Augsburg
vom Kongress in die Kirche
vom Kongress in die Kirche
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meinUng 7./8. September 2013 / Nr. 36<br />
Aus meiner sicht ...<br />
Ursula schleicher<br />
Zu ihrem 80. Geburtstag im Mai 2013 erschien in der FAZ ein Porträt<br />
Politik fällt nicht vom Himmel<br />
Ursula Schleicher war<br />
Bundestagsabgeordnete,<br />
Mitglied des<br />
Europäischen<br />
Parlaments sowie<br />
mehrere Jahre dessen<br />
Vizepräsidentin.<br />
Ziehen etwa schon die Herbstnebel auf?<br />
Nein, das am Himmel ist nicht Nebel, das<br />
sind Kondensstreifen der Flugzeuge, die bei<br />
klarem Wetter und unter bestimmten Temperaturbedingungen<br />
auftreten können.<br />
War das immer schon so? Auch nicht.<br />
Denn das erste Flugzeug, das länger als<br />
eine Stunde „oben“ ausgehalten hat, wagte<br />
es erst 1908 – vor genau 105 Jahren, am<br />
9. September – mit 62 Minuten und zwölf<br />
Sekunden. Davor war noch nie ein Mensch<br />
höher gekommen. Und es hat diese Ereignisse<br />
am Himmel so noch gar nicht gegeben.<br />
Nur die Vögel hatten die Lufthoheit.<br />
Inzwischen hat sich der Mensch diese<br />
Hoheit erobert – und schon gibt es völkerrechtliche<br />
Bestimmungen. Natürlich,<br />
um das Verkehrschaos dort in Grenzen zu<br />
halten. An den göttlichen Himmel sind<br />
die Menschen noch nicht herangekommen.<br />
Auch nicht an die Lufthoheit am Stammtisch.<br />
Gott sei Dank.<br />
Und gerade jetzt, vor den Wahlen, geht es<br />
dort munter zu. Zur Wahl gehen oder nicht?<br />
Ist es wirklich ganz egal, wie die Wahlen<br />
ausgehen? Überlasse ich es jenen, die ihre<br />
Stimme nutzen? Im Land, im Bund? Dabei<br />
wird auch entschieden, wer in Europa<br />
das Sagen hat. Denn die zukünftige neue<br />
Bundesregierung ist Teil der Europäischen<br />
Union und hat dort wiederum mächtigen<br />
Einfl uss auf das Schicksal Europas.<br />
Das kann uns doch nicht kaltlassen.<br />
Mit Schweiß und Tränen haben wir uns<br />
die Demokratie mühevoll errungen. Das<br />
hat uns in Europa friedliche Zustände<br />
ermöglicht. Und jetzt auf einmal soll das<br />
nichts mehr wert sein? Die Politik hängt<br />
vom Auftrag der Wähler ab. Wenn aber der<br />
Wähler streikt, ist nachträgliches Jammern<br />
zu spät.<br />
„Wenn die Demokratie versagt, dann<br />
gibt es kein Gegenmittel gegen die Intoleranz,<br />
ausgenommen die Verbreitung besserer<br />
Einsicht“, wusste schon der irisch-britische<br />
Dramatiker und Politiker George Bernhard<br />
Shaw (1856 bis 1950). Wie Recht er<br />
doch hatte!<br />
Jürgen Liminski<br />
Irak-Krieg als Warnung vor Augen<br />
Jürgen Liminski ist<br />
Publizist, Buchautor<br />
und Moderator beim<br />
Deutschlandfunk.<br />
Ein Bischof in Damaskus beschreibt in einem<br />
Brief an das päpstliche Hilfswerk „Kirche<br />
in Not“ eine bewegende Szene: „Alltag in<br />
Damaskus: Ein Mädchen von sechs Jahren<br />
spielt mit seinem kleinen Bruder Verstecken.<br />
Ein Heckenschütze schießt den Kleinen nieder.<br />
Seither sieht man das Mädchen auf dem<br />
Friedhof jeden Tag verzweifelt mit den Händen<br />
das Grab des Bruders aufreißen und hört<br />
sie weinend sagen: ,Komm‘ heraus aus deinem<br />
Versteck, ich will nicht mehr spielen.‘“<br />
Folgt auf das tägliche, fast übersehene Szenario<br />
der Gewalt in Damaskus der Schlag<br />
der Großmächte? Abgeschossene Raketen,<br />
deren „Hecke“ Kriegsschiffe oder Bomber<br />
bilden? Voraussichtlich am Montag wird der<br />
US-Kongress über eine Antwort auf den Giftgas-Einsatz<br />
entscheiden.<br />
„Krieg ist immer eine Niederlage für die<br />
Menschheit“, sagte Johannes Paul II. den versammelten<br />
Diplomaten in Rom, als die Amerikaner<br />
