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Journal Franz Weber Nr. 82 - Fondation Franz Weber

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28<br />

JFW | Schweiz<br />

Und die Kinos, das war<br />

schrecklich, man hat die Welt<br />

der Fantasie ermordert, den<br />

Traum abgeschafft, Eines nach<br />

dem Anderen sind sie verschwunden,<br />

das Rialto, das<br />

Apollo, das Rex und … ach, da<br />

seht ihr‘s nun, ich habe den<br />

Namen des Vierten vergessen….<br />

Auf den Trümmern des<br />

Apollo habe ich geweint, dieser<br />

grosse sterbende Elefant<br />

am Seeufer… Als er zerstört<br />

wurde, habe ich den Arm ausgestreckt<br />

und heimlich auf der<br />

Baustelle ein Stück Stein aufgehoben,<br />

ich habe es hier bei<br />

mir, es ist immer dabei.<br />

Wer erinnert sich noch an<br />

die „Allée rose“?<br />

Und GOTT SEI DANK hat die<br />

Metallstruktur der Markthalle<br />

standgehalten, meine ganze<br />

Familie hat die Petition gegen<br />

ihre Zerstörung unterschrieben,<br />

wir sprachen überall davon,<br />

in Paris, in Rom (manchmal<br />

sind die Ausländer, die<br />

hier „Wohnungen kaufen“, wie<br />

ihr sagt, sehr nützlich, denn<br />

manchmal lieben sie eure<br />

Stadt mehr als ihre einheimi-<br />

schen Bewohner!), und jedes<br />

Mal, wenn ich diese Markthalle<br />

anschaue, fährt mir ein Stich<br />

von Freude und Stolz ins Herz:<br />

wir haben dazu beigetragen,<br />

sie zu retten! Jetzt hat man die<br />

Trauerweiden am Seeufer abgeholzt,<br />

und die Allée rose gibt<br />

es auch nicht mehr, kürzlich<br />

hat der Schatten neben mir geschluchzt.<br />

Vor langer Zeit<br />

pflegten der Schatten und ich<br />

auf Rollschuhen mit eisernen<br />

(!!!) Rädern den See entlang zu<br />

fahren, und der einzige Ort,<br />

wo unsere Räder nicht so lärmten,<br />

war … eben die Allée rose!<br />

Als ich dann Rollschuhe mit<br />

Gummirädern geschenkt bekam,<br />

was war das doch für ein<br />

himmlisches Vergnügen, ein<br />

Taumel der Sinne, die Allée rose!<br />

Man glitt dahin wie der<br />

Wind und bog dann auf den<br />

Weg, der bis nach Villeneuve<br />

führte. Dort wartete eine rasante<br />

Talfahrt, sehr steil, und<br />

an ihrem Ende die Grossmutter<br />

mit weit geöffneten Armen,<br />

die uns auffing und mit uns ins<br />

Gras purzelte! Ja, das Seeufer<br />

hat auch seine Vergangenheit<br />

verloren…<br />

Montreux erhält den Wakkerpreis im Jahr 1990<br />

“Der Preis anerkennt die Bestrebungen<br />

zur Pflege der vom Tourismus des 19.<br />

Jahrhunderts geprägten baulichen Struktur.<br />

Montreux erlebte seinen prägenden<br />

Entwicklungsschub im Hotelbau des ausgehenden<br />

19. Jahrhunderts. Ab 1950<br />

setzte andererseits eine erhebliche<br />

Bauentwicklung ein, die stellenweise<br />

unschöne Einbrüche in das auf sympathische<br />

Weise leicht anarchische, aber<br />

umso anregendere Stadtbild provozierte. Heute: Die erstaunliche Markthalle von<br />

Die Wende kam mit der Restaurierung Montreux, gerettet dank der Kampagne<br />

und dem Wiederaufbau der offenen<br />

Markthalle aus dem letzten Jahrhundert,<br />

die zugunsten eines Parkplatzes zum<br />

<strong>Franz</strong> <strong>Weber</strong>s von 1977<br />

Abbruch bestimmt gewesen war. (Schweizer Heimatschutz)<br />

Und gleich nach der Preisverleihung kam die Kehrtwende... Henri-Louis Wakker<br />

würde sich im Grab umdrehen, sähe er die Verunstaltung dessen, was früher die<br />

Perle der Schweizer Riviera war.<br />

Der englische Garten. «Que reste t’il de ces beaux jours?»<br />

Der schönste Tisch<br />

Die Restaurants und die Cafés<br />

waren „cosy corners“, wo<br />

Schriftsteller, Philosophen,<br />

Künstler und Politiker sassen<br />

und redeten, die Gespräche<br />

waren fesselnd, es war ein<br />

Wohlbefinden, eine Atmosphäre<br />

der Feinheit und Leichtigkeit.<br />

Die schönsten Diskussionen<br />

meines Lebens habe<br />

ich bei Zürcher gehört!<br />

Und jetzt – wohin gehen? Ich<br />

setze mich noch regelmässig<br />

ins Zürcher, das ist die Macht<br />

der Gewohnheit. Und es gibt<br />

noch Tische, wie ich sehe, an<br />

denen rege diskutiert wird, die<br />

Leute sind da, jeden Tag, es<br />

<strong>Nr</strong> <strong>82</strong> Oktober | November | Dezember 2007<br />

sind Iraner, die hier ihren Lebensabend<br />

verbringen, und es<br />

bedeutet, dass doch noch etwas<br />

existiert! Für mich ist das<br />

der schönste Tisch von Montreux!<br />

So, nun habe ich ein paar Souvenirs<br />

mit euch geteilt. Ich<br />

kann dieses Wochenende<br />

nicht nach Brent kommen, die<br />

Unterschrift einer Ausländerin<br />

interessiert niemanden,<br />

das weiss ich nur zu gut ; aber<br />

euch, die ich schon seit so langer<br />

Zeit als meine Freunde betrachte,<br />

wollte ich das Buch<br />

meiner Erinnerungen öffnen.<br />

■ Livia Allessandrini<br />

Belle-Epoque: Das Sport-Pavillon von Montreux

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