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KULTUR JOKER ThEaTER 5<br />
Theaterzauber wider den Rest der Welt<br />
Das neue Kinderstück am Theater Freiburg: „Der kleine Ritter Trenk“<br />
Wer in diesen Tagen Trost<br />
finden möchte und sich ein<br />
wenig ver- oder bezaubern<br />
lassen möchte, dem sei das<br />
neue Kinderstück am Theater<br />
Freiburg – „Der kleine<br />
Ritter Trenk“ (2006), ein<br />
recht junges Stück der Jugendbuchautorin<br />
Kirsten<br />
Boie, das es als Zeichentrickfilm<br />
sogar schon auf<br />
die Leinwand geschafft hat<br />
– wärmstens empfohlen.<br />
Ohnehin gilt, soviel Zauber<br />
wie in einem Kinderstück ist<br />
sonst nie. Heraufbeschworen<br />
hat diese poetische Bilderwelt<br />
das am Freiburger<br />
Theater längst bewährte<br />
Trio mit dem britischen Regisseur<br />
Robin Telfer, dem<br />
Komponisten Günter Lehr und<br />
der Bühnen- und Kostümbildnerin<br />
Sabina Moncys.<br />
Die Handlung erzählt von zwei<br />
jungen Menschen, dem Bauernsohn<br />
Trenk (Jürgen Herold) und<br />
der Ritterstochter Thekla (Lena<br />
Drieschner), die sich gegen die<br />
Stefanie Mracacz, Heiner Bomhard, Jürgen Herold<br />
Ungerechtigkeiten dieser Welt<br />
auflehnen: Trenk möchte nicht<br />
dulden, dass sein Vater unschuldig<br />
im Gefängnis einsitzen muss<br />
und beschließt daher Ritter zu<br />
werden. Seine Renitenz indes<br />
scheint hoffnungslos, denn laut<br />
Gesetz bleibt ein Leibeigener<br />
sein Leben lang ein solcher und<br />
kann daher kein tapferer Ritter<br />
werden. Doch dann soll auch<br />
noch sein kleines Ferkel geholt<br />
werden… Nun, tapfer ist er ja,<br />
und das mit dem Ritter will er<br />
auch noch hinkriegen.<br />
„Wer tapfer ist wie ein Ritter,<br />
Größenwahn und Machtrausch<br />
Sybille Fabian inszeniert „Der Tribun“<br />
Die Kammertheaterbühne im<br />
E-Werk zeigt sich in beeindruckender<br />
Trostlosigkeit: Vielstöckige,<br />
poröse Fassaden mit<br />
leeren Fensterhöhlen in totem<br />
Grau sind umlaufend auf Baufolie<br />
projiziert, der weißgetünchte<br />
Innenraum wird zu einer Art<br />
Trümmerfeld (Bühne: Herbert<br />
Neubecker, Videoinstallation:<br />
Karolina Serafin). In der Ecke<br />
liegt eine nackte Gestalt wie eine<br />
zerschlagene Puppe, ein weißbepudertes<br />
Verschüttungsopfer.<br />
Noch zuckt sie zu eingespielter<br />
Weltuntergangskakophonie, erhebt<br />
sich dann unter Aufbietung<br />
aller Kräfte und verschmilzt<br />
schließlich bis zur Unsichtbarkeit<br />
mit der Häuserwand (Butoh-<br />
Tanz: Lucie Betz). Dann wird<br />
alles gleißend hell.<br />
Wie schon in ihrer Vorgängerproduktion<br />
„Fluchtburg“ kreiert<br />
die Freiburger Regisseurin Sybille<br />
Fabian wieder eine Szenerie<br />
im verwaisten Nirgendwo und<br />
löst damit starke Assoziationen<br />
aus. Dieses Mal inszeniert sie<br />
„Der Tribun“ des 1931 geborenen<br />
argentinisch-deutschen Komponisten<br />
und Regisseurs Mauricio<br />
Raúl Kagel, der zu den wichtigsten<br />
Vertretern des „Instrumentalen<br />
Theaters“ zählt. Sein<br />
1979 urgeführtes Hörspiel ist eine<br />
Collage aus 700 Floskeln politischer<br />
Führer jeglicher Couleur<br />
samt Marschmusik und wurde<br />
1980 mit dem Hörspielpreis der<br />
Kriegsblinden ausgezeichnet.<br />
Und da kommt er auch schon,<br />
der Tribun: Als abgehalfterter<br />
Wirrkopf mit umgedrehter Anzugsjacke<br />
wieselt, buckelt und<br />
stolpert Michael Schmitter auf<br />
die Bühne, würgt zwischen<br />
verschämtem Gegacker bedrohliche<br />
Wortketten wie „Grenzeschließen-erschießen“<br />
hervor,<br />
bis er zunehmend an Sicherheit<br />
gewinnt und aus seinem grotesken<br />
Tourette- Sprechsalat eine<br />
nicht weniger groteske Rede an<br />
sein imaginäres Volk wird: „Ich<br />
will! – Und ihr könnt!“, so eine<br />
seiner Botschaften. Im Hintergrund<br />
stehen zwei große Lautsprecherboxen.<br />
Immer mal wieder kreuzt Musiker<br />
Thomas Georg Schoch mit<br />
seltsamem Kopfschutz, Rippunterhemd<br />
und viel zu großer Hose<br />
die Szene (Kostüme: Sybille<br />
Fabian), entlockt seiner Tuba<br />
kreischende Töne oder drischt<br />
Backstage auf ein Schlagzeug<br />
