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syndicom magazin Nr. 18

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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<strong>syndicom</strong><br />

<strong>Nr</strong>. <strong>18</strong> August-September 2020<br />

<strong>magazin</strong><br />

Ohne Lohnkontrollen<br />

geht<br />

es nicht


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Inhalt<br />

4 Teamporträt<br />

5 Kurz und bündig<br />

6 Die andere Seite<br />

7 Gastautorin<br />

8 Dossier: Kontrollen<br />

gegen Dumpinglohn<br />

Schweizer Löhne in der Schweiz!<br />

16 Arbeitswelt<br />

<strong>18</strong> Umfrage:<br />

Löhne im Journalismus<br />

22 Ja zum Urlaub für Väter<br />

25 Recht so!<br />

26 Tipps<br />

27 1000 Worte<br />

28 Bisch im Bild<br />

30 Aus dem Leben von ...<br />

31 Kreuzworträtsel<br />

32 Inter-aktiv<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

Schweizer Löhne für jegliche Arbeit, die in der<br />

Schweiz geleistet wird, ob von Ausländerinnen<br />

oder Schweizern, in einer Schweizer oder ausländischen<br />

Firma: Das ist das zentrale Ziel der<br />

Flankierenden Massnahmen (FlaM).<br />

Um sie durchzusetzen und Missbräuche zu<br />

bekämpfen, sind wirksame Durchführungs-,<br />

Kontroll- und Sanktionsmechanismen erforderlich.<br />

Dies haben die Gewerkschaften gefordert<br />

und erreicht. Darum hat die Schweiz heute das<br />

am weitesten entwickelte Lohnschutzsystem<br />

in Europa!<br />

Dank der Gesamtarbeitsverträge, der Normalarbeitsverträge<br />

und der guten Zusammenarbeit<br />

zwischen den Sozialpartnern und mit den Behörden<br />

funktioniert dieses System und passt<br />

sich den Veränderungen in der Arbeitswelt an.<br />

Jedes Jahr werden die Löhne und Arbeitsbedingungen<br />

von fast 170 000 in der Schweiz tätigen<br />

Personen kontrolliert. Geschuldete Löhne<br />

werden nachbezahlt. Dank der FlaM haben wir<br />

Gewerkschaften GAV und Mindestlöhne auch in<br />

Branchen durchgesetzt, wo bisher Tieflöhne<br />

und prekäre Arbeitsbedingungen herrschten.<br />

Eine Annahme der sog. Begrenzungsinitiative,<br />

also der Kündigungs-Initiative, würde zu einer<br />

sehr deutlichen Schwächung der Flankierenden<br />

führen und die bewährten Prozesse gefährden<br />

– die Folgen würde man sofort auf den Lohnzetteln<br />

sehen. Erst recht, wenn Arbeitsbedingungen<br />

durch Corona unter Druck sind, ist<br />

dieser Schutz wichtiger denn je.<br />

4<br />

8<br />

22<br />

Daniel Münger, Präsident <strong>syndicom</strong>


4<br />

Teamporträt<br />

Gemeinsam die Zukunft der Illustration<br />

gestalten<br />

Foto (von oben nach<br />

unten, dann links nach<br />

rechts):<br />

Annina Burkhard<br />

illunauten.ch<br />

Barbara Seiler<br />

illunauten.ch<br />

Rina Jost<br />

rinajost.ch<br />

Deborah Lätsch<br />

deborahlaetsch.ch<br />

Regina Vetter<br />

regina-vetter.ch<br />

Simon Kiener<br />

simonkiener.ch<br />

Kati Rickenbach<br />

katirickenbach.ch<br />

Nadja Baltensweiler<br />

nadjabaltensweiler.ch<br />

Hier gibt es weitere<br />

Infos:<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/illustration<br />

howthef.ch<br />

Text: Michael Moser<br />

Bild: <strong>syndicom</strong><br />

Acht Illustrator*innen schreiben ein Manifest<br />

und wollen neuen Schub in ihre Branche bringen<br />

«Wir, die unterzeichnenden acht Illustrator*innen,<br />

haben uns im Februar 2020 der<br />

Gewerkschaft für Medien und Kommunikation<br />

<strong>syndicom</strong> angeschlossen, um etwas gegen<br />

die in unserer Branche verbreiteten prekären<br />

Arbeitsbedingungen zu unternehmen und um<br />

die Diskussion rund um Honorare und Nutzungsrechte<br />

wieder anzustossen.» So fängt<br />

das Manifest an, mit dem Annina Burkhard,<br />

Barbara Seiler, Rina Jost, Deborah Lätsch,<br />

Kati Rickenbach, Nadja Baltensweiler, Regina<br />

Vetter und Simon Kiener gerade antreten,<br />

um die Welt der Illustration in der<br />

Schweiz zu verändern. Das Ziel der acht jungen<br />

Kreativen ist es, dass sich die selb ständig<br />

erwerbenden Illustrator*innen der<br />

Schweiz zusammenschliessen und gemeinsam<br />

ihre Branche im Sinne der Berufsleute<br />

gestalten. Sei es etwa in einem gemeinsamen<br />

Auftritt bezüglich der Nutzungsrechte,<br />

einer offenen Diskussion über die Branchentarife<br />

oder sogar in kollektiven Verhandlungen<br />

mit Verlagen. Alles nicht nur<br />

wichtige Bereiche aus der Welt der Illustration,<br />

sondern auch urgewerkschaftliche Anliegen.<br />

<strong>syndicom</strong> und die Illustrator*innen<br />

ergänzen sich perfekt.<br />

Gestartet hat es damit, dass Annina und<br />

Barbara, die «How the F*ck do I survive»<br />

(howthef.ch), eine Selbsthilfeplattform für<br />

Illustrator*innen, gegründet haben, realisierten,<br />

dass es einen weiteren Schritt<br />

braucht, damit sie und ihre Berufskolleg*innen<br />

in der Branche «über»-leben können.<br />

Zusammen mit Simon und Rina diskutierten<br />

sie, ob nun ein eigener Verband<br />

gegründet werden müsste, oder wie sonst<br />

eine kollektive Organisation der Illustrator*innen<br />

möglich war. Via Simon kam der<br />

Kontakt zu <strong>syndicom</strong> zustande und nach<br />

einigen Gesprächen war klar, dass sich die<br />

Illustrator*innen unter dem Dach von <strong>syndicom</strong><br />

organisieren wollen. Nicht nur, dass<br />

die Chemie stimmte, auch, dass man sich<br />

bei <strong>syndicom</strong> nicht nur alleine, sondern<br />

auch mit verwandten Berufen zusammenschliessen<br />

kann, um gemeinsam noch stärker<br />

zu sein, überzeugte. In der Coronakrise<br />

zeigte sich bereits ein erstes Mal, wie richtig<br />

diese Überlegung war.<br />

Nachdem sich die vier mit Nadja, Kati,<br />

Deborah und Regina weiter verstärkt hatten,<br />

hat sich die Kerngruppe nun ein halbes<br />

Jahr lang vorbereitet, diverse Arbeitsmaterialien<br />

für Illustrator*innen erstellt und erste<br />

Überlegungen über die Zukunft der Illustration<br />

angestellt. Ab sofort tragen sie ihre<br />

Botschaft in die Branche hinaus und am<br />

13. November findet eine erste Veranstaltung<br />

statt, wo sich auch alle Illustrator*innen<br />

zu Wort melden können, die sich bis<br />

dann noch <strong>syndicom</strong> an schlies sen werden.


Kurz und<br />

bündig<br />

Soziale Rolle der Briefträger*innen \ PostAuto unterbricht Verhandlungen \<br />

Susan Boos an der Spitze des Presserats \ Sunrise-Übernahme und Sozialplan<br />

\ Covid-19 bremst die Ausbildung der Jugendlichen \ Risikoprämie für<br />

Post-Angestellte<br />

5<br />

Soziale Funktion der Postboten<br />

In einer Interpellation an den Bundesrat<br />

stellt die grüne Nationalrätin Léonore<br />

Porchet (VD) fest, dass der vermehrt auf<br />

den Briefträgerinnen und Briefträgern<br />

lastende Druck ihre Rolle als gesellschaftliches<br />

Binde glied gefährdet. Sie<br />

möchte wissen, wie der Bundesrat diese<br />

Rolle in Zukunft zu schützen beabsichtigt.<br />

Weiter fragt sie, wie der Bundesrat<br />

den wirtschaftlichen Optimierungsdruck<br />

lindern will, der auf das Postpersonal<br />

und das Poststellennetz ausgeübt wird<br />

und die Post daran hindert, ihre gesellschaftliche<br />

Funktion wahrzunehmen.<br />

Die Sanktionierungsmöglichkeit der Post<br />

für Briefträger*innen, die für ihre Tour<br />

zu viel Zeit brauchen, steht im Widerspruch<br />

zu dieser Funktion. Porchet<br />

möchte hören, wie der Bundesrat gedenkt,<br />

die gesellschaftliche Rolle der<br />

Briefträger und Poststellen in den strategischen<br />

Zielen der Post zu verankern<br />

und zu stärken.<br />

Verhandlungen bei PostAuto<br />

unterbrochen – wie weiter?<br />

Ende Juli hat PostAuto die Verhandlungen<br />

einseitig unterbrochen, obwohl<br />

<strong>syndicom</strong> bis zum letzten Moment an<br />

eine Lösung geglaubt hatte und mit dem<br />

letzten Angebot einen entscheidenden<br />

Schritt auf die Direktion zugegangen ist.<br />

Die PostAuto-Delegierten haben am 22.<br />

August – nach Redaktionsschluss dieser<br />

Ausgabe – beschlossen, wie es weitergehen<br />

soll. Infos dazu auf <strong>syndicom</strong>.ch.<br />

Susan Boos wird den Presserat<br />

präsidieren<br />

Der Stiftungsrat des Schweizer Presserats<br />

hat eine neue Präsidentin gewählt:<br />

Die Journalistin, Buchautorin und Redaktorin<br />

Susan Boos folgt per 1. Januar<br />

2021 auf den zurücktretenden Dominique<br />

von Burg. Sie war dreizehn Jahre<br />

in der Redaktions- und Geschäftsleitung<br />

der Wochenzeitung WOZ. Dominique<br />

von Burg hat den Presserat seit 2008<br />

präsidiert und tritt per Ende 2020 zurück,<br />

nachdem er die maximale Amtsdauer<br />

erreicht hat.<br />

Sunrise will sich an den<br />

Besitzer von UPC verkaufen<br />

Der angelsächsische Telekom-Riese<br />

Liberty Global, Besitzer von UPC, bietet<br />

6,8 Milliarden Franken in bar für Sunrise.<br />

<strong>syndicom</strong> rechnet mit einem Stellenabbau<br />

im Zuge dieser Fusion. Die<br />

Gewerkschaft wird die Fusion zusammen<br />

mit den Personalvertretungen von<br />

Sunrise und UPC eng begleiten. Bei den<br />

Sozialplanverhandlungen wird ein besonderer<br />

Fokus auf Frühpensionierungen<br />

und eine grosszügige Unterstützung<br />

von Weiterbildungen gelegt.<br />

70 % der Jugendlichen in ihrer<br />

Ausbildung durch Covid-19<br />

beeinträchtigt<br />

Nach einer Studie der Internationalen<br />

Arbeitsorganisation (ILO) sind seit Beginn<br />

der Pandemie weltweit über 70 %<br />

der Jugendlichen, die studieren oder<br />

Ausbildung mit Arbeit verbinden, von<br />

der Schliessung von Schulen, Universitäten<br />

und Ausbildungszentren betroffen.<br />

Die Hälfte von ihnen glaubt, dass<br />

sich ihr Studium verzögern wird, 9 Prozent<br />

fürchten sogar, dass sie scheitern<br />

könnten.<br />

Risikoprämie für die Post-<br />

Angestellten: <strong>syndicom</strong> bleibt<br />

dran!<br />

Ebenfalls Ende Juli hat die Post offiziell<br />

auf die Petition von <strong>syndicom</strong> geantwortet,<br />

die eine Corona-Risikoprämie<br />

für alle Post-Angestellten forderte.<br />

Petition abgelehnt, lautete die enttäuschende<br />

Antwort. Wir bleiben aber<br />

dran! 4500 Kolleginnen und Kollegen<br />

des Post-Konzerns unterstützen die<br />

Forderung – ein ernst zu nehmendes<br />

Signal für die Verantwortlichen.<br />

Die Petition «Zum Schutz der Postangestellten»<br />

hat klar gemacht, dass die<br />

von der Post beschlossene Corona-<br />

Einmalprämie nicht genügt. Wir werden<br />

unsere Forderung deshalb spätestens<br />

bei den Lohnverhandlungen im kommenden<br />

Frühling erneut stellen.<br />

Agenda<br />

September<br />

Ab 9.<br />

Informationsanlässe<br />

GAV Post 2021<br />

Für Mitarbeitende von Post CH und von<br />

PostFinance gilt ab dem 1. Januar 2021<br />

ein neuer Gesamtarbeitsvertrag. Wie<br />

verändern sich deine Arbeitsbedingungen?<br />

Genau das erfährst du an deinem<br />

Informationsanlass. Die Anlässe sind<br />

kostenlos, können auf Arbeitszeit<br />

besucht werden und finden in deiner<br />

Nähe statt. Am 9. 9. in Basel, 10. in<br />

Thun, 15. in Zürich, 21. in Frauenfeld,<br />

22. in Bern und 28. in Baden. Infos und<br />

Anmeldung auf <strong>syndicom</strong>.ch unter<br />

Branchen – Post und Finanz – Der neue<br />

GAV – Kurse GAV Post 2021.<br />

12.<br />

Zweites nationales Treffen<br />

der Kurier*innen<br />

Ab 14 Uhr in Lausanne, Maison du<br />

peuple, werden wir über die Zukunft<br />

unserer gewerkschaftlichen Organisierung<br />

und die Professionalisierung<br />

unserer Branche diskutieren. Im Oktober<br />

wird <strong>syndicom</strong> beim Bundesrat<br />

den Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung<br />

unseres GAV einreichen.<br />

Anmeldung auf der Mitgliederplattform:<br />

my.<strong>syndicom</strong>.ch.<br />

Oktober<br />

Ab 1.<br />

Für Personalvertreter*innen<br />

und Mitarbeitende von<br />

PostAuto und den PU<br />

Es gibt noch freie Plätze für den Kurs<br />

«Rechte und Pflichten der PeKo bei<br />

PostAuto und den PU» (am 1./2. Oktober<br />

in Bad Ragaz) und für die Kurse<br />

«AZG für Postauto-Fahrer*innen»<br />

(asa-anerkannt) am 28. Oktober in<br />

Zürich und am 10. November in Aarau.<br />

Melde dich online an: <strong>syndicom</strong>.ch,<br />

Mitgliederservice – Bildungsangebote.<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/agenda


6<br />

Die andere<br />

Seite<br />

Ralf Helbig<br />

ist Managing Director bei Detecon (Schweiz) AG. Detecon,<br />

eine Tochter der T-Systems International, fungiert als Beratungssäule<br />

für deren Digitalgeschäft. Ausserdem lehrt Helbig<br />

Prozessbasiertes Management an der Universität Bonn.<br />

1<br />

Was bedeutet der neu abgeschlossene<br />

GAV für Detecon und für Sie<br />

persönlich, Herr Helbig?<br />

Dass wir uns unserer Verantwortung<br />

als Arbeitgeber bewusst sind. Diesen<br />

Weg als erstes Consulting-Unternehmen<br />

gegangen zu sein, macht uns<br />

natürlich auch stolz. Für mich persönlich<br />

bedeutet der GAV auch einen<br />

Hebel, um unseren Mitarbeitenden<br />

das bestmögliche Umfeld zu bieten,<br />

um ihr Potenzial voll zu entfalten.<br />

2<br />

Wie kann der GAV die New-Work-Aktivitäten*<br />

von Detecon unterstützen?<br />

Z. B. haben wir das Homeoffice im<br />

GAV zum ersten Mal dediziert geregelt.<br />

So ermöglichen wir eine flexiblere<br />

und eigenverantwortliche Einteilung<br />

der Arbeitszeit, was auch die<br />

Vereinbarkeit von Beruf, Familie und<br />

Freizeit vereinfacht. Diese gewinnt<br />

natürlich gerade in der Phase der Familiengründung<br />

an Bedeutung. Die<br />

Vertrauensarbeitszeit, die der GAV ermöglicht,<br />

ist ein Beispiel, wie wir da<br />

als Unternehmen ansetzen können.<br />

3<br />

Inwiefern bietet der GAV besseren<br />

Schutz und gesicherte Arbeitsbedingungen<br />

für rund 80 Arbeitnehmende?<br />

Wichtige Themen wie Lohn, Arbeitszeit,<br />

Ferien und Lohnfortzahlung bei<br />

Krankheit oder Unfall sind nun einheitlich<br />

dokumentiert. Unsere Mitarbeitenden<br />

wissen, welche Leistungen<br />

wir als Arbeitgeber bieten und worauf<br />

sie sich berufen und verlassen können.<br />

Das schafft Transparenz und<br />

Fairness.<br />

4<br />

Was können Unternehmen und die<br />

Branche gegen den IT-Fachkräftemangel<br />

unternehmen?<br />

Der IT-Fachkräftemangel ist auch für<br />

uns eine Herausforderung. Wir müssen<br />

verstehen, was diese Profile für<br />

Bedürfnisse und Wünsche haben.<br />

Dazu gehört natürlich der Lohn, aber<br />

z. B. auch attraktive Projekteinsätze,<br />

ein umfassendes Weiterbildungsangebot,<br />

flexible Arbeitsbedingungen<br />

und eine gute Unternehmenskultur.<br />

5<br />

Wie investieren Sie in die Arbeitsmarktfähigkeit<br />

und Weiterbildung<br />

der Arbeitnehmenden?<br />

Unsere Mitarbeitenden und ihre Expertise<br />

sind unser wichtigstes Potenzial.<br />

Deswegen entwickeln wir unser<br />

Weiterbildungsangebot kontinuierlich<br />

weiter. Neben unternehmenseigenen<br />

Formaten sowie externen<br />

Schulungen und Zertifizierungen haben<br />

wir neu z. B. die Online-Plattform<br />

Udemy in unser Angebot einbezogen.<br />

6<br />

Mit dem neuen GAV wurde die Mitwirkung<br />

des Personals im Unternehmen<br />

verbessert. Was hat sich dadurch<br />

bei Ihnen konkret verändert?<br />

Offenes Feedback des Teams an die<br />

Geschäftsleitung liegt mir am Herzen<br />

und wir brauchen es, um uns und das<br />

Unternehmen stetig weiterzuentwickeln.<br />

Daher ist die Konstitution der<br />

Personalvertretung eine sehr gute Ergänzung<br />

und Institutionalisierung<br />

des Dialogs.<br />

Text: Miriam Berger<br />

Bild: zVg<br />

*New Work ist ein Sammelbegriff für neue Lösungen,<br />

um Arbeiten und Leben zu verbinden.


