Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio
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Fallbearbeitung<br />
Wir suchen Studierende, wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die Lust<br />
haben, an der Gestaltung unserer Publikationen mitzuwirken. Der<br />
Aufgabenbereich umfasst u.a die Einwerbung von Beiträgen <strong>und</strong> das<br />
Entwickeln eigener Ideen <strong>für</strong> Titelthemen oder sonstige Beiträge.<br />
heriges Verhalten <strong>und</strong> auf seine polizeiliche Beobachtung aufmerksam ge-<br />
macht, die Mitteilung geht aber über eine reine wertneutrale Wiedergabe von<br />
Tatsachen hinaus. A wird suggeriert, er werde mit an Sicherheit grenzender<br />
Wahrscheinlich auch in Zukunft strafrechtlich in Erscheinung treten. <strong>Die</strong>ser<br />
Generalverdacht beinhaltet die Annahme von der Sozialschädlichkeit des A,<br />
der sich trotz seiner strafrechtlichen Vergangenheit nicht „bessern“ <strong>und</strong> de-<br />
linquent bleiben werde. Der Aussagegehalt des Schreibens hatte einen derart<br />
starken Einfluss auf A, dass er an der Veranstaltung nicht teilnahm. <strong>Die</strong> Wil-<br />
lensentschließungsfreiheit wurde beeinflusst. Sie wurde in eine vom PP ge-<br />
wollte Richtung gelenkt. Mangels eines Restes an Entschließungsspielraum<br />
liegt ein Eingriff in Art. 8 I GG vor.<br />
2. EINGRIFF IN ART. 5 I 1 VAR. 1 GG<br />
Fraglich ist, ob ein Eingriff in die von Art. 5 I 1 Var. 1 GG verbürgte Mei-<br />
nungsfreiheit vorliegt. Art. 5 I GG schützt neben der individuellen auch die<br />
kollektive Meinungsfreiheit. 30 Wenn über Art. 8 I <strong>und</strong> Art. 5 I 1 Var. 1 GG die<br />
kollektive Meinungsfreiheit geschützt ist, so bedarf deren Verhältnis<br />
der Klärung. 31 Geht es um die Versammlung <strong>und</strong> um die Teilnahme an ihr<br />
bzw. um versammlungstypisches Verhalten im Vorfeld zur Versammlung, so<br />
ist Art. 8 I GG betroffen, wenn die staatliche Maßnahme sich gegen die Art<br />
<strong>und</strong> Weise der Versammlung bzw. Versammlungsteilnahme richtet. Hat die<br />
staatliche Maßnahme hingegen zur Folge, dass eine Meinung im Rahmen der<br />
Versammlung nicht geäußert werden kann, so ist zugleich Art. 5 I 1 Var. 1 GG<br />
betroffen. 32 Ein solches Nebeneinander beider Freiheitsgr<strong>und</strong>rechte ist nicht<br />
nur wegen des Schutzes unterschiedlicher Rechtsgüter angebracht, sondern<br />
auch, um im Falle der Meinungsfreiheit den schärferen Rechtmäßigkeitsmaß-<br />
stab von Art. 5 II GG anzuwenden. 33 Durch das Schreiben nahm A an der<br />
Versammlung nicht teil <strong>und</strong> tat seine Meinung nicht k<strong>und</strong>. Folglich wird Art.<br />
5 I 1Var. 1 GG nicht von Art. 8 I GG verdrängt. Wegen der obigen Erwägungen<br />
liegt zugleich ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 5 I 1 Var. 1 GG vor.<br />
3. SONSTIGE GRUNDRECHTE<br />
Redakteure (m/w)<br />
Berwerbungen bitte per E-Mail an Mitarbeit@<strong>iur</strong>ratio.de<br />
Art. 11 GG schützt Aufenthalt <strong>und</strong> Wohnsitz, nicht hingegen die Fortbewe-<br />
30 BVerfGE 104, 92 (103).<br />
31 Zum Streit: Herzog in: Maunz/Dürig, Art. 5 Rn. 34.<br />
32 BVerfGE 111, 147 (154ff.).<br />
33 BVerfG, NVwZ 2008, 671(674f.).<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2011<br />
gungsfreiheit. 34 Nach dem hier vertretenen engen Verständnis von Art. 2 II 2<br />
