HOTEL TV PROGRAMM - November 2012
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Am nächsten Morgen kam alles noch schlimmer: Ich saß mit der financial times<br />
beim Frühstück. Evelyn saß mit der Vogue zwei Tische weiter. Der Regen hatte sich<br />
über Nacht gen Süden verflüchtigt, die Sonne blinzelte zwischen den cremeweißen<br />
Leinenvorhänge des Frühstückssalons hervor, und eine Amsel besang den<br />
freundlichen Spätsommertag. So beschloss ich in einem Anfall von Milde, meine<br />
Frau noch bis zum Mittag im Hotel verweilen zu lassen und sie erst dann wieder<br />
nach Hause zu schicken. Ich plante heimlich, sie ein wenig zappeln zu lassen, ihr<br />
dann am Sonntag nach Hause zu folgen und zu verzeihen. Mein psychisches<br />
Gleichgewicht, das in der Börsen-Hausse und meinem großzügigen Waffenstillstand<br />
ruhte wie auf einem Daunenkissen, wurde jedoch empfindlich gestört, als<br />
plötzlich Stéphanie und William den Saal betraten. Sie warfen Evelyn und mir vernichtende<br />
Blick zu, nahmen an einem Tisch Platz und riefen lautstark nach dem<br />
Kellner, bei dem sie sich zwei Champagner-Frühstücke mit allem, und zwar mit allem<br />
gefälligst doppelt bestellten.<br />
Stéphanie und William sind die Früchte meiner Lenden und Evelyns Traum von einer<br />
heilen Familie, beide benannt nach der Mutter Vorliebe für Adelshäuser. Ich<br />
gewann schon früh den Eindruck, dass ich mit meiner Stéphanie noch mehr Ärger<br />
haben würde als Fürst Rainier mit der seinen. Stéphanie war inzwischen siebzehn<br />
und verwöhnter als beide Hilton-Gören zusammen. Entsprechend schnippisch fiel<br />
auch ihre Antwort auf meine Frage aus, was sie und ihr Bruder hier zu suchen hätten.<br />
„Ich sehe gar nicht ein, dass ihr, also Mama und du, euch hier einen Lenz macht<br />
und ich zuhause der Pickelfresse das Müsli mit Milch übergießen soll!“<br />
Ganz die Mutter.<br />
Pickelfresse, also unser Kronprinz William, nickte bekräftigend und schüttete mit<br />
seinen elf Jahren den Champagner auf ex in sich hinein, was ihm einen leichten<br />
Schlag auf den Hinterkopf von meiner pädagogischen Hand einbrachte.<br />
Die übrigen Gäste murmelten teils geschockt, teils beifällig wie mir schien. Evelyn<br />
jedoch beließ es nicht beim Murmeln, sondern sprang von ihrem Tisch auf, von<br />
dem sie die Szene bislang völlig unbeteiligt beobachtet hatte, und begann mich<br />
lauthals zu beschimpfen, weil ich ihren Sohn angefasst hatte, woraufhin ich mich<br />
genötigt sah, den Umsitzenden zu erklären, dass Pickelfresse auch mein Sohn sei<br />
und mir damit die erzieherische Maßnahme in diesem akuten Fall von Alkoholmissbrauch<br />
obliege. Ein Wort von Evelyn ergab das nächste von mir, in Sekundenschnelle<br />
wurden eheliche Standardargumente ausgetauscht, Stéphanie bekundete<br />
lautstark, wie peinlich wir seien, William trank trotzig ein Glas Champagner<br />
hinterher, was ihm einen erneuten Klaps einbrachte, woraufhin er sich verschluckte<br />
und Champagner und Rührei auf das Tischlinnen und die Auslegeware spuckte,<br />
ein älterer Herr vom Nebentisch gab mir Recht und schimpfte über die verdorbene<br />
Jugend, woraufhin ich mit ihm einen Streit vom Zaun brach, weil niemand außer<br />
mir meine Kinder zu beschimpfen hat, während Evelyn wegen ihres aggressiven<br />
Ehemanns, also meiner Wenigkeit, von zwei kurzhaarigen Frauen mittleren Alters<br />
bemitleidet wurde, die ganz offensichtlich Lesben waren.<br />
Kurzum es kam zur Rudelbildung, kaum einer hielt sich heraus, der Ton wurde härter,<br />
die Lautstärke lauter, die Lesben beschimpften schließlich den älteren Herrn<br />
