Im Fokus: Unabhängigkeit - PwC
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Aktuelles aus der<br />
Rechnungslegung<br />
und Revision<br />
www.pwc.ch/disclose<br />
Disclose<br />
<strong>Im</strong> <strong>Fokus</strong>: <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
Juni 2011
Herausgeber: PricewaterhouseCoopers AG, Geschäftsbereich Wirtschaftsprüfung, Birchstrasse 160, 8050 Zürich<br />
Konzept, Redaktion und Gestaltung: PricewaterhouseCoopers AG, Zürich<br />
Redaktion: Graf Moll & Partner, Corporate Publishing GmbH, Zürich<br />
Druck: Zofinger Tagblatt AG<br />
Disclose – Aktuelles aus Rechnungslegung und Revision (www.pwc.ch/disclose)<br />
erscheint zweimal jährlich in deutscher und französischer Sprache mit einer Auflage von 14’000 Exemplaren.<br />
Bestellungen von Gratisabonnementen und Adressänderungen: sonja.jau@ch.pwc.com
<strong>Im</strong> Februar 2005 erschien die erste Ausgabe von<br />
«Disclose». Den Zeitpunkt, eine regelmässig erscheinende<br />
Publikation zu Fragen der Rechnungslegung und<br />
der Revision herauszugeben, hatte <strong>PwC</strong> nicht zufällig<br />
gewählt. Die Regulierungswelle, ausgelöst durch die<br />
Zusammenbrüche namhafter Unternehmen, hatte zu<br />
jener Zeit einen Höhepunkt erreicht. In der Schweiz etwa<br />
stand das Revisionsaufsichtsgesetz (RAG) zur parlamentarischen<br />
Beratung an.<br />
Mein Vorgänger begann sein Editorial damals mit den<br />
Sätzen: «Dynamisch, reguliert, komplex – so lässt<br />
sich das momentane Umfeld der Schweizer Wirtschaft<br />
beschreiben. Noch vor einigen Jahren war ‹Selbstregulierung›<br />
das Schlagwort. Dann wich es ‹Corporate<br />
Governance›, ‹Transparenz›, ‹Prüfungsstandards›<br />
oder ‹Revisionsaufsichtsgesetz›. Wohin führt die<br />
zunehmende Regulierung? Wird sie nach den jüngsten<br />
Gesetzesvor lagen ein Ende finden?»<br />
Ein Ende hat die Regulierung seither nicht gefunden.<br />
Zwischenzeitlich hat die nächste Krise den nächsten<br />
Regulierungsschub ausgelöst. Mit einiger Verzögerung<br />
liegen auch neue Vorschläge zur Stärkung der <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
der Revision und zur Verbesserung der Prüfungsqualität<br />
auf dem Tisch. Notabene: Dies, obwohl von<br />
einem Versagen der Wirtschaftsprüfer in der Finanzkrise<br />
bislang keine Rede sein kann. Auch zusätzliche Regeln<br />
vermögen zudem die nächste Krise nicht zu verhindern.<br />
Mit der nun vorliegenden 14. Ausgabe hat das Magazin<br />
«Disclose» nicht nur ein neues optisches Erscheinungsbild,<br />
sondern auch ein leicht modifiziertes inhaltliches<br />
Konzept erhalten. Künftig widmen wir uns im ersten Teil<br />
des Heftes einem Schwerpunktthema. Dieses wählen wir<br />
unter den Aspekten Aktualität und Relevanz für unsere<br />
Kunden aus. Das Thema dieser Ausgabe wird beiden<br />
Anforderungen gerecht: Es ist die «<strong>Unabhängigkeit</strong>».<br />
Peter Ochsner<br />
Leiter Wirtschaftsprüfung Schweiz, peter.ochsner@ch.pwc.com<br />
Die <strong>Unabhängigkeit</strong> ist ein zentraler Begriff in der<br />
Finanzberichterstattung. Doch was heisst <strong>Unabhängigkeit</strong>?<br />
Wer oder was soll unabhängig sein? Und wovon?<br />
In der Mathematik mag es eine eindeutige Definition für<br />
unabhängige Variablen geben; in der Finanzberichterstattung<br />
ist der Begriff weit schwieriger zu fassen. Dies<br />
zeigen auch die zahlreichen Versuche von Wissenschaftlern,<br />
Regulatoren und berufsständischen Organisationen,<br />
dem Phänomen der <strong>Unabhängigkeit</strong> beizukommen.<br />
Unabhängig ist nicht die Finanzberichterstattung als<br />
solche. An sie lässt sich «nur» der Anspruch des «true and<br />
fair view» erheben: Sie soll Dritten einen Einblick in die<br />
tatsächliche Vermögens- und Ertragslage gewähren. Dies<br />
bedingt Transparenz und ein gewisses Mass an Objektivität.<br />
Unabhängig können nur die Akteure sein, jene<br />
Personen, die in den Berichterstattungsprozess involviert<br />
sind.<br />
Das Postulat der <strong>Unabhängigkeit</strong> richtet sich nicht nur<br />
an Wirtschaftsprüfer, wenngleich es für unsere Branche<br />
essenziell ist. Auch Verwaltungsräte, insbesondere die<br />
Mitglieder von Audit Committees, sind angesprochen.<br />
Aufschlussreich ist zudem die Frage, was <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
für jene Institutionen heisst, welche die Rechnungslegungsstandards<br />
herausgeben.<br />
In der vorliegenden Ausgabe beleuchten Senior Partner<br />
von <strong>PwC</strong> verschiedene Facetten des Begriffs der<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong>. Ich hoffe, dass die Beiträge auch Ihnen<br />
einige Denkanstösse vermitteln.<br />
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.<br />
Juni 2011 Disclose 3
Inhalt<br />
4<br />
Disclose Juni 2011<br />
Editorial<br />
5<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> erhöht die Qualität der<br />
Berichterstattungskette von Peter Ochsner<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> ist für Prüfer die «license<br />
to operate» von Dr. Matthias Jeger<br />
11<br />
3<br />
«Es muss eine Machtbalance gefunden<br />
werden.» Hans Wey im Gespräch über die<br />
Unab hängigkeit des Verwaltungsrats und die<br />
Integrität des Managements<br />
IASB im Umbruch von Peter Eberli<br />
Leserservice<br />
33<br />
14<br />
8<br />
16 Update<br />
In der Rubrik Update thematisiert «Disclose» die<br />
Gesamtergebnisrechnung, die Konvergenz von IFRS und<br />
US GAAP, den neuen IASB-Entwurf zum Hedge Accounting,<br />
die internationalen Prüfungsstandards Clarity-ISA, das<br />
neue Schweizer Rechnungslegungsrecht und die<br />
elektronische Archivierung von Geschäftsprozessen.
<strong>Unabhängigkeit</strong> erhöht die Qualität<br />
der Berichterstattungskette<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> stellt eine Voraussetzung für ein<br />
eigenständiges Urteil dar. In der Finanzberichterstattung<br />
ist der Begriff stark mit Objektivität,<br />
Integrität und Fachkompetenz verknüpft. Die Forderung<br />
nach <strong>Unabhängigkeit</strong> richtet sich vor<br />
allem an die Wirtschaftsprüfer. Wenngleich sie für<br />
die Revisionsstelle unverzichtbar ist, betrifft sie<br />
doch alle in die Berichterstattungskette involvierten<br />
Akteure.<br />
Peter Ochsner<br />
Leiter Wirtschaftsprüfung Schweiz<br />
peter.ochsner@ch.pwc.com<br />
Die Begriffe «<strong>Unabhängigkeit</strong>»<br />
und «Qualität» werden häufig in<br />
einem Atemzug genannt. Die<br />
Qualität bezieht sich dabei auf<br />
die Finanzberichterstattung,<br />
die <strong>Unabhängigkeit</strong> in der Regel<br />
auf die Abschlussprüfung. Der<br />
Zusammenhang liegt auf der<br />
Hand: Ein objektives Urteil der<br />
Revisionsstelle erhöht die<br />
Qualität des Jahresabschlusses.<br />
Objektive Urteile wiederum<br />
setzen <strong>Unabhängigkeit</strong> der<br />
Urteilenden voraus.<br />
Diese Überlegung ist zweifellos<br />
richtig. Nur: Das Postulat der<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> wird meist und<br />
zuallererst mit den Wirtschaftsprüfern<br />
in Verbindung gebracht.<br />
Es gilt jedoch auch für andere<br />
Personen, die an der Finanzberichterstattung<br />
beteiligt sind:<br />
für Verwaltungsräte, Standardsetzer<br />
und Aufsichtsbehörden,<br />
für Ratingagenturen und<br />
Finanzanalysten. Für ein<br />
Gremium gilt es freilich nur<br />
bedingt: die Geschäftsleitung,<br />
die den Jahresabschluss<br />
vorbereitet. Sie muss zwar alles<br />
Integrität<br />
plus Fachwissen<br />
ermöglichen<br />
objektive Urteile<br />
daransetzen, dass die Finanzberichterstattung<br />
dem Grundsatz<br />
des «true and fair view»<br />
entspricht, was ein gewisses<br />
Mass an Objektivität bedingt.<br />
Der Lagebericht fordert aber<br />
auch eine subjektive Einschätzung;<br />
denn die Situation des<br />
Unternehmens kann das<br />
Management nur aus seiner<br />
Sicht darlegen und begründen.<br />
Man darf indes vom Management,<br />
wie übrigens von<br />
allen anderen Akteuren auch,<br />
Integrität erwarten – ein<br />
weiterer Begriff, der im<br />
Kontext der <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
von Bedeutung ist.<br />
Die beiden Aspekte der<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong><br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> ist wie Integrität<br />
zunächst eine Frage der<br />
Persönlichkeit, eine Ausprägung<br />
des Charakters. Man könnte<br />
sagen, wer unabhängig ist, ist<br />
frei von etwas. Er steht bei seiner<br />
Urteilsbildung nicht unter<br />
wirtschaftlichem Druck und<br />
gerät nicht in Interessenkonflikte.<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> bildet die<br />
Voraussetzung, um sich eine<br />
eigenständige Meinung bilden<br />
und ein objektives Urteil fällen<br />
zu können. Dieser Aspekt schlägt<br />
sich für die Wirtschaftsprüfer<br />
in der Forderung nach «independence<br />
of mind» oder «innerer<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong>» nieder.<br />
Ihr Gegenstück ist die «independence<br />
in appearance», die<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> dem Anschein<br />
nach: Es liegen keine Um -<br />
stände vor, aufgrund derer ein<br />
Dritter auf Befangenheit<br />
schliessen könnte. Die Unterscheidung<br />
findet sich sowohl im<br />
Juni 2011 Disclose 5
Quintessenz: <strong>Unabhängigkeit</strong> lässt sich bis ins kleinste Detail formalisieren,<br />
doch zur inneren <strong>Unabhängigkeit</strong> trägt dies wenig bei. Letztlich kommt es auf die<br />
handelnden Personen an.<br />
Ethikkodex der International<br />
Federation of Accountants<br />
(IFAC) als auch in den Richtlinien<br />
zur <strong>Unabhängigkeit</strong> der<br />
schweizerischen Treuhand-<br />
Kammer. Die Definition der<br />
Treuhand-Kammer, die fast im<br />
Wortlaut jener der IFAC<br />
entspricht, zeigt, wie eng die<br />
Begriffe <strong>Unabhängigkeit</strong>,<br />
Integrität und Objektivität<br />
zusammenhängen: Die innere<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> ist eine<br />
Einstellung, die «es dem<br />