Gastautorin<br />

Die Verantwortung der Unternehmen<br />

für die sozialen und ökologischen Auswirkungen<br />

ihrer Aktivität ist eng an ihre Verantwortung<br />

für Familien geknüpft, besonders beim<br />

Thema Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben<br />

der Arbeitenden.<br />

Und dies nicht nur aus ethischen Gründen:<br />

Studien zur Rentabilität von Unternehmen<br />

zeigen, dass Wettbewerbsvorteile vielfach mit<br />

einer Unternehmenskultur einhergehen, die<br />

die Bedürf nisse der Familien und die Chancengleichheit<br />

respektiert. Während Unternehmen<br />

mit neuen Wettbewerbsfaktoren konfrontiert<br />

werden, experimentieren auch Schweizer Familien<br />

mit innovativen Modellen: Väter wollen mehr<br />

Zeit für die Kinderbetreuung verwenden, und<br />

Frauen wollen nach der Mutterschaft nicht mehr<br />

die Arbeit aufgeben. Die Gründe dafür sind vielfältig<br />

und verbinden sich zu globalen Tendenzen:<br />

Ein Effekt der Schliessung der Bildungs lücken<br />

bei den Mädchen? Oder sind zwei Einkommen<br />

unentbehrlich geworden? Die zunehmende Verbreitung<br />

von Einelternfamilien? Fortschreitende<br />

Überwindung von starren Geschlechterrollen?<br />

Tatsache ist, dass 81 % der Familien in den<br />

Schweizer Grossstädten und 65 % der auf dem<br />

Land lebenden Familien externe Unterstützung<br />

bei der Kinderbetreuung benötigen, aber die<br />

Familienpolitik nicht auf der Höhe der Zeit ist.<br />

Aus diesem Grund ist ein zehntägiger Vaterschaftsurlaub<br />

nur ein erster, unverzichtbarer<br />

Schritt. Vor allem reagiert er auf den Hilferuf<br />

junger Familien. Zweitens unterstützt er tüchtige<br />

kleine und mittlere Unternehmen, die nicht<br />

mit der Flexibilität und Vereinbarkeit konkurrieren<br />

können, die grössere Unternehmen bereits<br />

ausgiebig nutzen, um Talente, Kundschaft und<br />

Investitionen anzuziehen. Schliesslich hilft er,<br />

dass die klägliche Position der Schweiz im internationalen<br />

Vergleich familienfreundlicher Massnahmen<br />

endlich besser wird.<br />

Wir brauchen Politik für<br />

die Familien von heute<br />

Marialuisa Parodi hat einen Abschluss in<br />

Wirtschaftswissenschaften mit Spezialisierung<br />

in Finanzen. Sie hat in London,<br />

Mailand und Lugano gelebt und gearbeitet,<br />

wo sie derzeit CIO einer Vermögensverwaltung<br />

ist. Sie beschäftigt sich<br />

seit Jahren mit den wirtschaftlichen<br />

Auswirkungen von Ungleichheiten zwischen<br />

den Geschlechtern und arbeitet<br />

im Wirtschafts<strong>magazin</strong> Plusvalore von<br />

RSI Rete Uno mit.<br />

Sie ist Mitgründerin und Co-Direktorin<br />

von Equi-Lab. Equi-Lab ist ein gemeinnütziger<br />

Verein, der Beratungen zur<br />

Vereinbarkeit von Familie und Arbeit und<br />

zur Chancengleichheit anbietet und an<br />

der kantonalen Plattform Vita-Lavoro<br />

(Leben/Arbeit) beteiligt ist.<br />

Seit 2017 ist sie die Vorsitzende des<br />

Bundes der Tessiner Frauenverbände<br />

(faftplus.ch), der den Vaterschaftsurlaub<br />

unterstützt.<br />

7


Dossier<br />

Wie der Kontrolleur einer paritätischen Kommission arbeitet<br />

<strong>syndicom</strong> bekämpft das Lohndumping in den Medien<br />

Mehr allgemeinverbindliche GAV für die Logistikbranche<br />

Was sich hinter der Kündigungsinitiative der SVP versteckt<br />

Das System<br />

der Löhne


9<br />

zum Schutz<br />

ist in Gefahr


10 Dossier<br />

«Gegen Lohndumping sind Kontrollen<br />

unverzichtbar»<br />

José Abelenda, Kontrolleur der paritätischen<br />

Kommission für die ICT-Branche, ist zuständig<br />

für Bern, die Romandie und das Tessin.<br />

Er erklärt, wie diese Vor-Ort-Kontrollen im<br />

Rahmen der Flankierenden Massnahmen<br />

Missbrauch aller Art verhindern.<br />

Text: Sylvie Fischer<br />

Fotos: Demir Sönmez<br />

Die Kündigungsinitiative, über die wir am 27. September<br />

abstimmen, will nichts Geringeres als die Personenfreizügigkeit<br />

abschaffen. Mit der Aufhebung der bilateralen<br />

Verträge mit der EU würden auch die flankierenden Massnahmen<br />

zum Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen<br />

wegfallen. Die Folge: weniger Transparenz und mehr<br />

Druck auf die Löhne und die Arbeitsbedingungen.<br />

Das gilt es um jeden Preis zu verhindern, sagt José Abelenda,<br />

Kontrolleur der paritätischen Kommission im Sektor<br />

ICT, der mit der Durchführung der Vor-Ort-Kontrollen<br />

in Bern, in der Romandie und im Tessin beauftragt ist. Gemäss<br />

dem im Juni publizierten 16. Bericht des Observatoriums<br />

zum Freizügigkeitsabkommen werden heute in der<br />

Schweiz jährlich 41 000 Unternehmen auf die Einhaltung<br />

der Lohn- und Arbeitsbedingungen überprüft. Die Kontrollen<br />

sind viel dichter als in Deutschland, was die Entstehung<br />

von Tiefstlohnbranchen bei uns verhindert hat.<br />

Wer in der Schweiz arbeitet, hat Anspruch auf die hierzulande<br />

geltenden Lohn- und Arbeitsbedingungen. Dies<br />

gilt auch für Arbeitnehmende, die von einem ausländischen<br />

Unternehmen vorübergehend in die Schweiz entsendet<br />

werden. Dazu können bei wiederholter missbräuchlicher<br />

Lohnunterschreitung Bestimmungen eines<br />

Normalarbeitsvertrags betreffend Mindestlöhne und Arbeitszeit<br />

leichter allgemeinverbindlich erklärt werden.<br />

Auch die Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrags<br />

(GAV) kann erleichtert werden. <strong>syndicom</strong><br />

hat den GAV für die Netzinfrastruktur-Branche sowie den<br />

GAV für die Contact- und Callcenter-Branche verhandelt,<br />

welche allgemeinverbindlich erklärt worden sind.<br />

Korrektur der Löhne nach oben<br />

«Wir hatten einen Fall in einem Callcenter in der Romandie,<br />

wo statt 23 Franken nur 17 Franken Stundenlohn<br />

bezahlt wurden. Der Chef dieses Schweizer Unternehmens<br />

erklärte, es unterstehe nicht dem GAV. Wir mussten<br />

ihm klar machen, dass der Geltungsbereich ausgeweitet<br />

worden war. Er behauptete, davon nichts zu wissen. Aber<br />

wir kennen ihn gut, denn wir hatten bereits in einem<br />

Streitfall vor Gericht mit ihm zu tun», sagt José Abelenda.<br />

Die Kontrollen machen nicht nur Lohnkorrekturen nach<br />

oben möglich. Sie zeigen auch diverse weitere Probleme<br />

auf, beispielsweise Mobbingfälle.<br />

Medien unter der Lupe der<br />

Tripartiten Kommission<br />

Die Tripartite Kommission des Bundes TPK beobachtet den<br />

Arbeitsmarkt und ist die Anlaufstelle bei Verdacht auf wiederholt<br />

missbräuchliche Unterbietung der orts-, berufsoder<br />

branchenüblichen Löhne. Bei Hinweisen definiert die<br />

TPK Fokusbranchen, die sie beobachtet. Sie versucht, die<br />

Situation in einem Verständigungsverfahren mit den betroffenen<br />

Arbeitgebenden zu lösen.<br />

Scheitert dieses Verfahren, können die Bestimmungen<br />

über die minimale Entlöhnung und die entsprechenden Arbeitszeiten<br />

in bestehenden Gesamtarbeitsverträgen erleichtert<br />

allgemeinverbindlich erklärt werden. In Branchen ohne<br />

GAV können zeitlich befristete Normalarbeitsverträge (NAV)<br />

mit zwingenden Mindestlöhnen eingeführt werden. Ein nationaler<br />

NAV existiert derzeit für die Angestellten in der Hauswirtschaft.<br />

Zudem können die kantonalen tripartiten Kommissionen<br />

für ihr Gebiet Normalarbeitsverträge einführen.<br />

Im Sommer 2019 hat die TPK Bund die Sozialpartner der<br />

Print- und Online-Medien zu einer Aussprache eingeladen,<br />

um sich ein Bild über die Situation zu machen. <strong>syndicom</strong> hat<br />

die Gelegenheit genutzt, die zunehmend besorgniserregende<br />

Situation aufgrund des vertragslosen Zustands der Printund<br />

Online-Redaktionen in der Deutschschweiz und im Tessin<br />

darzulegen. Bei den regelmässigen Freischaffenden und<br />

bei den jüngeren Angestellten gibt es Anzeichen, dass viele<br />

Medienschaffende einem veritablen Lohndumping ausgesetzt<br />

sind. Die ebenfalls vorgeladenen Vertreter des Verbands<br />

Schweizer Medien wiesen auf das schwierige wirtschaftliche<br />

Umfeld der Medien hin – und auf die laufenden<br />

Verhandlungen zu einem GAV in Presse und elektronischen<br />

Medien der Deutschschweiz und des Tessin. Ein Jahr danach<br />

sind die Verhandlungen insbesondere bezüglich Löhnen für<br />

Festangestellte und für Stagiaires und Honorare für regelmässige<br />

Freie aber immer noch nicht vorwärts gekommen.<br />

Die TPK wünschte, auf dem Laufenden gehalten zu werden.<br />

<strong>syndicom</strong> hat nach der Corona-bedingten Pause den<br />

Verlegerverband aufgefordert, die Verhandlungen Anfang<br />

September 2020 zügig wieder aufzunehmen. Danach wird<br />

der TPK Bericht zu erstatten sein. Sie hat dann die Möglichkeit,<br />

die Medien als Fokusbranche genauer unter die Lupe zu<br />

nehmen.<br />

Eine breit angelegte Umfrage über die Löhne und Arbeitsbedingungen<br />

der Medienschaffenden in Print, Online, privatem<br />

und öffentlichem Rundfunk hat <strong>syndicom</strong> zusammen<br />

mit dem SSM und dem Verband der Fachjournalist*innen mit<br />

fachlicher Unterstützung des Gewerkschaftsbunds SGB im<br />

Mai 2020 durchgeführt. Wie bereits bei der letzten grossen<br />

Studie, die 2007 publiziert wurde, liegt die wissenschaftliche<br />

Leitung der Studie beim Politologen Roman Graf. Er hat als<br />

Spezialist für Lohnanalysen bereits mehrere Studien im<br />

Organisations bereich von <strong>syndicom</strong> betreut.<br />

Der Artikel auf Seite <strong>18</strong> dieses Magazins fasst die wichtigsten<br />

Erkenntnisse der Studie zusammen. Die Medienumfrage<br />

2020 wird auch der TPK Aufschluss über die Situation<br />

geben.<br />

Stephanie Vonarburg<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/Medienumfrage2020


José Abelenda führt die Kontrollen vor Ort durch und<br />

arbeitet dabei mit Pascal Kaegi zusammen, dem Leiter<br />

GAV-Vollzug bei <strong>syndicom</strong>, der fehlende Unterlagen beschafft:<br />

«Wenn wir den Verdacht haben, dass auf einer<br />

Baustelle Löhne von 8 bis 10 Euro bezahlt werden und ich<br />

nicht alle Dokumente erhalte, kommt Pascal zum Einsatz<br />

und kontaktiert das Unternehmen. Wir arbeiten auch mit<br />

anderen paritätischen Kommissionen zusammen.»<br />

Bei diesen offiziellen Kontrollen werden häufig noch<br />

ganz andere Probleme aufgedeckt: «Im Tessin hatte ich<br />

mit einem Schweizer Unternehmen zu tun, in dem die<br />

Löhne zu niedrig waren, die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen<br />

nicht funktionierte und es Probleme mit<br />

der Baustellensicherheit gab … Andere Male treffen wir<br />

auf Asbestprobleme. Aus meiner Sicht sind diese Kontrollen<br />

wirklich wichtig, da die Schweiz sonst ein Dschungel<br />

in Sachen Lohndumping wäre.»<br />

Schwierig wird es laut José im Bereich Netzinfrastruktur<br />

– wegen der vielen Subunternehmen: «Häufig finden<br />

wir einen beauftragten Betrieb und vier oder fünf Subunternehmer<br />

vor. Wir versuchen, den Erstunternehmer per<br />

Solidarhaftung haftbar zu machen. Denn wenn er den Auftrag<br />

angenommen hat, müssen die Lohnbedingungen<br />

von den Subunternehmern eingehalten werden. Manchmal<br />

behaupten die Unternehmen, keine Kenntnis davon<br />

zu haben. Dabei haben wir sie offiziell informiert …»<br />

Die Kontrollen<br />

decken<br />

Missstände<br />

aller Art auf<br />

Unter den Opfern findet man «zumeist ausländische<br />

Arbeitskräfte, die die Sprache nicht beherrschen und im<br />

Ausland als entsandte Arbeitnehmende zu Minimallöhnen<br />

eingestellt wurden ... Leider werden in der Schweiz im<br />

Bereich Glasfaser und Netzinfrastruktur nicht genügend<br />

Fachpersonen ausgebildet, Spezialist*innen müssen im<br />

Ausland gesucht werden. Im Baugewerbe habe ich Löhne<br />

von 900 Euro gesehen. Der Arbeitgeber hatte vor, die spanischen<br />

Löhne zu bezahlen, und erst noch ohne Spesen.<br />

Oft gibt es Mängel: Manchmal ist der Lohn korrekt, aber<br />

es werden keine Spesen bezahlt. Oder statt zwei Arbeitern<br />

leben vier in einem Zimmer. Ab einem Alter von 50 sind<br />

auch Schweizer*innen bereit, tiefere Löhne und irgendeine<br />

Arbeit zu akzeptieren», stellt der Gewerkschafter fest.<br />

Wie man es besser machen kann<br />

Diese Verfahren sind zwar vertraulich, aber nicht frei<br />

von Druck: «Im Tessin wollte ein Unternehmen die Personen<br />

entlassen, die uns geantwortet hatten. In solchen Fällen<br />

kann das beauftragte Unternehmen gebüsst oder angezeigt<br />

werden.» José stellt fest, dass in Grenzkantonen<br />

wie dem Wallis, Tessin oder Jura, wo der Arbeitsmarkt<br />

klein ist, eher Lohndumping herrscht. Was schliesst er daraus?<br />

«Mit mehr Mitteln und Kontrolleur*innen könnten wir<br />

effizienter sein, da das Gebiet gross und noch nicht genug<br />

abgedeckt ist. Bei der Meldung von zu kontrollierenden<br />

Situationen könnte es rascher gehen. Denn wenn Arbeitnehmende<br />

nur für drei oder vier Tage entsandt werden,<br />

sind sie schon nicht mehr da, wenn wir zur Kontrolle kommen.<br />

Man könnte dies innerhalb von maximal 48 Stunden<br />

tun.» José bedauert auch, dass Zuwiderhandelnde im Ausland<br />

nicht strafrechtlich verfolgt werden können.<br />

Das Meldeverfahren auf der Website des Justiz- und<br />

Polizeidepartements ist im Übrigen noch unbefriedigend.<br />

Bestimmte Kontrollen sind erschwert, weil im<br />

Menü die entsprechende Rubrik fehlt. Die Online-Meldung<br />

wurde 2004 eingeführt, das letzte grössere Update<br />

fand 2015 statt. So werden die Tätigkeiten «Call- und Contactcenter»<br />

und «Netzinfrastruktur» erst im Herbst 2020


12<br />

Dossier<br />

aufgenommen, sagt das Staatssekretariat für Migration<br />

(SEM), das gemeinsam mit dem Seco, den Kantonen und<br />

den paritätischen Kommissionen für die Aktualisierung<br />

dieser Verfahren zuständig ist. Ab Herbst werden Wirtschaftssektoren<br />

und Tätigkeiten schrittweise ergänzt, indem<br />

neue Berufe und Bezeichnungen eingeführt oder alte<br />

ersetzt werden. Das SEM erklärt die lange Einführungszeit<br />

damit, dass alles mehrsprachig erfolgen muss und mehrere<br />

Akteure (Bund, Kantone, paritätische Kommissionen)<br />

betroffen sind, was eine umfassende Vorbereitung<br />

benötigt. Das SEM relativiert das Problem der fehlenden<br />

Rubriken: Die Tätigkeiten könnten jeweils in eigenen<br />

Worten im Kommentar oder in Form eines Freitexts beim<br />

Meldeverfahren beschrieben werden. Es seien jederzeit<br />

Kontrollen durch die Vollzugsorgane der flankierenden<br />

Massnahmen – die Kantone und paritätischen Kommissionen<br />

– möglich.<br />

Fokus auf nationale Lösungen<br />

Als stossend erachten kann man aber, dass seit der Allgemeinverbindlicherklärung<br />

