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Prof. Dr. Hermann Bausinger Kulturwissenschaftler im Gespräch mit ...

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und fragt, was du <strong>mit</strong> diesem Witz eigentlich hast sagen wollen." Das ist ja<br />

auch wieder so eine den Deutschen unterstellte Eigenart: Man kann<br />

angeblich lustige Dinge in Deutschland nicht auf sich beruhen lassen,<br />

sondern muss <strong>im</strong>merzu fragen, was das denn bedeute. Man will keinen<br />

Leichtsinn, sondern Tiefsinn. Der Tiefsinn wird also vermeintlich selbst dort<br />

noch verlangt, wo Witze erzählt werden.<br />

Kastan: Das ist auch der Grund dafür, warum Ironie in den elektronischen Medien<br />

oft nicht rüberkommt, nicht verstanden wird. Denn man macht sich oft<br />

einfach viel zu viele Gedanken und n<strong>im</strong>mt automatisch alles <strong>im</strong>mer sehr<br />

ernst. Das ist vielleicht auch so ein wenig eine typisch deutsche<br />

Eigenschaft, dass wir alles <strong>im</strong>merzu hinterfragen müssen.<br />

<strong>Bausinger</strong>: Wobei bei der Ironie natürlich hinzukommt, dass sie – je nachdem – doch<br />

auch bereits gewisse Anforderungen stellt, Anforderungen an das<br />

Weltverständnis. Ich denke hier z. B. an die berühmte SPD-Werbung, die<br />

Staeck damals gemacht hat. Das war ein Plakat, auf dem ein Ferienhaus<br />

<strong>im</strong> Tessin zu sehen war. Darunter stand: "Arbeiter! Die SPD will euch eure<br />

Häuser <strong>im</strong> Tessin wegnehmen!"<br />

Kastan: Und das Ganze war auch noch in altdeutscher Schrift geschrieben.<br />

<strong>Bausinger</strong>: Genau. Aber die Arbeiter haben z. T. so darauf reagiert, dass sie gesagt<br />

haben: "Ich verstehe das gar nicht. Ich habe doch kein Haus <strong>im</strong> Tessin!" Die<br />

Ironie kam also nicht rüber. Ironie kann also <strong>mit</strong>unter gefährlich sein.<br />

Übrigens auch gegenüber Kindern. Ich muss mir hier auch selbst einiges<br />

vorwerfen. Ich bin nämlich <strong>mit</strong> meinen Kindern <strong>im</strong>mer sehr ironisch<br />

umgegangen. Das war aber nicht <strong>im</strong>mer richtig, weil das z. T.<br />

Beleidigungen waren für sie, ohne dass ich das auch nur irgendwie gewollt<br />

hätte.<br />

Kastan: Die Kinder können ja auch oft den Unterschied gar nicht feststellen, wann<br />

etwas ironisch und wann etwas ernst gemeint ist. Wie hat sich denn der<br />

Witz <strong>im</strong> Laufe der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte verändert?<br />

<strong>Bausinger</strong>: Der Witz, so wie wir ihn heute verstehen, ist eigentlich eine relativ junge<br />

Erscheinung. Er hat sich erst <strong>im</strong> 19. Jahrhundert wirklich herausgebildet.<br />

Der Witz ist ja charakterisiert durch Kürze. Man kann ja eigentlich auch gar<br />

keine wirklich langen Witze erzählen. Und der Witz ist charakterisiert<br />

dadurch, dass am Ende eine ganz überraschende Pointe kommen muss: In<br />

dieser Pointe, in dieser Spitze liegt eigentlich der ganze Witz.<br />

Demgegenüber war es früher so gewesen, dass die Leute natürlich auch<br />

gelacht haben und sich lustige Geschichten erzählt haben, diese<br />

Geschichten aber durch behaglich erzählte Szenen und Bilder<br />

charakterisiert waren. Es gibt ein sehr schönes Beispiel, an dem man das<br />

klar machen kann, eine Geschichte, die bis heute <strong>im</strong> Laienspiel gelegentlich<br />

noch gespielt wird, ein <strong>Dr</strong>ama von Hans Sachs über einen fahrenden<br />

Studenten <strong>im</strong> Paradies. Diese Geschichte geht wahrscheinlich auf eine<br />

französische Dichtung zurück: Eine Frau verliert ihren Mann und kurz<br />

darauf trifft sie einen fahrenden Scholaren, also einen Studenten. Der<br />

Student erzählt, dass er aus Paris käme. Die Frau versteht jedoch<br />

"Paradies" und fragt ihn daher, ob sie ihm etwas für ihren verstorbenen<br />

Mann <strong>mit</strong>geben dürfe. Der Student n<strong>im</strong>mt das auch tatsächlich <strong>mit</strong>.<br />

Hinterher kommt es dann noch zu einer Erweiterung dieser Geschichte,<br />

indem er dem Sohn dieser Frau sogar noch das einzige Pferd <strong>im</strong> Haus<br />

abluchst. Charakteristisch ist diese Geschichte deshalb, weil diese<br />

Wortverwechslung zwischen Paris und Paradies zwar auch ein Witz ist –<br />

Witze beruhen ja oft auf Wortverwechslungen –, aber da<strong>mit</strong> beginnt diese<br />

Geschichte erst: Da<strong>mit</strong> fängt diese Geschichte erst an. Man spricht hier z.<br />

T. auch von Schwänken, von Schwankgeschichten, die ganz behaglich ihre<br />

Bilder ausmalen.<br />

Kastan: Ich habe gelesen, Sie halten an Ihrer alten Universität in Tübingen

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