Einzelnen erlaubt, mit Integrität,<br />
Objektivität und der berufsüblichen<br />
kritischen Grundhaltung<br />
zu handeln».<br />
Auf Augenhöhe argumentieren<br />
Für ein unabhängiges Urteil<br />
braucht es aber mehr, als integer<br />
und ungebunden zu sein. Es<br />
braucht Wissen und Können.<br />
Wie kann sich jemand ein Urteil<br />
bilden, wenn er die Materie nicht<br />
begreift; wenn er nicht auf<br />
gleicher Augenhöhe mit anderen<br />
Personen der Berichterstattungskette<br />
argumentieren kann?<br />
Während die Anforderungen an<br />
die Qualifikation von Revisoren<br />
im Revisionsaufsichtsgesetz<br />
geregelt sind, ist das Kompetenzprofil<br />
von Verwaltungsräten<br />
6<br />
Disclose Juni 2011<br />
in der Schweiz nicht gesetzlich<br />
festgelegt. Der «Swiss Code<br />
of Best Practice for Corporate<br />
Governance» der economiesuisse<br />
empfiehlt lediglich, dass<br />
die Mehrheit der Mitglieder in<br />
bestimmten Ausschüssen des<br />
Verwaltungsrats unabhängig<br />
sein sollte. In Absatz 22 heisst<br />
es: «Als unabhängig gelten<br />
nicht exekutive Mitglieder des<br />
Verwaltungsrats, welche der<br />
Geschäftsführung nie oder vor<br />
mehr als drei Jahren angehört<br />
haben und die mit der Gesellschaft<br />
in keinen oder nur<br />
verhältnismässig geringfügigen<br />
geschäftlichen Beziehungen<br />
stehen.» Gemäss dem Swiss<br />
Code sollte sich der Prüfungsausschuss<br />
(Audit Committee)<br />
ausschliesslich aus «nicht<br />
exekutiven, vorzugsweise<br />
unabhängigen Mitgliedern<br />
des Verwaltungsrats» zusammensetzen.<br />
Die Mehrheit der<br />
Mitglieder, darunter der<br />
Vorsitzende, sollte zudem im<br />
Finanz- und Rechnungswesen<br />
erfahren sein.<br />
Anders als in Europa nimmt die<br />
Börsenaufsicht in den USA<br />
starken Einfluss auf die Auslegung<br />
gesetzlicher Bestimmungen.<br />
<strong>Im</strong> Zuge des «Sarbanes-<br />
Oxley Act of 2002» hat die SEC<br />
eine Fülle von Regeln zur<br />
Offenlegung und zur Corporate<br />
Governance verabschiedet.<br />
Vor allem Mitglieder des Audit<br />
Committee sollten in der Lage<br />
sein, komplexe Fragen der<br />
Rechnungslegung zu beurteilen.<br />
In den USA kennt man deshalb<br />
seit einiger Zeit den «Audit<br />
Committee Financial Expert».<br />
Die Börsenaufsichtsbehörde SEC<br />
hat klar umrissen, welchen<br />
Kriterien ein Verwaltungsrat<br />
genügen muss, der als Finanzexperte<br />
dem Audit Committee<br />
angehört. Das wichtigste ist:<br />
Er muss die Rechnungslegungsstandards<br />
verstehen und<br />
ihre Anwendung vor allem im<br />
Hinblick auf Schätzungen,<br />
Abgrenzungen und Reserven<br />
beurteilen können.<br />
Eine weitere Bestimmung<br />
betrifft den «independent<br />
director». <strong>Im</strong> Board US-amerikanischer<br />
Unternehmen sitzen<br />
geschäftsführende und nicht<br />
exekutive Personen. Letzteren<br />
obliegt die Aufsicht über das<br />
Unternehmen. Die SEC verlangt,<br />
dass – im Interesse der Investoren<br />
– die Mehrheit der Board-<br />
Mitglieder unabhängig ist.<br />
Dabei definiert sie die <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
über einen ausführlichen<br />
Negativkatalog. Das Audit<br />
Committee sollte grundsätzlich<br />
aus unabhängigen Personen<br />
zusammengesetzt sein. Die<br />
beiden Regeln zusammen<br />
sollen gewährleisten, dass Audit<br />
Committees hinreichend<br />
unabhängig und kompetent sind,<br />
um die Rechnungslegung (und<br />
andere Aspekte der Unternehmenspolitik,<br />
etwa das Risikomanagement)<br />
zu beurteilen.<br />
Erneute Diskussion zur<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong><br />
Hierzulande konzentriert sich<br />
die Diskussion derzeit erneut<br />
auf die <strong>Unabhängigkeit</strong> der<br />
Wirtschaftsprüfer. Vor zehn<br />
Jahren hatte der Zusammenbruch<br />
des US-Energiekonzerns<br />
Enron eine regelrechte Regulierungswelle<br />
ausgelöst. Die<br />
offenkundigen Interessenkonflikte<br />
der Revisionsfirma<br />
erschütterten das Vertrauen in<br />
die gesamte Prüfungsbranche.<br />
Die Folge war eine weitgehende<br />
Trennung zwischen Prüfung<br />
und Beratung. Damit wurde<br />
zu Recht einem der wichtigsten<br />
Grundsätze der <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
Genüge getan, dem Verbot<br />
der Selbstprüfung: Keine<br />
Revisionsfirma sollte in den<br />
Konflikt geraten, etwas prüfen<br />
zu müssen, wozu sie selbst<br />
geraten hat.
Nun, nach der nächsten Krise,<br />
greift die Europäische Kommission<br />
das Thema wieder auf.<br />
Am 13. Oktober 2010 hat die<br />
Kommission das Grünbuch<br />
«Weiteres Vorgehen im Bereich<br />
der Abschlussprüfung: Lehren<br />
aus der Krise» vorgelegt. Darin<br />
stellt sie eine Reihe von Vorschlägen<br />
zur Diskussion, die aus ihrer<br />
Sicht die Qualität der Abschlussprüfung<br />
und die <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
des Prüfers verbessern und so zu<br />
mehr Finanzstabilität beitragen<br />
könnten (siehe auch Beitrag auf<br />
Seite 8). Zum Grünbuch erhielt<br />
die EU-Kommission mit fast<br />
700 Stellungnahmen die höchste<br />
Antwortquote, die je ein Thema<br />
des Bereichs «Binnenmarkt<br />
und Dienstleistungen» ausgelöst<br />
hat. Die generelle Intention –<br />
Erhöhung der Prüfungsqualität,<br />
Verringerung der Erwartungslücke<br />
im Zusammenhang mit<br />
der Prüfung, Intensivierung<br />
der Kommunikation – stiess auf<br />
grosse Resonanz. Skeptisch<br />
äusserten sich die Kommentatoren<br />
aber hinsichtlich einiger<br />
heikler Punkte. So lehnen sie die<br />
Bestellung des Abschlussprüfers<br />
durch einen Dritten, etwa eine<br />
Regulierungsbehörde, mehrheitlich<br />
ab. Eine verbindliche<br />
Rotation der Prüfungsfirmen<br />
stösst auf ebenso wenig<br />
Resonanz wie die Absicht,<br />
Nichtrevisionsdienstleistungen<br />
für Revisionskunden noch<br />
sehr viel restriktiver zu handhaben.<br />
Bis zum 22. Juni 2011<br />
will das Europäische Parlament<br />
eine Resolution zum Grünbuch<br />
verabschieden. Von deren Inhalt<br />
dürfte eine starke politische<br />
Signalwirkung auf die weitere<br />
Regulierungsarbeit der Kommission<br />
ausgehen. Auf die revidierten<br />
Vorschläge der Kommission,<br />
die voraussichtlich im November<br />
veröffentlicht werden, darf<br />
man gespannt sein.<br />
Grenzen der Formalisierung<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> lässt sich bis ins<br />
kleinste Detail formalisieren,<br />
doch zur inneren <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
trägt dies wenig bei.<br />
Letztlich kommt es immer auf<br />
die handelnden Personen an.<br />
Sind sie integer? Sind sie in<br />
der Lage und willens, objektiv<br />
zu urteilen? Der Ethik-Code der<br />
IFAC enthält eine Leitlinie zu<br />
diesen beiden Begriffen:<br />
«Das Prinzip der Objektivität legt<br />
allen professionellen Prüfern<br />
die Verpflichtung auf, ihre<br />
beruflichen Urteile nicht durch<br />
Befangenheit, Interessenkonflikte<br />
oder unangemessenen<br />
Einfluss Dritter zu gefährden»<br />
und «Das Prinzip der Integrität<br />
verpflichtet alle professionellen<br />
Prüfer, aufrichtig und ehrlich<br />
in ihren Geschäftsbeziehungen<br />
zu sein. Integrität beinhaltet<br />
auch eine anständige Handlungsweise<br />
und Wahrhaftigkeit.»<br />
Wenn alle Personen, die an<br />
der Berichterstattungskette<br />
beteiligt sind, diese Prinzipien<br />
verinnerlichten, wäre vielleicht<br />
mehr bewirkt, als es regelorientierte<br />
Gesetze und Standards<br />
zu tun vermögen.<br />
Gesetzliche Regelungen zur <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
Die <strong>Unabhängigkeit</strong> der Revisionsstelle ist im Obligationenrecht (OR) und im Revisionsaufsichtsgesetz<br />
(RAG), das 2007 in Kraft getreten ist, gesetzlich geregelt.<br />
Art. 728 Abs. 1 OR lautet: «Die Revisionsstelle muss unabhängig sein und sich ihr Prüfungsurteil<br />
objektiv bilden. Die <strong>Unabhängigkeit</strong> darf weder tatsächlich noch dem Anschein nach beeinträchtigt<br />
sein.» Konkret heisst dies vor allem: Die Revisionsstelle beziehungsweise deren Mitglieder dürfen<br />
• nicht im Verwaltungsrat oder in anderen Entscheidungsfunktionen des zu prüfenden Unternehmens<br />
vertreten sein und keine arbeitsrechtlichen Beziehungen zu ihm unterhalten;<br />
• keine direkten oder bedeutenden indirekten Beteiligungen am Aktienkapital halten und keine<br />
wesentlichen Forderungen gegenüber dem Unternehmen haben;<br />
• nicht an der Buchführung mitwirken oder andere Dienstleistungen erbringen, bei denen das<br />
Risiko entsteht, dass die Revisionsstelle ihre eigenen Arbeiten überprüft.<br />
Zudem darf der leitende Revisor keine engen Beziehungen zu einem Mitglied des Verwaltungsrats,<br />
zu einem anderen Entscheidungsträger im Unternehmen oder zu einem bedeutenden Aktionär<br />
unterhalten.<br />
Art. 728b OR hält fest, dass der Bericht der Revisionsstelle an den Verwaltungsrat Angaben zur<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> enthalten muss.<br />
Das RAG geht über Art. 728 OR hinaus. Art. 11 RAG enthält die Bestimmungen zur <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
staatlich beaufsichtigter Revisionsunternehmen, die Prüfungsdienstleistungen für Publikumsgesellschaften<br />
erbringen. Danach dürfen die Honorare eines Unternehmens oder Konzens höchstens<br />
zehn Prozent der gesamten Honorarsumme der Prüfungsgesellschaft ausmachen. Eine weitere<br />
Regelung betrifft Personen, die Entscheidungsträger des zu prüfenden Unternehmens waren oder dort<br />
eine leitende Stellung in der Rechnungslegung innehatten und die zur Revisionsgesellschaft wechseln:<br />
Sie dürfen während zweier Jahre keine Revisionsdienstleistungen für ihr ehemaliges Unternehmen<br />
erbringen. Umgekehrt darf eine Publikumsgesellschaft keine Personen beschäftigen, die in den beiden<br />
vorangegangen Geschäftsjahren die externe Prüfung geleitet oder eine Führungsrolle in der betreffenden<br />
Revisionsgesellschaft bekleidet hatten.<br />
Art. 6 RAG schreibt zudem vor, dass die Führungsstruktur der Prüfungsunternehmen eine genügende<br />
