Kosten-<br />
problem auf. Denn es stellt sich die Frage, wie die Finanzierung eines An-<br />
walts aus der Inhaftierung heraus besorgt werden kann, insbesondere,<br />
wenn der Inhaftierte generell nicht über die Notwendigen Mittel verfügt<br />
oder gar aus eventuellen vorherigen Prozessen verschuldet ist. Zwar kann<br />
der Inhaftierte gem. § 120 II StVollzG i.V.m. §§ 140 ff ZPO Prozesskostenhilfe<br />
beantragen, diese wird jedoch nur bewilligt, wenn eine hinreichende<br />
Erfolgswahrscheinlichkeit besteht 33 . Dabei darf laut einer Entscheidung des<br />
BVerfG 34 kein Auslegungsmaßstab angelegt werden, der dem Antragsteller<br />
die Geltendmachung seiner Rechte erschwert. Insbesondere in schwierigen<br />
Angelegenheiten muss die PKH bewilligt werden, weil nur eine pauschale<br />
Prüfung des Anliegens stattfinden darf, um die „Chancengleichheit“ der<br />
Parteien <strong>für</strong> das spätere Verfahren aufrecht zu erhalten. <strong>Die</strong> Ablehnung der<br />
PKH ist unanfechtbar 35 .<br />
Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, dass der Inhaftierte zur<br />
Wahrnehmung seiner Rechte anwaltliche Beratungshilfe nach dem BerHG<br />
in Anspruch nehmen kann, zumindest, wenn es sich um Gesichtspunkte<br />
handelt, die nicht unter §§ 109 ff. fallen. <strong>Die</strong>se kann bewilligt werden auch<br />
ohne dass der Antragsteller die Absicht besitzt, eine gerichtliche Entscheidung<br />
zu begehren. Dabei werden überwiegend vollzugliche Probleme mit<br />
dem Anwalt besprochen 36 .<br />
<strong>Die</strong> Beratung durch einen Ombudsmann hingegen wäre, bis auf das Briefporto,<br />
kostenlos. Er könnte die Inhaftierten auch über diese Möglichkeiten<br />
der Unterstützung informieren <strong>und</strong> sie dahingehend beraten, an wen sie<br />
sich wenden können. Denn viele der Inhaftierten scheinen nicht zu wissen,<br />
dass sie die vorgenannten Institutionen in Anspruch nehmen können.<br />
32 Koeppel in dies. Kontrolle des Strafvollzuges, individueller Rechtsschutz<br />
<strong>und</strong> generelle Aufsicht, ein Rechtsvergleich S. 237 (im weiteren Koeppel<br />
1999).<br />
33 Laubenthal (2007) Rn. 817; Eschke in ders. Mängel im Rechtsschutz gegen<br />
Strafvollstreckungs- <strong>und</strong> Strafvollzugsmaßnahmen, eine Darstellung ausgewählter<br />
Probleme mit Lösungsvorschlägen S.173 (im weiteren Eschke 1993).<br />
34 BVerfG ZfStrVO 2001, 187 (187).<br />
35 Kamann/Volckert AK-StVollzG § 120 Rn. 12, Rn.17 m.w.N..<br />
36 Laubenthal (2007) Rn. 817; Kamann/Volckart AK-StVollzG § 120 Rn. 18.
Dabei ergibt sich aus den alltäglichen Haftsituationen heraus ein erhebli-<br />
cher Bedarf an Rechtsberatung. <strong>Die</strong>sem kann die Anstalt auf Gr<strong>und</strong> der<br />
begrenzten Belastbarkeit nur bedingt nachkommen, d.h. nicht sehr um-<br />
fangreich <strong>und</strong> nur in Bezug auf „einfache“ rechtliche Fragen 37 .<br />
Doch selbst wenn sie diese Informationen besitzen scheitert es meist an den<br />
einzuhaltenden Fristen, welche es bei einer Beschwerde an den Ombuds-<br />
mann nicht gäbe. Auch können sie sich meist nicht schriftlich ausdrücken,<br />
was mit mangelnden Sprachkenntnissen, juristischem Sachverstand <strong>und</strong><br />
mangelnden Kenntnissen des Vollzugsrechts zusammenhängt 38 .<br />
Wiederum andere sehen von einer Beschwerde aus Angst vor möglichen<br />
negativen Konsequenzen ab, insbesondere solche, die in juristischen Dau-<br />
erkonflikten mit der Anstalt <strong>und</strong> ihnen dies als „Querulantentum“ entge-<br />
gengehalten wird 39 . Und diesen Stempel, so Kamann, können Inhaftierte<br />
besonders schnell aufgedrückt bekommen, insbesondere wenn der Gefange-<br />
ne „häufig auf seine Rechte pochend an die Behörde <strong>und</strong> die StVK mit Ein-<br />
gaben herantritt“ 40 .<br />
Bei der Beschwerde an den Ombudsmann hingegen müssten sie nicht mit<br />
solchen Repressalien rechnen, da ihm keine Entscheidungskompetenz zu<br />
gute kommt. <strong>Die</strong>s stellt auch zugleich einen Nachteil dar, da er nur eine<br />
Anregungskompetenz besitzt 41 .<br />
Im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren spricht andererseits <strong>für</strong> den<br />
Ombudsmann, dass er mit den Gefangenen über ihre Anliegen spricht.<br />
Auch können sie sich in seinen Sprechst<strong>und</strong>en direkt an ihn wenden ohne<br />
zuvor einen einwandfreien schriftlichen Antrag gestellt zu haben. <strong>Die</strong><br />
mündliche Verhandlung ist zwar in § 115 I vorgesehen, wird in der Praxis<br />
jedoch weitgehend nicht angewandt 42 .<br />
<strong>Die</strong> Vorteile einer mündlichen Aussprache liegen dabei auf der Hand: Der<br />
zugr<strong>und</strong>eliegende Sachverhalt bzw. die Situation kann geklärt werden, sie<br />
ist kurzfristig <strong>und</strong> mit geringen Mitteln möglich, Missverständnisse kön-<br />
nen direkt geklärt <strong>und</strong> „die psychische Belastung durch den Vollzug“ kann<br />
erleichtert werden <strong>und</strong> „dient damit [gleichzeitig] der Verwirklichung des<br />
Vollzugsziels“ 43 . Vor allem aber fühlt sich der Beschwerdeführer ernst ge-<br />
nommen.<br />
Dem Argument, dass eine persönliche Anhörung einen erheblichen Auf-<br />
wand mit sich bringt 44 kann entgegengehalten werden, dass es mit Sicher-<br />
heit auch einen erheblichen Aufwand darstellt die Akten zu lesen <strong>und</strong> wei-<br />
tere Informationen einzuberufen. Zumal es durch eine frühzeitige Aus-<br />
sprache eventuell gar nicht mehr zu einem gerichtlichen Verfahren kom-<br />
men muss, weil schon vorher eine Einigung erreichbar sein kann. Es be-<br />
stünde daneben die Gelegenheit durch die Anhörung des Gefangenen das<br />
Vorurteil zu beseitigen, dass das Gericht „Erfüllungsgehilfe der Vollzugs-<br />
37 Rotthaus NStZ 1990, 164 (165);Eschke (1993) S. 154, 158; Rotthaus in FS<br />
Blau (1985), S. 335.<br />
38 Eschke (1993) S. 175; Koeppel (1999) S. 237.<br />
39 Feest/Lesting/Selling in dies. Totale Institution <strong>und</strong> Rechtsschutz; eine<br />
Untersuchung zum Rechtsschutz im Strafvollzug S. 65 (im weiteren Feest/<br />
Lesting/Selling); Koeppel (1999) S. 237.<br />
40 Kamann in ders. Gerichtlicher Rechtsschutz im Strafvollzug, Grenzen <strong>und</strong><br />
Möglichkeiten der Kontrollen vollzuglicher Maßnahmen am Beispiel der<br />
Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Arnsberg S. 298 (im weiteren<br />
Kamann 1991).<br />
41 Koeppel (1999) S. 234.<br />
42 Vgl. u.a. Eschke (1993) . 144 f..<br />
43 Eschke (1993) S. 145; so auch Kamann/Volckart AK-StVollzG § 115 Rn. 10.<br />
44 Wagner GA 1975 S.321.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Schwerpunkte<br />
behörde“ 45 sei. Außerdem macht sich die Strafvollstreckungskammer ein<br />
wenig unabhängiger von den Informationen der Anstalt, indem sie sich ein<br />
eigenes Bild von dem Beschwerdeführer macht. Vom Umfang der Informa-<br />
tionen hängt es nämlich unter anderem ab, welchen Gestaltungsspielraum<br />
das Gericht bei seiner Entscheidung hat 46 .<br />
Besondere Bedeutung kommt dem Ombudsmann bezüglich seiner Mittler-<br />
rolle zu, wenn der Betroffene die Begründung einer Maßnahme nicht ver-<br />
steht, weil er die Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> die Entscheidung nur selten kennt <strong>und</strong> der<br />
Ombudsmann ihm diese erklären kann um möglicherweise die Entschei-<br />
dung verständlich zu machen 47 . Weiterer Vorteil einer Ombudsinstitution<br />
ist, dass durch Vermittlung zwischen dem Inhaftierten <strong>und</strong> der Anstaltslei-<br />
tung, allen ein <strong>für</strong> alle zeitaufwendiges Verfahren erspart bleibt. Das hat<br />
auch den Vorteil, dass sich die Inhaftierten eventuell in ihrer Rechtspositi-<br />
on gestärkt fühlen. Vor allem <strong>für</strong> den Bereich von alltäglichen Dingen wie<br />
Fernsehen auf der eigenen Zelle etc. ist das von besonderer Bedeutung, da<br />
auch diese wie alle anderen Bereiche von der Anstalt bestimmt werden 48 .<br />
Auch bewirke eine außergerichtliche Lösung, dass besser auf die „soziale<br />
Dimension zahlreicher (Rechts-)Konflikte im Strafvollzug“ 49 eingegangen<br />
werden kann.<br />
Vorteil eines Ombudsmannes wäre auch, dass seine Prüfungskompetenz<br />
weiter als die der Gerichte geht, da er das Verwaltungshandeln kontrollie-<br />
ren kann <strong>und</strong> sich nicht an bestimmten Verfahrensarten orientieren muss.<br />
Zudem kann er durch entsprechende Vorschläge die Reform des Vollzugs<br />
<strong>und</strong> der Vollzugsgesetzgebung anregen 50 .<br />
2. VOR- UND NACHTEILE EINES OMBUDSMANNES GEGENüBER<br />
DEN ANSTALTS-BEIRäTEN<br />
Sieht man sich die oben genannten Aufgaben des Beirates genau an, fällt<br />
einem sogleich die Ähnlichkeiten zu denen des Ombudsmannes auf, wes-<br />
halb letzterer zunächst nicht notwendig scheint 51 . Der Beirat ist somit theo-<br />
retisch das „funktionale Äquivalent“ 52 zum Ombudsmann. Allerdings sieht<br />
wie auch beim Rechtsschutz nach § 109 die Praxis anders aus als die Theorie.<br />
So können die Beiräte dahingehend unterlaufen werden, indem sich die<br />
Landesjustizbehörden bei der Besetzung des Räte einmischen <strong>und</strong> mitbe-<br />
stimmen, wer daran teilnimmt, sie entscheidet also über ihre eigenen Kon-<br />
trolleure 53 . <strong>Die</strong> Chance eine b<strong>und</strong>esgesetzliche Regelung zur Besetzung des<br />
Beirats zu erlassen ist zudem durch die Föderalismusreform dahingehend<br />
vertan, da die Gesetzgebungskompetenz <strong>für</strong> den Strafvollzug nun bei den<br />
Ländern liegt <strong>und</strong> sie nach wie vor über die Zusammensetzung entscheiden<br />
dürfen. Von Unabhängigkeit kann da keine Rede sein 54 . Wird der Ombuds-<br />
mann hingegen vom Parlament eingesetzt ist er zumindest gegenüber der<br />
Justizbehörde unabhängig <strong>und</strong> es besteht die Möglichkeit, dass er von den<br />
Inhaftierten nicht pauschal abgelehnt wird.<br />
Ein weiteres Problem der nicht vorhandenen Vorgaben über die Auswahl der<br />
45 Rotthaus in FS <strong>für</strong> Blau (1985) S. 332.<br />
46 Vgl. Rotthaus in FS <strong>für</strong> Blau S. 331.<br />
47 Hansen (1972) S. 150.<br />
48 Koeppel (1999), S. 247.<br />
49 Feest/Lesting/Selling S. 201; Lesting, KrimJ 1993, 48 (48).<br />
50 Koeppel (1999) S. 233; Kaiser/Schöch Strafvollzug § 4 Rn. 53.<br />
51 So auch Kaiser/Kerner/Schöch Strafvollzug § 12 Rn. 16.<br />
52 vgl. Koeppel (1999) S. 175.<br />
53 Bammann/Feest in AK-StVollzG Vor §§ 162 ff Rn. 3; Koeppel (1999) S.110.<br />
54 Koeppel (1999) S. 110.<br />
27
28<br />
Schwerpunkte<br />
Mitglieder der Beiräte ist, dass diese zunächst meist über unzureichende<br />
juristische Kenntnisse bzgl. des Strafvollzuges verfügen, sodass „die Anstalt<br />
„insgeheim“ die Arbeit der Beiräte leitet“. Bammann <strong>und</strong> Feest bezeichnen<br />
die Aufgabe der Anstaltsbeiräte daher als „Alibifunktion“ 55 .<br />
Gegen eine Einführung des Ombudsmanns wird weiterhin angeführt, dass<br />
er sich außerhalb der JVA befindet <strong>und</strong> somit keinen Überblick über das<br />
Alltagsleben in der Anstalt hat <strong>und</strong> „folglich kleine Missstände im Alltägli-<br />
chen nur zufällig <strong>und</strong> wahrscheinlich noch schwerer feststellen, als dies<br />
den mit „ihrer“ Anstalt vertrauten Anstaltsbeiräten möglich wäre“ 56 . Ande-<br />
rerseits kann ihm dies gerade zugute kommen, da er nicht als „zum System<br />
gehörend“ gesehen wird.<br />
<strong>Die</strong> Beiräte können diese Missstände jedoch auch nur dann feststellen,<br />
wenn sie den Problemen des Vollzuges offen <strong>und</strong> engagiert gegenüber ste-<br />
hen 57 . Doch engagiert kann nur sein, wer auch Informationen über seine<br />
Rechte <strong>und</strong> Aufgaben erhält <strong>und</strong> sich diese nicht selbst beibringen muss 58 .<br />
So hat das Engagement von Politikern eher den Beigeschmack, dass sie nur<br />
auf Gr<strong>und</strong> ihrer Parteizugehörigkeit mit entsprechenden Einstellungen in<br />
den Beirat bestellt werden <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong> ihrer umfassenden sonstigen<br />
Aufgaben diese eher etwas weniger hingebungsvoll erledigen 59 .<br />
Andererseits wird argumentiert, dass der Ombudsmann den Anstaltsbeirat<br />
nicht ersetzen kann, da die verlangte Öffentlichkeitsarbeit nur einen klei-<br />
nen Ausschnitt des Tätigkeitsbereiches der Beiräte darstelle 60 .<br />
Gerade in Bezug auf die erwünschte <strong>und</strong> vor allem geforderte Öffentlich-<br />
keitsarbeit der Beiräte gibt es einiges zu kritisieren, denn sie findet größten-<br />
teils nicht statt. So gibt es Tätigkeitsberichte, die nicht veröffentlicht wer-<br />
den 61 oder die landesrechtlichen Verordnungen verbieten den Kontakt mit<br />
der Presse, es sei denn er findet mit Einvernehmen der Anstaltsleitung statt<br />
so bspw. in Thüringen, Brandenburg, <strong>und</strong> Rheinland-Pfalz. Allerdings<br />
sehen nach einer Untersuchung von Gerken auch nur die wenigsten Beirats-<br />
mitglieder ihre Aufgabe darin, öffentlichkeitswirksam tätig zu werden 62 .<br />
Der Ombudsmann hätte im Gegensatz zu den Beiräten jedoch die Ver-<br />
pflichtung einmal jährlich einen Bericht zu veröffentlichen <strong>und</strong> könnte<br />
dementsprechend dieser Aufgabe besser nachkommen.<br />
3. VOR- UND NACHTEILE DES OMBUDSMANNES GEGENüBER<br />
DEN SONSTIGEN BESCHWERDERECHTEN<br />
Auch bezüglich der sonstigen Beschwerderechte besitzt der Ombudsmann<br />
diesen gegenüber einige Vorteile. So besteht bei den <strong>Die</strong>nstaufsichtsbe-<br />
schwerden zunächst das Problem, dass der Beschwerdeführer tagtäglich<br />
mit seinen Aufsichtsbeamten zu tun hat <strong>und</strong> auch auf ihn angewiesen ist.<br />
Beschwert sich der Gefangene muss er mit Aversionen des angegriffenen<br />
Beamten gegen sich <strong>und</strong> andere Häftlinge rechnen 63 . Zumal die Beschwer-<br />
den meist nicht sachlich verfasst werden <strong>und</strong> somit vom Betroffenen als<br />
55 Bammann/Feest in AK-StVollzG Vor § 162 Rn. 5ff., § 162 Rn 7.<br />
56 Gerken (1986) S. 271.<br />
57 Kaiser/Kerner/Schöch Strafvollzug § 12 Rn. 12.<br />
58 Was nach Gerken (1986) S. 61 der Fall zu sein scheint.<br />
59 Koeppel (1999) S. 112.<br />
60 Münchbach in ders. Strafvollzug <strong>und</strong> Öffentlichkeit unter besonderer<br />
Berücksichtigung der Anstaltsbeiräte S. 85 (im weiteren Münchbach 1973).<br />
61 Siehe Koeppel (1999) S.111.<br />
62 Nur ein Mitglied von 7 Befragten sah dies als wichtigste Aufgabe an, vgl.<br />
Gerken (1986) S. 207.<br />
63 <strong>Die</strong>penbruck in ders. Rechtsmittel im Strafvollzug S. 48 f..<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
unberechtigter persönlicher Tadel verstanden werden kann. 64 <strong>Die</strong>penbruck<br />
merkt dazu an, dass „eine <strong>Die</strong>nstaufsichtsbeschwerde einzureichen, (...)<br />
schon einer gewissen Portion Mut“ 65 bedarf, zumal die Gefahr besteht, dass<br />
der Anstaltsleiter die Angegriffene Maßnahme eventuell <strong>für</strong> in Ordnung be-<br />
findet <strong>und</strong> dem Bediensteten generell mehr glauben schenkt als dem<br />
Beschwerdeführer 66 . Das hängt auch damit zusammen, dass gegenüber den<br />
Inhaftierten immer noch gewisse Negativ-Einstellungen bestehen, die es<br />
abzubauen gilt 67 . Der Inhaftierte kann seine Lage durch die <strong>Die</strong>nstaufsichts-<br />
behörde also nicht unbedingt verbessern. Wird jedoch ein Ombudsmann<br />
eingesetzt so können die Probleme in einem Gespräch direkt geklärt werden<br />
<strong>und</strong> auch eventuelle Missverständnisse können sofort beseitigt werden, ohne<br />
dass sich einer der beiden Beteiligten persönlich angegriffen fühlen müsste.<br />
Auch die Beschwerde bei Ausschüssen enthält etliche Nachteile gegenüber<br />
dem Ombudsmann. Denn <strong>für</strong> die Ausschüsse gilt, dass sie nur dann aktiv<br />
werden, wenn es eigentlich schon zu spät ist <strong>und</strong> medienwirksam über<br />
bestimmte Vorfälle berichtet worden ist. Sie können somit nicht den Effekt<br />
nutzen allein durch die Möglichkeit einer Kontrolle die Verwaltung zu opti-<br />
mieren 68 <strong>und</strong> besitzen kein Eigeninitiativrecht.<br />
Im Gegenteil zu den Ausschüssen hat der Ombudsmann zudem den Vorteil,<br />
dass es sich bei ihm nicht um jemanden anonymes handelt, „sondern als<br />
konkrete Einzelperson zur Verfügung steht“ 69 <strong>und</strong> auch nicht durch Wahlen<br />
bedingten personellen Veränderungen unterliegt, wodurch eher eine Vertrau-<br />
ensbasis entstehen könnte. Ferner ist er unabhängig von Parteien <strong>und</strong> Frak-<br />
tionen <strong>und</strong> unterliegt keinerlei versteckten Fraktionszwängen. Daher ist eine<br />
objektive <strong>und</strong> neutrale Behandlung der Angelegenheit durch einen Ombuds-<br />
mann wahrscheinlicher als durch einen Ausschuss. Denn, so stellt Franke fest,<br />
bei vielen Abstimmungen „werden letztlich den parteipolitischen Mehrheits-<br />
verhältnissen gemäß entschieden“ 70 .<br />
Auf Gr<strong>und</strong> der Zusammensetzung aus etlichen Mitgliedern benötigen die<br />
Ausschüsse einen erheblichen Zeitrahmen um eine Entscheidung treffen bzw.<br />
sich verständigen zu können71 .<br />
Daneben besteht bei Ausschussmitgliedern bezüglich der Arbeitsauslastung<br />
ein ähnliches Problem wie bei den Richtern der Strafvollstreckungskammern,<br />
sie sind nicht nur in einem Ausschuss tätig, sondern gehören noch weiteren<br />
an <strong>und</strong> müssen auch noch Fraktionsarbeit leisten72 .<br />
Der Ombudsmann ist daher als unpolitische Instanz eine Alternative zu den<br />
Ausschüssen, der allein durch seine Besuche in den Anstalten <strong>und</strong> seine regelmäßigen<br />
Sprechst<strong>und</strong>en „näher am Bürger“ ist. Da er unabhängig von den<br />
Parlamenten etc. ist hat er zudem den Vorteil, dass er sich nicht um die Kontrolle<br />
der Funktionserfüllung der Regierung kümmern muss73 , sondern er<br />
kann unmittelbar die Verwaltungstätigkeit kontrollieren.<br />
64 Kaiser/Kerner/Schöch Strafvollzug § 8 Rn. 8.<br />
65 <strong>Die</strong>penbruck Rechtsmittel im Strafvollzug S. 48.<br />
66 <strong>Die</strong>penbruck Rechtsmittel im Strafvollzug S. 49; Kamann/Volckart in AK-<br />
StVollzG § 108 Rn. 15.<br />
67 Eschke (1993) S. 140 m.w.N..<br />
68 Franke in ders. Ein Ombudsmann <strong>für</strong> Deutschland? S. 91.<br />
69 Franke in ders. Ein Ombudsmann <strong>für</strong> Deutschland? S. 215.<br />
70 Franke in ders. Ein Ombudsmann <strong>für</strong> Deutschland? S. 71.<br />
71 Vgl. auch Franke in ders. Ein Ombudsmann <strong>für</strong> Deutschland? S. 69.<br />
72 Matthes (1981) S. 82 f.<br />
73 Vgl. Wild (1970) S. 118.
4. ALTERNATIVEN ZUM OMBUDSMANN: RICHTER ALS MEDIATOR?<br />
Statt der Einführung einer neuen Institution könnten auch die bisherigen<br />
Möglichkeiten des Inhaftierten seine Rechte geltend zu machen <strong>und</strong> die Haft-<br />
bedingungen zu verbessern, reformiert werden. Um somit einen Ombuds-<br />
mann überflüssig zu machen. Auch diese Alternativen sollen mit Hinblick auf<br />
ihre Vor- <strong>und</strong> Nachteile zum Ombudsmann betrachtet werden.<br />
Überlegungen könnten bspw. dahingehend gemacht werden, den Richter der<br />
StVK als Mediator einzubinden, anstatt einer neuen Institution wie den Om-<br />
budsmann da<strong>für</strong> einzusetzen. Doch auch hier spricht zunächst das Zeitargu-<br />
ment dagegen, insbesondere wenn es darum gehen soll, dem Gefangenen<br />
auch eine gleichzeitige Rechtsberatung zu gewähren. Da<strong>für</strong>, so Kamann, sei<br />
nicht einmal „in durchschnittlichen Sachen (...) die nötige Ruhe <strong>und</strong> Zeit“ 74 .<br />
Desgleichen dürfte sich auch die Anstaltsleitung zur Wehr setzen, wenn der<br />
Richter dem Gefangenen erst eine umfassende Rechtsberatung erteilt <strong>und</strong><br />
dann anschließend über seine Beschwerde entscheiden soll 75 .<br />
Das Problem der Form- <strong>und</strong> Fristeinhaltung kann jedoch auch nicht mit Hilfe<br />
eines Mediators gelöst werden, sofern der Gefangene sich erst nach abgelau-<br />
fener Frist an ihn wendet 76 .<br />
Überlegungen könnten lediglich dahingehend gemacht werden, dass der<br />
Richter im Rahmen der Mediation auf Vergleichsabschlüsse abzielen sollte.<br />
Solche können jedoch nur zustande kommen, wenn den Anstalten bei ihrer<br />
Entscheidung auch ein Ermessen zusteht. <strong>Die</strong>s dürfte allerdings, wie oben<br />
dargestellt, das geringste Problem darstellen, da es sich bei den meisten Ent-<br />
scheidungen um solche mit Ermessen handelt.<br />
Gegen ein Mediationsverfahren spricht ferner, dass sich bei der Mediation<br />
möglichst auf einer Ebene stehende Konfliktpartner gegenüber stehen sollten,<br />
wovon beim Verhältnis Gefangener <strong>und</strong> Anstalt nicht ausgegangen werden<br />
kann. So könnte es vorkommen, dass sich bspw. Abteilungsleiter nicht wie<br />
Verfahrensbeteiligte aufführen sondern wie „ein Vorgesetzter, den ein Unter-<br />
gebener unrechtmäßigerweise zur Rechenschaft zu ziehen sucht“ 77 . Auch die<br />
Möglichkeit an Autorität zu verlieren, sofern man Zugeständnisse machen<br />
sollte, könnte eher dazu führen, dass man nicht von gleichberechtigten<br />
Konfliktparteien sprechen kann. Schon gar nicht, wenn die Gefangenen<br />
(natürlich) jede noch so kleine „Niederlage“ der Anstalt - auch wenn sich<br />
nichts an der Situation ändern sollte - bejubelt wird 78 . Es herrscht also gr<strong>und</strong>-<br />
sätzlich ein Klima des Misstrauens, das es gilt abzubauen.<br />
Hinzu kommt, dass die Anstalt insbesondere dann kein Interesse an einem<br />
Vergleich zu haben scheint, wenn sie da<strong>für</strong> zu einer Anhörung vor die StVK<br />
muss anstatt alles schriftlich abzuwickeln, was Arbeit ersparen würde 79 . Und<br />
nicht nur Arbeit würde es sparen, auch kann es nur von Vorteil sein, wenn es<br />
ein rein schriftliches Verfahren gibt, wenn man bedenkt, dass die meisten In-<br />
haftierten wie oben bereits erwähnt sich nicht schriftlich ausdrücken können.<br />
<strong>Die</strong> Anstalt würde also durch ein schriftliches Verfahren „alle Karten in der<br />
Hand behalten“ 80 . Der Richter kann daher nicht tiefer in den „Definitionsbe-<br />
reich der totalen Institution (...) eindringen“ 81 . Eine Mediation durch den Rich-<br />
74 Kamann KrimJ 1993, 13 (17).<br />
75 Vgl. Kamann KrimJ 1993, 13 (17).<br />
76 Kamann KrimJ 1993, 13 (15 f.).<br />
77 Kamann KrimJ 1993, 13 (21).<br />
78 Kamann KrimJ 1993, 13 (18 ff.).<br />
79 Kamann (1991) S. 208.<br />
80 Kamann (1991) S. 81.<br />
81 Kamann (1991) S. 212.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Schwerpunkte<br />
ter bzw. eine Vergleichslösung scheint daher nicht möglich. Und das, obwohl<br />
eine Untersuchung zum Strafvollzug ergab, dass Aushandlungsprozesse in<br />
Anstalten üblich seien, <strong>und</strong> eine Kompromisslösung durchaus möglich sei. 82<br />
Eventuell kann diese jedoch durch den Ombudsmann erreicht werden. Der<br />
eigentliche Nachteil, dass er keine Entscheidungsbefugnis hat könnte hier<br />
zum Vorteil werden. <strong>Die</strong> Anstaltsleitung kann die Anregungen annehmen<br />
oder auch nicht, ihr wird die Entscheidung jedoch nicht wie vom Gericht<br />
aufgezwungen. Und vielleicht ist sie so auch eher bereit einen Kompromiss zu<br />
suchen.<br />
Weiterhin verlangt ein Mediationsverfahren ein erhebliches Maß an Einfüh-<br />
lungsvermögen <strong>und</strong> Sachkenntnis der StVK, was zumindest Kamann bei eini-<br />
gen Richtern der StVK anzweifelt, zumal es sich meist obendrein um Richter<br />
aus anderen rechtlichen Bereichen handelt, die quasi in die StVK „zwangsver-<br />
setzt“ wurden weil sich sonst niemand <strong>für</strong> das Amt finden konnte 83 . <strong>Die</strong>se<br />
setzen alles daran um möglichst schnell das Ressort zu wechseln, was zu er-<br />
heblichen Wechseln in der Besetzung führt, sodass sie nicht die spezifischen<br />
kriminologischen <strong>und</strong> strafvollzugswissenschaftlichen Erfahrungen <strong>und</strong><br />
Kenntnisse erlangen können 84 .<br />
Dabei es würde vermutlich schon ausreichen, wenn der Richter ein Einzelge-<br />
spräch mit dem Gefangenen führen würde, um ihm „die rechtliche Aussichts-<br />
losigkeit seines Antrags nachvollziehbar zu erklären“ 85 <strong>und</strong> so vielleicht auch<br />
da<strong>für</strong> zu sorgen, dass der Inhaftierte, wenn alle Missstände geklärt sind, sei-<br />
nen Antrag zurücknimmt. Mit Hilfe eines unabhängigen Ombudsmannes<br />
könnten sie hingegen eine Kompromisslösung direkt mit der Anstalt ausar-<br />
beiten <strong>und</strong> müssten diese Ängste nicht ausstehen.<br />
5. ZUSAMMENFASSUNG<br />
Es lässt sich also zusammenfassend sagen, dass es scheinbar kein von der Voll-<br />
zugsbehörde unabhängiges Inspektionsgremium gibt. Und es trotz einem<br />
umfangreichen Rechtsschutzsystems nicht gelingt, den Gefangenen das Ge-<br />
fühl zu vermitteln nach „Recht <strong>und</strong> Gesetz behandelt zu werden“ 86 .<br />
III. AUFGABEN EINES OMBUDSMANNES IM STRAFVOLLZUG<br />
Nach dieser allgemeinen Darstellung soll nun kurz skizziert werden, wie die<br />
Aufgaben eines Ombudsmannes im Strafvollzug ausgestaltet sein sollen um<br />
den besonderen Verhältnissen in den Justizvollzugsanstalten gerecht werden<br />
zu können.<br />
So muss der Ombudsmann gr<strong>und</strong>sätzlich zwei Aufgaben nachkommen, zum<br />
einen dem Gr<strong>und</strong>rechtsschutz <strong>und</strong> zum anderen die Kontrolle des Verwal-<br />
tungshandelns. Insoweit unterscheiden sich die Anforderungen nicht zu den<br />
oben genannten Institutionen. Auch in dem ihm einzuräumendem Recht auf<br />
Akteneinsicht, Auskunftsrecht <strong>und</strong> Anwesenheitsrecht 87 bestehen keine Un-<br />
terschiede.<br />
82 Vgl. Feest/Lesting/Selling (1997) S. 77.<br />
83 Müller-<strong>Die</strong>tz in Eser/Kaiser (Hrsg.): Zweites deutsch-ungarisches Kolloqium<br />
über Strafrecht <strong>und</strong> Kriminologie; Strafrechtsreform, Strafver-fahrensrecht,<br />
Wirtschafts- <strong>und</strong> Umweltstrafrecht; Strafvollstreckungsrecht S. 294 (im<br />
weiteren Müller-<strong>Die</strong>tz 1995; vgl. Kamann (1991) S.17.<br />
84 Laubenthal Strafvollzug Rn. 833.<br />
85 Laubenthal Strafvollzug Rn. 836.<br />
86 Vgl. Rotthaus FS <strong>für</strong> Blau (1985), S. 335.<br />
87 Kretschmar, ZfStrVO 2005,217 (220 f.); Lesting KrimJ 1993, 48 (52 f.).<br />
29
30<br />
Schwerpunkte<br />
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Johannes Gutenberg-Universität zum WS 2011/12 den akkreditierten<br />
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Ergänzend zu den Gerichten kann er die gesamte Behörde kontrollieren, da<br />
mehr Anstaltsnähe besteht. Zudem kann er durch seine Gespräche mit den<br />
Inhaftierten eine Art „kostenlosen Rechtsschutz“ 88 bieten. Dabei soll er je-<br />
doch nur eine Vermittlungsinstanz darstellen <strong>und</strong> keine Konfliktentscheidungskompetenz<br />
besitzen89 .<br />
Weiterhin wird eingeräumt, dass ein Klagerecht „zwecks Klärung gr<strong>und</strong>sätzlicher<br />
Fragen sinnvoll“ sei, um die Lasten <strong>und</strong> Risiken einer Klage <strong>für</strong> Gefangene<br />
zu vermindern <strong>und</strong> zudem auf eine „Generalisierung der erstrittenen<br />
gerichtlichen Entscheidung“ hinwirken zu können. Dadurch soll als primäres<br />
Ziel vor allem die Transparenz erhöht, die Selbstkontrolle der Verwaltung gestärkt<br />
werden90 .<br />
Der Vollzugsombudsmann soll dabei als „Vertreter des Strafvollzuges“ gesehen<br />
werden <strong>und</strong> dementsprechend nicht von der Justizverwaltung, sondern<br />
wie auch bspw. der Bürgerbeauftragte vom Parlament als „Hilfsorgan“ des<br />
Parlaments ernannt werden. Schließlich, so Kretschmer, soll der Vollzugsombudsmann<br />
„dem Strafgefangenen einen zugänglichen, unabhängigen <strong>und</strong> effektiven<br />
Weg zur Lösung seiner Beschwerden (...)gewähren <strong>und</strong> zu einem<br />
gerechten <strong>und</strong> humanen Strafsystem“ 91 beitragen <strong>und</strong> nicht als einer der „zum<br />
System“ gehört gesehen werden.<br />
D. FAZIT<br />
<strong>Die</strong> Einrichtung eines Vollzugsombudsmannes scheint somit eine notwendige<br />
Ergänzung zum bisherigen Rechtsschutz zu sein. Dabei soll er nicht wie<br />
teilweise be<strong>für</strong>chtet bisherige Organisationen verdrängen oder gegenstandslos<br />
werden lassen sondern er kontrolliert die Art <strong>und</strong> Weise des Machtgebrauchs<br />
der Anstalt, um in der Vergangenheit gemachte Fehler zu beheben<br />
aber vor allem um gegenwärtige Konflikte abzubauen <strong>und</strong> keine neuen entstehen<br />
zu lassen. 92 Seine Kontrollfunktion besteht also nicht darin, die Rechtmäßigkeit<br />
oder Angemessenheit bestimmter Maßnahmen zu überprüfen.<br />
Vielmehr steht er außerhalb der Staatsgewalten.<br />
88 Lesting KrimJ 1993, 48 (53).<br />
89 Kretschmar, ZfStrVO 2005, 217 (220).<br />
90 Lesting KrimJ 1993, 48 (53f.)<br />
91 Kretschmar, ZfStrVO 2005, 217 (222).<br />
92 Vgl. Hansen (1972) S. 174.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Er könnte sich also insbesondere in nicht juristischen Bereichen <strong>und</strong> Situationen<br />
als „bedeutsam <strong>und</strong> unersetzlich“ erweisen zumal sich gezeigt habe, dass<br />
Ombudsmänner eben gerade in solchen Ländern erfolgreich wirken können,<br />
in denen sich die Verwaltung <strong>und</strong> Rechtsprechung auf hohem Niveau befindet,<br />
da er ansonsten mit Eingaben überschwemmt <strong>und</strong> dadurch seine Tätigkeit<br />
gelähmt werden würde93 .<br />
Ob der Ombudsmann Erfolg bei seiner Arbeit hat oder nicht hängt neben<br />
seiner Persönlichkeit auch von dem Maß der Unterstützung ab, die er von der<br />
Behörde, den Parlament <strong>und</strong> der Öffentlichkeit erhält94 .<br />
Vor allem muss er den Spagat schaffen sowohl auf die Interessen des Anstaltspersonals<br />
als auch auf die Probleme der Inhaftierten einzugehen. Gerade im<br />
Hinblick auf das Personal muss er verhindern, nicht als „Anwalt der Inhaftierten“<br />
abgestempelt zu werden. Ansonsten kann er ebenfalls keinen von<br />
beiden Seiten akzeptierter Vermittler sein.<br />
Denn das Hauptproblem der Anstalten sind mangelnde Kommunikation <strong>und</strong><br />
das nicht vorhandene Verständnis der jeweiligen Parteien <strong>für</strong> die andere. Erst<br />
wenn diese Probleme gelöst wurden, können sich die Lebensbedingungen <strong>für</strong><br />
die Inhaftierten verbessern.<br />
Sicherlich könnte auch eine Reformation des Strafvollzuggesetzes einiges<br />
dazu beitragen die Haftsituation zu verbessern. Gerade durch die Föderalismusreform<br />
sollte sich die Möglichkeit bieten die Kompetenzen bspw. der Anstaltsbeiräte<br />
neu zu gestalten <strong>und</strong> den jeweiligen verschiedenen Anstaltstypen<br />
anzupassen. Auf jeden Fall bietet sich Möglichkeit durch die Berichte des<br />
Ombudsmannes die Haftbedingungen transparenter zu machen um die<br />
Öffentlichkeit besser zu informieren <strong>und</strong> so Vorurteile gegenüber Strafgefangenen<br />
abzubauen.<br />
Schon der erste Bericht des Vollzugsombudsmannes Söhnchen im Jahr 2008<br />
zeigte, wo die Probleme liegen: bei fehlender Chancengleichheit <strong>und</strong> Ungleichbehandlungen<br />
sowohl von Bediensteten als auch Inhaftierten95 . Daran scheint<br />
sich auch nach einem weiteren Jahr nichts bzw. nur wenig geändert zu haben.<br />
Söhnchen kritisiert diesbezüglich die etwas langsamen Reaktionen des Ministeriums<br />
<strong>und</strong> hat in diese Richtung seine Tätigkeit ausgeweitet96 .<br />
Ob sich die Institution bewährt bleibt also abzuwarten. Auf jeden Fall scheint<br />
die Einführung eines Ombudsmannes neben den bestehenden Institutionen<br />
derzeit zumindest als Chance um die Haftbedingungen etwas erträglicher zu<br />
machen. Zumal die Aufgaben des Ombudsmannes in alle Richtungen offen<br />
sind <strong>und</strong> gegebenenfalls erweitert werden können.<br />
Durch diese „individuelle“ Gestaltungsmöglichkeiten kann der Ombudsmann<br />
„Lücken im jeweiligen System der staatlichen Rechtskontrolle ausgleichen<br />
<strong>und</strong> damit zur Verbesserung des individuellen Rechtsschutzes“ 97 der<br />
Inhaftierten beitragen.<br />
93 Hansen (1972) S. 172.<br />
94 Hansen (1972) S. 173.<br />
95 Tätigkeitsbericht 2007/2008 S. 49.<br />
96 Vgl. Der Ombudsmann <strong>für</strong> den Justizvollzug Nordrhein-Westfalen, Jahresbericht<br />
2008/2009, S. 65 ff.; URL: http://www.ombudsmann-justizvollzug. nrw.<br />
de/service/Infomaterial/Taetigkeitsbericht_2009.pdf (Download am 11.04.2009).<br />
