Forschung im Schatten - Akrützel
Forschung im Schatten - Akrützel
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(3) Kopfsalat<br />
Seltene Tiger, blutige Robbenbabys, bedrohte<br />
Wälder, leere Futternäpfe in den<br />
Tierhe<strong>im</strong>en: Und ich soll sie alle retten. ICH!<br />
Mein kaputter Rücken trägt mich widerwillig<br />
durch Jena, die Einkaufstüten von Aldi schleifen<br />
am Boden, Blasen drücken <strong>im</strong> Schuh und da<br />
kommen sie plötzlich aus dem Dickicht und<br />
greifen an: Die Tier- und Umweltschützer, die<br />
mein Geld wollen und noch schl<strong>im</strong>mer: meine<br />
Zeit! Sie fragen mich aufdringlich, ob ich „Ein<br />
Herz für …“ habe. Und wenn ich mich wortlos<br />
vorbeischleiche, heftet sich doch irgendwie das<br />
schlechte Gewissen an meine Fersen. Ich kann<br />
kein guter Mensch sein, zumindest <strong>im</strong> Moment<br />
nicht, ich muss hier kurz zu Ende studieren und<br />
nebenbei noch das WG-Klo putzen.<br />
Ich spreche von Tagen, an denen man schon<br />
um sieben aus dem Bett fällt, sich schnell wach<br />
duscht und mit lauwarmem Kaffee in der Kehle<br />
aus dem Haus in die Uni rennt. Das Seminar ist<br />
dann auch noch so öde und ineffektiv, dass<br />
einem die Gehirnzellen absterben, aber egal:<br />
Anwesenheitspflicht! Danach steigt man auf<br />
dem He<strong>im</strong>weg über Kotzepfützen in der Krautgasse<br />
hinweg und denkt neidvoll: „Rausch, Ekstase<br />
und die Gedanken auf Standby, das will<br />
ich auch! Aber ich muss ja massenweise Texte<br />
lesen, Vorträge ausarbeiten, zwischendurch<br />
soziale Kontakte pflegen, so etwas wie einem<br />
Hobby nachgehen, panisch durchkalkulieren,<br />
ob das Bafög diesmal für den ganzen Monat<br />
reicht. Nahrung ranschaffen und halbwegs<br />
die Wohnung vom Dreck befreien.“ Am lästigsten<br />
sind nämlich genau diese Zeitfresser:<br />
Kühlschrank und Ke<strong>im</strong>. Das eine leert sich<br />
dreisterweise von allein und das andere häuft<br />
sich Apokalypse verheißend an.<br />
Be<strong>im</strong> Erledigen häuslicher Pflichten war mein<br />
Gehirn vor kurzem wieder so beschäftigt mit<br />
dem mentalen Abhaken meiner To-Do-Listen,<br />
dass ich auf dem Weg zum Waschkeller den<br />
Wohnungsschlüssel vergessen habe. Der<br />
Ersatzschlüssel liegt leider be<strong>im</strong> Hausmeister,<br />
der seinerseits ein Zeitdieb ist. Er wird nicht<br />
müde mich zu fragen, wann ich ihn endlich<br />
„zeichnen“ möchte. Erst hielt ich diese Bitte<br />
für einen Scherz, aber das war sie nicht! Der<br />
gute Mann ist be<strong>im</strong> Anbringen eines Spiegels<br />
in meinem Z<strong>im</strong>mer zufällig auf mein Aktskizzen-<br />
Buch gestoßen und war plötzlich von einer<br />
kranken Idee besessen: Er möchte ein Bild von<br />
sich. Eines, „das nicht jeder hat“. Ich hätte doch<br />
best<strong>im</strong>mt mal ein Stündchen. Wir könnten doch<br />
einen Deal machen, oder nicht?<br />
Man stelle sich einen Freitagabend vor, 21 Uhr.<br />
Nackter Hausmeister, ich, ein Skizzenblock –<br />
alle zusammen <strong>im</strong> Fahrradkeller. Zum Glück ist<br />
die Ausrede vom Zeitmangel in diesem Fall<br />
sehr nützlich.<br />
Der Hurricane aus Zeit- und Geldnot hinterlässt<br />
in meinem Kopf einen Schrotthaufen.<br />
Deshalb müssen Termine, die nichts mit sexueller<br />
Belästigung zu tun haben, auf hunderten<br />
bunter Zettel vermerkt werden. Langsam<br />
vertausche ich sie und gehe anstatt zum Physiotherapeuten<br />
zum Psychotherapeuten und der<br />
wundert sich darüber, dass ich halbnackt und<br />
mit Gymnastikmatte vor ihm stehe. Neben dem<br />
Chaos ist die Müdigkeit mein größter Feind.<br />
Mein Freund sagt <strong>im</strong> Bett verheißungsvoll,<br />
ich solle jetzt aussuchen, was wir als nächstes<br />
machen und ich sage nur: „Schlafen?“ und<br />
dann guckt er wie eine der Robben auf den<br />
WWF-Plakaten und ich fühle mich schon wieder<br />
schlecht. Freundschaften pflege ich nur<br />
noch über E-Mails und das Betätigen des „I<br />
like-Buttons“, damit das Gefühl aufkommt, ich<br />
hätte mich bei ihnen „gemeldet“.<br />
Dann ist mir da noch ständig die St<strong>im</strong>me meiner<br />
Mutter <strong>im</strong> Ohr, die Mantra-ähnlich fragt,<br />
wie es mir geht und was ich gerade mache<br />
und die Erde beginnt sich <strong>im</strong>mer schneller zu<br />
drehen und ich komme nicht umhin mich zu<br />
fragen: Was soll der ganze Stress? Wofür? Ist<br />
das Ziel nah? Wartet am Ende eine schicke<br />
Altbauwohnung auf mich oder eine abgebrochene<br />
Sozialwohnsiedlung? Wohin bringt<br />
mich mein Studium? Wird sich das Erfüllen aller<br />
Pflichten irgendwann auszahlen? Oder werde<br />
ich für einen Euro die Stunde nackte Männer<br />
in düsteren Kellern zeichnen müssen? Solange<br />
mich existenzielle Fragen wie diese und das<br />
Zeitmanagement meines Studiums in den<br />
Wahnsinn treiben, müssen die vom Aussterben<br />
Bedrohten leider warten.<br />
Jana Felgenhauer<br />
44 ZEICHNUNG: FRANZISKA DEMMLER