des GAV für die Netzinfrastruktur-Branche<br />

am 1. Oktober 20<strong>18</strong> nur aus dem Kanton<br />

Tessin regelmässig Meldungen eingegangen sind. Dabei<br />

gab es sicher in den allermeisten Kantonen entsandte Arbeitnehmende<br />

in diesem Sektor. «Natürlich ist das stossend»,<br />

meint <strong>syndicom</strong>-Präsident Daniel Münger. «Damit<br />

die Kontrollen im ganzen Land effizient und mit Erfolg<br />

durchgeführt werden können, müssen die Voraussetzungen<br />

gegeben sein. Dazu gehören funktionierende Schnittstellen<br />

zum Seco und zu den kantonalen Behörden und<br />

der Wille zur Zusammenarbeit zwischen Behörden und<br />

Sozialpartnern. Ohne diese Zusammenarbeit sind die<br />

Kontrollen nur teilweise erfolgreich.»<br />

<strong>syndicom</strong> strebt mehr<br />

allgemeinverbindliche<br />

GAV an, besonders<br />

in der Logistik.<br />

Zur Frage, ob bestimmte Berufsgruppen von <strong>syndicom</strong><br />

nicht vermehrt kontrolliert werden müssten, meint Daniel<br />

Münger, dass Kontrollen in den Grenzregionen natürlich<br />

häufiger durchgeführt werden, weil dort mehr entsandte<br />

Personen tätig sind. Wenn die Voraussetzungen<br />

erfüllt sind (Meldung etc.), dürfte die Gefahr fehlender<br />

Kontrollen abgewendet sein. «Es ist auch Sache der paritätischen<br />

Kommissionen, für Kontrollen auf nationaler<br />

Ebene in ihrem Vollzugsbereich zu kämpfen. Ein Ziel von<br />

<strong>syndicom</strong> ist es insbesondere, mehr allgemeinverbindliche<br />

GAV abzuschliessen, vor allem in der Logistik.»<br />

Die Allgemeinverbindlicherklärung ist ein sozialpartnerschaftlicher<br />

Akt und setzt bestimmte Kriterien voraus.<br />

<strong>syndicom</strong> gibt damit Lösungen auf nationaler Ebene die<br />

Priorität. «Wir streben nicht rein kantonale Lösungen an»,<br />

sagt der <strong>syndicom</strong>-Präsident. «Mit der Festlegung von Referenzlöhnen<br />

in prekären Branchen durch kantonale oder<br />

nationale Lohnverträge werden nur Mindestbedingungen<br />

geregelt. Der beste Weg ist die Allgemeinverbindlicherklärung<br />

der GAV, da nur sie Kontrollen garantiert und den<br />

besten Schutz bietet», schliesst Daniel Münger und erklärt,<br />

dass <strong>syndicom</strong> zum Ziel hat, die Branchen, in denen<br />

die Gewerkschaft GAV-Partner ist, selbst zu kontrollieren.


Dossier<br />

Was wirklich hinter der<br />

Kündigungsinitiative der SVP steckt<br />

13<br />

Um Migration, EU und Souveränität geht es<br />

nicht: Die SVP greift mit der Kündigungsinitiative<br />

vielmehr Jobs, Löhne und Arbeitsbedingungen<br />

in der Schweiz frontal an.<br />

Text: Oliver Fahrni<br />

Bilder: Demir Sönmez und <strong>syndicom</strong><br />

Als die Schweiz im vergangenen März die Grenzen dichtmachte,<br />

um die Gesundheit der Bevölkerung vor dem<br />

Corona-Virus zu schützen, drohte die Gesundheitsversorgung<br />

des Landes zusammenzubrechen. Das ist paradox,<br />

hat aber eine simple Erklärung. 60 Prozent der Ärztinnen,<br />

Techniker und Pflegenden im Universitätsspital Genf<br />

sind Ausländer, darunter sehr viele Grenzgänger*innen.<br />

In der Uni-Klinik Basel, im Kantonsspital Aarau, sogar in<br />

Zürich, Lausanne und in St. Gallen verhält es sich ähnlich.<br />

Und 3000 Italienerinnen und Italiener fahren jeden Morgen<br />

ins Tessin, um dort die Bevölkerung medizinisch zu<br />

versorgen.<br />

Zwar durften Grenzgänger weiter einreisen, aber geschlossene<br />

Übergänge, Staus und Grenzkontrollen verlängerten<br />

die Arbeitswege hin und her bis auf 6 Stunden.<br />

Viele konnten sich nicht mehr bis zur Arbeitsstelle durchschlagen.<br />

«Unzumutbare Zustände», konstatierte Omar<br />

Gisler, der Sprecher des Kantonsspitals Baden, «so lässt<br />

sich kein normaler Betrieb aufrechterhalten.» Allein in<br />

seinem vergleichsweise kleinen Krankenhaus arbeiten<br />

140 Grenzgänger*innen.<br />

Hinter Mauern und Grenzen wütet die Seuche<br />

In offenen Gesellschaften und Wirtschaftsräumen sind<br />

Grenzen untaugliche Instrumente. Davon zeugen allein<br />

schon die 330 000 ausländischen Arbeitenden, die täglich<br />

in die Schweiz pendeln und die notwendig sind, um den<br />

Service public, den Tourismus, die Nahrungsmittelversorgung,<br />

die Industrie und das Gewerbe am Laufen zu halten<br />

– bis weit hinein in die Innerschweiz. Grenzen lösen keine<br />

Probleme, sie schaffen welche. Das Corona-Virus haben<br />

sie nicht aufgehalten, es hat sich weltweit verbreitet. Eklatantes<br />

Beispiel für das Versagen von Mauern und Abschottung<br />

sind die USA von Donald Trump, wo die Seuche fast<br />

ungebremst wütet. Einige europäische und asiatische<br />

Länder hingegen zeigen: Weit wirksamer sind eine hohe<br />

Ärztedichte, gut ausgebaute öffentliche Dienste, geringe<br />

Einkommens- und Vermögensunterschiede, solidarische<br />

Verhaltensformen und transparent handelnde Regierungen.<br />

Und der ökologische Zustand eines Territoriums.<br />

Wollt ihr<br />

den sozialen<br />

Crash?<br />

Vorgeschmack auf den 27. September<br />

So wirft die Corona-Krise ein Schlaglicht darauf, was der<br />

Schweiz droht, sollten die abstimmenden Bürger*innen<br />

am 27. September der SVP und ihrer Satellitenorganisation<br />

AUNS auf den Leim gehen. Ihre Kündigungsinitiative<br />

will die Personenfreizügigkeit mit Europa kappen. Damit<br />

würden alle bilateralen Abkommen mit der EU fallen.<br />

Die Fakten liegen auf dem Tisch: Sämtliche Ökonomen<br />

von Verstand, die Wirtschaftsverbände und sogar<br />

SVP-Unternehmer wie Peter Spuhler wissen, dass diese<br />

Initiative ein ökonomisches und soziales Desaster programmiert.<br />

Schotten wir uns von der EU ab, bricht der<br />

Wohlstand der Schweiz weg. Die Löhne würden rabiat<br />

sinken, viele Jobs würden wegbrechen, die AHV und die<br />

anderen Sozialversicherungen kämen ins Taumeln, unser<br />

Land wäre von Forschung, kulturellem Austausch und<br />

den gros sen EU-Programmen für Umwelt und Innovation<br />

abgeschnitten. Zehntausende junge Schweizer*innen<br />

wären von europäischen Bildungsprogrammen ausgeschlossen<br />

und wir müssten auf der Italienreise am Zoll<br />

von Chiasso stundenlang warten und Devisenerklärungen<br />

ausfüllen.<br />

Man braucht kein Nobelpreisträger zu sein, um diese<br />

Zusammenhänge zu verstehen. Die Schweiz liegt mitten<br />

in Europa, 70 % der Ausländer stammen aus Europa und<br />

wir verdienen zwei von drei Exportfranken mit der EU. Allein<br />

mit dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg<br />

tauschen wir ebenso viele Waren und Dienstleistungen<br />

wie mit den USA. Und das ist nur der wirtschaftliche Aspekt.<br />

Wer die Schweiz von 1940 mit der Schweiz von 2020<br />

vergleicht, der sieht, wie viel Zivilisiertheit, Weltoffenheit<br />

und Lebenskunst wir mit der Migration gewonnen haben.


14 Dossier<br />

Schotten wir uns von der EU ab, bricht der Wohlstand<br />

der Schweiz weg. Das Desaster wäre programmiert.<br />

Dumpfbräsig behauptet der Blocherclan in seiner<br />

schrägen Weltsicht, Europa brauche die Schweiz und werde<br />

deshalb schnell neue Abkommen ohne Personenfreizügigkeit<br />

schliessen. Das für die EU ungleich wichtigere<br />

Grossbritannien macht gerade die gegenteilige Erfahrung.<br />

Die ersten Folgen des Brexit sind so brutal, dass<br />

nicht einmal die Corona-Krise sie kaschieren kann.<br />

Alpen-Singapur<br />

Die Fakten sind so unbestritten, dass eigentlich nur eine<br />

Frage bleibt: Warum will die SVP, die sich selbst als die<br />

bessere Partei der Wirtschaft neben dem Freisinn definiert,<br />

die Schweiz an die Wand fahren? Warum will sie die<br />

bewährten, gut geregelten und meist freundlichen Beziehungen<br />

zu unseren Nachbarn beenden?<br />

Um Migration und «Masseneinwanderung», die sie als<br />

Grund für ihre Initiative angibt, geht es der SVP offensichtlich<br />

nicht, denn sie verspricht, die Wirtschaft bekomme<br />

weiterhin jede ausländische Arbeitskraft, die sie<br />

brauche. Das ist genau der Punkt. Nicht die Personenfreizügigkeit<br />

produziert die Immigration – die Zuwanderung<br />

wird so gut wie ausschliesslich von den Bedürfnissen der<br />

Unternehmen bestimmt. Zu Beginn der 1960er-Jahre lag<br />

der Ausländeranteil weit höher als heute und auch 1990,<br />

also lange vor der Personenfreizügigkeit, lebten in der<br />

Schweiz prozentual mehr Ausländer*innen. Jetzt rufen<br />

die Wirtschaftsverbände nach zusätzlicher Immigration,<br />

denn es fehlen Zehntausende Fachkräfte und jetzt kommen<br />

die geburtenschwachen Jahrgänge in Lehre und Job.<br />

Ist es in Wahrheit nicht die Einwanderung, was treibt<br />

die SVP dann wirklich an? Die bilateralen Verträge mit der<br />

EU stören die SVP-Millionäre und -Milliardäre, weil sie die<br />

Flankierenden Massnahmen, Lohnschutz und bessere Arbeitsbedingungen<br />

gebracht haben, also mehr Sicherheit<br />

und Wohlstand für die Arbeitenden. Die Nationalrätin,<br />

Konzernchefin und designierte Clanführerin Martullo-<br />

Blocher äussert regelmässig ihren Hass auf Gesamtarbeitsverträge,<br />

flankierende Massnahmen, Lohnkontrollen<br />

und Gewerkschaften.<br />

In der SVP ist das wie ein Mantra. Sie will zurück in die<br />

Schweiz der Kontingente und der Sonderstatute wie dem<br />

Saisonnier-Statut, also zurück in die Barackenschweiz<br />

rechtloser Arbeitender. Auch dabei zielen sie mehr auf die<br />

In- als die Ausländer: Unter dem Saisonnierstatut konnten<br />

die Löhne gedrückt werden, alle Löhne, auch und vor<br />

allem die Löhne der Inländer, Lohnkontrollen waren inexistent,<br />

die Gesamtarbeitsverträge blieben zahnlos. Damit<br />

haben die Bilateralen und die Flankierenden aufgeräumt.<br />

Martullo-Blocher und SVP-Banker wie Thomas Matter<br />

aber wünschen sich heute ein «Alpen-Singapur», wo ungeschützte,<br />

beliebig biegbare Arbeitende eine international<br />

Warum will die SVP<br />

die Schweiz<br />

an die Wand fahren?<br />

Was treibt sie an?<br />

operierende Oberschicht bedienen. Die SVP hat dem Freisinn<br />

längst den ersten Rang als Sozialdumper-Partei abgelaufen.<br />

In Wahrheit ist diese Initiative ein Grossangriff<br />

auf Schweizer Löhne und Jobs.<br />

Simple Sache<br />

Die Gewerkschaften fallen auf die nationalistische Propaganda<br />

der Rechtsextremen nicht mehr herein. Sie haben<br />

schon vor Jahrzehnten erkannt, dass nicht die ausländischen<br />

Kolleg*innen ihre Löhne drücken und ihre Jobs<br />

gefährden, sondern die Konzerne, und dass man das nur<br />

verhindern kann, wenn alle Arbeitenden in der Schweiz,<br />

egal mit welchem Pass, dieselben Rechte haben. Darum<br />

treten sie für die FlaM und die Bilateralen ein. So einfach<br />

ist die Sache.<br />

Alles zur Kündigungsinitiative:<br />

jobs-und-loehne.ch<br />

Fotoreportage<br />

Für diese Fotoreportage hat Demir Sönmez, Schweizer Fotograf<br />

mit armenischen/kurdischen Wurzeln, den paritätischen<br />

Kontrolleur José Abelenda bei Routinekontrollen auf einer<br />

Baustelle im Kanton Freiburg begleitet (alle Bilder stammen<br />

von Demir, ausser dem Foto auf Seite 13, das <strong>syndicom</strong> im<br />

Wallis aufgenommen hat). Demir, der häufig an Streiks oder<br />

Kundgebungen fotografiert, schätzte die gute Zusammenarbeit<br />

zwischen Kontrolleur und kontrollierten Personen.<br />

«Es hat mich gefreut, diese für mich neue Erfahrung am<br />

Arbeits platz zu machen. José unterhielt sich locker mit den<br />

Leuten über ihre Bedürfnisse, wollte wissen, ob sie unter<br />

sicheren Bedingungen arbeiten können, und hinterliess<br />

ihnen seine Kontaktangaben. Dabei herrschte eine fast<br />

freundschaft liche Atmosphäre», kommentiert der Fotograf.<br />

Für Demir Sönmez ist Fotografie ein wichtiger Teil des kollektiven<br />

Gedächtnisses. Seine Bilder sind mehrfach ausgezeichnet<br />

worden. Er besitzt einen Schweizer und einen internationalen<br />

Presseausweis, ist Mitglied von Reporter ohne<br />

Grenzen und der Internationalen Journalisten-Föderation.<br />

Die ganze Vielfalt seiner Arbeit: photographygeneva.com.