Überwachung der einzelnen Mandate gewährleisten muss.<br />
Juni 2011 Disclose 7
Quintessenz: Die <strong>Unabhängigkeit</strong> liegt im ureigenen Interesse der Prüfer.<br />
Sie können ihrem Qualitätsanspruch nur gerecht werden, wenn sie sich ihr Urteil<br />
unbeeinflusst bilden.<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong><br />
ist für Prüfer die<br />
«license to operate»<br />
Gesetze, regulatorische Vorschriften und<br />
berufsständische Regeln schreiben die <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
des Abschlussprüfers vor. Ziel ist<br />
es, die Prüfungsqualität sicherzustellen. Das<br />
Postulat der <strong>Unabhängigkeit</strong> ist aber auch<br />
im Selbstverständnis des Wirtschaftsprüfers<br />
und der Revisionsgesellschaften verankert.<br />
Fraglich ist, ob eine weiter gehende Regulierung<br />
die <strong>Unabhängigkeit</strong> stärkt und die<br />
Qualität der Prüfung erhöht.<br />
8<br />
Disclose Juni 2011<br />
Revisoren müssen unabhängig<br />
sein. Diese Forderung ergibt sich<br />
unmittelbar aus der Zielsetzung<br />
der Abschlussprüfung: Art. 728a<br />
OR schreibt vor: «Die Revisionsstelle<br />
prüft, ob die Jahresrechnung<br />
und gegebenenfalls die<br />
Konzernrechnung den gesetzlichen<br />
Vorschriften, den Statuten<br />
und dem gewählten Regelwerk<br />
entsprechen […].» <strong>Im</strong> Testat gibt<br />
der Prüfer sein Urteil gegenüber<br />
Dritten ab. Die Aktionäre und<br />
alle anderen Stakeholder des<br />
Unternehmens müssen sich auf<br />
den Bestätigungsvermerk<br />
verlassen können. Dazu müssen<br />
sie davon ausgehen können, dass<br />
der Prüfer sein Urteil frei von<br />
Einflüssen des Managements<br />
oder des Verwaltungsrats gefällt<br />
hat. Nur ein unabhängiger<br />
Dritter ist in der Lage, gegenüber<br />
Aussenstehenden eine eigenständige<br />
Meinung abzugeben.<br />
Glaubwürdigkeit des<br />
Testats<br />
Die <strong>Unabhängigkeit</strong> des Prüfers<br />
ist eine unabdingbare Voraussetzung<br />
für die Glaubwürdigkeit<br />
des Testats. Gesetzgeber und<br />
Regulatoren haben dieses<br />
Postulat daher rechtlich<br />
verankert, und die berufsständischen<br />
Organisationen wie die<br />
International Federation of<br />
Accountants (IFAC) oder die<br />
Treuhand-Kammer erwarten die<br />
Einhaltung ihrer diesbezüglichen<br />
Richtlinien. Die <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
liegt aber auch im<br />
Dr. Matthias Jeger<br />
Partner, Wirtschaftsprüfung<br />
matthias.jeger@ch.pwc.com<br />
ureigenen Interesse der<br />
Prüfungsgesellschaften und der<br />
Prüfer. Sie können ihrem<br />
Qualitätsanspruch an die<br />
Prüfungen nur gerecht werden,<br />
wenn sie sich ihr Urteil unbeeinflusst<br />
bilden und veröffentlichen.<br />
Die <strong>Unabhängigkeit</strong> ist ihre<br />
«license to operate», die<br />
Grundlage ihrer Geschäftstätigkeit.<br />
Mit ihr steht und fällt die<br />
Glaubwürdigkeit des Urteils,<br />
aber auch die Reputation der<br />
Revisionsstelle. Nur Prüfungsgesellschaften,<br />
die dauerhaft ihren<br />
Ruf und ihr Ansehen bewahren,<br />
können im Markt überleben.<br />
Das Reputationsrisiko ist für die<br />
Branche existenzgefährdend;<br />
dies zeigt der Untergang von<br />
Arthur Andersen im Zuge des<br />
Enron-Konkurses vor zehn<br />
Jahren.<br />
Es wäre ein Irrtum, anzunehmen,<br />
die Wirtschaftsprüfer<br />
träfen nur Vorkehrungen zur<br />
Wahrung der <strong>Unabhängigkeit</strong>,<br />
um nicht gegen Gesetze und<br />
andere regulatorische Vorschriften<br />
zu verstossen.<br />
Vielmehr ist <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
ein bestimmendes Element der<br />
langfristigen Geschäftsstrategie<br />
der Revisionsfirmen. Für den<br />
einzelnen Wirtschaftsprüfer ist<br />
sie in der Regel zudem eine<br />
Sache der Ehre. Ein Gefälligkeitsurteil<br />
abzugeben, ist – ähnlich<br />
wie bei einem Arzt – mit<br />
dem persönlichen Berufsethos<br />
nicht vereinbar.
Best Practice der Prüfungsgesellschaften<br />
Konformität mit den rechtlichen<br />
und regulatorischen Vorschriften<br />
und die Einhaltung der<br />
berufsständischen Richtlinien<br />
gelten bei den Prüfungsgesellschaften<br />
als oberster Grundsatz.<br />
<strong>PwC</strong> hält dies explizit in ihrem<br />
«Code of Conduct» fest. Bestimmungen<br />
zur <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
stellen einen wesentlichen<br />
Bestandteil der Verhaltenskodizes<br />
und der geschäftspolitischen<br />
Richtlinien dar; sie werden in<br />
die Prozesse und die Qualitätssicherungssysteme<br />
integriert.<br />
<strong>PwC</strong> verankert die <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
auf zwei organisatorischen<br />
Ebenen: Es gibt einerseits<br />
Verhaltensvorschriften für<br />
Partner und Mitarbeitende und<br />
andererseits Genehmigungsverfahren<br />
für die Annahme von<br />
Kunden und Mandaten.<br />
Auf der personellen Ebene sind<br />
die Vorschriften je nach Position<br />
innerhalb der Firma abgestuft.<br />
Partner beispielsweise müssen<br />
alle ihre Vermögensanlagen<br />
in einer Datenbank erfassen. Auf<br />
der Basis dieser Selbstdeklaration<br />
wird überprüft, ob unter<br />
den Vermögensanlagen<br />
«restricted investments» sind,<br />
also Anlagen, die aufgrund der<br />
Tätigkeit des Partners einer<br />
Beschränkung unterliegen.<br />
Sollte dies der Fall sein, fordert<br />
<strong>PwC</strong> ihn auf, diese Investments<br />
zu veräussern. Auch wenn der<br />
Partner eine neue Investition<br />
tätigen will, muss er anhand der<br />
Datenbank kontrollieren, ob<br />
diese einer Restriktion unter-<br />
liegt. Die Vermögensdeklaration<br />
betrifft nicht nur den Partner<br />
selbst, sondern auch dessen<br />
Lebenspartner und Familienangehörige,<br />
die finanziell von ihm<br />
abhängig sind. Ähnlich strenge<br />
Regeln gelten für Direktoren.<br />
Das Qualitätsmanagementsystem<br />
der internen Kontrolle<br />
stellt sicher, dass alle Mitarbeitenden<br />
diese Vorschriften<br />
strikt einhalten. Bei Verstössen<br />
greift eine Sanktionspolitik, die<br />
bis zur Entlassung führen kann.<br />
Auf Mandatsebene sind Unab-<br />
hängigkeitsbestimmungen<br />
vor allem dann besonders<br />
rigoros, wenn es um die<br />
Erbringung einer Nichtrevisionsdienstleistung<br />
für einen<br />
Revisionskunden geht. <strong>PwC</strong> hat<br />
ihre gesamte Angebotspalette<br />
nach erlaubten und nicht<br />
erlaubten Dienstleistungen<br />
klassifiziert. Das «Statement of<br />
Permitted Services» enthält<br />
detaillierte Beschreibungen<br />
dessen, was erlaubt ist, und hält<br />
fest, in welchen Fällen zusätzliche<br />
Schutzvorkehrungen<br />
getroffen werden müssen.<br />
Darüber hinaus gibt es stets eine<br />
Einzelfallprüfung. Bevor <strong>PwC</strong><br />
ein Nichtrevisionsmandat für<br />
einen Revisionskunden annimmt,<br />
wird ein bestimmter<br />
Prozess durchlaufen: Ein<br />
<strong>PwC</strong>-Mitarbeiter, der beispielsweise<br />
eine Beratungsleistung<br />
erbringen möchte, muss den<br />
leitenden Revisor anfragen und<br />
detailliert darlegen, dass die<br />
Dienstleistung nicht mit den<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong>svorschriften in<br />
Konflikt gerät. Erst wenn der<br />
Revisionsaufsichtsbehörde<br />
Die Eidgenössische Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) hat ihre<br />
rechtliche Grundlage im Revisionsaufsichtsgesetz (RAG). Ihre<br />
Tätigkeit hat sie am 1. September 2007 – gleichzeitig mit dem<br />
Inkrafttreten des RAG – aufgenommen. Die Behörde ist einerseits<br />
Zulassungsstelle für Prüfer und Prüfungsgesellschaften und<br />
andererseits Aufsichtsorgan. Art. 16 Abs. 1 RAG verlangt, dass die<br />
Behörde die staatlich beaufsichtigten Revisionsunternehmen<br />
mindestens alle drei Jahre einer eingehenden Überprüfung<br />
unterzieht. Die RAB selbst verfolgt das Ziel, die grossen Prüfungsgesellschaften<br />
jedes Jahr zu kontrollieren. Nach Art. 16 Abs. 2b<br />
RAG überprüft sie dabei «die Einhaltung der gesetzlichen<br />
Pflichten sowie die Beachtung der Berufsgrundsätze der Standesregeln<br />
und gegebenenfalls des Kotierungsreglements». Dies<br />
impliziert, dass die RAB auch die Einhaltung der <strong>Unabhängigkeit</strong>sbestimmungen,<br />
wie sie das Gesetz und die berufsständischen<br />
Regeln festlegen, einer Kontrolle unterzieht.<br />
Die RAB muss ihre Aufsicht unabhängig ausüben (Art. 28 Abs. 2<br />
RAG). Ihr Verwaltungsrat, den der Bundesrat wählt, muss<br />
«fachkundig und von der Revisionsbranche unabhängig sein»<br />
(Art. 30 Abs. 2 RAG).<br />
leitende Revisor – gegebenenfalls<br />
in Rücksprache mit dem<br />
Verantwortlichen für <strong>Unabhängigkeit</strong>sfragen,<br />
dem sogenannten<br />
Independence Officer –<br />
seine Zustimmung gegeben hat,<br />
darf das Nichtrevisionsmandat<br />
angenommen werden. Der<br />
gesamte Prozess muss – unter<br />
Verwendung von Tools und<br />
Datenbanken – dokumentiert<br />
und damit nachvollziehbar sein.<br />
Bei Konzernprüfungen gilt<br />
diese Vorgehensweise weltweit<br />
für alle <strong>PwC</strong>-Ländergesellschaften.<br />
In der Schweiz überprüft<br />
die Revisionsaufsichtsbehörde,<br />
ob Nichtrevisionsdienstleistungen,<br />
insbesondere Beratungs-<br />
leistungen, für das geprüfte<br />
Unternehmen die <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
tatsächlich oder dem<br />
Anschein nach beeinträchtigen.<br />
Strenge Vorschriften seit<br />
Sarbanes-Oxley<br />
Seit Inkrafttreten des Sarbanes-<br />
Oxley Act (SOX) von 2002<br />
gehen die <strong>Unabhängigkeit</strong>svorschriften<br />
sehr weit. Die<br />
US-Börsenaufsichtsbehörde<br />
SEC hat das Gesetz in zahlreichen<br />
Regelungen umgesetzt.<br />
Die EU hat die Achte EG-Richtlinie,<br />
die sogenannte Abschlussprüferrichtlinie,<br />
im Jahr 2006<br />
revidiert und an die US-Vorschriften<br />
angeglichen. In der<br />
Juni 2011 Disclose 9
Quintessenz: Eine Revisionsgesellschaft darf keine Sachverhalte überprüfen,<br />
an deren Gestaltung sie selbst mitgewirkt hat.<br />
