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Spectrum_1_2020

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DOSSIER

Text Gioia Jöhri

Illustration Noëmi Amrein

Stress an Universitäten nimmt zu

Immer mehr Studierende nehmen psychologische Hilfe in Anspruch und das Stresslevel steigt. So auch

in Freiburg. Die Psychologische Studierendenberatung stellt dies vor Finanzierungsprobleme.

Stress vor Prüfungen oder Abgabeterminen

sind den wenigsten Studierenden

unbekannt. Doch was, wenn er Überhand

gewinnt und uns beherrscht? Die

psychologische Studierendenberatung ist

eine Anlaufstelle, die in solchen Situationen

Hilfe bietet. Der Psychologe Jean Ducotterd,

der seit langer Zeit bei der Psychologischen

Studierendenberatung arbeitet,

beobachtet immer wieder verschiedene

Wellen von Anliegen. Im letzten Semester

habe es beispielsweise viele Fälle im

Zusammenhang mit Essstörungen, Coming-outs

oder Suchtverhalten gegeben.

Dauerthemen seien Ängste, Zwänge, Phobien

oder Depressionen. Im Bezug auf das

Studium geht es meist um Versagens- oder

Prüfungsangst – manche sind im Gymnasium

gerade noch durchgekommen,

verlieren aber an der Universität den Anschluss,

da sie ohne Strategie ans Lernen

gehen. Zudem nehmen aussergewöhnlich

viele Studierende über dreissig Jahren den

Dienst in Anspruch, da sie mit spezifischen

Schwierigkeiten zu kämpfen haben:

Manchmal ist der finanzielle Druck mit

einer Familie im Hintergrund sehr gross

und die langfristige Integration unter den

meist viel jüngeren Mitstudierenden kann

sich schwierig gestalten.

Anstieg der Konsultationen

Seit dem Jahr 2000 ist die Anzahl der

an der Universität Freiburg immatrikulierten

Studierenden stark gestiegen.

Dieser Anstieg wirkte sich auch auf die

psychologische Studierendenberatung

aus: Die Nachfrage nach Konsultationen

stieg allein im letzten Jahr um

fünfzig Prozent. Vor fünf Jahren führte

die Universitätsleitung im Hinblick

auf eine nachhaltige Finanzierung des

Dienstes pro Sitzung eine Gebühr von

zwanzig Franken ein. Beim psychologischen

Dienst ist man damit zwar nicht

vollumfänglich zufrieden, doch gäbe

es auch Vorteile, sagt Jean Ducotterd.

Die erste Konsultation sei noch immer

kostenlos und die weiteren Sitzungen

würden ernster genommen, wenn dafür

bezahlt werden muss. An anderen

Universitäten wird der Dienst zwar gratis

angeboten (zum Beispiel in Bern,

Zürich oder Lausanne), doch könne

man dort viel weniger Sitzungen beanspruchen.

Der Anstieg der Konsultationen

hängt aber nicht nur mit der

höheren Anzahl Studierenden zusammen.

Allein im letzten Jahr haben sich

die Konsultationen verdoppelt. Dieser

markante Trend kann auch an anderen

europäischen Universitäten beobachtet

werden. Die Gründe dafür sind noch nicht

abschliessend geklärt. Jean Ducotterd sieht

eine mögliche Erklärung darin, dass heute

viele Personen psychologische Hilfe schon

präventiv in Anspruch nehmen. Wer Hilfe

sucht, gilt nicht mehr grundsätzlich als

schwach. Trotzdem kommen heute noch

immer zwei Studentinnen auf einen Studenten.

Dafür sind laut Jean Ducotterd gesellschaftliche

Gründe verantwortlich: Bei

Frauen ist es gesellschaftlich akzeptierter

als bei Männern, Ängste zu haben oder

Emotionen offen zu zeigen.

Finanzielle Probleme

Der grosse Anstieg der Konsultationen hat

die Universität vor Finanzierungsprobleme

des Dienstes gestellt. Trotz der Einführung

der Gebühren vor fünf Jahren und der Erhöhung

der Studiengebühren im Jahr

2018 blieben die finanziellen Probleme

weiterhin bestehen. Das Rektorat hat sich

deshalb nach neuen Möglichkeiten umgeschaut

und hat die AGEF um finanzielle

Unterstützung für den psychologischen

Beratungsdienst gebeten, dies zeigt ein

Protokoll der Studierendenratssitzung der

AGEF im Dezember. Die AGEF hat dies

aus mehreren Gründen abgelehnt, wie ein

Brief an das Rektorat zeigt. Auf Anfrage von

Spectrum bestätigt das Rektorat, dass die

Finanzierung des Dienstes unter anderem

aus dem Budget der Universität gespiesen

wird und dass zurzeit nach nachhaltigen

Lösungen der Finanzierung gesucht wird.

Denn auch in diesem Jahr ist mit einem

Anstieg der Konsultationen zu rechnen.

Das Ziel des Rektorats sei es aber, weder

das Angebot zu reduzieren noch die Gebühren

zu erhöhen.

Während die Finanzierung des Dienstes

im nächsten Jahr weiterhin unklar bleibt,

haben die Berater und Beraterinnen schon

wieder alle Hände voll zu tun. Obwohl sie

laut Jean Ducotterd auf die Themen Lernen

und Stress spezialisiert sind, seien sie

damit auch am längsten beschäftigt. Denn

dass Studierende ihr Lernverhalten tatsächlich

ändern, sei ein langer und schwieriger

Prozess. ■

10 spectrum 02.2020

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