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FOCUS_41_2023_Obermann

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AUSGABE <strong>41</strong> 7. Oktober <strong>2023</strong> € 4,90 EUROPEAN MAGAZINE AWARD WINNER <strong>2023</strong> COVER /// INFOGRAPHIC<br />

Amerikas<br />

Infarkt<br />

Was der Absturz<br />

der Republikaner für<br />

die Welt bedeutet<br />

Rolling<br />

Stones forever<br />

Mick, Keith und<br />

Ronnie im<br />

<strong>FOCUS</strong>-Gespräch<br />

UNSER WEG NACH OBEN<br />

Erfolg, Geld, Macht:<br />

Wie Aufstieg in Deutschland gelingen kann<br />

OMID NOURIPOUR<br />

Einwandererkind<br />

aus Teheran<br />

wird Grünen-Chef<br />

TIJEN ONARAN<br />

Mit Frauenpower<br />

und Netzwerk an<br />

die Spitze<br />

RENÉ OBERMANN<br />

Aus kleinen<br />

Verhältnissen in<br />

die Chefetage<br />

PLUS<br />

64 SEITEN<br />

<strong>FOCUS</strong> E-BIKE<br />

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WIRTSCHAFT<br />

H<br />

err <strong>Obermann</strong>, als Finanzinvestor,<br />

Ex-Telekom-Chef und Airbus-Aufsichtsratsvorsitzender<br />

sind Sie ein<br />

gefragter Gesprächspartner zu allen<br />

Großthemen der Weltwirtschaft. Allenfalls<br />

am Rand wird erwähnt, dass Sie aus „kleinen<br />

Verhältnissen“ stammen. Wollten Sie darüber<br />

nicht sprechen, oder wurden Sie bisher<br />

einfach nicht gefragt?<br />

Meine Herkunft ist mir nicht peinlich.<br />

Deshalb scheue ich mich auch nicht, darüber<br />

zu sprechen.<br />

Ihre Eltern trennten sich, als Sie<br />

noch ein Baby waren. Sie wuchsen<br />

dann bei Ihren Großeltern auf.<br />

Genau. Beide waren geprägt von den<br />

Härten des Zweiten Weltkriegs und der<br />

Zeit danach. Mein Großvater war Buchdrucker,<br />

meine Großmutter Hausfrau. Sie<br />

sagte einmal, dass wir „unterer Mittelstand“<br />

seien. Es war ihr wichtig, da noch<br />

den Anschluss zu halten.<br />

Was hieß das konkret?<br />

Wir lebten in einer kleinen Sozialbau-<br />

Wohnung in Krefeld. Entbehrung habe ich<br />

als Kind zunächst nicht wegen Geldmangel<br />

empfunden, sondern weil meine Eltern<br />

geschieden waren. Meine Mutter hätte<br />

mich nicht aufziehen können, sie kam mich<br />

in unregelmäßigen Abständen besuchen.<br />

Und Ihre Großeltern?<br />

Sie haben sich streng, aber fürsorglich<br />

um mich gekümmert. Meine Oma starb<br />

leider früh, 1979. Da war ich 16. Mein<br />

Großvater sechs Jahre später. Von den<br />

rund 1500 D-Mark, die wir drei damals<br />

monatlich zur Verfügung hatten, knappsten<br />

sie auch noch das Geld für einen<br />

kleinen Urlaub pro Jahr ab. Die mehrstündigen<br />

Wanderungen in Sandalen fand<br />

ich als Kind sehr unspannend.<br />

Wann haben Sie angefangen, soziale<br />

Unterschiede wahrzunehmen?<br />

Meine Grundschule stand in unserem<br />

Viertel. Da waren solche Differenzen<br />

noch nicht spürbar und ich sozusagen „in<br />

guter Gesellschaft“. Alle hatten gleich<br />

wenig. Die Wahrnehmung änderte sich<br />

mit dem Wechsel aufs altsprachliche<br />

Gymnasium.<br />

Wer kam auf die Idee, Sie da hinzuschicken?<br />

Meine Grundschullehrerin. Man trifft<br />

im Leben oft Menschen – außerhalb der<br />

Familie –, die einem helfen, Anstöße<br />

geben und die wahnsinnig wichtig, aber<br />

eben auch Glückssache sind. Meine<br />

Großeltern machten nur klar: Ich darf<br />

nicht sitzenbleiben. Sonst wäre Schluss<br />

mit dem Gymnasium, und eine Lehre<br />

stünde an. Wie wichtig die Schulentscheidung<br />

für den ganzen Lebensweg ist, war<br />

mir damals natürlich nicht klar.<br />

Plötzlich saßen Sie zwischen den Kindern<br />

von Ärzten, Unternehmern und Juristen?<br />

