Media and Minorities
9783666300882_ruhrmann_media_ebook_034247
9783666300882_ruhrmann_media_ebook_034247
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
234<br />
Shion Kumai<br />
persönlicher Antrieb für das Projekt war »der tägliche Frust, die Empörung,<br />
der Ärger«, wenn er Nachrichten sah oder Zeitung las. »Ich habe mich oftmals<br />
hilflos gefühlt, weil ich nicht teilhaben konnte an dieser Debatte.« So<br />
entschloss er sich, die Debatten nicht mehr nur passiv hinzunehmen, sondern<br />
aktiv zu werden.<br />
Das Magazin erreicht nicht nur Menschen mit Einw<strong>and</strong>erungsgeschichte;<br />
etwa 50 Prozent der Leser sind Herkunftsdeutsche, wie sich in einer Leserbefragung<br />
herausstellte. Auch die Redaktion setzt sich aus Menschen mit und<br />
ohne Migrationshintergrund zusammen. Sie machen die Menschen bestmöglich<br />
sichtbar. Auf der Plattform werden Autoren bspw. nicht nur namentlich<br />
genannt, sondern auch mit einem Foto gezeigt. Oft sind Journalistinnen<br />
darunter, die ein Kopftuch tragen. »Bei den ersten Fotos, die wir präsentiert<br />
haben, haben sich die Leser noch überrascht gezeigt: ›Wow, die kann ja<br />
Deutsch! Und auch noch Schreiben!‹ Irgendwann hat sich das auch gelegt. Irgendwann<br />
haben die Leser gemerkt, ›Moment mal! Das ist gar keine Ausnahme!‹<br />
– Das ist also irgendwo auch eine Erziehungssache«, berichtet Ekrem<br />
Şenol.<br />
Einen <strong>and</strong>eren Weg, Gate-keeper*innen des Mainstream-Journalismus zu<br />
umgehen und Themen öffentlichkeitswirksam zu platzieren, bieten soziale<br />
Medien. Kübra Gümüşay, Journalistin, Bloggerin und Netz-Aktivistin, und<br />
Jamie C. Schaerer, Politikwissenschaftlerin und Vorst<strong>and</strong>smitglied der Initiative<br />
Schwarze Menschen in Deutschl<strong>and</strong> und des Europäischen Netzwerks<br />
gegen Rassismus, starteten 2013 auf Twitter die Kampagne #SchauHin mit<br />
dem Ziel, Erfahrungen des Alltagsrassismus sichtbar zu machen, ähnlich wie<br />
der #Aufschrei den alltäglichen Sexismus. Alltagsrassismus ist genau wie Sexismus<br />
ein schwer greifbares Phänomen, das sich nicht einfach in Zahlen erfassen<br />
lässt, weswegen selten in der Öffentlichkeit darüber gesprochen wird.<br />
Gümüşay erläutert: »Wir wollten über eine alltägliche Erfahrung sprechen,<br />
ohne dass man das reduzieren kann auf eine einzelne Situation, denn dieser<br />
alltägliche Rassismus ist etwas, was jeden Tag aktuell ist, jeden Tag relevant<br />
ist.«<br />
Innerhalb kürzester Zeit teilten mehrere Tausend Menschen ihre Geschichten,<br />
und der Hashtag blieb drei Tage lang »Trending Topic«11 in Deutschl<strong>and</strong>,<br />
was bei sozialen Themen ganz selten vorkommt. »Durch das Teilen dieser Erfahrungen<br />
wurde die Erfahrung von der singulären, individuellen Ebene auf<br />
eine gesamtgesellschaftliche Ebene gehoben, und die Verantwortung damit<br />
umzugehen lag nicht mehr nur bei den Menschen, die das täglich erfahren haben,<br />
sondern bei der Gesamtgesellschaft.« So wurden rassistische Strukturen<br />
in der Gesellschaft öffentlich sichtbar gemacht.<br />
11 »Trending Topics« ist eine Liste von Twitter, die anh<strong>and</strong> der Tweets aktuelle und wichtige<br />
Themen ermittelt.