Schweiz trat 2007 das Revisionsaufsichtsgesetz<br />
(RAG)<br />
in Kraft. Es wurden staatliche<br />
Aufsichtsbehörden für Prüfungsgesellschafteneingerichtet.<br />
Doch nun, acht Jahre nach<br />
SOX, hat die Diskussion um<br />
die <strong>Unabhängigkeit</strong> der Prüfer<br />
erneut begonnen – obwohl<br />
die Finanzkrise dazu keinen<br />
Anlass gegeben hat.<br />
Weiter gehende Regulierung<br />
– ein Qualitäts gewinn?<br />
<strong>Im</strong> Oktober 2010 publizierte die<br />
Europäische Kommission ein<br />
Grünbuch. Darin stellt die<br />
Kommission eine Reihe von<br />
Überlegungen zur Diskussion,<br />
die aus ihrer Sicht die Abschlussprüfung<br />
verbessern und so zu<br />
mehr Finanzstabilität beitragen<br />
könnten. Das Grünbuch enthält<br />
Vorschläge zur <strong>Unabhängigkeit</strong>,<br />
welche die heutige Rechtslage<br />
rigoros verschärfen würden.<br />
Unter anderem werden die<br />
Bestellung des Abschlussprüfers<br />
durch eine Behörde statt durch<br />
die Generalversammlung sowie<br />
eine regelmässige Rotation<br />
der Prüfungsgesellschaft und<br />
nicht nur des leitenden Prüfers<br />
erwogen. Ein weiterer gravierender<br />
Punkt ist die Überlegung,<br />
das Verbot zur Erbringung<br />
von Nichtprüfungsleistungen<br />
auszudehnen und in letzter<br />
Konsequenz möglicherweise<br />
«reine Prüfungsgesellschaften»<br />
zu schaffen. Um der Konzentration<br />
auf dem Prüfungsmarkt<br />
entgegenzuwirken, schlägt das<br />
Grünbuch «joint audits» vor. Das<br />
Vorbild für die Kommission<br />
bildet offenbar Frankreich. Dort<br />
10<br />
Disclose Juni 2011<br />
müssen börsennotierte Gesellschaften<br />
zwei Prüfungsgesellschaften<br />
bestellen, die sich die<br />
Prüfungsarbeiten teilen und<br />
das Prüfungsurteil gemeinsam<br />
unterschreiben. Diese Praxis<br />
möchte die EU-Kommission<br />
ausbauen; sie denkt an die<br />
«Schaffung obligatorischer<br />
Audit-Konsortien unter Einbeziehung<br />
mindestens einer<br />
system unrelevanten Prüfungsgesellschaft<br />
für die Prüfung<br />
grosser Unternehmen».<br />
Es fragt sich, ob diese Regelungen<br />
dem ausdrücklichen<br />
Ziel, die Prüfungsqualität zu<br />
erhöhen, dienlich sind, ja, ob sie<br />
überhaupt geeignet sind, die<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> weiter zu<br />
stärken. Die heutigen Regeln zur<br />
Erbringung von Nichtrevisionsdienstleistungen<br />
stellen sicher,<br />
dass es nicht zu einer Selbstprüfung<br />
kommt. Eine Revisionsgesellschaft<br />
darf keine Sachverhalte<br />
überprüfen, an deren<br />
Gestaltung sie selbst mitgewirkt<br />
hat. Es ist ihr beispielsweise<br />
untersagt, an der Erstellung der<br />
Jahresrechnung oder der<br />
Buchführung mitzuwirken oder<br />
Managemententscheidungen<br />
zu fällen. Auch im Rahmen<br />
der revisionsnahen Beratung<br />
sind nur Dienstleistungen<br />
erlaubt, bei denen der Berater<br />
keine Entscheidungen trifft.<br />
Eine unterstützende Beratung<br />
vermag die Qualität des<br />
Jahresabschlusses aber deutlich<br />
zu erhöhen; denn wer wüsste<br />
besser um die Schwachstellen<br />
der Rechnungslegung als<br />
der Prüfer?<br />
Abschlussprüfungen, vor allem<br />
bei international tätigen<br />
Unternehmen, sind heute derart<br />
komplex, dass der Prüfer auf<br />
Spezialisten – etwa für Steuern,<br />
IT oder Bewertungsfragen –<br />
angewiesen ist. Die grossen<br />
Prüfungsgesellschaften haben<br />
dieses Wissen im Hause; Prüfer<br />
und Berater sind eingespielt und<br />
folgen den gleichen Standards.<br />
Experten bei Dritten einzukaufen,<br />
geht stets mit Verständnisschwierigkeiten<br />
und Reibungsverlusten<br />
einher. Die Folgen sind<br />
Qualitätseinbussen und höhere<br />
Kosten der Revision.<br />
Auch eine obligatorische<br />
Rotation der Revisionsfirma ist<br />
keine geeignete Massnahme,<br />
um die Qualität der Prüfung zu<br />
steigern. <strong>Im</strong> Gegenteil: Empirische<br />
Studien belegen, dass die<br />
Rotationspflicht die Prüfungsqualität<br />
in den ersten Jahren<br />
nach dem Wechsel beeinträchtigt.<br />
Der Verlust an Wissen ist vor<br />
allem bei grossen internationalen<br />
Mandaten erheblich, das<br />
Fehlerrisiko hoch. Die heutige<br />
Regelung, den leitenden<br />
Revisor nach fünf beziehungsweise<br />
sieben Jahren zu ersetzen,<br />
begegnet dem «Risiko der<br />
Vertrautheit», das die EU-Kommission<br />
anspricht, viel wirkungsvoller.<br />
Vertrautheit ergibt sich<br />
auf einer persönlichen Ebene.<br />
Dem beugt die Pflicht zur<br />
Rotation des leitenden Revisors<br />
vor. Das Wissen des Prüfungsteams<br />
aber bleibt erhalten.<br />
Auch die Idee der «joint audits»<br />
vermag nicht zu überzeugen.<br />
Wird ein Revisionsmandat von<br />
zwei Prüfungsgesellschaften<br />
übernommen, so führt dies<br />
unweigerlich zu Doppelspurigkeiten.<br />
Länder, die mit diesem<br />
Konzept Erfahrungen gesammelt<br />
haben – etwa Dänemark –,<br />
sind wieder davon abgerückt,<br />
weil sich die Qualität der<br />
Prüfung nachweislich nicht<br />
erhöht hat. «Joint audits» rücken<br />
im Gegenteil die Haftungs -<br />
frage in ein neues Licht.<br />
Gemeinsam mit dem Vorschlag,<br />
den Abschluss prüfer durch<br />
eine Behörde zu bestellen,<br />
würde diese Regelung den<br />
derzeit gut funktionierenden<br />
Markt ausser Kraft setzen.<br />
Fazit<br />
Die Revisionsgesellschaften<br />
nehmen die gesetzlichen und<br />
die berufsständischen Richtlinien<br />
zur <strong>Unabhängigkeit</strong> sehr<br />
ernst. Die strikte Einhaltung<br />
dieser Vorschriften ist weit<br />
mehr als eine Übung in Sachen<br />
Compliance: Sie ist eine<br />
Grundvoraussetzung für den<br />
Geschäftsbetrieb. <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
liegt im ureigenen Interesse<br />
der Prüfer – aufgrund langfristiger<br />
strategischer Überlegungen<br />
und, nicht zuletzt,<br />
weil <strong>Unabhängigkeit</strong> eine Frage<br />
des Berufsethos ist.
Hans Wey<br />
Verwaltungsratspräsident <strong>PwC</strong> Schweiz<br />
hans.wey@ch.pwc.com<br />
Der Verwaltungsratspräsident<br />
von <strong>PwC</strong> Schweiz über die <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
des Verwaltungsrats und<br />
die Integrität des Managements<br />
Wann ist ein Verwaltungsratsmitglied<br />
unabhängig?<br />
Ein Verwaltungsrat ist unabhängig, wenn<br />
er sich unbeeinflusst durch bestehende<br />
Beziehungen zum Unternehmen eine<br />
objektive Meinung bilden kann. Dies setzt<br />
unter anderem voraus, dass er über ein<br />
hinreichendes Fachwissen verfügt und<br />
persönlich integer ist.<br />
Wie ist die <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
von Verwaltungsratsmitgliedern<br />
geregelt?<br />
Es gibt in der Schweiz keine abschliessende<br />
gesetzliche Regelung dazu, wohl aber<br />
Standards und Best Practices. Economiesuisse<br />
hat im «Swiss Code of Best Practice for<br />
Corporate Governance» Empfehlungen zur<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> von Verwaltungsräten<br />
formuliert. Danach gilt ein Verwaltungsrat<br />
als unabhängig, wenn er nicht in die<br />
Geschäftsführung des Unternehmens<br />
involviert ist und dies in den letzten drei<br />
Jahren nicht war und wenn er keine<br />
wesentlichen geschäftlichen Beziehungen<br />
mit der Gesellschaft unterhält.<br />
Wie verbindlich ist der Swiss Code?<br />
Die Empfehlungen des Swiss Code sind an<br />
Publikumsgesellschaften gerichtet. Für<br />
nichtkotierte Unternehmen stellen sie<br />
einen Leitfaden dar. Der Code ist heute<br />
ein Standard. Er ist aber nicht die einzige<br />
Regelung. Für Banken hat die Finanzmarktaufsichtsbehörde<br />
FINMA weiter<br />
reichende <strong>Unabhängigkeit</strong>sbestimmungen<br />
erlassen. So gilt beispielsweise ein Verwaltungsrat<br />
als nicht unabhängig, wenn er<br />
ein – im Sinne des Bankengesetzes – qualifiziert<br />
Beteiligter ist, das heisst, wenn er<br />
eine Beteiligungsquote von mindestens<br />
zehn Prozent hält.<br />
Sollten Verwaltungsräte überhaupt<br />
unabhängig sein?<br />
Der Sinn liegt darin, dass es «checks and<br />
balances» im Unternehmen gibt. Der<br />
Verwaltungsrat bildet ein Gegengewicht<br />
zur Geschäftsleitung. Er muss das Manage-<br />
ment im Sinne der Eigentümer des<br />
Unternehmens fordern, kontrollieren und<br />
überwachen. Die <strong>Unabhängigkeit</strong> der<br />
Verwaltungsräte ist somit insbesondere bei<br />
grösseren Gesellschaften relevant, bei<br />
denen der Verwaltungsrat die Geschäftsführung<br />
delegiert hat.<br />
Werden bei der Bestellung der Ausschüsse,<br />
vor allem des Audit Committee<br />
und des Entschädigungsausschussses,<br />
besondere Massstäbe an<br />
die <strong>Unabhängigkeit</strong> angelegt?<br />
Ja, der Code of Best Practice enthält spezielle<br />
Empfehlungen dazu: Das Audit Committee<br />
sollte sich aus nicht exekutiven Verwaltungsratsmitgliedern<br />
zusammensetzen. Der<br />
Entschädigungsausschuss sollte ursprünglich<br />
nur mehrheitlich aus unabhängigen<br />
Mitgliedern bestehen. Heute geht die<br />
Empfehlung dahin, aus Gründen der<br />
Glaubwürdigkeit auch für dieses Gremium<br />
nur nicht exekutive Mitglieder zu bestimmen.<br />
Zudem dürfen dem Entschädigungsausschuss<br />
keine Personen angehören, die in<br />
einer Kreuzverflechtung mit anderen<br />
Unternehmen stehen. Damit soll verhindert<br />
werden, dass die Ausschussmitglieder des<br />
einen Unternehmens über die Kompensation<br />
von Personen entscheiden, welche in einem<br />
anderen Unternehmen die eigene Entlohnung<br />
festsetzen.<br />
Können Verwaltungsräte unabhängig<br />
sein, wenn sie zugleich «die Oberleitung<br />
der Gesellschaft» wahrnehmen?<br />
Sie sind im Sinne der Definition, wie sie<br />
im Swiss Code of Best Practice verwendet<br />
wird, unabhängig. Effektiv bleibt aber<br />
der Verwaltungsrat in der Schweiz für die<br />
Strategie und die Geschäftsführung des<br />
Unternehmens verantwortlich, auch wenn<br />
er diese Aufgabe an eine Geschäftsleitung<br />
delegiert hat. Der Begriff «unabhängig»<br />
ist damit zu relativieren. Er ist auch deshalb<br />
