Forschung im Schatten - Akrützel
Forschung im Schatten - Akrützel
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Interview<br />
12<br />
„Mehr als zwei Geschlechter“<br />
Im Gespräch mit „Trouble X“<br />
Seit mittlerweile fünf Jahren besteht das<br />
Berliner Kunstprojekt „Trouble X“. In<br />
kurzen Comicstrips wird der Alltag eines<br />
Menschen erzählt, der sich nicht als<br />
männlich oder weiblich einordnen lassen<br />
möchte: Mal ernst oder sogar traurig, mal<br />
witzig und <strong>im</strong>mer provokativ zeigen die<br />
Geschichten Ausgrenzung und Ressent<strong>im</strong>ents,<br />
die oftmals stillschweigend hingenommen<br />
werden. Der Mensch hinter<br />
dem Projekt möchte namenlos bleiben,<br />
um Zuschreibungen schon <strong>im</strong> Vorfeld zu<br />
vermeiden und den Fokus auf die Figur<br />
zu lenken. Mit <strong>Akrützel</strong> sprach er_sie über<br />
Stereotypen, Geschlechternormen und<br />
Formulare auf dem Amt.<br />
Was bedeutet eigentlich der Name<br />
„Trouble X“?<br />
Der bezieht sich auf die Genetik, genauer<br />
auf die X- und Y-Chromosome. Und die<br />
sorgen eben <strong>im</strong>mer wieder für Ärger. Das<br />
ist eines der Themen, die ich bearbeite:<br />
Wie Menschen wahrgenommen werden,<br />
wie ihnen Dinge zugeschrieben werden<br />
und wie es dadurch zu Stress und Diskr<strong>im</strong>inierung<br />
kommt.<br />
Wieviel von dir selbst steckt in den<br />
Comics?<br />
Das Projekt ist zunächst aus einem persönlichen<br />
Bedürfnis heraus entstanden,<br />
zu der Geschlechterthematik etwas zu<br />
sagen: Weil ich beispielsweise dauernd<br />
in öffentlichen Räumen angesprochen<br />
wurde und mir Fragen zu meiner Identität<br />
gestellt wurden, was mich unglaublich<br />
genervt hat. Grundsätzlich will ich mich<br />
aber nicht nur mit persönlichen Dingen<br />
auseinandersetzen, sondern versuche<br />
auch ganz gezielt best<strong>im</strong>mteThemen<br />
anzusprechen.<br />
In einer der Geschichten hast du unter<br />
die gewöhnlichen Auswahlmöglichkeiten<br />
in Formularen<br />
„Männlich/weiblich“<br />
ein drittes Kästchen<br />
mit der Aufschrift<br />
„Fuck you!“ gemalt.<br />
Was findest du problematisch<br />
an der zweigeschlechtlichen<br />
Norm?<br />
In der Mehrheitsgesellschaft<br />
besteht ein best<strong>im</strong>mter<br />
Zwang, dass es zwei und<br />
eben nur zwei Geschlechter<br />
geben soll. Und damit sind<br />
dann auch Vorstellungen verknüpft,<br />
wie sich diese beiden<br />
Geschlechter zu verhalten haben, wie<br />
sie sich kleiden sollen; aber auch wen sie<br />
begehren sollen. Womit dann auch wieder<br />
eine klare heterosexuelle Norm verbunden<br />
ist. Diese Norm wird ganz oft nicht<br />
benannt, ist aber dennoch vorhanden.<br />
Wie sieht das dann konkret aus?<br />
Von dieser Norm geht tatsächlich Gewalt<br />
aus. Damit meine ich nicht nur körperliche<br />
Gewalt, sondern auch verbale und<br />
psychische. Wenn ich in der S-Bahn<br />
angesprochen werde, ob ich denn nun<br />
ein Mädchen oder ein Junge bin, ist das<br />
erstmal eine sehr int<strong>im</strong>e Frage, die ich<br />
extrem aufdringlich finde. Es wird aber<br />
auch oft über mich gesprochen, in meiner<br />
Anwesenheit. Mir werden Sprüche gedrückt<br />
– von Menschen, die ich überhaupt<br />
nicht kenne und mit denen ich nichts<br />
zu tun habe. Das geht aber auch bis zu<br />
unmittelbarer Bedrohung. Für ganz viele<br />
ist die Möglichkeit, dass jemand weder<br />
männlich noch weiblich ist, offensichtlich<br />
unvorstellbar.<br />
Deshalb das dritte Kästchen ...<br />