Kontrolltätigkeit in der Schweiz<br />

Um gegen Lohndumping vorzugehen, braucht es Kontrollen. Die Erfahrungen mit<br />

den Kontrollen im Rahmen der Flankierenden Massnahmen zeigen, dass Kontrollen<br />

wirken. 2019 wurden von den paritätischen und tripartiten Kommissionen 160 000<br />

Personen kontrolliert. Nur ein NEIN zur Begrenzungsinitiative bewahrt dieses<br />

Kontrollsystem, um das uns unsere Kolleg*innen in der EU beneiden.<br />

Wie viel wird kontrolliert?<br />

Jährliche Kontrollen der kantonalen paritätischen und tripartiten<br />

Kommissionen.<br />

ohne allgemeinverbindliche GAV allgemeinverbindliche GAV<br />

kantonal allgemeinverbindliche GAV Total gesetzliches Ziel<br />

50 000<br />

40 000<br />

Wie stark wird kontrolliert?<br />

Nicht allein eine hohe absolute Anzahl Kontrollen wirkt<br />

abschreckend, es muss auch ein hoher Prozentsatz von<br />

allen Betrieben/Personen kontrolliert werden. Der Anteil der<br />

kontrollierten Betriebe bzw. ausländischen Selbständigerwerbenden,<br />

die «Kontrollintensität», ist entscheidend für<br />

die Wirkung der Kontrollen.<br />

30 000<br />

20 000<br />

10 000<br />

Quelle: Seco<br />

0<br />

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 20<strong>18</strong> 2019<br />

Zielerreichung auf nationaler Ebene im Jahr 2019<br />

Branchen mit allgemeinverbindlichen GAV<br />

Branchen ohne allgemeinverbindliche GAV<br />

Anteil der kontrollierten Schweizer Arbeitsstätten<br />

7%<br />

8%<br />

8%<br />

Anteil der kontrollierten Entsandten<br />

26%<br />

Total<br />

29%<br />

34%<br />

Wie viele Verfehlungen werden durch die Kontrollen<br />

aufgedeckt?<br />

Die Notwendigkeit der Kontrollen zeigt sich auch am<br />

Anteil der festgestellten Lohnunterschreitungen an den<br />

gesamten Kontrollen. Ein wichtiger Indikator.<br />

Dumpinganteil Schweizer Arbeitgeber (Branchen ohne allgemeinverb. GAV)<br />

20<strong>18</strong><br />

2019<br />

Dumpinganteil ausländische Arbeitgeber (Branchen ohne allgemeinverb. GAV)<br />

20<strong>18</strong><br />

2019<br />

Quelle: Seco<br />

12%<br />

11%<br />

14%<br />

15%<br />

Anteil der kontrollierten meldepflichtigen Selbständigerwerbenden<br />

27%<br />

Quelle: Seco, Modell Egger, SEM<br />

32%<br />

40%<br />

Wo wird kontrolliert?<br />

Nicht überall wird gleich viel kontrolliert. Die Aufteilung unter<br />

den Kantonen wird von der Grösse des Arbeitsmarktes, der<br />

Anzahl grenzüberschreitender Dienstleistungserbringer und<br />

dem allgemeinen Einfluss der Personenfreizügigkeit auf die<br />

kantonalen Arbeitsmärkte bestimmt.<br />

Anzahl der Betriebskontrollen durch kantonale TPK und PK 2019 nach<br />

Region (bei Schweizer Unternehmen, bei Entsendebetrieben und bei<br />

Selbständigerwerbenden).<br />

Wie viel wird sanktioniert?<br />

Werden Verfehlungen festgestellt, können Bussen und<br />

Dienstleistungssperren erlassen werden. Für die Sanktionierung<br />

sind die kantonalen Behörden verantwortlich.<br />

5000<br />

4500<br />

4000<br />

3500<br />

3000<br />

2500<br />

2000<br />

1500<br />

1000<br />

500<br />

0<br />

Anzahl Bussen<br />

Total rechtskräftige Sanktionen<br />

Quelle: ReSa-Liste des Seco<br />

Anzahl Dienstleistungssperren<br />

2014 2015 2016 2017 20<strong>18</strong> 2019<br />

Betriebskontrollen tripartit<br />

TI<br />

ZH<br />

GE<br />

VD<br />

BE<br />

AG<br />

VS<br />

LU<br />

BS<br />

FR<br />

GR<br />

BL<br />

NE<br />

SG<br />

SO<br />

TG<br />

SZ<br />

JU<br />

SH<br />

UR/OW/NW<br />

ZG<br />

AR/AI<br />

GL<br />

Quelle: Seco<br />

2 836<br />

2608<br />

1962<br />

1727<br />

1551<br />

1 504<br />

1 402<br />

1 306<br />

1 306<br />

1 203<br />

1 121<br />

1 115<br />

921<br />

606<br />

562<br />

534<br />

433<br />

329<br />

174<br />

149<br />

Betriebskontrollen paritätisch<br />

4 600<br />

4106<br />

7 592


16<br />

Eine bessere<br />

Arbeitswelt<br />

Meine Ideen gehören dir<br />

nicht!<br />

Du gibst deine Arbeitszeit und erhältst dafür<br />

einen Lohn. Doch die Verwischung der Grenzen<br />

zwischen Arbeit und Freizeit führt dazu, dass der<br />

Arbeitgeber sogar einen Anspruch an das stellt,<br />

was in der Freizeit gemacht wird oder noch vor<br />

dem Arbeitsverhältnis getan wurde. Konkret<br />

sieht man dies bei den Rechten am geistigen<br />

Eigentum. Unternehmen in der IT-Branche versuchen<br />

via weitschweifende Vertragsklauseln,<br />

sich ein Recht auf das zu sichern, was irgendwann<br />

einmal Profit abwerfen könnte.<br />

Bei der Entwicklung von Software und Algorithmen<br />

geht der Widerspruch zwischen Arbeit<br />

und Kapital, zwischen Allgemeinwohl und<br />

Privat interesse aber noch viel weiter: Was ist,<br />

wenn die Maschinen mit hoher Rechenleistung<br />

im Eigentum weniger multinationaler Konzerne<br />

sind? Erfindungen und Ideen, die eigentlich der<br />

Allgemeinheit dienen sollen, gehen automatisch<br />

in den Besitz der privaten Monopolisten<br />

über. Diese Monopole können nur beschränkt<br />

gesellschaftlich, demokratisch kontrolliert werden.<br />

Darum müssen wir dafür sorgen, dass die<br />

Arbeitnehmenden in IT-Berufen freier über ihre<br />

Rechte am geistigen Eigentum verfügen dürfen,<br />

so wie die Resolution des Sektors ICT zu den<br />

«IP Rights» es vorsieht.<br />

Miriam Berger<br />

Die Arbeitnehmenden in IT-Berufen sollen freier über ihre Rechte verfügen dürfen.<br />

<br />

(© Fotomelia)<br />

Hier die Resolution von <strong>syndicom</strong> ICT:<br />

Bit.ly/3hHrYg5<br />

Gewinne privat,<br />

Verluste dem Staat ...<br />

Marco Geissbühler,<br />

Regionalsekretär Medien<br />

Im Frühling dieses Jahres leisteten die<br />

Angestellten der Schweizer Illustrierten<br />

noch Kurzarbeit in der Hoffnung,<br />

dadurch Entlassungen zu verhindern.<br />

Doch vergeblich: Nun stehen sie trotzdem<br />

auf der Strasse. 35 Medienschaffende<br />

entlässt der Medienkonzern<br />

Ringier Axel Springer. Neben der SI<br />

sind auch die Angestellten der Mode<strong>magazin</strong>e<br />

Style und Bolero betroffen.<br />

Beide Titel werden ganz eingestellt.<br />

Bei Kurzarbeit zahlt die Arbeitslosen<br />

kasse – sprich: die öffentliche<br />

Hand – einen Teil der Löhne. Ziel ist,<br />

durch diese Unterstützung Entlassungen<br />

zu verhindern. Die Steuergelder<br />

nahm Ringier Axel Springer zwar gerne<br />

entgegen. Die Leute stellen sie nun<br />

gleichwohl auf die Strasse.<br />

Ringier Axel Springer ist ein gemeinsames<br />

Projekt von zwei lukrativen<br />

Konzernen: Ringier wies 2019 einen<br />

Gewinn von über 100 Millionen aus,<br />

Axel Springer sogar über 600 Millionen<br />

Franken. Auch mit Kurzarbeit<br />

streichen erfolgreiche Unternehmen<br />

umgehend Stellen ab, wenn es sich<br />

lohnt. Manager funktionieren oft<br />

nach der Logik «Die Gewinne privat,<br />

die Verluste dem Staat».<br />

Das muss die Politik berücksichtigen,<br />

wenn sie Steuergeld an Grosskonzerne<br />

verteilt. Bund und Kantone müssen<br />

öffentliche Finanzierung immer<br />

mit Auflagen verknüpfen, damit diese<br />

Mittel auch ihren Zweck erfüllen. Nur<br />

so landet das Geld schlussendlich am<br />

richtigen Ort.


«Die Vereinbarung von Lugano zeigt einmal mehr die Erfolge eines<br />

geschlossenen und koordinierten Vorgehens.» Giovanni Valerio<br />

17<br />

Nicht eine einzige<br />

Stunde kostenlos<br />

Es ist nie angenehm (oder auch nur<br />

legitim), wenn man gesagt bekommt,<br />

dass man umsonst gearbeitet hat.<br />

Man kann sich daher den Ärger und<br />

die Enttäuschung der PostAuto-Chauffeur*innen<br />

des Teams 3 der Regie in<br />

Lugano vorstellen, als sie erfuhren,<br />

dass sie einen Teil ihrer Überstunden<br />

kostenfrei aufgeben sollten. Aber der<br />

Reihe nach.<br />

Das Virus ist keine Entschuldigung<br />

Im November 2019 übernahm Post­<br />

Auto die Strecken von IA Capriasca<br />

Servizi, deren Fahrer Überstunden angesammelt<br />

hatten. Die Chauffeur*innen<br />

beauftragten <strong>syndicom</strong> mit Verhandlungen,<br />

um zu verhindern, dass<br />

diese Stunden durch eine Zuteilung<br />

von Kurzschichten «verloren» gingen.<br />

Kurz darauf kam Covid-19. Um die<br />

Stunden auf das Ferienkonto zu übertragen,<br />

stellte PostAuto die Bedingung,<br />

dass ein Drittel der Überstunden<br />

kostenlos übertragen werden<br />

sollte, um den virusbedingten Arbeitsausfall<br />

auszugleichen. <strong>syndicom</strong> verlangte<br />

stets, dass das Team 3 wie die<br />

anderen Niederlassungen von Post­<br />

Auto behandelt werden sollte: Es ist<br />

Sache der Chauffeur*innen, zu entscheiden,<br />

ob diese Stunden zur Verfügung<br />

gestellt werden oder nicht.<br />

Ein Drittel der Überstunden wird sofort bezahlt,<br />

der Rest kann kompensiert werden.<br />

Eine befriedigende Vereinbarung<br />

Nach wochenlangen Verhandlungen<br />

wurde eine Einigung erzielt: Ein Drittel<br />

der Überstunden wird sofort mit<br />

dem Gehalt bezahlt, zwei Drittel werden<br />

als Kompensationstage betrachtet,<br />

die bis Ende 2020 im Einvernehmen<br />

zugeteilt werden müssen. Sollte<br />

ein positiver Saldo bleiben, verbleibt<br />

er bei den Chauffeur*innen. Nicht<br />

eine Stunde wurde kostenlos abgegeben.<br />

Eine Vereinbarung, die die<br />

Arbeitnehmer zufriedenstellt und einmal<br />

mehr die Ergebnisse eines<br />

geschlossenen und koordinierten<br />

Vorgehens der Gewerkschaft zeigt.<br />

Giovanni Valerio<br />

«Personal aufstocken bei PL»:<br />

Wie gemeinsames Handeln wirkt<br />

PL zirka 400 neue Mitarbeitende unbefristet<br />

eingestellt. Etliche temporär<br />

arbeitende Kolleg*innen wurden fest<br />

angestellt. Weitere 150 Stellen sollten<br />

noch dazu kommen.<br />

Stammbelegschaft schuftete<br />

ohne Ende<br />

In der Covid-19-Krise bestellten Frau<br />

und Herr Schweizer ihre Ware übermässig<br />

per Mausklick. Das Paketvolumen<br />

in den Distributionsbasen der<br />

Post schoss in die Höhe. Spitzen, wie<br />

sie nicht mal im Weihnachtsgeschäft<br />

erreicht werden, wurden zum Alltag<br />

für die Kolleginnen und Kollegen bei<br />

PostLogistics (PL). Und weil das unmittelbar<br />

und ungeplant eintraf,<br />

schuftete die Stammbelegschaft. Sie<br />

leisteten Überstunden, es zerrte an ihren<br />

Kräften. Das betraf sowohl die Sortierung<br />

wie auch die Zustellung. Doch<br />

hatte man den Eindruck, die Vorgesetzten<br />

unternähmen nichts, um das<br />

Personal zu entlasten – ihre Anliegen<br />

und Klagen wurden nicht erhört. Also<br />

startete <strong>syndicom</strong> im Mai die Petition<br />

«Personal aufstocken bei PL». Innerhalb<br />

weniger Wochen unterzeichneten<br />

sie über 500 Kolleginnen und Kollegen.<br />

Mehr Personen fest angestellt<br />

Die Forderungen der Petitionär*innen<br />

trug der Sektorleiter Matteo Antonini<br />

den Post-Verantwortlichen vor.<br />

Und es hat sich gelohnt, etwas Druck<br />

aufzusetzen: Vordrängendstes Anliegen<br />

war – wie der Name der Petition<br />

schon sagt – die Erhöhung des festange<br />

stellten Personalbestands.<br />

Anstatt Spitzen mit Leihpersonal<br />

aufzufangen,<br />

sollte die Anzahl Festangestellte<br />

erhöht werden.<br />

So kann die Arbeitsbelastung<br />

langfristig gesenkt<br />

werden. Diese Forderung<br />

ist durchgedrungen: Binnen<br />

weniger Wochen hat<br />

Die Petition der Angestellten<br />

hat eine Veränderung erreicht.<br />

(© Post)<br />

Freizeitausgleich der Überstunden<br />

Auch andere, weiterführende Forderungen<br />

des Personals, welche auf dieser<br />

temporären Überbelastung während<br />

des Corona-Lockdowns fussten,<br />

setzte die Leitung von PL in der Folge<br />

um. So stellte sie raschestmöglich wieder<br />

auf eine 5-Tage-Woche um. Entlastung<br />

bei den Volumen von PL schaffte<br />

die engere Zusammenarbeit mit der<br />

Briefverarbeitung von PostMail. Das<br />

strapazierte Personal von PL verlangte<br />

eine Umwandlung der geleisteten<br />

Überstunden in Ferientage, die so<br />

bald wie möglich bezogen werden<br />

können. Die Angestellten müssen sich<br />

von der Arbeitslast erholen. Auch da<br />

hat die PL-Leitung zugesichert, dass<br />

Mehrzeiten grundsätzlich mit Freizeit<br />

kompensiert würden.<br />

Bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet<br />

blieb die Forderung nach einer<br />

Aufwertung verschiedener beruflicher<br />

Funktionen. Unabhängig davon zeigt<br />

sich: Einmal mehr haben die Angestellten<br />

im Kollektiv ihre Anliegen vortragen<br />

müssen, um eine Veränderung<br />

zu bewirken – und es hat gewirkt.<br />

Matthias Loosli<br />

Der Wortlaut der Petition auf <strong>syndicom</strong>.ch:<br />

Bit.ly/2PHhZLQ


<strong>18</strong><br />

Arbeitswelt<br />

«Das Gefälle ist enorm. Über die Hälfte der Freischaffenden<br />

sind auf Zusatzverdienste angewiesen.» Dore Heim, SGB<br />

Im Journalismus werden die<br />

Lohnunterschiede grösser<br />

Der tiefgreifende Strukturwandel in der Medienbranche hat<br />

auch Folgen für die Arbeitsbedingungen und Löhne. Eine neue<br />

Studie liefert jetzt Zahlen.<br />

Nicht nur die Medien selbst, auch die<br />

Löhne haben sich über die letzten Jahre<br />

gewandelt. Die letzte Erhebung der<br />

Medienverbände zur Einkommenssituation<br />

geht jedoch auf 2006 zurück.<br />

Deshalb haben <strong>syndicom</strong>, SSM, der<br />

Verband der Fachjournalisten SFJ-AJS<br />

und der Gewerkschafts bund SGB eine<br />

neue Studie lanciert. Nun liegen die<br />

repräsentativen Resultate vor: 1190<br />

Medien schaffende haben an der Online-Umfrage<br />

teilgenommen. Mit Februar<br />

2020 als Referenzmonat sind Einkommenseinbrüche<br />

aufgrund der<br />

Corona-Pandemie ausgeklammert.<br />

Doch die Studie zeigt: Bereits vorher<br />

war die Situation prekär.<br />

Freie und Frauen verdienen weniger<br />

Am meisten verschärft hat sich die Situation<br />

von Freischaffenden: Lag das<br />

Bruttomonatseinkommen 2006 bei<br />

6978 Franken, sind es heute nur noch<br />

5600 Franken. Zudem ist die Bandbreite<br />

gross: Das unterste Viertel verdient<br />

im Schnitt gerade einmal 4000<br />

Franken. «Das Gefälle ist enorm. Über<br />

die Hälfte der Freischaffenden gab an,<br />

auf Zusatzverdienste angewiesen zu<br />

sein», sagt Dore Heim, Studienleiterin<br />

und Zentralsekretärin SGB. «Heute<br />

sind die meisten Freischaffenden vom<br />

empfohlenen Mindestansatz von 5<strong>18</strong><br />

Franken pro Tag weit entfernt», sagt<br />

auch Marco Geissbühler, Regionalsekretär<br />

Medien bei <strong>syndicom</strong>. Den<br />

Grund sieht er auch in der zunehmenden<br />

Konzentration der Arbeitgeber:<br />

«Freischaffende können ihren Lohn<br />

kaum verhandeln, da es wenig Alternativen<br />

gibt.» Am meisten überrascht<br />

hat Geissbühler die hohe Geschlechterungleichheit:<br />

«Auf den ersten Blick<br />

scheint sich die Lohndifferenz verringert<br />

zu haben, doch in gewissen Branchen<br />

ist sie eklatant: Im Printbereich<br />

verdienen Frauen immer noch bis zu<br />

800 Franken weniger als Männer, im<br />

privaten Radio und TV gar bis zu 1670<br />

Franken!» Ein Mindestlohn sei dringend<br />

nötig, damit der Spielraum für<br />

Diskriminierung kleiner werde.<br />

«Ein GAV wirkt stabilisierend»<br />

In der Tat sind die Lohnunterschiede<br />

dort, wo ein Gesamtarbeitsvertrag<br />

(GAV) besteht, weniger ausgeprägt,<br />

bestätigt Studienleiterin Heim: «Ein<br />

GAV wirkt stabilisierend, insbesondere<br />

bei den tiefen Löhnen.» Dies zeige<br />

Differenz Medianlohn<br />

Mann – Frau<br />

Online-<br />

Publikationen 320<br />

Zeitungen/<br />

Zeitschriften 812<br />

Öffentliches<br />

TV/Radio* 160<br />

Privates<br />

TV/Radio 1673<br />

Fachzeitschriften<br />

443<br />

*mit GAV für die gesamte Schweiz<br />

die Romandie, die einzige Region der<br />

Schweiz mit einem GAV mit den Verlegern.<br />

Dort gilt ein Einstiegslohn von<br />

5843 Franken – rund 500 Franken höher<br />

als die tiefsten Löhne im Rest der<br />

Schweiz, wo es seit 2004 keinen GAV<br />

mehr gibt. Genau darin sieht Geissbühler<br />

das Problem: «Der Ball liegt bei<br />

den Arbeitgebern, die seit nunmehr 15<br />

Jahren die Erneuerung eines GAV für<br />

die Deutschschweiz und das Tessin<br />

verweigern.»<br />

Auffallend ist auch die pessimistische<br />

Zukunftseinschätzung der Befragten,<br />

und zwar unabhängig von GAV, Lohn<br />

oder Medientypus: Über 90 Prozent<br />

schätzen die Chancen, wieder eine<br />

gleichwertige Stelle zu finden, als<br />

schlecht ein. Positiv überrascht hat<br />

Heim und Geissbühler die hohe Leidenschaft<br />

für den Beruf: 90 Prozent<br />

gaben an, dass sie ihre Arbeit als spannend<br />

und sinnstiftend empfinden.<br />

Geissbühler: «Dieser Enthusiasmus<br />

sollte von Verlegerseite mehr geschätzt<br />

und vor allem anständig honoriert<br />

werden.» <br />

Eva Hirschi<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/Medienumfrage2020<br />

