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elaphe 2019-6

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Titelthema: Doppelschleichen

ForschungForschungAls

ForschungForschungAls Direktentwickler sind die Jungtiere von Eleutherodactylus johnstonei nach dem Schlupf aus dem Ei nur wenige Millimeter großFotos: F. LeonhardtEin Kosmos voller blinderPassagiereIch bin allerding nicht auf der Jagdnach Antillen-Pfeiffröschen, umdie nächtliche Lärmbelästigungzu bekämpfen, sondern um denInvasionsprozess dieser Art zu untersuchen.Zum einen geht es darum,ob man sie überhaupt als invasiv bezeichnenkann. Das würde bedeuten,dass sich die Frösche nach Etablierungaktiv ausbreiten und negative Auswirkungenauf heimische Ökosystemehaben. Wenn die Frösche mitihren Pfeifkonzerten tatsächlich nurdie kolumbianische Oberschicht inden Großstädten erfreuen, würde daskeine Klassifizierung als invasive Arterlauben.Allerdings möchte ich in meinemPromotionsprojekt den Fokus einwenig erweitern, da nicht nur dieAntillen-Pfeiffrösche als blinde Passagiereüber das Karibische Meer reisen,sondern sie selbst weiteren blindenPassagieren, ihren symbiotischen Mikroorganismenim Magen-Darm-Traktund auf der Haut, die Reise nachKolumbien (oder in andere Länder)ermöglichen. Daher kann man jedeneinzelnen Antillen-Pfeiffrosch als Habitateiner mikrobiellen Gemeinschaftbetrachten, die genau wie der gebietsfremdeFrosch selbst mit heimischenGemeinschaften interagiert. Hierbeifrage ich mich auf der einen Seite, obdie mitgebrachten Mikroorganismenwomöglich selbst invasiv werden undin die Umwelt übergehen, wobei dieRelevanz gebietsfremder Amphibienals Vektoren für vielleicht pathogeneMikroorganismen deutlich würde.Gleichzeitig möchte ich auf der anderenSeite wissen, welche Funktionensymbiotische Mikroorganismen möglicherweisefür den Invasionsprozessvon Amphibien spielen. Hier wärebeispielsweise denkbar, dass sich dieFrösche durch Aufnahme von Mikroorganismenaus der Umwelt andie neuen Habitate anpassen. Zudemlassen sich neben dem direkten Bezugzum Invasionsprozess andere wichtigeFragestellungen zur Variabilität undFunktionalität des Amphibien-Mikrobiomsbearbeiten. Ich erhoffe mir, dassdie gewonnenen Erkenntnisse dannletztlich, gerade in Zeiten der massivenBedrohung durch Chytridpilze undandere Pathogene, einen Beitrag zumAmphibienschutz leisten können.Hürden im Hotel und amFlughafenFür all das lausche ich also nachtsPfeifkonzerten in kolumbianischenGroßstädten. Begeben wir uns einmalgedanklich wieder an die kolumbianischeKaribikküste, vor das Hotel„El Prado“ in Barranquilla. Wir habendie Frösche bereits geortet (einfach)und den Pförtner des Hotels vomVorhandensein der Pfeiffrösche undunserer Seriosität als Biologen überzeugt(kompliziert). Jetzt müssen wirim Hotelgarten einige Individuen fürunsere Beprobungen fangen. Das istbei den Weibchen, welche sich lautlosam Boden bewegen, der meist braun istwie sie selbst, komplizierter als bei denMännchen, die sich auch durch unsereStirnlampen nicht vom Rufen abhaltenlassen. Meist haben wir jedoch die benötigten20 Tiere pro Standort schnellzusammen.Doch dann besteht die nächste Hürdein der Entnahme von Gewebeproben,Hautabstrichen und Kotproben.Prinzipiell ist es nicht schwer, einemMit sterilen Wattestäbchen werdenProben des Haut-Mikrobioms genommenFoto: J.D. Jimenez BolañoFrosch ein Stück Zeh abzuknipsen, einenHautabstrich zu nehmen und ihnanschließend über Nacht in eine Plastikboxzu setzen, um am nächsten Morgeneine Kotprobe einzusammeln – wennich das im Labor bei uns in Dresden amSenckenberg-Institut mache, gar keinProblem. Auf Feldreise in Kolumbien istdie Situation eine etwas andere: Da wirvon