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Das Bedürfnis <strong>nach</strong><br />
3 individuellen Erfahrungen<br />
Jedes Kind ist einzigartig und will mit seinen Eigenarten<br />
akzeptiert und wertgeschätzt werden. Kinder kommen<br />
nicht nur mit unterschiedlichem Aussehen und anderen<br />
körperlichen Unterschieden zur Welt. Auch angeborene<br />
Temperamentseigenschaften unterscheiden sich stark,<br />
sogar bei Kindern aus derselben Familie. Manche Kinder<br />
sind stärker zu beeindrucken als andere, regen sich<br />
schneller auf, sind hoch aktiv und finden schlechter<br />
wieder zur Ruhe zurück.<br />
Andere dagegen sind nur schwer zu bewegen, reagieren<br />
gelassen und ziehen sich eher in sich zurück. Kinder wollen<br />
in ihren individuellen Gefühlen bestätigt werden. Sie<br />
wollen, dass ihre Talente und Fertigkeiten gefördert<br />
und nicht für zu hoch gesteckte Entwicklungsziele<br />
missbraucht werden.<br />
Aber auch wenn Talente und Begabungen nicht erkannt<br />
werden, kann dies beim Kind zu Entwicklungsbeeinträchtigungen<br />
führen. Je besser es gelingt, den Kindern diejenigen<br />
Erfahrungen zu vermitteln, die ihren besonderen Eigenschaften<br />
entgegenkommen, desto größer ist die Chance,<br />
dass sie zu körperlich, seelisch und geistig gesunden<br />
Menschen heranwachsen.<br />
4<br />
Das Bedürfnis <strong>nach</strong> entwicklungsgerechten<br />
Erfahrungen<br />
Mit wachsendem Alter müssen Kinder eine Reihe von<br />
Entwicklungsstufen bewältigen. Auf jeder dieser Stufen<br />
erwerben sie Grundbausteine der Intelligenz, Moral,<br />
seelischen Gesundheit und geistigen Leistungsfähigkeit.<br />
In einer bestimmten Phase lernen sie zum Beispiel, anteilnehmende<br />
und einfühlsame Beziehungen zu anderen<br />
Menschen zu knüpfen, während sie sich in einem anderen<br />
Stadium darin üben, soziale Hinweise zu verstehen, und<br />
in einem dritten Stadium zum kreativen und logischen<br />
Denken vordringen.<br />
Auf jeder Stufe der Entwicklung sind altersgerechte Erfahrungen<br />
notwendig. Kinder meistern diese Entwicklungsaufgaben<br />
in sehr unterschiedlichem Tempo.<br />
Der Versuch, das Kind anzutreiben, kann die Entwicklung<br />
insgesamt hemmen. Wenn Kinder zu früh<br />
in erwachsene Verantwortlichkeiten gedrängt werden,<br />
können sie <strong>nach</strong>haltigen Schaden nehmen. Deshalb sollen<br />
Kinder nicht zur verantwortlichen Erziehung von Geschwistern<br />
missbraucht oder zur Versorgung von Erwachsenen<br />
herangezogen werden.<br />
Auch übermäßige Behütung und Verwöhnung können<br />
Kindern Schaden zufügen. Stolpersteine müssen von<br />
ihnen in beschützten Rahmenbedingungen selbständig<br />
überwunden werden. Wenn wohlmeinende Erwachsene<br />
diese immer wieder aus dem Weg räumen, unterschätzen<br />
sie die Fähigkeit der Kinder, sie selbst überwinden<br />
zu können. Dies führt zu Demütigung und Selbstunterschätzung<br />
beim Kind.<br />
Markus, 15 Jahre: „Es dauert ganz schön lang,<br />
bis mein Vater ausflippt. Ich hab’ jetzt oft die<br />
besseren Argumente. Dann weiß er nicht mehr,<br />
was er sagen soll. Zum Beispiel wenn es darum<br />
geht, ob ich die neue Handy-Karte von meinem<br />
Taschengeld bezahlen muss oder nicht. Da hab’<br />
ich gesagt, dass ich ja vor allem mit ihm telefoniert<br />
habe, weil er immer wissen will, wie<br />
es in der Schule war.“<br />
5<br />
Das Bedürfnis <strong>nach</strong><br />
Grenzen und Strukturen<br />
Damit Kinder Freiräume erobern und sich gefahrlos entwickeln<br />
können, brauchen sie sinnvolle Begrenzungen und<br />
Regeln. Wohlwollende erzieherische Grenzsetzung fordert<br />
die Kinder auf liebevolle Weise und fördert beim Kind die<br />
Entwicklung innerer Strukturen.<br />
Grenzen müssen auf Zuwendung und Fürsorge, nicht<br />
auf Angst und Strafe aufbauen. Denn mit dem Wunsch<br />
des Kindes, den Menschen, die es liebt, Freude zu bereiten,<br />
gelingt ihm Schritt für Schritt die Verinnerlichung von<br />
Grenzen, die es als notwendig zu akzeptieren lernt.<br />
Schläge und andere Formen von Gewalt oder Erniedrigung<br />
sind als Formen der Grenzsetzung nicht akzeptabel und<br />
gesetzlich verboten. Kinder zu erziehen bedeutet nicht,<br />
sie für ihr Fehlverhalten zu bestrafen, sondern ihnen die<br />
Anerkennung von Regeln und Grenzen zu erleichtern.<br />
Kinder leiden auch, wenn die Grenzsetzung unzureichend<br />
ist. Bei dem Kind entstehen dadurch unrealistische Erwartungen,<br />
die schließlich über das Scheitern an der Wirklichkeit<br />
zu Frustration, Enttäuschung und Selbstabwertung<br />
führen. Die liebevolle Grenzsetzung bietet <strong>nach</strong> außen hin<br />
Schutz und Geborgenheit, weil das Kind Halt und Sicherung<br />
erlebt.<br />
Die Grenze bietet auch Hindernis und Widerstand und<br />
kann zur Herausforderung werden. Das Kind kann auf<br />
diese Weise eigene Willenskundgebungen zur Auseinandersetzung<br />
mit Regeln und Rollen in gefahrloser Weise<br />
benützen. Mit liebevollen Bezugspersonen wird um die<br />
Grenzen gerungen, Argumentieren und Durchsetzen<br />
werden geübt.<br />
Schritt für Schritt gelingt es dem Kind, sich gegenüber den<br />
Eltern Spielräume und Grenzverschiebungen zu erarbeiten.<br />
Der durch Grenzen abgesteckte Erfahrungsraum wird überblickbar,<br />
bietet Anregung und lässt der Neugier gefahrlos<br />
freien Lauf.<br />
8 Der Umgang aus Sicht des Kindes / Wegweiser für den Umgang