Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio
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Fallbearbeitung<br />
bb) Fraglich ist, ob der Schlag als geboten angesehen werden kann.<br />
Demnach ist das Notwehrrecht aus sozialethischen Erwägungen zu be-<br />
grenzen. Hierbei bedarf es jedoch der restriktiven Handhabung, da es sich<br />
bei der Notwehr um ein ‚schneidiges Recht‘ handelt („das Recht braucht<br />
dem Unrecht nicht zu weichen“ 8 ) <strong>und</strong> eine Güterabwägung gerade nicht<br />
angezeigt ist. 9<br />
Es könnte sich vorliegend um die Fallgruppe der Notwehrprovokation<br />
handeln. Hierbei ist zwischen sog. Absichtsprovokation <strong>und</strong> sonst vor-<br />
werfbarer Provokation zu differenzieren. Bei der Absichtsprovokation<br />
wird ein Angriff bewusst herausgefordert, um den Angreifer unter dem<br />
Deckmantel der Notwehr zu verletzen. 10 Hier ging es A jedoch darum, das<br />
Überraschungsmoment unmittelbar <strong>für</strong> die geplante Aktion auszunutzen.<br />
Er wollte einen Gegenangriff von B von Gr<strong>und</strong> auf verhindern, um sich keiner<br />
Gefahr auszusetzen. Demnach wollte er keinen Angriff des B provozieren.<br />
Absichtsprovokation scheidet folglich aus. Vielmehr hat A den Angriff<br />
sonst vorwerfbar dadurch verursacht, dass er den B anzugreifen versucht<br />
hat. Dadurch hat A den über das Notwehrrecht hinausgehenden Angriff des<br />
B hervorgerufen. Damit hat A die Gefahrenlage selbst verschuldet, sodass<br />
nur eine restriktive Ausübung des Notwehrrechts billig <strong>und</strong> damit zugleich<br />
geboten erscheint. Er hat daher zunächst auszuweichen <strong>und</strong>, sofern dies<br />
nicht möglich ist, seine Verteidigung auf defensive Abwehrmaßnahmen<br />
zu beschränken (sog. Schutzwehr). Erst bei der Gefahr erheblicher eigener<br />
Gefährdung sind verletzende Gegenangriffe (sog. Trutzwehr) als zulässig<br />
anzusehen (sog. Dreistufentheorie) 11 . Zu berücksichtigen ist hierbei, dass<br />
die Anforderungen an die Vermeidung gefährlicher Abwehrhandlungen<br />
umso höher sind, je schwerer der Provokationsvorwurf hinsichtlich<br />
Verwerflichkeit <strong>und</strong> Vorwerfbarkeit wiegt. 12 Hier wollte A den B tätlich<br />
schwer angreifen, sodass er den Angriff des B in besonders vorwerfbarer<br />
Weise hervorgerufen hat <strong>und</strong> besonders hohe Anforderungen an die<br />
Vermeidung der Gefahr zu stellen sind. Hier lag A auf dem Rücken <strong>und</strong><br />
war B, der ihm körperlich überlegen <strong>und</strong> zudem mit einem Totschläger<br />
bewaffnet war, hilflos ausgeliefert. Es bestand weder die Möglichkeit zur<br />
Flucht, noch wirksamer Schutzwehr. Daher war der Schuss des A das einzig<br />
wirksame Mittel, um sein Leben zu schützen. Trotz der an sich erhöhten<br />
Anforderungen an A, gelangt sein Notwehrrecht aufgr<strong>und</strong> der hier bestehenden<br />
akuten Lebensgefahr zu keiner Einschränkung. Der Schuss mit der<br />
Waffe ist damit geboten. 13<br />
c) Verteidigungswille<br />
Zudem handelte A in der Absicht, sein Leben zu bewahren <strong>und</strong> daher mit<br />
Verteidigungswillen.<br />
d) Der todbringende Schuss des A ist folglich gem. § 32 StGB gerechtfertigt.<br />
8 urspr. zurückgehend auf Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 18.<br />