97 Kucsko-Stadlmayer in dieselbe: Europäische Ombudsinstitutionen: eine<br />
rechtsvergleichende Untersuchung zur vielfältigen Umsetzung einer Idee,<br />
S. 70.
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Schwerpunkte<br />
wirtschaftliche Regulierung eines liberalisierten Marktes –<br />
ein immanenter widerspruch?<br />
von Rechtsreferendar Marcel Dahlke (Wuppertal)<br />
Das Wettbewerbsrecht ist die Schnittstelle von Rechtswissenschaft <strong>und</strong><br />
Wirtschaftswissenschaftt. Durch diese Kombination muss der sich dieser<br />
Materie widmende Jurist nicht nur die gesetzlichen Regelungen des<br />
Wettbewerbsrechts beherrschen, sondern vor allem den wirtschaftlichen<br />
Hintergr<strong>und</strong> dieser Gesetze verstehen lernen. Für den wirtschaftlich inter-<br />
essierten Studenten im Haupt<strong>stud</strong>ium ist diese dynamische <strong>und</strong> innovative<br />
Rechtsmaterie im Schwerpunktbereichs<strong>stud</strong>ium eine willkommene Ab-<br />
wechslung zu dem altbewährten Pflichtfachstoff.<br />
A. EINFüHRUNG<br />
Ende September 2010 gab das Europäische Parlament grünes Licht <strong>für</strong> die<br />
Schaffung einer europäischen Finanzmarktaufsicht, indem es dem europä-<br />
ischen Finanzaufsichtspaket zustimmte. Es folgte damit, nach einjährigem<br />
Ringen mit den Mitgliedsstaaten, dem Beschluss der Europäischen Kommis-<br />
sion, die Finanzmärkte in Zukunft stärker europäisch zu beaufsichtigen, um<br />
etwaigen zukünftigen Finanzkrisen effizient <strong>und</strong> zentral entgegensteuern<br />
zu können. Zu diesem Zweck gehen aus den bereits bestehenden Koordina-<br />
tionsausschüssen drei neue Aufsichtsbehörden hervor. <strong>Die</strong> Europäische<br />
Aufsichtsbehörde <strong>für</strong> das Versicherungswesen <strong>und</strong> die betriebliche Alters-<br />
versorgung wird in Frankfurt, die Europäische Bankenaufsichtsbehörde in<br />
London <strong>und</strong> die Europäische Wertpapieraufsicht in Paris ansässig sein.<br />
<strong>Die</strong>se sollen da<strong>für</strong> Sorge tragen, dass die EU-Finanzmarktregeln in Europa<br />
einheitlich angewandt werden. Zudem wird ein Europäischer Ausschuss<br />
<strong>für</strong> Systemrisiken (ESRB) eingerichtet, welcher als eine Art Frühwarn-<br />
system die Finanzmärkte beobachtet.<br />
Im November 2010 verabschiedeten die G-20 Staaten die neuen Risikovor-<br />
schriften des Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) im südko-<br />
reanischen Seoul. <strong>Die</strong>ses unter Basel III geläufige Regelwerk sieht eine<br />
gesetzlich vorgeschriebene Eigenkapitalerhöhung von Banken vor, um<br />
durch die Erhöhung des Kapitalgr<strong>und</strong>stocks ihre Robustheit gegenüber<br />
etwaigen Kreditausfällen zu stärken. Einen ersten Richtlinienentwurf will<br />
die Europäische Kommission im März 2011 vorlegen. Wobei EU-Binnen-<br />
marktkommissar Michel Barnier erklärte, die neuen Regeln könnten nur<br />
funktionieren, wenn sie weltweit gleichzeitig einheitlich eingeführt würden.<br />
Darüber hinaus möchte die Europäische Kommission den Handel mit risikoreichen<br />
Finanzprodukten wie Derivaten <strong>und</strong> Leerverkäufen in Zukunft<br />
unter Kontrolle bringen. So machte EU-Binnenmarktkommissar Michel<br />
Barnier am 15.09.10 in Brüssel deutlich, dass es künftig verbindliche<br />
EU-Standards <strong>für</strong> solche Finanzprodukte geben werde <strong>und</strong> erklärte dazu:<br />
„Auf Finanzmärkten darf es nicht zugehen wie im Wilden Westen“ 1 .<br />
Ist diese Entwicklung nun als Regulierung des Finanzsektors im Sinne<br />
einer Wirtschaftsregulierung zu verstehen? Was bedeutet überhaupt Wirtschaftsregulierung?<br />
1 „EU setzt auf Transparenz statt auf Verbote“, in: Handelsblatt, 16.09.10.<br />
Marcel Dahlke ist Rechtsreferendar am Landgericht Wup-<br />
pertal <strong>und</strong> arbeitet in Nebentätigkeit bei der Wirtschafts-<br />
kanzlei Runkel Schneider Weber. An der Rheinischen<br />
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn <strong>stud</strong>ierte der Autor<br />
Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt öffentliches<br />
Wirtschaftsrecht.<br />
I. DER REGULIERUNGSBEGRIFF<br />
Der Begriff der Regulierung war dem herkömmlichen deutschen Wirtschaftsverwaltungsrecht<br />
fremd. Erst im Jahre 1990 tauchte der Begriff der<br />
Regulierung in Zusammenhang mit der Liberalisierung <strong>und</strong> Privatisierung<br />
des Telekommunikationssektors auf. 2<br />
In den Natur- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften versteht man unter Regulierung<br />
sehr allgemein die kontrollierte Einwirkung auf gegebene Ordnungen oder<br />
Vorgänge. Ähnlich weit fassen die Wirtschaftswissenschaftler diesen<br />
Begriff auf, er wird dort als jegliche staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft<br />
verstanden.<br />
<strong>Die</strong> Schaffung von Aufsichtsbehörden <strong>und</strong> neuer Gesetze wäre somit<br />
sowohl aus natur-, sozial- <strong>und</strong> wirtschaftswissenschaftlicher Sicht als<br />
Regulierung zu qualifizieren. <strong>Die</strong>se Sichtweise wird als so genannter „weiter<br />
Regulierungsbegriff“ formuliert.<br />
Im juristischen Kontext wird dagegen der „enge Regulierungsbegriff“<br />
bevorzugt. Zusammenhängend mit der oben genannten Liberalisierung<br />
<strong>und</strong> Privatisierung des Telekommunikationssektors <strong>und</strong> damit einherge-<br />
hend mit dem Übergang von „leistungsgewährendem zu leistungsgewähr-<br />
leistendem Staat“ 3 entwickelte sich unter den <strong>Juristen</strong> ein Verständnis von<br />
Regulierung, welches ein Instrumentarium des modernen Wirtschaftsver-<br />
waltungsrechts beschreibt, mit dem in liberalisierte netzgeb<strong>und</strong>ene Wirt-<br />
schaftssektoren asymmetrisch regulierend von Seiten des Staates eingegrif-<br />
fen wird, um künstlich eine „Als-ob-Wettbewerbssituation“ zumindest<br />
„transitorisch“ 4 zu erzeugen, bis ein funktionsfähiger, also „nachhaltiger“<br />
(§ 2 II 2. Hs. TKG) Wettbewerb auf Märkten in diesen Wirtschaftssektoren<br />
hergestellt ist.<br />
Sollte im Zuge der Entwicklung funktionsfähiger Wettbewerb auf den ein-<br />
zelnen Märkten entstehen, reicht dann eine Anwendung der allgemeinen<br />
Vorschriften zum Schutz des Wettbewerbs, im Wesentlichen des GWB, auf<br />
2 M. Ruffer, Regulierung im System des Verwaltungsrechts – Gr<strong>und</strong>strukturen<br />
des Privatisierungsfolgerechts der Post <strong>und</strong> Telekommunikation, AöR 124<br />
(1999), S. 237f.<br />
3 G.F. Schubert, in: König/Benz, Privatisierung <strong>und</strong> staatliche Regulierung,<br />
Baden-Baden 1997, S. 539 f.<br />
4 So: Möschel, MMR 2007, S. 243.<br />
31
32<br />
Schwerpunkte<br />
diesen Märkten aus. 5 Folglich ist die asymmetrische Regulierung in diesen<br />
Wirtschaftssektoren notwendig, um langfristig die Deregulierung des In-<br />
cumbent 6 zu bewirken.<br />
<strong>Die</strong>ser ordnungspolitische Paradigmenwechsel beruht auf der ökonomi-<br />
schen <strong>und</strong> politischen Einsicht, dass in den volkswirtschaftlich bedeuten-<br />
den netzgeb<strong>und</strong>enen Wirtschaftssektoren, wie der Telekommunikation,<br />
aber auch der Post- <strong>und</strong> Energiewirtschaft sowie der Eisenbahn durch<br />
staatliche Regulierungsmaßnamen nachhaltiger Wettbewerb geschaffen<br />
werden kann.<br />
Bei „Regulierung“ handelt es sich folglich um ein Ordnungsinstrument des<br />
leistungsgewährenden Staates, welches im Wirtschaftsverwaltungsrecht zu<br />
einem besonderen Begriff <strong>für</strong> die moderne staatliche Steuerung liberali-<br />
sierter Wirtschaftszweige geworden ist 7 .<br />
II. ZWISCHENERGEBNIS<br />
Eine derartige staatliche Steuerung wird im Finanzsektor jedoch nicht an-<br />
gestrebt. Hierbei handelt es sich lediglich um die Bestrebung, neue Rah-<br />
menbedingen <strong>und</strong> neue Aufsichtsbehörden zu schaffen. Schaffung von<br />
Wettbewerb ist nicht Gegenstand dieser Maßnahmen.<br />
Daher ist der Begriff der wirtschaftlichen Regulierung auf Netzindustrien<br />
beschränkt.<br />
B. WETTBEWERB DURCH LIBERALISIERUNG, PRIVATISIE-<br />
RUNG UND REGULIERUNG<br />
Warum wird in den Netzindustrien zusätzlich zur Liberalisierung <strong>und</strong><br />
Privatisierung eine hoheitlich gesteuerte Regulierung vorgenommen?<br />
I. LIBERALISIERUNG<br />
Liberalisierung bezeichnet allgemein die Rücknahme oder Abschwächung<br />
bisher bestehender gesetzlicher Regelungen oder anderweitiger Verordnun-<br />
gen <strong>und</strong> Verhaltensvorschriften. 8<br />
<strong>Die</strong> Liberalisierung der oben bereits aufgeführten Netzindustrien führt<br />
allgemein zu der Aufhebung der in diesen Wirtschaftssektoren typischen<br />
Monopolrechte, welche in erster Linie mit der Daseinsvorsorge gerecht-<br />
fertigt wurden.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich werden Wirtschaftssektoren liberalisiert, um dort Wettbe-<br />
werb zu schaffen.<br />
II. PRIVATISIERUNG<br />
Privatisierung bezeichnet die Veräußerung <strong>und</strong> Umwandlung hoheitlichen<br />
5 Möschel, in: MMR 2007, S. 343; Holznagel/Enaux/Nienhaus, Telekommunikationsrecht,<br />
2. Aufl., Rn. 138f.<br />
6 Das ehemalige Monopolunternehmen.<br />
7 Bullinger, in: DVBL 2003, S. 1357.<br />
8 Schubert, Klaus/Martina Klein, Das Politiklexikon, 4.Aufl.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Vermögens in Privateigentum. 9 So sieht Art. 87f II GG vor, dass Telekom-<br />
munikationsdienstleistungen in privatwirtschaftlicher Form durch die<br />
Deutsche Telekom AG <strong>und</strong> andere Anbieter erbracht werden, so genanntes<br />
Privatisierungsgebot. 10<br />
III. WETTBEWERB ALS GEMEINSAMES ZIEL<br />
<strong>Die</strong> Ziele der Wirtschaftsregulierung sowie der Liberalisierung sind iden-<br />
tisch, die Schaffung von nachhaltigem Wettbewerb in den jeweiligen Wirt-<br />
schaftssektoren.<br />
IV. WETTBEWERB<br />
Wettbewerb bezeichnet allgemein das Konkurrieren, also ein antagonis-<br />
tisches Verhalten 11 verschiedener Unternehmen um die Gunst ihrer Abneh-<br />
mer bzw. ihrer Lieferanten. 12 Dabei sind die Begriffe „Wettbewerb“ <strong>und</strong><br />
„Konkurrenz“ nach dem Klassiker der Ökonomie, Adam Smith, im Sinne<br />
einer Wettkampfrivalität - vergleichbar mit der des sportlichen Wettstreits - 13<br />
zu verstehen, die aber ihrerseits von gewissen Bedingungen abhängt. 14<br />
Hintergr<strong>und</strong> dieser Bestrebung ist die Erkenntnis, dass ein auf dem<br />
Wettbewerbsprinzip basierendes Wirtschaftssystem aufgr<strong>und</strong> des imma-<br />
nenten Konkurrenzdrucks <strong>und</strong> der damit einhergehenden Anreizmecha-<br />
nismen das effektivste Wirtschaftssystem ist, um wirtschaftliche Ziele <strong>und</strong><br />
vor allem gemeinschaftlichen Wohlstand <strong>und</strong> technischen Fortschritt zu<br />
erreichen.<br />
1. Ex-POST AUFSICHT<br />
Auf einem lediglich liberalisierten Wirtschaftssektor halten sich der deut-<br />
sche Staat <strong>und</strong> die EU aus dem Konkurrieren der einzelnen Unternehmen<br />
auf einem bestimmten Markt heraus. Das Kartellrecht des B<strong>und</strong>es, dass<br />
GWB <strong>und</strong> das der EU, der AEUV, verfolgen das Ziel, wirksamen Wettbe-<br />
werb zu schützen. Dabei geht es nur um die Erhaltung einer Plattform, dem<br />
so genannten level playing field <strong>für</strong> antagonistisches Konkurrenzverhalten<br />
<strong>und</strong> darum, die Fairness der Wettbewerber im Konkurrenzkampf durch<br />
kompetente Wettbewerbsbehörden zu beaufsichtigen. Es erfolgt also<br />
lediglich eine Ex-post Aufsicht durch die Kartellbehörden. <strong>Die</strong> staatlichen<br />
„Schiedsrichter“ sind zwar mit geeigneten Sanktionsmöglichkeiten 15 <strong>für</strong><br />
den Fall von Regelverstößen ausgestattet, sie sind aber nicht <strong>für</strong> die<br />
Schaffung bestimmter - wirtschaftspolitisch erwünschter - Marktzustände<br />
zuständig. 16<br />
9 Schubert, Klaus/Martina Klein, Das Politiklexikon, 4.Aufl.<br />
10 Holznagel/Enaux/Nienhaus, Telekommunikationsrecht, 2. Aufl., Rn. 554.<br />
11 I. Schmidt, Wettbewerbspolitik <strong>und</strong> Kartellrecht, 8.Aufl., S.1f.<br />
12 Der Vollständigkeit halber ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine allgemein<br />
akzeptierte Wettbewerbsdefinition aber nicht existiert. Vgl. dazu: Herzdina,<br />
Wettbewerbspolitik, 5.Aufl., S. 96; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht,<br />
2. Aufl., § 2 Rn. 75.<br />
13 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., § 2 Rn. 94;<br />
Herzdina, Wettbewerbspolitik, 5.Aufl., S. 88.<br />
14 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 1 Rn. 18.<br />
15 Z.B. mit der Möglichkeit zur Erteilung von Abstellungsverfügungen, Bußgeldern,<br />
Erlösabschöpfungen, usw.<br />
16 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 1 Rn. 27.
Sowohl das deutsche als auch das europäische Kartellrecht wenden sich<br />
zwar gegen den Missbrauch von Marktmacht, aber nicht gegen die Inneha-<br />
bung einer significant market power (SMP) Stellung als solche.<br />
2. Ex-ANTE REGULIERUNG<br />
Im Gegensatz zur Ex-post Aufsicht der Kartellbehörden wirkt die Regulie-<br />
rungsbehörde, die B<strong>und</strong>esnetzagentur, durch Wirtschaftsregulierung,<br />
Ex-ante auf das SMP-Unternehmen in dem konkreten netzgeb<strong>und</strong>enen<br />
Wirtschaftssektor auf einen ganz bestimmten Markt ein.<br />
3. RECHTFERTIGUNG DER REGULIERUNG<br />
a) <strong>Die</strong> ökonomische Erkenntnis<br />
Das staatliche Ordnungsinstrument der Wirtschaftsregulierung wird in<br />
einer freien Marktwirtschaft im Gegensatz zur Zentralverwaltungswirt-<br />
schaft 17 nur ganz punktuell eingesetzt, um Wettbewerb auf bestimmten<br />
netzgeb<strong>und</strong>enen Wirtschaftssektoren zu schaffen, wo er sonst durch bloße<br />
Liberalisierung <strong>und</strong> Privatisierung nicht entstehen würde. <strong>Die</strong> sektorspezi-<br />
fische Regulierung wird daher als notwendige ökonomische Absicherung<br />
der Liberalisierung zur Schaffung eines level playing field verstanden.<br />
Ausschlaggebend <strong>für</strong> diese Regulierungsauffassung ist die Erkenntnis, dass<br />
in allen netzgeb<strong>und</strong>enen Wirtschaftssektoren die Infrastruktur des eta-<br />
blierten Anbieters eine so genannte wesentliche Einrichtung darstellt. Es<br />
handelt sich dabei um natürliche Monopole. Ein natürliches Monopol im<br />
Sinne der ökonomischen Monopoltheorie liegt dann vor, wenn ein einziges<br />
Unternehmen aufgr<strong>und</strong> seiner Größen- (economies of scale) <strong>und</strong> Verb<strong>und</strong>s-<br />
vorteile (economies of scope) die am Markt nachgefragte Menge eines Gutes<br />
oder einer <strong>Die</strong>nstleistung zu niedrigeren Kosten produzieren kann, als von<br />
jeder größeren Anzahl von Unternehmen. 18<br />
Ein nachhaltig funktionsfähiger Wettbewerb auf den verschiedenen Wert-<br />
schöpfungsstufen, etwa Erbringung von <strong>Die</strong>nstleistungen, Aufbau eigener<br />
Infrastrukturen bzw. Erzeugung, Beschaffung, Handel <strong>und</strong> Verkauf kann<br />
in diesen leistungsgeb<strong>und</strong>enen Sektoren nur entstehen, wenn die Wettbe-<br />
werber zur Netzinfrastruktur als wesentliche Einrichtung Zugang zu wett-<br />
bewerbsfähigen Konditionen erhalten.<br />
b) <strong>Die</strong> besondere Rolle der B<strong>und</strong>esnetzagentur<br />
<strong>Die</strong> B<strong>und</strong>esnetzagentur hat die gegenseitigen Interessen im Hinblick auf<br />
die Regulierungsziele auszubalancieren <strong>und</strong> vor allem ihrem verfassungs-<br />
rechtlichen Auftrag der Daseinsvorsorge gerecht zu werden. „Der erfüllen-<br />
de Wohlfahrts- <strong>und</strong> Interventionsstaat wird durch den ermöglichenden<br />
Gewährleistungsstaat überlagert <strong>und</strong> teilweise ersetzt.“ 19<br />
17 Während in marktwirtschaftlichen Systemen die Befugnis zur Teilnahme<br />
am Wirtschaftsverkehr eine nicht weiter begründungsbedürftige Regel ist,<br />
bleibt sie in planwirtschaftlichen Systemen gr<strong>und</strong>sätzlich dem Staat vorbehalten.<br />
Vgl. dazu: Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht,<br />
2. Aufl., § 2 Rn.73.<br />
18 Borrmann/Frisinger, Markt <strong>und</strong> Regulierung, S. 101 ff., 342ff.; Howe/<br />
Rasmussen, Public Utility Economics and Finance, Englewood Cliffs, 1982,<br />
S. 19ff.<br />
19 Schuppert, Der moderne Staat als Gewährleistungsstaat, in: Schröter,<br />
Empirische Policy <strong>und</strong> Verwaltungsforschung, 2001, S. 399.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Schwerpunkte<br />
<strong>Die</strong> Maßnahmen der B<strong>und</strong>esnetzagentur müssen effizient sein, Raum <strong>für</strong><br />
Flexibilität lassen <strong>und</strong> möglichst geringe Eingriffsintensität aufweisen. <strong>Die</strong><br />
Sicherstellung der Entwicklungsfähigkeit <strong>und</strong> die Innovationskraft des<br />
einseitig regulierten SMP-Unternehmens muss bei den regulatorischen<br />
Entscheidungen genauso berücksichtigt werden wie die Stärkung der Wett-<br />
bewerbsfähigkeit alternativer Anbieter einerseits <strong>und</strong> der Bedarf der End-<br />
verbraucher an Netzdiensten mit ausgewogenem Preisleistungsverhältnis<br />
andererseits. Der Spagat, den die B<strong>und</strong>esnetzagentur hinbekommen muss,<br />
bezieht sich auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wirtschaftlich ange-<br />
messenen Entgelten <strong>und</strong> einer guten Netzqualität <strong>und</strong> Netzdichte.<br />
V. ZWISCHENERGEBNIS<br />
Etappenziel der Wirtschaftsregulierung ist demnach die Schaffung eines<br />
level playing field, um dann die asymmetrische Regulierung stetig zurück-<br />
zufahren, mit dem Ziel der vollständigen Deregulierung <strong>und</strong> der Aufnah-<br />
me des konkreten Marktes in die allgemeine Wettbewerbsaufsicht des<br />
B<strong>und</strong>eskartellamtes.<br />
C. ENDERGEBNIS<br />
Wirtschaftsregulierung <strong>und</strong> Liberalisierung sind daher keine widerstrei-<br />
tenden ordnungspolitisch eingeleiteten Prozesse. Ganz im Gegenteil, sie<br />
gehen Hand in Hand, um Wettbewerb auch auf netzgeb<strong>und</strong>enen Wirt-<br />
schaftssektoren zu ermöglichen, wo er durch reine Liberalisierung <strong>und</strong><br />
Privatisierung aufgr<strong>und</strong> der gegebenen Marktstruktur sonst nicht entstehen<br />
würde.<br />
Beides bedingt sich daher gegenseitig, Liberalisierung <strong>und</strong> Privatisierung<br />
schaffen in netzgeb<strong>und</strong>enen Wirtschaftssektoren weder eigene Märkte<br />
noch Wettbewerb <strong>und</strong> müssen daher durch asymmetrische sektorspezifi-<br />
sche Regulierung begleitet werden, um einen fruchtbaren Nährboden <strong>für</strong><br />
nachhaltigen Wettbewerb zu schaffen.<br />
Wir suchen Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die Lust<br />
haben, an der Gestaltung unserer Publikationen mitzuwirken. Der<br />
Aufgabenbereich umfasst u.a die Einwerbung von Beiträgen <strong>und</strong> das<br />
Entwickeln eigener Ideen <strong>für</strong> Titelthemen oder sonstige Beiträge.<br />
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Berwerbungen bitte per E-Mail an Mitarbeit@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
33
34<br />
Fallbearbeitung<br />
SACHVERHALT<br />
Anfänger im Zivilrecht: „Fit in den Sommer“<br />
von Rechtsanwalt Dr. Peter Balzer <strong>und</strong> Volker Kindler (Bonn)<br />
Dr. Peter Balzer (li.), Rechtsanwalt sowie Fachanwalt <strong>für</strong> Bank- <strong>und</strong> Kapitalmarktrecht <strong>und</strong> Partner der Kanzlei Balzer Kühne<br />
Lang Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mit Sitz in Bonn. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Siegburg, Autor ei-<br />
ner Fallsammlung zum Schuldrecht <strong>und</strong> zahlreicher Fachveröffentlichungen im Bank- <strong>und</strong> Kapitalmarktrecht.<br />
Volker Kindler (re.) hat in Bonn Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt „Bank- <strong>und</strong> Kapitalmarktrecht“ <strong>stud</strong>iert, ist als Tutor im<br />
Zivilrecht tätig <strong>und</strong> arbeitet als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter <strong>für</strong> die Kanzlei Balzer Kühne Lang in Bonn.<br />
F betreibt in Bonn ein großes Fitness<strong>stud</strong>io. A ist dort seit dem Jahr 2007<br />
Mitglied, zuletzt hat er im August 2010 seine Mitgliedschaft (Monatsbei-<br />
trag € 29,-) um ein weiteres Jahr bis zum 31.7.2011 verlängert. Am Morgen<br />
des 15.9.2010 begibt sich A in das Studio des F, um sein regelmäßiges Aus-<br />
dauertraining zu absolvieren. Nachdem er sich wie üblich kurz auf dem<br />
Laufband aufgewärmt hat, begibt sich A zu den Rudergeräten, um hier sein<br />
Training fortzusetzen. Leider ist das Rudergerät, das A <strong>für</strong> sein Training<br />
auswählt, defekt, da die Befestigung der Zugkette am Schwungrad abgeris-<br />
sen ist. Als A zum ersten Ruderzug ausholt, fällt er mangels Widerstands<br />
rückwärts vom Rollsitz herunter <strong>und</strong> zieht sich eine schmerzhafte Schulter-<br />
prellung zu, die eine ärztliche Behandlung erforderlich macht. Es stellt sich<br />
heraus, dass bereits am Vorabend das Studiomitglied S den Mitarbeiter M<br />
des F, der <strong>für</strong> die Überwachung <strong>und</strong> Instandhaltung der Geräte zuständig<br />
ist, über den Defekt des Rudergerätes informiert hatte. M hatte sich vorge-<br />
nommen, das Rudergerät zur Reparatur in den Keller zu bringen, dies aber<br />
in der Folge aufgr<strong>und</strong> der Hektik des Studiobetriebs wieder vergessen. Als<br />
A hiervon erfährt, macht er dem F Vorhaltungen, dass er sich nicht um die<br />
Sicherheit seiner Mitglieder kümmere. F ist der Meinung, dass er <strong>für</strong> das<br />
Fehlverhalten des M nichts könne. Er verweist auf eine schriftliche Arbeits-<br />
anweisung, die allen Mitarbeitern (<strong>und</strong> damit auch dem M) zur Kenntnis<br />
gebracht worden sei. Dort steht ausdrücklich, dass defekte Geräte unver-<br />
züglich entsprechend zu kennzeichnen <strong>und</strong> nach Möglichkeit aus dem<br />
Trainingsbereich zu entfernen sind. F kontrolliert auch regelmäßig, ob sich<br />
seine Mitarbeiter an diese Vorgabe halten; bei M hat es in der Vergangen-<br />
heit keinerlei Beanstandungen gegeben.<br />
Nach seiner Verletzung hat F das Vertrauen in sein Fitness<strong>stud</strong>io verloren<br />
<strong>und</strong> beschließt, nun zu Hause zu trainieren. Aus diesem Gr<strong>und</strong> bestellt er<br />
am 9.10.2010 beim Gerätehersteller G einen Crosstrainer „LifeFitness X7<br />
Advanced“ zum Preis von € 4.999,-. <strong>Die</strong> Lieferung soll spätestens am<br />
29.02.2011 erfolgen, da F das Gerät ab März 2011 in seinen erweiterten<br />
Räumlichkeiten einsetzen will. Am 15.03.2011 teilt G dem F schriftlich mit,<br />
dass er infolge gestiegener Lohn- <strong>und</strong> Materialkosten den Preis <strong>für</strong> den<br />
Crosstrainer auf € 5.499,- anheben müsse. F besteht auf Lieferung des<br />
Gerätes zum vereinbarten Preis von € 4.999,-. Hierzu ist G nicht bereit, er<br />
teilt F per Fax vom 17.03.2011 mit, dass dieser sich dann das Gerät anderweitig<br />
beschaffen müsse. F gelingt es erst am 20.03.2011, beim Händler H<br />
einen Crosstrainer „LifeFitness X7 Advanced“ zu erwerben, <strong>für</strong> den er<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
allerdings € 5.199,- aufwenden muss. Mit Schreiben vom 22.03.2011 nimmt<br />
F den G auf Ersatz der Mehrkosten <strong>für</strong> die Anschaffung des Crosstrainers<br />
in Höhe von € 200,- in Anspruch. A verlangt weiter von F <strong>und</strong> M Ersatz der<br />
Behandlungskosten von € 300,- sowie ein angemessenes Schmerzensgeld<br />
von € 100,-.<br />
Wie ist die Rechtslage? Zu prüfen sind nur Vorschriften des BGB.<br />
LöSUNG<br />
1. TEIL: DAS DEFEKTE RUDERGERäT<br />
A. ANSPRüCHE DES A GEGEN F AUF ZAHLUNG VON € 400,-<br />
I. ANSPRUCH DES A GEGEN F AUS §§ 280 ABS. 1, 241 ABS. 2 BGB<br />
A könnte gegen F einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 400,aus<br />
§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB haben.<br />
1. SCHULDVERHäLTNIS<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> einen solchen Anspruch ist zunächst das Bestehen eines<br />
Schuldverhältnisses zwischen A <strong>und</strong> F. Ein Schuldverhältnis besteht dann,<br />
wenn die eine Partei von der anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen<br />
kann, § 241 Abs. 1 BGB. Zwischen A <strong>und</strong> F bestand, nachdem A seine<br />
Mitgliedschaft bis zum 31.7.2008 verlängert hatte, ein Fitness<strong>stud</strong>iovertrag<br />
(typengemischter Vertrag mit miet- <strong>und</strong> dienstvertraglichen Elementen1 ,<br />
§§ 535, 611 BGB). Das erforderliche Schuldverhältnis liegt daher vor.<br />
2. PFLICHTVERLETZUNG<br />
Weiterhin müsste F eine aus diesem Schuldverhältnis resultierende Pflicht<br />
verletzt haben, § 280 Abs. 1 S. 1 BGB. Im Rahmen des bestehenden Fitness<strong>stud</strong>iovertrages<br />
traf F nach § 241 Abs. 2 BGB die (Neben-) Pflicht, alle erforderlichen<br />
<strong>und</strong> zumutbaren Maßnahmen zu veranlassen, um Schädigungen<br />
der Mitglieder zu vermeiden2 . In diesem Fall besteht diese darin, dass,<br />
sofern bei einzelnen Geräten ein Defekt auftritt, diese unverzüglich zu<br />
kennzeichnen sind, damit Mitglieder bei der Benutzung nicht zu Schaden<br />
kommen. <strong>Die</strong>se Sorgfaltspflicht könnte auf Gr<strong>und</strong> der unterbliebenen<br />
