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bdw_Tschira_2015_72
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ten uns als Mo<strong>de</strong>ll für Fremdkörper – mit<br />
<strong>de</strong>m großen Vorteil, dass wir sie mithilfe<br />
<strong>de</strong>s magnetischen Fel<strong>de</strong>s aktiv durch die<br />
Gegend steuern konnten. Ein wichtiger<br />
Punkt für die Durchführung unserer Experimente<br />
war hierbei, dass <strong>de</strong>r Partikel<br />
nicht von Anfang an mit <strong>de</strong>m Makrophagen<br />
in Berührung war, son<strong>de</strong>rn ein Stück<br />
davon entfernt lag. Nur dadurch konnten<br />
wir annehmen, dass die Entscheidungsfindung<br />
von Kontakt zu Aufnahme nicht<br />
durch uns beeinflusst wur<strong>de</strong>.<br />
Erst weggestupst, dann angebissen<br />
Zu Beginn präsentierten wir <strong>de</strong>n Makrophagen<br />
kugelförmige Partikel. Unsere erste<br />
verblüffen<strong>de</strong> Beobachtung war hierbei,<br />
dass Makrophagen die offerierten Kugeln<br />
erst wegstupsten, bevor sie daran zogen –<br />
etwas, das uns nicht intuitiv erschien. Warum<br />
erst <strong>de</strong>n Teller wegschieben, von <strong>de</strong>m<br />
man essen möchte? Wochen und Monate<br />
verbrachten meine Kollegin Simone und<br />
ich vor <strong>de</strong>m Mikroskop (und nachher<br />
vor <strong>de</strong>n Daten), manövrierten Partikel<br />
vor die Makrophagen und warteten, bis<br />
sie anbissen. Und beharrlich liefen diese<br />
zunächst gegen das Objekt, drückten es<br />
weg und zogen es erst dann zu sich. Außer<strong>de</strong>m<br />
folgten die Partikel oft eher einer<br />
geschwungenen als einer gera<strong>de</strong>n Bahn.<br />
In akribischer Recherche und im Vergleich<br />
mit an<strong>de</strong>ren Studien merkten wir,<br />
dass auch die Daten an<strong>de</strong>rer Forscher<br />
diese nicht-geradlinige Bewegung und ein<br />
erstes Wegschieben zu enthalten schienen,<br />
auch wenn dies nicht diskutiert wur<strong>de</strong>.<br />
Mit unseren hochaufgelösten Zeit-, Ortund<br />
Kraftdaten konnten wir zeigen, dass<br />
Makrophagen durchaus unregelmäßige<br />
und nichtgeradlinige Wege nahmen, um<br />
Partikel zu sich zu ziehen.<br />
Wie kamen diese geschwungenen<br />
Partikelwege zustan<strong>de</strong>? Wir vermuteten,<br />
dass die geschwungene Bewegung <strong>de</strong>r<br />
Kugeln auf <strong>de</strong>m Drücken, aber auch auf<br />
einer Drehung, die vom Makrophagen<br />
ausgelöst wur<strong>de</strong>, beruhte. Mit <strong>de</strong>n Kugeln,<br />
die wir bisher verwen<strong>de</strong>t hatten,<br />
konnten wir diese Vermutung allerdings<br />
nicht testen, da eine Drehung ohne Markierung<br />
aus Bildaufnahmen nicht zu<br />
erkennen war. Dies wäre nur möglich<br />
gewesen, wenn sich wie bei Bowlingkugeln<br />
Markierungen o<strong>de</strong>r Nummern auf<br />
Die Biotechnologin weiß jetzt, wie<br />
viel Kraft und welche Strategie<br />
Makrophagen im Kampf gegen<br />
Bakterien anwen<strong>de</strong>n.<br />
<strong>de</strong>n Kugeln befun<strong>de</strong>n hätten, die sich<br />
mitdrehen. So etwas im Maßstab von<br />
Tausendstel Millimetern herzustellen ist<br />
jedoch ziemlich aufwendig. Um die vermutete<br />
Drehung zu zeigen, brauchten wir<br />
also zum Beispiel Stäbchen, bei <strong>de</strong>nen<br />
man wie bei <strong>de</strong>n Zeigern einer Uhr ihre<br />
Orientierung ablesen kann. Ein wichtiger<br />
Punkt bei unserem experimentellen<br />
Ansatz war, dass die Stäbchen quer vor<br />
<strong>de</strong>n Makrophagen lagen, da wir so untersuchen<br />
konnten, ob die Orientierung<br />
wichtig war.<br />
In <strong>de</strong>r Tat konnten wir beobachten,<br />
dass ein Makrophage ein quer liegen<strong>de</strong>s<br />
Stäbchen so drehte, dass es vom kürzeren<br />
En<strong>de</strong> her aufgenommen wer<strong>de</strong>n<br />
konnte. Schließlich machten wir es <strong>de</strong>n<br />
Makrophagen noch mal schwerer und<br />
legten ein magnetisches Feld an, welches<br />
<strong>de</strong>n Stäbchenmagneten in seiner Orientierung<br />
festhielt. Nur wenn <strong>de</strong>r Makrophage<br />
eine Kraft aufbrachte, die gleich<br />
groß o<strong>de</strong>r größer als die <strong>de</strong>s Magneten<br />
war, konnte er das Stäbchen drehen.<br />
So konnten wir das Drehmoment eines<br />
Makrophagen messen. Mit diesen Experimenten<br />
fan<strong>de</strong>n wir heraus, dass die bevorzugte<br />
Orientierung parallel und nicht<br />
quer zur Zelle war und dass wir die Makrophagen<br />
an ihrem Ziel, <strong>de</strong>r Drehung<br />
<strong>de</strong>s Objekts, hin<strong>de</strong>rn konnten, in<strong>de</strong>m wir<br />
Drehmomente anlegten, die <strong>de</strong>m zehnbis<br />
hun<strong>de</strong>rtfachen Drehmoment entsprachen,<br />
das zum Beispiel schwimmen<strong>de</strong><br />
Bakterien mit ihrem Antrieb aufbringen<br />
können.<br />
Das Wissen um die kulinarischen Vorlieben<br />
von Immunzellen und <strong>de</strong>n Kräften,<br />
die sie aufbringen können, hilft uns zu<br />
verstehen, wie Bakterien es schaffen können,<br />
unser Immunsystem auszutricksen.<br />
Es kann aber auch dazu genutzt wer<strong>de</strong>n,<br />
Partikel mit medizinisch wirksamen Bestandteilen<br />
so zu gestalten, dass sie eben<br />
nicht von Makrophagen gefressen wer<strong>de</strong>n<br />
können. Wenn es gelänge, Medikamente<br />
so zu verpacken, dass sie sich <strong>de</strong>m<br />
Gefressenwer<strong>de</strong>n und Abtransport durch<br />
Makrophagen wi<strong>de</strong>rsetzen, könnten sie<br />
besser zu spezifischen Orten im Körper,<br />
zum Beispiel einer Infektion, gebracht<br />
wer<strong>de</strong>n und wür<strong>de</strong>n dort bleiben, wo sie<br />
ihre Wirksamkeit entfalten sollen. ●<br />
bild <strong>de</strong>r <strong>wissenschaft</strong> plus 11