Aufl. 1898, Neudruck 1986, S.107.<br />
9 Lackner/Kühl, § 32, Rn. 14; ausführlich Kühl, StR AT, §7, Rn. 157 ff.<br />
10 Kühl, StR AT, § 7, Rn. 228.<br />
11 erstmals BGHSt 24, 356 ff.<br />
12 BGHSt 39, 374, 379; BGHSt 42, 97, 101; BGH NStZ 2002, 425f.; 2003, 420 f.<br />
u. 2006, 332; kritisch zu einer Abwägung im Einzelfall Krack, in: JR 1996, 468f.<br />
13 so auch der BGH, NStZ 2001, 143.<br />
3. ERGEBNIS<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
A hat sich nicht des Totschlags gem. § 212 StGB strafbar gemacht.<br />
II. §§ 227, 223, 224 STGB<br />
Indem A den Tod des B durch das Abfeuern der Waffe verursachte, könnte<br />
er sich gem. §§ 227, 223, 224 StGB strafbar gemacht haben. Ebenso wie die<br />
Strafbarkeit wegen Totschlags scheitert jedoch auch die Verwirklichung der<br />
§§ 223, 224, 227 StGB an mangelnder Rechtswidrigkeit.<br />
III. §§ 227, 223, 22, 23 STGB<br />
Indem A zum Faustschlag gegenüber B ausholte, könnte er sich jedoch der<br />
versuchten Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 223, 224, 227, 22, 23<br />
StGB strafbar gemacht haben.<br />
1. VORPRüFUNG<br />
A wollte B mit der Faust niederstrecken. Mangels Erfolgseintritt ist die Tat<br />
- anknüpfend an die Ausholbewegung - nicht vollendet. <strong>Die</strong> Strafbarkeit<br />
des Versuchs ergibt sich bei Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB) gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
aus §§ 22, 23 Abs. 1 Alt.1 StGB. <strong>Die</strong> Versuchsvorschriften sind jedoch auf<br />
Vorsatzdelikte zugeschnitten. Bei § 227 StGB handelt es sich jedoch um<br />
eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination (sog. Erfolgsqualifikation). Wie<br />
sich aus § 11 Abs. 2 StGB ergibt, gelten erfolgsqualifizierte Delikte jedoch<br />
ebenfalls als Vorsatzdelikte, sodass eine Versuchsstrafbarkeit gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
möglich ist. 14<br />
2. TATENTSCHLUSS UND UNMITTELBARES ANSETZEN BZGL.<br />
§ 223 ABS. 1 STGB (TATBESTAND DES GRUNDDELIKTS)<br />
A müsste vorsätzlich bezüglich der Verwirklichung des Gr<strong>und</strong>tatbestandes<br />
gehandelt haben. A wollte B einen Faustschlag versetzen <strong>und</strong> ihn hierdurch<br />
körperlich misshandeln <strong>und</strong> an der Ges<strong>und</strong>heit schädigen. Mithin hatte A<br />
Vorsatz bzgl. der Verwirklichung des Gr<strong>und</strong>tatbestandes des § 223 Abs. 1 StGB.<br />
Mit dem Ausholen zum Schlag hat A subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht<br />
es los“ überschritten, so dass das Rechtsgut unmittelbar gefährdet war <strong>und</strong><br />
der tatbestandsmäßige Erfolg ohne wesentliche Zwischenakte eingetreten<br />
wäre. 15 Er hat damit unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.<br />
3. ERFOLGSqUALIFIKATION<br />
Zudem müsste A den qualifizierenden Erfolg - unter Berücksichtigung des<br />
sog. tatbestandsspezifischen Gefahrverwirklichungszusammenhangs16 -<br />
fahrlässig verursacht haben.<br />
14 Kühl, StR AT, § 17a, Rn. 4.<br />
15 zur gemischt subjektiv-objektiven Theorie z.B. BGHSt 30, 363; BGH StV<br />
1989, 526; BGH NStZ 1997, 83.<br />
16 synonyme Begriffe: Unmittelbarkeitszusammenhang, tatbestandstypischer<br />
Gefahrzusammenhang u.a.