Kennzeichnung bzw. Entfernung des defekten Rudergerätes aus dem<br />
Trainingsbereich verletzt worden sein.<br />
1 LG Darmstadt, NJW-RR 1991, 1015.<br />
2 Katzenstein, in: Jura 2004, 800 ff; Mangel, in: Jauernig, § 241 Rn. 10.
Bearbeiterhinweis: Im Folgenden ist es wichtig zu erkennen, dass die<br />
Pflichtverletzung gerade nicht durch F sondern durch seinen Mitarbeiter M<br />
erfolgte. <strong>Die</strong> Zurechnung erfolgt dann über § 278 S. 1 BGB bei einem<br />
Erfüllungsgehilfen 3 . <strong>Die</strong>s dient dazu, dass sich derjenige, der sich der<br />
Arbeitsleistung Dritter zur Erfüllung eigener Verpflichtungen bedient,<br />
hier<strong>für</strong> auch so haften soll, als hätte er die Verpflichtungen selbst übernom-<br />
men 4 . § 278 BGB ist somit eine bloße Zurechnungsnorm, <strong>und</strong> keine eigene<br />
Anspruchsgr<strong>und</strong>lage. Anders jedoch bei einem Verrichtungsgehilfen. Hier<br />
handelt es sich bei § 831 um eine eigene Anspruchsgr<strong>und</strong>lage 5 .<br />
Zwar ist F hier<strong>für</strong> nicht selbst unmittelbar verantwortlich, ihm könnte aber<br />
das sorgfaltswidrige Verhalten seines Mitarbeiters M nach § 278 S. 1 BGB<br />
zuzurechnen sein. Dann müsste M Erfüllungsgehilfe des F gewesen sein.<br />
a) Erfüllungsgehilfe ist jede Person, der sich der Schuldner zur Erfüllung<br />
seiner Verpflichtungen aus dem Schuldverhältnis bedient 6 . M war Erfüllungs-<br />
gehilfe i.S.d. § 278 S. 1 BGB, da er bei der Überwachung <strong>und</strong> Instandhaltung<br />
der Trainingsgeräte mit Wissen <strong>und</strong> Wollen des F in dessen Pflichtenkreis<br />
tätig wurde <strong>und</strong> daher auch die Sorgfaltspflichten des F zu erfüllen hatte.<br />
b) Gegen die ihm übertragenen Sorgfaltspflichten hat M verstoßen, indem<br />
er entgegen der Arbeitsanweisung nicht da<strong>für</strong> sorgte, dass die Mitglieder<br />
durch das defekte Rudergerät nicht gefährdet wurden.<br />
c) Der Sorgfaltspflichtverstoß des M erfolgte auch in Ausübung der ihm<br />
von F übertragenen Pflichten <strong>und</strong> nicht nur bei Gelegenheit 7 .<br />
3. VERTRETENMüSSEN / VERSCHULDEN<br />
M müsste die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben. Der Schuldner hat<br />
Vorsatz <strong>und</strong> Fahrlässigkeit zu vertreten, § 276 Abs. 1 BGB. <strong>Die</strong> Pflichtver-<br />
letzung des M kann vorliegend durch die unterbliebene Kennzeichnung<br />
bzw. Entfernung des defekten Rudergerätes, die auch sorgfaltswidrig <strong>und</strong><br />
damit fahrlässig i.S.d. § 276 Abs. 2 BGB 8 erfolgte, erblickt werden. <strong>Die</strong>ses ist<br />
dem F nach § 278 S. 1 BGB zuzurechnen.<br />
Bearbeiterhinweis: Nach § 280 Abs. 1 S.2 BGB findet eine Beweislastumkehr<br />
statt. 9 „<strong>Die</strong>s gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu<br />
vertreten hat“. <strong>Die</strong> Beweislast trifft damit den Schuldner <strong>und</strong> nicht, wie<br />
sonst üblich, den Gläubiger.<br />
4. SCHADEN<br />
Rechtsfolge der schuldhaften Pflichtverletzung ist, dass F dem A den hier-<br />
aus entstehenden Schaden ersetzen muss. Der Umfang des zu leistenden<br />
Schadensersatzes bestimmt sich nach den §§ 249 ff. BGB. <strong>Die</strong> Schadens-<br />
berechnung erfolgt nach der Differenzhypothese, es ist also die Ver-<br />
mögenslage nach der Pflichtverletzung mit der Vermögenslage, die ohne<br />
die Pflichtverletzung bestehen würde, zu vergleichen 10 . Nach § 249 Abs. 2 S. 1<br />
3 zur Vertiefung: Armbrüster, in: Gr<strong>und</strong>fälle zum Schadensrecht, JuS 2007, 605.<br />
4 BGHZ 95, 128, 132 = BGH NJW 1985, 1939.<br />
5 Sprau in: Palandt, § 831 Rn. 1.<br />
6 Stadler, in: Jauernig, § 278 Rn. 6; Schmidt-Kessel, in Prütting/Wegen/<br />
Weinreich, § 278 Rn. 7 f.<br />
7 Gr<strong>und</strong>mann, in: MüKo § 278 Rn. 46.<br />
8 Vgl. ausführlich zum Begriff der Fahrlässigkeit: Lorenz, in: JuS 2007, 611.<br />
9 Ernst in: MüKo § 280 Rn. 27 f.<br />
10 Teichmann in: Palandt, § 249 Rn. 6.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Fallbearbeitung<br />
BGB kann A somit Ersatz der Behandlungskosten von € 300,- verlangen.<br />
Weiterhin hat er gem. § 253 Abs. 2 BGB zudem einen Anspruch auf ein<br />
angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von € 100,- 11 .<br />
Ergebnis:<br />
A hat somit gegen F einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 400,-<br />
aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.<br />
II. ANSPRUCH DES A GEGEN F AUS § 831 ABS. 1 S. 1 BGB<br />
A könnte gegen F zudem einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von<br />
€ 400,- aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB haben.<br />
1. Dann müsste M Verrichtungsgehilfe des F gewesen sein <strong>und</strong> bei Aus-<br />
führung der Verrichtung dem A rechtswidrig einen Schaden zugefügt haben.<br />
Verrichtungsgehilfe ist, wer von einem anderen (dem sog. Geschäftsherrn),<br />
von dem er weisungsabhängig ist, mit einer bestimmten Tätigkeit betraut<br />
worden ist 12 . Vorliegend war M als Mitarbeiter weisungsabhängig <strong>und</strong> übte<br />
bei der Überwachung <strong>und</strong> Instandhaltung der Trainingsgeräte eine ihm<br />
von F übertragene Tätigkeit aus. Er war damit Verrichtungsgehilfe des F i. S.<br />
von § 831 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />
2. Weiterhin müsste er bei Ausführung der Verrichtung <strong>und</strong> nicht nur bei<br />
Gelegenheit gehandelt haben. 13<br />
Als er die Kennzeichnung bzw. die Entfernung des defekten Rudergerätes<br />
entgegen der Arbeitsanweisung unterließ, handelte M in Ausführung der<br />
ihm von F übertragenen Verrichtung.<br />
3. Es müsste auch eine rechtswidrige Schädigung des A durch M vorliegen14 .<br />
<strong>Die</strong>s ist durch die zugefügten Verletzungen des A der Fall. Indem M die<br />
Kennzeichnung bzw. die Entfernung des defekten Rudergerätes unterließ,<br />
setzte er eine Ursache da<strong>für</strong>, dass A rückwärts vom Rollsitz herunterfiel<br />
<strong>und</strong> sich eine Schulterprellung zuzog. Hieraus resultierte ein Schaden des A<br />
in Höhe von € 400,- (Behandlungskosten von € 300,-; Schmerzensgeld in<br />
Höhe von € 100,-).<br />
4. Nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB tritt die Ersatzpflicht aber nicht ein, wenn den<br />
Geschäftsherrn kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft15 .<br />
Ein solches Verschulden wird nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB gr<strong>und</strong>sätzlich vermutet.<br />
Da M ein entsprechender Fehler in der Vergangenheit indes noch<br />
nie unterlaufen ist, muss davon ausgegangen werden, dass F ihn sorgfältig<br />
ausgewählt hat. Zudem hat F auch regelmäßig kontrolliert, ob M die<br />
Arbeitsanweisung einhielt. F kann sich somit nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB<br />
entlasten (exkulpieren), sodass eine Schadensersatzpflicht gegenüber A<br />
nicht besteht.<br />
11 <strong>Die</strong> Höhe des Schmerzensgeldes ist im Sachverhalt im Regelfall immer angegeben.<br />
In der Praxis richtet sich die Berechnung nach der Art <strong>und</strong> der Schwere<br />
der Verletzung, vgl. hierzu BGHZ 138, 391. Auch gibt es verschiedene<br />
Schmerzensgeldtabellen, u.a. vom ADAC, die einen ersten Anhaltspunkt liefern<br />
können. Vgl. weiterhin die Übersicht bei Jeager/Luckey, in: VRR 2010, 84.<br />
12 Sprau in: Palandt, § 831 Rn. 5; Wagner in: MüKo § 831 Rn. 14.<br />
13 Teichmann in: Jauernig, § 831 Rn. 8.<br />
14 Sprau in: Palandt, § 831 Rn. 8.<br />
15 Wagner, in: MüKo § 831 Rn. 33 f.<br />
35
36<br />
Fallbearbeitung<br />
Ergebnis:<br />
A hat daher gegen F keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von<br />
€ 400,- aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />
B. ANSPRUCH DES A GEGEN M AUF ZAHLUNG VON € 400,-<br />
A könnte gegen M einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von € 400,-<br />
aus § 823 Abs. 1 BGB haben.<br />
1. RECHTSGUTSVERLETZUNG<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> das Bestehen dieses Anspruchs ist zunächst, dass M ein<br />
durch § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut des A verletzt hat. § 823 I<br />
schützt u.a. den Körper <strong>und</strong> die Ges<strong>und</strong>heit eines Menschen. Durch den<br />
Sturz des A vom Rollsitz ist sein Körper sowie seine Ges<strong>und</strong>heit verletzt<br />
worden, sodass eine Beeinträchtigung eines seiner Rechtsgüter vorliegt.<br />
2. ZURECHENBARKEIT DER RECHTSGUTSVERLETZUNG<br />
<strong>Die</strong> Handlung des M führt nur dann zu einer Rechtsgutverletzung, wenn<br />
diese ihm objektiv zugerechnet werden kann 16 . <strong>Die</strong>s setzt zunächst voraus,<br />
dass die Handlung adäquat kausal <strong>für</strong> die Rechtsgutsverletzung geworden<br />
ist 17 . Der Sturz ist darauf zurückzuführen, dass M das defekte Rudergerät<br />
nicht gekennzeichnet bzw. aus dem Trainingsbereich entfernt hat. M hat<br />
daher durch sein Verhalten die Ursache <strong>für</strong> die Rechtsgutverletzung des A<br />
gesetzt.<br />
3. VERTRETENMüSSEN<br />
M müsste die Rechtsgutverletzung des A ferner zu vertreten haben, d.h. er<br />
müsste fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt haben, § 276 Abs. 1 S. 1 BGB.<br />
Da M trotz Kenntnis des Defekts am Rudergerät die Kennzeichnung bzw.<br />
die Entfernung in der Folge vergessen hat, hat er die im Verkehr erforderli-<br />
che Sorgfalt außer Acht gelassen, sodass die Rechtsgutverletzung nach<br />
§ 276 Abs. 2 BGB fahrlässig <strong>und</strong> damit schuldhaft erfolgt ist.<br />
4. RECHTSWIDRIGKEIT<br />
<strong>Die</strong> Rechtsgutsverletzung müsste auch rechtswidrig sein. <strong>Die</strong>s ist immer<br />
dann der Fall, wenn keine Rechtfertigungsgründe vorliegen 18 . Auch die<br />
Rechtswidrigkeit der Rechtsgutverletzung ist gegeben, da keine Recht-<br />
fertigungsgründe zu Gunsten des M eingreifen.<br />
5. SCHADEN<br />
Als Rechtsfolge ordnet § 823 Abs. 1 BGB eine Haftung auf Schadensersatz<br />
an, dessen Umfang sich wiederum nach den §§ 249 ff. BGB bestimmt. 19<br />
Bearbeiterhinweis: An dieser Stelle können Sie, da sich keine Abweichungen<br />
zu der oben vorgenommenen Berechnung ergeben, nach oben verweisen.<br />
Daher beträgt der ersatzfähige Schaden des A € 400,-.<br />
Ergebnis:<br />
A hat daher gegen M einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von<br />
€ 400,- aus § 823 Abs. 1 BGB.<br />
16 Teichmann, in: Jauernig, § 823 Rn. 20.<br />
17 BGHZ 41, 123.<br />
18 Wagner, in: MüKo § 823 Rn. 304; BGHZ 122, 6 f.<br />
19 Sprau, in: Palandt, vor § 823 Rn 17.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
2. TEIL: DER CROSSTRAINER<br />
A. ANSPRUCH DES F GEGEN G AUF SCHADENSERSATZ IN HöHE<br />
VON € 200,-<br />
F könnte gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in<br />
Höhe von € 200,- aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB haben.<br />
1. SCHULDVERHäLTNIS<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> einen solchen Anspruch ist zunächst das Bestehen eines<br />
Schuldverhältnisses zwischen F <strong>und</strong> G. Zwischen F <strong>und</strong> G ist infolge der<br />
Bestellung des Crosstrainers „LifeFitness X7 Advanced“ zum Preis von<br />
€ 4.999,- ein Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB zustande gekommen. Ein<br />
Schuldverhältnis zwischen F <strong>und</strong> G bestand daher.<br />
2. PFLICHTVERLETZUNG<br />
Weiterhin müsste G eine aus diesem Schuldverhältnis resultierende Pflicht<br />
verletzt haben, § 280 Abs. 1 S. 1 BGB 20 . G hat entgegen der vertraglichen<br />
Absprachen den bestellten Crosstrainer nicht (spätestens) am 29.02.2011<br />
geliefert. Eine Pflichtverletzung des G liegt daher vor.<br />
3. VERSCHULDEN<br />
Das nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche Verschulden wird vermutet 21 ;<br />
G hat sich nicht exkulpiert.<br />
4. FRISTSETZUNG<br />
Für einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung müssen weiterhin die<br />
Voraussetzungen des § 281 BGB erfüllt sein. Nach § 281 Abs. 1 S. 1 BGB ist<br />
insoweit erforderlich, dass der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine an-<br />
gemessene Nachfrist zur Leistung bestimmt. Eine solche Nachfrist hat F<br />
dem G indes nicht eingeräumt.<br />
Allerdings ist die Setzung einer Nachfrist nach § 281 Abs. 2 BGB u. a. ent-<br />
behrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft <strong>und</strong> endgültig verwei-<br />
gert. Vorliegend hat G dem F sowohl mit Schreiben vom 15.3.2011 als auch<br />
mittels Telefax vom 2.4.2011 zu erkennen gegeben, dass er den Vertrag nicht<br />
wie vereinbart erfüllen wird, sondern auf eine Änderung des Vertrages<br />
in Form einer Preiserhöhung besteht. Hierin kann eine Erfüllungs-<br />
verweigerung 22 des G gesehen werden, sodass die Setzung einer Nachfrist<br />
durch F nach § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich war.<br />
5. SCHADEN<br />
<strong>Die</strong> Tatbestandsvoraussetzungen nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB sind mit-<br />
hin erfüllt, F hat gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz statt der<br />
Leistung, dessen Höhe sich nach den §§ 249 ff. BGB bestimmt. G muss den<br />
F daher so stellen, als hätte er den bestellten Crosstrainer vereinbarungsge-<br />
mäß zum Preis von € 4.999,- geliefert. Dann wäre es dem F erspart geblie-<br />
ben, sich den Crosstrainer bei H zum Preis von € 5.199,- besorgen zu müs-<br />
sen. Der ersatzfähige Schaden des F beläuft sich demnach auf € 200,-.<br />
Ergebnis:<br />
F hat daher gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung<br />
in Höhe von € 200,- aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB.<br />
20 Stadler, in: Jauernig, § 280 Rn. 58.<br />
21 vgl. die Ausführungen unter A I c).<br />
22 Ernst, in: MüKo § 281 Rn. 50 ff.
SACHVERHALT 1<br />
Der in Gießen lebende A ist ein Anhänger der Anti-Atomkraft-Bewegung.<br />
Als in der Vergangenheit Atommüll in das Zwischenlager nach Gorleben<br />
transportiert wurde, beteiligte er sich an den Demonstrationen <strong>und</strong> trat<br />
mehrfach strafrechtlich in Erscheinung. Im B<strong>und</strong>eszentralregister sind<br />
einige rechtskräftige Verurteilungen eingetragen. In der polizeilichen<br />
Gewaltdatei „Gewalttäter-Links“ wird er nicht mehr geführt.<br />
Das Polizeipräsidium Mittelhessen (PP) be<strong>für</strong>chtet bei dem im Oktober 2010<br />
geplanten Castortransport, der über Hessen nach Gorleben erfolgen soll, un-<br />
kontrollierbare Auseinandersetzungen zwischen der Polizei <strong>und</strong> den Demon-<br />
stranten. Deshalb richtet das PP am 15.09.2010 an A folgendes Schreiben:<br />
„Dem Polizeipräsidium Mittelhessen ist bekannt, dass Sie im Zusammenhang<br />
mit versammlungsrechtlichen Aktionen mehrfach <strong>und</strong> wiederholt polizeilich<br />
in Erscheinung getreten sind. Es ist nicht auszuschließen, dass Sie auch in<br />
Zukunft an demonstrativen Ereignissen teilnehmen werden. Für den im Ok-<br />
tober 2010 angekündigten, teilweise durch Hessen führenden, Castortransport<br />
sind demonstrative Aktionen geplant. Bei gleich gelagerten Aktionen<br />
kam es in der Vergangenheit stets zu erheblichen gewaltsamen Ausschreitungen<br />
seitens einiger Demonstrationsteilnehmer. Auch während des diesjährigen<br />
Castortransports ist damit zu rechnen. Um zu vermeiden, dass Sie sich<br />
der Gefahr präventiver polizeilicher Maßnahmen im Rahmen der Gefahrenabwehr<br />
bis hin zu strafprozessualen Maßnahmen aus Anlass der Begehung<br />
von Straftaten aussetzen, legen wir Ihnen daher nahe, sich nicht an den geplanten<br />
Aktionen in Hessen zu beteiligen.“ 2<br />
Entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben, seine Haltung gegenüber der<br />
Atomkraftenergie k<strong>und</strong>zutun, leistet A Folge. Vor der Staatsmacht eingeknickt<br />
zu sein, wurmt nun A. Er trägt vor, dass er sich in Zukunft an<br />
vergleichbaren Aktionen beteiligen werde. Daher möchte er von Ihnen heute<br />
geklärt wissen, ob ein gerichtliches Vorgehen gegen das Verhalten Erfolg<br />
versprechend ist.<br />
1 Ein ähnlicher Sachverhalt wurde im Rahmen des Examensklausurenkurses<br />
zur Bearbeitung gestellt. Zu prüfen waren Zulässigkeit <strong>und</strong> Begründetheit des<br />
Klagebegehrens. Der Autor Goll war Teilnehmer des Examensklausurenkurses.<br />
2 Der Inhalt des Gefährderschreibens ist an die Entscheidung OVG Lüneburg,<br />
NJW 2006, 391 ff. angelehnt.<br />
Vom Einhalten der Zuständigkeits-, Verfahrens,- <strong>und</strong> Formvorschriften ist<br />
auszugehen.<br />
LöSUNG<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Eine Klage von A hat Aussicht auf Erfolg, wenn der Verwaltungsrechtsweg<br />
eröffnet <strong>und</strong> die Klage zulässig sowie begründet ist.<br />
A. VERWALTUNGSRECHTSWEG<br />
Eine aufdrängende Sonderzuweisung liegt nicht vor. Das PP kündigt zwar repressive<br />
Maßnahmen an, dies geschieht jedoch um drohende Rechtsgüterschäden<br />
abzuwenden, wodurch die Ankündigung solcher Maßnahmen nicht<br />
repressiv ist. Präventive Handlungen sind im Unterschied zu repressiven stets<br />
zukunftsorientiert, wodurch hier kein Justiz-VA vorliegt. Somit scheidet eine<br />
abdrängende Sonderzuweisung nach § 23 I 1 EGGVG aus3 . Der Verwaltungsrechtsweg<br />
ist nach § 40 I 1 VwGO eröffnet. 4<br />
B. ZULäSSIGKEIT<br />
I. STATTHAFTE KLAGEART<br />
<strong>Die</strong> statthafte Klageart richtet sich im Wesentlichen gem. § 88 VwGO nach<br />
dem Klagebegehren. Vorliegend möchte A die Rechtswidrigkeit des polizeilichen<br />
Vorgehens geklärt wissen.<br />
1. ANFECHTUNGSKLAGE (AK)<br />
Fallbearbeitung<br />
Fortgeschrittene im Öffentlichen Recht: „Atomkraft <strong>und</strong> deren Risiken“<br />
von Boris Duru <strong>und</strong> Christoph Goll (Universität Gießen)<br />
Christoph Goll (re.) <strong>stud</strong>ierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Mainz, Freiburg <strong>und</strong> Gießen. Er war als gewählter<br />
Fachschaftsrat an der Universität Mainz tätig <strong>und</strong> ist derzeit candidatus <strong>iur</strong>is.<br />
Boris Duru (li.) ist Lehrbeauftragter am rechtswissenschaftlichen Fachbereich der Justus-Liebig-Universität Gießen.<br />
Eine AK gem. § 42 I Alt.1 VwGO wäre statthaft, wenn es sich bei dem Gefährderanschreiben<br />
des PP vom 15.09.2010 um einen VA i.S.d. § 79 I Nr. 1 VwGO,<br />
§ 35 S.1 VwVfG handelt. Aus der Zusammenschau zwischen § 113 I 1 VwGO<br />
<strong>und</strong> § 113 I 4 VwGO folgt, dass sich der VA noch nicht erledigt haben darf. 5<br />
Im Zeitpunkt der Klageerhebung ist der Castor in Gorleben angekommen.<br />
<strong>Die</strong> Demonstration ist beendet. Vom Schreiben geht somit keine Rechtswirkung<br />
mehr aus. Hierdurch ist Erledigung eingetreten. Eine AK ist nicht<br />
statthaft.<br />
3 Ausführlich: Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht (VerwProzR), 4. Aufl. Rn. 14.<br />
4 Zur Drei-Schritte-Prüfung Rubel/Duru, in: JA 2010, 281 (282).<br />
5 Wienbracke, VerwProzR, Rn. 98; Gersdorf, VerwProzR, 4. Aufl. Rn. 85.<br />
37
38<br />
Fallbearbeitung<br />
2. FORTSETZUNGSFESTSTELLUNGSKLAGE (FFK)<br />
<strong>Die</strong> FFK könnte gem. § 113 I 4 VwGO analog die statthafte Klageart sein. <strong>Die</strong><br />
analoge Anwendung von § 113 I 4 VwGO auf erledigte VA vor Klageerhebung<br />
ist allgemein anerkannt. 6<br />
Das Schreiben muss einen VA gem. § 35 S.1 VwVfG darstellen. Fraglich ist<br />
hier das Tatbestandsmerkmal „zur Regelung“. Eine Maßnahme ergeht zur Re-<br />
gelung, wenn die behördliche Maßnahme auf das unmittelbare Setzen einer<br />
Rechtsfolge gerichtet ist, wodurch „die Rechte des Betroffenen unmittelbar<br />
begründet, geändert, aufgehoben, mit bindender Wirkung festgestellt oder<br />
verneint werden“ 7 . Zur Beurteilung der rechtlichen Qualität sind ausschließ-<br />
lich objektive Gesichtspunkte maßgebend. Vorliegend legt das PP dem A mit<br />
dem Schreiben lediglich nahe, sich nicht an der geplanten Demonstration<br />
gegen den Castortransport zu beteiligen. Es handelt sich um einen schlichten<br />
Hinweis auf die allgemeine Rechtslage. Ein Gebrauchmachen von konkreten<br />
Maßnahmen durch Auferlegen <strong>und</strong> Bezeichnung eines jeweils konkreten<br />
Tuns, Duldens oder Unterlassens, wird weder bezeichnet noch angedroht.<br />
A war es daher unbenommen, an der Veranstaltung teilzunehmen. Das<br />
Schreiben geht über die reine Informationsmitteilung nicht hinaus. Mangels<br />
einer verbindlichen Rechtsfolge kommt der behördlichen Maßnahme keine<br />
Regelungswirkung zu. Es handelt sich somit um keinen VA, sondern um<br />
einen Realakt. § 113 I 4 VwGO müsste doppelt analog auf Realakte, die sich<br />
vor Klageerhebung erledigt haben, angewendet werden. Wegen fehlender Re-<br />
gelungslücke besteht da<strong>für</strong> jedoch kein Bedürfnis. <strong>Die</strong> FFK ist nicht statthaft.<br />
3. FESTSTELLUNGSKLAGE (FK)<br />
In Betracht kommt gem. § 43 I Var. 2 VwGO eine negative FK. 8 <strong>Die</strong> Erledi-<br />
gung des Realaktes steht ihr nicht entgegen. 9 <strong>Die</strong> FK ist statthaft, wenn es um<br />
die Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses<br />
geht. Ein Rechtsverhältnis sind die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgr<strong>und</strong><br />
einer Rechtsnorm des öffentlichen Rechts ergebenden rechtlichen<br />
Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. 10 Es<br />
muss sich um die Anwendung einer bestimmten Norm auf einen überschaubaren<br />
Sachverhalt handeln <strong>und</strong> darf nicht der Klärung abstrakter Rechtsfragen<br />
dienen. Fraglich ist, ob hier wegen des schlicht-hoheitliches Handelns<br />
eine abstrakte Rechtsfrage geklärt wird. Für schlicht-hoheitliches Handelns<br />
bedarf es nicht immer einer Eingriffsgr<strong>und</strong>lage. Ohne eine solche könnte ein<br />
rein abstraktes Rechtsverhältnis bestehen. Hat die Behörde durch das Schreiben<br />
lediglich auf die Rechtslage allgemein hingewiesen ohne diese rechtsverbindlich<br />
festzustellen <strong>und</strong> hat sie den Adressaten über allgemeine Tatsachen<br />
informiert, so spielt es <strong>für</strong> die Beurteilung eines Rechtsverhältnisses dennoch<br />
keine Rolle, ob es sich hierbei um einen unverbindlichen Ratschlag bzw. um<br />
die reine Mitteilung einer Wissenserklärung bzw. einer rechtlich unverbindlichen<br />
Empfehlung handelt. Liegt ein Rechtseingriff vor, muss die Behörde auf<br />
Gr<strong>und</strong>lage einer Eingriffsgr<strong>und</strong>lage gehandelt haben. Bei Realakten genügt<br />
dann eine reine polizeiliche Aufgabenzuweisungs- bzw. Zuständigkeitsvor-<br />
6 Detterbeck, öffentliches Recht (öR), 7. Aufl. Rn. 1470.<br />
7 Detterbeck, öR, Rn. 1470; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht (VwR),<br />
Rn. 1421.<br />
8 a.A. Schenke, Polizei- <strong>und</strong> Ordnungsrecht (POR), 6. Aufl. Rn. 667.<br />
9 h.M. vgl. Ehlers-Ehlers/Schoch (Hrsg.), Rechtsschutz im öffentlichen Recht,<br />
§ 26 Rn. 34 m.w.N.<br />
10 Wienbracke, VerwProzR, Rn. 127 m.w.N.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
schrift nicht. Hier steht die konkrete Rechtsfrage über die Befugnis des PP<br />
zum Erlass des Schreibens in Streit. Zwar stellt nicht das Schreiben selbst das<br />
Rechtsverhältnis dar, 11 dennoch geht es um eine bestimmte öffentlich-rechtliche<br />
Norm, im Verhältnis zwischen PP <strong>und</strong> A, in der Zeit vom 15.9.2010 bis<br />
heute. <strong>Die</strong>s ist ein überschaubarer, hinreichend klarer <strong>und</strong> eindeutiger Sachverhalt.<br />
Der Inhalt des Schreibens mit seinem informativen Charakter <strong>und</strong><br />
den abstrakten <strong>und</strong> pauschalen Hinweisen steht der Konkretheit des Rechtsverhältnisses<br />
nicht entgegen. Folglich liegt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis<br />
vor.<br />
Hier ist gerade zweifelhaft, ob das PP überhaupt handeln durfte, wodurch die<br />
negative FK statthaft sein könnte. <strong>Die</strong> Begründung eines Rechtsverhältnisses<br />
durch das Schreiben <strong>und</strong> deshalb eine positive FK kommen nicht in Be-<br />
tracht. 12<br />
Könnte A sein Begehren durch die Erhebung einer Leistungsklage (LK), in<br />
besonderer Ausprägung einer Unterlassungsklage, erreichen, so wäre die negative<br />
FK aber subsidiär, § 43 II VwGO. <strong>Die</strong> LK ist eine originäre Klageart, die<br />
auf Vornahme bzw. Unterlassen von Realakten gerichtet ist. 13 Sie ist zwar ungeregelt,<br />
aber in § 43 II Var. 2 VwGO ausdrücklich vorgesehen. Kommen LK<br />
<strong>und</strong> FK gleichwertig in Betracht <strong>und</strong> richtet sich die Klage gegen einen Träger<br />
öffentlicher Gewalt, so soll das Subsidiaritätsgebot nicht gelten. 14 Das Subsidiaritätsgebot<br />
aus § 43 II VwGO würde aber auch dann nicht greifen, wenn<br />
das Rechtsschutzbedürfnis des A <strong>für</strong> eine FK spräche. <strong>Die</strong> FK verfügt zwar<br />
über keinen vollstreckungsfähigen Inhalt, 15 könnte jedoch <strong>für</strong> A rechtsschutzintensiver<br />
sein als die LK. A trägt vor, dass er sich in Zukunft an vergleichbaren<br />
Aktionen wiederum beteiligen werde. Es geht ihm damit nicht um die<br />
Überprüfung des Einzelakts als solchem, sondern um das Rechtsverhältnis<br />
über den Einzelfall hinaus. A macht keinen Unterlassungs- <strong>und</strong>/oder Beseitigungsanspruch<br />
geltend. Es geht ihm nicht um das Unterlassen zukünftiger<br />
Schreiben. Er begehrt „nur“ die Feststellung des rechtswidrig verursachten<br />
Zustandes. A möchte festgestellt wissen, dass zukünftig in gleichgelagerten<br />
Fällen eine Berechtigung der Behörde <strong>für</strong> ähnliches Verhalten nicht bestehe.<br />
Da<strong>für</strong> ist die FK geeignet <strong>und</strong> somit rechtsschutzintensiver. <strong>Die</strong> Subsidiarität<br />
ist vorliegend ausnahmsweise nicht gegeben. <strong>Die</strong> negative FK gem. § 43 I Var.<br />
2 VwGO ist damit die statthafte Klageart.<br />
II. KLAGEBEFUGNIS<br />
Es ist umstritten, ob die Klagebefugnis nach § 42 II VwGO analog auf die FK<br />
Anwendung findet. 16 Durch das Schreiben besteht jedenfalls die Möglichkeit,<br />
dass A zumindest in seinen Freiheitsrechten aus Art. 5 I <strong>und</strong> 8 I GG verletzt<br />
ist, sodass es auf einen Streitentscheid nicht ankommt. A ist zur Klageerhebung<br />
befugt.<br />
11 So Schenke, POR, 6. Aufl. Rn. 667.<br />
12 So aber Schenke, POR, 6. Aufl. Rn. 667.<br />
13 Detterbeck, VwR, Rn. 890, vgl. zu den Einschränkungen ders. VwR Rn. 1444.<br />
14 st. Rspr. BVerwG, vgl. BVerwGE 77, 207, 211; 51, 69, 75.<br />
15 Büscher, in: Wieczorek/Schütze, ZPO <strong>und</strong> Nebengesetze, Großkommentar,<br />
Bd. 2, Teilbd. 3, 2007, § 322 Rn. 41.<br />
16 Vgl. Nachweise bei Detterbeck, VwR Rn. 1403; Wienbracke, VerwProzR,<br />
Rn. 143.
