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DSBreport Sommer-Spezial 2006 zum Lesen oder Herunterladen

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Hören&Mehr<br />

Auch in diesem Jahr konnten<br />

die Teilnehmer des Literaturwochendendes<br />

in Nieheim<br />

wieder einmal Literatur pur<br />

erleben. Diesmal ging es um<br />

Geschichten und Erzählungen<br />

von Siegfried Lenz.<br />

<strong>DSBreport</strong><br />

LITERATUR:<br />

Zu Gast bei Freunden<br />

Erzählungen und Kurzgeschichten von Siegfried<br />

Lenz standen auf dem Programm des<br />

Literaturwochenendes in Nieheim<br />

Hallöchen, liebe Literaturfreunde,<br />

Heinz Lemmen rief und viele kamen! Unsere<br />

Referentin, Oberstudienrätin Gaby Drewes,<br />

hatte das Seminar wieder sehr gut vorbereitet,<br />

und wir bekamen schon einige Zeit vorher eine<br />

dicke Mappe mit ernsten und heiteren Erzählungen<br />

von Siegfried Lenz, die jeder für sich zu<br />

Hause schon mal lesen und durcharbeiten<br />

konnte. Da ich ständig mit der Bahn unterwegs<br />

bin, hatte ich damit die ideale Reiselektüre!<br />

Nun war es also wieder soweit, und Nieheim<br />

empfing uns wieder mit wehenden Fahnen,<br />

stand wie der Rest Deutschlands im Zeichen<br />

der Fußball WM. Auch ich sah mich als „Gast<br />

bei Freunden“, da ja eine vollertaubte Außenseiterin<br />

ohne CI. Würde das auch diesmal klappen?<br />

Chaos zu Beginn eines Seminars für Hörgeschädigte<br />

ist ja normal, bis alle ihren Platz<br />

gefunden haben und die Technik funktioniert.<br />

Wir kennen das ja! Aber diesesmal bekam ich<br />

echt Bammel. Zum einen die sehr große Gruppe,<br />

<strong>zum</strong> anderen wurde <strong>zum</strong> ersten Mal statt<br />

per Hand am Hellschreiber mit dem Computer<br />

gearbeitet. Das klappte nicht auf Anhieb, aber<br />

gute Geister aus der Gruppe halfen und bald<br />

lief es gewohnt perfekt.<br />

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde steigen<br />

wir dann gleich voll in die erste Erzählung ein,<br />

„Die Nacht im Hotel“. Und wie immer gibt es<br />

zahlreiche Wortmeldungen, Fragen werden<br />

gestellt, Eindrücke und Gedanken<br />

ausgetauscht, rege diskutiert. Der<br />

Kern dieser Geschichte führt uns<br />

<strong>zum</strong> „verwundeten Heiler“, einem<br />

Behinderten, der sich selbst in<br />

einen traurigen kleinen Jungen projiziert<br />

und mit seinen winkenden<br />

Krücken diesen und sich selbst<br />

heilt. Wir lernen gleich ein wichtiges<br />

Merkmal von Siegfried Lenz kennen,<br />

der durch düstere und heitere<br />

Adjektive wunderbare Stimmungsbilder<br />

erzeugt.<br />

Wir lassen den Abend in gewohnt<br />

gemütlicher Runde ausklingen. Die<br />

„Alten“ haben sich viel zu erzählen und die<br />

„Neuen“ werden beschnuppert, sind schnell<br />

integriert. Einige Nimmermüde dichten noch<br />

mit dem ABC amüsante Geschichten und<br />

schreiben Gedichte.<br />

Wer Lust hat, kann den Samstagmorgen mit<br />

einer Andacht von Inge Mohrenstecher beginnen.<br />

Dietmut Thielenius hat ihre Flöte mitgebracht<br />

und begleitet die Lieder. Inge wählt als<br />

Thema einen Text von Paul Tillich, der sich um<br />

das Vergeben dreht. Ein Text, der gerade jetzt,<br />

wo die Welt wieder vor einem Weltkrieg zittert,<br />

nachdenklich macht. Der Jude Jesus wusste<br />

10<br />

