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ARCHIV - Komponist Karl Heinz Wahren

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KARL HEINZ WAHREN<br />

<strong>ARCHIV</strong><br />

Biografie Werke Discographie Essays Kritiken<br />

Reden Werkkommentare<br />

lich unseren Kompositionen zu gute kam. Durch diese<br />

Erfolge wurden unsere Begabungen bestätigt, wir<br />

erhielten individuelle Kompositionsaufträge von den<br />

beiden Westberliner Rundfunksendern Rias und SFB,<br />

wurden durch Kunstpreise geehrt und schließlich als<br />

junge Kulturbotschafter einer neuen zeitgenössischen<br />

Berliner Kammermusik in zahlreiche andere Länder<br />

geschickt und konnten so für Berlin und unsere eigene<br />

Musik werben.<br />

Die einzelnen Mitglieder der Gruppe fluktuierten, es<br />

gab Abgänge wegen ästhetischer Querelen oder auch<br />

aus ganz pragmatischen Gründen, es gab aber auch<br />

immer wieder Neuzugänge, was sich im Verlaufe der<br />

Jahre ausglich. Bis schließlich von den Gründungsmitgliedern<br />

die drei unverzagten Kollegen Humel, Siebert<br />

und <strong>Wahren</strong> übrig blieben. Jeder von uns hatte neben<br />

seinen Kammermusikkompositionen in allen variablen<br />

Besetzungen, sein spezielles Genre innerhalb der<br />

Neuen Musik entdeckt. Bei Gerald Humel war es die<br />

Ballettmusik. Er vertonte mit Begeisterung narrative<br />

Szenerien, komplexe Handlungsstränge, deren dramaturgischen<br />

Verläufe er mit seiner zunächst vor allem<br />

an Arnold Schönberg orientierten Stilistik expressiv<br />

in grosse musikalische Zusammenhänge setzte.<br />

Ganz gleich ob es sich dabei um Partituren für grosses<br />

Orchester oder kleinere, kammermusikalische Formationen<br />

handelte. Denn durch unglaublich geschickte,<br />

farbig sehr abwechslungsreiche Instrumentationen<br />

verlangte er den Musikern Klangphänomene ab, so<br />

dass die Hörer schon bald nicht mehr wussten, ob der<br />

Handlungsablauf von einem normalen Orchester oder<br />

ledigliche von einem kleinen Kammermusik-Ensemble<br />

vorangetrieben wurde. Er war von uns <strong>Komponist</strong>en<br />

derjenige, den man ohne stilistische Verbiegung einem<br />

wirklich neuen, musikalischen Expressionismus<br />

zuordnen konnte, dessen offensichtlicher europäischer<br />

Ursprung von transatlantischer Beeinflussung<br />

nicht frei war.<br />

In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts beherrschte<br />

die Stilikone Arnold Schönberg das Denken<br />

avantgardistischer junger <strong>Komponist</strong>en in Europa wie<br />

in den USA. Das betraf vor allem die strenge serielle<br />

Kompositionstechnik, der Humel dann viele Jahre<br />

verhaftet blieb. Innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte<br />

gelang ihm eine langsame, jedoch konsequente<br />

Loslösung von seinem dominanten Vorbild, durch<br />

das er bereits in den USA während seines Studiums<br />

musikalisch konditioniert worden war.<br />

Liest man in Gerald Humels frühem Lebenslauf die<br />

Zielgerade zum Transatlantiker heraus, wie ich es eingangs<br />

erwähnte, so veränderte sich seine Haltung zu<br />

dieser Einordnung mit der Zeit. Schon vor vielen Jahren<br />

brachte uns Gerald von seinen USA-Besuchen<br />

eigene Eindrücke von der dortigen medialen Massenüberflutung<br />

mit. Es war abzusehen, dass es in der Folge<br />

dieser Entwicklung langsam unmöglich wurde, zwischen<br />

Kitsch und Kunst zu unterscheiden, wirklichen<br />

Avantgardismus von purem Blödsinn zu trennen. So<br />

verlor sich Humels transatlantisches Selbstverständnis<br />

in einer zunehmenden Hinwendung zur Kultur des<br />

alten Europa. Das darf man allerdings nicht als eine<br />

ästhetische Einengung sehen, es zeigt vielmehr eine<br />

Besinnung auf die eigenen, ursprünglichen Wurzeln<br />

in einer sich rapide verändernden Welt. Humel reiste<br />

viel, besonderns oft ins Ausland, ins östliche wie ins<br />

westliche. Vor kurzem verbrachte er mit seiner Frau<br />

Haidi Sandmann ein ganzes Jahr in Australien, wohin<br />

er sein künstlerisches Netzwerk erweiterte.<br />

Bertold Brecht diagnostizierte einst: “Wir Deutschen<br />

sind im Ertragen von Langeweile ungemein stark und<br />

äußerst abgehärtet gegen Humorlosigkeit”.<br />

Sollte Musik ein Auslöser zu diesem Sarkasmus gewesen<br />

sein, dann könnte es sich keinesfalls um Musik<br />

von Gerald Humel gehandelt haben, denn Langeweile<br />

kann ihr selbst der missgünstigste Kollege nicht nachsagen.<br />

Allerdings war Humels Humor auch nicht an<br />

<strong>Heinz</strong> Rühmann oder <strong>Heinz</strong> Erhardt approbiert, sondern<br />

eher an Buster Keaton und den Marx-Brothers<br />

geschärft worden. Aber in der heutigen Welt geht es<br />

längst nicht mehr um die Wirklichkeit, sondern nur<br />

noch um die äußere Wirkung.<br />

Konnte Picasso noch postulieren: “Kunst ist eine Lüge,<br />

die uns die Wirklichkeit erkennen lässt”;<br />

Ich bin mir nicht sicher, ob diese kluge Sentenz heute<br />

noch richtig verstanden wird, wo doch die Lüge sowohl<br />

in der Politik als auch in der Kunst länst gesellschaftsfähig<br />

und fast unentbehrlich geworden ist.<br />

Auch Humel wollte mit seiner Kunst – wie alle schöpferisch<br />

tätigen Menschen - der Wahrheit näher kommen,<br />

darum blieb er auch zeitlebens den historisch<br />

gewachsenen Parametern unserer abendländischen<br />

Musikkultur verhaftet. Allerdings nicht in konventioneller<br />

Naivität, sondern gefiltert durch sein eigenes<br />

zeitgenössisches Klang- und Rhythmusempfinden, zu<br />

dessen individueller Kennzeichnung gerade Kurzweil<br />

und Verständlichkeit, aber auch Witz und Ironie gehören.<br />

Die klangliche Anschaulichkeit seiner Werke ist<br />

allerdings nicht mit dem ersten Schwung zu verste-<br />

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