als Nazischwein, der konterte mit Sprüchen über die „Nacht der langen Messer“,<br />
und erst der vom Personal eilends herbei gerufene Hotelchef konnte mit Müh und<br />
Not Ruhe und Frieden wieder herstellen.<br />
Nach einem kurzen Gespräch mit seinen Schiri-Assistenten, also den Kellnern aus<br />
dem Frühstückssalon, bat mich der Hotelchef in sein Büro und ersuchte mich und<br />
meine Familie höflichst um Burgfrieden, zumindest in seinem Hotel. Ich hingegen<br />
ersuchte den Hotelchef, meine Gattin des Hotels zu verweisen, damit mein eigener,<br />
ganz privatimer Burgfriede gewahrt bleibe. Leider hatte dieser Mann kein<br />
Einsehen in die Nöte seines Geschlechtsgenossen, sondern besaß auch noch die<br />
Chuzpe mich zu fragen, ob ich – wie Stéphanie beim Einchecken angegeben hatte<br />
– die Rechnung für die beiden Juniorsuiten meiner Kinder übernehmen würde. Ich<br />
sagte ja. Ich werde mein eigen Fleisch und Blut doch nicht vor so einem dahergelaufenen<br />
Hotelier kompromittieren!<br />
Von dem aufreibenden Frühstück erholte ich mich auf meiner Suite bei einem Nickerchen.<br />
Am frühen Nachmittag war ich wieder entspannt. Ich klopfte an die Zimmertür<br />
meiner Frau, um ihr die ultimative Handlungsanweisung zu geben und sie<br />
nach Hause zu schicken, und zwar gefälligst mit den Kindern. Doch sie war nicht<br />
da. Also beschloss ich, die Annehmlichkeiten des Hotels zu genießen. Endlich<br />
Wellness! In meiner Suite entledigte ich mich meiner Geschäftsmänner-Haut und<br />
schlüpfte per Bademantel in die des Privatiers. Eine Welt warmen Wohlfühlens<br />
wartete auf mich. Eins werden mit dem Nichts, und wem das Nichts zu wenig ist,<br />
der nimmt zur geistigen Flatrate die Walgesänge in der Sauna.<br />
In der Sauna saß meine nackte Frau und ignorierte mich. Wortlos ging ich zum<br />
Dampfbad. Dort saß meine halbnackte Tochter und ignorierte mich. Stumm ging<br />
ich zum Pool. Dort lag mein Sohn und las den Playboy, die rechte Hand in Hüfthöhe<br />
unter einem Handtuch verborgen. Ich ignorierte ihn.<br />
Ich fühlte mich wie ein Vertriebener im eigenen Reich. Ich war zuhause rausgeworfen<br />
worden! Ich hatte mir dieses Hotel ausgesucht! Ich hatte hier in Ruhe luxusleiden<br />
wollen!<br />
Ich war so empört, dass mir die Worte fehlten. Also stapfte ich in meinem Bademantel<br />
und meinen Badelatschen wieder zurück zu meiner Suite. Glücklicherweise<br />
war Samstag. Bundesliga. Doch irgendwie konnte ich mich nicht konzentrieren auf<br />
das flimmernde Grün. Ich war sauer auf Evelyn. Wieso konnte sie mir das kleine,<br />
unbedeutende Vergnügen mit Doppel D nicht gönnen? Ich hatte Evelyn alles gegeben,<br />
was sie wollte. Hatte sie aus ihrer Familie herausgeholt. Ihr ein mehr als<br />
angemessenes Heim erschaffen. Ihr Kinder gezeugt. Alles, wirklich alles hatte ich<br />
getan, um sie glücklich zu machen. Sie hatte kein Recht, mir den kleinen Seitensprung<br />
so zu verübeln. Männer sind Jäger, wir sind genetisch dazu verdammt, Beute<br />
zu erlegen, sei es auf dem Schlachtfeld der Börse oder der Wildbahn der Erotik.<br />
Und ich war nun mal ein Rudelführer. Genau deswegen hatte Evelyn mich geheiratet,<br />
also sollte sie sich jetzt bloß nicht aufführen wie eine Suffragette, der man das<br />
Wahlrecht verweigerte. Sie hatte die Wahl gehabt und gewählt. Mich. Also musste<br />
sie verdammt noch mal damit leben. Aber bitte nicht in meinem Hotel! In meinem<br />
Wellness-Bereich!<br />
Das Abendessen ließ ich mir auf dem Zimmer servieren. Ich verspürte keinerlei<br />
Verlangen, dem auf verschiedene Tische verteilten, aber nichtsdestotrotz geballten<br />