ein. Doch die Aufmerksamkeit<br />
fokussiert sich ganz auf Schmitters:<br />
In Sekundenbruchteilen<br />
wechselt der Mimik, Körpersprache<br />
und Tonlage, schwafelt sich<br />
mit wachsender Begeisterung in<br />
Größenwahn und Machtrausch,<br />
um plötzlich die Spur zu verlieren,<br />
zu verstummen und neu<br />
anzusetzen. Seine Themen:<br />
Ich, ich, ich – und warum Menschenrechte,<br />
Friede und Freiheit<br />
automatisch in diesem Heilsplan<br />
Foto: M. Korbel<br />
enthalten und damit völlig überflüssig<br />
sind, der Kampf gegen<br />
die Feinde aber unausweichlich<br />
ist. Ein fantastisch gespielter, beklemmender<br />
Wahnsinn aus zertrümmerten<br />
Metaphern, Worthülsen<br />
und Floskeln, exakt choreographierten<br />
Posen und ihren<br />
Brüchen. Hitler, Honecker, südamerikanische<br />
Diktatoren – im<br />
Kopf laufen viele Filme ab, über<br />
die Plastikfolie zucken Bombergeschwader<br />
und Soldaten.<br />
Das wirkt auf den ersten Blick<br />
wie ein Stück Vergangenheitsbewältigung.<br />
– Sicher, Machtgier<br />
und Hybris sind zeitlose<br />
Themen, den durchgeknallten,<br />
wild agitierenden Diktator gibt<br />
es in der Welt zuhauf. Der neue<br />
Herrschertypus in Zeiten des<br />
Finanzkapitalismus sieht hierzulande<br />
aber anders aus: Der ist<br />
mehr skrupelloser Handlanger<br />
als einsamer Egomane und taktiert<br />
kühl in einem Filz aus Wirtschaft<br />
und Industrie. Propaganda<br />
ist da nicht Marktplatzrede in<br />
Schwarz-Weiß-Ästhetik, sondern<br />
perfekte Medieninszenierung.<br />
Um in punkto Aktualität richtig<br />
zu greifen, bleibt der Stoff zu allgemein.<br />
Über diesen Punkt lässt<br />
sich dann auch trefflich diskutieren,<br />
denn eindrucksvoll ist diese<br />
Inszenierung allemal.<br />
Weitere Vorstellungen: 11./12.<br />
Dezember, jew. 20.30 Uhr, E-<br />
Werk, Freiburg.<br />
Marion Klötzer<br />
der sollte doch auch ein<br />
Ritter sein dürfen!“ Trenk<br />
schnappt sein Ferkel und<br />
zieht in die Stadt, mitten<br />
in die zauberhafte Welt der<br />
Gaukler, Drachen und Ritter.<br />
Zum Glück begegnet er<br />
immer wieder netten Menschen,<br />
die ihm weiterhelfen<br />
– und schließlich auch<br />
dem ängstlichen Ritterknaben<br />
Zink (Martin Weigel),<br />
der viel lieber kein Ritter<br />
sein will. Mir nichts dir<br />
nichts werden die Rollen<br />
getauscht. Auch die Ritterstochter<br />
Thekla fällt aus<br />
ihrer angeborenen (Frauen-<br />
) Rolle und will lieber<br />
kämpfen. Als sie sich dem<br />
vermeintlichen Ritterlein<br />
Trenk anschließt, wird das Duo<br />
quasi unbezwingbar.<br />
Mit seinen siebzig Minuten<br />
bleibt das Stück, das mit aufwändig-schönem<br />
Mittelalter-Realismus<br />
auf die Bühne gebracht<br />
wurde, fesselnd bis der Vorhang<br />
fällt. Trenks fortwährendes<br />
Staunen während seiner Abenteuerreise,<br />
etwa angesichts der<br />
für ihn noch unbekannten Stadt<br />
und ihren Bewohnern, übermittelt<br />
sich auch dem reiferen<br />
Zuschauer auf wundersam kindliche<br />
Weise: Die Mittelalterliche<br />
Kulisse, die liebevoll gestalteten<br />
Kostüme mit all den Rüstungen<br />
und Schwertern, die mittelalterlich<br />
klingende Musik, die das<br />
Gesehene wie ein Soundtrack<br />
das ganze Stück hindurch illustriert<br />
(Bernd Maier: Dudelsack<br />
Drehleier, Schalmei; Tim Schicker<br />
und Manuel Mühl: Gitarre,<br />
E-Gitarre, Mandoline; Peer<br />
Kaliss: Schlagzeug, Perkussion,<br />
Davul); ja, nicht zuletzt die<br />
phantastische Lichtregie, die<br />
einen in den Zuschauerrängen<br />
fast vergessen ließ, dass kurz<br />
zuvor in der „echten“ Welt der<br />
Terror so furchtbar zugeschlagen<br />
hatte.<br />
Doch dort oben auf der Bühne<br />
macht er es uns vor, als wäre es<br />
ganz leicht – Trenk, der kleine<br />
Ritter mit dem großen Herzen,<br />
der es ungeachtet seiner Herkunft<br />
mit viel Mut und ein bisschen<br />
Glück schafft, die Welt,<br />
wenn auch nicht zu verändern,<br />
so doch vielleicht ein bisschen<br />
besser zu machen.<br />
„Der kleine Ritter Trenk“ (ab<br />
5 Jahren) , Theater Freiburg, bis<br />
24. Januar 2016<br />
Friederike Zimmermann