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Kultur in Gefahr - ITI

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Autoren unterschiedslos Italiener, Inder, Engländer oder Amerikaner se<strong>in</strong> können, haben nichts<br />

geme<strong>in</strong> mit den Produkten der literarischen, künstlerischen und filmischen Internationalen, dieses<br />

erlesenen Kreises, dessen Zentrum überall und nirgends ist, auch wenn es lange Zeit <strong>in</strong> Paris zu<br />

f<strong>in</strong>den war. Wie Pascale Casanova <strong>in</strong> La République des lettres gezeigt hat, hätte die<br />

«entnationalisierte Internationale der <strong>Kultur</strong>schaffenden» – die Joyces, Faulkners, Kafkas, Becketts<br />

oder Gombrowiczs, diese (obwohl <strong>in</strong> Paris entstandenen) typischen Produkte Irlands, der<br />

Vere<strong>in</strong>igten Staaten, der Tschecheslovakei oder Polens, oder die ganzen zeitgenössischen<br />

Filmemacher aller Länder, die Kaurismäkis, Manoel de Oliveiras, Satyajit-Rays, Kieslowskis und<br />

Kiarostamis, die sich so herrlich der Ästhetik Hollywoods entziehen – niemals existieren und<br />

fortbestehen können ohne e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Tradition e<strong>in</strong>es künstlerischen Internationalismus und<br />

ohne, um es präziser zu sagen, den schon vor langer Zeit entstandenen Mikrokosmos aus<br />

<strong>Kultur</strong>schaffenden, Kritikern und aufgeklärten Rezipienten, dem es gelungen ist, an manchen Orten<br />

zu überleben, die von der Invasion des Kommerziellen verschont geblieben s<strong>in</strong>d.<br />

Für e<strong>in</strong>en neuen Internationalismus<br />

Diese Tradition e<strong>in</strong>es speziellen kulturellen Internationalismus ist, auch wenn es auf den ersten Blick<br />

anders sche<strong>in</strong>en mag, etwas radikal anderes als das, was geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> «globalization» genannt wird.<br />

Denn dieses Wort, das wie e<strong>in</strong> Art Losungswort oder Parole e<strong>in</strong>gesetzt wird, dient als Maske und<br />

Legitimation e<strong>in</strong>er Politik, die auf die Universalisierung partikularer Interessen und e<strong>in</strong>er spezifischen<br />

Tradition der ökonomisch und politisch herrschenden Mächte – <strong>in</strong>sbesondere der USA – abzielt und<br />

versucht, das ökonomische und kulturelle Modell, das diesen Mächten am meisten entgegen kommt,<br />

auf die ganze Welt zu übertragen, <strong>in</strong>dem es als e<strong>in</strong>e Art Norm, e<strong>in</strong> Muss, und zugleich als<br />

Unausweichlichkeit, als universelles Schicksal dargestellt wird, um dadurch weltweite Zustimmung<br />

oder zum<strong>in</strong>dest Resignation hervorzurufen. Es geht also darum, im Bereich der <strong>Kultur</strong> die<br />

Besonderheiten e<strong>in</strong>er speziellen kulturellen Tradition, <strong>in</strong>nerhalb derer die kommerzielle Logik zu<br />

ihrer vollen Entfaltung gefunden hat, zu universalisieren, <strong>in</strong>dem man sie dem gesamten Erdball<br />

überstülpt. (Im Grunde ist es so – aber die Beweisführung würde hier e<strong>in</strong>ige Zeit <strong>in</strong> Anspruch<br />

nehmen –, dass die kommerzielle Logik ihre Macht aus der Tatsache bezieht, dass sie sich e<strong>in</strong>en<br />

progressiv-modernen Anstrich gibt, <strong>in</strong> Wahrheit aber nur der Effekt e<strong>in</strong>er radikalen Form von<br />

Laissez-Faire ist, welches für e<strong>in</strong>e Gesellschaftsordnung charakteristisch ist, die sich e<strong>in</strong>fach ihrer<br />

momentanen Neigung und dem Gesetz des ger<strong>in</strong>gsten Aufwands beugt, also e<strong>in</strong>er quasi natürlichen<br />

Logik des egoistischen Interesses und des unmittelbaren Begehrens, welche <strong>in</strong> Profitquellen<br />

umgewandelt werden. Dies widerspricht der Vorstellung, dass, wie Durkheim bemerkt hat, die<br />

Vorstellung von <strong>Kultur</strong> an sich ihre Wurzeln <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art Askese hat, also der Weigerung, sich se<strong>in</strong>en<br />

unmittelbaren Primärbedürfnissen zu beugen. Deshalb s<strong>in</strong>d die verschiedenen Felder kultureller<br />

Produktion, die sich nur sehr langsam und unter enormen Opfern herausgebildet haben, gegenüber<br />

technologischen Kräften, die sich mit ökonomischen verbünden, besonders angreifbar. Diejenigen,<br />

die sich – wie heute etwa die Medien-Intellektuellen und andere Best-Seller-Produzenten – <strong>in</strong>nerhalb<br />

der verschiedenen Felder damit zufrieden geben, sich den Anforderungen der Nachfrage zu beugen<br />

und daraus ökonomischen und symbolischen Profit ziehen, s<strong>in</strong>d – quasi per Def<strong>in</strong>ition – immer<br />

zahlreicher und zum<strong>in</strong>dest für e<strong>in</strong>e gewisse Zeit e<strong>in</strong>flussreicher als jene, die <strong>in</strong> ihrer Arbeit ke<strong>in</strong>erlei<br />

Konzessionen an irgende<strong>in</strong>e Nachfrage machen, also für e<strong>in</strong>en nicht vorhandenen Markt<br />

produzieren).

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