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Kultur in Gefahr - ITI

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Politik, liegt, denn das h<strong>in</strong>dert sie daran, sich politisch zu engagieren, und sei es nur, um ihre<br />

Autonomie zu verteidigen. Zwar s<strong>in</strong>d sie bereit, für universelle Anliegen aktiv zu werden, für die<br />

Zolas Verhalten zugunsten von Dreyfus wohl für alle Zeiten paradigmatisch se<strong>in</strong> wird, sich aber für<br />

Aktionen zu engagieren, bei denen es vor allem um die Verteidigung ihrer ureigensten Interessen<br />

geht, dazu s<strong>in</strong>d sie weniger gewillt, weil ihnen solche Aktionen zu sehr von e<strong>in</strong>er Art egoistischem<br />

Korporatismus geprägt zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>en. Dabei vergessen sie jedoch, dass sie durch die Verteidigung<br />

ihrer überlebensnotwendigen Interessen (zum Beispiel durch Aktionen wie jene der französischen<br />

Filmemacher gegen das MIR, das Multilaterale Investitionsabkommen) zugleich zur Verteidigung<br />

universeller Werte beitragen, die man bedroht, <strong>in</strong>dem man sie bedroht.<br />

Solche Aktionen s<strong>in</strong>d selten und schwierig: Um für Anliegen politisch zu mobilisieren, die über die<br />

korporativen Interessen e<strong>in</strong>er sozialen Kategorie, z.B. der Lastwagen- und Fernfahrer, h<strong>in</strong>ausgehen,<br />

war schon immer sehr viel Zeit und Mühe, manchmal auch Heldentum nötig (um sich davon zu<br />

überzeugen, braucht man nur The Mak<strong>in</strong>g of English Work<strong>in</strong>g Class von E.P. Thompson zu lesen).<br />

Die «Zielscheiben» e<strong>in</strong>er politischen Mobilisierung s<strong>in</strong>d heute extrem abstrakt und weit von den<br />

Alltagserfahrungen der Bürger<strong>in</strong>nen und Bürger – selbst der gebildeten – entfernt: große<br />

mult<strong>in</strong>ationale Unternehmen und ihr <strong>in</strong>ternationales Management, große <strong>in</strong>ternationale<br />

Organisationen wie die WHO, der IWF oder die Weltbank mit ihren verschiedenen<br />

Unterabteilungen, die mit komplizierten und oft unaussprechlichen Abkürzungen und Akronymen<br />

bezeichnet werden, und dann all die dazugehörigen Realitäten, die Kommissionen und nichtgewählten<br />

Technokraten-Komités, die <strong>in</strong> der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt s<strong>in</strong>d, kurz: diese<br />

ganze Weltregierung, die <strong>in</strong>nerhalb weniger Jahre aufgebaut wurde und ihre Macht auch auf die<br />

nationalen Regierungen selbst ausübt, ist e<strong>in</strong>e Instanz, die nur die wenigsten wahrnehmen und<br />

kennen. Sozusagen e<strong>in</strong> unsichtbarer Big Brother, der bereits da ist und sich mit untere<strong>in</strong>ander<br />

vernetzten Dateien über alle ökonomischen und kulturellen E<strong>in</strong>richtungen ausgestattet hat, der<br />

handelt, effizient ist und darüber entscheidet, was wir essen und nicht essen, lesen und nicht lesen,<br />

im Fernsehen oder im K<strong>in</strong>o sehen und nicht sehen können, während besonders <strong>in</strong>spirierte Denker<br />

glauben, das, was heute passiert, liege auf derselben L<strong>in</strong>ie wie die unwirklichen Spekulationen über<br />

Pläne zur Errichtung e<strong>in</strong>es universellen Staates, wie wir sie von den Philosophen des 18.<br />

Jahrhunderts kennen.<br />

Indem sie die Kontrolle über die neuen Kommunikations<strong>in</strong>strumente nahezu vollständig <strong>in</strong> ihren<br />

Händen haben, konzentrieren diese neuen Herren der Welt tendenziell alle Macht – die ökonomische<br />

ebenso wie die kulturelle und symbolische – auf sich und s<strong>in</strong>d dadurch <strong>in</strong> der Lage, <strong>in</strong> großem Stil<br />

e<strong>in</strong>e ihren Interessen entsprechende Sicht der Welt durchzusetzen. Auch wenn diese großen<br />

Kommunikationsunternehmen sicherlich nicht die eigentlichen Produzenten der immer mehr<br />

überhand nehmenden und langsam aber sicher <strong>in</strong> alle Bereiche vordr<strong>in</strong>genden Doxa des<br />

Neoliberalismus s<strong>in</strong>d und die Art und Weise, wie ihre Unternehmensführungen <strong>in</strong> öffentlichen<br />

Erklärungen darüber sprechen, nicht gerade zu den orig<strong>in</strong>ellsten oder subtilsten gehört, tragen sie<br />

doch <strong>in</strong> entscheidender Weise zur Verbreitung dieser Doxa bei, deren Rhetorik man e<strong>in</strong>mal im Detail<br />

analysieren sollte: logische Missgeburten wie normative Feststellungen (<strong>in</strong> der Art von «die<br />

Wirtschaft globalisiert sich, wir müssen unsere Wirtschaft globalisieren»; «die D<strong>in</strong>ge ändern sich sehr<br />

schnell, wir müssen etwas verändern»); unzulässige und ebenso energische wie falsche<br />

Schlussfolgerungen («dass sich der Kapitalismus überall durchsetzt, liegt daran, dass er zutiefst <strong>in</strong> der

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