Lohnvergleich<br />

mit – ohne GAV<br />

<br />

Monatslohn in Franken<br />

höchste Einkommen mit GAV 95<strong>18</strong><br />

ohne GAV 9500<br />

hohe Einkommen mit GAV 8700<br />

ohne GAV 8300<br />

mittlere Einkommen mit GAV 7756<br />

ohne GAV 6947<br />

tiefe Einkommen mit GAV 6874<br />

ohne GAV 5524<br />

tiefste Einkommen mit GAV 6000<br />

ohne GAV 3907<br />

Links: Das Lohngefälle ist besonders stossend in der Printpresse und bei den Privatsendern.<br />

Es handelt sich um monatliche Zahlen. Rechts: Gesamtarbeitsverträge lohnen sich. (Zahlen aus der Studie)<br />

Ein kollektiver Erfolg:<br />

Die Zoogler wirken mit<br />

Seit Juni dieses Jahres haben die Mitarbeitenden<br />

von Google in Zürich – die<br />

«Zoogler» – eine gewählte Personalvertretung.<br />

Mit viel Elan und Ausdauer<br />

haben Google-Mitarbeitende gemeinsam<br />

für eine Personalvertretung gekämpft<br />

und waren nun erfolgreich.<br />

Die neu geschaffenen Strukturen<br />

ermöglichen eine effektivere Mitbestimmung<br />

im Unternehmen. Dass es<br />

Anliegen unter den Beschäftigten bei<br />

Google gibt, die sich nicht einfach von<br />

allein lösen, zeigen auch die «Walkouts»<br />

(Protestkundgebungen) der letzten<br />

Jahre.<br />

Und dass Zürich nun eine Personalvertretung<br />

hat, ist besonders auch<br />

für die anderen Google-Standorte und<br />

für die Branche wichtig: Die Signalwirkung<br />

ist gross, und es wird anderen<br />

Beschäftigten Mut machen, sich ebenfalls<br />

zu organisieren.<br />

Klar ist jedoch, dass nur ein Gesamtarbeitsvertrag<br />

und eine tatsächlich<br />

gelebte Sozialpartnerschaft die<br />

Mitsprache der Mitarbeitenden noch<br />

besser garantieren können.<br />

Wir unterstützten die Mitarbeitenden<br />

bei Google Zürich in diesem Prozess<br />

und stehen den Mitarbeitenden<br />

auch weiterhin beratend zur Seite.<br />

Denn nun geht es darum, dass die<br />

geschaffe nen Rahmenbedingungen<br />

auch tatsächlich Wirkung entfalten<br />

können.<br />

Miriam Berger<br />

Ausführlicher Bericht auf unserer Website:<br />

Bit.ly/2PlS8ca


Politiker wie Ruedi Noser spekulieren darauf, per Digitalisierung<br />

‹20 bis 30 %› der Stellen im Service public zu streichen. Oliver Fahrni<br />

19<br />

Was macht Swisscom in Riga?<br />

Swisscom baut in Riga ein Zentrum für Softwareentwicklung<br />

auf. Was treibt den Konzern in den hohen Nordosten Europas?<br />

Die Auslandsverlagerungen der Swisscom<br />

gehen weiter. Nach Rotterdam eröffnet<br />

sie nun auch in der lettischen<br />

Hauptstatdt Riga ein sogenanntes<br />

Dev Ops-Center. DevOps ist eine Methode<br />

für schnelle, hochspezialisierte<br />

Software-Entwicklungen und Anwendungen,<br />

etwa die Vernetzung von<br />

Clouds. Offizielle Begründung der<br />

Swisscom: «Uns gelingt es nicht, genügend<br />

DevOps-Fachkräfte in der<br />

Schweiz zu rekrutieren.»<br />

Lettland meldet ebenfalls<br />

Fachkräftemangel<br />

Doch seltsam: Lettland (2 Millionen<br />

Einwohner) meldet selbst einen akuten<br />

Notstand an IT-Fachkräften. Das<br />

Land ist mit einer rasenden Aufholjagd<br />

gerade dabei, den Nachbarn<br />

Estland zu überflügeln. Das kleine<br />

Estland (1,3 Millionen Einwohner,<br />

Hauptstadt Tallinn) gilt als Riese der<br />

Digitalisierung. Sämtliche Bewohner*innen<br />

sind mit einer elektronischen<br />

ID erfasst und mit einer entsprechenden<br />

Chip-Karte versehen.<br />

Zugang zu Service-public-Dienstleistungen<br />

haben sie nur mit dieser Karte.<br />

Sie speichert alles: Identität, Ausbildung,<br />

Strafregister, Patientendaten,<br />

Steuerdaten etc. Verwaltung, Politik<br />

und Medizin sind weitgehend digitalisiert,<br />

die Esten wählen ihr Parlament<br />

im E-Voting. Künftig soll ein Algorithmus<br />

sogar Gerichtsurteile sprechen.<br />

Riesenprobleme beim Datenschutz<br />

Klar, schafft die digitale Vollerfassung<br />

der Menschen enorme Probleme beim<br />

Datenschutz. Als sich die EU-Regierungschefs<br />

im Herbst 2017 zum «Digitalgipfel»<br />

in Tallinn trafen, mussten<br />

wegen einer Sicherheitslücke die<br />

ID-Karten von 800 000 Esten gesperrt<br />

werden – ein GAU. In der EU beobachtet<br />

man mit wachsender Sorge die<br />

digitale Aushebelung demokratischer<br />

Grundrechte – und pfiff die Balten<br />

schon mehrmals zurück.<br />

Nach Rotterdam entsteht nun in Riga ein zweites DevOps-Center. (© Swisscom)<br />

Ist das Baltikum ein geeignetes<br />

Vorbild für die Schweiz?<br />

Dennoch gelten Estland und Lettland<br />

Schweizer Digitalisierungsturbos als<br />

Vorbilder. Kein Monat vergeht, ohne<br />

dass eine Regierungs- oder Wirtschaftsdelegation<br />

ins Baltikum reist.<br />

Experten wie der frühere estnische<br />

Chefdigitalisierer Taavi Kotka geben<br />

in Bern den Ton an. Jetzt spekulieren<br />

bürgerliche Politiker wie der Zürcher<br />

Freisinnige Ruedi Noser darauf, per<br />

Digitalisierung «20 bis 30 Prozent» der<br />

Stellen im Service public zu streichen.<br />

Da möchte Swisscom doch an vorderster<br />

Front mit dabei sein.<br />

Oliver Fahrni<br />

Mehr zum Thema auf <strong>syndicom</strong>.ch:<br />

Bit.ly/3j8ig7b<br />

Die Selbständigen<br />

verschaffen sich<br />

politisches Gehör<br />

Michael Moser,<br />

Zentralsekretär Sektor Medien<br />

Hätte mir anfangs Jahr jemand gesagt,<br />

dass im Sommer über eine Sondersession<br />

zu den Problemen der Selbständigen<br />

diskutiert wird und dass der<br />

Bundesrat zwei Milliarden an Unterstützungsgeldern<br />

gesprochen haben<br />

wird, hätte ich das kaum geglaubt. Seit<br />

Jahren engagiert sich <strong>syndicom</strong> für<br />

die Anliegen der Selbständig erwerben<br />

den, und über tausend unserer<br />

Mitglieder verdienen ihren Lebensunterhalt<br />

unterdessen als Freie oder<br />

Selbständige – Tendenz steigend.<br />

Es ist nicht so, dass die Corona-<br />

Pandemie eine heile Welt zum Einsturz<br />

gebracht hätte. Vielmehr sind<br />

viele Probleme, etwa was man tun<br />

kann, wenn einem plötzlich Aufträge<br />

wegbrechen oder einfach keine neuen<br />

mehr reinkommen, allen Selbständigen<br />

bekannt. Mit Corona wurde aus<br />

diesem individuellen Problem jedoch<br />

plötzlich ein kollektives. Und nun<br />

scheint es, als hätten endlich auch Gesellschaft<br />

und Politik realisiert, dass<br />

Handlungsbedarf besteht. Die Illusion,<br />

dass alle Selbständigen so viel verdienen,<br />

dass es keine soziale Absicherung<br />

braucht, ist definitiv vom Tisch.<br />

Jetzt müssen Lösungen gesucht<br />

werden. <strong>syndicom</strong> wird sich aktiv einbringen,<br />

wie diese ausgestaltet werden<br />

sollen. Mit der Unterstützung von<br />

SP-Nationalrätin Mattea Meyer, die im<br />

Parlament unglaublich stark für die<br />

Anliegen unserer Mitglieder und die<br />

weiteren Selbständigen gekämpft hat,<br />

ist der Grundstein für eine starke Vertretung<br />

der Selbständigen auch in der<br />

Politik gelegt.