relativ, weil die nicht exekutiven Verwaltungsräte<br />
ja auch Teil des Unternehmens<br />
sind. Persönliche Beziehungen werden im<br />
Swiss Code ebenfalls nicht gewichtet.<br />
Juni 2011 Disclose 11
12<br />
«Es muss eine Machtbalance<br />
gefunden<br />
werden.»<br />
Hans Wey ist diplomierter<br />
Wirtschaftsprüfer und seit<br />
1990 Partner von <strong>PwC</strong><br />
Schweiz. Seit Juli 2008<br />
amtiert er als Präsident<br />
des Verwaltungsrats. Hans<br />
Wey hat sich, etwa in der<br />
Treuhand-Kammer, intensiv<br />
mit Fragen des Berufs -<br />
standes auseinandergesetzt.<br />
Disclose Juni 2011
Ist dies sinnvoll im Sinne der «checks<br />
and balances»?<br />
Das schweizerische OR geht von der<br />
Grundidee aus, dass der Verwaltungsrat die<br />
Geschäfte eines Unternehmens führt. Dieser<br />
Ansatz beruht auf den Gegebenheiten in<br />
kleineren Unternehmen. Die Grundidee ist,<br />
dass die Aktionäre bestimmen sollen, welche<br />
Geschäftspolitik ihr Unternehmen einschlagen<br />
soll. Je grösser ein Unternehmen ist,<br />
desto mehr wird an die Geschäftsleitung<br />
delegiert. Dies hat aber auch zur Folge, dass<br />
eine Machtbalance zwischen den einzelnen<br />
Organen gefunden werden muss.<br />
Welche Vorteile bietet der Schweizer<br />
Verwaltungsrat gegenüber dem<br />
deutschen Aufsichtsrat als reinem<br />
Kontrollgremium?<br />
Der Aufsichtsrat ist ein Kontrollorgan, er<br />
bestimmt den Vorstand und lässt sich<br />
einzelne Entscheidungen vorlegen, die<br />
eigentliche Verantwortung für die Geschäftsführung<br />
liegt aber beim Vorstand. Dieser<br />
macht die Vorgaben für das Geschäft. Die<br />
Aufgaben des Schweizer Verwaltungsrats<br />
sind umfassender. Dadurch ergibt sich ein<br />
ausgewogeneres Gleichgewicht zwischen<br />
den beiden Instanzen, was ich – sofern dieses<br />
Gleichgewicht funktioniert – als Vorteil<br />
erachte.<br />
Wo liegen die Unterschiede zum<br />
US-amerikanischen Board-System?<br />
Der Board of Directors ist vom Konzept her<br />
dem Schweizer Verwaltungsrat sehr ähnlich.<br />
Ihm gehören aber mehr Delegierte, also<br />
geschäftsführende Mitglieder, an. Die nicht<br />
exekutiven Mitglieder nehmen die Funktion<br />
des Aufsichtsrats, also die Kontrolle, wahr.<br />
Der Unterschied liegt in der Kultur: In den<br />
USA hat ein CEO eine viel grössere Macht<br />
und Ausstrahlung, als dies im europäischen<br />
Raum der Fall ist. <strong>Im</strong> angloamerikanischen<br />
Verständnis treibt der CEO das Geschäft<br />
voran. In der Schweiz hat der Verwaltungsrat,<br />
vor allem dessen Präsident, eine<br />
gewichtige Position im Unternehmen.<br />
Für das Management kann <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
kein Qualitätskriterium sein,<br />
wohl aber Integrität. Was ist Ihrer<br />
Meinung nach massgebend für die<br />
persönliche Integrität eines CEO oder<br />
CFO?<br />
Das Wichtigste ist: Der CEO muss dem<br />
Unternehmen gegenüber loyal sein. Er muss<br />
das Wohl des Unternehmens – und nicht<br />
die eigenen Interessen – in den Vordergrund<br />
Regelungen zum Verwaltungsrat und zur<br />
Corporate Governance in der Schweiz<br />
Die Aufgaben des Verwaltungsrats sind im<br />
Obligationenrecht geregelt, insbesondere in<br />
Art. 716 ff.<br />
Standards für eine gute Corporate Governance<br />
setzen die economiesuisse und die Schweizer<br />
Börse SIX:<br />
• www.economiesuisse.ch<br />
• www.six-exchange-regulation.com/<br />
obligations/governance_de.html<br />
Das Rundschreiben 2008/24 «Überwachung und<br />
interne Kontrolle bei Banken» der FINMA enthält<br />
detaillierte Vorschriften zur <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
der Mitglieder des Verwaltungsrats und zu den<br />
Anforderungen an Audit Committees:<br />
• www.finma.ch/d/regulierung/Seiten/<br />
rundschreiben.aspx<br />
rücken. Und er muss Verantwortung<br />
gegenüber der Öffentlichkeit und anderen<br />
Stakeholdern übernehmen. Der CFO muss<br />
stark genug sein, seine Meinung gegenüber<br />
dem CEO und der Geschäftsleitung insgesamt<br />
zu vertreten. Wenn der CFO sieht, dass<br />
die Strategie nicht mit den Zahlen und den<br />
Businessplänen in Einklang steht, muss er<br />
eine mahnende Rolle wahrnehmen.<br />
Welche Empfehlungen für eine<br />
unabhängige Überwachung des<br />
Managements geben Sie den Unternehmen?<br />
Entscheidend ist, dass das System der<br />
«checks and balances» gelebt wird und die<br />
verschiedenen Instanzen und Ausschüsse ihre<br />
Kontroll- und Informationsaufgaben dem<br />
Sinn entsprechend erfüllen. Dazu braucht ein<br />
Unternehmen eine gute Gesprächskultur.<br />
Die Leute müssen miteinander reden können,<br />
und sie müssen kritikfähig sein.<br />
Juni 2011 Disclose 13
IASB im Umbruch<br />
Peter Eberli, Leiter IFRS von <strong>PwC</strong> Schweiz, äussert sich im Interview zu den personellen Veränderungen<br />
im International Accounting Standards Board (IASB). In einem zweiten Beitrag nimmt er Stellung zu der<br />
Frage, inwieweit die Standardsetzer unabhängig sind und sein sollen.<br />
«Der neue IASB-Vorsitzende ist eine<br />
politisch geprägte Persönlichkeit.»<br />
Zehn Jahre lang war<br />
Sir David Tweedie an<br />
der Spitze des IASB. Am<br />
1. Juli übernimmt Hans<br />
Hoogervorst den Vorsitz.<br />
Wer ist der neue Mann?<br />
Hans Hoogervorst leitet derzeit<br />
die niederländische Finanzmarktaufsichtsbehörde<br />
und hat<br />
führende Positionen in internationalen<br />
Gremien inne. Von der<br />
Laufbahn her ist Hoogervorst ein<br />
Politiker: Zwischen 1998 und<br />
2008 bekleidete er verschiedene<br />
Posten in der niederländischen<br />
Regierung, darunter das<br />
Amt des Finanzministers. Dieser<br />
politische Hintergrund unterscheidet<br />
ihn von seinem<br />
Vorgänger David Tweedie.<br />
Welche Konsequenzen wird<br />
dies auf die Arbeit des IASB<br />
haben?<br />
Sir Tweedie ist ein unbestrittener<br />
Accounting-Spezialist und hat<br />
sehr starken Einfluss auf die<br />
Ausgestaltung der Rechnungslegungsstandards<br />
genommen.<br />
Während der Finanzkrise wurde<br />
ihm aber – ob zu Recht oder zu<br />
Unrecht – mangelndes politisches<br />
Feingefühl vorgehalten.<br />
Hoogervorst ist zwar auch ein<br />
Fachmann für Finanzberichterstattung,<br />
bis zu seiner Nominierung<br />
sass er dem Monitoring<br />
Board der IFRS Foundation vor;<br />
aber er ist auch eine politisch<br />
geprägte Persönlichkeit. Er war<br />
bislang auch Co-Vorsitzender der<br />
Financial Crisis Advisory Group.<br />
14<br />
Disclose Juni 2011<br />
Dieses Gremium berät die<br />
Standardsetzer darin, angemessen<br />
auf die Finanzkrise zu<br />
antworten. Hoogervorst dürfte<br />
als Vorsitzender des IASB eher<br />
eine koordinierende und<br />
dialogfördernde Rolle einnehmen.<br />
Lässt sich etwas über die<br />
Prioritäten von Hans<br />
Hoogervorst aussagen?<br />
Solange Sir Tweedie im Amt ist,<br />
hält sich Hoogervorst natürlich<br />
mit Stellungnahmen zurück. Er<br />
hat aber zu erkennen gegeben,<br />
dass ihm Transparenz, <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
und der Schutz der<br />
Investoren wichtig sind. In einer<br />
Rede anlässlich einer Konferenz<br />
der Europäischen Kommission<br />
hat er etwa betont, dass<br />
Transparenz in der Rechnungslegung<br />
eine unverzichtbare<br />
Voraussetzung für die Stabilität<br />
der Finanzmärkte ist. Stabilität<br />
selbst aber sei nicht das oberste<br />
Ziel der Standardsetzer, sondern<br />
vielmehr der Regulatoren.<br />
Könnte bei grossem politischem<br />
Engagement die<br />
technische Arbeit an den<br />
IFRS zu kurz kommen?<br />
Das steht nicht zu befürchten.<br />
Denn mit Ian Mackintosh steht<br />
Hoogervorst ein Stellvertreter<br />
zur Seite, der ein anerkannter<br />
Rechnungslegungsexperte<br />
ist. Der neue Vizevorsitzende<br />
stammt ursprünglich aus<br />
Neuseeland, hat aber einen<br />
Grossteil seiner Karriere in<br />
Australien absolviert. Er war<br />
unter anderem Chief Accountant<br />
der Australian Securities<br />
and Investment Commission,<br />
danach war er für die Weltbank<br />
tätig, und zuletzt hat er das<br />
UK Accounting and Standards<br />
Board geleitet. Ich gehe davon<br />
aus, dass die beiden ihre Rollen<br />
gut verteilen werden: Mackintosh<br />
kümmert sich vorwiegend<br />
ums tägliche Geschäft, und<br />
Hoogervorst pflegt die Beziehungen<br />
nach aussen, zu den<br />
Stakeholdern und vor allem zur<br />
Politik. Er wird aber auch<br />
Leitlinien für die Regelwerke<br />
vorgeben, und diese werden<br />
sich am Anlegerschutz ausrichten.<br />
Hoogervorst betont immer<br />
wieder, dass die Standardsetzer<br />
den <strong>Fokus</strong> ihrer Arbeit auf<br />
die Interessen der Investoren<br />
richten müssten.<br />
Befindet sich das IASB in<br />
einer Umbruchphase?<br />
<strong>Im</strong> IASB findet ein Generationenwechsel<br />
statt. In den letzten<br />
beiden Jahren wurden sieben<br />
Mitglieder neu gewählt, und<br />
sie haben bereits Bewegung in<br />
das Gremium gebracht. Bis<br />
Mitte 2012 werden weitere<br />
sechs Mitglieder ausgetauscht.<br />
Es fragt sich, welchen Weg<br />
das neue Board einschlagen<br />
wird: Will es innehalten und<br />
die Arbeit des IASB grundsätzlich<br />
überdenken, oder will<br />
es den gleichen Weg fortsetzen,<br />
den die bisherigen Mitglieder<br />
eingeschlagen haben?<br />
Peter Eberli<br />
Leiter IFRS von <strong>PwC</strong> Schweiz<br />
peter.eberli@ch.pwc.com<br />
Welche Themenbereiche<br />
sollte das IASB Ihrer<br />
Meinung nach rasch<br />
anpacken?<br />
Ein wichtiges Thema ist die<br />
Darstellung der Jahresrechnung,<br />
denn sie hat auch Auswirkungen<br />
auf die Darstellung der Transaktionen.<br />
Ein Problem ist heute der<br />
Umfang der Jahresberichte. Die<br />
Informationen werden immer<br />
detaillierter, und es ist bereits die<br />
Forderung aufgetaucht, sich in<br />
der Berichterstattung wieder auf<br />
das Wesentliche zu konzentrieren.<br />
Ein grundlegendes Thema<br />
für das IASB wäre zudem, die<br />
Gesamtausrichtung der IFRS<br />
klar festzulegen.
