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Brief an die Freunde der GGE Nr. 21 - Geistliche Gemeinde ...

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Seminar<br />

Klaus Rösler (Zeitschrift Psychotherapie und Seelsorge):<br />

Religiöser Missbrauch:<br />

Wenn eine <strong>Gemeinde</strong> zum Tatort wird<br />

<strong>GGE</strong> zeigte Wege zur Heilung auf<br />

<strong>Geistliche</strong>r Missbrauch – immer mehr Seelsorger und Psychotherapeuten haben mit<br />

dem Problem zu tun. Eine Fachtagung <strong>der</strong> <strong>Geistliche</strong>n <strong>Gemeinde</strong>-Erneuerung (<strong>GGE</strong>) in<br />

<strong>der</strong> EKD in Schloss Craheim (bei Schweinfurt) ging <strong>die</strong>ser Frage nach – und zeigte „Wege<br />

zur Heilung“ auf.<br />

Von geistlichem Missbrauch k<strong>an</strong>n immer d<strong>an</strong>n gesprochen werden,<br />

wenn auf Menschen im Zusammenh<strong>an</strong>g mit ihrem Glauben<br />

seelischer Druck ausgeübt wird. Dies k<strong>an</strong>n im Elternhaus geschehen,<br />

wenn etwa Gott als eine Art alles sehen<strong>der</strong> strafen<strong>der</strong> Übervater<br />

präsentiert wird. Der religiöse Missbrauch findet oft eine<br />

Fortsetzung in <strong>Gemeinde</strong>n und Werken. Vor allem Angehörige in<br />

neu gegründeten charismatischen <strong>Gemeinde</strong>n sind überdurchschnittlich<br />

häufig betroffen – aber auch Mitglie<strong>der</strong> in traditionellen<br />

ev<strong>an</strong>gelikalen <strong>Gemeinde</strong>n und Kommunitäten. „Gott k<strong>an</strong>n<br />

Dich nur lieben, wenn Du auch bereit bist, Dich ihm g<strong>an</strong>z hinzugeben<br />

und Dich für ihn einzusetzen“ – das ist nicht nur eine falsche<br />

biblische Lehre, son<strong>der</strong>n eine Form des religiösen Missbrauchs,<br />

hieß es in Schloss Craheim. Dazu <strong>GGE</strong>-Geschäftsführer<br />

Lorenz Reithmeier (Hamburg): „<strong>Geistliche</strong>r Missbrauch ist oft<br />

damit verbunden, etwas beson<strong>der</strong>s Großes und Exklusives für<br />

Gott tun zu wollen.“ Allerdings stehe in <strong>der</strong> Regel keine Absicht<br />

dahinter, jem<strong>an</strong>den verletzen zu wollen. Einen gewissen Schutz<br />

vor strukturellen Missbrauchserfahrungen bieten überkonfessionelle<br />

Zusammenschlüsse, wie etwa in Berlin das Netzwerk „Gemeinsam<br />

für Berlin“. Wenn eine <strong>Gemeinde</strong> nicht bereit ist, sich in<br />

einem größeren Zusammenschluss einzubringen, könnte <strong>die</strong>s ein<br />

Hinweis auf eine beson<strong>der</strong>e Anfälligkeit für institutionellen o<strong>der</strong><br />

strukturellen religiösen Missbrauch sein.<br />

Die Folgen für vom religiösen Missbrauch Betroffene sind gravierend<br />

– ähnlich wie beim sexuellen Missbrauch: „Die Beziehung<br />

zu sich selbst, zu <strong>an</strong><strong>der</strong>en Menschen und zu Gott wird geschädigt“,<br />

sagte <strong>die</strong> Europa-Leiterin des amerik<strong>an</strong>ischen Seelsorgenetzwerkes<br />

„Living Waters“, Sonja Stark (Brüssel). Diese Menschen<br />

haben ein falsches Gottesbild, Probleme beim Lesen <strong>der</strong><br />

Bibel und im Gebetsleben. Oft folgt eine Glaubenskrise, <strong>die</strong> sie<br />

g<strong>an</strong>z mit dem christlichen Glauben brechen lässt. Viele leiden<br />

unter einem „posttraumatischen Stresssyndrom“ – verbunden<br />

mit einer Opfermentalität. Sie suchen <strong>die</strong> Schuld bei sich selbst.<br />

Eine allgemeine Hilflosigkeit macht sich breit, m<strong>an</strong>che bekommen<br />

Alpträume o<strong>der</strong> auch Depressionen. Einige haben sogar<br />

Selbstmordged<strong>an</strong>ken. Für <strong>die</strong>se Leute ist <strong>die</strong> <strong>Gemeinde</strong>, <strong>die</strong> nach<br />