III. FESTSTELLUNGSINTERESSE<br />
Es bedarf eines berechtigten Interesses des A an der Feststellung über das<br />
Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses. Hierbei genügt jedes schützwürdige<br />
Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. 17 Vorliegend kommen<br />
das Rehabilitierungsinteresse <strong>und</strong> die Wiederholungsgefahr als anerkannte<br />
Feststellungsinteressengruppen des schutzwürdigen Interesses in Betracht.<br />
IV. KLAGEGEGNER<br />
Nach § 78 II Nr. 1 VwGO analog bzw. nach dem allgemeinen Rechtsträger-<br />
prinzip 18 kommt hier das B<strong>und</strong>esland Hessen als Klagegegner in Betracht.<br />
V. PARTEI- UND PROZESSFäHIGKEIT<br />
A ist nach den §§ 61 Nr. 1 Alt. 1, 62 I Nr. 1 VwGO partei- <strong>und</strong> prozessfähig.<br />
Das B<strong>und</strong>esland Hessen ist nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO parteifähig <strong>und</strong> wird<br />
nach § 62 III VwGO vertreten.<br />
VI. ZWISCHENERGEBNIS<br />
<strong>Die</strong> von A nach § 43 I Var. 2 VwGO zu erhebende negative FK ist zulässig.<br />
C. BEGRüNDETHEIT<br />
<strong>Die</strong> negative FK ist begründet, wenn das Rechtsverhältnis zwischen den<br />
Beteiligten nicht besteht. <strong>Die</strong>s ist dann der Fall, wenn das PP Rechte des A<br />
verletzt hat. Eine Rechtsverletzung liegt vor, wenn das Schreiben ohne Rechts-<br />
gr<strong>und</strong>lage erging.<br />
I. NOTWENDIGKEIT EINER ERMäCHTIGUNGSGRUNDLAGE<br />
WEGEN REALAKT-CHARAKTERS STAATLICHEN HANDELNS<br />
Fraglich ist, ob es <strong>für</strong> das Tätigwerden des PP einer gesetzlichen Ermächti-<br />
gungsgr<strong>und</strong>lage bedarf. Wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Aus-<br />
prägungen des Rechtsstaatsgebots in Gestalt des Vorrangs <strong>und</strong> Vorbehalts des<br />
Gesetzes <strong>und</strong> der Bindung an dieses Gebot aus Art. 20 III GG, bedarf das<br />
Handeln der vollziehenden Gewalt einer Gesetzesgr<strong>und</strong>lage, sofern Gr<strong>und</strong>-<br />
rechte betroffen sind. 19 <strong>Die</strong> wesentlichen Entscheidungen, die die Gr<strong>und</strong>-<br />
rechtsausübung berühren, muss der formelle Gesetzgeber regeln <strong>und</strong> je<br />
schwerwiegender der Gr<strong>und</strong>rechtseingriff ist, desto detaillierter, d.h. rege-<br />
lungsdichter muss das Gesetz sein. 20 Eine schlichte Aufgabenzuweisungs-<br />
norm genügt dieser verfassungsrechtlichen Anforderung nicht, wenn das<br />
schlicht-hoheitliche Handeln in Gr<strong>und</strong>rechte eingreift. 21 Vorliegend könnte in<br />
Art. 8 <strong>und</strong> Art. 5 GG des A eingegriffen worden sein.<br />
17 Gersdorf, VerwProzR, 4. Aufl. Rn. 124.<br />
18 Strittig, vgl. Meissner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Band<br />
I, § 78 Rn. 21, 49 m.w.N; Wienbracke, (VerwProzR), Rn. 167f.<br />
19 Detterbeck, öR, Rn. 55 f.<br />
20 Wesentlichkeitslehre des BVerfGE, vgl. etwa BVerfGE 1, 13 (60); 40, 237<br />
(248); 47, 46 (79); 49, 89 (126); 58, 257 (268); 77, 170 (230); 88, 103 (116).<br />
21 Kugelmann, POR, 5. Kapitel, Rn. 2.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
1. EINGRIFF IN ART. 8 I GG<br />
Fallbearbeitung<br />
A ist gem. Art. 116 I GG deutscher Staatsbürger. Eine Versammlung ist die<br />
örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen 22 zu einem bestimmten Zweck. 23<br />
<strong>Die</strong> Demonstrationsfreiheit als besondere Erscheinungsform der Versamm-<br />
lungsfreiheit wird von Art. 8 I GG geschützt. 24 Durch die Demo möchte A an<br />
der Erörterung einer öffentlichen Angelegenheit in Gestalt einer gemein-<br />
schaftlichen Meinungsbildung/-äußerung teilnehmen. <strong>Die</strong>s stellt einen<br />
schutzwürdigen Zweck i.S.d Art. 8 I GG dar.<br />
Art. 8 I GG schützt versammlungsspezifische Betätigungen, wozu auch solche<br />
Verhaltensweisen im Vorfeld einer Versammlung zählen. 25 <strong>Die</strong> Teilnahmeabsicht<br />
des A <strong>und</strong> dessen Zugang zur Versammlung sind von Art. 8 I GG<br />
geschützte Betätigungen. Geschützt ist zwar nur eine Versammlung, die friedlich<br />
<strong>und</strong> ohne Waffen erfolgt, allerdings bedarf es einer „kollektiven Unfriedlichkeit“.<br />
Eine Versammlung ist nicht schon unfriedlich, wenn erwartete Rechtsverstöße<br />
ohne Anwendung von Gewalt oder die Gewaltanwendung durch<br />
Dritte oder diese durch einzelne Versammlungsteilnehmer erfolgt. 26 Solche<br />
Anhaltspunkte fehlen hier. Vom unfriedlichen Gesamtverlauf der Versammlung,<br />
d.h. der begründeten Annahme, die Versammlung insgesamt werde die<br />
Schwelle zur Gewaltanwendung überschreiten, ist nicht auszugehen. Der<br />
Schutzbereich von Art. 8 I GG ist eröffnet.<br />
Weiterhin müsste ein Eingriff vorliegen. Ein Eingriff ist jede staatliche Maßnahme,<br />
die dem einzelnen Gr<strong>und</strong>rechtsträger die Ausübung des Gr<strong>und</strong>rechts<br />
erschwert oder unmöglich macht, unabhängig, ob von einer beabsichtigten<br />
oder unbeabsichtigten, unmittelbaren oder mittelbaren, individuellen oder<br />
generellen, rechtlichen oder tatsächlichen Wirkung <strong>und</strong> unabhängig vom<br />
Vorliegen von Befehl <strong>und</strong> Zwang. 27 Fraglich ist, ob dem Schreiben eine gr<strong>und</strong>rechtseingreifende<br />
Wirkung zukommt. Eine Einordnung anhand ausschließlich<br />
objektiver Kriterien ergibt, dass A von seiner Gr<strong>und</strong>rechtsausübung nicht<br />
abgehalten wurde. Das PP weist lediglich auf mögliche <strong>und</strong> unbestimmte<br />
Folgen hin, wenn A den allgemeinen Hinweisen nicht nachkommt.<br />
Auch wenn dieser Hinweis isoliert <strong>und</strong> objektiv betrachtet gegen einen<br />
Eingriff sprechen könnte, so kommt es <strong>für</strong> dessen Beurteilung dennoch<br />
auf die Gesamtschau aller Bedingungen an. Zur Beurteilung der durch<br />
die staatliche Maßnahme erzielten Wirkung könnten daher auch das<br />
Empfinden <strong>und</strong> die subjektive Einschätzung des Adressaten aus der<br />
Sicht eines objektiven Dritten maßgeblich sein. Rein psychisch empf<strong>und</strong>ene<br />
Zwänge können einen Eingriff darstellen. 28 Auf die Willensentschließungsfreiheit<br />
wird hier eingewirkt, wenn das Schreiben geeignet<br />
ist, eine Gr<strong>und</strong>rechtsausübung zu erschweren oder auszuschließen.<br />
Verbleibt dem Adressaten hingegen ein eigenständiger Handlungs- <strong>und</strong><br />
Beurteilungsspielraum, seine Willensentschließung unter Abwägung der im<br />
Schreiben mitgeteilten Informationen frei <strong>und</strong> selbstständig zu treffen, so<br />
wäre die Eingriffsschwelle nicht überschritten. 29 A wird zwar auf sein bis-<br />
22 Anzahl ist umstritten, vgl. Pieroth/Schlink, StaatsR II, 26. Aufl. Rn. 755.<br />
23 Zweckbestimmung ist umstritten vgl. Depenheuer, in: Maunz/Dürig, GG,<br />
Art. 8 Rn. 29 f., 46 jeweils m.w.N.<br />
24 Detterbeck, öR, Rn. 669.<br />
25 BVerfGE 84, 203 (209); BVerfG DÖV 2010, 698.<br />
26 Vgl. BVerfG, NVwZ 2006, 1049f.; zur Gefahrenprognose ferner BVerfG,<br />
NJW 2010, 141 (142f.).<br />
27 Detterbeck, öR, Rn. 462f.<br />
28 BVerfG, NJW 2008, 1515 (1518).<br />
29 OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 (392).<br />
39
40<br />
Fallbearbeitung<br />
Wir suchen Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die Lust<br />
haben, an der Gestaltung unserer Publikationen mitzuwirken. Der<br />
Aufgabenbereich umfasst u.a die Einwerbung von Beiträgen <strong>und</strong> das<br />
Entwickeln eigener Ideen <strong>für</strong> Titelthemen oder sonstige Beiträge.<br />
heriges Verhalten <strong>und</strong> auf seine polizeiliche Beobachtung aufmerksam ge-<br />
macht, die Mitteilung geht aber über eine reine wertneutrale Wiedergabe von<br />
Tatsachen hinaus. A wird suggeriert, er werde mit an Sicherheit grenzender<br />
Wahrscheinlich auch in Zukunft strafrechtlich in Erscheinung treten. <strong>Die</strong>ser<br />
Generalverdacht beinhaltet die Annahme von der Sozialschädlichkeit des A,<br />
der sich trotz seiner strafrechtlichen Vergangenheit nicht „bessern“ <strong>und</strong> de-<br />
linquent bleiben werde. Der Aussagegehalt des Schreibens hatte einen derart<br />
starken Einfluss auf A, dass er an der Veranstaltung nicht teilnahm. <strong>Die</strong> Wil-<br />
lensentschließungsfreiheit wurde beeinflusst. Sie wurde in eine vom PP ge-<br />
wollte Richtung gelenkt. Mangels eines Restes an Entschließungsspielraum<br />
liegt ein Eingriff in Art. 8 I GG vor.<br />
2. EINGRIFF IN ART. 5 I 1 VAR. 1 GG<br />
Fraglich ist, ob ein Eingriff in die von Art. 5 I 1 Var. 1 GG verbürgte Mei-<br />
nungsfreiheit vorliegt. Art. 5 I GG schützt neben der individuellen auch die<br />
kollektive Meinungsfreiheit. 30 Wenn über Art. 8 I <strong>und</strong> Art. 5 I 1 Var. 1 GG die<br />
kollektive Meinungsfreiheit geschützt ist, so bedarf deren Verhältnis<br />
der Klärung. 31 Geht es um die Versammlung <strong>und</strong> um die Teilnahme an ihr<br />
bzw. um versammlungstypisches Verhalten im Vorfeld zur Versammlung, so<br />
ist Art. 8 I GG betroffen, wenn die staatliche Maßnahme sich gegen die Art<br />
<strong>und</strong> Weise der Versammlung bzw. Versammlungsteilnahme richtet. Hat die<br />
staatliche Maßnahme hingegen zur Folge, dass eine Meinung im Rahmen der<br />
Versammlung nicht geäußert werden kann, so ist zugleich Art. 5 I 1 Var. 1 GG<br />
betroffen. 32 Ein solches Nebeneinander beider Freiheitsgr<strong>und</strong>rechte ist nicht<br />
nur wegen des Schutzes unterschiedlicher Rechtsgüter angebracht, sondern<br />
auch, um im Falle der Meinungsfreiheit den schärferen Rechtmäßigkeitsmaß-<br />
stab von Art. 5 II GG anzuwenden. 33 Durch das Schreiben nahm A an der<br />
Versammlung nicht teil <strong>und</strong> tat seine Meinung nicht k<strong>und</strong>. Folglich wird Art.<br />
5 I 1Var. 1 GG nicht von Art. 8 I GG verdrängt. Wegen der obigen Erwägungen<br />
liegt zugleich ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 5 I 1 Var. 1 GG vor.<br />
3. SONSTIGE GRUNDRECHTE<br />
Redakteure (m/w)<br />
Berwerbungen bitte per E-Mail an Mitarbeit@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Art. 11 GG schützt Aufenthalt <strong>und</strong> Wohnsitz, nicht hingegen die Fortbewe-<br />
30 BVerfGE 104, 92 (103).<br />
31 Zum Streit: Herzog in: Maunz/Dürig, Art. 5 Rn. 34.<br />
32 BVerfGE 111, 147 (154ff.).<br />
33 BVerfG, NVwZ 2008, 671(674f.).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
gungsfreiheit. 34 Nach dem hier vertretenen engen Verständnis von Art. 2 II 2<br />
i.V.m. Art. 104 GG ist der Schutzbereich der körperlichen Fortbewegungsfrei-<br />
heit nicht eröffnet. 35<br />
II. ZWISCHENERGEBNIS<br />
Das Handeln des PP berührt Gr<strong>und</strong>rechte des A. Der Realakt bedarf einer<br />
gesetzlichen Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage.<br />
III. ERMäCHTIGUNGSGRUNDLAGE<br />
1. VERSG<br />
Eine friedliche Versammlung unter freiem Himmel war geplant. Das Schrei-<br />
ben richtet sich gegen A als möglichen Teilnehmer der Versammlung, veran-<br />
stalterbezogene Maßnahmen scheiden aus.<br />
In Betracht käme § 18 III VersG analog <strong>und</strong> ggf. als Folgemaßnahme §§ 18 II,<br />
11 II VersG analog. Eine analoge Anwendung von § 18 III VersG <strong>für</strong> Vorfeld-<br />
maßnahmen wie der hier stattgef<strong>und</strong>enen Art ist jedoch nicht unproblema-<br />
tisch. Es bestünde keine Regelungslücke, wenn ein Rückgriff auf das allgemei-<br />
ne Polizeirecht (HSOG) möglich wäre. Das Schreiben könnte auf Ermächti-<br />
gungsgr<strong>und</strong>lagen des allgemeinen Polizeirechts gestützt werden, wodurch<br />
auch etwaige Minusmaßnahmen auf Gr<strong>und</strong>lage des VersG ausscheiden. 36<br />
Dann müsste das HSOG anwendbar sein. Eine Sperrwirkung wäre dann<br />
anzunehmen, wenn Bestimmungen des VersG abschließend wären. Im Zeit-<br />
punkt des behördlichen Handelns lag keine Versammlung vor, sodass Bestim-<br />
mungen des VersG wegen ihres lex specialis – Charakters den Bestimmungen<br />
des allgemeinen Polizeirechts nicht aus diesem Gr<strong>und</strong> vorgehen. 37 <strong>Die</strong> Maß-<br />
nahme findet hier im Vorfeld einer Versammlung statt. Vorfeldmaßnahmen<br />
sind im VersG nicht abschließend geregelt. <strong>Die</strong> einzige Vorschrift, die ein<br />
Einschreiten im Vorfeld einer Versammlung gegenüber einem einzelnen Teil-<br />
nehmer ermöglicht, ist § 17a VersG. Gegen dessen abschließenden Charakter<br />
spricht, dass es sich um eine Regelung zur Abwehr einer nicht versammlungsspezifischen<br />
Gefährdungssituation handelt. 38 Der Sinn <strong>und</strong> Zweck von Vorfeldmaßnahmen<br />
besteht darin, dass eine besondere Gefahr gar nicht erst entsteht<br />
bzw. die schon bestehende beendet wird. Hier soll durch Vorbeugung<br />
einer versammlungstypischen Gefahr die Versammlungsdurchführung<br />
ermöglicht werden. <strong>Die</strong>s dient dem Gr<strong>und</strong>rechtschutz Dritter. 39 Durch<br />
Vorfeldmaßnahmen wird daher ein anderer Lebenssachverhalt erfasst <strong>und</strong><br />
zur Abwehr einer anderen Gefahrenqualität eingeschritten. <strong>Die</strong>se Maßnahme<br />
ist anderen Maßnahmen vorgelagert bzw. vorgeschaltet. Doch das Handeln<br />
auf Gr<strong>und</strong>lage des allgemeinen Polizeirechts könnte einer anderen Schutzrichtung<br />
gerecht werden. Auch im Übrigen sind Bestimmungen des VersG<br />
nicht abschließender Natur. 40 Alle diese Gesichtspunkte bleiben vom VersG<br />
unberücksichtigt. Wegen der Lückenhaftigkeit des VersG ist dessen allumfas-<br />
34 Detterbeck, öR Rn. 706, 708.<br />
35 Vgl. zum Streit: Detterbeck, öR Rn. 515f. m.w.N.<br />
36 Verhältnis ist umstritten, vgl. Schenke, POR, 6. Aufl. Rn. 378 m.w.N.;<br />
Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, 14. Aufl. § 20 Rn. 15, 19.<br />
37 Vgl. BVerfG, NVwZ 2005, 80 (81).<br />
38 Kniesl/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl.<br />
Rn. 37.<br />
39 Vgl. Schenke, POR, Rn. 382 m.w.N.<br />
40 Götz, POR, 14. Aufl. § 17 Rn. 18.
sende Sperrwirkung abzulehnen. Ein Rückgriff auf HSOG-Bestimmungen ist<br />
somit möglich.<br />
2. HSOG<br />
Mögliche Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> das Schreiben könnte § 31 I 1 Var. 2<br />
HSOG41 bzw. § 11 HSOG42 darstellen.<br />
a. Platzverweisung<br />
Mangels hinreichender Bestimmtheit <strong>und</strong> Längerfristigkeit der Maßnahme<br />
scheidet ein Aufenthaltsverbot nach § 31 III HSOG aus. Schon die fehlenden<br />
Angaben hinsichtlich Ort <strong>und</strong> Zeit <strong>und</strong> damit auch hinsichtlich hinreichender<br />
Klarheit über Begrenzung lassen einen Platzverweis nach § 31 I 1 Var. 2<br />
HSOG ausscheiden. 43 Im Übrigen wird A kein Tun, Dulden oder Unterlassen<br />
auferlegt. Eine Minusmaßnahme als milderes Mittel scheidet deshalb ebenfalls<br />
aus.<br />
b. Generalklausel<br />
Fraglich ist, ob die polizei- <strong>und</strong> ordnungsrechtliche Generalklausel gem. § 11<br />
HSOG in Betracht kommt. <strong>Die</strong>se soll gerade atypische Fälle, die nicht unter<br />
eine spezielle Regelung fallen, auffangen, um der Polizei eine adäquate Handlungsmöglichkeit<br />
einzuräumen. Allerdings ist der Anwendungsbereich der<br />
spezielleren Standardmaßnahme nach § 31 I 1 Var. 2 HSOG betroffen, nur hat<br />
sich die Behörde eines solchen Mittels nicht bedient. Neben dem Bestimmtheitsgebot<br />
ist die Wesentlichkeitslehre zu beachten. <strong>Die</strong> wesentlichen Entscheidungen,<br />
die die Gr<strong>und</strong>rechtsausübung berühren, muss der formelle<br />
41 Vgl. hinsichtlich der Vorschriften anderer B<strong>und</strong>esländer § 27 a PolG BW;<br />
Art. 16 BayPAG; § 29 BerlASOG; § 16 BrandPolG; § 14 BremPolG; § 12 a<br />
HambSOG; § 52 MVSOG; § 17 NdsSOG; § 34 NWPolG, § 24 NWOBG; § 13<br />
Rh-PflPOG; § 12 SaarlPolG; § 36 SachsAnhSOG; § 21 SächsPolG, § 6<br />
SächsSWG; § 201 SchlHVwG; § 17 ThürOBG, § 18 ThürPAG.<br />
42 Vgl. hinsichtlich der Generalklausel anderer B<strong>und</strong>esländer § 3 PolG BW;<br />
Art. 11 BayPAG; § 17 BerlASOG; § 10 BrandPolG; § 19 BremPolG; § 3<br />
HambSOG; § 13 MVSOG; § 11 NdsSOG; § 8 NWPolG, § 14 NWOBG; § 9 Rh-<br />
PflPOG; § 8 SaarlPolG; § 13 SachsAnhSOG; § 3 SächsPolG; § 201 SchlHVwG;<br />
§ 174 SchlHVwG; § 5 ThürOBG, § 12 ThürPAG.<br />
43 Vgl. Meixner-Fredrich, 11. Aufl. § 31 HSOG Rn. 2, 6.<br />
Fallbearbeitung<br />
Gesetzgeber regeln <strong>und</strong> je schwerwiegender der Gr<strong>und</strong>rechtseingriff ist, desto<br />
detaillierter, d.h. regelungsdichter, muss das Gesetz sein. 44 Ein Rückgriff auf<br />
§ 11 HSOG als allgemeine Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage ist <strong>für</strong> die hiesigen<br />
Gr<strong>und</strong>rechtseingriffe dieser Art <strong>und</strong> Intensität fraglich. Der Gesetzgeber soll<br />
die wesentlichen Entscheidungen über Gr<strong>und</strong>rechtseingriffe <strong>und</strong> deren<br />
Reichweite regeln, sodass die Exekutive durch das Gesetz gesteuert <strong>und</strong> in<br />
ihrer Handlung begrenzt wird. <strong>Die</strong> Legislative hat Anlass, Zweck <strong>und</strong> Grenzen<br />
des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise <strong>und</strong> normenklar<br />
festzulegen. 45 Dem Betroffenen soll es möglich sein, sich auf mögliche Rechtsbeeinträchtigungen<br />
einstellen zu können. 46 Der oben beschriebene Eingriff in<br />
Art. 5 I <strong>und</strong> 8 I GG wiegt besonders schwer. <strong>Die</strong>se Vorgehensweise auf<br />
§ 11 HSOG zu stützen, hätte zur Folge, jedwedem polizeilichem Handeln eine<br />
Eingriffsgr<strong>und</strong>lage zu eröffnen. Spezielle Regelungen könnten dadurch stets<br />
unterlaufen werden <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rechtseingriffe uferlos stattfinden. Polizeilichen<br />
Rechtseingriffen in gr<strong>und</strong>rechtssensiblen Bereichen wären Tür <strong>und</strong> Tor geöffnet.<br />
Wegen seines Sinns <strong>und</strong> Zwecks enthält § 11 HSOG seinem Wortlaut nach<br />
gerade keine Begrenzungen staatlichen Handelns. <strong>Die</strong>se müsste die Behörde<br />
selbst vornehmen. Das ist aber eine originäre Aufgabe des Parlamentsgesetzgebers.<br />
Ohne hinreichend deutliche Bestimmungen <strong>und</strong> Begrenzungen von<br />
Gr<strong>und</strong>rechtseingriffen kann die hiesige Maßnahme wegen fehlender Bestimmtheit<br />
des § 11 HSOG nicht als Eingriffsgr<strong>und</strong>lage herangezogen werden.<br />
Folglich hat das PP ohne Eingriffsgr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> dadurch ohne das Bestehen<br />
eines Rechtsverhältnisses gehandelt. Das Verhalten des PP ist rechtswidrig.<br />
Es verletzt die Gr<strong>und</strong>rechte des A aus Art. 8 I GG <strong>und</strong> Art. 5 I 1 1. Var.<br />
GG. <strong>Die</strong> negative FK ist begründet.<br />
D. ERGEBNIS<br />
<strong>Die</strong> negative FK ist zulässig <strong>und</strong> begründet. Ein gerichtliches Vorgehen des A<br />
hat Aussicht auf Erfolg.<br />
44 Vgl. BVerfGE 1, 13 (60); 40, 237 (248); 49, 89 (126); 58, 257 (268); 77, 170<br />
(230); 88, 103 (116).<br />
45 BVerfGE 113, 348 (375).<br />
46 BVerfG, NJW 2008, 1505 (1509).<br />
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Fern<strong>stud</strong>ium („Blended Learning“) zu vergeben Bewerbungsschluss ist der 15. Juli 2011. Danach<br />
findet ein Auswahlverfahren statt.<br />
Zulassungsvoraussetzungen: abgeschlossenes Fachhochschul- oder Universitätsabschluss sowie<br />
mindestens ein Jahr Berufserfahrung. Der interdisziplinäre (berufsbegleitende) Studiengang richtet<br />
sich an Interessierte aus den Bereichen Jura, Medizin, Polizei, Psychologie <strong>und</strong> verwandte Berufe.<br />
Besonders qualifizierten Studierenden steht der Weg zur Promotion offen.<br />
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makrim@rub.de bzw. telefonisch unter 0234-32-29338.
42<br />
Fallbearbeitung<br />
SACHVERHALT 1<br />
Katja Nagel, Jahrgang 1985 ist Rechtsreferendarin am Landgericht Bochum. Sie schloss das Studium der Rechtswissen-<br />
schaften Mitte 2010 an der Ruhr-Universität-Bochum mit der ersten juristischen Prüfung ab.<br />
Mani Jaleesi, Jahrgang 1984, schloss das Studium der Rechtswissenschaften Ende 2010 an der Ruhr-Universität-Bochum<br />
mit der ersten juristischen Prüfung ab.<br />
Um sich <strong>für</strong> eine bei einer Schlägerei erlittene schwere Knieverletzung sei-<br />
nes Fre<strong>und</strong>es C zu rächen, lockt A den B unter dem Vorwand eines illega-<br />
len Zigarettengeschäfts an einen abgelegenen Parkplatz am Ufer eines Sees.<br />
Verdutzt über den Ort der Übergabe, steckt B seinen ausziehbaren metal-<br />
lenen Schlagstock („Totschläger“) ein. <strong>Die</strong> Rachegelüste des A sehen wie<br />
folgt aus: er plant den A mit der Faust niederzustrecken <strong>und</strong> ihm dann mit<br />
dem unter seiner Jacke mitgeführten abgesägten Schrotgewehr ins Knie zu<br />
schießen, sodass dieses dauerhaft steif werde. Bei der Zusammenkunft am<br />
Treffpunkt holt A unvermittelt aus um B niederzuschlagen. B kommt ihm<br />
jedoch zuvor <strong>und</strong> schlägt A mit dem Schlagstock nieder. Damit hat A nicht<br />
gerechnet. A hält die Hände schützend vor sein Gesicht <strong>und</strong> hofft, das B<br />
nun nicht mehr zuschlagen werde. B stürzt sich hingegen mit den Worten<br />
„Ich bring dich um!“ auf den am Boden liegenden, ihm körperlich unterle-<br />
genen A. <strong>Die</strong>ser zieht in Todesangst die Waffe <strong>und</strong> drückt, unter billigender<br />
Inkaufnahme des Todes, ab. Er trifft B aus einer Entfernung von 20 cm in<br />
die Brust. S verblutet innerhalb weniger Minuten am Tatort.<br />
Nach diesem Erlebnis ist A geschockt <strong>und</strong> betrinkt sich, sodass er schließ-<br />
lich eine Blutalkoholkonzentration von 1,7 Promille hat. Er weiß, dass er<br />
eigentlich auf Gr<strong>und</strong> seines Zustandes nicht mehr fahren dürfte, dennoch<br />
macht er mit seinem Kollegen K eine Spritztour mit dem nagelneuen BMW<br />
seiner Mutter. Das Auto gerät diverse Male ins Schleudern, da A wegen sei-<br />
nes Alkoholgehalts den Pkw nicht mehr unter Kontrolle hat. K freut sich<br />
über diese seiner Meinung nach lustige <strong>und</strong> abwechslungsreiche Fahrt <strong>und</strong><br />
spornt A lauthals an, dass er noch schneller fahren solle. Gerade als beide<br />
lauthals grölen <strong>und</strong> sich des Geschwindigkeitsrausches erfreuen, kommt<br />
der Pkw erneut ins Schleudern <strong>und</strong> kommt gerade noch vor einem Baum<br />
zum Stehen. A ist froh über diesen Ausgang, da er seinen Kollegen niemals<br />
gefährden wollte. Es ist schon spät am Abend, sodass die Straße leer ist <strong>und</strong><br />
keine andere Person gefährdet wird.<br />
Prüfen Sie die Strafbarkeit des A nach dem StGB.<br />
examenskandidaten im Strafrecht: „Todesangst“<br />
von Rechtsreferendarin Katja Nagel <strong>und</strong> Dipl. Jur. Mani Jaleesi (Bochum)<br />
1 Der erste Tatkomplex ist angelehnt an BGH, Urt. v. 22. 11. 2000 - 3 StR<br />
331/00 = NStZ 2001, 143.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
GLIEDERUNG<br />
A. Tatkomplex: <strong>Die</strong> Zusammenkunft am Parkplatz<br />
I. § 212 Abs. 1 StGB (-) durch den Schuss<br />
1. Tatbestand<br />
2. Rechtswidrigkeit - § 32 StGB<br />
a) Notwehrlage<br />
aa) gegenwärtiger Angriff<br />
bb) Rechtswidrigkeit des Angriffs des B<br />
> Rechtfertigung gem. § 32 StGB<br />
> Gegenwärtigkeit (-)<br />
b) Notwehrhandlung<br />
- Erforderlichkeit bei Schusswaffengebrauch, i. E. (+)<br />
P) Gebotenheit – sonst vorwerfbare Notwehrprovokation<br />
> Dreistufentheorie (ganz h.M.), i.E. (+)<br />
c) Verteidigungswille<br />
> Rechtswidrigkeit (-)<br />
3. Ergebnis (-)<br />
II. §§ 223, 224, 227 StGB (-) durch den Schuss<br />
III. §§ 223, 227, 22, 23 StGB (-) durch Ausholen zum Faustschlag<br />
1. Vorprüfung<br />
2. Tatbestand § 223 (Tatentschluss <strong>und</strong> unmittelbares Ansetzen)<br />
3. Erfolgsqualifikation<br />
a) Erfolg<br />
b) tatbestandspezifischer Gefahrverwirklichungszusammenhang<br />
(P) Anknüpfungspunkt i. R. d. § 227 StGB<br />
(alternativ bereits in „Vorprüfung“)<br />
(P) Vorliegen des Gefahrverwirklichungszusammenhangs, i. E. (-)<br />
IV. § 222 StGB<br />
(P) Wertungswiderspruch -> „actio illicita in causa“<br />
i.Ü. objektive Zurechnung (-)<br />
B. Tatkomplex: <strong>Die</strong> Autofahrt
I. § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a i. V. m. Abs. 3 Nr. 1 StGB<br />
1. Objektiver Tatbestand<br />
a) Führen eines Fahrzeugs trotz Fahruntüchtigkeit (+)<br />
b) Gefährdung des Beifahrers K<br />
Insassen gr<strong>und</strong>sätzlich von § 315 c geschützt<br />
(P) teilnehmender Beifahrer<br />
> zunächst Inzidentprüfung, ob K überhaupt Teilnehmer ist<br />
aa) Strafbare Teilnahme des K<br />
> vorsätzliche rechtswidrige Haupttat des A,<br />
Teilnahmehandlung des K<br />
aaa) Vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat<br />
> hier weitere Prüfung des § 315 c StGB (Gefährdungsobjekt<br />
ist zu unterstellen)<br />
P) Rechtswidrigkeit<br />
> Einwilligung möglich? i. E. (-)<br />
bbb) Teilnahmehandlung des K (+)<br />
ccc) Zwischenergebnis: Teilnahme (+)<br />
bb) (P) teilnehmender Beifahrer als geeignetes Gefährdungsobjekt<br />
> nun Meinungsstreit relevant<br />
> i. E. (-)<br />
c) Fahrzeug als Gefährdungsobjekt<br />
i. E. (-), da Tatwerkzeug <strong>und</strong> Gefährdungsobjekt nicht identisch<br />
sein können<br />
2. Ergebnis<br />
§ 315 c StGB (-)<br />
II. § 316 StGB (+)<br />
LöSUNG<br />
A. TATKOMPLEx: DIE ZUSAMMENKUNFT AM PARKPLATZ<br />
I. § 212 ABS. 1 STGB<br />
Indem A den Tod des B durch das Abfeuern der Waffe verursachte, könnte<br />
er sich des Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.<br />
1. TATBESTAND<br />
Der Tod des B wurde durch den Schuss des A äquivalent <strong>und</strong> zurechenbar<br />
verursacht. Auch wenn die Tötung eines Menschen das Überwinden einer<br />
besonderen Hemmschwelle erfordert, kann hier aufgr<strong>und</strong> der billigenden<br />
Inkaufnahme des Todes von bedingtem Vorsatz ausgegangen werden. 2<br />
2. RECHTWIDRIGKEIT<br />
A könnte jedoch durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt sein.<br />
2 vertiefend zur Hemmschwellentheorie BGH NStZ 1983, 407; NStZ 1983,<br />
365; NStZ 2004, 330; NStZ 2005, 629 mit Anm. Schneider; NStZ 2006, 98 ;<br />
NStZ 2006, 444; BGH NStZ 2009, 264.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Fallbearbeitung<br />
a) Notwehrlage<br />
aa) Erforderlich ist zunächst ein gegenwärtiger <strong>und</strong> rechtwidriger Angriff.<br />
Ein Angriff liegt bei einer drohenden Gefahr <strong>für</strong> rechtlich geschützte Güter<br />
oder Interessen vor. 3 Er ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht,<br />
gerade stattfindet oder noch andauert. 4 Vorliegend versieht A sich unmittelbar<br />
der Attacke des B, der sich mit den Worten „Ich bring dich um“ - zudem<br />
bewaffnet mit einem Teleskopschlagstock - auf ihn stürzt. Demzufolge<br />
ist die körperliche Integrität <strong>und</strong> das Leben des A gefährdet.<br />
bb) Es könnte jedoch an der Rechtswidrigkeit des Angriffs fehlen, sofern<br />
das Todesopfer B seinerseits gerechtfertigt war. <strong>Die</strong>ser schlug A mit dem<br />
Schlagstock nieder, als A gerade zum Faustschlag ausholte, um ihm nachfolgend<br />
ins Knie zu schießen. Damit lag zunächst ein gegenwärtiger, rechtswidriger<br />
Angriff durch A vor. B befand sich mithin in einer Notwehrlage.<br />
Fraglich ist, ob die Gegenwärtigkeit des Angriffs im Zeitpunkt des tödlichen<br />
Schusses noch gegeben war. Als A verletzt zu Boden ging, hielt er<br />
die Hände schützend vor sein Gesicht. Er war in diesem Zeitpunkt nicht<br />
mehr willens seinen zuvor gefassten Plan in die Tat umzusetzen, sodass<br />
sein Angriff nicht mehr gegenwärtig war <strong>und</strong> B sich somit, als er sich auf<br />
den am Boden liegenden A stürzte, nicht mehr in einer Notwehrlage befand.<br />
Demnach war der Angriff seitens des B rechtswidrig. A befand sich<br />
in einer Notwehrlage.<br />
b) Notwehrhandlung<br />
Zudem ist die Abgabe des Schusses auf die Erforderlichkeit <strong>und</strong> Gebotenheit<br />
hin zu prüfen.<br />
aa) Erforderlichkeit liegt bei Anwendung des relativ mildesten Mittels<br />
vor, der Angegriffene darf jedoch gr<strong>und</strong>sätzlich dasjenige Mittel wählen,<br />
das eine sofortige <strong>und</strong> endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. 5<br />
Gerade beim Einsatz lebensgefährdender Mittel, wie im vorliegenden<br />
Fall des Schusswaffengebrauchs, kommt dem Erfordernis des mildesten<br />
Mittels besondere Bedeutung zu. Der finale Todesschuss ist nur als „letztes<br />
Mittel“ anzuwenden. 6 Dem Gebot der stufenweisen Anwendung zufolge ist<br />
der Gebrauch zunächst anzudrohen, dann ist ein Warnschuss abzugeben.<br />
Zudem ist ein Schuss auf Beine <strong>und</strong> Arme zu richten bevor ein möglicherweise<br />
lebensbedrohlicher Schuss abgegeben werden darf. Gr<strong>und</strong>sätzlich ist<br />
diese Stufenfolge zu beachten. Es handelt sich hierbei jedoch lediglich um<br />
eine Faustformel. Entscheidend im Einzelfall sind die konkreten Umstände<br />
der Situation, die „konkrete Kampflage“. 7 Vorliegend hat A im entscheidenden<br />
Zeitpunkt keine andere Möglichkeit, den Angriff des körperlich überlegenen<br />
<strong>und</strong> mit einem „Totschläger“ bewaffneten B effektiv abzuwenden,<br />
als seinerseits einen Schuss mit der mitgeführten Schusswaffe abzufeuern.<br />
Durch einen kräftigen Schlag mit dem Schlagstock besteht die akute Gefahr<br />
einer todbringenden Verletzung. Damit ist kein milderes Mittel ersichtlich,<br />
sodass der Schusswaffengebrauch erforderlich ist.<br />
3 Wessels/Beulke, StR AT, Rn. 325.<br />
4 Wessels/Beulke, StR AT, Rn. 328 m.w.N.<br />
5 Kühl, StR AT, § 7; Rn. 88; Wessels/Beulke, StR AT, Rn. 335.<br />
6 BGHSt 27, 336; BGH NStZ 1986, 357.<br />
7 BGHSt 27, 336, 337; BGH NStZ 2006, 152 m. Anm. Satzger, in: JK 1/06,<br />
StGB 32/39.<br />
43
44<br />
Fallbearbeitung<br />
bb) Fraglich ist, ob der Schlag als geboten angesehen werden kann.<br />
Demnach ist das Notwehrrecht aus sozialethischen Erwägungen zu be-<br />
grenzen. Hierbei bedarf es jedoch der restriktiven Handhabung, da es sich<br />
bei der Notwehr um ein ‚schneidiges Recht‘ handelt („das Recht braucht<br />
dem Unrecht nicht zu weichen“ 8 ) <strong>und</strong> eine Güterabwägung gerade nicht<br />
angezeigt ist. 9<br />
Es könnte sich vorliegend um die Fallgruppe der Notwehrprovokation<br />
handeln. Hierbei ist zwischen sog. Absichtsprovokation <strong>und</strong> sonst vor-<br />
werfbarer Provokation zu differenzieren. Bei der Absichtsprovokation<br />
wird ein Angriff bewusst herausgefordert, um den Angreifer unter dem<br />
Deckmantel der Notwehr zu verletzen. 10 Hier ging es A jedoch darum, das<br />
Überraschungsmoment unmittelbar <strong>für</strong> die geplante Aktion auszunutzen.<br />
Er wollte einen Gegenangriff von B von Gr<strong>und</strong> auf verhindern, um sich keiner<br />
Gefahr auszusetzen. Demnach wollte er keinen Angriff des B provozieren.<br />
Absichtsprovokation scheidet folglich aus. Vielmehr hat A den Angriff<br />
sonst vorwerfbar dadurch verursacht, dass er den B anzugreifen versucht<br />
hat. Dadurch hat A den über das Notwehrrecht hinausgehenden Angriff des<br />
B hervorgerufen. Damit hat A die Gefahrenlage selbst verschuldet, sodass<br />
nur eine restriktive Ausübung des Notwehrrechts billig <strong>und</strong> damit zugleich<br />
geboten erscheint. Er hat daher zunächst auszuweichen <strong>und</strong>, sofern dies<br />
nicht möglich ist, seine Verteidigung auf defensive Abwehrmaßnahmen<br />
zu beschränken (sog. Schutzwehr). Erst bei der Gefahr erheblicher eigener<br />
Gefährdung sind verletzende Gegenangriffe (sog. Trutzwehr) als zulässig<br />
anzusehen (sog. Dreistufentheorie) 11 . Zu berücksichtigen ist hierbei, dass<br />
die Anforderungen an die Vermeidung gefährlicher Abwehrhandlungen<br />
umso höher sind, je schwerer der Provokationsvorwurf hinsichtlich<br />
Verwerflichkeit <strong>und</strong> Vorwerfbarkeit wiegt. 12 Hier wollte A den B tätlich<br />
schwer angreifen, sodass er den Angriff des B in besonders vorwerfbarer<br />
Weise hervorgerufen hat <strong>und</strong> besonders hohe Anforderungen an die<br />
Vermeidung der Gefahr zu stellen sind. Hier lag A auf dem Rücken <strong>und</strong><br />
war B, der ihm körperlich überlegen <strong>und</strong> zudem mit einem Totschläger<br />
bewaffnet war, hilflos ausgeliefert. Es bestand weder die Möglichkeit zur<br />
Flucht, noch wirksamer Schutzwehr. Daher war der Schuss des A das einzig<br />
wirksame Mittel, um sein Leben zu schützen. Trotz der an sich erhöhten<br />
Anforderungen an A, gelangt sein Notwehrrecht aufgr<strong>und</strong> der hier bestehenden<br />
akuten Lebensgefahr zu keiner Einschränkung. Der Schuss mit der<br />
Waffe ist damit geboten. 13<br />
c) Verteidigungswille<br />
Zudem handelte A in der Absicht, sein Leben zu bewahren <strong>und</strong> daher mit<br />
Verteidigungswillen.<br />
d) Der todbringende Schuss des A ist folglich gem. § 32 StGB gerechtfertigt.<br />
8 urspr. zurückgehend auf Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 18.<br />
Aufl. 1898, Neudruck 1986, S.107.<br />
9 Lackner/Kühl, § 32, Rn. 14; ausführlich Kühl, StR AT, §7, Rn. 157 ff.<br />
10 Kühl, StR AT, § 7, Rn. 228.<br />
11 erstmals BGHSt 24, 356 ff.<br />
12 BGHSt 39, 374, 379; BGHSt 42, 97, 101; BGH NStZ 2002, 425f.; 2003, 420 f.<br />
u. 2006, 332; kritisch zu einer Abwägung im Einzelfall Krack, in: JR 1996, 468f.<br />
13 so auch der BGH, NStZ 2001, 143.<br />
3. ERGEBNIS<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
A hat sich nicht des Totschlags gem. § 212 StGB strafbar gemacht.<br />
II. §§ 227, 223, 224 STGB<br />
Indem A den Tod des B durch das Abfeuern der Waffe verursachte, könnte<br />
er sich gem. §§ 227, 223, 224 StGB strafbar gemacht haben. Ebenso wie die<br />
Strafbarkeit wegen Totschlags scheitert jedoch auch die Verwirklichung der<br />
§§ 223, 224, 227 StGB an mangelnder Rechtswidrigkeit.<br />
III. §§ 227, 223, 22, 23 STGB<br />
Indem A zum Faustschlag gegenüber B ausholte, könnte er sich jedoch der<br />
versuchten Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 223, 224, 227, 22, 23<br />
StGB strafbar gemacht haben.<br />
1. VORPRüFUNG<br />
A wollte B mit der Faust niederstrecken. Mangels Erfolgseintritt ist die Tat<br />
- anknüpfend an die Ausholbewegung - nicht vollendet. <strong>Die</strong> Strafbarkeit<br />
des Versuchs ergibt sich bei Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB) gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
aus §§ 22, 23 Abs. 1 Alt.1 StGB. <strong>Die</strong> Versuchsvorschriften sind jedoch auf<br />
Vorsatzdelikte zugeschnitten. Bei § 227 StGB handelt es sich jedoch um<br />
eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination (sog. Erfolgsqualifikation). Wie<br />
sich aus § 11 Abs. 2 StGB ergibt, gelten erfolgsqualifizierte Delikte jedoch<br />
ebenfalls als Vorsatzdelikte, sodass eine Versuchsstrafbarkeit gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
möglich ist. 14<br />
2. TATENTSCHLUSS UND UNMITTELBARES ANSETZEN BZGL.<br />
§ 223 ABS. 1 STGB (TATBESTAND DES GRUNDDELIKTS)<br />
A müsste vorsätzlich bezüglich der Verwirklichung des Gr<strong>und</strong>tatbestandes<br />
gehandelt haben. A wollte B einen Faustschlag versetzen <strong>und</strong> ihn hierdurch<br />
körperlich misshandeln <strong>und</strong> an der Ges<strong>und</strong>heit schädigen. Mithin hatte A<br />
Vorsatz bzgl. der Verwirklichung des Gr<strong>und</strong>tatbestandes des § 223 Abs. 1 StGB.<br />
Mit dem Ausholen zum Schlag hat A subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht<br />
es los“ überschritten, so dass das Rechtsgut unmittelbar gefährdet war <strong>und</strong><br />
der tatbestandsmäßige Erfolg ohne wesentliche Zwischenakte eingetreten<br />
wäre. 15 Er hat damit unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.<br />
3. ERFOLGSqUALIFIKATION<br />
Zudem müsste A den qualifizierenden Erfolg - unter Berücksichtigung des<br />
sog. tatbestandsspezifischen Gefahrverwirklichungszusammenhangs16 -<br />
fahrlässig verursacht haben.<br />
14 Kühl, StR AT, § 17a, Rn. 4.<br />
15 zur gemischt subjektiv-objektiven Theorie z.B. BGHSt 30, 363; BGH StV<br />
1989, 526; BGH NStZ 1997, 83.<br />
16 synonyme Begriffe: Unmittelbarkeitszusammenhang, tatbestandstypischer<br />
Gefahrzusammenhang u.a.