Stadt zu Stadt reisen und das Reisebudgetfür möglichst viele Stationen ausreichensoll, ist ein einfaches Hostel alsUnterkunft immer die beste Wahl. Wasdem Geldbeutel gut tut, verkompliziertallerdings meist die Arbeit: Mein Schlafzimmerist zugleich mein Arbeitszimmerauf Reisen, aber auch das Schlafzimmervon bis zu 13 anderen Personen (z. B. im14er-Schlafsaal in Cartagena). Da kanndas Chaos schon mal Überhand nehmen,und ein möglichst steriler Arbeitsplatzist zwischen Doppelstockbetten, Ventilatorenund Rucksäcken mit herausquellenderDreckwäsche nur mit vielkolumbianischem Improvisationstalentorganisierbar.Zudem ziehen wir einige Aufmerksamkeitauf uns, wenn wir nachts,während der Rest des Hostels für dieSalsa-Bar vorglüht, Frösche abspülenund anschließend mit Wattestäbchenabstreichen. „Jetzt muss ich aber dochmal fragen: Stellt Ihr da gerade irgendwelchenatürlichen Drogen her oderwas macht Ihr eigentlich?“, fragt unsz. B. in Bucaramanga ein SchweizerZimmerkollege. Am einfachsten ist esdann doch, sich für die komplette Prozedurin ein Badezimmer einzuschließen.Dann muss man nur hoffen, dass esfür den ganzen Schlafsaal nicht nur einsgibt und man so nicht den Unmut zuvieler Reisender auf sich zieht. In ihrenMini-Terrarien für eine Nacht habenuns die Froschmännchen zumindestimmer den Gefallen getan, ihre Kehlsäckeeinmal zu schonen und nicht nochZusatzlärm zu den brummenden Ventilatorenund schnarchenden Reisenden(mich eingeschlossen) zu erzeugen.Nach getaner Arbeit geht es dann miteiner riesigen Alu-Box zum Transportvon Proben und Arbeitsutensilien jeweilsweiter zum „frogging“ in dienächste Großstadt. Nachdem ich beiunserem einzigen Inlandsflug gelernthabe, dass Flughafenangestellte skep-tisch werden, wenn man riesige Boxenmit sich schleppt, und einem trotzvorhandener Genehmigungen das Mitführenuntersagen können, treffe ichfür den Rückflug nach Deutschlandrecht spezielle Vorkehrungen, damitdie mühevoll gesammelten Probenauch ankommen. In die verdächtigeBox kommt die stinkige Dreckwäsche,während die Eppis (Probenröhrchen),eingewickelt in mehrere Ausdruckeder Ausfuhrgenehmigung inklusiveÜbersetzung auf Englisch und Deutsch(sicher ist sicher), wild in Schlafsackund Schuhen verteilt in meinem Rucksackdie Reise antreten. Als ich schließlichin München mit vollständigemGepäck, ohne eine einzige Kontrolle,den Flughafen verlasse, denke ich daran,dass manchmal wohl das Chaosbesser funktionieren kann als zu vielOrdnung. Sicher nicht das Einzige, waswir von der kolumbianischen Lebensartlernen können!Zurück in Deutschland, hat mich dannschnell der Büroalltag wieder. Die unsichtbarenMikroorganismen-Gemeinschaften,die meine Frösche besiedeln,werden auf dem Computer-Bildschirmin Form ihrer 16S-rRNA Sequenzensichtbar, und so tausche ich vorerstdie Stirnlampe gegen den Schreibtisch.Doch die nächste Feldreise auf dieKleinen Antillen, in die Ursprungsgebieteder Pfeiffrösche, ist dank einerFörderung aus dem Wilhelm-Peters-Fondsder DGHT schon in Sicht.Die „verdächtige“ Alu-Box im Schrankhinter meinem Schreibtisch lässt meineAugen schon jetzt in Vorfreude auf dasnächste Pfeifkonzert strahlen.LiteraturErnst, R., D. Massemin & I. Kowarik(2011): Non-invasive invadersfrom the Caribbean: the status ofJohnstone’s Whistling frog (Eleutherodactylusjohnstonei) ten yearsafter its introduction to WesternFrench Guiana. – Biol. Invasions13: 1767–1777.Leonhardt, F., J.D. Jimenez-Bolaño& R. Ernst (2019): Whistling invaders:Status and distribution ofJohnstone’s Whistling frog (Eleutherodactylusjohnstonei Barbour,1914), 25 years after its introductionto Colombia. – NeoBiota 45:39–54.5051

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