Statement:<br />

ihrem eigenen Anspruch ein Ort <strong>der</strong> Sicherheit hätte sein sollen,<br />

ein Tatort geworden. Vorsicht ist nach Überzeugung von Sonja<br />

Stark überall dort geboten, wo Leiter mit dem exklusiven Anspruch<br />

auftreten und ihre eigenen Glaubensüberzeugungen als Wort Gottes<br />

ausgeben. Die Referentin verwies auf eigene Erfahrungen. So<br />

war es in ihrer früheren <strong>Gemeinde</strong> verboten, <strong>die</strong> Gottes<strong>die</strong>nste<br />

<strong>an</strong><strong>der</strong>er <strong>Gemeinde</strong>n zu besuchen. Die „Salbung“ des Heiligen Geistes<br />

war, so <strong>die</strong> Überzeugung <strong>der</strong> Leiter, nur in ihrer eigenen<br />

<strong>Gemeinde</strong> zu erleben. Wer dennoch <strong>an</strong><strong>der</strong>e Gottes<strong>die</strong>nste besuchte,<br />

wurde öffentlich bezichtigt, „geistlichen Ehebruch“ beg<strong>an</strong>gen zu<br />

haben. Ein Beispiel aus einer <strong>an</strong><strong>der</strong>en <strong>Gemeinde</strong>: In einer Gebetsver<strong>an</strong>staltung<br />

werden Kleingruppen gebildet, um zielgerichtet für<br />

einzelne, vorformulierte Anliegen zu beten. Als herauskommt, dass<br />

eine Gruppe nicht den g<strong>an</strong>zen vorgegebenen Katalog bedacht hat,<br />

werden <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Pastorenehefrau ermahnt, dringend<br />

<strong>die</strong>ser Verpflichtung nachzukommen. Alle müssen noch einmal<br />

im <strong>Gemeinde</strong>haus vorbei schauen, um das Gebetspensum zu<br />

erfüllen. Auch <strong>die</strong> Lehre, dass Frauen sich ihren Männer unterordnen<br />

müssten, könne zu Missbrauchserfahrungen führen. Die Folge<br />

seien Selbstzweifel, Schuldgefühle, Scham und Verwirrung. Betroffenen<br />

riet sie: „Ihr dürft wütend sein auf Gott: Er versteht <strong>die</strong>se Wut.“<br />

Zum Heilungsprozess gehöre es, solche „missbrauchenden <strong>Gemeinde</strong>n“<br />

zu verlassen. Eventuell müsse m<strong>an</strong> eine für eine befristete Zeit<br />

jeden Kontakt zu christlichen <strong>Gemeinde</strong>n meiden.<br />

Nach Einschätzung des früheren Chefarztes <strong>an</strong> <strong>der</strong> Fachklinik<br />

Hohe Mark, des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. Erwin<br />

Scharrer (Fr<strong>an</strong>kfurt am Main), sind Menschen, <strong>die</strong> sich geliebt wissen,<br />

kaum <strong>an</strong>fällig für religiösen Missbrauch. Sie hätten ein gesundes<br />

Selbstwertgefühl entwickeln können: „Das fängt schon im Mutterleib<br />

<strong>an</strong>.“ Religiös missbrauchte Menschen bräuchten nicht nur Seelsorge,<br />

son<strong>der</strong>n auch Psychotherapie.<br />

Die ev<strong>an</strong>gelische Theologin Ursula Schmidt (Nürnberg) warnte<br />

vor einem zu leichtfertigen Umf<strong>an</strong>g mit dem Vorwurf des religiösen<br />

Missbrauchs. Sie erläuterte den 55 Teilnehmern das Phänomen<br />

<strong>der</strong> „Übertragung“. Irgendjem<strong>an</strong>d, vielleicht im Elternhaus o<strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> <strong>Gemeinde</strong>, hat eine Enttäuschung und Verletzung zu ver<strong>an</strong>t-<br />

bin hierher gekommen, weil es mich persönlich <strong>an</strong>gesprochen hat. Mir ist hier sehr ge<strong>die</strong>nt worden. Aber eins möchte ich auf keinen<br />

Fall – dass <strong>der</strong> Leiter, dem ich ge<strong>die</strong>nt habe, und dessen <strong>Gemeinde</strong> ich nicht mehr <strong>an</strong>gehöre, plötzlich als religiöser Missbraucher da<br />

„Ich<br />

steht. Ich weiß, dass ich Erfahrungen gemacht habe, <strong>die</strong> Missbrauch beinhalten. Aber ich kenne meinen eigenen Anteil dar<strong>an</strong>. Ich weiß,<br />

dass ich den Leiter auf ein Podest gehoben habe, wo Gott ihn nicht hinhaben wollte. Ich weiß, dass ich dar<strong>an</strong> mitgearbeitet habe, eine Struktur<br />

zu bauen, <strong>die</strong> ihn von <strong>der</strong> „Herde“ noch weiter entfernt hat. Und das ist meine eigene Schuld, <strong>die</strong> erkenne ich und <strong>die</strong> bekenne ich.“<br />

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