Genau, jedenfalls ganz überwiegend.<br />

Damals war unser Gymnasium noch etwas<br />

für die „besseren Kreise“. Ich erinnere<br />

mich an einen Mitschüler, der mich<br />

mal zu Hause besuchte und sagte: „In der<br />

Bruchbude wohnt ihr also.“<br />

Das schmerzte.<br />

Sagen wir es so: Es war mir unangenehm.<br />

Ich sah ja auch die schönen Einfamilienhäuser<br />

oder Wohnungen der<br />

anderen. Dass meine Eltern geschieden<br />

waren, habe ich allerdings lange als den<br />

größeren Makel erlebt – auch sozial. Dass<br />

es woanders auch krachte, wurde ja meist<br />

gut vertuscht.<br />

Was verriet am Gymnasium<br />

Ihren eigenen Status?<br />

Natürlich auch die Kleidung und Ausstattung.<br />

Ich denke, das ist bis heute so,<br />

auch wenn’s nun eher um das Smartphone-Modell<br />

geht. Die Marken der<br />

anderen konnte ich mir lange schlicht<br />

nicht leisten. Erst mit 16 klappte das<br />

dann zum Beispiel mit den Cowboystiefeln,<br />

die zu der Zeit den Coolness-<br />

Faktor ausmachten.<br />

Wie haben Sie die bezahlt?<br />

Ich habe halt nebenbei gearbeitet und<br />

war sparsam. Schon ab der Grundschule<br />

half ich meinem Opa, Pakete mit Drucksachen<br />

auszuliefern, was damals noch<br />

eher spielerisch war. Später habe ich<br />

außerdem Prospekte ausgetragen und<br />

einen Job in einem Großhandelslager<br />

angenommen.<br />

Würden Sie sagen, Ihre Großeltern waren<br />

„bildungsfern“, wie das heute heißt?<br />

Als Buchdrucker kannte sich mein<br />

Opa mit der deutschen Sprache gut aus.<br />

Ansonsten wurde zu Hause plattdeutsch<br />

gesprochen. Ich habe viel gelesen – vor<br />

allem Bücher über Abenteuer, Politik und<br />

Nachkriegsgeschichte. Es gab aber bei<br />

uns zu Hause nicht den Plan: Der René<br />

muss jetzt ein Instrument lernen und ein<br />

halbes Jahr ins Ausland. Dafür war wirklich<br />

kein Geld da.<br />

Wurde die finanzielle Situation<br />

Ihrer Kleinfamilie am Abendbrottisch<br />

diskutiert?<br />

Jeden Tag. Das war wirklich ein Dauerthema.<br />

Mein Opa hatte eine kleine<br />

Druckerei, die nie viel einbrachte, seit<br />

ich denken konnte. Er schaffte es einfach<br />

nicht, mit den technischen Entwicklungen<br />

Schritt zu halten, musste aber<br />

bis kurz vor seinem Tod arbeiten, weil<br />

er als Selbstständiger keine Rücklagen<br />

mehr hatte und keine Rente<br />

bekam. Seine Sorgen waren tatsächlich<br />

existenziell. Auch nachts<br />

sah ich ihn oft, wie er sich Notizen<br />

machte oder irgendwas kalkulierte.<br />

Wenn Sie schon als Kind<br />

diesen dauernden Druck erleben,<br />

macht das was mit Ihnen.<br />

Was war’s in Ihrem Fall?<br />

Es wurde mir zum Ansporn.<br />

Der Mangel hat mich motiviert.<br />

Ich wollte da raus. Unbedingt.<br />

In der Schulzeit fühlt man sich<br />

ja politisch oft eher links zu<br />

Hause. Was war Ihr Weg?<br />

Ich war zunächst hin und<br />

her gerissen. Meine Mutter<br />

lebte damals in einem eher<br />

linken Künstler-Milieu. Die<br />

Thesen dort fand ich<br />

zumindest teilweise einleuchtend.<br />

Ich sah aber<br />

auch, dass man in der<br />

„Helmut-Kohl-Welt“, in<br />

der sich Leistung ja lohnen<br />

sollte, mehr erreichen kann.<br />

„Ich wollte da raus.<br />

Unbedingt“<br />

Kindheit und Jugend des späteren Telekom-Chefs<br />

René <strong>Obermann</strong> waren von Armut und Mangel geprägt. Hier<br />

spricht er zum ersten Mal darüber, was das mit ihm machte<br />

TEXT VON THOMAS TUMA FOTO VON JÉRÔME DEPIERRE<br />

56


TITEL<br />

Nach dem Abitur wurde mir klar, dass<br />

ich eher der Typ für Marktwirtschaft<br />

und Freiheit bin. Ich wollte „etwas<br />