20 Arbeitswelt<br />

«Die Flankierenden Massnahmen schützen gerade auch<br />

junge Menschen vor zunehmender Prekarisierung.» Dominik Fitze<br />

Junge Allianz gegen die<br />

Kündigungsinitiative<br />

Die altbekannte Abschottungs politik, die zum<br />

27. September wieder ausgelüftet wird,<br />

bekommt Gegenwind von den Jungen:<br />

Das Jugendkomitee für eine offene Schweiz tritt ein<br />

für Offenheit, Solidarität und gegenseitigen Respekt!<br />

Die Kündigungsinitiative bedroht den<br />

Wohlstand von uns allen. Gerade<br />

junge Arbeitnehmende sind oft von<br />

prekärer Arbeit betroffen: Unbezahlte<br />

oder schlecht bezahlte Praktika, Temporärverträge<br />

oder Teilzeitarbeit sind<br />

die Realität vieler junger Menschen in<br />

diesem Land. Die flankierenden Massnahmen<br />

mit Mindestlöhnen, GAV und<br />

Lohnkontrollen schützen auch und<br />

gerade junge Menschen vor zunehmender<br />

Prekarisierung ihrer Arbeit.<br />

Dominik Fitze ist Zentralsekretär Jugend.<br />

Er ist Co-Präsident der SGB-Gewerkschaftsjugend<br />

und arbeitet im Jugendkomitee für eine offene<br />

Schweiz mit.<br />

Austauschstudium gefährdet<br />

Gleichzeitig bedroht die Initiative<br />

auch die Hochschulbildung. Studieren<br />

im Ausland würde stark eingeschränkt,<br />

die Teilnahme am Studierendenaustauschprogramm<br />

Erasmus<br />

– von dem übrigens auch Berufslernende<br />

profitieren können – wäre<br />

kaum mehr denkbar.<br />

Das Jugendkomitee für eine offene,<br />

solidarische, interkulturelle Schweiz<br />

Um im Abstimmungskampf Position<br />

zu beziehen, hat sich eine breite<br />

Allianz von Jugendverbänden im Jugendkomitee<br />

für eine offene Schweiz<br />

(JKOS) zusammengefunden. «Die<br />

Kündigungsinitiative bedroht uns<br />

alle. Deshalb sind wir sehr froh über<br />

diese Zusammenarbeit», sagt Kathrin<br />

Ziltener, Co-Präsidentin der SGB-<br />

Jugendkommission. «Die Vorteile der<br />

Personenfreizügigkeit und der Flankie<br />

renden Massnahmen für junge Berufsleute<br />

müssen wir deshalb gemeinsam<br />

aufzeigen.»<br />

Im Komitee arbeitet die Gewerkschaftsjugend<br />

beispielsweise mit dem<br />

Dachverband der Jugendverbände,<br />

dem Studierendenverband und der<br />

youngCaritas zusammen.<br />

Geplant ist eine Social-Media-<br />

Kam pagne im Abstimmungskampf.<br />

«Junge können dort am besten erreicht<br />

werden», ist Jean-Claude Barandun,<br />

Sekretär der JKOS, überzeugt.<br />

«Die Kampagne vereint Interessen der<br />

Studierenden und Arbeitnehmenden.<br />

Das muss im Abstimmungskampf zu<br />

Wort kommen. Deshalb haben wir<br />

uns zu dieser Allianz zusammengefunden.»<br />

Damit die SVP nicht die einzige<br />

hörbare Stimme bleibt<br />

Das Jugendkomitee setzt sich für eine<br />

offene, interkulturelle und solidarische<br />

Schweiz ein. Der bilaterale Weg,<br />

die europäische Mobilität und die<br />

guten Arbeitsbedingungen sind eine<br />

Investition in die Zukunft der Schweiz.<br />

Darauf will das Komitee im Abstimmungskampf<br />

hinweisen – eine Botschaft,<br />

die hinter der lauten SVP-Propaganda<br />

sonst untergehen könnte.<br />

Dominik Fitze<br />

Mehr:<br />

jugendkomitee.ch/<br />

Aufbruchstimmung bei<br />

Presto: nun kollektive<br />

Lohnverhandlungen<br />

Die bei <strong>syndicom</strong> organisierten Frühzusteller*innen<br />

haben sich an ihrer<br />

Delegiertenversammlung (DV) neu<br />

aufgestellt, um sich auf die ersten kollektiven<br />

Lohnverhandlungen bei Presto<br />

vorzubereiten. Dieses Recht haben<br />

sich die Presto-Mitarbeitenden mit<br />

dem neuen Gesamtarbeitsvertrag gesichert.<br />

Die Lohnforderung setzt sich zusammen<br />

aus einer generellen Lohnerhöhung,<br />

einer Corona-Prämie für Verträger*innen,<br />

welche während Corona<br />

zusätzliche Touren auf sich genommen<br />

haben, und einer Mindestlohnerhöhung.<br />

Wichtig für die Schlagkraft der Personalkommissionen<br />

(PeKo) ist ihre<br />

Vernetzung über alle Standorte hinweg.<br />

Der nationale Firmenvorstand<br />

und die Delegiertenversammlung<br />

wurden daher neu zusammengesetzt.<br />

Vernetzung schafft stärkere PeKos<br />

und eine stärkere Gewerkschaft<br />

Die Präsidien der PeKos bilden den<br />

nationalen Firmenvorstand Presto.<br />

Die PeKo-Mitglieder aller Standorte<br />

bilden ihrerseits die Delegiertenversammlung<br />

Presto. Frisch dabei sind<br />

nun auch die PeKo-Mitglieder des<br />

Standortes Bern, womit <strong>syndicom</strong> nun<br />

über alle Presto-Standorte mit der<br />

PeKo vernetzt ist.<br />

Alle Delegierten bei Presto sind nun<br />

in der Gewerkschaft engagiert<br />

Verhandlungsführerin und Zentralsekretärin<br />

Sheila Winkler zeigt sich für<br />

die Lohnverhandlungen optimistisch:<br />

«In kürzester Zeit konnten wir sämtliche<br />

PeKo-Mitglieder aller Standorte<br />

für uns gewinnen und die Zusammensetzung<br />

unserer Gremien danach ausrichten.<br />

Die neue Presto-DV besteht<br />

nun aus engagierten und vernetzten<br />

Gewerkschafter*innen. Ich bin überzeugt,<br />

dass wir ein gutes Lohnergebnis<br />

erreichen werden.»<br />

Christian Capacoel


«Das Beispiel von Oerlikon zeigt auf, dass man gemeinsam<br />

erfolgreich sein kann.» Dominik Dietrich<br />

21<br />

Stoppt sämtliche Auslagerungen<br />

von Postdiensten an Dritte!<br />

Die Mitarbeitenden der Distributionsbasis Oerlikon organisierten<br />

die Übergabe einer Petition – 99 % hatten unterschrieben.<br />

Im letzten Magazin haben wir euch<br />

Mujo Mujagic, Davide Ramundo,<br />

Andreas Käser und Marwan Ismaili<br />

von der Paketbasis Oerlikon vorgestellt.<br />

Aufgrund der anhaltenden Unzufriedenheit<br />

der Mitarbeitenden<br />

fassten die vier Kollegen den Entscheid,<br />

sich gemeinsam mit <strong>syndicom</strong><br />

gegen die Auslagerungsstrategie, die<br />

dort seit mehreren Jahren betrieben<br />

wird, zu wehren. Mit der Auslagerung<br />

von Postdiensten umgeht die Paketbasis<br />

Oerlikon die Mindeststandards,<br />

die im GAV Post CH festgehalten und<br />

sozialpartnerschaftlich vereinbart<br />

wurden: denn Subunternehmen sind<br />

nicht verpflichtet, sich an die Bestimmungen<br />

des GAV zu halten.<br />

99 % haben unterzeichnet<br />

Innerhalb weniger Tage unterschrieben<br />

99 % der Mitarbeitenden die Petition<br />

«Das ist die falsche Medizin:<br />

Stoppt sämtliche Auslagerungen von<br />

Postdienstleistungen an Dritte!»<br />

Durch den wachsenden Druck der Belegschaft<br />

erfolgte bereits am 25. Mai<br />

ein Gespräch zwischen der Standortleitung,<br />

der designierten Peko und<br />

<strong>syndicom</strong>. Obwohl es zu ersten Zugeständnissen<br />

seitens der Leitung kam,<br />

wünschten sich die Mitarbeitenden<br />

der Paketbasis Oerlikon trotzdem eine<br />

Übergabe der Petition. So organisierten<br />

wir für den Montag, 15. Juni, eine<br />

Protestaktion. Sämtliche Mitarbeitenden,<br />

die früh am Morgen vor Ort waren,<br />

nahmen an unserer Aktion und<br />

der Übergabe teil. Davide Ramundo<br />

und Dominik Dietrich unterstrichen<br />

in einer Ansprache die gestellten Forderungen<br />

und bedankten sich für das<br />

grosse Engagement. Herr Gräzer, Leiter<br />

der Paketbasis, nahm die Petition<br />

entgegen und versicherte, dass man<br />

die Forderungen nicht nur ernst nehmen,<br />

sondern auch umsetzen wird.<br />

Anzahl Subunternehmen reduziert<br />

Mittlerweile läuft der offizielle Wahlprozess<br />

für die Implementierung einer<br />

Peko. Zudem erhielten wir eine<br />

Zusiche rung, dass man die Anzahl<br />

Subunternehmen erheblich reduzieren<br />

und künftige Touren mit Postpersonal<br />

besetzen will. Das Beispiel Oerlikon<br />

zeigt auf, dass man gemeinsam<br />

erfolgreich sein kann. Dank einzelner<br />

engagierter Mitglieder ist es uns gelungen,<br />

den Organisationsgrad massiv<br />

zu erhöhen. Zudem können die<br />

Kollegen künftig ihr Mitwirkungsrecht<br />

als offiziell gewählte Peko wahrnehmen<br />

und so für die Interessen der<br />

Mitarbeitenden einstehen.<br />

Im Oktober findet das nächste Gespräch<br />

zwischen der Standortleitung,<br />

der bis dann gewählten Peko und <strong>syndicom</strong><br />

statt. Dort wird es sich zeigen,<br />

ob die von den Mitarbeitenden gestellten<br />

Forderungen erfüllt und umgesetzt<br />

wurden. Bis dahin werden wir<br />

regel mässig vor Ort sein und unsere<br />

Kolleginnen und Kollegen bei der<br />

Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen.<br />

Dominik Dietrich<br />

Teamporträt Oerlikon auf <strong>syndicom</strong>.ch:<br />

Bit.ly/3aKobwv<br />

Alle Mitarbeitenden, die vor Ort waren, nahmen an der Übergabe der Petition teil. (© Dominik Dietrich)<br />

Sauerstoff für die<br />

Demokratie<br />

Im Herbst kommt das Massnahmenpaket<br />

für eine neue Medienförderung<br />

in den Nationalrat. Bei der Anhörung<br />

in der zuständigen Kommission fordert<br />

<strong>syndicom</strong> zwei Kurskorrekturen:<br />

Subventionen darf es nur für Medien<br />

mit anständigen Arbeitsbedingungen<br />

geben und: der Betrag für die Onlinemedien<br />

muss hoch genug sein.<br />

Das Paket, das der Ständerat bereits<br />

beraten hat, enthält: 1. den Ausbau<br />

der indirekten Förderung durch<br />

ermässigte Zustellpreise, 2. eine neue<br />

Förderung für einheimische Onlinemedien<br />

mit Bezahlmodellen und<br />

3. Unterstützung für gemeinwirtschaftliche<br />

Institutionen, konkret: für<br />

den Basisdienst von Keystone-SDA, die<br />

Aus- und Weiterbildung, den Presse rat<br />

und offene IT-Infrastrukturprojekte.<br />

Medien brauchen GAV-Pflicht<br />

Wie bei der Frühzustellung ist auch<br />

bei den geförderten Medien eine<br />

GAV-Verhandlungspflicht aufzunehmen.<br />

Der Staat darf nicht in Dumpinglöhne<br />

und zusehends schlechtere<br />

Arbeits bedingungen investieren. Förderwürdig<br />

sind daher nur Unternehmen,<br />

die Hand bieten für GAV-<br />

Verhandlungen mit Regeln für die<br />

Mindestlöhne – abgestuft, je nach Finanzkraft<br />

des Verlags. Für die neue<br />

Onlinemedienförderung braucht es<br />

genug Mittel. Sie ist auf die jüngere<br />

Bevölkerung, die Medien primär online<br />

nutzt, ausgerichtet – und damit<br />

auf die Zukunft. Die Fördersumme<br />

muss wie im ursprünglichen Projekt<br />

der Medienministerin mit 50 Millionen<br />

Franken ausgestattet sein, damit<br />

das Paket zwischen Print und Online<br />

ausgewogen ist.<br />

Damit werden die demokratierelevanten<br />

Medien mit den nötigen Finanzen<br />

unterstützt. Ein funktionierendes<br />

Mediensystem ist wie Sauerstoff für<br />

die Gesellschaft. Mit dieser Medienhilfe<br />

stehen die Verlage aber auch in<br />

der Pflicht: kein Abbau von journalistischen<br />

Leistungen, kein Stellenabbau<br />

im Windschatten von Corona!<br />

Stephanie Vonarburg


22 Politik<br />

Ja zum Vaterschaftsurlaub!<br />

Mit der Änderung des<br />

Erwerbsersatzgesetzes, über<br />

die wir am 27. September<br />

unter anderem abstimmen,<br />

wird erstmals in der Schweiz<br />

ein Vaterschaftsurlaub für<br />

alle diskutiert.<br />

Dies ist bitter nötig und eine<br />

Forderung, die wir Gewerkschaften<br />

schon lange stellen.<br />

Text: Dominik Fitze<br />

Bild: Flavia Leuenberger-Ceppi<br />

Der Vorschlag ist, dass Väter nach<br />

Geburt des Kindes zwei Wochen bezahlten<br />

Urlaub erhalten sollen. Finanziert<br />

wird dies über die Erwerbsausfallentschädigungen<br />

(EO), über<br />

die auch schon der Mutterschaftsurlaub<br />

bezahlt wird.<br />

Diese Änderung ist schon lange<br />

nötig. Bisher erhalten werdende<br />

Väter nur einen oder zwei Tage frei.<br />

Durch Gesamtarbeitsverträge<br />

ist der Vaterschaftsurlaub schon in<br />

vielen unserer Branchen eingeführt.<br />

Im GAV der grafischen Industrie<br />

dauert er derzeit zwei Wochen, bei<br />

der Swisscom drei, und im neuen<br />

Post-GAV, der ab nächstem Jahr gilt,<br />

gibt es sogar vier Wochen.<br />

Guter Kompromissvorschlag<br />

Vier Wochen Vaterschaftsurlaub –<br />

das war auch das ursprüngliche Ziel<br />

einer Volksinitaitive, die die Gewerkschaften<br />

unterstützt haben.<br />

Die Abstimmung vom September ist<br />

ein indirekter Gegenvorschlag des<br />

Parlamentes, der auf breite Zustimmung<br />

stösst. Eine Allianz aus Gewerkschaften,<br />

Parteien von links bis<br />

rechts sowie zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen wie Alliance F<br />

(Dachverband der Frauenverbände)<br />

oder Pro Familia (Familienverbände)<br />

unterstützen ihn.<br />

Er ist klar finanzierbar und verbessert<br />

die Vereinbarkeit von Beruf<br />

und Familie. Er ermöglicht es jungen<br />

Familien, die Betreuung des<br />

Kindes von Anfang an gemeinsam<br />

zu regeln, und erlaubt es Vätern,<br />

Verantwortung in der Familie zu<br />

übernehmen.<br />

Das ist erst der Anfang<br />

Für uns Gewerkschaften ist aber<br />

auch klar, dass zwei Wochen erst<br />

der Anfang sind. Wir stimmen bei<br />

der Abstimmung klar Ja, aus Solidarität<br />

mit unseren Kolleginnen und<br />

Kollegen, die keinem GAV unterstehen<br />

– wo Väter gemäss Gesetz nur<br />

einen oder zwei Tage Urlaub erhalten.<br />

Wir stimmen aber auch Ja, weil<br />

wir wissen, dass zwei Wochen bezahlter<br />

Vaterschaftsurlaub unsere<br />

Verhandlungsposition für künftige<br />

GAV verbessert. Darauf können wir<br />

aufbauen – und vom Parlament fordern,<br />

den Vaterschaftsurlaub auszubauen.<br />

Vaterschaftsurlaub.ch<br />

Nein zum Kinderabzugs-<br />

Bschiss!<br />

Auch am 27. September kommt eine<br />

weitere Vorlage zur Abstimmung. Die<br />

Neuerung ist versteckt hinter dem<br />

nichtssagenden Titel «Änderung des<br />

Bundesgesetzes über die direkte<br />

Bundessteuer». Doch dahinter steckt<br />

ein ganz grosser Bschiss. Angeblich<br />

geht es um die Entlastung von<br />

Familien: Die maximalen Steuerabzüge<br />

für Kinderbetreuung sollen von 10 100<br />

auf 25 000 Franken pro Kind erhöht<br />

werden, der allgemeine Abzug pro Kind<br />

von 6500 auf 10 000 Franken. Das<br />

klingt zwar gut, davon profitieren<br />

werden aber nur Topverdiener – nur<br />

6 Prozent der Haushalte. Kosten wird<br />

es uns alle 370 Millionen Franken im<br />

Jahr.<br />

Es handelt sich also um eine<br />

Umverteilung zugunsten der Reichsten.<br />

Fast die Hälfte der Familien mit<br />

Kindern zahlen nämlich gar keine<br />

Bundessteuer. Für sie gibt es also<br />

keinen Rappen Erleichterung! Familien<br />

mit einem Einkommen von einer<br />

halben Million könnten aber fast<br />

1000 Franken Steuern sparen. Das ist<br />

ungerecht und frech gegenüber dem<br />

Mittelstand!<br />

Das bürgerliche Parlament hätte<br />

sich anders entscheiden können. Es<br />

hätte etwa Kitas direkt fördern können.<br />

Oder Prämienverbilligungen ausbauen.<br />

Das hätte denen geholfen, die gerade<br />

knapp über die Runden kommen.<br />

Stattdessen hat es sich für Klientelpolitik<br />

entschieden.<br />

Diese 370 Millionen Franken werden<br />

in der Bundeskasse fehlen. Wer die<br />

Schweizer Politik beobachtet, weiss,<br />

dass dieses Geld kaum bei den<br />

Reichsten wieder hereingeholt wird.<br />

Stattdessen müssen wir erwarten,<br />

dass beim Service public – beim<br />

öffentlichen Verkehr, bei Kitas oder im<br />

Gesundheitswesen – gespart wird.<br />

Fallt nicht auf diesen Steuer-<br />

Bschiss rein. Die Vorlage ist eine<br />

Mogelpackung, die wir Gewerkschaften<br />

auf keinen Fall unterstützen<br />

können. Stimmt deshalb alle klar NEIN<br />

zur Änderung des Gesetzes über die<br />

Bundessteuer!<br />

D. F.


Politik<br />

Léonore Porchet: «Wir brauchen<br />

jetzt die 13. AHV-Rente»<br />

23<br />

Für Léonore Porchet, grüne Nationalrätin,<br />

Kommunikationsbeauftragte und <strong>syndicom</strong>-<br />

Mitglied, ist eine Stärkung der ersten Säule<br />

zwingend nötig. Vor allem um die Rentensituation<br />

der Frauen zu verbessern.<br />

Text: Sylvie Fischer<br />

Bild: Alexander Egger<br />

Weshalb müssen sich die <strong>syndicom</strong>-Mitglieder jetzt<br />

mobilisieren, um Unterschriften für die Initiative<br />

AHVx13 zu sammeln?<br />

Léonore Porchet: Die AHV bietet eine sichere und solide<br />

Finanzierung, während die Renten der zweiten Säule seit<br />

2005 um 8 % gesunken sind. Deshalb muss die Situation<br />

der AHV jetzt dringend gestärkt werden. Für Berufe wie<br />

meinen – ich bin selbständige Kommunikationsberaterin<br />

– genauso wie für Personen mit kleinen Einkommen,<br />

zum Beispiel bei der Post, ist es schwierig, eine zweite<br />

Säule aufzubauen. An eine dritte Säule ist gar nicht zu<br />

denken. Durch den Ausbau der AHV erhält man mehr<br />

Rente fürs Geld, als wenn man diese Leistung über die<br />

zweite oder dritte Säule sicherstellen müsste.<br />

Die 13. AHV-Rente würde rund 2,7 Milliarden Franken<br />

kosten. Zur Finanzierung sieht der SGB insbesondere eine<br />

Erhöhung der Lohnbeiträge der Arbeitnehmenden um<br />

0,35 Prozentpunkte vor. Ist jetzt, wo sich die Kaufkraft<br />

drastisch reduziert hat, der richtige Zeitpunkt dafür?<br />

Ich würde andere, prioritär vorgesehene Lösungen vorziehen,<br />

obwohl dieser Beitrag paritätisch wäre, also auch<br />

durch die Arbeitgeber finanziert würde. Die Sicherstellung<br />

der Renten ist eine Aufgabe des Staates. Das Geld<br />

ist dort zu suchen, wo es ist: in den astronomisch hohen<br />

Reserven der Nationalbank (Anm. d. Red.: rund 800 Mrd.<br />

Franken), in den Gewinnen, die Kantone und Bund regelmässig<br />

erzielen. Eine Erhöhung der AHV-Renten, die für<br />

die Hälfte der Bezügerinnen und Bezüger unter 2000<br />

Franken monatlich liegen, ist sinnvoller als die milliardenschwere<br />

Finanzierung von Kampfflugzeugen.<br />

Deine Unterschrift für die Frauen<br />

«Die Stärkung der AHV bedeutet auch eine Stärkung der<br />

Gleichstellung der Geschlechter», sagt Léonore Porchet.<br />

Denn die Frauen (die häufig in Teilzeit arbeiten, um noch für<br />

ihre Familien sorgen zu können) werden am stärksten durch<br />

das Rentensystem benachteiligt. Deshalb wurde am 5. März,<br />

kurz vor dem Internationalen Frauentag, die Initiative für<br />

eine 13. AHV-Rente gestartet. Wegen der Pandemie unterbrochen,<br />

geht die Unterschriftensammlung jetzt persönlich<br />

wie auch online weiter:<br />

AHVx13.ch<br />

Diese Initiative ist für die Frauen besonders wichtig.<br />

Erkläre uns, weshalb ...<br />

Es ist ein Skandal, dass ein Drittel der Frauen wegen ungleicher<br />

und zu tiefer Löhne keine zweite Säule hat.<br />

Strukturelle Ungleichheiten einer noch patriarchalischen<br />

Gesellschaft führen dazu, dass sich die Frauen für die<br />

Kinderbetreuung aufopfern oder die Rolle der pflegenden<br />

Angehörigen übernehmen. Tausende Frauen, die das<br />

Rentenalter erreichen, sind folglich zu einem Leben in<br />

Prekarität verurteilt. Der vorrangige Ausbau der AHV ist<br />

wichtig, weil nur mit der AHV Solidarität für die Gratisarbeit<br />

der Frauen eingeführt wird: mit Gutschriften für<br />

Erziehungsarbeit und die Betreuung von Angehörigen.<br />

Zahlreiche Frauen sind auf Ergänzungsleistungen<br />

angewiesen (das ist bei 15 % der Rentnerinnen der Fall<br />

und ihr Anteil steigt mit zunehmendem Alter) und auf<br />

die Solidarität der Familie. Meine Grossmutter könnte<br />

ohne Angehörigenhilfe nicht gepflegt werden. Die 13.<br />

AHV- Rente würde somit für alle Generationen einen<br />

Nutzen bringen. Denn sie ermöglicht es, Solidarität gegenüber<br />

den älteren Mitgliedern der Gesellschaft zum<br />

Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig profitieren unsere<br />

eigenen Renten davon.<br />

Der SGB und <strong>syndicom</strong> unterstützen diese Initiative<br />

gemeinsam, was du begrüsst ...<br />

Aufgabe einer Gewerkschaft ist es auch, sicherzustellen,<br />

dass ihre Mitglieder nach dem Erwerbsleben ein würdiges<br />

Leben führen können. Dieses Ziel wird ernsthaft gefährdet,<br />

wenn unsere Löhne nicht Anspruch auf angemessene<br />

Renten verleihen – was inakzeptabel ist. Ich habe mich<br />

politisch an der Seite der «41 du Matin» eingesetzt, und<br />

ich sehe, dass eine AHV-Rentenerhöhung – neben der<br />

Überbrückungsleistung für ältere Arbeitnehmende – auch<br />

Personen, die am Ende ihres Erwerbslebens entlassen<br />

werden, zu einem Plus verhelfen wird.