a) Kausalität<br />
Der Tod des B beruht auf der Eskalation der Situation, die der Aushol-<br />
bewegung durch A folgte. Das Ausholen kann folglich nicht hinwegge-<br />
dacht werden, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.<br />
Der Kausalzusammenhang wird vor allem nicht durch die Reaktion des<br />
B unterbrochen, da diese als typische Folge des Angriffs anzusehen ist <strong>und</strong><br />
die Handlung des A damit fortwirkt. Der versuchte Faustschlag ist damit<br />
conditio sine qua non <strong>für</strong> den Todeserfolg.<br />
b) Gefahrverwirklichungszusammenhang<br />
Problematisch ist die Zurechnung über die Figur des Gefahrverwirk-<br />
lichungszusammenhangs. Demnach muss sich im Todeserfolg die der<br />
Köperverletzung ‚eigentümliche Gefahr‘ niedergeschlagen haben. 17<br />
aa) Fraglich ist zunächst, ob eine Zurechnung auch bei einer nur versuch-<br />
ten Körperverletzung möglich ist. 18 Entgegen anderer Stimmen 19 ist über-<br />
zeugenderweise nach dem jeweiligen Delikt zu differenzieren. 20 Sofern<br />
die deliktsspezifische Gefährlichkeit bereits auf der Tathandlung des<br />
Gr<strong>und</strong>delikts beruht, ist eine erfolgsqualifizierte Versuchsstrafbarkeit an-<br />
zunehmen. Beruht die Gefährlichkeit jedoch auf dem Erfolg, scheidet eine<br />
Versuchsstrafbarkeit mangels Erfolgseintritts beim Versuch konsequenter-<br />
weise aus.<br />
Bezogen auf den hiesigen Fall stellt sich damit die Frage, ob die beson-<br />
dere Gefahr des Todeserfolgs im Falle des § 227 StGB am Erfolg oder der<br />
Handlung anknüpft.<br />
aaa) Einerseits könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass sich im<br />
tödlichen Ausgang gerade die Gefahr verwirklicht haben muss, die auf der<br />
Art <strong>und</strong> Schwere der Verletzung beruht (Letalitätstheorie 21 ). Nur ein der-<br />
art enges Verständnis wäre demnach mit der dreijährigen Mindeststrafe<br />
vereinbar. Dass bereits der Verletzungserfolg eingetreten sein müsste,<br />
ergäbe sich zudem aus den Formulierungen „verletzten Person“ <strong>und</strong><br />
„Körperverletzung“ des § 227 StGB, sodass die Gegenansicht als verbotene<br />
Analogie zu Lasten des Täters nach Art. 103 Abs. 2 GG anzusehen wäre. 22<br />
bbb) Dem könnte man jedoch entgegenhalten, dass der Wortlaut sich<br />
gerade nur auf ein vollendetes Delikt bezieht, sodass der Wortlaut<br />
im Falle des Versuchs – im Einklang mit Art. 103 Abs. 2 GG – in<br />
Zusammenschau mit §§ 22, 23 StGB entsprechend umzudeuten ist. I.Ü.<br />
erfasst der Klammerzusatz „(§§ 223-226)“ auch die jeweiligen zweiten<br />
Absätze, in denen die Versuchsstrafbarkeit geregelt ist. Zudem stützen<br />
dieses Verständnis teleologische Gesichtspunkte, da sich bereits durch die<br />
Körperverletzungshandlung (z.B. das Lösen eines Schusses beim Schlag<br />
17 BGHSt 31, 96, 98f.; 32, 25, 28; 33, 322, 324.<br />
18 Alternativ hätte die Frage bereits i. R. d. Vorprüfung geklärt werden<br />
können; so bspw. Beulke, Klausurenkurs im StR III, Rn. 403, 405.<br />
19 a.A. (enge Ansicht) Maurach/Gössel/Zipf, AT2 ,§ 43, Rn. 117; a.A. Otto, AT<br />
§ 18 Rn. 83 ff.; Schroeder, in: JZ 1967, 368; Stree, GA 1960, 289, 292f.<br />
20 BGH NStZ 2001, 534; BGH NStZ 2003, 149; i.Ü. h.M. in Lit. z.B. Wessels/<br />
Beulke, StR AT, Rn. 617.<br />
21 so bereits RGSt 44, 137; OGHSt 2, 335; i.Ü. T.d.L, vgl. etwa Geilen, Welzel-FS,<br />
S.655; Hirsch, Oehler-FS, S.111; Küpper, Hirsch-FS, S. 615; Lackner/Kühl, §<br />
227 Rn.2 m.w.N.<br />
22 zum Ganzen Wessels/Hettinger, StR BT 1, Rn. 298ff.; näher Engländer, in:<br />
GA 2008, 673.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Fallbearbeitung<br />
mit einer Waffe 23 oder infolge von Panikreaktionen auf einen versuchten<br />
Angriff 24 ) typischerweise Gefahren ergeben können, welche einen todbrin-<br />
genden Erfolg zur Folge haben könnten. Folglich scheint es überzeugend,<br />
beim Tatbestand des § 227 StGB den erfolgsqualifizierten Versuch gr<strong>und</strong>-<br />
sätzlich als möglich anzusehen.<br />
bb) In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob der Gefahrverwirklich-<br />
ungszusammenhang im konkreten Einzelfall nicht unterbrochen ist.<br />
Nachdem A zum Faustschlag angesetzt hat, hat sich erst durch die darauf<br />
folgende - <strong>und</strong> über die Notwehr hinausgehende - Attacke des B eine den<br />
gerechtfertigten Todesschuss herbeiführende Situation ergeben.<br />
<strong>Die</strong> Zurechnung könnte durch das eigenverantwortliche Opferverhalten<br />
des B unterbrochen sein. Danach trägt derjenige, der seine Rechtsgüter<br />
selbst gefährdet, gr<strong>und</strong>sätzlich selbst die Verantwortung <strong>für</strong> sein Handeln. 25<br />
B hat es vorliegend nicht dabei belassen, sich bei der Abwehr des Faust-<br />
schlags i. R. d. Notwehr zu bewegen, sondern hat diese durch das beab-<br />
sichtigte weitere Zuschlagen mit dem Teleskopschlagstock überschritten. 26<br />
Durch diese Entscheidung zur Begehung der rechtswidrigen Tat trägt B<br />
zur Erhöhung der Gefahrintensität bei, sodass die spezifische Gefahr der<br />
Rechtgüterverletzung seinem Verantwortungsbereich unterfällt. Damit hat<br />
B sich eigenverantwortlich der Erhöhung der Gefahrensituation ausgesetzt,<br />
sodass der Gefahrverwirklichungszusammenhang als unterbrochen anzu-<br />
sehen ist.<br />
4. ERGEBNIS<br />
Folglich hat A sich nicht der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge<br />
gem. §§ 223, 224, 227, 22, 23 StGB strafbar gemacht.<br />
IV. § 222 STGB<br />
Indem A zum Faustschlag gegenüber B ausholte, könnte er sich allerdings<br />
der fahrlässigen Tötung gem. §§ 222 StGB strafbar gemacht haben.<br />
1. TATBESTAND<br />
Durch das Ausholen zum Faustschlag hat A den Tod des B adäquat kausal<br />
verursacht. Es stellt sich hier die Frage, ob die Annahme der fahrlässigen<br />
Tatbegehung nicht mit dem Ergebnis der durch Notwehr gerechtfertigten<br />
Abgabe des tödlichen Schusses (A. I, II) in Widerspruch steht. 27 Man könnte<br />
hierbei annehmen, dass es widersinnig sei, den Todeserfolg einerseits als<br />
gerechtfertigt <strong>und</strong> damit rechtmäßig anzusehen, andererseits hierauf die<br />
Strafbarkeit zu gründen. Ein Erfolg kann demzufolge nicht gleichzeitig als<br />
rechtswidrig <strong>und</strong> rechtmäßig angesehen werden. 28 Dem könnte jedoch ent-<br />
gegenhalten werden, dass solche unterschiedlichen Bewertungen seit jeher<br />
anerkannt sind. So schließt die mittelbare Täterschaft eines gerechtfertigt<br />
handelnden Tatmittlers die Strafbarkeit des Hintermanns nicht aus, wie<br />
23 BGHSt 14, 110 („Pistolenschlag“).<br />
24 BGHSt 48, 34 („Gubener Hetzjagd“).<br />
25 Engländer, in: JURA 2001, 534, 537.<br />
26 Engländer, in: JURA 2001, 534, 537.<br />
27 a.A. Mitsch, BGH JuS 2001, 751, 755.<br />
28 vgl. Jäger, in: JR 2001, 512, 513; Roxin, in: JZ 2001, 667, 668.<br />
45
46<br />
Fallbearbeitung<br />
beispielsweise im Falle einer auf einer bewusst falschen Anschuldigung<br />
beruhenden Verhaftung (Polizei nimmt aufgr<strong>und</strong> falscher Beschuldigung<br />
durch eine Person einen Anderen fest; die Polizeiaktion ist rechtmäßig,<br />
die Freiheitsberaubung steht der Rechtsordnung jedoch entgegen <strong>und</strong> der<br />
Hintermann ist deshalb strafbar). 29 <strong>Die</strong>ser Vergleich vermag jedoch nicht<br />
zu überzeugen. Der Erfolg der Freiheitsentziehung ist in diesem Fall eindeutig<br />
als rechtwidrig zu beurteilen, er kann den rechtmäßig handelnden<br />
Beamten lediglich nicht zugerechnet werden. Zudem fehlt es bei einem<br />
rechtskonformen, weil gerechtfertigten Erfolg, am Erfolgsunrecht. Würde<br />
man nun im Falle eines Fahrlässigkeitsdelikts eine Strafbarkeit lediglich<br />
auf den Handlungsunwert stützen, liefe dies auf die Bestrafung eines - sonst<br />
straflosen - fahrlässigen Versuchs hinaus. 30 Folglich führt die Annahme<br />
nicht nur zu einem Wertungswiderspruch, sondern darüber hinaus auch<br />
zu einem systemwidrigen Ergebnis <strong>und</strong> ist daher abzulehnen.<br />
Bearbeiterhinweis: Letztlich handelt es sich bei diesem Problem um einen<br />
(atypischen 31 ) Fall der actio illicita in causa, welcher von der h. M.<br />
überzeugender Weise abgelehnt wird. In der diesem Fall zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />
Entscheidung hat der BGH eine Strafbarkeit erstmals angenommen.<br />
Nach unserem Da<strong>für</strong>halten ist das Ausweisen als „aiic“ im Rahmen<br />
einer Fallbearbeitung nicht angezeigt. Für eine überdurchschnittliche<br />
Bearbeitung genügt es, das Problem zu erkennen (!), herauszuarbeiten <strong>und</strong><br />
mithilfe einiger Argumente zu diskutieren.<br />
2. ERGEBNIS<br />
A hat sich nicht der fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB strafbar gemacht.<br />
VI. §§ 226 I NR.2, II, 22, 23 STGB<br />
A könnte sich jedoch der versuchten schweren Körperverletzung gem.<br />
§§ 226 Abs.1 Nr.2, Abs. 2, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben, indem er<br />
zum Faustschlag gegenüber B ausholte.<br />
Bearbeiterhinweis: Hier handelt es sich um einen sog. Versuch der<br />
Erfolgsqualifikation. Dabei ist die qualifizierende Folge vom Vorsatz umfasst,<br />
tritt jedoch nicht ein. Das Gr<strong>und</strong>delikt kann dabei sowohl versucht<br />
(wie hier) als auch vollendet sein. Dessen Strafbarkeit ist allgemein anerkannt<br />
- anders der soeben geprüfte sog. erfolgsqualifizierte Versuch (A.III.).<br />
Hier wird die qualifizierende Folge durch den Versuch des Gr<strong>und</strong>delikts<br />
fahrlässig herbeigeführt. Mit der h. M. kommt es <strong>für</strong> die Strafbarkeit entscheidend<br />
darauf an, ob die spezielle Gefährlichkeit von der Handlung oder<br />
dem Erfolg herrührt.<br />
1. VERSUCH DES § 223 STGB<br />
A hat vorsätzlich bezüglich der Verwirklichung einer einfachen Körperverletzung<br />
gehandelt <strong>und</strong> hat hierzu - durch Ausholen zum Faustschlag -<br />
auch unmittelbar angesetzt.<br />
29 so z.B. im Falle der auf einer falschen Anschuldigung beruhenden<br />
Verhaftung (Roxin, in: JZ 2001, 667, 668).<br />
30 Jäger, in: JR 2001, 512, 514.<br />
31 Roxin, in: JZ 2001, 667 f.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
2. VORSATZ BZGL. § 226 STGB<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich bedarf es wenigstens der Fahrlässigkeit bezüglich des<br />
Eintritts des schweren Folge, vgl. § 226 i. V. m. § 18 StGB. Im Rahmen<br />
des Versuchs einer Erfolgsqualifikation ist allerdings Vorsatz hinsichtlich<br />
der schweren Folge erforderlich. Als schwere Folge kommt hier das<br />
Unbrauchbarmachen eines wichtigen Glieds des Körpers nach § 226<br />
Abs. 1 Nr. 2 Alt.2 in Betracht. Als Glied kann jedenfalls jedes nach außen in<br />
Erscheinung tretende Körperteil angesehen werden, das durch ein Gelenk<br />
mit dem Körper verb<strong>und</strong>en ist. 32 Dessen Wichtigkeit bestimmt sich nach<br />
seiner allgemeinen Bedeutung <strong>für</strong> den Gesamtorganismus. 33 A beabsichtigt,<br />
B ins Knie zu schießen, sodass dieses dauerhaft steif wird. Der durch ein<br />
Glied verb<strong>und</strong>ene untere Beinbereich hat eine ganz erhebliche Bedeutung<br />
<strong>für</strong> die Fortbewegung <strong>und</strong> ist daher als wichtiges Glied anzusehen. Damit<br />
hat A Vorsatz in Form von Absicht bezüglich § 226 Abs. 1 Nr.2 StGB, so<br />
dass zusätzlich die weitere Qualifikation aus § 226 Abs. 2 StGB greift. <strong>Die</strong><br />
Versteifung des Knies wäre typische Folge der Schussverletzung, sodass<br />
auch Vorsatz bezüglich der Verwirklichung des tatbestandsspezifischen<br />
Gefahrzusammenhangs bestünde.<br />
Bearbeiterhinweis: Es ist nur schwerlich möglich, sich <strong>für</strong> jedes (examensirrelevante)<br />
Delikt sämtliche Definitionen der jeweiligen Tatbestandsmerkmale<br />
einzuprägen. Sofern man in der Klausur keine Definition parat hat, empfiehlt<br />
es sich, eine Definition - durch Bildung typischer Beispielsfälle - selbst<br />
herzuleiten oder notfalls ohne Definition schlüssig zu begründen, warum<br />
der zu entscheidende Fall (nicht) erfasst wird. 34<br />
3. UNMITTELBARES ANSETZEN BZGL. § 226 STGB<br />
A müsste des Weiteren unmittelbar zur beabsichtigten Schussverletzung<br />
des Beines angesetzt haben. Hierzu müsste die Schwelle zum „Jetzt geht es<br />
los“ überschritten sein, sodass objektiv ein auf die Verwirklichung der Tat<br />
gerichtetes Verhalten an den Tag gelegt wird, das nach der Vorstellung des<br />
Täters der tatbestandsmäßige Erfolg ohne wesentliche Zwischenakte eintreten<br />
werde <strong>und</strong> das Rechtsgut unmittelbar gefährdet ist. A hat hier zum<br />
Faustschlag ausgeholt, um B niederzustrecken <strong>und</strong> ihm dann unmittelbar<br />
in das Knie zu schießen. Fraglich ist, ob A durch die Ausholbewegung zugleich<br />
unmittelbar zum Schuss ansetzt. Nach seiner Vorstellung hätte A<br />
nach dem Niederschlagen des B noch die Waffe ziehen <strong>und</strong> einen Schuss<br />
abfeuern müssen. Das Niederschlagen mit der Faust soll den entscheidenden<br />
Angriff mit der Waffe lediglich vorbereiten, sodass eine weitere<br />
eigenständige Handlung noch erforderlich wäre. Es ist ein zweiaktiges<br />
Geschehen geplant, bei dem erst die neue Handlung die schwere Folge<br />
hervorrufen soll. Demnach könnten die Zwischenakte als wesentlich angesehen<br />
werden, sodass das Ausholen zum Schlag noch in den Bereich der<br />
Vorbereitungshandlungen fiele. 35 Andererseits ist zuzugestehen, dass das<br />
Geschehen vom Ausholen bis zum Schuss in einem sehr engen räumlichen<br />
<strong>und</strong> zeitlichen Zusammenhang hat stattfinden sollen. Der Schlag <strong>und</strong><br />
die weiteren Handlungen sollten fließend ineinander übergehen. Sobald<br />
32 Wessels/Hettinger, StR BT 1, Rn. 288.<br />
33 st. Rspr.; im Einzelnen str. vgl. Wessels/Hettinger, StR BT 1, Rn. 289.<br />
34 Klaas/Scheinfeld, in: JURA 2010, 542, 547 mit weiteren Klausurtipps.<br />
35 so i.E. Eisele, in: NStZ 2001, 416, 418.
der Schlag versetzt wurde, sollte die Waffe idealerweise bereits gezogen<br />
sein <strong>und</strong> den beabsichtigten Knieschuss unmittelbar abfeuern. Daher<br />
scheint es überzeugend, bereits im Zeitpunkt des Ausholens eine unmittelbare<br />
Gefährdung auch des durch § 226 StGB geschützten Rechtsguts<br />
anzunehmen <strong>und</strong> die Zwischenakte nicht als wesentlich anzusehen.<br />
Überzeugenderweise ist das unmittelbares Ansetzen daher anzunehmen. 36<br />
4. RECHTSWIDRIGKEIT UND SCHULD<br />
Rechtfertigungs- <strong>und</strong> Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.<br />
Aufgr<strong>und</strong> des Vorsatzes bezüglich der schweren Folge bedarf es keiner subjektiven<br />
Fahrlässigkeit.<br />
5. ERGEBNIS<br />
Somit hat A sich der versuchten schweren Körperverletzung gem. §§ 226 I<br />
Nr. 2, Abs. 2, 22, 23 StGB strafbar gemacht, indem er zum Faustschlag<br />
gegenüber B ausholte.<br />
B. TATKOMPLEx: DIE AUTOFAHRT<br />
I. GEFäHRDUNG DES STRAßENVERKEHRS, § 315 C ABS. 1 NR. 1 A<br />
I.V.M. ABS. 3 NR. 1 STGB<br />
A könnte sich wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c Abs. 1<br />
Nr. 1 a StGB strafbar gemacht haben.<br />
1. OBJEKTIVER TATBESTAND<br />
a) Führen eines Fahrzeugs trotz Fahruntüchtigkeit<br />
A hat vorliegend im Straßenverkehr ein Fahrzeug geführt. Er müsste hierbei<br />
in Folge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender<br />
Mittel nicht in der Lage gewesen sein, das Fahrzeug sicher zu führen.<br />
Fahruntüchtigkeit ist gegeben, wenn der Führer nicht fähig ist eine längere<br />
Strecke so zu steuern, dass er den Anforderungen des Straßenverkehrs,<br />
auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, so gewachsen<br />
ist, wie es von einem durchschnittlichen Fahrzeugführer zu erwarten ist. 37<br />
Im Rahmen der Nr. 1 a wird im Zusammenhang mit dem Genuss alkoholischer<br />
Getränke absolute Fahruntüchtigkeit beim Erreichen eines jeweiligen<br />
Grenzwertes unwiderleglich vermutet. <strong>Die</strong> Rechtsprechung nimmt<br />
<strong>für</strong> sämtliche Fahrer von Kraftfahrzeugen absolute Fahruntüchtigkeit<br />
bei einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von mindestens 1,1 Promille<br />
an. 38 A fuhr vorliegend mit einer BAK von 1,7 Promille, sodass absolute<br />
Fahruntüchtigkeit vorliegt. Fraglich ist, ob er dadurch Leib oder Leben eines<br />
Anderen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert konkret gefährdet<br />
hat.<br />
b) Gefährdung des Beifahrers K<br />
Zum einen kommt hier eine Gefährdung des Kollegen K in Betracht <strong>und</strong><br />
36 so Roxin, in: JZ 2001, 667; Jäger, in: JR 2001, 512, 513; Mitsch, in:, JuS 2001,<br />
751, 754 hält es <strong>für</strong> „vertretbar“.<br />
37 Fischer, § 315 c, Rn. 4.<br />
38 Sternberg-Lieben/Hecker, in Schönke/Schröder, § 316, Rn. 8.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Fallbearbeitung<br />
zum anderen eine Gefährdung des Pkws. Es genügt gr<strong>und</strong>sätzlich die<br />
Gefährdung eines beliebigen Menschen. 39 Der Mitfahrer ist in diesem<br />
Zusammenhang in den Strafschutz einbezogen. 40 Fraglich ist jedoch, ob<br />
dies auch gilt, wenn der Beifahrer selbst Teilnehmer der Tat ist.<br />
<strong>Die</strong>se Frage hat nur Relevanz, wenn K überhaupt eine strafbare Teilnahme<br />
begangen hat.<br />
aa) Teilnahme des K<br />
K könnte vorliegend dem A Beihilfe geleistet haben. Gemäß § 27 S. 1 StGB<br />
wird als Gehilfe bestraft, wer vorsätzlich einem Anderen zu dessen vorsätzlich<br />
begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. <strong>Die</strong> Strafbarkeit der<br />
Beihilfe setzt somit zunächst eine rechtswidrige <strong>und</strong> vom Täter vorsätzlich<br />
begangene Haupttat voraus. 41<br />
aaa) Vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat des A<br />
Als Haupttat kommt hier wiederum die Gefährdung des Straßenverkehrs<br />
nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB in Betracht. Dementsprechend müssten alle<br />
Tatbestandvoraussetzungen der Norm gegeben sein, wobei ein geeignetes<br />
Gefährdungsobjekt zu unterstellen ist.<br />
Bearbeiterhinweis: An dieser Stelle ist das Annehmen eines geeigneten<br />
Gefährdungsobjekts unbedingt notwendig. Denn nur dann gelangt die<br />
Inzident-Prüfung der vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat zu einem<br />
Ergebnis, sodass anschließend das eigentliche Problem diskutiert werden<br />
kann, ob der teilnehmende Beifahrer ein geeignetes Gefährdungsobjekt<br />
darstellt.<br />
(1) A hat vorliegend ein Fahrzeug geführt, obwohl er in Folge des Genusses<br />
alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen,<br />
s.o.<br />
(2) Dadurch müsste er Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet<br />
haben. <strong>Die</strong> Gefahr ist gegeben, wenn die Sicherheit einer bestimmten<br />
Person durch das Verhalten des Täters so stark beeinträchtigt wird, dass es<br />
nur noch vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt wird oder nicht (sog.<br />
„Beinahe-Unfall“). 42 Ein unbeteiligter Beobachter muss zu der Einschätzung<br />
gelangen, dass dies „gerade noch einmal gut gegangen“ ist. 43 Allein aus dem<br />
Umstand, dass ein alkoholbedingt unsicherer Fahrer einen Anderen mitgenommen<br />
hat, kann noch nicht auf eine konkrete Gefahr <strong>für</strong> Leib oder<br />
Leben des Mitfahrers geschlossen werden. 44 Eine konkrete Gefährdung ergibt<br />
sich gerade nicht schon aus der abstrakten Gefährdung bei absoluter<br />
Fahruntüchtigkeit des Fahrzeugführers. 45 Ansonsten würde das konkrete<br />
Gefährdungsdelikt in ein abstraktes umgewandelt werden. Allerdings<br />
genügt es, dass der Fahrzeugführer in Folge seiner Alkoholisierung das<br />
Fahrzeug technisch nicht mehr beherrscht. 46 Vorliegend ist das Fahrzeug<br />
39 Groeschke, in MüKo, § 315 c, Rn. 53.<br />
40 Vgl. Sternberg-Lieben/Hecker, in Schönke-Schröder § 315 c, Rn. 31;<br />
Groeschke, in MüKo, § 315 c, Rn. 53.<br />
41 Fischer, § 27, Rn. 3.<br />
42 Groeschke, in MüKo, § 315 c, Rn. 52.<br />
43 Joecks, § 315 c, Rn. 15 a; BGH, JuS 2010, 364; Hecker,, in: JuS 2010, 364.<br />
44 Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, § 315 c, Rn. 33; BGH, Urt. v.<br />
30.03.1995, 4 StR 725/94, MDR 1995, 798; anders noch frühere Rspr., vgl.<br />
BGH, Urt. v. 20.10.1988, 4 StR 335/88, NStZ 1989, 73, 74.<br />
45 Fischer, § 315 c, Rn. 15 a.<br />
46 Joecks, § 315 c, Rn. 15; Lackner/Kühl, § 315 c, Rn. 23; BGH, Urt. v. 30.03.1995,<br />
4 StR 725/94, MDR 1995, 798.<br />
47
48<br />
Fallbearbeitung<br />
gerade noch vor einem Baum zum Stehen gekommen, sodass eine unfall-<br />
kritische Situation gegeben ist. Ein solcher „Beinahe-Unfall“ ist <strong>für</strong> die<br />
Bejahung einer konkreten Gefahr ausreichend.<br />
(3) Weiterhin müsste der tatbestandsspezifische Gefahrverwirklichungs-<br />
zusammenhang gegeben sein. Es muss sich die typische Gefährlichkeit<br />
des jeweiligen Verkehrsverstoßes realisiert haben, d.h. im Fall von Nr.<br />
1 a muss die konkrete Gefahr Folge der Fahruntüchtigkeit sein. 47 Das<br />
Fahrzeug kam hier ins Schleudern, weil A es auf Gr<strong>und</strong> seines alkoho-<br />
lisierten Zustandes nicht mehr unter Kontrolle hatte. A war hier nur<br />
noch eingeschränkt fähig, das Fahrzeug zu beherrschen <strong>und</strong> enthemmt,<br />
Situationen herbeizuführen, die nicht mehr zu beherrschen sind, was<br />
typische Folgen einer Alkoholisierung sind. Der tatbestandsspezifische<br />
Gefahrverwirklichungszusammenhang ist somit gegeben. Ein geeignetes<br />
Gefährdungsobjekt ist an dieser Stelle zu unterstellen. Damit ist der objektive<br />
Tatbestand des § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB erfüllt.<br />
(4) A müsste auch vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz bedeutet das<br />
Wissen <strong>und</strong> Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Vorliegend wusste A,<br />
dass er nicht mehr Autofahren durfte, sodass zumindest Vorsatz bezüglich<br />
der Fahruntüchtigkeit gegeben ist. Jedoch wollte A seinen Kollegen zu<br />
keinem Zeitpunkt gefährden. Vorsatz bezüglich einer konkreten Gefahr<br />
scheidet demnach aus. Dennoch kommt eine Strafbarkeit aus § 315 c Abs. 3<br />
Nr. 1 in Betracht (Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination). Fahrlässigkeit<br />
hinsichtlich der Gefährdung liegt jedenfalls vor. Gemäß § 11 Abs. 2 StGB<br />
ist eine Tat auch dann vorsätzlich im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie einen<br />
gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, der hinsichtlich der Handlung<br />
Vorsatz voraussetzt, hinsichtlich einer dadurch verursachten Gefahr jedoch<br />
Fahrlässigkeit ausreichen lässt. Eine Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination<br />
ist also in diesem Zusammenhang ausreichend.<br />
(5) Problematisch ist die Rechtswidrigkeit. K könnte in seine Gefährdung<br />
eingewilligt haben, sodass die Rechtswidrigkeit entfällt. Fraglich ist allerdings,<br />
ob es sich bei § 315 c StGB um ein einwilligungsfähiges Delikt<br />
handelt. <strong>Die</strong>s hängt davon ab, welchen Schutzzweck die Norm verfolgt.<br />
Sieht man den Unrechtsschwerpunkt des § 315 c StGB in der konkreten<br />
Individualgefährdung, ist eine Einwilligung möglich. Da<strong>für</strong> spricht, dass die<br />
Allgemeinheit schon durch § 316 StGB geschützt wird <strong>und</strong> der Gesetzgeber im<br />
Gegensatz zu § 315 b StGB das Merkmal der Beeinträchtigung der Sicherheit<br />
des Straßenverkehrs nicht in § 315 c StGB aufgenommen hat. 48 Der Schutz<br />
der Allgemeinheit wird dadurch erreicht, dass gerade der Einzelne <strong>und</strong><br />
ihm zugehörige Rechtsgüter geschützt werden. 49 Dagegen spricht allerdings<br />
schon die systematische Stellung der Vorschrift. § 315 c StGB befindet sich<br />
im 28. Abschnitt des StGB, der überschrieben ist mit „Gemeingefährliche<br />
Straftaten“. Geschützt werden soll die Sicherheit des Straßenverkehrs, d. h. die<br />
Allgemeinheit. 50 Dass dadurch auch der Einzelne geschützt wird, ist eine Art<br />
Nebenwirkung dieses verwirklichten Schutzes. 51 Im Rahmen des § 315 c StGB<br />
hat das Individualrechtsgut nur eine untergeordnete Bedeutung. Deshalb erscheint<br />
Letzteres überzeugend. Es fehlt somit an der Dispositionsbefugnis,<br />
47 Vgl. Fischer, § 315 c, Rn. 16; Joecks, § 315 c, Rn. 20.<br />
48 So Sternberg-Lieben/Hecker, in Schönke/Schröder, § 315 c, Rn. 2, 40.<br />
49 Wolters/Horn, in SK, vor § 306, Rn. 1.<br />
50 H.M., vgl. Herzog, in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 315 c, Rn. 1;<br />
Groeschke, in MüKo, § 315 c, Rn. 1; Fischer, § 315 c, Rn. 2; Lackner/Kühl, § 315<br />
c, Rn. 1; BGH, Urt. v. 28.10.1976, 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, NJW 1977,<br />
1109.<br />
51 Vgl. BGH, Urt. v. 28.10.1976, 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, NJW 1977, 1109.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
eine Einwilligung des K kommt nicht in Betracht.<br />
(6) Folglich liegt eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat des A vor.<br />
bbb) Beihilfehandlung des K<br />
Dadurch dass K den A angefeuert hat, könnte er zumindest psychische<br />
Beihilfe geleistet haben. <strong>Die</strong> psychische Beihilfe ist ein Tatbeitrag, der den<br />
Haupttäter in seinem Tatentschluss bestärkt oder bei der Tatausführung<br />
unterstützt. 52 Durch das Anfeuern durch K wird A in seinem Vorhaben<br />
bestärkt. K hatte auch zumindest bedingten Vorsatz hinsichtlich der<br />
Gefährdung des Straßenverkehrs <strong>und</strong> hinsichtlich seiner Beihilfe (sog.<br />
doppelter Teilnehmervorsatz). Schließlich war die Beihilfehandlung auch<br />
rechtswidrig <strong>und</strong> K handelte schuldhaft.<br />
ccc) Zwischenergebnis<br />
Mithin ist K Teilnehmer. Daher ist nun relevant, ob K als Teilnehmer ein<br />
geeignetes Gefährdungsobjekt darstellt.<br />
bb) Teilnehmer als taugliches Gefährdungsobjekt<br />
K müsste als Tatbeteiligter zu den geschützten „Anderen“ i. S. d. § 315 c<br />
StGB gehören.<br />
aaa) Man könnte die Einbeziehung des Teilnehmers in den Schutzbereich<br />
des § 315 c StGB verneinen. 53 Da<strong>für</strong> spricht vor allem der Schutzzweck der<br />
Norm. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang das Schutzgut des<br />
§ 315 c StGB, nämlich die allgemeine Sicherheit des Straßenverkehrs, d.h.<br />
die Allgemeinheit54 . Der Teilnehmer steht jedoch nicht stellvertretend <strong>für</strong><br />
die Allgemeinheit, sondern vielmehr auf Seiten des Täters. <strong>Die</strong> Sicherheit<br />
des Straßenverkehrs wird gerade nicht tangiert, wenn lediglich der<br />
Teilnehmer konkret gefährdet wird <strong>und</strong> darüber hinaus niemand. Den<br />
Schutz des Teilnehmers bezweckt § 315 c StGB gerade nicht. Danach wäre<br />
kein anderer Mensch i. S. d. Vorschrift gefährdet worden.<br />
bbb) Demgegenüber könnte man vertreten, dass auch jemand, der an der<br />
Herbeiführung der konkreten Gefahr beteiligt ist, taugliches Tatobjekt<br />
sein kann. 55 Da<strong>für</strong> spricht, dass es nach dem Wortlaut des § 315 c StGB<br />
keine Beschränkung auf „Tatfremde“ gibt. Es gibt keinen Gr<strong>und</strong>satz, nach<br />
dem der Teilnehmer nicht selbst Objekt der Straftat sein kann. Jemand, der<br />
selbst gegen die Rechtsordnung verstößt, verwirkt nicht automatisch seinen<br />
strafrechtlichen Schutz. 56 Auch bei Ziehung einer Parallele zum Betrug ergibt<br />
sich, dass die Strafgesetze auch im Verhältnis von Straftätern untereinander<br />
gelten. Danach wäre K ein geeignetes Gefährdungsobjekt.<br />
ccc) <strong>Die</strong> letztgenannte Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Zwar<br />
kann von einer Verwirkung des Strafschutzes nicht ausgegangen werden,<br />
allerdings geht es bei konkreten Gefährdungsdelikten darum, dass ein<br />
Verhalten <strong>für</strong> eine Vielzahl von Personen abstrakt gefährlich ist <strong>und</strong> dessen<br />
52 Fischer, § 27, Rn. 11.<br />
53 Groeschke, in MüKo, § 315 c, Rn. 51; Fischer, § 315 c, Rn. 15 a; BGH, Beschl.<br />
v. 12.12.1990, 4 StR 531/90, NJW 1991, 1120; Hillenkamp, in: JuS 1977, 167.<br />
54 S. o.<br />
55 Graul, in: JuS 1992, 321, 324; Wolters/Horn, in: SK-StGB, vor § 306, Rn. 9.<br />
56 Wolters/Horn, in: SK, vor § 306, Rn. 9; Wirsch, in: JuS 2006, 400; im Erg.<br />
auch Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Rn. 31.
