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Prof. Dr. Hermann Bausinger Kulturwissenschaftler im Gespräch mit ...

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Hochkultur - also das, was sich in Opernhäusern, in Theatern und in<br />

Konzertsälen abspielt – nicht zu ihren Gegenständen gezählt hat; auch<br />

innerhalb dessen, was man als Volkskultur bezeichnet, hat sie sich<br />

konzentriert auf das, was <strong>mit</strong> dem Stichwort "Tradition" verbunden war. Die<br />

Volkskunde lief deshalb Gefahr, dass sie allmählich nur noch über<br />

Trachtenvereine und über alte Bauernschränke spricht. Dies hat zwar <strong>mit</strong><br />

der Gesamtheit der Volkskultur durchaus zu tun, deckt aber eben doch nur<br />

einen kleinen Ausschnitt davon ab.<br />

Kastan: Das war Ihnen also eindeutig zu verstaubt.<br />

<strong>Bausinger</strong>: Das war mir zu wenig. Wir haben uns zwar für diese Dinge auch<br />

interessiert, zumal sie ja z. T. auch politisch verwendet, politisch ins Bild<br />

gerückt wurden, aber wir haben dann doch gesehen, dass eigentlich ganz<br />

andere Dinge eine Rolle spielten. Wenn ich damals z. B. ein<br />

volkskundliches Lexikon aufgeschlagen habe, dann gab es dort<br />

meinetwegen einen Artikel über den Hund. In diesem Artikel über den Hund<br />

war dann die Rede davon, dass in Schleswig-Holstein in Mondnächten ein<br />

Hund <strong>mit</strong> drei Beinen gesichtet wurde usw. Solche Beispiele fanden sich<br />

mehrere in solchen Büchern. Nichts stand jedoch in diesen Büchern<br />

darüber, dass der Hund eines der liebsten Spielzeuge der Deutschen ist,<br />

dass die Haltung gegenüber den Hunden sehr viel über die Bevölkerung<br />

aussagen kann, dass der Hund z. T. als Kommunikations<strong>mit</strong>tel fungiert,<br />

dass also die Menschen <strong>mit</strong> ihrem Hund nur deshalb spazieren gehen, um<br />

dabei <strong>mit</strong> anderen Hundebesitzern in Kontakt zu kommen. All diese Dinge<br />

waren bis dahin nicht Gegenstand der Volkskunde gewesen. Wir waren<br />

damals jedoch der Meinung, dass gerade das einen wesentlichen Teil der<br />

Kulturwissenschaft ausmacht: nicht nur speziell der Hund, sondern eben<br />

diese Alltagsdinge, die jenseits von Bauernschränken und alten Trachten zu<br />

finden sind.<br />

Kastan: Sie wollten es einfach ein bisschen realistischer haben, Sie wollten sich <strong>mit</strong><br />

Dingen beschäftigen, die das Leben wirklich ausmachen.<br />

<strong>Bausinger</strong>: Ja, realistischer.<br />

Kastan: In einem Artikel habe ich über Sie gelesen: "<strong>Bausinger</strong> unterzog sein Fach<br />

einer systematischen Kritik. Die Ablösung der traditionellen Volkskunde<br />

durch eine kulturanalytische Methode hat er durchgesetzt." Sie selbst<br />

bezeichnen sich ja als <strong>Kulturwissenschaftler</strong>: Wenn man Sie als<br />

Volkskundler bezeichnen würde, würden Sie dann sagen, dass das gerade<br />

noch durchgeht? Oder würden Sie sich wehren?<br />

<strong>Bausinger</strong>: Nein, das geht schon durch. Der Name "Volkskunde" wurde z. T. ja auch<br />

beibehalten. Es gibt nach wie vor eine "Deutsche Gesellschaft für<br />

Volkskunde", deren Vorsitzender ich eine ganze Zeit lang gewesen bin. Es<br />

gibt eine "Zeitschrift für Volkskunde" usw. Das ist also ein Dachbegriff, unter<br />

dem sich nun andere Begriffe angesiedelt haben wie "Europäische<br />

Ethnologie", "Kulturanthropologie" und eben auch, wie wir das in Tübingen<br />

genannt haben, "empirische Kulturwissenschaft". Wir wollten nämlich <strong>mit</strong><br />

diesem Stichwort "empirisch" andeuten, dass wir nicht in erster Linie eine<br />

Museumswissenschaft sind, obwohl wir natürlich auch sehr viel <strong>mit</strong> Museen<br />

zu tun haben, sondern dass uns das un<strong>mit</strong>telbare Leben angeht.<br />

"Empirisch" heißt ja, dass das etwas <strong>mit</strong> Erfahrung zu tun hat: Es sollte also<br />

klar werden, dass wir als Erfahrungswissenschaftler Leute befragen, Leute<br />

beobachten, Situationen beobachten und daraus unsere Schlüsse ziehen.<br />

Kastan: Sie haben, als Sie Chef in Tübingen wurden, auch gleich Ihr Institut<br />

umbenannt in Ludwig-Uhland-Institut.<br />

<strong>Bausinger</strong>: Nein, nicht gleich. Ich bin 1960 dort Chef geworden und die Umbenennung<br />

war erst 1970. Das ist vielleicht ganz interessant, das hier zu erwähnen: Ich<br />

dachte zehn Jahre lang, man müsse diese Volkskunde nur richtig betreiben,

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