August-Ausgabe des BEK-Forum - Bremische Evangelische Kirche
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geistreich<br />
text Matthias Dembski<br />
Hilfe für die Seele im Katastrophenfall foto Hanni Steiner<br />
Die Massenpanik bei der Duisburger Love-Parade hat<br />
gezeigt: Katastrophen erfordern nicht nur ein schnelles<br />
Eingreifen von Rettungsdiensten und technischem Ka tastro<br />
phen schutz sondern auch von Helferinnen und<br />
Helfern, die sich um seelische Notlagen kümmern.<br />
Was im Katastrophenschutz ebenso nüchtern wie technisch<br />
als „Großschadenslage“ mit „Massenanfall an<br />
Verletzten“ umschrieben wird, bedeutet für die be troffe nen<br />
Menschen und Einsatzkräfte große seelische Belastungen.<br />
Sie brauchen Seelsorge – so wie in Duisburg, wo<br />
Notfallseelsorger der Rheinischen Lan<strong>des</strong>kirche die Love-<br />
Parade für eine Übung nutzen wollten und sich plötzlich<br />
mitten in einem Großeinsatz wiederfanden.<br />
Doch was würde in einem vergleichbaren Fall in Bremen<br />
passieren, etwa bei einem Flugzeugabsturz oder einer<br />
Flutkatastrophe? In der ökumenischen Notfallseelsorge<br />
arbeiten derzeit rund 15 hauptamtliche Pastoren und<br />
Pastoralreferenten. Bei Katastrophen mit über 50 Toten<br />
und Verletzten wird über den Innensenator oder die<br />
Feuerwehrleitstelle das sogenannte Schnell-Einsatz-<br />
Gruppen-Katastrophen-Interventions-Team (SEG-KIT)<br />
alarmiert – per „Pieper“ in der Hosentasche. Dieses SEG-<br />
KIT steht unter der Leitung von Pastor Peter Walther,<br />
Leiter der Notfallseelsorge. „Großschadensfälle erfordern<br />
aber mehr Personal, als die Notfallseelsorge allein<br />
stellen kann“, so Walther.<br />
Ausbildung mit den Johannitern<br />
Bis zum letzten Jahr kooperierte die Notfallseelsorge für<br />
solche Fälle mit der ehrenamtlichen Notfallnachsorge<br />
<strong>des</strong> Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Doch das DRK<br />
stellte diesen Arbeitsbereich ein. Übergangsweise sprang<br />
die Notfallseelsorge ein und versprach, die Lücke im<br />
Bedarfsfall zu füllen. „Doch mittelfristig brauchen<br />
wir für die erste unmittelbare seelsorgerliche Hilfe<br />
bei einem solchen Großeinsatz qualifizierte ehrenamtliche<br />
Unterstützung, die ständig alarmbereit<br />
ist“, erläutert Peter Walther. So entstand die Idee<br />
zur Kooperation mit den Johannitern, die über ihre<br />
Unfallhilfe – allerdings nicht in Bremen – auch im<br />
Rettungs- und Sanitätsdienst tätig sind. Gemeinsam<br />
12 <strong>BEK</strong> <strong>Forum</strong> <strong>August</strong> 2010<br />
starteten Notfallseelsorge und Johanniter Anfang dieses<br />
Jahres einen ersten Ausbildungsgang für ehrenamtliche<br />
Kriseninterventionshelfer. An der ersten 10-monatigen<br />
Ausbildung nehmen zur Zeit sechs künftige SEG-KIT-<br />
Helfer teil. Den Kurs verantworten der Notfallseelsorger<br />
und eine Notfallpsychologin von den Johannitern. Ein<br />
weiterer Ausbildungsgang startet im Herbst, für den sich<br />
Interessierte bereits jetzt anmelden können. „Vorteilhaft<br />
ist, wenn sich die Teilnehmer bereits im Rettungsdienst<br />
auskennen, ausreichend Lebenserfahrung und eine<br />
ge standene, stresserprobte Persönlichkeit mitbringen.“ In<br />
Block-Kursen mit insgesamt 30 bis 40 Unterrichtsstunden<br />
lernen sie dann Grundlagen der praktischen, psychosozialen<br />
Notfallversorgung: Was ein Trauma ist, was in<br />
Menschen bei extremen Erlebnissen vorgeht und was<br />
ihnen dann hilft.<br />
Teamfähig nach Anweisung arbeiten<br />
„Wir wünschen uns teamfähige Menschen, die Aufträge<br />
im Ernstfall nach Anweisung abarbeiten“, erläutert<br />
Walther. „Wenn am Unglücksort die Betroffenen schreiend<br />
durch die Gegend laufen, geht es nicht darum, den<br />