<strong>Unabhängigkeit</strong> der Standardsetzer<br />
Die Gremien<br />
müssen ausgewogen<br />
besetzt sein<br />
Müssen Standardsetzer unabhängig<br />
sein? Und, wenn ja, von wem?<br />
Je nach Kulturkreis dürfte die<br />
Antwort unterschiedlich ausfallen.<br />
In Frankreich beispielsweise<br />
ist es Tradition, dass Rechnungslegungsstandards<br />
von einer<br />
staatlichen Stelle erlassen werden.<br />
Der angloamerikanische Raum,<br />
allen voran Grossbritannien, legt<br />
hingegen von jeher Wert auf die<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> der Standardsetzer.<br />
Die USA wollen insbesondere<br />
vermeiden, dass einzelne<br />
(europäische) Staaten zu grossen<br />
Einfluss auf internationale<br />
Standardsetzer ausüben.<br />
Selbstverständlich wollen nicht<br />
nur Staaten, sondern alle<br />
Betroffenen ein Wort mitreden,<br />
wenn es um Standards geht:<br />
Unternehmen, Wirtschaftsverbände,<br />
Revisionsgesellschaften,<br />
Finanzanalysten und Investoren –<br />
kurz, alle Stakeholder der<br />
Standardsetzung. Das Interesse<br />
der Anspruchsgruppen ist<br />
berechtigt: Unternehmen müssen<br />
die Standards umsetzen,<br />
Wirtschaftsprüfer ihre korrekte<br />
Anwendung und sinnvolle<br />
Auslegung beurteilen, und<br />
Investoren haben ein Recht auf<br />
eine transparente und faire<br />
Finanzberichterstattung. Auch<br />
darf man nicht vergessen:<br />
Die Darstellung des unternehmerischen<br />
Geschehens in der<br />
Jahresrechnung beeinflusst auch<br />
den Wert des Unternehmens.<br />
Für die Standardsetzer ist es nicht<br />
einfach, eine Grenze zwischen<br />
legitimer und illegitimer Einflussnahme<br />
ihrer Stakeholder zu<br />
ziehen. Nur eine gut funktionierende<br />
Governance vermag<br />
sicherzustellen, dass die Standardsetzer<br />
ihrem Anspruch<br />
genügen, ein Höchstmass an<br />
Transparenz zu schaffen.<br />
Vielleicht liegt hier die Antwort auf<br />
die Frage nach der <strong>Unabhängigkeit</strong>:<br />
Die Standardsetzer müssen<br />
im Rahmen eines Konsultationsprozesses<br />
(due process) die<br />
Stellungnahmen der einzelnen<br />
Interessengruppen berücksichtigen,<br />
sie müssen Argumente<br />
anhören und gewichten. Aber sie<br />
müssen auch in der Lage und<br />
willens sein, eine klare Trennungslinie<br />
zwischen argumentativer<br />
Stellungnahme und emotionalem<br />
Lobbying zu ziehen.<br />
Das International Accounting<br />
Standards Board (IASB) ist der<br />
wohl wichtigste Standardsetzer.<br />
Die von ihm herausgegebenen<br />
International Financial<br />
Reporting Standards (IFRS)<br />
finden fast weltweit Anwendung.<br />
Das IASB versteht sich als eine<br />
unabhängige standardsetzende<br />
Institution, die von einer<br />
Stiftung, der IFRS Foundation,<br />
getragen wird. Hans Hoogervorst,<br />
der ab 1. Juli 2011 den<br />
Vorsitz des IASB innehaben wird,<br />
hat sich kürzlich zum Thema<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> geäussert. Die<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong>, so führte er<br />
aus, werde nur respektiert, wenn<br />
die Anwender der Standards<br />
und die politischen Autoritäten<br />
einen ausgeprägten Sinn dafür<br />
entwickelten, dass die IFRS ein<br />
gemeinsames Gut seien.<br />
Hoogervorst zeigt vier Wege auf,<br />
wie das IASB dieses Bewusstsein<br />
stärken kann:<br />
• Die Standards müssten stets<br />
von höchster Qualität sein;<br />
• der internationale Konsultations<br />
prozess, in dessen<br />
Rahmen jeder Einzelne und<br />
jede Organisation eine<br />
Stellungnahme (comment<br />
letter) abgeben kann, müsse<br />
erstklassig sein;<br />
• die IFRS Foundation müsse<br />
sich über die Herausforderungen<br />
im Klaren sein, welche<br />
die Umsetzung der Standards<br />
mit sich bringen kann;<br />
• die Governance müsse von einem<br />
stabilen System der Verant wortlichkeit<br />
begleitet sein.<br />
Mit dem letzten Punkt spricht<br />
Hoogervorst die derzeitige<br />
Reform der IASB Governance an.<br />
Deren Ziel ist in erster Linie eine<br />
Organisationsstruktur, in der<br />
sich alle Rechtsräume adäquat<br />
repräsentiert fühlen, letztlich soll<br />
die Governance also den Gedanken<br />
des gemeinsamen Gutes<br />
stärken. So haben die Trustees, die<br />
eine Art Überwachungsgremium<br />
bilden, bereits eine neue «Verfassung»<br />
verabschiedet. Sie sieht<br />
unter anderem vor, die Zahl der<br />
IASBMitglieder auf 16 zu<br />
erhöhen und das Board regional<br />
ausgewogen zu besetzen. Bei der<br />
Neubestellung von Mitgliedern<br />
sollen Anwender und Regulatoren<br />
verstärkt berücksichtigt werden.<br />
So wichtig es für die Akzeptanz<br />
der IFRS ist, Anwender und<br />
Regulatoren, aber auch andere<br />
Anspruchsgruppen einzubinden,<br />
so sehr ist auch Achtsamkeit bei<br />
der Auswahl der Mitglieder<br />
angesagt. Jeder ist von seinem<br />
fachlichen Hintergrund und seiner<br />
beruflichen Karriere geprägt (und<br />
wurde nicht zuletzt deshalb ins<br />
Board gewählt). Entscheidend ist:<br />
Das Gremium als Ganzes muss<br />
ausgewogen zusammengesetzt<br />
sein. Denn die IFRS dürfen nicht<br />
das Resultat von Branchen oder<br />
Länderinteressen sein.<br />
Entscheidend für die <strong>Unabhängigkeit</strong><br />
ist vor allem der mehrstufige<br />
«Due Process». Ein fairer und<br />
offener Konsultationsprozess<br />
ermöglicht es Dritten, nachzuvollziehen,<br />
welche Argumente aus<br />
welchen Gründen aufgegriffen<br />
oder verworfen werden. Fundierte<br />
Anregungen der Stakeholder<br />
können die Qualität und die<br />
Akzeptanz der Standards<br />
erhöhen. Während des Prozesses<br />
darf aber nie aus dem Auge<br />
verloren werden: Das Ergebnis<br />
müssen praktikable Rechnungslegungsstandards<br />
sein, die für<br />
Transparenz in der Finanzberichterstattung<br />
sorgen.<br />
Peter Eberli<br />
Juni 2011 Disclose 15
Update<br />
16<br />
Disclose Juni 2011<br />
Gesamtergebnisrechnung im Aufwind?<br />
von Peter Kartscher<br />
20<br />
Konvergenz von IFRS und US GAAP:<br />
Die Prioritäten sind gesetzt<br />
von Dr. Michael Abresch<br />
IASB-Entwurf: Hedge Accounting<br />
wird attraktiver von Stefan Wüest<br />
25<br />
Internationale Prüfungsstandards:<br />
klare Anforderungen an die Prüfer<br />
von Beat Inauen<br />
Neues Rechnungslegungsrecht:<br />
Auf der Zielgeraden! von Lorenz Lipp<br />
30<br />
17<br />
23<br />
27<br />
Die elektronische Archivierung ist Teil<br />
der Geschäftsprozesse von Andreas Eschbach<br />
und Christopher Oehri
Gesamtergebnisrechnung<br />
im Aufwind?<br />
Die nach International Financial Reporting<br />
Standards (IFRS) verlangte Gesamtergebnisrechnung<br />
fristet derzeit ein Schattendasein:<br />
Fast alle Unternehmen machen von dem<br />
Wahlrecht Gebrauch, die traditionelle Erfolgsrechnung<br />
zu präsentieren und diese um eine<br />
separate Gesamtergebnisrechnung zu ergänzen.<br />
Ein neuer Standard soll dies ändern.<br />
Peter Kartscher<br />
Partner, Basel<br />
peter.kartscher@ch.pwc.com<br />
Das International Accounting<br />
Standards Board (IASB) und<br />
das US-amerikanische Financial<br />
Accounting Standards Board<br />
(FASB) haben unlängst den<br />
Entwurf eines neuen Standards<br />
«Presentation of Items of<br />
Other Comprehensive Income»<br />
vorgelegt. Damit verfolgen<br />
die Standardsetzer das Ziel, die<br />
Relevanz der Gesamtergebnisrechnung<br />
grundsätzlich zu<br />
erhöhen. Des Weiteren beabsichtigen<br />
sie, den Ausweis sonstiger<br />
Ergebnisbeiträge in den<br />
Gesamtergebnisrechnungen<br />
verschiedener Unternehmen<br />
durch eine stärkere Normierung<br />
vergleichbarer und zugleich<br />
transparenter machen.<br />
Das Konzept der Gesamtergebnisrechnung<br />
Die in der internationalen<br />
Rechnungslegung verwurzelte<br />
Gesamtergebnisrechnung soll<br />
sämtliche Veränderungen des<br />
Eigenkapitals eines Unternehmens<br />
erfassen, sofern sie nicht<br />
aus Transaktionen mit deren<br />
Eigentümern resultieren, wie<br />
dies bei Dividendenausschüttungen<br />
oder Kapitaleinlagen der<br />
Fall ist. Die Gesamtergebnisrechnung<br />
versucht, die Performance<br />
des Unternehmens aus Sicht<br />
der Eigentümer abzubilden.<br />
Dabei sollen neben dem in der<br />
klassischen Erfolgsrechnung<br />
erfassten Gewinn oder Verlust<br />
auch sonstige Ergebnisbeiträge<br />
berücksichtigt werden.<br />
Darunter werden im Wesentlichen<br />
die folgenden Komponenten<br />
erfasst:<br />
• Marktwertanpassungen von<br />
Finanzinstrumenten<br />
• versicherungsmathematische<br />
Gewinne und Verluste aus<br />
Vorsorgeplänen<br />
• Währungsumrechnungsdifferenzen<br />
aus der Konsolidierung<br />
• Anteile an sonstigen Ergebnisbeiträgen<br />
von assoziierten<br />
Unternehmen<br />
Diesen Komponenten ist eines<br />
gemeinsam: Sie resultieren im<br />
Wesentlichen aus Marktwertanpassungen<br />
von Vermögensgegenständen<br />
und Schulden des<br />
Unternehmens.<br />
Gesamtergebnisrechnung<br />
und Performance<br />
Vereinfachend lassen sich die<br />
Erfolgs- und die sonstigen<br />
Ergebnisbeiträge danach<br />
unterscheiden, ob sie sich aus<br />
dem eigentlichen unternehmerischen<br />
Handeln oder aus<br />
Veränderungen des makroökonomischen<br />
Umfeldes ergeben:<br />
Aufwendungen und Erträge, die<br />
in unmittelbarem Zusammenhang<br />
mit Einkauf, Produktion<br />
