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Zusammenhalten – Zukunft gewinnen - Herden Studienreisen Berlin

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MEIN MIGRATIONSHINTERGRUND<br />

Canan Topçu<br />

■Migrationshintergrund! Es<br />

vergeht kein Tag, an dem ich<br />

dieses Wort nicht höre und<br />

kaum kein Tag, an dem ich es nicht<br />

selbst benutze. Mal bin ich in der Situation,<br />

dass ich das Wort Migrationshintergrund<br />

in beruflichen Zusammenhang<br />

verwende, mal höre ich es im<br />

Privaten. Ich gehöre nämlich zu der<br />

Gruppe von Menschen, die einen Migrationshintergrund<br />

haben. Neuerdings<br />

beschäftigt mich die Frage, wann ich<br />

ihn bekommen habe. Seit wann schreite<br />

ich mit diesem Schatten durchs Leben?<br />

Ich weiß es wirklich nicht so genau.<br />

Ich weiß aber: Es gab diesen Schatten<br />

nicht von Anfang an. Es wäre sicherlich<br />

eine Semesterarbeit wert, Zeitdokumente<br />

auf die Frage zu durchforsten, wann<br />

dieser Begriff sich in die politischen und<br />

gesellschaftlichen Debatten eingeschlichen<br />

hat.<br />

Bis ich das geworden bin, was ich bin,<br />

durchlebte ich – rückblickend betrachtet<br />

– mehrere Stadien.<br />

Zunächst war ich das Türkenkind. Später,<br />

es vergingen nur wenige Jahre, wurde<br />

ich zur Ausländerin, die immer wieder<br />

die Frage zu hören bekam, wann<br />

wir – also meine Familie – in die Heimat<br />

zurückkehren wollten. Aus der<br />

Frage wurde ein Appell. Doch von der<br />

Aufforderung ließ ich mich nicht leiten.<br />

Denn aus dem Türkenmädchen,<br />

das von der Hauptschule auf die Realschule<br />

wechselte und schließlich das<br />

Abitur machte, wurde eine Bildungsinländerin,<br />

die gelernt hatte, sich gegen<br />

Anfeindungen eloquent zu behaupten.<br />

Meine Metamorphose zur Migrantin<br />

vollzog sich, ohne dass ich es bewusst<br />

wahrnahm. Heute, mit Mitte Vierzig,<br />

bin ich eine Frau mit Migrationshintergrund.<br />

Nicht dass Missverstände entstehen:<br />

Ich habe keinerlei Probleme mit meinem<br />

Migrationshintergrund. Ich stehe<br />

dazu, Tochter türkischer Gastarbeiter<br />

zu sein, die sich auf den Weg nach<br />

Almanya machten – ohne jegliche Vor-<br />

stellung über das hiesige Leben, aber<br />

mit jeder Menge Hoffnungen. Ich leide<br />

nicht an meinem Schatten, im Gegenteil.<br />

Doch dazu später.<br />

Es ist nur so, dass ich mit mir nicht einig<br />

bin darüber, was ich davon halten<br />

soll, wenn mich wildfremde Menschen<br />

auf meinen Migrationshintergrund ansprechen.<br />

»Ihr Name … wo kommt der<br />

denn her?« »Das ist aber kein deutscher<br />

Name oder?« Natürlich weiß der,<br />

der so eine Frage stellt, dass es kein<br />

deutscher Name ist.<br />

Meine bio-deutschen Freunde, denen<br />

ich davon erzähle, dass es mich nervt,<br />

Auskunft über meine Herkunft geben<br />

zu müssen, kaum dass ich fremden<br />

Menschen meinen Namen genannt<br />

habe, können es nicht verstehen. Es sei<br />

doch ein Ausdruck des Interesses! Mag<br />

sein. Es gibt aber Zeiten und Situationen,<br />

in denen ich ohne meinen Anhang<br />

unterwegs sein möchte. In denen<br />

ich einfach nur ich sein will und<br />

keine Auskunft über Türken im Allgemeinen<br />

und Muslime im Besonderen<br />

geben möchte. Auf diese Themen konzentrieren<br />

sich nämlich auf Partys oder<br />

anderen gesellschaftlichen Ereignissen,<br />

bei denen ich auftauche, früher oder<br />

später die Gespräche.<br />

Jetzt will ich aber auch mal über die<br />

positiven Seiten meines Schattens berichten:<br />

Der Migrationshintergrund verschafft<br />

mir nämlich auch Vorteile, seitdem sich<br />

der politische Wind gewendet hat und<br />

Migranten als Experten gefragt sind.<br />

Der Schatten trägt zu einem nicht unerheblichen<br />

Teil zu meinem Lebensunterhalt<br />

bei; er verhilft mir zu journalistischen<br />

Aufträgen, zu Vorträgen und<br />

Auftritten auf Podien.<br />

In meinen Notizblöcken taucht der Begriff<br />

Migrationshintergrund aber nie<br />

auf. Es ist ein viel zu langes und sperriges<br />

Wort; es lässt sich von Hand schwer<br />

schreiben, kostet viel Tinte und das<br />

Ausformulieren beansprucht Zeit. Daher<br />

kürze ich ab – anstelle von Migrationshintergrund<br />

notiere ich MHG in<br />

Canan Topçu Foto: Sybille Renoncé<br />

Großbuchstaben. Das kann ich leider<br />

nicht in meinen Artikeln, obwohl ich es<br />

gerne machen würde, da es ein Zeilen<br />

füllendes Wort ist.<br />

Wie gesagt: Ich will mich nicht beschweren<br />

über den Migrationshintergrund,<br />

an dieser Stelle lediglich anmerken:<br />

Ich selbst bekomme diesen Schatten<br />

nie zu Gesicht. Wann immer ich in<br />

den Spiegel schaue, sehe ich nur mich –<br />

ohne den Hintergrund. Ich weiß aber,<br />

dass er vorhanden ist und ich ihn nicht<br />

loswerde. Ich habe meinen Migrationshintergrund<br />

verinnerlicht, weil er für<br />

die anderen vorhanden ist.<br />

Ich versperre mich nicht sprachlichen<br />

Veränderungen. Wer immer sich eine<br />

andere Bezeichnung für Menschen wie<br />

mich einfallen lässt, der sollte nur bitte<br />

darauf achten, dass es ein kurzes Wort<br />

wird.<br />

Die Realität wird aber nicht schöner<br />

durch schönere Wörter. Die Menschen<br />

werden nicht weniger ausgegrenzt und<br />

nicht weniger diskriminiert. Sie werden<br />

nicht heimischer werden in diesem<br />

Land, wenn ein Wort durch ein anderes<br />

ersetzt wird. Was wir brauchen, sind<br />

nicht schönere Wörter, sondern eine<br />

andere Einstellungen zu Menschen wie<br />

mich.<br />

■ Canan Topçu ist Redakteurin<br />

der Frankfurter Rundschau und Mitglied<br />

im ÖVA.<br />

■ Kontakt:<br />

c.topcu@fr-online.de<br />

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