i.V.m. Art. 104 GG ist der Schutzbereich der körperlichen Fortbewegungsfrei-<br />
heit nicht eröffnet. 35<br />
II. ZWISCHENERGEBNIS<br />
Das Handeln des PP berührt Gr<strong>und</strong>rechte des A. Der Realakt bedarf einer<br />
gesetzlichen Ermächtigungsgr<strong>und</strong>lage.<br />
III. ERMäCHTIGUNGSGRUNDLAGE<br />
1. VERSG<br />
Eine friedliche Versammlung unter freiem Himmel war geplant. Das Schrei-<br />
ben richtet sich gegen A als möglichen Teilnehmer der Versammlung, veran-<br />
stalterbezogene Maßnahmen scheiden aus.<br />
In Betracht käme § 18 III VersG analog <strong>und</strong> ggf. als Folgemaßnahme §§ 18 II,<br />
11 II VersG analog. Eine analoge Anwendung von § 18 III VersG <strong>für</strong> Vorfeld-<br />
maßnahmen wie der hier stattgef<strong>und</strong>enen Art ist jedoch nicht unproblema-<br />
tisch. Es bestünde keine Regelungslücke, wenn ein Rückgriff auf das allgemei-<br />
ne Polizeirecht (HSOG) möglich wäre. Das Schreiben könnte auf Ermächti-<br />
gungsgr<strong>und</strong>lagen des allgemeinen Polizeirechts gestützt werden, wodurch<br />
auch etwaige Minusmaßnahmen auf Gr<strong>und</strong>lage des VersG ausscheiden. 36<br />
Dann müsste das HSOG anwendbar sein. Eine Sperrwirkung wäre dann<br />
anzunehmen, wenn Bestimmungen des VersG abschließend wären. Im Zeit-<br />
punkt des behördlichen Handelns lag keine Versammlung vor, sodass Bestim-<br />
mungen des VersG wegen ihres lex specialis – Charakters den Bestimmungen<br />
des allgemeinen Polizeirechts nicht aus diesem Gr<strong>und</strong> vorgehen. 37 <strong>Die</strong> Maß-<br />
nahme findet hier im Vorfeld einer Versammlung statt. Vorfeldmaßnahmen<br />
sind im VersG nicht abschließend geregelt. <strong>Die</strong> einzige Vorschrift, die ein<br />
Einschreiten im Vorfeld einer Versammlung gegenüber einem einzelnen Teil-<br />
nehmer ermöglicht, ist § 17a VersG. Gegen dessen abschließenden Charakter<br />
spricht, dass es sich um eine Regelung zur Abwehr einer nicht versammlungsspezifischen<br />
Gefährdungssituation handelt. 38 Der Sinn <strong>und</strong> Zweck von Vorfeldmaßnahmen<br />
besteht darin, dass eine besondere Gefahr gar nicht erst entsteht<br />
bzw. die schon bestehende beendet wird. Hier soll durch Vorbeugung<br />
einer versammlungstypischen Gefahr die Versammlungsdurchführung<br />
ermöglicht werden. <strong>Die</strong>s dient dem Gr<strong>und</strong>rechtschutz Dritter. 39 Durch<br />
Vorfeldmaßnahmen wird daher ein anderer Lebenssachverhalt erfasst <strong>und</strong><br />
zur Abwehr einer anderen Gefahrenqualität eingeschritten. <strong>Die</strong>se Maßnahme<br />
ist anderen Maßnahmen vorgelagert bzw. vorgeschaltet. Doch das Handeln<br />
auf Gr<strong>und</strong>lage des allgemeinen Polizeirechts könnte einer anderen Schutzrichtung<br />
gerecht werden. Auch im Übrigen sind Bestimmungen des VersG<br />
nicht abschließender Natur. 40 Alle diese Gesichtspunkte bleiben vom VersG<br />
unberücksichtigt. Wegen der Lückenhaftigkeit des VersG ist dessen allumfas-<br />
34 Detterbeck, öR Rn. 706, 708.<br />
35 Vgl. zum Streit: Detterbeck, öR Rn. 515f. m.w.N.<br />
36 Verhältnis ist umstritten, vgl. Schenke, POR, 6. Aufl. Rn. 378 m.w.N.;<br />
Pieroth/Schlink/Kniesel, POR, 14. Aufl. § 20 Rn. 15, 19.<br />
37 Vgl. BVerfG, NVwZ 2005, 80 (81).<br />
38 Kniesl/Poscher, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl.<br />
Rn. 37.<br />
39 Vgl. Schenke, POR, Rn. 382 m.w.N.<br />
40 Götz, POR, 14. Aufl. § 17 Rn. 18.