und Vertrieb stehen, werden in<br />
der Erfolgsrechnung erfasst,<br />
Veränderungen der Marktwerte<br />
von Vermögensgegenständen<br />
und Schulden hingegen als<br />
sonstige Ergebnisbeiträge.<br />
So erklärt sich auch, weshalb<br />
die Gesamtergebnisrechnung<br />
derzeit ein Schattendasein<br />
fristet und fast alle Unternehmen<br />
die Erfolgsrechnung separat<br />
ausweisen: Jede Geschäftsführung<br />
möchte ihre Performance<br />
daran gemessen sehen, was sie<br />
Die Gesamtergebnisrechnung setzt sich aus den folgenden<br />
Komponenten zusammen:<br />
Gewinn/<br />
Verlust der<br />
Erfolgs -<br />
rechnung<br />
+<br />
Sonstige<br />
Ergebnis-<br />
beiträge<br />
Gesamtergebnis<br />
= (= Performance des<br />
Unternehmens)<br />
Juni 2011 Disclose 17
selbst durch unternehmerische<br />
Entscheidungen beeinflussen<br />
kann und zu verantworten hat.<br />
Die Performance der Geschäftsführung<br />
spiegelt sich im Gewinn<br />
oder Verlust der Erfolgsrechnung<br />
wider. Veränderungen von<br />
Marktwerten der Vermögensgegenstände<br />
und Schulden aber<br />
resultieren aus Faktoren, die die<br />
Geschäftsführung eines<br />
Unternehmens nur schwer und<br />
allenfalls indirekt beeinflussen<br />
kann: aus Veränderungen von<br />
Wechselkursen, Zinssätzen,<br />
Aktienkursen, aus der allgemeinen<br />
Konjunktur und anderen<br />
makroökonomischen Einflüssen.<br />
Während die Erfolgsrechnung<br />
es also ermöglicht, die Performance<br />
der Geschäftsführung<br />
zu beurteilen, misst die<br />
Gesamtergebnisrechnung die<br />
Performance des Unternehmens<br />
an der Veränderung des<br />
Eigenkapitals. Dieser Ansatz<br />
leuchtet ein, denn das Gesamtergebnis<br />
hängt eventuell mehr<br />
von der Entwicklung an den<br />
Märkten als dem Geschick der<br />
Geschäftsführung ab.<br />
Relevanz der sonstigen<br />
Ergebnisbeiträge<br />
Die nebenstehende Tabelle zeigt<br />
eine Kurzanalyse einiger global<br />
agierenden Unternehmen mit<br />
Sitz in der Schweiz. Die Zahlen<br />
veranschaulichen die Relevanz<br />
der sonstigen Ergebnisbeiträge<br />
für die Performance.<br />
Die ausgewiesenen Prozentsätze<br />
zeigen den absoluten Anteil der<br />
sonstigen Ergebnisbeiträge am<br />
Gesamtergebnis. Bereits auf der<br />
Basis dieser kleinen Stichprobe<br />
lässt sich leicht erkennen, wie<br />
18<br />
Disclose Juni 2011<br />
stark die sonstigen Ergebnisbeiträge<br />
das Gesamtergebnis beein-<br />
flussen können.<br />
Deutlich wird aber auch die hohe<br />
Volatilität der sonstigen Ergebnisbeiträge,<br />
insbesondere in Zeiten<br />
von Finanz- und Wirtschaftskrisen.<br />
Darin ist ein weiterer<br />
Grund für das Schattendasein der<br />
Gesamtergebnisrechnung zu<br />
sehen: Geschäftsführungen<br />
lieben Verlässlichkeit. Sie wollen<br />
den Prognosen ihres Erfolges,<br />
sei es den eigenen oder denen der<br />
Analysten, gerecht werden.<br />
Neuerungen für die Gesamtergebnisrechnungen<br />
IASB und FASB wollen sich mit<br />
der derzeitig geringen Relevanz<br />
der Gesamtergebnisrechnung<br />
nicht abfinden, sondern sie<br />
deutlich erhöhen – und dies,<br />
obwohl sicher Zweifel daran<br />
bestehen, ob die Adressaten<br />
der Finanzberichterstattung<br />
tatsächlich an der Gesamtergebnisrechnung<br />
interessiert sind<br />
und inwieweit sie diese heranziehen,<br />
um die Performance des<br />
Unternehmens zu beurteilen.<br />
2010 2009 2008 2007 2006<br />
Nestlé (in Mio. CHF)<br />
Erfolgsrechnungsergebnis 35’384 11’793 19’051 11’382 9’849<br />
Sonstige Ergebnisbeiträge –4’606 –834 –8’251 –1’800 –422<br />
Gesamtergebnis 30’778 10’959 10’800 9’582 9’427<br />
Anteil am Gesamtergebnis –15% –8% –76% –19% –4%<br />
Novartis (in Mio. USD)<br />
Erfolgsrechnungsergebnis 9’969 8’454 8’233 11’968 7’202<br />
Sonstige Ergebnisbeiträge –258 1’788 –3’935 2’862 2’242<br />
Gesamtergebnis 9’711 10’242 4’298 14’830 9’444<br />
Anteil am Gesamtergebnis –3% 17% –92% 19% 24%<br />
Roche (in Mio. CHF)<br />
Erfolgsrechnungsergebnis 8’891 8’510 10’844 11’437 9’171<br />
Sonstige Ergebnisbeiträge –940 3’479 –4’924 –1’952 –1’220<br />
Gesamtergebnis 7’951 11’989 5’920 9’485 7’951<br />
Anteil am Gesamtergebnis –12% 29% –83% –21% –15%<br />
Syngenta (in Mio. USD)<br />
Erfolgsrechnungsergebnis 1’402 1’411 1’399 1’135 667<br />
Sonstige Ergebnisbeiträge 283 282 –707 n/a n/a<br />
Gesamtergebnis 1’685 1’693 692 n/a n/a<br />
Anteil am Gesamtergebnis 17% 17% –102% n/a n/a<br />
Credit Suisse (in Mio. CHF)<br />
Erfolgsrechnungsergebnis 5’920 6’411 –10’837 12’498 11’327<br />
Sonstige Ergebnisbeiträge –3’796 –908 –6’350 –1’923 –1’349<br />
Gesamtergebnis 2’124 5’503 –17’187 10’575 9’978<br />
Anteil am Gesamtergebnis –179% –17% 37% –18% –14%<br />
Swiss Re (in Mio. USD)<br />
Erfolgsrechnungsergebnis 1’017 723 -864 4’162 4’560<br />
Sonstige Ergebnisbeiträge 1’858 1’068 –8’240 –851 –1’519<br />
Gesamtergebnis 2’875 1’791 –9’104 3’311 3’041<br />
Anteil am Gesamtergebnis 65% 60% 91% –26% –50%<br />
UBS (in Mio. CHF)<br />
Erfolgsrechnungsergebnis 7’838 –2’125 –20’724 –4’708 12’020<br />
Sonstige Ergebnisbeiträge –2’447 –667 –3’818 –2’250 842<br />
Gesamtergebnis 5’391 –2’792 –24’542 –6’958 12’862<br />
Anteil am Gesamtergebnis –45% 24% 16% 32% 7%
Quintessenz: Die Erfolgsrechnung ermöglicht es, die Performance der<br />
Geschäftsführung zu beurteilen. Die Gesamtergebnisrechnung hingegen misst die<br />
Performance des Unternehmens an der Veränderung des Eigenkapitals.<br />
Der Entwurf des neuen Standards<br />
hatte ursprünglich<br />
beabsichtigt, das bisherige<br />
Wahlrecht abzuschaffen, die<br />
Erfolgsrechnung entweder<br />
separat oder integriert in die<br />
Gesamtergebnisrechnung zu<br />
präsentieren. Künftig sollte die<br />
Erfolgsrechnung zwingend in<br />
die Gesamtergebnisrechnung<br />
integriert werden. Doch<br />
aufgrund zahlreicher Einwände,<br />
die sich vor allem gegen diese<br />
Regelung des Entwurfs richteten,<br />
beschlossen IASB und FASB,<br />
das bisherige Wahlrecht nun<br />
doch beizubehalten. Nach dem<br />
jetzigen Entwurf für den<br />
Standard, der ab 2012 anzuwenden<br />
sein wird, müssen sonstige<br />
Ergebnisbeiträge getrennt<br />
danach ausgewiesen werden, ob<br />
sie in einer künftigen Periode<br />
in der Erfolgsrechnung erfasst<br />
werden (sogenanntes Recycling)<br />
oder nicht. Den entscheidenden<br />
Schritt allerdings machen<br />
IASB und FASB nicht: Auch<br />
künftig werden Unternehmen<br />
als massgebliche Grösse der<br />
Performance-Bewertung den<br />
Gewinn pro Aktie auszuweisen<br />
haben, nicht aber ein Gesamtergebnis<br />
pro Aktie.<br />
Was im Einzelnen als sonstiger<br />
Ergebnisbeitrag auszuweisen<br />
oder in der Erfolgsrechnung zu<br />
erfassen ist, wird inhaltlich<br />
weiterhin in anderen Standards,<br />
wie den Standards zu Bilanzierung<br />
und Bewertung von<br />
Finanzinstrumenten oder<br />
Vorsorgeplänen, geregelt<br />
werden. Neben den eher<br />
formalen Neuerungen des<br />
Entwurfs zur Gesamtergebnisrechnung<br />
kommen denn auch<br />
die entscheidenden inhaltlichen<br />
Änderungen in den neuen<br />
Standards zu diesen Themenkomplexen:<br />
IFRS 9: Finanzinstrumente<br />
Der neue International Financial<br />
Reporting Standard (IFRS) 9<br />
«Financial instruments» regelt<br />
den Ansatz und die Bewertung<br />
von finanziellen Vermögensgegenständen.<br />
Alle Finanzinstrumente<br />
werden mit dem jeweiligen<br />
Marktwert zu bewerten sein.<br />
Die Unternehmen werden<br />
allerdings ein Wahlrecht haben,<br />
Wertveränderungen von<br />
Finanzinstrumenten, die nicht<br />
zu Handelszwecken gehalten<br />
werden, in den sonstigen<br />
Ergebnisbeiträgen zu erfassen.<br />
Dieses unwiderrufliche Wahlrecht<br />
muss beim erstmaligen<br />
Ansatz ausgeübt werden –<br />
und zwar individuell für jedes<br />
einzelne Finanzinstrument.<br />
Einmal in den sonstigen<br />
Ergebnisbeiträgen erfasste<br />
Wertänderungen werden bei<br />
ihrer Realisierung, in der Regel<br />
durch die Veräusserung des<br />
Finanzinstruments, nicht mehr<br />
durch die Erfolgsrechnung<br />
«recycelt».<br />
Entwurf zu IAS 19:<br />
Vorsorgepläne<br />
Der neue Entwurf zu International<br />
Accounting Standard<br />
(IAS) 19 «Defined Benefit Plans»<br />
wird das bisherige Wahlrecht<br />
abschaffen, versicherungsmathematische<br />
Gewinne entweder<br />
in den sonstigen Ergebnisbeiträgen<br />
oder nach der sogenannten<br />
Korridormethode in der<br />
Erfolgsrechnung zu erfassen.<br />
Künftig ist es Vorschrift,<br />
versicherungsmathematische<br />
Gewinne und Verluste ausschliesslich<br />
in den sonstigen<br />
Ergebnisbeiträgen auszuweisen.<br />
Auch hier ist ein späteres<br />
Recycling ausgeschlossen.<br />
Gewinn oder Gesamtergebnis<br />
pro Aktie?<br />
Es bleibt fraglich, ob die<br />
Gesamtergebnisrechnung<br />
tatsächlich einen grösseren<br />
Stellenwert in der konsolidierten<br />
Jahresrechnung erhalten<br />
wird. Wahrscheinlich wird die<br />
Geschäftsführung ihren<br />
Kommentar des Ergebnisses<br />
im finanziellen Lagebericht<br />
weiterhin auf den durch sie<br />
beeinflussbaren Gewinn<br />
konzentrieren. Ohne eine<br />
stärkere Kommentierung der<br />
Entwicklungen der sonstigen<br />
Ergebnisbeiträge aber dürfte<br />
das Interesse an der Gesamtergebnisrechnung<br />
in der Öffentlichkeit<br />
gering bleiben. Dies<br />
wird zusätzlich dadurch<br />
verstärkt, dass die entscheidende<br />
Grösse jeder Performance-<br />