sich vor gut zehn Jahren anschickten,<br />
in den Irak einzumarschieren. Die Niederlage<br />
ist heute im alten Zweistromland, der<br />
Wiege der Zivilisation, zu besichtigen. „Respice<br />
finem“, bedenke das Ende, warnten die<br />
alten Römer. Es ist eine Mahnung an alle, die<br />
einen Krieg für ein Mittel zur Durchsetzung<br />
des politischen Willens halten.<br />
Auch im Fall Syrien ist das Ende nicht<br />
kalkulierbar. Wer, wie offensichtlich das Assad-Regime,<br />
mit chemischen Waffen hunderte<br />
Kinder und Frauen töten lässt, schreckt vor<br />
einem Flächenbrand nicht zurück, wenn er<br />
sich in die Enge getrieben fühlt.<br />
Es muss andere Mittel geben, dem Diktator<br />
das Handwerk zu legen. Umso mehr, als das<br />
Völkerrecht einem Militärschlag keinerlei Legitimation<br />
zubilligt. Die Zeiten, da die Macht<br />
eines Staates so weit wie seine Kanonen reichte,<br />
sind vorbei. Ohne Mandat der Uno ist ein militärisches<br />
Eingreifen nur Kanonenbootpolitik<br />
auf höherem Niveau. Die Ächtung der Chemiewaffen<br />
ist notwendig – aber diese ist nur<br />
gemeinsam möglich. Beim G-20-Gipfel am<br />
Wochenende in Petersburg sollte US-Präsident<br />
Barack Obama die Gelegenheit ergreifen, diese<br />
Gemeinsamkeit herzustellen.<br />
evelyn Christel<br />
Radtour im Großstadtdschungel<br />
Evelyn Christel ist<br />
Redakteurin unserer<br />
Zeitung.<br />
Der römische Bürgermeister Ignazio Marino<br />
ist im Juli mit dem Fahrrad zu seinem Antrittsbesuch<br />
bei Papst Franziskus geradelt. Auf<br />
diesem Weg vom Kapitol zum Vatikan begleiteten<br />
ihn drei römische Polizisten, ebenfalls<br />
auf Drahteseln. Ob diese kleine Prozession<br />
eine neue Bescheidenheit demons trieren sollte<br />
oder ökologische Lösungen im Nahverkehr?<br />
Wie radelt es sich in römischen Gassen, umbrandet<br />
von Vespas, Touristengruppen, Lieferwagen<br />
und den Autorennen der Carabinieri?<br />
Radeln in einer Metropole ist auch nördlich<br />
der Alpen eine Kunst. Dabei bilden die<br />
natürlichen Feinde in ihren Blechkarossen,<br />
wie immer, die vorderste Front. Aber: Sie<br />
haben aufgerüstet. Jeder dritte Autofahrer<br />
scheint es sich schuldig, den Großstadtdschungel<br />
im kriegstauglichen Geländewagen zu<br />
bezwingen. Je größer der Wagen, desto höher<br />
die Wahrscheinlichkeit, dass er auf dem Fahrradweg<br />
parkt und mich zurück auf die Straße<br />
zwingt. Und gebe Gott, dass diese Kaltblüter<br />
beim Rechtsabbiegen noch irgendetwas anderes<br />
außer sich selbst im Spiegel sehen!<br />
Das Neue ist der Nahkampf auf dem<br />
Fahrradweg. Denn dort wird es langsam eng,<br />
man fährt Kolonne. An der Ampel kommen<br />
nacheinander fünf bis sieben Mitradler an.<br />
Sie bleiben rechts, links, vorn oder hinten stehen.<br />
Das ganze Feld startet bei Grün – bis auf<br />
die, die gar nicht erst stehenbleiben. Wer auf<br />
einem Alupfeil für 2500 Euro übers Pfl aster<br />
schwebt, will doch nicht an einer roten Ampel<br />
warten. Geht gar nicht! Ein weiteres Klientel<br />
brettert ebenfalls drüber, mit quietschenden<br />
Rostlauben oder mit so genannten Fullys,<br />
die neben Licht und Gepäckträger auch auf<br />
Bremsen verzichten. Manche schirmen sich<br />
mit tomatengroßen Kopfhörern ab.<br />
Dann sind da noch gesittete Helmträger<br />
mit Kinderanhängern oder Wackelige mit<br />
Riesengepäck. Es gibt Baumwurzelpisten,<br />
stehengelassene Einkaufswagen, spontan entsorgte<br />
Sofas, Straßencafés, die sich bis zum<br />
Gulli erstrecken, Skater, lange Leinen mit<br />
Hund dran, nasses Kopfsteinpfl aster und bald<br />
wieder Eis und Schnee. Das ist meine tägliche<br />
Tour de Berlin.