Vorwurf meiner Familie zu begegnen, der in betonter Ignoranz seinen Ausdruck<br />
finden würde.<br />
Gegen zehn Uhr wurde mir langweilig, also ging ich zur Bar hinunter. Zum Glück<br />
hielt sich meine Familie auf anderen Koordinaten dieses Planeten auf. Ich hoffte,<br />
dass die gesamte Bagage den Weg nach Hause gefunden hatte und ließ mich auf<br />
einem Hocker am Tresen nieder. Ein müder Pianist spielte „Lush Life“. Er ging vermutlich<br />
nicht davon aus, dass auch nur ein Einziger seiner vereinzelten Zuhörer<br />
den Song oder gar die Version von John Coltrane und Jimmy Hartman kannte.<br />
„Now ... life is lonely again ... „<br />
Ich verachtete diesen verweichlichten Versager. Sicher hatte er früher von einer<br />
Karriere als großer Jazzmusiker geträumt und irgendwann voller Bitterkeit eingesehen,<br />
dass er dafür nicht schwarz genug war. Womit er vor sich und anderen nur<br />
bemäntelte, dass er nicht gut genug war. Dann hatte er mit seinem Leben abgeschlossen.<br />
In Dur und in Moll. Durch die offenen Portes Fenêtres zum Atrium waberte<br />
nasse Spätsommerluft in den Korpus des Bechsteins. Der zukunftslose Barpianist<br />
würde ihn bald wieder stimmen lassen müssen. Auch ich wäre gerne mal<br />
Musiker geworden. Rockmusiker. Ein bisschen Cross Over. Ein bisschen wie Zappa.<br />
Aber je früher man den Realitäten ins Auge sieht desto besser. Also machte ich<br />
in Beton. Erfolgreich. Das ist letztlich das Einzige, was zählt.<br />
Immerhin war der blöde Barkeeper aufmerksam genug gewesen, sich meinen bevorzugten<br />
Single Malt zu merken und schenkte mir zwei anständige Wurstfingerbreit<br />
Lagavulin ein. Fast wäre meine Samstagabend-Welt in einen langen ruhigen<br />
Fluss von Sherryfass-gelagertem Wohlgefallen gemündet. Wäre da nicht meine<br />
Gattin aufgetaucht, auf beiden Seiten flankiert von dem Vertreter-Gesocks des<br />
gestrigen Abends. Der inzwischen verständige Barkeeper hob nur kurz eine Augenbraue,<br />
sah mich forschend an und goss mir noch zwei Fingerbreit ein. Ich beschloss,<br />
die Ruhe zu bewahren. Ich war der Rudelführer, und ich würde mich durch<br />
die albernen Aktionen meiner Frau nicht zu Kommentkämpfen mit rangniedrigeren<br />
Männchen verführen lassen.<br />
Ich bewahrte auch die Ruhe, als die deutlich angetrunkene Stéphanie mit ihrem<br />
ebenfalls deutlich angetrunkenen kleinen Bruder die Bar betrat. Der Barkeeper<br />
wollte unsere kleine Pickelfresse pflichtbewusst ins Bett schicken, doch William<br />
verwies leicht lallend, aber dennoch vollmundig und mit einer lässigen Kopfbewegung<br />
zu mir auf die Begleitung Erwachsener, die ihm als angeblich 16jährigen den<br />
nächtlichen Aufenthalt in einer Bar juristisch gestattete. Ich fragte mich kurz, wieso<br />
mein Sohn schon mit elf Jahren eine so verlogene und manipulative Wanze sein<br />
konnte, nickte letztlich dem Barkeeper zu, und er ließ es gut sein.<br />
Stéphanie warf sich sofort und reichlich plump an den gut aussehenden Cocktailschwenker<br />
ran, obwohl der mindestens zwei Dekaden älter war als sie. Vermutlich<br />
nur, um mich zu schockieren und zu einer Intervention zu zwingen, gegen die sie<br />
sich dann lautstark und ausfallend wehren konnte.<br />
Ich hatte jedoch nur Augen für meine Gattin. Evelyn saß am anderen Ende des<br />
Tresens. Einer von den beiden Pennern zog sich gerade in Richtung Toilette zurück,<br />
während der andere die Gelegenheit nutzte, seine schmierige Hand auf den<br />
Oberschenkel meiner Frau zu legen. Ich spürte, wie ihr Blick mich fragend streifte.<br />
Ich sah betont desinteressiert weg und stierte in meinen Lagavulin.<br />
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