Gefährlichkeit sich in der Gefahr <strong>für</strong> einen Anderen konkretisiert. 57 Wer<br />
selbst die Gefahr (mit) herbeiführt, gehört nicht zur Masse derer, um deren<br />
abstrakten Schutz es in einer konkreten Situation geht. Teilnehmer sind<br />
vielmehr der Sphäre des Täters zuzuordnen. 58 Selbst wenn man § 315 c StGB<br />
als zumindest teilweise individualschützende Norm ansieht, kann man kei-<br />
ne Person in den Schutzbereich einer Vorschrift mit einbeziehen, um sie<br />
dann genau deshalb bestrafen zu können. Der Teilnehmer würde, wenn<br />
man ihn in den Schutzbereich des § 315 c StGB mit einbezieht, seine eigene<br />
Strafbarkeit begründen. Daher ist es überzeugend, den Teilnehmer nicht<br />
zum Kreis der tauglichen Gefährdungsobjekte zu zählen. Folglich wurde<br />
nicht Leib oder Leben eines anderen Menschen i. S. d. Vorschrift gefährdet.<br />
c) Gefährdung des Pkws<br />
A könnte allerdings eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefähr-<br />
det haben. Als Tatobjekt kommt hier der Pkw, mit dem A gefahren ist, in<br />
Betracht. Der Begriff der Fremdheit bestimmt sich nach dem bürgerlichen<br />
Recht, wonach eine Sache fremd ist, wenn sie nicht im Alleineigentum<br />
des Täters steht <strong>und</strong> nicht herrenlos ist. 59 Der Wagen steht vorliegend im<br />
Eigentum der Mutter <strong>und</strong> ist somit fremd. Darüber hinaus handelt es sich<br />
dabei auch um eine Sache von bedeutendem Wert, der zudem nahe liegender<br />
Weise ein bedeutender Schaden drohte.<br />
aa) Fraglich ist jedoch, ob das von A geführte, aber im fremden Eigentum<br />
stehende Tatfahrzeug als Tatobjekt i. R. d. § 315 c StGB in Betracht kommt.<br />
<strong>Die</strong> Gefährdung des im fremden Eigentum stehenden Tatfahrzeugs reicht<br />
nach h. L. <strong>und</strong> ständiger Rechtsprechung nicht aus. 60 <strong>Die</strong> Voraussetzung<br />
der Straßenverkehrsgefährdung sei selbst dann nicht erfüllt, wenn das<br />
Fahrzeug gestohlen sei. 61 Zwar bezieht die Vorschrift nach dem Wortlaut<br />
das von A geführte Fahrzeug mit ein, da nur eine konkrete Gefahr <strong>für</strong><br />
fremde Sachen von bedeutendem Wert verlangt wird, allerdings ist die<br />
Vorschrift einschränkend auszulegen. Entscheidend ist hierbei wiederum,<br />
dass das von § 315 c StGB geschützte Rechtsgut, die allgemeine Sicherheit<br />
des Straßenverkehrs, noch nicht dadurch beeinträchtigt wird, dass der<br />
Täter nur das von ihm geführte Fahrzeug gefährdet oder beschädigt. 62<br />
bb) <strong>Die</strong>s ist auch überzeugend. Das Tatfahrzeug ist notwendiges Werkzeug<br />
zur Verwirklichung des Tatbestandes <strong>und</strong> kann nicht gleichzeitig das<br />
Schutzobjekt sein. 63 Zudem käme es dann darauf an, ob der Fahrzeugführer<br />
das Fahrzeug geliehen, gemietet oder geleast hat oder es in seinem Eigentum<br />
steht. <strong>Die</strong>se zivilrechtlich zu beantwortende Frage sollte nicht über die<br />
Anwendbarkeit des § 315 c StGB entscheiden. 64 Der Unterschied, ob der Täter<br />
mit seinem eigenen oder einem fremden Fahrzeug fährt, darf auch nicht zu<br />
57 Joecks, Vor § 306, Rn. 6.<br />
58 Kudlich, in: Heintschel-Heinegg, § 315 c, Rn. 60.<br />
59 Groeschke, in: MüKo, § 315 c, Rn. 54.<br />
60 Herzog, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, § 315 c, Rn. 16; Fischer, § 315<br />
c, Rn. 15 b; Groeschke, in: MüKo, § 315 c, Rn. 54; Schönke/Schröder, § 315 c,<br />
Rn. 31; BGH, Urt. v. 16.01.1992, 4 StR 509/91, NStZ 1992, 233; BGH, Urt. v.<br />
28.10.1976, 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, NJW 1977, 1109; BGH Urt. v.<br />
15.12.1998, 4 StR 576/98, NStZ-RR 1999, 120.<br />
61 BGH, Urt. v. 28.10.1976, 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, NJW 1977, 1109.<br />
62 BGH, Urt. v. 28.10.1976, 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, NJW 1977, 1109.<br />
63 Vgl. Lackner/Kühl, § 315 c, Rn. 25; BGH, Urt. v. 28.10.1976, 4 StR 465/76,<br />
BGHSt 27, 40, NJW 1977, 1109.<br />
64 Geppert, in: Jura 2001, 559, 565.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Fallbearbeitung<br />
einer dermaßen unterschiedlichen Strafbarkeit führen, wie sie sich dann<br />
zwangsläufig ergeben würde (vgl. Strafrahmen des § 315 c u. § 316 StGB).<br />
2. ERGEBNIS<br />
Mangels tauglichen Tatobjekts scheidet eine Strafbarkeit nach § 315 c I Nr.<br />
1 a, Abs. 3 StGB aus.<br />
II. TRUNKENHEIT IM VERKEHR, § 316 ABS. 1 STGB<br />
A könnte sich dadurch, dass er mit einer BAK von 1,7 Promille Auto gefahren<br />
ist, wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 I StGB strafbar gemacht<br />
haben.<br />
1. TATBESTAND<br />
Das setzt voraus, dass A im Verkehr ein Fahrzeug geführt hat, obwohl er<br />
in Folge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender<br />
Mittel nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. A hat vorliegend<br />
mit seinem Kollegen eine Spritztour gemacht, obwohl er absolut fahruntüchtig<br />
war, s.o. Er wusste, dass er nicht mehr fahren durfte <strong>und</strong> handelt<br />
dementsprechend auch vorsätzlich.<br />
2. RECHTSWIDRIGKEIT UND SCHULD<br />
<strong>Die</strong> Tat war auch rechtswidrig <strong>und</strong> A handelte schuldhaft.<br />
3. ERGEBNIS<br />
A hat sich wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB strafbar<br />
gemacht.<br />
Wir suchen Studierende, Referendare/-innen <strong>und</strong> wissenschaftliche<br />
Mitarbeiter/-innen, die Zeit <strong>und</strong> Lust haben sich im <strong>Iurratio</strong>-Projekt<br />
zu engagieren. Wenn Du Interesse daran hast Dich an unserem<br />
ehrenamtlichen Projekt zu beteiligen, melde Dich per E-Mail bei<br />
unserer Geschäftsstelle unter Mitarbeit@<strong>iur</strong>ratio.de – auf Dich<br />
freuen sich über 70 Mitarbeiter aus ganz Deutschland!.<br />
49
50<br />
In Anlehnung an dieses Zitat von Benjamin Franklin hat sich ein amerika-<br />
nischer Onlineshop dem Thema Nacktscanner gewidmet; anders als dies in<br />
der öffentlichen Diskussion sonst zumeist der Fall ist, aber auf eine etwas<br />
humorvollere Art. Viele Menschen meckern <strong>und</strong> beschweren sich über<br />
die zwangsweise Entblößung durch die sogenannten Nacktscanner <strong>und</strong> die<br />
damit einhergehende Verletzung von Persönlichkeitsrechten; die Erfinder<br />
von Flying Pasties dagegen handeln.<br />
„Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen,<br />
wird am Ende beides verlieren“<br />
Unter www.flyingpasties.com bieten sie Körpersticker an, mit welchen sich<br />
Flugreisende vor den aufdringlichen Blicken der Nacktscanner <strong>und</strong> ihrer<br />
Bediener schützen können. <strong>Die</strong>se werden auf die intimsten Stellen des<br />
menschlichen Körpers gelegt <strong>und</strong> bleiben dort quasi von allein aufgr<strong>und</strong> der<br />
Körperwärme rutschfest am Körper haften <strong>und</strong> können beliebig oft wieder-<br />
verwendet werden. Ihr Material kann von dem Scanner nicht durchdrungen<br />
werden, so dass die entscheidenden Körperstellen tatsächlich verdeckt wer-<br />
den <strong>und</strong> damit vor unerwünschten Blicken geschützt sind.<br />
Auf dem Bildschirm des Scanners erscheinen die Aufkleber dann als ovale<br />
blickdichte Flächen, auf denen, ganz nach Belieben, verschiedene Aussagen<br />
aufgedruckt sind. Der Hersteller selbst bietet u.a. Aufkleber mit dem darauf<br />
befindlichen Hinweis „Only my husband/wife sees me naked” oder einem<br />
noch deutlicheren <strong>und</strong> ohne Worte auskommenden Mittelfinger an.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Der Interessent kann mit individuellen Sprüchen oder Werbeaufdrucken aber<br />
auch selbst kreativ werden <strong>und</strong> den Aufdruck der Sticker frei entwerfen <strong>und</strong><br />
so z.B. innovative <strong>und</strong> spaßige Werbegeschenke <strong>für</strong> vielreisende Geschäfts-<br />
k<strong>und</strong>en in Auftrag geben.<br />
Den Menschen, die aus Glaubensgründen oder sonst die Wahrung ihrer<br />
Persönlichkeitsrechte ernstnehmen <strong>und</strong> nicht zwangsweise entblößt werden<br />
wollen, soll diese Erfindung die Möglichkeit geben, weiterhin ein Flugzeug zu<br />
besteigen, ohne sich zu schämen oder entwürdigt zu fühlen.<br />
<strong>Die</strong> Erfinder dieser Aufkleber leben in den USA schon länger mit der Verwen-<br />
dung der Körperscanner <strong>und</strong> sehen sich mit der politischen Diskussion kon-<br />
frontiert, diese auch an anderen zu kontrollierenden Orten, wie z.B. in Sport-<br />
stadien, einzusetzen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wollen sie deutlich machen <strong>und</strong><br />
darauf hinweisen, dass sie sich der Rechte der Menschen bewusst sind <strong>und</strong><br />
diese mit ihrer Erfindung durchsetzen möchten.<br />
Eine witzige Idee, die ein ernsthaftes Problem zum Hintergr<strong>und</strong> hat. Da der<br />
Durchschnittsbürger zu diesem aber nicht befragt wird, hat er mit den Körperstickern<br />
die Möglichkeit, seine Rechte zu wahren <strong>und</strong> seinen Widerstand<br />
zum Ausdruck zu bringen, <strong>und</strong> gleichzeitig die erforderlichen Kontrollen zu<br />
respektieren, ohne die Flughafensicherheit zu gefährden.<br />
Des Richters <strong>und</strong> Staatsanwalts neue Kleider oder „Augen auf beim Robenkauf “<br />
Zum 01.01.2011 ist in Niedersachsen die neue „Anordnung<br />
über die Amtstracht im Geschäftsbereich des Justizministeriums“<br />
in Kraft getreten. <strong>Die</strong>se betrifft die ordentliche Gerichtsbarkeit,<br />
die Sozial-, Verwaltungs- <strong>und</strong> Finanzgerichtsbarkeit.<br />
§ 1 enthält eine Aufzählung der zum Tragen der<br />
Amtstracht verpflichteten <strong>und</strong> berechtigten Personen, § 2<br />
beschreibt die Gestaltung der Amtstracht, § 3 deren Beschaffung.<br />
Das Besondere dieser Anordnung ist das in § 2<br />
Abs. 3 erwähnte <strong>und</strong> vom Justizministerium Niedersachsen<br />
erstellte „Merkblatt über die Amtstracht im Geschäftsbereich<br />
des Niedersächsischen Justizministeriums“, welches in sieben Nummern<br />
nähere Angaben zur Form <strong>und</strong> Abmessung der Amtstracht enthält.<br />
So bestimmt Nr. 1, dass die Robe über der Kleidung getragen wird <strong>und</strong> diese<br />
verdecken muss. Nehme man dies wörtlich, entstünde bereits ein handfestes<br />
Problem, da Roben naturgemäß nur bis zur Mitte der Wade reichen <strong>und</strong> damit<br />
der untere Teil des Hosenbeines eben nicht verdeckt wird. Man munkelt,<br />
dass nun lediglich „Hochwasser-Hosen“ erlaubt seien, da ansonsten zwangsläufig<br />
Teile der Kleidung, entgegen der Vorschrift, unverdeckt bleiben würden.<br />
Gemäß Nr. 2 darf die Robe außerdem nur aus feinem Kammgarnstoff,<br />
Kaschmir oder Lasting bestehen. Nr. 3 des Merkblattes enthält u.a. folgende<br />
Vorgaben: „<strong>Die</strong> Robe fällt vorne <strong>und</strong> hinten weit <strong>und</strong> faltig bis über die Mitte<br />
der Unterschenkel herab. <strong>Die</strong> Robe liegt auf den Schultern <strong>und</strong> der Brust glatt<br />
an. In der rechten Seitennaht ist eine Tasche derart eingearbeitet, dass die<br />
obere Taschenecke ungefähr in Taillenhöhe liegt.“ Spätestens hier wird deutlich,<br />
dass das Justizministerium nichts dem Zufall überlassen möchte. Nr. 4 des<br />
Merkblattes unterstreicht diesen zaghaften ersten Eindruck.<br />
So hat der Besatz der Robe „die Form eines anliegenden<br />
Umlegekragens“ <strong>und</strong> ist „in der Rückenmitte <strong>und</strong> auf den<br />
Schultern 16 cm breit, verschmälert sich dann zwischen<br />
dem obersten <strong>und</strong> dem nächsten Knopf auf 11 cm <strong>und</strong> läuft<br />
in dieser Breite bis zur unteren Kante“. Auch die Nummern<br />
5 <strong>und</strong> 6 enthalten weitere Maßeinheiten <strong>und</strong> cm-genaue<br />
Abmessungsvorschriften hinsichtlich Quetschfalten am<br />
Rücken, gesteppten <strong>und</strong> umgeklappten Kanten <strong>und</strong> Ärmelausschnitten<br />
r<strong>und</strong> um den Achselknochen. Nr. 7 des Merkblattes<br />
lässt zumindest dahingehend Raum zur freien Entfaltung, als dass hier<br />
festgelegt wird, dass es „ zur Erleichterung beim Schreiben freigestellt ist, am<br />
rechten Ärmel einen Knopf anzubringen, um dadurch den weiten Ärmel enger<br />
um das Handgelenk zu schließen“. Ob es Linkshändern gestattet ist, einen<br />
Knopf auf der linken Seite einzunähen, bleibt unklar.<br />
Nach unbestätigten Gerüchten haben Richter bereits Anträge auf eine Übergangsregelung<br />
gestellt, um ihre alten Roben noch bis zu ihrer Pensionierung<br />
tragen zu dürfen. Eine Überprüfung der Einhaltung der neuen Anordnung<br />
durch stichprobenartige Inaugenscheinnahme in Gerichtssälen des Landes<br />
Niedersachsen inklusive genauester Abmessungen wäre sicherlich amüsant,<br />
da wohl davon ausgegangen werden darf, dass die Kleiderordnung des Merkblattes<br />
in den wenigsten Fällen eingehalten wird.<br />
Also: Augen auf beim künftigen Robenkauf – zumindest im B<strong>und</strong>esland Niedersachsen!
„Wenn wir nicht rasch <strong>und</strong> konsequent handeln, wenn wir unsere Rechts- <strong>und</strong><br />
Werteordnung nicht entschlossen durchsetzen, werden wir den Kampf gegen<br />
die Jugendgewalt verlieren.“ <strong>Die</strong>ser, neben einer kurzen Information zur Per-<br />
son der Autorin, einzige Satz auf dem Klappentext des Buches „Das Ende der<br />
Geduld – Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter, macht deutlich, wie<br />
ernst die Autorin Kirsten Heisig das Thema Jugendgewalt sieht <strong>und</strong> nimmt.<br />
Kirsten Heisig, 1961 in Krefeld geboren, trat nach ihrem Zweiten Staatsexa-<br />
men 1990 in den Berliner Justizdienst ein <strong>und</strong> war seit 1993 Jugendrichterin<br />
in Berlin. Von 2008 bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 war sie Jugendrichterin an<br />
Deutschlands größtem Amtsgericht Berlin-Tiergarten <strong>und</strong> zuständig <strong>für</strong> den<br />
Bezirk Neukölln/Nord.<br />
Heisig beschreibt in ihrem Buch eindrucksvoll <strong>und</strong> mit deutlichen Worten<br />
die Missstände in Berlin-Neukölln <strong>und</strong> macht gleichzeitig klar, dass diese<br />
auch in anderen deutschen Großstädten bestehen. Sie beschränkt sich aller-<br />
dings nicht darauf, die Probleme anzuprangern <strong>und</strong> Schuldzuweisungen zu<br />
tätigen, sondern forscht auch nach den Gründen, die zu jugendlichen Gewalt-<br />
straftaten führen <strong>und</strong> entwickelt die unterschiedlichsten Lösungsansätze. So<br />
wirft sie beispielsweise die Frage auf, warum die sogenannten „Ballerspiele“,<br />
die von jugendlichen Gewalttätern vermehrt genutzt werden <strong>und</strong> ursprüng-<br />
lich vom amerikanischen Militär entwickelt wurden, um den Soldaten die na-<br />
türliche Hemmschwelle vor dem Töten abzutrainieren, nicht einfach so hoch<br />
besteuert werden, dass mit ihnen kein wirtschaftlicher Erfolg mehr erzielt<br />
werden kann.<br />
Heisig schildert anhand vieler Beispielsfälle aus ihrer beruflichen Praxis die<br />
sinkenden Hemmschwellen von vielen jugendlichen Gewaltstraftätern <strong>und</strong><br />
stellt fest, dass die überwiegende Mehrheit männlich ist, die von Mädchen begangenen<br />
Gewaltstraftaten aber in den letzten Jahren stetig ansteigen. Bei beiden<br />
Geschlechtern steigt die Brutalität <strong>und</strong> Häufigkeit der Gewalttaten.<br />
Deutlich wird aus ihren Berichten auch, dass die Schwierigkeiten bereits in<br />
Kindertagen beginnen <strong>und</strong> diese dann mit Erreichen des 14. Lebensjahres<br />
zum Problem der Justiz werden, weil im Vorfeld gar nicht oder aber ohne Erfolg<br />
eingegriffen wurde. Das Problem der Schuldistanz zieht sich fast immer<br />
wie ein roter Faden durch alle Lebensläufe, weshalb bereits hier frühzeitig<br />
angesetzt <strong>und</strong> das oft verharmloste „Schule schwänzen“ konsequent bekämpft<br />
werden müsse. Bildung sei der Schlüssel.<br />
<strong>Die</strong> von Heisig geschilderten Fälle haben fast alle eine Gemeinsamkeit:<br />
Zwischen Begehung der Straftat <strong>und</strong> der Gerichtsverhandlung, in welcher der<br />
Jugendliche sich da<strong>für</strong> verantworten muss, vergehen viele Monate, nicht selten<br />
auch ein Jahr oder mehr. <strong>Die</strong>se Zeitspanne erschien Heisig stets zu lang,<br />
um nachhaltig Eindruck auf einen Jugendlichen machen zu können.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> hat sie zusammen mit einem Kollegen das „Neuköllner-<br />
Modell“ entwickelt, welches das Ziel hat, systemübergreifend besser zu kommunizieren,<br />
um so den Informationsfluss <strong>und</strong> das Arbeitstempo zu erhöhen.<br />
Nunmehr sind die Jugendrichter <strong>für</strong> bestimmte Bezirke zuständig, in selben<br />
gibt es spezielle Polizeibeamte, die <strong>für</strong> Jugenddelikte zuständig sind <strong>und</strong> von<br />
Heisig persönlich über die Anwendungsmöglichkeiten der §§ 76 ff. JGG, dem<br />
beschleunigten Jugendverfahren, informiert wurden. Auch die Jugendge-<br />
„Angst ist ein schlechter Ratgeber“<br />
Weitere interessante Berichte finden Sie auf unserer Homepage<br />
www.<strong>iur</strong>ratio.de<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
richtshilfe wurde entsprechend einbezogen. Hierdurch ist es nun möglich, im<br />
beschleunigten Verfahren Delikte, deren Ahndung dem Jugendrichter obliegen,<br />
in wenigen Wochen vor Gericht zu bringen. Nach der Hauptverhandlung<br />
informiert Heisig die zuständigen Polizeibeamten über den Ausgang,<br />
damit diese sehen, dass ihr Bemühen auch Erfolg hat <strong>und</strong> so eine Motivation<br />
<strong>für</strong> künftige Fälle stattfindet.<br />
Heisig ist sich auch im Klaren darüber, dass Intensivtäter von dieser Maßnahme<br />
kaum betroffen sein werden. Doch sie erhofft sich durch eine schnelle<br />
Ahndung, die Weichen von Jugendlichen, die gerade erst am Anfang einer<br />
strafrechtlichen „Karriere“ stehen, noch in die andere Richtung stellen zu<br />
können, wenn sie durch schnelles Handeln sofort merken, dass ein solches<br />
Verhalten nicht geduldet wird.<br />
<strong>Die</strong>ses Buch enthält ehrliche <strong>und</strong> deutliche Worte einer erfahrenen <strong>und</strong> engagierten<br />
Jugendrichterin unserer Hauptstadt, die stets mutig vorangegangen ist<br />
<strong>und</strong> Dinge verändert hat, um jugendlichen Straftätern entgegenzuwirken.<br />
Wer eine hochwissenschaftliche Abhandlung im Sinne einer Studie oder einer<br />
Dissertation erwartet, ist fehl am Platze. Das dürfte aber auch nicht die Intention<br />
von Heisig gewesen sein.<br />
Ihre Ansätze weiter zu verfolgen <strong>und</strong> den von ihr in Berlin beschrittenen Weg<br />
fortzuführen, sollte gleichwohl das Ziel unserer Gesellschaft sein, um nicht<br />
eines Tages tatsächlich vor jugendlichen Gewaltstraftätern kapitulieren zu<br />
müssen.<br />
Heisig spricht wahrheitsgemäß aus, was viele Strafrechtler in deutschen<br />
Großstädten im Arbeitsalltag erfahren. Nur wenige trauen sich jedoch, dies<br />
öffentlich zu äußern – aus den vielfältigsten Gründen, wie sich vielleicht jeder<br />
denken kann. Doch wie Frau Heisig selbst in ihrem Buch sagt: „Angst ist ein<br />
schlechter Ratgeber. Deshalb müssen wir sie überwinden <strong>und</strong> handeln“.<br />
Kirsten Heisig<br />
Das Ende der Geduld – Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter<br />
Herder Verlag 2010<br />
205 Seiten<br />
ISBN 978-3-451-30204-6<br />
Ladenpreis: 14,95 €<br />
51
52<br />
Praxis & Karriere<br />
HeinricH Hannover<br />
„Ich habe manchmal vor der Frage gestanden, aufzugeben“<br />
Ein Interview mit Heinrich Hannover von cand. <strong>iur</strong>. Vivien Eckhoff (Universität Bremen)<br />
<strong>Iurratio</strong>: Wie kam es dazu, dass Sie eigentlich Forstwirt werden wollten<br />
<strong>und</strong> dann doch Jura <strong>stud</strong>iert haben?<br />
Hannover: Der Forstberuf war eine Empfehlung meines Vaters. Er war<br />
Arzt <strong>und</strong> hatte eigentlich Förster werden wollen. Und da wollte er seinem<br />
Sohn diesen schönen Beruf eröffnen. Ich war auch schon zugelassen in<br />
Pommern, aber nach dem Krieg war, wie es im Kinderlied heißt, Pommer-<br />
land abgebrannt, <strong>und</strong> da musste ich mir einen neuen Beruf suchen. Mir fiel<br />
nichts Besseres als Jura ein. Und das war, wie ich später merkte, genau der<br />
richtige Beruf <strong>für</strong> mich.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Was hatten Sie <strong>für</strong> eine Vorstellung von Ihrem Berufsleben, als<br />
Sie 1954 als Rechtsanwalt in Bremen angefangen haben?<br />
Hannover: Mir war schon zu Beginn des Studiums im Jahr 1946 klar,<br />
dass <strong>für</strong> mich nur der Rechtsanwaltsberuf in Frage kam. Denn ich bin kein<br />
Beamtentyp. Aber ich hatte mir die Praxis als Rechtsanwalt ganz anders<br />
vorgestellt. Ich dachte, wenn ich nach Bremen komme, werde ich wohl<br />
Mandate aus der Kaufmannschaft haben, viel Geld verdienen <strong>und</strong> in den<br />
sog. besseren Kreisen verkehren. Und das hatte auch gut angefangen, ich<br />
war gleich zu Beginn durch einen glücklichen Zufall Hausanwalt des „Haus-<br />
<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>besitzer Vereins“ geworden, <strong>und</strong> da war ich genau bei der Klientel,<br />
welche ich mir erträumt hatte. Aber dann bekam ich als Pflichtverteidiger<br />
die Verteidigung eines Kommunisten zugewiesen. Das sprach sich in Bremen<br />
herum, „der Hannover vertritt Kommunisten“, <strong>und</strong> da kam die Klientel, die<br />
ich eigentlich haben wollte, nicht mehr in Frage <strong>für</strong> mich. Dann kamen<br />
Leute von Links nach <strong>und</strong> so bin ich ein „linker Anwalt“ geworden, der sich<br />
dann auch mit vielem, was meine Mandanten politisch vertraten, identifi-<br />
zieren konnte. Nicht mit allem, aber mit vielem. Der Widerstand gegen die<br />
Remilitarisierung beispielsweise, das war nach meinem Herzen. Ich musste<br />
ja noch in der Hitlerzeit Soldat werden <strong>und</strong> habe am Krieg teilgenommen,<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Heinrich Hannover ist am 31. Oktober 1925 in Anklam (Vorpommern)<br />
als Sohn eines Arztes <strong>und</strong> einer Lehrerin geboren. Von August 1943<br />
bis Mai 1945 war er im Fronteinsatz <strong>und</strong> wurde kurz vor Kriegsende<br />
verw<strong>und</strong>et.<br />
Nach seiner Rückkehr <strong>stud</strong>ierte er in Göttingen Jura. Das Studium<br />
schloss er 1950 mit dem 1. Staatsexamen ab. Seine Referendarzeit<br />
absolvierte er bis 1954 in Bremen.<br />
Von Oktober 1954 bis 1995 war er als Rechtsanwalt in Bremen tätig.<br />
Er ist Ehrendoktor der Humboldt-Universität Berlin (1986) <strong>und</strong> der<br />
Universität Bremen (1996).<br />
Seine berufliche Tätigkeit war vorwiegend die (politische) Strafvertei-<br />
digung <strong>und</strong> die Vertretung von Kriegsdienstverweigerern. Außerdem<br />
hat er 1968 sein erstes von insgesamt 17 Kinderbüchern veröffentli-<br />
cht, von denen „Das Pferd Huppdiwupp“ auch auf Plattdeutsch <strong>und</strong><br />
als Hörbuch erschienen ist.<br />
<strong>und</strong> meine Kriegserlebnisse hatten mich zum Pazifisten gemacht. Ich war<br />
nach dem Kriege einer derjenigen, die mit voller Überzeugung sagen konn-<br />
ten: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Da gab es viele Mandate, die<br />
ich durchaus mit eigener Überzeugung vertreten konnte. Zum Beispiel<br />
Mandate von Menschen, die gegen Remilitarisierung <strong>und</strong> Reaktivierung alter<br />
Nazis protestierten <strong>und</strong> dabei mit der Polizei oder mit den Ignoranten des<br />
Rechts der freien Meinungsäußerung in Konflikt gerieten.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Ist dies dann auch irgendwann zum Problem geworden? Als<br />
Verteidiger wird <strong>und</strong> wurde man in der Presse leider oft mit seinen Man-<br />
danten gleichgesetzt <strong>und</strong> identifiziert.<br />
Hannover: Ja, das wurde zum Problem, wenn ich in der Öffentlichkeit<br />
mit Dingen identifiziert wurde, die überhaupt nicht meiner Überzeugung<br />
entsprachen. Zum Beispiel war ich natürlich ein entschiedener Gegner des<br />
Stalinismus <strong>und</strong> seiner Verbrechen, <strong>und</strong> es hat mich schon geschmerzt,<br />
dass nicht nur ich, sondern auch meine Familie, insbesondere meine minderjährigen<br />
Kinder mit dem Verdacht verfolgt wurden, wir seien Kommunisten<br />
der stalinistischen Linie. Das waren wir nicht. Ich habe dann in meiner<br />
Praxis auch Kommunisten kennengelernt, die ihrerseits nur mit Glück<br />
den sogenannten Säuberungen der Stalinisten entgangen waren. Ich habe<br />
Mandanten gehabt, die wirklich in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung<br />
standen, die eine andere Form von Sozialismus anstebten als das,<br />
was sich unter Stalin als der „real existierende Sozialismus“ etabliert hatte.<br />
Also Menschen, die den freiheitlichen Sozialismus fortsetzen wollten, <strong>für</strong><br />
den Rosa Luxemburg <strong>und</strong> Karl Liebknecht gekämpft haben. So habe ich<br />
dann gerade unter Menschen, die dem herrschenden Zeitgeist des militanten<br />
Antikommunismus widersprachen, politische Fre<strong>und</strong>e gef<strong>und</strong>en.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Was waren denn zu Ihrer Zeit die Aufgaben die die Justiz übernehmen<br />
musste?
