Kultur in Gefahr - ITI
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Die Sonderdrucke der<br />
SociétéSuissedesAuteurs<br />
Schweizerische Autorengesellschaft<br />
Società Svizzera degli Autori<br />
Nr. 3 Sommer 2004<br />
Die Schlacht<br />
um die kulturelle Vielfalt<br />
Von Ivan Bernier – Übersetzung Robert Schnieper<br />
Im Oktober 2003 stimmte die 32.<br />
UNESCO-Generalkonferenze<strong>in</strong>emAntrag<br />
zu,gemässdemdieFragederkulturellen<br />
Vielfalt–bezüglichdesSchutzesderkulturellen<br />
InhalteundkünstlerischenAusdrucksformen–<br />
Gegenstande<strong>in</strong>es<strong>in</strong>ternationalenAbkommens<br />
se<strong>in</strong>müsse.DieKonferenzbeauftragtedaraufh<strong>in</strong><br />
den Generaldirektor der Organisation, auf<br />
Ende 2005 e<strong>in</strong> Vorprojekt vorzulegen. Der<br />
Beg<strong>in</strong>n der Verhandlungen ist die jüngste<br />
Entwicklung<strong>in</strong>e<strong>in</strong>emKonflikt,dendiedamalige<br />
französische <strong>Kultur</strong>m<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Cather<strong>in</strong>e<br />
Trautmann im Jahr 2000 als «bataille de la<br />
diversité culturelle» bezeichnet hatte. Aber<br />
<strong>in</strong>wiefern betrifft diese Schlacht die Kreativen<br />
sämtlicher Länder und <strong>in</strong>sbesondere die<br />
UrhebervonaudiovisuellenWerken.S<strong>in</strong>dihre<br />
Herausforderungennurvirtuellodertatsächlich<br />
konkret?<br />
Ursprung und Wesen<br />
des Konflikts<br />
Bereits ab der Mitte der 1920er Jahre<br />
erliessen verschiedene europäische<br />
Länder angesichts der Überflutung ihrer<br />
Märkte durch amerikanische Filme<br />
Le<strong>in</strong>wandquoten, um e<strong>in</strong>en für die<br />
Erhaltung ihrer kulturellen Identität<br />
als grundlegend beurteilten Raum zu<br />
gewährleisten. Die grossen amerikanischen<br />
Filmproduktionsgesellschaften<br />
reagierten unverzüglich und forderten von<br />
den amerikanischen Behörden, Druck<br />
auszuüben, damit diese Quoten wieder<br />
aufgehobenwürden.Daswarder<br />
Anfang e<strong>in</strong>er Konfrontation über<br />
die Behandlung von kulturellen<br />
Waren und Dienstleistungen<br />
im <strong>in</strong>ternationalen Handel,<br />
der bis heute andauern sollte.<br />
Zwei radikal verschiedene<br />
Sichtweisen prägen diesen<br />
Konflikt:<br />
• Die erste betrachtet<br />
kulturelle Produkte<br />
ausschliesslich<br />
alsUnterhaltungsprodukte,<br />
völlig<br />
vergleichbarjedemanderenErzeugnisund<br />
deshalb auch denselben Handelsregeln<br />
unterworfen.<br />
Mitte der 1990er Jahre begann sich die<br />
Wahrnehmung dieser beiden gegensätzlichen<br />
Sichtweisen und der Umgang mit ihnen zu<br />
ändern. Dieser Wechsel fiel zeitlich mit zwei<br />
Ereignissen zusammen, welche die weitere<br />
Debatteentscheidendbee<strong>in</strong>flussensollten.<br />
•DiezweiteverstehtkulturelleProdukteals<br />
InstrumentedersozialenKommunikation,die<br />
Werte, Ideen und Inhalte transportieren und<br />
deshalb auch dazu beitragen, die kulturelle<br />
Identität e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaft zu formen.<br />
Aus diesem Grund müssen sie von der<br />
Anwendung der Handelsregeln ausgenommense<strong>in</strong>.<br />
•DaserstewarderAusgangder1996aufgenommenen<br />
OECD-Verhandlungen für e<strong>in</strong><br />
Multilaterales Abkommen über Investitionen<br />
(MAI). Ihr Scheitern, 1998, bestätigte,<br />
dass multilaterale Verhandlungen über<br />
Handelsbeziehungen nicht das geeignete<br />
Forumwaren,umdenAustauschvonGütern<br />
und Dienstleistungen unter Wahrung der<br />
kulturellenVielfaltzufördern.Tatsächlichwar<br />
esFrankreich<strong>in</strong>diesenVerhandlungennicht<br />
gelungen,e<strong>in</strong>eMehrheitderStaatenfüre<strong>in</strong>e<br />
Klausel über die «exception culturelle», die<br />
kulturelleAusnahme,zugew<strong>in</strong>nen.<br />
•DaszweiteEreigniswardasScheiterndes<br />
dritten WTO-M<strong>in</strong>istertreffens <strong>in</strong> Seattle im<br />
Dezember1999.Esware<strong>in</strong>entscheidender<br />
PunktimBewusstwerdungsprozessüberdie<br />
Auswirkungen der Globalisierung und der<br />
LiberalisierungdesHandelsaufdie<strong>Kultur</strong>en<br />
im soziologischen S<strong>in</strong>ne. Man machte geltend,dassdieVorherrschaftwirtschaftlicher<br />
Zwänge auf die sozialen und politischen<br />
Werte, unterstützt durch die atemberaubende<br />
Entwicklung der Informations- und<br />
Kommunikationstechnologien, die nationalen<br />
Identitäten e<strong>in</strong>er Belastungsprobe<br />
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