werden“ und Geld verdienen. So einfach<br />

war das.<br />

Wie fiel Ihr Abi-Schnitt aus?<br />

Sehr mittelmäßig. Die Noten waren<br />

auf unserer Schule im Schnitt aber auch<br />

nicht gerade inflationär gut. Schwache<br />

Erklärung, ich weiß. Aber ich war sehr<br />

froh, es geschafft zu haben.<br />

Ihre Zeit nach dem Abitur verlief<br />

trotzdem untypisch, oder?<br />

Ich ging zur Bundeswehr und wollte<br />

mich verpflichten, weil ich dort schneller<br />

hätte Medizin studieren können. Das<br />

war mein erster Traum. Ich war aber mit<br />

einem Offizier befreundet, der mir dringend<br />

davon abriet. Nach der Bundeswehrzeit<br />

machte ich ein Praktikum bei<br />

einer kleinen IT-Firma in Frankfurt und<br />

danach eine gute Ausbildung bei BMW<br />

zum Industriekaufmann, mit Auslandseinsatz<br />

und tollen Bildungsmöglichkeiten.<br />

Denen bin ich bis heute dankbar, aber<br />

einen Fehler haben sie doch gemacht.<br />

Inwiefern?<br />

Sie haben uns nicht das Gefühl gegeben,<br />

dass wir alles schaffen können, wenn<br />

wir hart daran arbeiten. Wissen Sie: Wir<br />

standen damals vor der BMW-Zentrale<br />

in München, diesem Gebäude, das aussieht<br />

wie ein Vierzylinder. Und ich sagte,<br />

dass ich eines Tages in der Vorstandsetage<br />

mein Büro haben will. Und dann hieß<br />

es, dafür müsste ich weiter studieren, promovieren,<br />

vernetzt sein und und und …<br />

René <strong>Obermann</strong><br />

Alter 60<br />

Ausbildung Nach Abitur und Wehrdienst<br />

absolvierte <strong>Obermann</strong> bei BMW zunächst<br />

eine Ausbildung zum Industriekaufmann<br />

Karriereweg Ein VWL-Studium in<br />

Münster brach er ab, als sich sein eigenes<br />

Handelsunternehmen ABC Telekom gut<br />

entwickelte. Einige Jahre nach dessen<br />

Verkauf wechselte er ins Reich der<br />

Deutschen Telekom, die er von 2006 bis<br />

2013 als CEO führte.<br />

„Ein Mitschüler<br />

besuchte mich<br />

mal zu Hause<br />

und sagte: ‚In<br />

der Bruchbude<br />

wohnt ihr<br />

also ...?‘ “<br />

Angekommen<br />

Der 60-jährige<br />

<strong>Obermann</strong> lebt<br />

heute in Berlin und<br />

arbeitet als Partner<br />

bei der renommierten<br />

US-Private-<br />

Equity-Firma<br />

Warburg Pincus<br />

Es wurde in den Achtzigern viel darüber diskutiert,<br />

wie verantwortlich die Gesellschaft<br />

ist, wenn Leute aus armen Verhältnissen den<br />

Aufstieg nicht schaffen. Ist da was dran?<br />

Sicher, Chancengerechtigkeit war damals<br />

Illusion und ist bis heute nicht wirklich<br />

Realität. Aber das Lamentieren darüber<br />

löst das Problem nicht. Lou Reed singt<br />

in „Men of Good Fortune“, dass reich geboren<br />

kein Garant für Erfolg ist. Eigene<br />

Motivation kann zumindest ein sehr kraftvoller<br />

Antrieb sein. Ich kenne Leute, die<br />

aus sehr guten Elternhäusern kommen,<br />

alle Wege geöffnet bekamen und erfolgreich<br />

wurden – und andere scheiterten mit<br />

den gleichen Voraussetzungen. Und aus<br />

den ärmeren Schichten gibt’s Leute wie<br />

mich, die Glück haben.<br />

57


WIRTSCHAFT<br />

TITEL<br />

Sie haben die besseren Startchancen der<br />

anderen nie als ungerecht empfunden?<br />

Oh doch! Klar. Und für Kinder aus gleichermaßen<br />

sozial schwachen wie bildungsfernen<br />

Familien sind die Chancen<br />

wirklich nicht vergleichbar. Das ist und<br />

bleibt eine Schande.<br />

Stand Ihnen ganz oben als Telekom-Chef<br />

eigentlich mal Ihre Herkunft im Weg?<br />

Ich musste natürlich aufpassen, selber<br />

keine Vorurteile zu entwickeln gegenüber<br />

Kolleginnen und Kollegen aus „guten“<br />