Hannover: <strong>Die</strong> Justiz hätte die Aufarbeitung der NS-Zeit übernehmen<br />
müssen. <strong>Die</strong>s ist versäumt worden, denn es waren in der Justiz Richter <strong>und</strong><br />
Staatsanwälte von gestern unbesehen übernommen worden, die natürlich<br />
nicht im Traume daran dachten, ihre Gesinnungsgenossen zu verfolgen. Es<br />
ist ja heute auch ein offenes Geheimnis, dass die Justiz bei der Abrechnung<br />
mit den Nazi-Verbrechern versagt hat. Andererseits war die Justiz gleich<br />
nach Gründung der B<strong>und</strong>esrepublik bereit, Widerstandskämpfer von gestern<br />
zu verfolgen, insbesondere Kommunisten, die ein vorzeigbares politisches<br />
Leben hatten, im Gegensatz zu denen, die dann über sie zu Gericht saßen. Da<br />
habe ich also doch Erfahrungen in der Justiz <strong>und</strong> der b<strong>und</strong>esdeutschen Rea-<br />
lität gemacht, die mich sehr hellhörig <strong>und</strong> kritisch gemacht haben.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Wie haben Sie dabei Ihre Aufgabe gesehen?<br />
Hannover: Generell kann ich sagen, meine Aufgabe als Anwalt habe ich<br />
immer darin gesehen, <strong>für</strong> meine Mandanten Gerechtigkeit durchzusetzen.<br />
Und das war natürlich gerade in politischen Prozessen sehr schwierig.<br />
<strong>Iurratio</strong>: <strong>Die</strong> Zeiten haben sich nun <strong>für</strong> uns <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong> verändert,<br />
wie sehen Sie denn im Unterschied zu der Zeit, in der Sie als Verteidiger ge-<br />
arbeitet haben, die Aufgaben, die vor uns stehen?<br />
Hannover: Das ist natürlich eine Frage, die ein weites Feld von möglichen<br />
Antworten eröffnet, denn es gibt ja so viele Aufgabenbereiche, in denen Ju-<br />
risten tätig werden müssen <strong>und</strong> können. Ich sehe natürlich in erster Linie<br />
den Bereich der politischen Justiz. Seit ich selbst nicht mehr als Anwalt<br />
tätig bin, verfolge ich das nur als Zeitungsleser <strong>und</strong> Fernsehzuschauer <strong>und</strong><br />
da wird mir natürlich manchmal unbehaglich, wenn ich sehe, dass sich in<br />
vielen Urteilen die Bevorzugung von rechten Leuten <strong>und</strong> die Verfolgung<br />
von Linken fortsetzt. Da habe ich manchmal das Gefühl, dass wir noch<br />
genau in der Tradition stehen, in der ich meinen Beruf ausüben musste. Ich<br />
würde mir natürlich wünschen, dass die <strong>junge</strong>n <strong>Juristen</strong> ein genauso kritisches<br />
Verhältnis zum Zeitgeist <strong>und</strong> dessen Machern haben <strong>und</strong> sich vor<br />
Gericht durchzusetzen versuchen wie wir das gemacht haben.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Wie sind Sie während Ihrer Arbeit mit dem psychischen <strong>und</strong><br />
physischen Druck umgegangen?<br />
Hannover: Ich stand wirklich oft unter großem Druck <strong>und</strong> es war auch<br />
<strong>für</strong> die Familie schwierig. Ich habe manchmal vor der Frage gestanden, aufzugeben.<br />
Als ich Mitte der neunziger Jahre dann wirklich aufhörte war ich<br />
auch ges<strong>und</strong>heitlich so fertig, dass ich sicher gut getan habe, mich in den<br />
Ruhestand zurückzuziehen. Besonders langdauernde Prozesse brachten<br />
eine enorme psychische <strong>und</strong> physische Belastung mit sich, bei der natürlich<br />
die Feindseeligkeit, der ich bei vielen Richtern <strong>und</strong> Staatsanwälten begegnet<br />
bin, eine Rolle spielte. Das begann schon mit der oft schikanösen Festsetzung<br />
von Terminen, die meine Zeit <strong>für</strong> andere Mandate vollständig blockierten,<br />
<strong>und</strong> setzte sich in ehrenrührigen Verdächtigungen <strong>und</strong> Durchsuchungen<br />
<strong>und</strong> in verbalen Anfeindungen in der Verhandlung fort. Und es gab, insbesondere<br />
beim Umgang mit Beweisanträgen, eklatante Verletzungen der<br />
Strafprozeßordnung, die mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun hatten.<br />
Auch die Zurückhaltung von Aktenteilen <strong>und</strong> Beweismitteln, deren Kenntnis<br />
<strong>für</strong> die Verteidiger unentbehrlich waren, haben wir erlebt. Alles in allem<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Praxis & Karriere<br />
wurde da mitunter eine Willkür praktiziert, die geeignet war <strong>und</strong> vielleicht<br />
auch dazu dienen sollte, nicht nur die Angeklagten, sondern auch die Anwälte<br />
fix <strong>und</strong> fertig zu machen. Und das hat mich auch wirklich manchmal<br />
an die Grenze des Erträglichen gebracht.<br />
Andererseits habe ich natürlich in meiner Berufstätigkeit auch Verfahren<br />
erlebt <strong>und</strong> Erfolge erzielen können, die mich zum Weitermachen ermutigt<br />
haben. Es hat Freisprüche gegeben, die schwer erkämpft waren, aber dazu<br />
beigetragen haben, dass ich meine Arbeit als sinnvoll <strong>und</strong> notwendig begriff.<br />
Dass ich sogar in zwei sogenannten Terroristenprozessen zur Widerlegung<br />
von falschen Aussagen von Polizeibeamten beitragen <strong>und</strong> Freisprüche erzielen<br />
konnte, nämlich <strong>für</strong> Astrid Proll <strong>und</strong> Karl-Heinz Roth, das war schon<br />
eine Besonderheit, die nicht unerwähnt bleiben soll. Auch in meinem Buch<br />
„<strong>Die</strong> Republik vor Gericht“ habe ich einige Verfahren schildern können, in<br />
denen vorbildlich rechtsstaatliche Richter judiziert haben. Ich hüte mich<br />
daher vor jedem Pauschalurteil über b<strong>und</strong>esdeutsche Justiz.<br />
Zu meiner Beruftätigkeit gehörte auch die Vertretung von Kriegsdienstverweigerern,<br />
die damals noch ein umständliches Verfahren durchlaufen<br />
mussten bis ihre Gewissensentscheidung anerkannt wurde. Da habe ich<br />
sehr viele Prozesse gewonnen, so dass auch meine Kosten aus dem Wehretat<br />
bezahlt werden mussten. Deshalb kann ich von mir sagen, dass ich die<br />
B<strong>und</strong>eswehr eine kleine Kanone gekostet habe (lacht). Und diese Mandate<br />
waren natürlich nach meinem Herzen, diese <strong>junge</strong>n Leute vertraten eine<br />
Auffassung, die auch ich mir im Kriege erworben hatte, nämlich dass auch<br />
die Menschen, die man als Soldat befehlsgemäß töten soll, ein Recht auf Leben<br />
haben <strong>und</strong> dass die Menschheit nun endlich aufhören muss Probleme<br />
dieser Welt mit Gewalt lösen zu wollen.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Wie war die Situation <strong>für</strong> Ihre Familie, wie haben Sie vor allem<br />
Ihren Kindern die Reaktionen auf Ihre Tätigkeit, insbesondere aus den Medien,<br />
erklärt?<br />
Hannover: Meine Kinder sind leider direkt in diese Anfeindungen mit<br />
einbezogen worden. Sie haben in der Schule die Anfeindung aushalten<br />
müssen, „dein Vater verteidigt Kommunisten oder Terroristen“. Sie bekamen<br />
in der Zeit, als Verteidiger der als Terroristen Angeklagten in jahrelanger<br />
Medienkampagne als Komplizen der RAF verdächtigt <strong>und</strong> beschimpft<br />
wurden, unter Umständen Menschen ans Telefon, die Ihnen androhten:<br />
„Heute Nacht bringen wir Deinen Vater oder die ganze Familie um“. Da hat<br />
sich schon Angst in der Familie verbreitet. Das war sehr schlimm. Ich habe<br />
meinen Kindern immer zu erklären versucht, dass anonyme Anrufer feige<br />
sind <strong>und</strong> dass man diese Drohungen nicht ernst nehmen sollte, aber sie haben<br />
trotzdem Angst gehabt.<br />
Es hat allerdings auch Drohungen gegeben, die ich ernst nehmen musste.<br />
Ich nenne ein Beispiel, welches jetzt nicht mit einem Terroristenprozess zusammenhängt,<br />
sondern mit meiner Aufgabe, <strong>für</strong> eine Rückführung des im<br />
Jahr 1967 vom koreanischen Geheimdienst in Zusammenwirken mit einem<br />
deutschen Geheimdienst entführten Komponisten Isang Yun zu sorgen.<br />
Bei Isang Yun handelte es sich um einen weltberühmten Komponisten, der<br />
in der B<strong>und</strong>esrepublik lebte <strong>und</strong> zusammen mit anderen Landsleuten nach<br />
Südkorea entführt wurde. <strong>Die</strong>se Menschen wurden wegen angeblicher Verbindungen<br />
zum kommunistischen Nordkorea angeklagt, was in Südkorea<br />
ein todeswürdiges Verbrechen war. Sie bekamen einen Prozess, bei dem es<br />
zu Todesurteilen <strong>und</strong> lebenslänglichen Freiheitsstrafen gekommen ist. Yun<br />
53
54<br />
Praxis & Karriere<br />
ist erst nach jahrelanger Haft, in der er Folter <strong>und</strong> Todesangst erlitten hatte,<br />
freigekommen. Da ich Isang Yun nicht vor dem südkoreanischen Gericht<br />
verteidigen konnte, bestand meine Tätigkeit vor allem in Verhandlungen<br />
mit b<strong>und</strong>esdeutschen Instanzen (z.B. hatte ich ein mehrstündiges Gespräch<br />
mit dem damaligen B<strong>und</strong>esjustizminister Dr. Gustav Heinemann), sowie<br />
in Vorträgen, vor allem in Universitätsstädten, <strong>und</strong> Publikationen in den<br />
Medien. Und bei einer dieser öffentlichen Veranstaltungen in Hamburg<br />
habe ich es erlebt, dass im ganzen Stadtgebiet die Plakate zerstört waren,<br />
mit denen auf meine Rede hingewiesen wurde. Das konnte nicht ein Einzelner<br />
gemacht haben, sondern da musste eine ganze Organisation dahinter<br />
stehen, die das geschafft hat. Als ich nach meinem Vortrag an mein Auto<br />
zurückkam, hing eine Morddrohung am Scheibenwischer. Was also auch<br />
vor-aussetzt, dass jemand wusste, wie mein Auto aussieht, <strong>und</strong> dass jemand<br />
beobachtet hatte, wo ich geparkt hatte. Also das war schon ernst zu nehmen.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Standen Sie auch unter polizeilichem Schutz?<br />
Hannover: Nein. Das wollte ich auch nicht haben.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Sie haben in Ihrem neuen Buch „Reden vor Gericht“ den Fall<br />
Otto Becker als den wichtigsten in Ihrer Karriere bezeichnet. Worum ging<br />
es in dem Fall <strong>und</strong> warum war er so wichtig <strong>für</strong> Sie?<br />
Hannover: Im Jahr 1971 war in Bremen die 17jährige Carmen Kampa<br />
vergewaltigt <strong>und</strong> ermordet worden. Menschen die in einem haltenden Vorortzug<br />
saßen, hatten vom Fenster aus den Beginn dieses Verbrechens beobachtet<br />
<strong>und</strong> die Hilferufe des Mädchens gehört, ohne die Notbremse zu ziehen<br />
oder sonst sinnvolle Maßnahmen zu treffen. Der Zug fuhr also weiter<br />
<strong>und</strong> das Verbrechen geschah. <strong>Die</strong> Beschreibung des Täters war ziemlich ungenau.<br />
Man erfuhr nur, dass der Mann dunkle Haare hatte <strong>und</strong> einen<br />
dunklen Anzug <strong>und</strong> ein weißes Hemd oder Pullover trug. Aber selbst diese<br />
dürftige Personenbeschreibung wurde der Öffentlichkeit erst verspätet mitgeteilt.<br />
Es kam zu weiteren Ermittlungsfehlern der Kriminalpolizei, die in<br />
der Öffentlichkeit kritisch kommentiert wurden, <strong>und</strong> zwei Jahre nach der<br />
Tat war der Täter immer noch nicht gef<strong>und</strong>en. Aber dann hat man einen<br />
Verdacht gegen den alkoholkranken Bauarbeiter Otto Becker aufgebaut, der<br />
den Ermittlungsmethoden der Kripo nicht gewachsen war <strong>und</strong> sich in Widersprüche<br />
verwickeln ließ, die schließlich zur Anklage wegen Mordes <strong>und</strong><br />
zu seiner Verurteilung in der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht<br />
führten. Da ich einen Fehler bei der Schöffenbesetzung rügen konnte, war<br />
meine Revision beim BGH erfolgreich. Und durch einen glücklichen Zufall<br />
bekam ich Kenntnis von einer Spurenakte gegen einen anderen Tatverdächtigen,<br />
die bei der Kripo weggelegt worden war. Gegen diesen Tatverdächtigen<br />
konnte ich in der erneuten Hauptverhandlung 21 Indizien da<strong>für</strong>,<br />
dass er der Mörder des Mädchens war, vortragen. So hatte er am Tage nach<br />
der Tat mehrere Anzüge, darunter auch einen dunklen, der möglicherweise<br />
Blutspuren aufwies, als Eilauftrag in die Reinigung gegeben, hat die Anzüge<br />
aber erst nach Wochen wieder abgeholt. Auch hatte er gegenüber einem Zeugen<br />
zugegeben, dass er am Tatabend mit Carmen Kampa zusammengewesen<br />
war. Und ein besonders wirkungsvolles Indiz war die Tatsache, dass der<br />
Mann einige Zeit vor dem Mord an Carmen Kampa ein Romanmanuskript<br />
angefertigt hatte, das genau den Ablauf dieser Mordtat vorwegnahm. Dass<br />
Otto Becker freigesprochen wurde war das mindeste. Aber da der später<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
zum Generalstaatsanwalt ernannte Ankläger nach wie vor Becker <strong>für</strong> den<br />
Täter hielt, der nach einem von mir veranlassten Sachverständigengutachten<br />
schon wegen homosexueller Veranlagung <strong>für</strong> den Lustmord an einem<br />
Mädchen kaum in Frage kam, unterblieb eine Anklage gegen den von mir<br />
ermittelten Tatverdächtigen. Der Fall ist insgesamt unglaublicher als ein<br />
Kriminalroman.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Seit 1995 sind Sie nun im Ruhestand, vermissen Sie Ihre Arbeit?<br />
Hannover: Nein! (stark kopfschüttelnd) Ich bin froh, dass ich den Stress<br />
<strong>und</strong> die Anfeindungen hinter mir habe. Aber ich habe dann noch die Verpflichtung<br />
gespürt das aufzuschreiben, was ich erlebt habe. Es hat mich<br />
belastet, dass ich das nicht schon längst getan hatte, denn Kollegen, die<br />
wussten, wie meine Praxis ausgesehen hat, haben oft gesagt: „Du bist der<br />
einzige, der vierzig Jahre lang Linke anwaltlich vertreten <strong>und</strong> damit diese<br />
ganze Misere der politischen Justiz kennengelernt hat, das musst du aufschreiben.“<br />
Ich war froh, dass ich es dann innerhalb von drei Jahren wirklich<br />
geschafft hatte, alles aufzuschreiben <strong>und</strong> in meinem ersten Buch, „<strong>Die</strong><br />
Republik vor Gericht“ zu veröffentlichen. Nachdem dieses Buch nun nicht<br />
mehr im Handel ist, eine <strong>für</strong> mich unverständliche Entscheidung des Aufbau-Verlages,<br />
habe ich dann gesagt, ich muss noch mal nachlegen, indem<br />
ich nun die vorhandenen Plädoyers veröffentliche. Dass es von einigen meiner<br />
Plädoyers Tonaufnahmen gibt, ist ja eine Besonderheit, die kein anderer<br />
Anwalt gemacht hat. Ich habe diese Plädoyers, mit Genehmigung des Gerichts<br />
natürlich, auf Tonband aufgenommen, ursprünglich, weil ich in politischen<br />
Prozessen immer damit rechnen musste, anschließend einem Ehrengerichtsverfahren<br />
ausgeliefert zu sein, später auch aus dokumentarischem Interesse.<br />
Es war üblich geworden, dass in politischen Prozessen der Anwalt<br />
später mit einem Ehrengerichtsverfahren überzogen wurde, weil er angeblich<br />
von seinem Rederecht zu extensiv Gebrauch gemacht habe. Um mich<br />
davor also zu schützen, beantragte ich dann, es mir zu gestatten, das Plädoyer<br />
auf Tonband aufzunehmen. Und auf diese Weise ist eine ganze Sammlung<br />
von Tonbandaufnahmen meiner Plädoyers zustande gekommen, die jetzt<br />
im Deutschen R<strong>und</strong>funkarchiv in Frankfurt am Main archiviert sind. Und<br />
eine kleine Auswahl daraus habe ich nun veröffentlicht.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Sie veröffentlichen auch Kinderbücher, wie kamen Sie dazu?<br />
Hannover: Ja, ich bin Vater von sechs Kindern <strong>und</strong> habe ihnen erdachte<br />
Geschichten erzählt, weil das, was an Gedrucktem vorlag, mir damals nicht<br />
ausreichte. Ich habe dann ab <strong>und</strong> zu eine Geschichte aufgeschrieben, um sie<br />
nicht wieder zu vergessen <strong>und</strong> vielleicht noch mal erzählen zu können. Eines<br />
Tages hat eine Literaturagentin aus Zürich, Dr. Ruth Liepman, die aus anderem<br />
Anlass meine Familie besuchte, entdeckt, dass ich Kindergeschichten erzählt<br />
<strong>und</strong> aufgeschrieben habe. Nach einem Blick in diese Geschichten<br />
sagte sie: „<strong>Die</strong> kann man drucken.“ Und dann hat sie nach einem Verlag<br />
gesucht, was allerdings 3 Jahre dauerte, <strong>und</strong> 1968 kam dann „Das Pferd<br />
Huppdiwupp“ raus <strong>und</strong> erscheint heute immer noch. Inzwischen sind das<br />
wohl an die 300.000 Exemplare die verkauft wurden. Und neuerdings habe<br />
ich „Das Pferd Huppdiwupp“ auch ins Plattdeutsche übersetzt, die Sprache<br />
mit der ich in Anklam aufgewachsen bin. Das kommt offenbar gut an. Ich<br />
habe auch eine CD besprochen, damit alle Leser wissen wie sich das anhören<br />
muss. „Dat Pierd Huppdiwupp“ ist in dem Bremer Verlag Edition Temmen,
die CD bei Jumbo in Hamburg erschienen.<br />
<strong>Iurratio</strong>: War das Schreiben der Kinderbücher auch eine Art Ausgleich<br />
zu dem doch ernsten Beruf?<br />
Hannover: Ja, zunächst einmal das Erzählen schon. Da konnte ich in<br />
diese zeitlose Welt, in der Kinder leben, eintauchen. In eine Traumwelt, die<br />
zwischen Realität <strong>und</strong> Phantasie schwebt <strong>und</strong> an die ich mich aus meiner<br />
eigenen Kindheit noch sehr gut erinnern kann. Ich merkte natürlich auch<br />
im Gespräch mit den Kindern, was sie hören wollten <strong>und</strong> wie sie sich den<br />
Fortgang der Geschichte wünschten. Das war mir auch schon immer wichtig,<br />
dass Kinder erkennen, dass es sich um ausgedachte Geschichten handelt, die<br />
man auch anders erzählen kann. Ich habe als Kind manchmal darunter gelit-<br />
ten, dass einige Märchen grausam ausgingen <strong>und</strong> mir gewünscht, dass es an-<br />
ders ausging. <strong>Die</strong>ses Gefühl habe ich meinen Kindern ersparen wollen. Ich<br />
wollte nicht, dass sie Angst vor Geschichten bekommen. Ich habe mich ge-<br />
freut, wenn die Kinder Vorschläge gemacht haben, die der Geschichte einen<br />
ganz anderen Inhalt gaben. Später habe ich Geschichten auch am Schreib-<br />
tisch erf<strong>und</strong>en. Aber ich habe immer das Gefühl, meine besten Geschichten<br />
sind wirklich im unmittelbaren Erzählen vor Kindern entstanden. Wenn<br />
ich von den Kindern die Rückmeldung sofort bekam. Es ist ganz wichtig,<br />
dass man spürt auf welcher gedanklichen <strong>und</strong> gefühlsmäßigen Ebene Kinder<br />
empfinden.<br />
Aber es muss vor allem auch die Sprache gewahrt werden, die Kinder verstehen.<br />
Wenn Erwachsene sich Kindergeschichten ausdenken, ist manchmal<br />
literarischer Ehrgeiz im Spiel. Der fällt weg, wenn Sie sich mit den Kindern<br />
unmittelbar unterhalten, weil Kinder ja über literarisch gehobene Sprache<br />
noch gar nicht verfügen.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Ich komme nun noch einmal auf die juristische Seite Ihrer Arbeit<br />
zurück. Das Titelthema unserer neusten Ausgabe lautet „Rechtsstaatlichkeit<br />
in der juristischen Praxis“, <strong>und</strong> gerade wenn man frisch aus der Uni<br />
kommt, hat man ein ganz bestimmtes Bild von Rechtsstaatlichkeit. Ist der<br />
Anspruch den wir an Rechtsstaatlichkeit stellen <strong>für</strong> die Praxis zu hoch?<br />
Hannover: Ich selbst bin naiv in den Beruf hineingegangen. Ich habe<br />
wirklich geglaubt, dass sich Rechtsstaatlichkeit so wie ich sie auf der Uni gelernt<br />
hatte ohne weiteres durchsetzen kann <strong>und</strong> dies auch von den Gerichten<br />
ausgeht. Ich habe dann die Erfahrung gemacht, dass in politischen<br />
Strafsachen die politischen Vorurteile von Richtern <strong>und</strong> Staatsanwälten<br />
sehr viel stärker sind, als rechtsstaatliche Prinzipien. Da habe ich manchmal<br />
wirklich kämpfen müssen, um die richtigen Tatsachenfeststellungen<br />
herbeizuführen <strong>und</strong> den Paragraphen zum Leben zu verhelfen. Nicht nur<br />
bei der Gesetzesauslegung, auch bei der Beweiswürdigung waren oft die<br />
politischen Vorurteile der Richter nicht zu überwinden. Das war <strong>für</strong> mich<br />
eine enttäuschende <strong>und</strong> schockierende Erfahrung. Und ich <strong>für</strong>chte diese<br />
Erfahrung werden auch Sie als <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong> machen. Vielleicht nicht in<br />
gleichem Maße, weil nicht dieselben Vorurteile <strong>und</strong> diese auch nicht in der<br />
ursprünglichen Schärfe vorhanden sind, wie zu meiner Zeit, aber Sie werden<br />
wahrscheinlich auch die Erfahrung machen, dass Richter jedenfalls in<br />
politischen Strafsachen die von ihnen gewollte Entscheidung manchmal<br />
geradezu blindlings durchsetzen, obwohl die Tatsachen <strong>und</strong> das Gesetz<br />
eine andere Entscheidung gefordert hätten.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Praxis & Karriere<br />
<strong>Iurratio</strong>: Gibt es etwas, was Sie uns als <strong>junge</strong>n <strong>Juristen</strong> noch mitgeben<br />
möchten?<br />
Hannover: Es kommt vor allem darauf an, dass Sie das aussprechen,<br />
was Sie <strong>für</strong> Recht halten. Und dazu gehört manchmal Mut. Seien Sie immer<br />
kritisch gegenüber dem, was Ihnen da als die richtige Auslegung des Gesetzes<br />
<strong>und</strong> der Tatsachen vom Gericht vorgegeben wird.<br />
Und dann würde ich mir natürlich wünschen, dass auch die jüngere <strong>Juristen</strong>generation<br />
nicht in erster Linie darauf bedacht ist, viel Geld zu verdienen,<br />
sondern sich auch den Justizschicksalen ärmerer Leute annimmt.<br />
Selbst wenn es kein Geld bringt oder sogar Geld kostet.<br />
<strong>Iurratio</strong>: Herr Hannover, wir danken Ihnen sehr <strong>für</strong> dieses Gespräch.<br />
Mit seinem neuen Buch: „Reden vor Gericht“ hat Heinrich Hannover erneut<br />
ein Stück Zeitgeschichte aufgeschrieben. In Fall-Kapiteln beschreibt<br />
er einige seiner interessantesten <strong>und</strong> politisch wichtigsten Prozesse <strong>und</strong><br />
knüpft damit an seine schon erschienenen Werke an. Er beschreibt seine<br />
Prozesse, zu fünf dieser Prozesse ist auf einer Audio-CD sein Original<br />
Plädoyer enthalten.<br />
Hannover berichtet in seinem Buch von vielen prominenten Strafverteidigungen,<br />
wie beispielsweise: der Fall Karl-Heinz Roth, der Mord an Ernst<br />
Thälmann <strong>und</strong> der Prozess gegen Astrid Proll. Er thematisiert mit diesen<br />
<strong>und</strong> noch 14 weiteren Fällen die großen, auch politischen, Fragen <strong>und</strong><br />
Anforderungen an die Zeit zwischen 1963 <strong>und</strong> 1993. <strong>Die</strong> „Terrorhysterie“,<br />
wie er den Zustand der 1970er Jahre bezeichnet, die Aufarbeitung der NS-<br />
Zeit, die Demokratie <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>rechte unserer Verfassung.<br />
Er kritisiert, diskutiert <strong>und</strong> erzählt in seinem Buch, vor allem aber in seinen<br />
Plädoyers. Er zeigt dem Leser auf eindrucksvolle <strong>und</strong> manchmal<br />
erschreckend ehrliche Art <strong>und</strong> Weise die Aufgabe <strong>und</strong> Verantwortung der<br />
Strafverteidigung, die vielen Lesern wohl nur selten bewusst wird.<br />
In fast allen seiner Fälle geht es um die (vermeintlichen) Gegensätze zwischen<br />
Polizei <strong>und</strong> Justiz, dem Verteidiger <strong>und</strong> dem Gericht <strong>und</strong> wohl auch<br />
um das Verhältnis von Wahrheit zu Schuldspruch. Und dokumentiert dadurch<br />
unsere Geschichte auf höchstem Niveau.<br />
Insbesondere in Verbindung mit dem von Heinrich Hannover im Jahre<br />
2005 veröffentlichten Buch „<strong>Die</strong> Republik vor Gericht 1954 - 1995 –<br />
Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts“ ist dieses Buch als Stück<br />
deutscher Nachkriegsgeschichte überaus lesenswert <strong>und</strong> lehrreich. Es ist<br />
ein Muss <strong>für</strong> jeden (<strong>junge</strong>n) <strong>Juristen</strong>, eigenes Handeln in den historischen<br />
Zusammenhang einzuordnen, uns so tragische Fehler der Geschichte nicht<br />
zu wiederholen.<br />
Darüber hinaus wird beim Lesen dieser Bücher klar, dass sich jeder Jurist,<br />
gleichgültig ob Staatsanwalt, Richter oder Anwalt einmal bewusst werden<br />
sollte, wo<strong>für</strong> er steht <strong>und</strong> mit welchen Mitteln er da<strong>für</strong> kämpft.<br />
<strong>Die</strong>ses Werk ist ein Glücksfall <strong>für</strong> die deutsche Geschichte, die wohl selten<br />
eine so hautnahe Betrachtung erfahren durfte.<br />
Heinrich Hannover „Reden vor Gericht – Plädoyers in Text <strong>und</strong> Ton“<br />
Hardcover mit einer Audio-CD, PapyRossa-Verlag, Köln<br />
276 Seiten, 14 s/w-Abb.<br />
ISBN: 978-3-89438-438-8<br />
Ladenpreis: 22,00 €<br />
55
Master<strong>stud</strong>iengang<br />
Master<strong>stud</strong>iengang<br />
Europäische <strong>und</strong> Internationale Verwaltung<br />
Europäische <strong>und</strong> Internationale Verwaltung<br />
WWW.ANDRASSYUNI.EU<br />
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FAKULTÄT FÜR VERGLEICHENDE<br />
FAKULTÄT FÜR VERGLEICHENDE<br />
STAATS- UND RECHTSWISSENSCHAFTEN<br />
STAATS- UND RECHTSWISSENSCHAFTEN<br />
Postgradualer europarechtlicher Studiengang (LL.M.)<br />
Postgradualer europarechtlicher Studiengang (LL.M.)<br />
mit zwei Spezialisierungsrichtungen:<br />
mit zwei Spezialisierungsrichtungen:<br />
• Internationales Unternehmensrecht: Schwerpunkt Ostmitteleuropa<br />
•<br />
•<br />
Internationales Unternehmensrecht: Schwerpunkt Ostmitteleuropa<br />
••<br />
Internationale <strong>und</strong> Europäische Verwaltung<br />
Internationale <strong>und</strong> Europäische Verwaltung<br />
•<br />
Praxis & Karriere<br />
A. „WARUM“ SPEyER? 1<br />
Referendarsstation an der deutschen Hochschule <strong>für</strong><br />
Verwaltungswissenschaften in Speyer 1<br />
von Christopher Exner (Rechtsreferendar am Oberlandesgericht Bremen)<br />
Referendare aus allen 16 B<strong>und</strong>esländern kommen nach Speyer, um dort ein<br />
dreimonatiges „Speyer-Semester“ 2 zu absolvieren. In den einzelnen B<strong>und</strong>esländern<br />
gibt es Unterschiede, in welcher Station man an die DHV entsendet<br />
werden kann. Nach meiner Erfahrung entscheiden sich die meisten Referendare<br />
dazu, <strong>für</strong> die Verwaltungsstation nach Speyer zu kommen. Darüber<br />
hinaus besteht oftmals auch Möglichkeit, das Semester auf die Anwalts- oder<br />
Wahlstation anrechnen zu lassen. 3 Zu den Referendaren gesellen sich Aufbauhörer<br />
aus den verschiedensten Fachgebieten, die ihrem bereits abgeschlossenen<br />
Studium einen weiteren Magistertitel hinzufügen möchten.<br />
Ein Kennenlernen untereinander ist schnell möglich, da ein Großteil der Hörer<br />
direkt auf dem DHV-Gelände wohnt <strong>und</strong> so tägliche Begegnungen stattfinden.<br />
Durch die regionale <strong>und</strong> inhaltliche Vielfalt der Hörerschaft stellt das<br />
Speyer-Semester neben der reinen Wissensvermittlung eine starke soziale Bereicherung<br />
dar.<br />
<strong>Die</strong> Hochschule wird größtenteils von den Hörern selbst organisiert. So werden<br />
Referate in verschiedenen Themengebieten (z.B. Kultur, Umwelt, Sport,<br />
etc.) eingesetzt, welche die anstehenden Punkte in dem jeweiligen Bereich bearbeiten.<br />
Das Kulturreferat organisierte beispielsweise Fahrten zum B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />
nach Karlsruhe <strong>und</strong> zum Europäischen Gerichtshof <strong>für</strong><br />
Menschenrechte nach Straßburg mit anschließender Besichtigung der jeweiligen<br />
Stadt.<br />
1 Der Verfasser dieses Berichtes ist Referendar in Bremen <strong>und</strong> absolvierte im<br />
Sommersemester 2010 seine Verwaltungsstation an der DHV.<br />
2 Angeboten werden ein Sommer-(01.05 – 31.07) <strong>und</strong> ein Wintersemester<br />
(01.11 – 31.01). Alle wesentlichen Informationen hierzu findet man auf der<br />
Homepage der DHV: www.dhv-speyer.de.<br />
3 Auskünfte erhält man bei den jeweiligen Prüfungsämtern der Länder.<br />
B. LEHRVERANSTALTUNGEN<br />
<strong>Die</strong> DHV Speyer bietet eine breite Palette von Lehrveranstaltungen an. Neben<br />
examensrelevanten Vorlesungen wird ein hohes Maß an Interdisziplinarität<br />
gewährt, indem zusätzlich Kurse aus den Bereichen der Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften<br />
unterrichtet werden. So habe ich beispielsweise die Vorlesung<br />
„Regieren in Deutschland“ besucht <strong>und</strong> meinen Seminarschein in der<br />
Veranstaltung „Vertrauen in die Verwaltung, in der Verwaltung <strong>und</strong> in die Politik“<br />
gemacht.<br />
Trotz dieses fächerübergreifenden Angebotes wird ebenfalls eine Vielzahl von<br />
rechtswissenschaftlichen Fächern gelehrt. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf<br />
den Verwaltungswissenschaften, aber es werden ebenso Justizübungen im<br />
Zivil- <strong>und</strong> Strafrecht angeboten.<br />
<strong>Die</strong> heimische Arbeitsgemeinschaft wird durch die sog. Landesübung ersetzt,<br />
die eine qualifizierte Vorbereitung auf die öffentlich-rechtlichen Klausuren<br />
im zweiten Staatsexamen unter Berücksichtigung des jeweiligen Landesrechts<br />
gewährleisten soll. In der Regel werden in dieser Veranstaltung auch Klausuren<br />
geschrieben <strong>und</strong> Aktenvorträge abgehalten.<br />
Zusammenfassend ist zu sagen, dass durch dieses Angebot eine sehr gute Examensvorbereitung<br />
möglich ist.<br />
C. SEMESTERZEUGNIS<br />
Nach Abschluss der Station erhält jeder Referendar ein Semesterzeugnis,<br />
welches dem Stationszeugnis entspricht. <strong>Die</strong> Gesamtnote des Zeugnisses setzt<br />
sich aus den Noten <strong>für</strong> das zu belegende Seminar <strong>und</strong> die Projektbezogene<br />
Arbeitsgemeinschaft zusammen. In diesen beiden Veranstaltungen muss in<br />
aller Regel ein mündlicher Vortrag gehalten <strong>und</strong> eine dazugehörige schriftliche<br />
Hausarbeit angefertigt werden. Weitere Voraussetzung <strong>für</strong> die Aushän-<br />
FIT FÜR<br />
EUROPA! FIT FÜR<br />
EUROPA!