Es zeigt erstmal, dass ich wütend darüber<br />
bin, dass es nur diese zwei Möglichkeiten<br />
geben soll. Denn ich kann mich mit keinem<br />
von beiden identifizieren. Das hinterlässt<br />
bei mir Befremden, und auch Wut.<br />
Aber ich habe das dritte Kästchen bewusst<br />
offen gelassen. Ich möchte den Leuten ja<br />
auch nicht ihre eigenen Geschlechterdefinitionen<br />
wegnehmen, sondern ich möchte<br />
sie öffnen und sagen: Hey, es gibt mehr<br />
Geschlechter als nur diese beiden.<br />
Und die Alternative, das Ausbrechen<br />
aus starren Geschlechternormen – wie<br />
ist das möglich?<br />
Ein großes Problem ist zunächst mal, dass<br />
Verhaltensweisen aber auch die Art, wie<br />
sich ein Mensch kleidet, sofort mit einem<br />
best<strong>im</strong>mten Geschlecht assoziiert werden.<br />
Und das ist das Schwierige:<br />
Den Menschen klarzumachen,<br />
dass es eben nicht „typisch<br />
männlich“ und „typisch weiblich“<br />
gibt, sondern dass ein<br />
Verhalten erst einmal nur<br />
ein Verhalten ist und nicht<br />
<strong>im</strong>mer Ausdruck von Geschlecht<br />
sein muss.<br />
Und was kann man<br />
dagegen tun?<br />
Ich fände es gut,<br />
wenn Menschen<br />
ZEICHNUNGEN: TROUBLE X<br />
öfter gefragt würden, wie sie sich selbst<br />
identifizieren und wie sie beispielsweise<br />
angeredet werden möchten. Dann ist es<br />
wichtig, nicht auf Grundlage von Äußerlichkeiten<br />
irgendwelche Zuschreibungen<br />
zu machen. Also dass ich nicht eine<br />
Person auf der Straße sehe und sie dann<br />
in eine best<strong>im</strong>mte Kiste stecke. Ein paar<br />
Sachen sind auch einfach Übung: Die<br />
meisten Menschen sind es gewohnt, eine<br />
Person konstant als „Er“ oder „Sie“ zu<br />
bezeichnen. Dazu gibt es Alternativen.<br />
Ich kenne beispielsweise viele Leute, die<br />
Pronomen abwechselnd benutzen.<br />
Manche Menschen ziehen sich ja wegen<br />
der alltäglichen Diskr<strong>im</strong>inierung<br />
in die Subkultur zurück ...<br />
Es ist schon wichtig, dass es eine Szene<br />
gibt, in der sich niemand erklären muss. Es<br />
ist aber auch wichtig, dass es dabei nicht<br />
bleibt: Dass Leute da wieder rausgehen,<br />
und ihre Erfahrungen und Informationen<br />
an die Leute herantragen, die eben nicht<br />
das Privileg haben, sich beispielsweise<br />
Berlin als Wohnort raussuchen zu können.<br />
Zum Beispiel, indem man Comics<br />
zeichnet?<br />
Nicht alle Leute haben Zeit und Energie<br />
um Judith Butler zu lesen. Ich finde es<br />
gut, in einem kurzen Statement Leute zu<br />
erreichen – in einer Sprache die auch<br />
Menschen verstehen, die nicht unbedingt<br />
Gender-Studies an der Uni belegen. Ich<br />
will, dass diese Themen <strong>im</strong> Alltag vieler<br />
Menschen ankommt, dass dort Selbstverständlichkeiten<br />
hinterfragt werden. Und<br />
so etwas wie Zweigeschlechtlichkeit ist<br />
eben bei vielen Leuten eine Selbstverständlichkeit.<br />
Und wieviele Fragebögen hast du<br />
schon „erweitert“?<br />
Manchmal habe ich auch Spaß daran,<br />
solche Bögen auszufüllen. Klar, wird der<br />
Fragebogen dann nicht gewertet. Aber ich<br />
finde es schon wichtig, die Leute darauf<br />
aufmerksam zu machen, dass es mit den<br />
zwei Kästchen eben nicht getan ist.<br />
Das Gespräch führte<br />
Philipp Böhm<br />
Im Rahmen des „International Day against<br />
Homophobia“ (IDAHO) findet noch bis<br />
Ende der Woche eine „Trouble X“-Ausstellung<br />
<strong>im</strong> Frei(t)raum in der CSZ 3 statt.<br />
Weitere Infos auf www.idaho-jena.de und<br />
www.troublex.blogsport.de.