schon vor 2000 Jahren, warum Liebe und Vergebung<br />

statt „Aug um Auge, Zahn um Zahn“ der<br />

wahre Weg sind. Gertrud Hermesmeyer rundet<br />

die Andacht mit ihrem Gedicht „Friede“ ab.<br />

Nach dem Frühstück beginnen wir den Tag mit<br />

der Erzählung „Der seelische Ratgeber“. Schon<br />

in der Sprache fällt uns die Gegensatzspannung<br />

auf, wie z.B. „rätselhafte Güte“. Um etwas hervorzuheben,<br />

bedient sich Lenz gern der Alliteration,<br />

also dem gleichen Anlaut der betonten<br />

Silben aufeinander folgender Wörter wie<br />

„Geduld, Gin und Güte“. Ebenso spielt die Zahl<br />

Drei bei ihm wie im Märchen eine große Rolle.<br />

Auch in dieser Erzählung will ein Ratgeber seine<br />

eigenen Schwächen an anderen heilen, aber<br />

dieser Helfer wird dabei nicht selbst geheilt.<br />

Letztlich ist es eine Parodie auf die Ratgeber in<br />

den gelben Käsblättchen. Auch wir müssen uns<br />

kritisch hinterfragen, wenn sich unser „Helfersyndrom“<br />

allzu breitmacht!<br />

Den Morgen beschließen wir mit einer Satire<br />

auf den m<strong>oder</strong>nen Bürokratismus „Der große<br />

Wildenberg“, der sich als ganz kleiner, schwacher<br />

und einsamer alter Mann entpuppt, der<br />

als Boss nur eine Marionette seiner jungen,<br />

dynamischen Führungskräfte ist. Uns fällt auf,<br />

dass der Schlusssatz in den Erzählungen von<br />

Siegfried Lenz wichtig ist. Die Geschichten<br />

beginnen, wie sie enden. Es wird von Anfang<br />

bis <strong>zum</strong> Ende ein Bogen gespannt.<br />

Wie immer werden wir bestens verpflegt und<br />

nach der Mittagspause geht es mit frischer Kraft<br />

weiter. Nun ist eine Erzählung dran, die gerade<br />

uns Behinderten arg unter die Haut geht: „Die<br />

Augenbinde“. Ein Dorf, in dem nur Blinde<br />

leben und wo der wieder sehend gewordene<br />

Sohn des Lehrers gefoltert wird. Wir sehen, wie<br />

relativ Begriffe wie „Norm“ und „Außenseiter“<br />

sind – in einer Gesellschaft von Behindertern<br />

sind sie eben die Norm und Nichtbehinderte<br />

die Außenseiter. Zugleich ist aber auch die<br />

Blindheit des Menschen auf der Symbolebene<br />

angesprochen, der die Wahrheit nicht ertragen<br />

kann <strong>oder</strong> sehen will. Der Junge wollte den<br />

Blinden etwas geben, ihnen die Welt aus sehenden<br />

Augen erklären, aber die Blinden wollten<br />

diese Wahrheit nicht wissen, was Lenz sicher<br />

auch mit Blick auf die Nazivergangenheit<br />

schrieb. Natürlich drängen sich bei uns da auch<br />

Vergleiche <strong>zum</strong> CI auf!<br />

Die nächste Erzählung heißt „Herr und Frau S.<br />

in Erwartung ihrer Gäste“, ein Gespräch vor<br />

dem Eintreffen der Gäste zwischen einem Ehepaar,<br />

bei dem beide eine bisher verheimlichte<br />

Wahrheit im wahrsten Sinne des Wortes<br />

„scheibchenweise“ ans Licht bringen. Ein<br />

Gespräch über eine Einladung, die ein kleines<br />

Experiment sein sollte, mit schwerwiegenden<br />

Folgen. Haben auch wir „private Friedhöfe“<br />

<strong>oder</strong> wie es sprichwörtlich heißt „eine Leiche<br />

im Keller“? Weiß unser Partner wirklich alles<br />

über uns und wir über ihn? Kann man seiner<br />

Vergangenheit z.B. durch einen neuen Namen<br />

entkommen? Brauchen wir andere, um uns und<br />

unsere Partner kennen zu lernen, bringt jede

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