als erstes zu betreuen, der am lautesten schreit, sondern<br />
Schwerpunkte und Prioritäten zu setzen. Deshalb<br />
leitet und koordiniert ein Hauptamtlicher den Einsatz<br />
von zunächst vier Ehren- und vier Hauptamtlichen. Er<br />
stimmt sich mit der technischen Einsatzleitung ab: Was<br />
ist an welcher Stelle erforderlich?<br />
Wo ist der Behandlungsplatz für die Verletzten, wo<br />
werden Tote abgelegt? Wieviele Seelsorger brauchen<br />
wir noch? Wann ist eine Ablösung durch Kollegen aus<br />
anderen Bun<strong>des</strong>ländern erforderlich? „Zunächst kann<br />
das komplette Notfallseelsorge-Team nachalarmiert<br />
werden, eventuell auch weitere SEG-KIT-Mitarbeiter.<br />
Doch irgendwann brauchen auch die eine Ablösung, je<br />
nach dem, wie lange ein Einsatz dauert“, betont Peter<br />
Walther.<br />
Jeweils ein Haupt- und ein Ehrenamtlicher übernehmen<br />
gemeinsam Aufträge. „Eine Eins-zu-Eins-Betreuung ist in<br />
Fällen mit vielen Toten und Verletzten nicht möglich. Die<br />
Aufgabe <strong>des</strong> SEG-KIT ist es, Schicksalsgemeinschaften zu<br />
organisieren.“ Diese ermöglichen dann unter Anleitung<br />
Selbsthilfe angesichts der schlimmen Erlebnisse, die<br />
Betroffene miteinander teilen.<br />
Bislang gab es in Bremen noch keine Einsatzprofile, die<br />
auf das SEG-KIT passten. „Großschadenslagen ereignen<br />
sich glücklicherweise nicht jeden Tag. Es kann sein,<br />
dass die jetzt Ausgebildeten in den nächsten zehn<br />
Jahren keinen Einsatz haben, sondern lediglich regelmäßig<br />
an Fortbildungen und Übungen teilnehmen, um<br />
ihre Einsatzfähigkeit aufrecht zu erhalten“, so Walther.<br />
Interessierte sollten in Bremen oder im unmittelbaren<br />
Speckgürtel wohnen, so dass sie in 30 bis 45 Minuten<br />
am zentral gelegenen Sammelpunkt sein können. Sie<br />
müssen alles stehen- und liegenlassen können, wie<br />
bei der Freiwilligen Feuerwehr. Einen eventuellen<br />
Verdienstausfall durch versäumte Arbeitszeit erstattet<br />
die Innenbehörde.<br />
Dünne Personaldecke der Notfallseelsorge<br />
Eine Ergänzung der „normalen“ Notfallseelsorge durch<br />
Ehrenamtliche im SEG-KIT ist nötig, weil die Per sonalsituation<br />
dort ohnehin angespannt ist. Mit nur 15<br />
Seelsorgern muss die Notfallseelsorge an 365 Tagen<br />
rund um die Uhr einsatzbereit sein. 180 Einsätze<br />
jährlich zeigen, dass die Arbeit auch im bun<strong>des</strong>weiten<br />
Vergleich stark gefragt ist.<br />
„Die Aktivisten der ersten Stunde scheiden langsam<br />
aus, aber trotz intensiver Bemühungen gewinnen wir keinen<br />
Nachwuchs.“ Dies sei, so Walther, auch durch<br />
die Arbeitsverdichtung bedingt, die nebenamtliche,<br />
unbezahlte Zusatzaufträge wie Notfallseelsorge für<br />
Pastoren erschwere. „Der Zeitausgleich etwa für<br />
Bereitschaftszeiten ist ein Problem. Da muss die<br />
Notfallseelsorge raus aus der Bittstellerrolle und<br />
braucht verbindliche dienstrechtliche Regelungen.“<br />
Das Angebot müsse in jedem Fall von den <strong>Kirche</strong>n<br />
aufrecht erhalten werden, so Walther. „Wenn wir als<br />
<strong>Kirche</strong> nicht für Menschen an den Abgründen ihres<br />
Lebens da sein könnten, stellte das das kirchliche<br />
Selbstverständnis massiv in Frage.“<br />
i<br />
infos<br />
Kriseninterventionshelfer-Ausbildung<br />
für die Seelsorge<br />
im Katastrophenfall<br />
Ausbildung<br />
30 bis 40 Blockstunden bei den Johannitern<br />
Julius-Bamberger-Str. 11<br />
28279 Bremen-Habenhausen<br />
Nächster Kursstart<br />
voraussichtlich im Oktober 2010<br />
Kontakt:<br />
Pastor Peter Walther, Leiter der Notfallseelsorge<br />
Telefon 0421/244 28 90<br />
notfallseelsorge@kirche-bremen.de<br />
Holger Lampe, Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.<br />
Tel. 0800 00192145<br />
www.kirche-bremen.de<br />
www.johanniter.de