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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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40<br />

Fallbearbeitung<br />

Wir suchen Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die Lust<br />

haben, an der Gestaltung unserer Publikationen mitzuwirken. Der<br />

Aufgabenbereich umfasst u.a die Einwerbung von Beiträgen <strong>und</strong> das<br />

Entwickeln eigener Ideen <strong>für</strong> Titelthemen oder sonstige Beiträge.<br />

heriges Verhalten <strong>und</strong> auf seine polizeiliche Beobachtung aufmerksam ge-<br />

macht, die Mitteilung geht aber über eine reine wertneutrale Wiedergabe von<br />

Tatsachen hinaus. A wird suggeriert, er werde mit an Sicherheit grenzender<br />

Wahrscheinlich auch in Zukunft strafrechtlich in Erscheinung treten. <strong>Die</strong>ser<br />

Generalverdacht beinhaltet die Annahme von der Sozialschädlichkeit des A,<br />

der sich trotz seiner strafrechtlichen Vergangenheit nicht „bessern“ <strong>und</strong> de-<br />

linquent bleiben werde. Der Aussagegehalt des Schreibens hatte einen derart<br />

starken Einfluss auf A, dass er an der Veranstaltung nicht teilnahm. <strong>Die</strong> Wil-<br />

lensentschließungsfreiheit wurde beeinflusst. Sie wurde in eine vom PP ge-<br />

wollte Richtung gelenkt. Mangels eines Restes an Entschließungsspielraum<br />

liegt ein Eingriff in Art. 8 I GG vor.<br />

2. EINGRIFF IN ART. 5 I 1 VAR. 1 GG<br />

Fraglich ist, ob ein Eingriff in die von Art. 5 I 1 Var. 1 GG verbürgte Mei-<br />

nungsfreiheit vorliegt. Art. 5 I GG schützt neben der individuellen auch die<br />

kollektive Meinungsfreiheit. 30 Wenn über Art. 8 I <strong>und</strong> Art. 5 I 1 Var. 1 GG die<br />

kollektive Meinungsfreiheit geschützt ist, so bedarf deren Verhältnis<br />

der Klärung. 31 Geht es um die Versammlung <strong>und</strong> um die Teilnahme an ihr<br />

bzw. um versammlungstypisches Verhalten im Vorfeld zur Versammlung, so<br />

ist Art. 8 I GG betroffen, wenn die staatliche Maßnahme sich gegen die Art<br />

<strong>und</strong> Weise der Versammlung bzw. Versammlungsteilnahme richtet. Hat die<br />

staatliche Maßnahme hingegen zur Folge, dass eine Meinung im Rahmen der<br />

Versammlung nicht geäußert werden kann, so ist zugleich Art. 5 I 1 Var. 1 GG<br />

betroffen. 32 Ein solches Nebeneinander beider Freiheitsgr<strong>und</strong>rechte ist nicht<br />

nur wegen des Schutzes unterschiedlicher Rechtsgüter angebracht, sondern<br />

auch, um im Falle der Meinungsfreiheit den schärferen Rechtmäßigkeitsmaß-<br />

stab von Art. 5 II GG anzuwenden. 33 Durch das Schreiben nahm A an der<br />

Versammlung nicht teil <strong>und</strong> tat seine Meinung nicht k<strong>und</strong>. Folglich wird Art.<br />

5 I 1Var. 1 GG nicht von Art. 8 I GG verdrängt. Wegen der obigen Erwägungen<br />

liegt zugleich ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 5 I 1 Var. 1 GG vor.<br />

3. SONSTIGE GRUNDRECHTE<br />

Redakteure (m/w)<br />

Berwerbungen bitte per E-Mail an Mitarbeit@<strong>iur</strong>ratio.de<br />

Art. 11 GG schützt Aufenthalt <strong>und</strong> Wohnsitz, nicht hingegen die Fortbewe-<br />