Häusern. Solche verspäteten Neidgefühle<br />

wären genauso unfair wie Misstrauen<br />

gegenüber jemanden aus armen Verhältnissen.<br />

Es dürfen nur Integrität, Kompetenz<br />

und Leistung zählen. Gerade einem<br />

Konzern wie der Telekom hilft es, eine<br />

auch sozial divers geprägte Belegschaft<br />

zu haben. Das Unternehmen bedient mit<br />

seinen Produkten ja auch alle Schichten.<br />

Hat die soziale Durchlässigkeit in<br />

Deutschland nachgelassen?<br />

Sie hat zumindest nicht ausreichend zugenommen.<br />

Einerseits erreichen heute<br />

rund 40 Prozent der Jugendlichen die Allgemeine<br />

Hochschulreife. Andererseits ist<br />

Schule nicht gleich Schule. Die Finanzelite<br />

schickt ihre Kids auf Eliteschulen. Und es<br />

gibt einen unverändert hohen Anteil, der<br />

durch jeden schulischen Rost fällt. Das dürfen<br />

wir nicht zulassen. Es ist gesellschaftlich<br />

maximal unfair und angesichts des<br />

demografischen Wandels und des wachsenden<br />

Fachkräftemangels einfach dumm.<br />

Die Unternehmerin Anna Maria Braun wies<br />

im Interview mit uns darauf hin, dass ihr<br />

Konzern selbst aktiv wird mit Förderprogrammen,<br />

weil 2,5 Millionen junge Menschen<br />

keine abgeschlossene Ausbildung haben …<br />

… was ein echter Skandal ist.<br />

Frau Braun erzählte auch, wie aufwendig<br />

es werden kann, wenn eine Eins-zu-eins-<br />

Begleitung eines Jugendlichen nötig wird …<br />

… die wir uns als Land sparen könnten,<br />

wenn wir uns eine bessere Unterstützung<br />

von der Kita bis zur Oberschule leisten<br />

würden. Ebenso eine ganztägige und<br />

flächendeckende pädagogisch geschulte<br />

Betreuung, nicht nur, aber auch für die<br />

Vielzahl der Flüchtlingskinder.<br />

Wer zahlt das?<br />

Eltern, die das Geld haben, sollen es<br />

selbst bezahlen. Die anderen müssten<br />

dafür mehr staatliche Unterstützung bekommen.<br />

Dafür würde ich als Gutverdiener<br />

gern einen Bildungssoli bezahlen.<br />

Wir dürfen nicht zulassen, dass eine<br />

große Zahl von Kindern in unserem Land<br />

quasi unerkannt in die geistige Verwahrlosung<br />

rutscht. Ich habe schon vor Jahren<br />

gesagt, dass wir einen Pakt brauchen<br />

Politischer Posten <strong>Obermann</strong> 2008 als Telekom-Chef<br />

mit Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />

Privates Glück Der Manager im Jahr 2017 mit<br />

seiner Frau, der ZDF-Journalistin Maybrit Illner<br />

zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.<br />

Passiert ist leider nichts.<br />

Hat das nicht auch mit der Kurzatmigkeit<br />

der Politik zu tun, die nur bis zu<br />

den nächsten Wahlen denkt?<br />

Mag sein. Ich glaube aber, dass viele<br />

Bundesbürger Verständnis zeigen würden,<br />

wenn man ihnen das Projekt gut erklärt.<br />

Bildung wird doch immer als eines der<br />

wichtigsten Themen genannt. Wir müssen<br />

jetzt anfangen, um in 20 Jahren die<br />

Früchte zu ernten.<br />

Grünen-Familienministerin Lisa Paus hat<br />

jüngst eine Kindergrundsicherung erkämpft.<br />

FDP-Finanzminister Christian Lindner warnt<br />

vor Fehlsteuerungen. Wo stehen Sie da?<br />

Es löst sicher nicht allein die Probleme,<br />

pauschal den Eltern in sozialschwachen<br />

Verhältnissen mehr Geld zu geben. Wir<br />

brauchen jetzt viel Geld und Kompetenz,<br />

um die Zahl der Erzieher und Lehrerinnen,<br />

deren pädagogische Möglichkeiten, die<br />

schulische Infrastruktur und Ausstattung<br />

zu verbessern, und zwar schnellstens. Es<br />

müssen auch nicht alle studieren. Unsere<br />

Fachkräfte der Zukunft können wir mit<br />

der dualen Ausbildung sehr gut entwickeln,<br />

von Handwerk oder Industrie über<br />