24 Politik<br />

Die neue Überbrückungsleistung für Ausgesteuerte ab 60, die sonst zur Sozialhilfe gehen<br />

müssten: sie hilft Personen mit niedrigen Einkommen. Eine Überbrückungsrente für alle ab 58,<br />

die Einkommenseinbussen auffängt, bietet Sozialpartnerin Swisscom bereits an.<br />

Sozialversicherung:<br />

Innovative Modelle bei Swisscom<br />

Wer mit 55 Jahren (oder älter)<br />

entlassen wird, hat es oft<br />

sehr schwer, den beruflichen<br />

Wiedereinstieg zu finden.<br />

Höchste Zeit also, dass das<br />

Parlament eine neue Sozialversicherung<br />

einführen will.<br />

Die greift in Härtefällen –<br />

gut so. Und was ist mit den<br />

anderen? Die Swisscom geht<br />

einen Schritt weiter.<br />

Text: Franz Schori<br />

Bild: Max Spring<br />

Erwin wird unerwartet ins Büro vom<br />

Chef zitiert: «Infolge Reorganisation<br />

müssen wir uns leider von dir<br />

trennen, bitte unterzeichne hier die<br />

Aufhebungs vereinbarung.» Erwin<br />

unterschreibt. Wie im Dämmerzustand.<br />

Und das nach 35 Jahren<br />

im gleichen Betrieb. Schockiert<br />

räumt er seinen Arbeitsplatz, verabschiedet<br />

sich knapp von seinen Kolleg*innen<br />

und fährt ins Leere. In die<br />

Leere, die sich nicht mehr füllt. Zuerst<br />

sechs Monate Lohnfortzahlung.<br />

Danach ein Jahr Sozialplanleistungen,<br />

noch 80 % vom vorherigen<br />

Lohn, Bewerbung um Bewerbung,<br />

nur Absagen. Dann das RAV, wieder<br />

Dutzende von erfolglosen Arbeitsbemühungen,<br />

noch 70 % Lohn.<br />

Dann die Aussteuerung. Sozialhilfe,<br />

Demütigung, Depression, bis mit 65<br />

endlich die AHV-Rente kommt.<br />

Neue Überbrückungsleistung<br />

für Ausgesteuerte ab 60<br />

Aufgrund von Geschichten wie jener<br />

von Erwin hat das Parlament eine<br />

neue Sozialversicherung geschaffen.<br />

So soll älteren ausgesteuerten Arbeitslosen<br />

zwischen 60 und 65 eine<br />

Überbrückungsrente gewährt werden,<br />

um den Gang zur Sozialhilfe zu<br />

vermeiden. Voraussetzung ist, dass<br />

das Reinvermögen weniger als<br />

50 000 Franken beträgt. Zum Reinvermögen<br />

zählen auch Guthaben<br />

aus der 2. Säule, soweit sie einen<br />

vom Bundesrat noch zu definierenden<br />

Betrag übersteigen. Die Überbrückungsleistung<br />

wird gegen oben<br />

begrenzt.<br />

Durch diese Ausgestaltung<br />

greift die neue Sozialversicherung<br />

bei Arbeitnehmenden mit tiefem<br />

Einkommen. War Erwin als Lagerist<br />

tätig, erspart ihm dies den Gang zur<br />

Sozialhilfe. War Erwin hingegen<br />

Projektleiter im IT-Umfeld, geht er<br />

leer aus, bis sein Erspartes inklusive<br />

eines grossen Teils der 2. Säule aufgebraucht<br />

ist. Trotzdem: In einer<br />

solida rischen Gesellschaft sind<br />

Sozial versicherungen wie die neu<br />

beschlossene Überbrückungsrente<br />

wichtig für den Zusammenhalt.<br />

Erleichterte Frühpensionierung<br />

Der rein finanzgetriebene Personalabbau<br />

bei der Swisscom mündet<br />

auch in tragischen Schicksalen wie<br />

demjenigen von Erwin. Doch dank<br />

der langjährigen Sozialpartnerschaft<br />

mit <strong>syndicom</strong> bestehen bei<br />

der Swisscom Instrumente, die den<br />

Mitarbeitenden den vorzeitigen<br />

Alters rücktritt erleichtern. Diese<br />

Möglichkeiten werden angeboten:<br />

Überbrückungsrente: Wenn die<br />

Pensionierung vor dem Erreichen<br />

des ordentlichen AHV-Rücktrittsalters<br />

erfolgt (ab 58 Jahren), besteht<br />

Anrecht auf eine Überbrückungsrente,<br />

um die vorübergehende Einkommenseinbusse<br />

aufzufangen.<br />

Die Höhe der Überbrückungsrente<br />

ist abhängig vom Pensionierungszeitpunkt,<br />

vom Dienstalter und dem<br />

Beschäftigungsgrad – sie ist unabhängig<br />

vom Vermögen.<br />

Altersteilzeit/Teilpensionierung:<br />

In diesem Jahr hat Swisscom älteren<br />

Beschäftigten ab dem 58. Altersjahr<br />

angeboten, ihr Pensum bis zur Pensionierung<br />

nach zwei Jahren um bis<br />

zu 30 % zu reduzieren. Beim Modell<br />

der Altersteilzeit nehmen die Beschäftigten<br />

eine Lohnreduktion in<br />

Kauf, verlieren aber nichts von der<br />

zu erwartenden Rente. Beim Modell<br />

der Teilpensionierung verhält es<br />

sich umgekehrt: Keine Lohnreduktion,<br />

dafür leicht tiefere Rente.<br />

Modelle wie bei der Swisscom sind<br />

für ältere Angestellte eine wichtige<br />

Brücke bis zum ordentlichen<br />

Renten alter.<br />

Mit Würde in die Rente<br />

Betrachten wir die Geschichte der<br />

Sozialversicherungen in der<br />

Schweiz, ist die Überbrückungsrente<br />

für ältere ausgesteuerte Arbeitslose<br />

ein wichtiger Meilenstein. Sie<br />

soll es dereinst allen Beschäftigten<br />

ermöglichen, finanziell abgesichert<br />

auch vorzeitig in Würde in Rente zu<br />

gehen. Diese neue Sozialversicherung<br />

entbindet jedoch die Arbeitgeber<br />

nicht von ihrer sozialen<br />

Verantwortung, weiterhin auf die<br />

Erfahrung von älteren Arbeitnehmenden<br />

zu zählen.<br />

Zum Abkommen Swisscom – <strong>syndicom</strong>:<br />

Bit.ly/31KsJio


Recht so!<br />

25<br />

Lohnschutz und Flankierende Massnahmen<br />

Ich arbeite in einem Betrieb, der je nach<br />

Auftragslage und Saison kurzfristig mehr<br />

Arbeits kräfte benötigt. Wir sind nur noch<br />

wenige Festangestellte. Viele wurden entlassen<br />

und durch flexible, temporäre Arbeiter<br />

ersetzt, die für 2 bis 3 Monate eingestellt<br />

werden und danach wieder abreisen.<br />

Sie kosten weniger und sagen nichts.<br />

Gibt es abgesehen von den Gewerkschaften<br />

noch andere Möglichkeiten, sich dagegen zu<br />

wehren?<br />

Antwort des <strong>syndicom</strong>-Rechtsdienstes<br />

Ja, Lohndumping kann bei der zuständigen Arbeitsmarktbehörde<br />

des Kantons gemeldet werden, in dem<br />

der Betrieb tätig ist. Sie schickt dann Inspektor*innen<br />

vorbei, die prüfen, ob die orts- und branchen üblichen<br />

Löhne eingehalten werden. Dies betrifft insbesondere<br />

Branchen, in denen es keinen allgemeinverbindlichen<br />

GAV gibt. Wo ein solcher besteht, wird die Einhaltung<br />

des GAV oft durch eine Paritätische Kommission (PK)<br />

kontrolliert. Deren Aufgaben müssen im GAV festgelegt<br />

sein. Gibt es keine PK, kontrollieren ebenfalls die<br />

kantonalen Inspektor*innen.<br />

Was passiert, wenn effektiv Lohndumping<br />

festgestellt wird, und wie wird der Mindestlohn<br />

überhaupt bestimmt, wenn es keinen<br />

GAV gibt?<br />

Werden regelmässig Kontrollen durchgeführt<br />

oder finden diese nur auf Anzeige hin statt?<br />

Werden die fehlbaren Arbeitgeber auch<br />

gebüsst und, falls ja, wie hoch sind diese<br />

Bussen?<br />

Die Inspektor*innen melden dies bei der so genannten<br />

Tripartiten Kommission (TPK). In jedem Kanton ist<br />

eine solche vorhanden. Sie setzt sich zusammen aus<br />

Arbeit geber-, Arbeitnehmenden- und staatlichen<br />

Vertreter*innen. Werden Unregelmässigkeiten festgestellt,<br />

versucht die TPK mit dem betroffenen Arbeitgeber<br />

eine Lohnnachzahlung und eine Anpassung der<br />

Arbeitsverträge zu erwirken. Gelingt dies nicht, kann<br />

sie bei der kantonalen Behörde beantragen, dass entweder<br />

die Arbeit unterbrochen, für diese Branche<br />

zwingend ein Mindestlohn festgelegt wird oder einzelne<br />

Bestimmungen eines GAV vereinfacht allgemeinverbindlich<br />

erklärt werden können. Muss mangels GAV<br />

ein Mindestlohn bestimmt werden, so geschieht dies<br />

unter Berücksichtigung der branchenüblichen Löhne<br />

und der regionalen Lohnunterschiede.<br />

Im Rahmen der Personenfreizügigkeit mit der EU sind<br />

am 1. Juni 2004 die Flankierenden Massnahmen (FlaM)<br />

eingeführt worden. Diese regeln die Durchführung von<br />

Kontrollen. Im Entsendegesetz sind je nach Verstoss<br />

Bussen von Fr. 5000.– bis hin zu 1 Million oder ein<br />

5-jähriges Tätigkeitsverbot vorgesehen. Auch können<br />

dem fehlbaren Arbeitgeber die Kontrollkosten in Rechnung<br />

gestellt werden. Mit einem GAV können für den<br />

Fall der Nichteinhaltung der vertraglichen Bestimmungen<br />

Konventionalstrafen vereinbart werden. Auch mit<br />

GAV können dem Arbeitgeber die Kontrollkosten auferlegt<br />

werden.<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/rechtso


26 Freizeit<br />

Tipps<br />

© Rotpunkt<br />

Älter werden, mutiger werden<br />

und gesund bleiben im Beruf<br />

Im zweitägigen Movendo-Seminar<br />

«Älter werden im Beruf» (6.–7. Oktober)<br />

in Kirchberg SG, Hotel Toggenburgerhof,<br />

können Interes sierte, die<br />

das 50. Altersjahr bald überschreiten<br />

oder bereits überschritten haben,<br />

in Ruhe und gemeinsam darüber<br />

nachdenken, wie es mit der<br />

Arbeit ab jetzt weitergehen soll. Die<br />

Ziele sind, dass die Teilnehmenden<br />

eine Standortbestimmung machen<br />

und Veränderungen in Angriff nehmen.<br />

Es geht darum, eigene Stärken<br />

und Schwächen herausarbeiten zu<br />

lernen, eine bessere Balance von Berufs-<br />

und Privatleben hinzubekommen,<br />

Veränderungen zu planen und<br />

den Umgang mit der eigenen Energie<br />

zu verbessern. Für Mitglieder ist<br />

der Kurs kostenlos, die anderen zahlen<br />

820 Franken (zzgl. Kost und Logis).<br />

Referen tin ist die Erwachsenenbildnerin<br />

Astrid Mehr.<br />

Für Vertrauensleute, Personalvertreter*innen,<br />

alle Mitglieder und<br />

Interessierten wird der Movendo-<br />

Kurs «Mutig handeln im Betrieb –<br />

aber sicher!» angeboten; vom 16. bis<br />

17. Oktober in Sigriswil, Solbadhotel.<br />

Der Kurs bietet die Möglichkeit,<br />

im Rollenspiel den Umgang mit herausfordernden<br />

Situationen im Betrieb<br />

einzuüben. Sich exponieren ist<br />

nicht leicht. Eine langjährige Vertrauensperson<br />

wird ihre Erfahrungen<br />

in diesem Minenfeld mit den<br />

Teilnehmer*innen teilen.<br />

Am 5. November gibt es (bei Redaktionsschluss)<br />

noch freie Plätze<br />

für den Kurs «Als Chauffeuse/Chauffeur<br />

gesund bleiben: Einflüsse aufs<br />

Fahrverhalten». Das Zielpublikum,<br />

Bus- und Carfahrer*innen (Kategorie<br />

D/D1) im Personentransport und<br />

Lastwagenfahrer*innen (Kategorie<br />

C/C1) im Gütertransport, lernt, gesundheitliche<br />

Schädigungen und<br />

Unfälle zu vermeiden. Der Kurs ist<br />

asa-anerkannt. S. Fr.<br />

Movendo.ch, <strong>syndicom</strong>.ch/mitgliederservice/bildungsangebote<br />

© Verzasca Foto Festival, Federico Estol<br />

Fotofestival in Tessiner Natur<br />

Das Verzasca Foto Festival ist für<br />

Fotografie begeisterte zum Begriff<br />

geworden. Das liegt vor allem an seiner<br />

besonderen Kulisse: Am Ende<br />

eines der schönsten und wildesten<br />

Tessiner Täler, auf 900 Metern über<br />

Meer, werden die Werke unter freiem<br />

Himmel ausgestellt. An den Fassaden<br />

der Steinhäuser und früheren<br />

Ställe in Sonogno, aber auch zwischen<br />

den Bäumen mitten im Wald.<br />

Über die Jahre hat das junge Festivalteam<br />

(unter der Leitung von Alfio<br />

Tommasini und Rico Baumann)<br />

Fotogra fien aus der ganzen Welt zu<br />

immer neuen Themen (Finestre sul<br />

mondo, Margini, In cammino) ausgewählt<br />

und an einem einzigartigen<br />

Ort Künstlerresidenzen angeboten.<br />

In der diesjährigen Ausgabe (bis<br />

zum 5. November, Eintritt kostenlos)<br />

konnte das Ausstellungsthema<br />

fast nur «Di uomini e di boschi»<br />

(Von Menschen und Wäldern) sein:<br />

Formen der Interaktion zwischen<br />

Mensch und Natur. Zu diesem grossen<br />

und aktuellen Thema wurden<br />

zwanzig internationale Künstler*innen<br />

(von Peru bis Polen, von Chile<br />

bis Griechenland und viele aus der<br />

Schweiz) eingeladen, sich mit dem<br />

Raum und den ihn Bewohnenden<br />

auseinanderzusetzen, einer Gemeinschaft,<br />

die umgeben von Wald<br />

lebt und ihn in einer harmonischen<br />

Koexistenz nutzt und pflegt.<br />

Die Bilder mit ihrer humanistischen<br />

oder auch konzeptuellen Prägung<br />

werden wie gewohnt im Wald<br />

des Val Redorta, am Fuss des Wasserfalls<br />

Froda und in den Strassen<br />

des Dorfes Sonogno gezeigt. Das Begleitprogramm<br />

umfasst (sofern es<br />

die Pandemiemassnahmen erlauben)<br />

Diskussionen, Round Tables,<br />

Live-Musik und audiovisuelle Vorführungen.<br />

Giovanni Valerio<br />

Das Programm des Verzasca Foto Festivals:<br />

verzascafoto.com/esposizioni<br />

Spuren der Arbeit<br />

Stefan Keller verfolgt «Spuren der<br />

Arbeit. Von der Manufaktur zur<br />

Server farm». Der Historiker konzentriert<br />

seine Reportagen stellvertretend<br />

auf die Ostschweiz.<br />

Im ersten Kapitel reist Schriftsteller<br />

Friedrich Hölderlin am Anfang<br />

des 19. Jahrhunderts nach<br />

Hauptwil. Eine einzige Familie<br />

verfügt hier im Thurgau über die<br />

Arbeit, das Wohnen und das Recht.<br />

Hölderlin erfährt als Hauslehrer,<br />

wie sich das frühindustrielle Musterdorf<br />

verändert. Die «ärmere Klasse»<br />

emanzipiert sich im Kontext der<br />

Französischen Revolution ein wenig<br />

von der Obrigkeit. Und die (Textil-)<br />

Manufaktur mindert die Abhängigkeit<br />

von der Landwirtschaft. Sie<br />

bringt aber neue Formen der Ausbeutung<br />

mit sich. Sogar Hunger<br />

kommt auf – über den Kanton hinaus.<br />

Auch, weil importierte Billigwaren<br />

die Industrialisierung konkurrieren.<br />

Weitere Kapitel handeln<br />

von Kinderarbeit, Turbulenzen in<br />

der Stickerei, Dienstboten, Mädchenheimen,<br />

Klosterfrauen, streikenden<br />

Italienerinnen und gewerkschaftlichem<br />

Zwiespalt. Das letzte<br />

Kapitel fokussiert die gegenwärtige<br />

elektronische Revolution am Beispiel<br />

des Swift-Datenzentrums in<br />

Diessenhofen.<br />

Publizist Keller erzählt anhand<br />

regionaler Dokumente eine kleine<br />

Weltgeschichte. Er erhellt und entmystifiziert,<br />

was sich in einer Gegend<br />

ereignete, in der nicht nur<br />

Obstbäume blühen. Spannend von<br />

A bis Z und sehr lesenswert.<br />

Ueli Mäder<br />

Rotpunktverlag, Zürich 2020, 231 S., Fr. 38.–<br />

Rotpunktverlag.ch


1000 Worte<br />

Ruedi Widmer<br />

27


28 Bisch im Bild In diesem seltsamen Sommer ohne Grossveranstaltungen engagierte sich<br />

<strong>syndicom</strong> mit Unterschriftensammlungen und der Unterstützung für die<br />

nächsten Wahlen. Am 14. Juni fanden zur Erinnerung an den historischen<br />

Frauenstreik landesweit Aktionen statt. Mit Masken und mit Abstand.<br />

2<br />

1<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6 7


1. Matteo Antonini, Leiter Sektor Logistik (re.), übergibt Martin Camenisch, Leiter HR der Post, die Petition für die «Corona-Prämie». (© <strong>syndicom</strong>)<br />