30 BVerfGE 104, 92 (103).<br />

31 Zum Streit: Herzog in: Maunz/Dürig, Art. 5 Rn. 34.<br />

32 BVerfGE 111, 147 (154ff.).<br />

33 BVerfG, NVwZ 2008, 671(674f.).<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

gungsfreiheit. 34 Nach dem hier vertretenen engen Verständnis von Art. 2 II 2<br />

i.V.m. Art. 104 GG ist der Schutzbereich der körperlichen Fortbewegungsfrei-<br />

heit nicht eröffnet. 35<br />

II. ZWISCHENERGEBNIS<br />

Das Handeln des PP berührt Gr<strong>und</strong>rechte des A. Der Realakt bedarf einer<br />

gesetzlichen Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage.<br />

III. ERMäCHTIGUNGSGRUNDLAGE<br />

1. VERSG<br />

Eine friedliche Versammlung unter freiem Himmel war geplant. Das Schrei-<br />

ben richtet sich gegen A als möglichen Teilnehmer der Versammlung, veran-<br />

stalterbezogene Maßnahmen scheiden aus.<br />

In Betracht käme § 18 III VersG analog <strong>und</strong> ggf. als Folgemaßnahme §§ 18 II,<br />

11 II VersG analog. Eine analoge Anwendung von § 18 III VersG <strong>für</strong> Vorfeld-<br />

maßnahmen wie der hier stattgef<strong>und</strong>enen Art ist jedoch nicht unproblema-<br />

tisch. Es bestünde keine Regelungslücke, wenn ein Rückgriff auf das allgemei-<br />

ne Polizeirecht (HSOG) möglich wäre. Das Schreiben könnte auf Ermächti-<br />

gungsgr<strong>und</strong>lagen des allgemeinen Polizeirechts gestützt werden, wodurch<br />

auch etwaige Minusmaßnahmen auf Gr<strong>und</strong>lage des VersG ausscheiden. 36<br />

Dann müsste das HSOG anwendbar sein. Eine Sperrwirkung wäre dann<br />

anzunehmen, wenn Bestimmungen des VersG abschließend wären. Im Zeit-<br />

punkt des behördlichen Handelns lag keine Versammlung vor, sodass Bestim-<br />

mungen des VersG wegen ihres lex specialis – Charakters den Bestimmungen<br />

des allgemeinen Polizeirechts nicht aus diesem Gr<strong>und</strong> vorgehen. 37 <strong>Die</strong> Maß-<br />

nahme findet hier im Vorfeld einer Versammlung statt. Vorfeldmaßnahmen<br />

sind im VersG nicht abschließend geregelt. <strong>Die</strong> einzige Vorschrift, die ein<br />

Einschreiten im Vorfeld einer Versammlung gegenüber einem einzelnen Teil-<br />

nehmer ermöglicht, ist § 17a VersG. Gegen dessen abschließenden Charakter<br />

spricht, dass es sich um eine Regelung zur Abwehr einer nicht versammlungsspezifischen<br />

Gefährdungssituation handelt. 38 Der Sinn <strong>und</strong> Zweck von Vorfeldmaßnahmen<br />

besteht darin, dass eine besondere Gefahr gar nicht erst entsteht<br />

bzw. die schon bestehende beendet wird. Hier soll durch Vorbeugung<br />

einer versammlungstypischen Gefahr die Versammlungsdurchführung<br />

ermöglicht werden. <strong>Die</strong>s dient dem Gr<strong>und</strong>rechtschutz Dritter. 39 Durch<br />

Vorfeldmaßnahmen wird daher ein anderer Lebenssachverhalt erfasst <strong>und</strong><br />

zur Abwehr einer anderen Gefahrenqualität eingeschritten. <strong>Die</strong>se Maßnahme<br />

ist anderen Maßnahmen vorgelagert bzw. vorgeschaltet. Doch das Handeln<br />

auf Gr<strong>und</strong>lage des allgemeinen Polizeirechts könnte einer anderen Schutzrichtung<br />

gerecht werden. Auch im Übrigen sind Bestimmungen des VersG<br />

nicht abschließender Natur. 40 Alle diese Gesichtspunkte bleiben vom VersG<br />

unberücksichtigt. Wegen der Lückenhaftigkeit des VersG ist dessen allumfas-<br />

34 Detterbeck, öR Rn. 706, 708.<br />

35 Vgl. zum Streit: Detterbeck, öR Rn. 515f. m.w.N.<br />

36 Verhältnis ist umstritten, vgl. Schenke, POR, 6. Aufl. Rn. 378 m.w.N.;<br />

Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, 14. Aufl. § 20 Rn. 15, 19.<br />

37 Vgl. BVerfG, NVwZ 2005, 80 (81).<br />

38 Kniesl/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl.<br />

Rn. 37.<br />

39 Vgl. Schenke, POR, Rn. 382 m.w.N.<br />

40 Götz, POR, 14. Aufl. § 17 Rn. 18.

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