medizinische Berufe bis zur IT.<br />

Wer schafft es am Ende nach oben?<br />

Jene, die frühzeitig verstehen, dass sie<br />

sich insgesamt gut und auch technologisch<br />

ausbilden müssen. Weitsichtige und<br />

finanziell gut ausgestattete Elternhäuser<br />

können helfen. Aber das und gute Schule<br />

allein reichen nicht. Es kommt auf dich<br />

selbst an: Was willst du, wovon träumst<br />

du? Machen wir uns nichts vor: Aufstieg<br />

ist anstrengend, kostet viel Kraft und Zeit.<br />

Was hieß das in Ihrem Fall?<br />

Dass ich als Unternehmer und Manager<br />

70 bis 80 Stunden pro Woche arbeiten<br />

musste. Bis heute hat sich das nicht grundlegend<br />

geändert. Als Gründer kannte ich<br />

kein Wochenende oder längere Urlaube.<br />

Meine Arbeit war und ist nach wie vor<br />

faszinierend. Aber man muss das wollen.<br />

Wie erleben Sie die hiesigen Debatten um<br />

Work-Life-Balance oder Vier-Tage-Woche?<br />

Was eine gute Work-Life-Balance ist,<br />

muss jeder für sich selbst herausfinden.<br />

Egal in welchem Job – wer etwas Großes<br />

gestalten will, muss Zeit investieren, sich<br />

sehr anstrengen und dauernd hinzulernen.<br />

Egal ob als Künstler, Handwerkerin,<br />

Manager, Unternehmerin oder Beamte.<br />

Klingt wie: Von nix kommt nix.<br />

Was ich nicht gut finde, ist der Anspruch,<br />

für immer weniger Arbeit die gleiche<br />

Bezahlung zu bekommen. Wenn Unternehmen<br />

heute alle möglichen Arten von<br />

Arbeitszeitmodellen anbieten, ist das<br />

super und hilft im Kampf um die besten<br />

Talente, der längst weltweit stattfindet.<br />

Aber was wir gesamtgesellschaftlich nicht<br />

erwarten können, ist eine Wirtschaft, die<br />

letztlich die Freizeit alimentiert. Umverteilung<br />

allein schafft nicht Wohlstand<br />

und Gerechtigkeit. Ich bin dagegen, den<br />

Leistungsgedanken abzuschaffen – in der<br />

Schule wie auch im Beruf.<br />

Ihre eigenen Töchter wuchsen in<br />

Wohlstand auf. Wie haben Sie denen<br />

die nötige Sensibilität bewahrt?<br />

Musste ich nicht. Die sind sehr geerdet,<br />

frei von Dünkel und in einer diversen Community<br />

großgeworden, erst in Münster, später<br />

in Bonn. Klar ging es uns wirtschaftlich<br />

sehr gut. Aber unsere Familien sind ganz<br />

normale Leute. Meine Töchter verfolgen<br />

ihre beruflichen Träume sehr engagiert.<br />

Heute als Finanzinvestor haben Sie mit<br />

einer extrem homogenen Truppe gleich<br />

gesinnter Topkräfte zu tun, oder?<br />

Diese Homogenität besteht allenfalls<br />

in der Top-Ausbildung. Und in der Hinsicht,<br />

dass alle kluge, junge Leute sind<br />

und etwas erreichen wollen. Wir haben<br />

das riesige Privileg, dass sich so gut ausgebildete<br />

Leute für uns entscheiden …<br />

… sagt der Mann, der einst sein Studium<br />

der Volkswirtschaft abbrach.<br />

Ich habe gleich am Anfang des Studiums<br />

in Münster eine Telekommunikations-<br />

Firma gegründet, die schnell größer wurde.<br />

Da musste ich mich entscheiden.<br />

Was erinnert Sie heute noch an Ihre Wurzeln<br />

in der „Unteren Mittelschicht" Ihrer Oma?<br />

Ich mag keine Verschwendung, lasse tatsächlich<br />

das Wasser nicht unnötig laufen<br />

und schalte das Licht aus, wenn ich<br />

einen Raum verlasse. Vor allem: Ich kann<br />

kein Essen wegschmeißen und bin erst<br />

dann fertig, wenn mein Teller leer ist.<br />

Schräg, oder? 7<br />

Fo t o s : J é r ô m e D e p i e r r e f ü r F O C U S - M a g a z i n , i m a g o i m a g e s , B r a u e r P h o t o s<br />

58<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>41</strong>/<strong>2023</strong>

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