2. Nach dem pandemiebedingten Unterbruch: Neustart der Unterschriftensammlung für die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente,<br />

hier in Lugano. (© <strong>syndicom</strong>)<br />

3. Über 20 000 Arbeitnehmende haben den Appell der Unia und des SGB für 100 % Lohnersatz und den Verzicht auf Corona-Entlassungen unter zeichnet.<br />

Am 20. August wurden die Unterschriften dem Bundesrat übergeben. (© Unia)<br />

4. In der Schweiz stehen fast eine Million Menschen in Kurzarbeit. Die Lohneinbusse ist für viele schwer zu verkraften,<br />

wie diese Schilder auf dem Bundesplatz zeigen. (© Unia)<br />

5. Am 27. September wird über den Vaterschaftsurlaub abgestimmt. Die Fahnen sind kostenlos erhältlich unter Vaterschaftsurlaub.ch. (© Vaterschaftsurlaub.ch)<br />

6. Das Komitee der Konzernverantwortungs-Initiative mobilisiert sich. Hier eine der vielen Fahnen, die im Tessin zu sehen sind. (© <strong>syndicom</strong>)<br />

7. Die Personalvertreterinnen und -vertreter von Orell Füssli im Ergonomiekurs von Movendo. (© <strong>syndicom</strong>)<br />

8.–13. Ein Jahr nach dem historischen Frauenstreik fanden am 14. Juni landesweit Kundgebungen statt – unter Einhaltung des Social Distancing.<br />

(© <strong>syndicom</strong> und Nate il 14 giugno)<br />

9<br />

8<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13


30<br />

Aus dem<br />

Leben von ...<br />

Sergio Ferrari,<br />

Aktivist der Solidarität<br />

Es ist schwierig, das Leben von Sergio<br />

Ferrari in ein paar Zeilen zusammenzufassen.<br />

Er definiert sich selbst als<br />

rebellisch, aber konsensorientiert, als<br />

jemand, der für eine andere Art von<br />

Globalisierung eintritt. Er sagt, er habe<br />

fünf Leben gelebt: politischer Kampf<br />

während der Diktatur in Argentinien,<br />

Gefängnis (das Buch «Ni fous, ni<br />

morts» haben wir im Magazin <strong>Nr</strong>. 16<br />

besprochen), politisches Asyl, Sandinismus<br />

in Nicaragua als Freiwilliger bei<br />

Frères sans Frontières (heute E-Changer),<br />

gewerkschaftliches und gesellschaftliches<br />

Engagement in der<br />

Schweiz. Sergio ist Journalist,<br />

Redaktor von Le Courrier seit 1994,<br />

Kor res pondent lateinamerikanischer<br />

Zeitungen. Sergio Ferrari ist Mitglied<br />

des Zentralvorstandes von <strong>syndicom</strong><br />

im Sektor Presse und elektronische<br />

Medien.<br />

Text: Giovanni Valerio<br />

Bild: Pia Neuenschwander<br />

Ohne Kollektiv kann<br />

man nicht gewinnen<br />

«Ich sehe mich als Überlebenden der<br />

argentinischen Diktatur. Angesichts<br />

von 30 000 Desaparecidos (Verschwundenen),<br />

Tausenden von politischen<br />

Gefangenen und Menschen,<br />

die ins Exil gezwungen wurden, hätte<br />

mein Schicksal anders laufen können.<br />

Für den politischen Kampf gegen<br />

die Diktatur während meines<br />

Studiums an der Universität Rosario<br />

war ich drei Jahre im Gefängnis, die<br />

meiste Zeit im Hochsicherheitszentrum<br />

Coronda. Das war meine<br />

Lebens universität: Momente, wo<br />

man die Tiefe der Existenz und die<br />

Zerbrechlichkeit des Lebens wahrnimmt.<br />

Und die Kraft, kollektiv<br />

Widerstand zu leisten.<br />

Man nahm mir die Handschellen ab<br />

in dem Flugzeug, das mich am<br />

27. Dezember 1978 in die Schweiz<br />

brachte. Ich muss zugeben, im Vergleich<br />

zu den heutigen Flüchtlingen<br />

war das ein privilegierter Zustand.<br />

Man gewährte mir Asyl und eine<br />

beschleunigte Integration mittels<br />

Sozialarbeiter und Sprachkursen.<br />

Dennoch fühlte ich mich nie frei,<br />

denn ich liess die inhaftierten Genossen<br />

hinter mir. Und da spürte ich<br />

das Bedürfnis zu erzählen, was in<br />

Argentinien und Lateinamerika geschehen<br />

war und noch geschah.<br />

Die Leidenschaft, mich mitzuteilen,<br />

kam in meinen zehn Jahren in<br />

Nicaragua zum Ausbruch. Während<br />

der sandinistischen Revolution war<br />

ich in der nationalen Presseagentur<br />

tätig: eine wichtige Etappe auch für<br />

meine Arbeit als Korrespondent für<br />

argentinische und mexikanische Zeitungen,<br />

für die Agentur ALASEI der<br />

Unesco. Als junger Mann hatte ich<br />

für die militante Presse geschrieben,<br />

aber in Nicaragua entdeckte ich die<br />

öffentliche Kommunikation mit einem<br />

breiteren Sinn für Journalismus.<br />

Für mich ist es mehr als ein<br />

Beruf: nicht nur schreiben, sondern<br />

auch denen eine Stimme geben, die<br />

keine haben, vor allem mit Interviews.<br />

Und schliesslich auch die Obsession,<br />

eine kleine Stimme in die<br />

Schweiz zu bringen, ein Fenster zu<br />

Lateinamerika zu öffnen und eine<br />

Brücke von Nord nach Süd zu schlagen.<br />

Das hat mein Leben als Journalist<br />

geprägt, das Hin und Zurück zwischen<br />

zwei Welten, zwei Realitäten.<br />

1992, zurück in der Schweiz, lernte<br />

ich bei der SJU (später comedia)<br />

bemerkenswert verständnisvolle Sekretäre<br />

kennen. Und ich beschloss,<br />

mich zu engagieren. Als Student hatte<br />

ich die Gewerkschaft der Petrochemie-Arbeiter<br />

von Rosario unterstützt.<br />

Das war eine Kampfbewegung, hier<br />

erlebte ich den Alltag. Aber die Resonanz<br />

zeigt sich in Krisenzeiten. Wir<br />

haben es bei der SDA gesehen, mit<br />

dem Streik. Und mit Covid-19, beim<br />

Einsatz von <strong>syndicom</strong> für die Freischaffenden.<br />

Die Schnelligkeit des<br />

Hilfspakets ist auch das Ergebnis der<br />

Stärke des SGB. Ich bin überzeugt,<br />

dass wir uns auf eine grössere gewerkschaftliche<br />

Einheit zubewegen.<br />

Nur das Kollektiv kann den Erfolg<br />

bringen. Und das gilt bei der Arbeit<br />

und für jede Vereinigung, Bewegung<br />

und Gewerkschaft. Sogar im Fussball.<br />

Ohne ein Kollektiv, das es versteht,<br />

die Vielfalt für ein gemeinsames<br />

Ziel zu vereinen, ist der Sieg<br />

nicht zu erreichen.»<br />

Das Buch über das Gefängnis Coronda (fr.):<br />

www.nifousnimorts.com


Impressum<br />

Redaktion: Sylvie Fischer, Giovanni Valerio<br />

Tel. 058 817 <strong>18</strong> <strong>18</strong>, redaktion@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

Freie Mitarbeit: Rieke Krüger<br />

Porträts, Zeichnungen: Katja Leudolph<br />

Fotos ohne ©Copyright-Vermerk: zVg<br />

Layout und Druck: Stämpfli AG, Wölflistrasse 1,<br />

3001 Bern<br />

Adressänderungen: <strong>syndicom</strong>, Adressverwaltung,<br />

Monbijoustrasse 33, Postfach, 3001 Bern<br />

Tel. 058 817 <strong>18</strong> <strong>18</strong>, Fax 058 817 <strong>18</strong> 17<br />

Inserate: priska.zuercher@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

Abobestellung: info@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

Abopreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen. Für<br />

Nichtmitglieder: Fr. 50.– (Inland), Fr. 70.– (Ausland)<br />

Verlegerin: <strong>syndicom</strong> – Gewerkschaft<br />

Medien und Kommunikation, Monbijoustr. 33,<br />

Postfach, 3001 Bern<br />

Das <strong>syndicom</strong>-Magazin erscheint sechsmal im Jahr.<br />

Ausgabe <strong>Nr</strong>. 19 erscheint am 30. Oktober 2020<br />

Redaktionsschluss: 28. September 2020.<br />

31<br />

Das <strong>syndicom</strong>-Kreuzworträtsel<br />

Für das Leben nach dem Corona-<br />

Lockdown: Zu gewinnen gibt es eine<br />

Hotel card, gespendet von unserer<br />

Dienst leistungspartnerin Hotelcard.<br />

Das Lösungswort wird in der nächsten<br />

Ausgabe zusammen mit dem Namen<br />

der Gewinnerin oder des Gewinners<br />

veröffentlicht.<br />

Lösungswort und Absender auf einer<br />

A6-Postkarte senden an: <strong>syndicom</strong>-<br />

Magazin, Monbijoustrasse 33, Postfach,<br />

3001 Bern. Einsendeschluss: 28.9.20.<br />

Der Gewinner<br />

Die Lösung des <strong>syndicom</strong>-Kreuzworträtsels<br />

aus dem Magazin <strong>Nr</strong>. 17 lautet:<br />

FERNUNTERRICHT.<br />

Gewonnen hat Albert Egger aus<br />

Frenkendorf. Die Einkaufsgutschein<br />

unserer Partnerin Coop ist unterwegs.<br />

Wir gratulieren herzlich!<br />

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Montliche Rechnungsgebühr CHF 2.50 offeriert<br />

Verlangen Sie Ihren Kartenantrag beim Zentralsekretariat<br />

Rp pro Liter<br />

+41 (0)58 817 <strong>18</strong> <strong>18</strong> - info@<strong>syndicom</strong>.ch


32 Inter-aktiv<br />

<strong>syndicom</strong> social<br />

Auf den Spuren Robert Grimms4.7.2020<br />

Robert Grimm, Gemeinde-, Regierungsund<br />

Nationalrat und Führer des Landesstreiks<br />

19<strong>18</strong>, wanderte als 21-jähriger<br />

Buchdrucker von Graz nach Ljubljana,<br />

Triest, Görz und danach über das Südtirol<br />

wieder zurück nach Wald ZH. Das<br />

Tagebuch dieser Wanderung wurde nun interaktiv aufbereitet<br />

und erlaubt einen Einblick in das bisher kaum<br />

bekannte Gesellen leben des legendären Arbeiterführers.<br />

Website: robertgrimm.ch<br />

Tickt die Uhr für TikTok? <br />

Die Video-App aus China wird in den USA vielleicht verboten.<br />

Es sei denn, eine US-Firma (Microsoft ist im Gespräch)<br />

kaufe die Videoplattform. TikTok gebe, so der<br />

Vorwurf, Nutzerdaten weiter an die chinesische Regierung.<br />

Die App ist auch in der Schweiz bei Teenagern beliebt<br />

und definitiv im Mainstream angelangt; Schweiz<br />

Tourismus hat eben vier TikToker engagiert und das BAG<br />

wirbt dort für die Covid-App. Quelle: kleinreport.ch<br />

Besser lesen und schreiben1.7.2020<br />

In der Schweiz leben 800 000 Erwachsene,<br />

die nicht genügend lesen und<br />

schreiben können. Zwei Drittel von<br />

ihnen sind erwerbstätig. Die Initiative<br />

«Einfach besser!» (von der Interkantonalen<br />

Konferenz für Weiterbildung<br />

und dem Dachverband Lesen und<br />

Schreiben) setzt sich für die Förderung<br />

von Grundkompetenzen ein.<br />

Webseite: besser-jetzt.ch<br />

FernUni Schweiz lanciert Master<br />

in Recht auf Französisch1.7.2020<br />

Die FernUni Schweiz bietet zum ersten<br />

Mal einen Master-Lehrgang auf<br />

Französisch an, und zwar im Bereich Innovationsrecht.<br />

Das Studium beginnt im Februar 2021.<br />

Infos: unidistance.ch/droit/master<br />

Instagram als Newsquelle15.4.2020<br />

Generation Z kritisch gegenüber<br />

sozialen Medien27.7.2020<br />

Ein Fünftel der Mitglieder der Generation Z<br />

hat in den letzten 12 Monaten den sozialen<br />

Medien den Rücken gekehrt. Ihnen ist wichtig, dass ihre<br />

Daten nicht unerlaubt verwertet werden und dass ihr<br />

psychisches Wohlbefinden nicht beeinträchtigt wird. Das<br />

zeigt eine Umfrage der Medienagentur Dentsu Aegis Network.<br />

Die Mehrheit sagt aber trotzdem, dass die Digitalisierung<br />

die grössten Probleme der Menschheit lösen kann.<br />

Um sich das Vertrauen zurückzuerobern, müssen Unternehmen<br />

und Organisationen beweisen, dass sie ihre<br />

Technologie zum Wohle der Gesellschaft verwenden.<br />

Eine Studie der Universität Oxford und des Reuters-<br />

Instituts hat den Nachrichtenkonsum von Millennials<br />

und Generation Z zu Beginn der Coronakrise unter die<br />

Lupe genommen. Dabei fällt auf, wie viele sich Instagram<br />

zuwenden, um sich über Tagesaktuelles zu<br />

informieren. Politische Inhalte sind inzwischen ein<br />

fester Bestandteil der Plattform, viele Bewegungen<br />

wie #BlackLivesMatter sind hier virtuell zu Hause.<br />

Digitaler Werbemarktanteil über 50 %27.7.2020<br />

Facebook-Werbe-Boykott1.8.2020<br />

Unter dem Motto #StopHateForProfit haben<br />

über 1000 Werbetreibende, darunter<br />

Coca-Cola, Adidas und Starbucks, im ganzen<br />

Juli keine Werbung auf Facebook geschaltet.<br />

Dies um Facebook dazu zu bringen, mehr<br />

gegen Falschinformation und Hate-Speech<br />

(Hassrede) zu unternehmen. Als Reaktion<br />

hat Facebook einen Bürgerrechtsexperten an<br />

Bord geholt.<br />

Artikel in der NY Times: nyti.ms/2E0kBlv<br />

Zum ersten Mal nimmt die Digitalwerbung global mehr<br />

als die Hälfte des Gesamtvolumens ein. Die Coronakrise<br />

beschleunigt somit die digitale Transformation<br />

auch in der Werbebranche. Weltweit werden die<br />

Werbeausgaben 2020 gemäss einem von Zenith<br />

ver öffentlichten Advertising-Forecast um 9 Prozent<br />

zurückgehen.<br />

Neues bei Twitter<br />

Twitter, mit 14 Jahren der Methusalem<br />

unter den sozialen Netzwerken, hat einige<br />

neue Funktionen in der Pipeline: Markieren<br />

von Falschmeldungen bei Personen von<br />

öffentlichem Interesse, «Fleets» (Fleeting Thoughts, die<br />

nach 24 Std. verschwinden), Voice Tweets, und eine Reihe<br />

von UX-Verbesserungen für mehr Übersicht in langen<br />

Threads. Blog.twitter.com

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