digung des Semesterzeugnisses ist eine Veranstaltungsmindestbelegung von<br />
insgesamt 20 Semesterwochenst<strong>und</strong>en.<br />
Für die Landesübungen werden – je nach B<strong>und</strong>esland – gesonderte Zeugnisse<br />
vergeben.<br />
D. SPEyER UND UMGEBUNG<br />
Speyer ist eine der ältesten Städte Deutschlands, liegt unmittelbar am Rhein<br />
<strong>und</strong> hat circa 50.000 Einwohner. Kulturelles „Highlight“ ist der Kaiser- <strong>und</strong><br />
Mariendom, welcher zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Daneben gibt es<br />
zahlreiche weitere Sehenswürdigkeiten wie das Technikmuseum oder das<br />
Feuerbachhaus.<br />
Gerade die Wochenenden bieten ausreichend Gelegenheit, das Umland<br />
Speyers zu erk<strong>und</strong>en – <strong>und</strong> auch dies hat einiges zu bieten! <strong>Die</strong> Region gehört<br />
zu den wärmsten <strong>und</strong> niederschlagsärmsten Gebieten Deutschlands, weshalb<br />
ein Aufenthalt an den nahe gelegenen Badeseen manchmal <strong>für</strong> die nötige Erfrischung<br />
sorgt. Historisch interessierte Hörer können schöne St<strong>und</strong>en am<br />
Hambacher Schloss verbringen, während andere nach einem Spaziergang in<br />
den Weinbergen die Zeit <strong>für</strong> eine gemeinschaftliche Weinprobe nutzen.<br />
Heidelberg <strong>und</strong> Mannheim sind nur einen Katzensprung entfernt <strong>und</strong> Karlsruhe,<br />
Straßburg <strong>und</strong> Stuttgart in relativ kurzer Zeit gut zu erreichen. Gerade<br />
<strong>für</strong> ein Nordlicht wie mich, der den Südwesten der Republik noch nicht wirklich<br />
bereist hatte, war die Erk<strong>und</strong>ung der Region ein zusätzlicher Anreiz.<br />
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E. GERüCHTE VS. REALITäT<br />
Häufig werde ich gefragt: „Mensch, du musst schon was über die ganzen Gerüchte<br />
erzählen, die man von Speyer so hört! Gibt’s da ehrlich ne Heiratsbörse?<br />
Wird da wirklich soviel getrunken??“<br />
Dazu kann ich nur sagen: Wie bei Gerüchten üblich, so ist neben einem wahren<br />
Kern ebensoviel Legendenbildung dabei. Nach meiner Erfahrung bleibt<br />
es jedem selbst überlassen, wie er oder sie die drei Monate in Speyer verbringen<br />
möchte. Es wird gefeiert (das stimmt!), aber es ist bei weitem nicht bei jeder<br />
Feier auch jeder Referendar anwesend. Viele konzentrieren sich auf die<br />
Lehrveranstaltungen <strong>und</strong> erhalten dadurch eine sehr gute Examensvorbereitung.<br />
Für andere steht der länderübergreifende Austausch (in welcher Form<br />
auch immer…) im Vordergr<strong>und</strong>. Jedoch müssen auch solche Hörer das oben<br />
genannte „Pflichtprogramm“ absolvieren <strong>und</strong> ihre Leistungen erbringen.<br />
F. PERSöNLICHES FAZIT<br />
Ich habe die Verwaltungsstation sehr genossen <strong>und</strong> würde auch im Nachhinein<br />
immer wieder nach Speyer gehen. Neben dem sehr guten Veranstaltungsangebot<br />
findet ein kultureller Austausch statt <strong>und</strong> es werden viele Verbindungen<br />
geknüpft, die oftmals über die gemeinsame Zeit in Speyer hinaus fortdauern.<br />
Alleine aus diesen Gründen kann ich das Speyer-Semester allen<br />
Referendaren nur empfehlen!<br />
ILF-SOMMERLEHRGANG<br />
vom 22. AUGUST bis 2. SEPTEMBER 2011<br />
In Kooperation mit:<br />
Bank- & Kapitalmarktrecht<br />
Der Lehrgang vermittelt einen umfassenden Einblick in die Praxis des Bank- <strong>und</strong><br />
Kapitalmarktrechts <strong>und</strong> der Unternehmensfinanzierung. Er wendet sich an hoch<br />
qualifizierte <strong>junge</strong> Juristinnen <strong>und</strong> <strong>Juristen</strong> vor dem Berufseinstieg mit ausgeprägtem<br />
wirtschaftlichen Verständnis <strong>und</strong> besonderem Interesse <strong>für</strong> das Bank<strong>und</strong><br />
Kapitalmarktrecht.<br />
<strong>Die</strong> Referenten sind Partner folgender Sozietäten:<br />
Darüber hinaus werden auch zahlreiche Vertreter von Banken teilnehmen.<br />
Ansprechpartnerin:<br />
Praxis & Karriere<br />
Christina Hagenbring, Projektleiterin<br />
Telefon: +49 (69) 798-33628 • E-Mail: info@ilf.uni-frankfurt.de
58<br />
Praxis & Karriere<br />
A. EINLEITUNG<br />
Aufbau<strong>stud</strong>ium „europäisches <strong>und</strong> Internationales Recht“<br />
(LL.M.eur.) an der Universität Bremen<br />
von Ass.<strong>iur</strong>. Merle Alena Wolter (Bremen)<br />
Schon nach wenigen Monaten des Jura<strong>stud</strong>iums war mir klar, dass das Eur-<br />
opa- <strong>und</strong> Völkerrecht mein Prüfungsschwerpunkt werden sollte. Ein ERAS-<br />
MUS-Jahr in Straßburg sowie ein freiwilliges Praktikum im Europäischen<br />
Parlament in Brüssel bestätigten mir diese Erkenntnis. Im Referendariat<br />
nutzte ich jede Gelegenheit, europarechtlich ausgerichtete Stationen auszuwählen<br />
(z.B. Generalkonsulat Marseille <strong>und</strong> Verwaltungshochschule Speyer).<br />
Während meiner Wahlstation, die ich beim Deutschen Anwaltverein (DAV)<br />
im Verbindungsbüro in Brüssel absolvierte, suchte ich schließlich nach einem<br />
europarechtlichen LL.M. Programm. Meine Wahl fiel schließlich auf das Aufbau<strong>stud</strong>ium<br />
„Europäisches <strong>und</strong> Internationales Recht“, das seit 1991 vom<br />
Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen angeboten wird.<br />
Mein Tipp: Deutsche LL.M.-Programme in der Nähe suchen <strong>und</strong> vergleichen<br />
– es muss nicht immer gleich das Ausland sein!<br />
B. STUDIUM<br />
Das Programm des Aufbau<strong>stud</strong>iums richtet sich an Juristinnen <strong>und</strong> <strong>Juristen</strong><br />
zur intensiven berufsbezogenen Vorbereitung auf die Anforderungen des europäischen<br />
Binnenmarkts <strong>und</strong> einer internationalen Berufspraxis. Das Studium<br />
beginnt am 01. Oktober eines Jahres <strong>und</strong> umfasst drei Trimester –<br />
Herbsttrimester (Vorlesungen), Wintertrimester (Pflichtpraktikum) <strong>und</strong><br />
Sommertrimester (Vorlesungen <strong>und</strong> Magisterarbeit). <strong>Die</strong> Teilnahme kann als<br />
Vollzeit- oder Teilzeit<strong>stud</strong>ium erfolgen. Das Vollzeit<strong>stud</strong>ium umfasst drei Trimester<br />
(1 Jahr), das Teilzeit<strong>stud</strong>ium sechs Trimester (2 Jahre).<br />
Schwerpunktmäßig wird das Recht der Europäischen Union (EU), Internationales<br />
Privat- <strong>und</strong> Wirtschaftsrecht sowie eine Einführung in die Gr<strong>und</strong>lagen<br />
der europäischen Rechtssysteme (Rechtsvergleichung) behandelt. Zur Vertiefung<br />
des Praxisbezugs werden regelmäßig Studienfahrten nach Brüssel (u. a.<br />
Europäische Kommission) <strong>und</strong> Luxemburg (u. a. Europäischer Gerichtshof)<br />
angeboten, die nicht nur informativ sind, sondern auch viel Spaß mit den<br />
überwiegend ausländischen Kommilitonen versprechen.<br />
Insgesamt ist das Angebot der Veranstaltungen sehr abwechslungsreich <strong>und</strong><br />
ansprechend. <strong>Die</strong> Professoren <strong>und</strong> Dozenten sind hilfsbereit <strong>und</strong> hinsichtlich<br />
der zu erbringenden Studienleistungen flexibel, insbesondere gegenüber ausländischen<br />
Studierenden. Mit ein wenig Vorbereitung ist jede Prüfung zu<br />
schaffen! Im Vergleich zum deutschen Staatsexamen ist es sogar wahrscheinlich,<br />
dass man gute bis sehr gute Ergebnisse erzielt. Mein Tipp: Zu Beginn jede<br />
Vorlesung mindestens einmal besuchen <strong>und</strong> herausfinden, welcher Leistungsnachweis<br />
gefordert wird. Hausarbeiten sind eine gute Übung <strong>für</strong> die<br />
Magisterarbeit, aber quasi genauso umfangreich wie eine Seminararbeit –<br />
also besser gleich das Seminar belegen. Klausuren sind mit ihrem Zeitlimit<br />
von 90 Minuten zwar oftmals weniger aufwendig als Hausarbeiten, aber man<br />
sollte trotzdem relativ sicher <strong>und</strong> schnell schreiben können.<br />
Für ausländische Studierende bieten sich gr<strong>und</strong>sätzlich mündliche Prüfungen<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
an, da es hierbei nicht so sehr auf die richtige Grammatik ankommt. Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
gilt: Alles ist machbar!<br />
C. STUDIENVORAUSSETZUNGEN<br />
Bewerben können sich Juristinnen <strong>und</strong> <strong>Juristen</strong> mit einem ersten Hochschulabschluss<br />
eines juristischen Studiums einer deutschen Hochschule (Juristische<br />
Staatsprüfung, Juristisches Diplom oder Juristischer Bachelorgrad)<br />
oder einem als gleichwertig anerkannten Studiengang mit Studienleistungen<br />
im Umfang von mindestens 180 Leistungspunkten (Credit Points = CP) nach<br />
dem European Credit Transfer System (ECTS) oder äquivalenten Leistungen.<br />
Nachzuweisen sind Englisch- <strong>und</strong> Deutschkenntnisse, die mindestens dem<br />
Niveau B2 des Europäischen Referenzrahmens <strong>für</strong> Sprachen entsprechen<br />
oder Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung/ letzter Hochschulabschluss<br />
in englischer/ deutscher Sprache. Weiterhin ist in einem Motivationsschreiben<br />
das besondere Interesse am Aufbau<strong>stud</strong>iengang zu begründen.<br />
Bewerbungen müssen bis zum 31. Mai eines jeden Jahres eingereicht werden.<br />
<strong>Die</strong> Auswahl erfolgt u. a. auf der Gr<strong>und</strong>lage der bisherigen Studien- <strong>und</strong><br />
Prüfungsleistungen bzw. nachgewiesener Europarechtskenntnisse <strong>und</strong><br />
-interesse.<br />
Mein Tipp: Das Programm ist als Teilzeit<strong>stud</strong>ium – z. B. neben dem Referendariat<br />
– zu empfehlen, da auch die Auslands-Wahlstation als Praxis-Trimester<br />
anerkannt werden kann <strong>und</strong> sich der Arbeitsaufwand im Übrigen als verhältnismäßig<br />
erweist. Ich habe das Studium nach dem 2. Staatsexamen als Vollzeit<strong>stud</strong>ium<br />
absolviert. Nebenbei hatte ich trotzdem genügend Zeit, einer Nebenbeschäftigung<br />
nachzugehen. Im Vorfeld habe ich einen Sprachkurs an einer<br />
VHS belegt um den Englisch-Nachweis zu erbringen. <strong>Die</strong>ser muss erst<br />
zum Beginn des Herbsttrimesters, nicht bei Bewerbungsschluss vorliegen.<br />
D. STUDIENLEISTUNGEN<br />
<strong>Die</strong> einzelnen Leistungen werden nach dem ECTS-System gewichtet, wobei<br />
jede mit einem erfolgreichen Leistungsnachweis absolvierte Kurs-Wochenst<strong>und</strong>e<br />
mit 2,0 ECTS-Punkten, jede mit einem erfolgreichen Leistungsnachweis<br />
absolvierte Seminar-Wochenst<strong>und</strong>e mit 3,0 ECTS-Punkten bewertet<br />
wird. Insgesamt müssen 60 ECTS-Punkte erreicht werden. <strong>Die</strong> Magisterarbeit<br />
sollte ca. 50 Seiten umfassen. Das Praktikum soll im Ausland (deutsche Teilnehmer)<br />
bzw. kann im Inland (ausländische Teilnehmer) absolviert werden.<br />
Ich habe im Herbsttrimester bereits so viele Kurse belegt, dass ich im Sommertrimester<br />
viel Luft hatte zur Recherche <strong>für</strong> die Magisterarbeit. Außerdem<br />
ist die Vorlesungszeit im Herbsttrimester einige Wochen kürzer als im Sommertrimester,<br />
sodass mit weniger Aufwand dieselbe Punktezahl erreicht werden<br />
kann. Mein Tipp: Mindestens ein Pflichtseminar im Wintertrimester belegen,<br />
da eine schriftliche Abgabe meistens erst bis Ende des Wintertrimesters<br />
erfolgen muss. Ich habe sogar beide Pflichtseminare im Herbsttrimester belegt,<br />
sodass ich mich im Sommertrimester ganz auf meine Magisterarbeit<br />
konzentrieren konnte. Außerdem besteht die Möglichkeit, eine Seminararbeit<br />
als Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> die Magisterarbeit zu nehmen – mit freier Themenwahl!
E. KOSTEN<br />
<strong>Die</strong> Kosten <strong>für</strong> das Aufbau<strong>stud</strong>ium sind relativ gering, da lediglich die offiziellen<br />
Studiengebühren der Universität Bremen (insgesamt ca. 500 EUR) sowie<br />
die allgemeinen Lebenshaltungskosten in Bremen bzw. am Ort des Praktikums<br />
(monatlich ca. 500-750 €) anfallen. Dank des Semestertickets konnten<br />
viele Teilnehmer zwischen Bremen <strong>und</strong> ihrer Heimatstadt (z. B. Oldenburg/<br />
Hannover/ Hamburg) pendeln. Mein Tipp: <strong>Die</strong> Zeit als ordentlich eingeschriebene<br />
Studentin/ eingeschriebener Student mit allen Rabatt-Möglichkeiten<br />
intensiv nutzen!<br />
Studieren ohne Abitur? ... „fachlich“ ist dies schon lange Zeit möglich, sind<br />
doch nicht alle in der Oberstufe vermittelten Inhalte gleich notwendig, um erfolgreich<br />
in ein Studium zu starten. ... aber rechtlich? Auch diese Hürde<br />
wurde, zumindest teilweise, durch ein Projekt gekippt, das mittlerweile b<strong>und</strong>esweite<br />
Verbreitung findet: das „Schüler<strong>stud</strong>ium“. An der Universität zu<br />
Köln besteht bereits seit Mitte 2000 die Möglichkeit an ausgewählten Lehrveranstaltungen<br />
einzelner Fakultäten teilzunehmen <strong>und</strong> auch Leistungsnachweise<br />
zu erwerben. Begonnen hat diese „Hochbegabten-“ oder besser „Begabtenförderung“<br />
mit dem Fach Mathematik. Der f<strong>und</strong>amentale Unterschied zu<br />
Schülerakademien <strong>und</strong> einer „Kinderuni“ besteht darin: Das Schüler<strong>stud</strong>ium<br />
ist ein ganz „normales“ Studium an einer Universität, das später „angerechnet“<br />
wird, ohne aber eingeschrieben zu sein <strong>und</strong> natürlich auf rein freiwilliger<br />
Basis.<br />
Mich selbst begleitet das „Schüler<strong>stud</strong>ium“ schon seit mehr als vier Jahren:<br />
Mit 13 Jahren habe ich angefangen in Köln <strong>und</strong> Bonn Katholische Theologie<br />
zu <strong>stud</strong>ieren; mittlerweile stehe ich im 9. Semester <strong>und</strong> nahe damit dem Ende<br />
meines Studiums. Als Mitte 2009 an der Universität zu Köln das Fach Rechtswissenschaft<br />
„freigegeben“ wurde, konnte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen<br />
lassen <strong>und</strong> stehe hier inzwischen im 3. Semester <strong>Die</strong> Gefahr, dass schulische<br />
Leistung unter dem Parallel<strong>stud</strong>ium leiden, besteht natürlich; wenn<br />
man das Schüler<strong>stud</strong>ium aber konsequent durchsetzt, muss das nicht der Fall<br />
sein. Letztes Jahr habe ich mein Abitur bestanden – trotz, oder aber gerade<br />
wegen der Universität: sehr gut.<br />
Ein Schüler<strong>stud</strong>ium kostet Zeit – Schulzeit <strong>und</strong> Freizeit. Dessen muss man<br />
sich bewusst sein. Man hat eigenen Interessen <strong>und</strong> Bedürfnissen zu genügen,<br />
aber auch den Anforderungen der Lehrer <strong>und</strong> Dozenten. Zugleich muss man<br />
sich innerlich überwinden <strong>und</strong> erst einmal den Schritt in die Universitätsgebäude<br />
wagen. <strong>Die</strong> ersten Semester lehren einen dann, dass auch die <strong>stud</strong>entisch-<br />
universitäre Arbeitsweise von der schulischen Motivation abweicht.<br />
Auch hier musste ich mich erst einleben – eine andere Arbeitshaltung an den<br />
Tag zu legen fällt aber dann nicht schwer, wenn einem das gewählte Fach auch<br />
Spaß macht.<br />
F. FAZIT<br />
Schule <strong>und</strong> Studium parallel<br />
von Georg <strong>Die</strong>tlein (Universität Köln)<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Praxis & Karriere<br />
Studiert man die Stellenanzeigen in der einschlägigen Presse, so wird deutlich,<br />
dass eine Zusatzqualifikation wie eine Promotion oder ein LL.M. gern<br />
gesehen wird. Auch bei mir war der Erwerb des LL. M. Eur. eine gute Visitenkarte,<br />
zumal das Europarecht quasi überall eine Rolle spielt. Darüber hinaus<br />
konnte ich mein Netzwerk – deutsche <strong>und</strong> ausländische <strong>Juristen</strong>, Professoren<br />
<strong>und</strong> Dozenten - erheblich erweitern <strong>und</strong> habe dabei auch noch Spaß gehabt!<br />
Mein Tipp: Weitere Informationen auf der Homepage unter:<br />
[http://www.europarecht.uni-bremen.de/startframeset1024.html]<br />
oder per E-Mail unter: [llmeur@uni-bremen.de].<br />
<strong>Die</strong> besten Gr<strong>und</strong>lagen <strong>für</strong> ein Jura-Studium hat mir die Theologie gelegt,<br />
durch die ich meinen Sprachschatz ausweiten <strong>und</strong> mein Sprachverständnis<br />
vertiefen <strong>und</strong> präzisieren konnte, gr<strong>und</strong>legende Methoden erlernt habe <strong>und</strong><br />
durch das Kirchenrecht bereits auf Auslegung von Recht vorbereitet wurde.<br />
Ich habe auch schnell gespürt, dass eine gewisse persönliche Beziehung zu<br />
Jura nie verkehrt ist. Mir half zumindest mein politisches Engagement in der<br />
Union weiter, durch das ich bereits politische <strong>und</strong> rechtliche Strukturen näher<br />
kennen gelernt hatte. Auch durch meine Familie war ich ein wenig juristisch<br />
„vorbelastet“: einen ehemaligen Verfassungsrichter als Großvater <strong>und</strong> einen<br />
Professor <strong>für</strong> Öffentliches Recht als Onkel. So lag ein erstes Schnupper<strong>stud</strong>ium<br />
nah, das ich dann gerne in vertieftes Studium ausbaute.<br />
Über die ersten drei Semester habe ich mich an die einzelnen juristischen<br />
„Hauptfächer“ herangepirscht, indem ich mich in jedem Semester auf ein<br />
Fach konzentrierte: erst das Öffentliche Recht, dann das Strafrecht <strong>und</strong><br />
schließlich das Bürgerliche Recht. Eine solche Sortierung ist eher unüblich,<br />
war aber sehr effizient. Besonders das Verständnis der komplexen Strukturen<br />
des BGB war zeitaufwändig, so dass das fortgeschrittene Studium hier genau<br />
richtig kam.<br />
Das Schüler<strong>stud</strong>ium hat mich sehr stark bereichert, vor allem persönlich. Daher<br />
kann ich den parallelen Weg von Universität <strong>und</strong> Schule jedem Interessierten<br />
wirklich weiterempfehlen. Dazu gehören selbstverständlich Ernsthaftigkeit<br />
<strong>und</strong> Durchhaltevermögen, was sich aus der Doppelbelastung ergibt.<br />
Meiner Ansicht nach wird sich das Projekt „Schüler<strong>stud</strong>ium“ an noch mehr<br />
Studienorten etablieren <strong>und</strong> verstärkt bei Schülern Fuß fassen. Es bietet nicht<br />
nur die perfekte Gelegenheit spätere Studienfächer kennen zulernen <strong>und</strong> eigene<br />
Vorstellungen kritisch zu überprüfen, sondern auch die Möglichkeit einen<br />
Teil der späteren Studienbelastung auf die Schulzeit zu verlagen <strong>und</strong> damit<br />
das Jura-Studium zu entzerren <strong>und</strong> Frustrationen zu vermeiden. Das<br />
Schüler<strong>stud</strong>ium ist daher eine Vertiefung von Angeboten wie „Tag der offenen<br />
Tür“, „Schülercampus Jura“, das sich wirklich lohnt.<br />
59
60<br />
An dieser Stelle präsentieren wir Ihnen Kurzfassungen offener Stellenausschreibungen <strong>für</strong> <strong>stud</strong>entische Hilfskräfte,wissenschaftliche Hilfskräfte<br />
<strong>und</strong> wissenschaftliche Mitarbeiter an den Lehrstühlen aller juristischer Fakultäten sowie Referendars- <strong>und</strong> Praktikerstellen. <strong>Die</strong> ausführlichen<br />
Stellenausschreibungen finden Sie auf unserer Homepage unter www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt. Ihr <strong>Iurratio</strong>-Team.<br />
UNIVERSITÄT ZU KÖLN<br />
Prof. Dr. Hans-Peter Haferkamp<br />
Institut <strong>für</strong> Neuere Privatrechtsgeschichte,<br />
Deutsche <strong>und</strong> Rheinische Rechtsgeschichte<br />
1 <strong>stud</strong>entische Hilfskraft <strong>für</strong><br />
EDV-Aufgaben (m/w)<br />
(7 St<strong>und</strong>en/Woche)<br />
Bewerbungsschluss: Einstellung frühestmöglich<br />
<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />
http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />
UNIVERSITÄT MANNHEIM<br />
Prof. Dr. Carsten Schäfer<br />
Lehrstuhl <strong>für</strong> Bürgerliches Recht, Handels- <strong>und</strong><br />
Gesellschaftsrecht<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter (m/w)<br />
(halbe Stelle E 13 TV-L)<br />
ab sofort zu besetzen<br />
<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />
http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />
GEORG-AUGUST-UNIVERSITÄT GÖTTINGEN<br />
Prof. Dr. D. Coester-Waltjen, LL.M.<br />
Lehrstuhl <strong>für</strong> deutsches, europäisches <strong>und</strong><br />
internationales Privat- <strong>und</strong> Prozessrecht<br />
1/3 wiss. Mit. TV-L 13<br />
(13,33 Wochenst<strong>und</strong>en)<br />
Bewerbungsschluss: möglichst bis 15.3.2011<br />
<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />
http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />
CMS HASCHE SIGLE<br />
Düsseldorf/Köln <strong>und</strong> Frankfurt am Main<br />
Praktikumsprogramm<br />
Einstellungszeitpunkt(e):<br />
Immer im März <strong>und</strong> September<br />
<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />
http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />
- stellenmarkt<br />
INTERNATIONAL MAX PLANCK RESEARCH<br />
SCHOOL ON ADAPTING BEHAVIOR IN A FUN-<br />
DAMENTALLY UNCERTAIN WORLD (IMPRS<br />
UNCERTAINTY)<br />
doctoral fellowships in Law<br />
(fulltime)<br />
Deadline for applications: March 20th 2011<br />
Call for applications:http://www.econ.mpg.de/files/<br />
2011/Stellenausschreibung_IMPRS_2011-03-20.pdf<br />
UNIVERSITÄT HAMBURG<br />
Prof. Dr. Stefan Oeter<br />
Institut <strong>für</strong> internationale Angelegenheiten, Fakultät<br />
<strong>für</strong> Rechtswissenschaft<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin (m/w)<br />
(19,5 St<strong>und</strong>en / Woche)<br />
Bewerbungsschluss: 28.3.2011<br />
<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />
http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />
GEORG-AUGUST-UNIVERSITÄT GÖTTINGEN<br />
Prof. Dr. D. Coester-Waltjen, LL.M.<br />
Lehrstuhl <strong>für</strong> deutsches, europäisches <strong>und</strong><br />
internationales Privat- <strong>und</strong> Prozessrecht<br />
CMS HASCHE SIGLE<br />
Hamburg<br />
Rechtsreferendar (m/w)<br />
Einstellungszeitpunkt(e): Laufend<br />
<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />
http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
UNIVERSITÄT MANNHEIM<br />
Prof. Dr. Georg Bitter<br />
Institut <strong>für</strong> Unternehmensrecht (Iurum)<br />
Lehrstuhl <strong>für</strong> Bürgerliches Recht, Bank <strong>und</strong> Kapitalmarktrecht,<br />
Insolvenzrecht<br />
wiss. Mitarbeiter (m/w)<br />
(1/2 Stelle E 13 TV-L)<br />
<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />
http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<br />
UNIVERSITÄT ROSTOCK<br />
Prof. Dr. Jörg Benedict<br />
Juristische Fakultät, Lehrstuhl <strong>für</strong> Deutsches <strong>und</strong><br />
Europäisches Privatrecht, Rechtsgeschichte <strong>und</strong> Rechtsphilosophie<br />
1 wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in<br />
(20 St<strong>und</strong>en/Woche)<br />
Bewerbungsschluss: 18.03.2011<br />
<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:<br />
http://www.joerg.benedict.uni-rostock.de<br />
1/2 wiss. Mit. TV-L 13<br />
(19,90 Wochenst<strong>und</strong>en)<br />
partner im medizinrecht DIERKS + BOHLE RECHTSANWÄLTE<br />
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Rechtsgebiet: Medizinrecht<br />
| Dr. <strong>iur</strong>. thomas bohle<br />
| Ärztliches Berufsrecht<br />
| Dr. <strong>iur</strong>. martin stellpflug , ma (Lond.) | Arzneimittelrecht<br />
| Dr. <strong>iur</strong>. ulriCh grau<br />
| Rechts-Referendar(in) Arzthaftungsrecht in Berlin<br />
| Dr. <strong>iur</strong>. gerharD nitz<br />
| GKV-Recht<br />
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| Kooperationsrecht<br />
| Dr. <strong>iur</strong>. ronny hilDebranDt<br />
| Krankenhausrecht<br />
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| Dr. <strong>iur</strong>. Christian burholt, ll.m.<br />
| Psychotherapeutenrecht<br />
| Dr. <strong>iur</strong>. Constanze püsChel<br />
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| Dr. <strong>iur</strong>. bert-sebastian Dörfer<br />
| Jan Daniel moeCk<br />
| Dr. <strong>iur</strong>. ben baCkmann<br />
| Dr. <strong>iur</strong>. sebastian rosenberg, m.mel.<br />
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Rechtsgebiet: Arbeitsrecht<br />
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PARTNERSCHAFTSGESELLSCHAFT<br />
Rechtsgebiet: Arbeitsrecht<br />
Rechtsanwalt/-anwältin in Berlin<br />
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BAKER & MCKENZIE<br />
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Rechtsgebiet: Information Technology<br />
Rechtsanwalt/-anwältin in Frankfurt<br />
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Berlin<br />
Rechtsreferendar (m/w)<br />
Einstellungszeitpunkt(e): Laufend<br />
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V. BOETTICHER HASSE LOHMANN<br />
München<br />
Rechtsreferendar (m/w)<br />
Einstellungszeitpunkt(e): Laufend<br />
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V. BOETTICHER HASSE LOHMANN<br />
Frankfurt a.M.<br />
Rechtsreferendar (m/w)<br />
Einstellungszeitpunkt(e): Laufend<br />
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H E I L B R O N N
62<br />
Rechtsprechung<br />
Gericht<br />
Art der<br />
Entscheidung<br />
Datum Aktenzeichen Themenstichworte Rechtsgebiet<br />
BAG Beschluss 14.12.10 1 ABR 19/10 Tariffähigkeit einer Gewerkschaft (hier: CGZP)<br />
BAG Urteil 15.12.10 4 AZR 256/09<br />
BGH Urteil 17.12.10 V ZR44/10,45/10<br />
Koalitionsfreiheit: UT-Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband<br />
Stiftung darf auf ihrem Gelände gefertigte Foto- <strong>und</strong> Filmaufnahmen<br />
von ihren Schlössern <strong>und</strong> Gärten untersagen;<br />
siehe auch: <strong>Iurratio</strong>-Karteikarte SachenR 1002<br />
Zivirecht/<br />
Arbeitsrecht<br />
Zivilrecht/<br />
Arbeitsrecht<br />
Zivilrecht<br />
BGH Urteil 13.01.11 III ZR 87/10 Anspruch auf Vergütung <strong>für</strong> Kartenlegen Zivilrecht<br />
BGH Urteil 10.02.11 I ZR 164/09<br />
BVerfG Beschluss 09.11.10 2 BvR 2101/09<br />
BVerfG Urteil 24.11.10 1 BvF 2/05<br />
Zulässigkeit von Werbeanrufen: strengen Anforderungen<br />
des deutschen Rechts an die Zulässigkeit von Werbeanrufen<br />
bei Verbrauchern mit dem Recht der EU vereinbar<br />
Verfassungsbeschwerde gegen die auf Daten aus Liechtenstein<br />
("Steuer-CD") gestützte Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung<br />
erfolglos<br />
Normenkontrollantrag in Sachen " Gentechnikgesetz"<br />
erfolglos<br />
Zivilrecht<br />
Öffentliches<br />
Recht/Verfassungsrecht<br />
Öffentliches Recht<br />
BVerfG Beschluss 07.12.10 1 BvR 2628/07 Abschaffung der Arbeitslosenhilfe 2005 verfassungsgemäß Öffentliches Recht<br />
BVerfG Urteil 04.01.11 1 BvR 1106/08<br />
VGH<br />
München<br />
Ausbildungsrelevante entscheidungen<br />
SeIT deM 01.11.2010<br />
Beschluss 09.02.11 11 CS 10.3056<br />
Allgemeines Publikationsverbot <strong>für</strong> "Verbreitung rechtsextremistischen<br />
oder nationalsozialistischen Gedankenguts"<br />
in der Führungsaufsicht ist Verfassungswidrig.<br />
Der Widerruf der Fahrlehr- <strong>und</strong> Fahrschulerlaubnis wegen<br />
einer Verurteilung wegen Verbreitens pronographischer<br />
Schriften ist rechtmäßig, wenn ein Fahrlehrer während einer<br />
Fahrst<strong>und</strong>e einer Fahrschülerin pornographische Bilder<br />
zeigt.<br />
Öffentliches Recht<br />
Öffentliches<br />
Recht/Verwaltungsrecht<br />
BVerfG Urteil 22.02.11 1 BvR 699/06 Versammlungsfreiheit gilt auch am Flughafen Öffentliches Recht<br />
EuGH Urteil 01.03.11 C-236/09<br />
BGH Beschluss 15.11.10 1 StR 462/10<br />
Aufgr<strong>und</strong> der EU-Gleichstellungsrichtlinie aus dem Jahr<br />
2004 müssen Versicherungen Unisex-Tarife anbieten<br />
Gemeinschaftlicher Mord wegen Verdeckungsabsicht, da<br />
einer der Täter gemäß dem Tatplan zum Wohnungseinbruch<br />
gehandelt <strong>und</strong> die Tötung nicht verhindert hat.<br />
Öffentliches<br />
Recht/Europarecht<br />
Strafrecht/AT<br />
BGH Urteil 22.12.10 3 StR 2389/10 Urteil im "Zitronensaftfall" aufgehoben Strafrecht<br />
BGH Urteil 26.01.11 2 StR 338/10<br />
<strong>Die</strong> Mitwirkung einer Schöffin, die der deutschen Sprache<br />
nicht ausreichend mächtig ist, begründet einen absoluten<br />
Revisionsgr<strong>und</strong> gemäß § 338 Nr. 1 StPO. Sprachunk<strong>und</strong>igkeit<br />
ist soweit der Unfähigkeit zum Sprechen oder Sehen<br />
gleichzusetzen.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
Strafverfahrensrecht
STUDENT<br />
meets<br />
PRACTICE<br />
Das Praktikantenprogramm<br />
Vom 22. August bis 30. September 2011 veranstaltet Shearman & Sterling an allen deutschen<br />
Standorten zum fünften Mal das sechswöchige Praktikantenprogramm „Student meets Practice“.<br />
Unser Motto lautet: „Mittendrin statt nur dabei.“ Entsprechend werden Sie täglich aktiv in unsere<br />
spannende Mandatsarbeit einbezogen <strong>und</strong> können sich außerdem auf folgende Highlights freuen:<br />
- Besuch eines überörtlichen Seminars im Rahmen unseres Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungs-<br />
programms „Project Brain“<br />
- Teilnahme an den wöchentlich stattfindenden lokalen „Project Brain“-Veranstaltungen<br />
- Gemeinsamer Moot Court aller Praktikanten<br />
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Sie, dass nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen verfügbar ist. Mehr Informationen finden Sie unter:<br />
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