Analyse weiterhin der Gewinn<br />
pro Aktie sein wird. Ob sich<br />
daneben das Augenmerk auch<br />
auf «Gesamtergebnis pro Aktie»<br />
richten wird, darf bezweifelt<br />
werden, verlangen doch selbst<br />
IASB und FASB den Ausweis<br />
einer derartigen Grösse nicht.<br />
Auch dem Ziel, eine bessere<br />
Vergleichbarkeit und höhere<br />
Transparenz hinsichtlich des<br />
Ausweises der sonstigen<br />
Ergebnisbeiträge zu schaffen,<br />
wird das IASB sicher nicht<br />
gerecht: Das Wahlrecht des<br />
neuen IFRS 9, die Wertschwankungen<br />
bestimmter Finanzinstrumente<br />
in der Erfolgsrechnung<br />
oder in den sonstigen<br />
Ergebnisbeiträgen auszuweisen,<br />
dürfte die Vergleichbarkeit<br />
der Gesamtergebnisrechnungen<br />
verschiedener Unternehmen –<br />
und die der Gesamtergebnisrechnungen<br />
desselben Unternehmens<br />
über verschiedene<br />
Perioden hinweg – eher noch<br />
erschweren.<br />
Die Gesamtergebnisrechnung<br />
wird voraussichtlich also auch in<br />
der Zukunft ein Schattendasein<br />
führen.<br />
Juni 2011 Disclose 19
Konvergenz von IFRS<br />
und US GAAP: Die Prioritäten<br />
sind gesetzt Der gemeinsame Standardsetzungsprozess<br />
des International<br />
Accounting Standards Board<br />
(IASB) und des Financial Accounting<br />
Standards Board der<br />
USA (FASB) unterliegt dieses<br />
Jahr einer Bewährungsprobe.<br />
Bis Juni 2011 hätten wesentliche<br />
Projekte erfolgreich beendet<br />
sein sollen, aber der Weg gestaltet<br />
sich steiniger, als zunächst<br />
angenommen. Nun sollen diese<br />
Projekte bis Ende 2011 abgeschlossen<br />
sein.<br />
20<br />
Disclose Juni 2011<br />
Am 29. November 2010 haben IASB und<br />
FASB einen revidierten gemeinsamen<br />
Arbeitsplan veröffentlicht, in dem sie ihre<br />
neuen Prioritäten für die Konvergenz<br />
darlegen. Auf der Agenda stehen nicht nur<br />
die beiden Projekte zur Gesamtergebnisrechnung<br />
und zum beizulegenden Zeitwert; die<br />
Boards beabsichtigen auch, weitestgehend<br />
konvergierte Standards für Finanzinstrumente,<br />
Leasing und Umsatzerfassung zu<br />
veröffentlichen. Parallel dazu treiben beide<br />
Boards auch das Versicherungsprojekt voran.<br />
Das Ziel lag ursprünglich darin, die Projekte<br />
mit Priorität bis Mitte 2011 abzuschliessen.<br />
<strong>Im</strong> April 2011 wurde dieser Zeitrahmen<br />
aufgrund der vielen offenen Fragen bis Ende<br />
2011 ausgedehnt. Eine Überraschung ist<br />
dies nicht.<br />
Der Entwurf zur Umsatzerfassung enthält<br />
ein substanziell konvergiertes Umsatzerfassungsmodell.<br />
Dies ist vor allem für die<br />
US-Seite ein bedeutender Schritt, werden<br />
doch die ausführlichen, branchenspezifischen<br />
Rechnungslegungsvorschriften zur<br />
Umsatzerfassung damit obsolet. Diese<br />
weitreichenden Auswirkungen haben denn<br />
auch eine Flut von Stellungnahmen – von<br />
mehr als 35 Ländern und aus über 20 Bran-<br />
chen – ausgelöst. Zum Leasingentwurf haben<br />
beide Boards über 1000 Stellungnahmen<br />
erhalten. Obwohl das neue Leasingmodell<br />
(Eliminierung von operativem Leasing)<br />
grundsätzlich Unterstützung findet, gibt es<br />
erhebliche Bedenken gegenüber einzelnen<br />
Regelungen des Entwurfs. Als Reaktion<br />
haben die Boards im Frühjahr 2011 wesentliche<br />
Anpassungen vereinbart und sind der<br />
Herausgabe der finalen Standards ein<br />
erhebliches Stück näher gekommen. Es<br />
erscheint ebenfalls möglich, dass die<br />
überarbeiteten Entwürfe erneut zirkuliert<br />
werden. Beide Boards beabsichtigen nach<br />
wie vor, diese zwei Standards zeitgleich zu<br />
verabschieden.<br />
Das Projekt für Finanzinstrumente muss<br />
noch hohe Hürden nehmen, denn die<br />
Meinungen der beiden Boards gehen<br />
teilweise weit auseinander. Das FASB hat<br />
letztes Jahr über 2800 Stellungnahmen zu<br />
seinem Entwurf für Finanzinstrumente<br />
erhalten. Das FASB plant, im dritten Quartal<br />
einen neuen Entwurf zur Bewertung<br />
und Bilanzierung von Finanzinstrumenten<br />
herauszugeben. Das IASB wird diesen<br />
Entwurf anschliessend seinerseits zur<br />
Stellungnahme lancieren. Die Beratungen<br />
zur Behandlung von Sicherungsgeschäften<br />
wird das IASB in den nächsten Monaten<br />
beenden. Das FASB wird während dieser Zeit<br />
entscheiden, ob es dem neuen IASB-Modell<br />
zustimmen will. Das zeitliche Vorgehen<br />
des FASB ist dabei noch unklar. Beim Thema<br />
Wertminderungsmodell arbeiten beide<br />
Boards eng zusammen und beabsichtigen,<br />
falls notwendig, in den nächsten Monaten<br />
einen überarbeiteten Entwurf erneut zur<br />
Stellungnahme vorzulegen. Zum jetzigen<br />
Zeitpunkt scheint es mehr als fraglich, ob<br />
eine weitgehende Konvergenz in diesem<br />
Bereich wirklich bis Ende 2011 möglich<br />
sein wird, ist doch die jetzige Zeitplanung<br />
beider Boards recht unterschiedlich.<br />
Schritt für Schritt oder «Big Bang»?<br />
Es stellt sich die Frage, ob die einzelnen<br />
Standards unabhängig voneinander oder<br />
gemeinsam in einer Art «Big Bang» implementiert<br />
werden sollten. Zurzeit wird diese<br />
Frage noch heftig diskutiert. Ein Big Bang<br />
würde sicherstellen, dass die Adressaten der<br />
Finanzberichterstattung zur gleichen Zeit<br />
die gleichen Finanzinformationen von allen<br />
Unternehmen bekämen. Für eine graduelle
Einführung spricht, dass den Unternehmen<br />
nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung<br />
stehen und ein Big Bang die Qualität der<br />
<strong>Im</strong>plementierungen beeinträchtigen könnte.<br />
Hinzu kommt: Das übergeordnete Ziel der<br />
Konvergenz ist es, qualitativ hochwertige<br />
und einheitliche Standards einzuführen.<br />
Insofern ist jeder neue Standard für sich<br />
genommen als eine Verbesserung gegenüber<br />
dem jetzigen Standard zu sehen. Daher wäre<br />
es begrüssenswert, wenn die Anwender die<br />
Möglichkeit hätten, jeden Standard so früh<br />
wie möglich zu adaptieren.<br />
Zögerliche Akzeptanz der IFRS<br />
in den USA<br />
In den USA hat die Börsenaufsichtsbehörde<br />
SEC Ende letzten Jahres ihren ersten<br />
Statusbericht zum IFRS-Arbeitsplan<br />
veröffentlicht. Darin bekräftigte sie ihre<br />
Absicht, im Jahr 2011 zu entscheiden, ob,<br />
wann und wie die IFRS in das US-amerikanische<br />
Finanzberichterstattungssystem<br />
integriert werden können. Die SEC-Vorsitzende<br />
Mary Shapiro hat jedoch im Dezember<br />
nochmals betont, dass die SEC sich nicht<br />
verpflichtet habe, eine solche Entscheidung<br />
bis Juni 2011 zu fällen. Zugleich betonte sie,<br />
dass die Übergangsperiode mindestens<br />
vier Jahre betragen werde. Die SEC beobachtet<br />
die Konvergenzprojekte beider Boards<br />
sehr genau. Sie erwartet, dass das Ziel,<br />
verbesserte, in sich schlüssige und robuste<br />
Standards zu entwickeln, nicht dem<br />
aggressiven Zeitplan geopfert wird. Gemäss<br />
Jim Kroeker, SEC Chief Accountant, ist<br />
Konvergenz ohne formellen Prozess und<br />
angemessene Konsultation nicht im Interesse<br />
aller Marktteilnehmer. <strong>Im</strong> April 2011 haben<br />
die Vorsitzenden der beiden Boards –<br />
Leslie Seidman für das FASB und Sir David<br />
Tweedie für das IASB – diese Auffassung<br />
noch einmal ausdrücklich bestätigt. Den<br />
Zeitrahmen für die Prioritätsprojekte haben<br />
sie entsprechend um sechs Monate bis Ende<br />
2011 verlängert.<br />
Hinzu kommt, dass die USA auch institutionelle<br />
Aspekte wie die Finanzierung und die<br />
<strong>Unabhängigkeit</strong> des IASB in ihrer Entscheidungsfindung<br />
berücksichtigen werden.<br />
Ferner wollen sie sicherstellen, dass das<br />
FASB als nationaler Standardsetzer auch in<br />
Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird,<br />
zumal die Frage, ob sich eine weltweit<br />
einheitliche Auslegung der IFRS durchsetzen<br />
wird, nach wie vor offen ist.<br />
Es ist ebenfalls denkbar, dass die USA<br />
anderen Ländern folgen und statt einer<br />
Konvergenz einen Ratifizierungsprozess<br />
ähnlich dem der EU implementieren werden.<br />
Die Gründe dafür reichen von rechtlichen<br />
Überlegungen bis hin zur Bewahrung einer<br />
gewissen nationalen Souveränität in der<br />
Standardsetzung. Paul Beswick, Deputy<br />
Chief Accountant der SEC, hat diesen<br />
Mittelweg im Dezember 2010 mit dem neuen<br />
Wort «Condorsement» umschrieben. Am<br />
26. Mai 2011 hat die SEC Staff dies weiter<br />
konkretisiert: Die US GAAP existieren weiter,<br />
das IASB und das FASB beenden die jetzigen<br />
Prioritätsprojekte, und das FASB integriert<br />
über einen längeren Zeitraum hinweg<br />
(beispielsweise fünf bis sieben Jahre) einen<br />
IFRS nach dem anderen in die US-Rechnungslegungsvorschriften.<br />
Die SEC ist sehr<br />
darauf bedacht, die Kosten der Umstellung<br />
auf IFRS für US-Gesellschaften verträglich zu<br />
gestalten, und richtet den Blick vor allem<br />
auf die vielen mittelständischen US-GAAP-<br />
Anwender. Daher könnten die IFRS auch<br />
schrittweise eingeführt werden, zunächst für<br />
US-Publikumsgesellschaften und zu einem<br />
späteren Zeitpunkt für die übrigen US-GAAP-<br />
Anwender. Darüber hinaus stellt sich die<br />
Frage, ob die IFRS für Publikumsgesellschaften<br />
verbindlich sein sollten oder ob diese<br />
ein Wahlrecht zwischen US GAAP und IFRS<br />
erhalten sollten. All dies deutet darauf hin,<br />
dass sich der Wechsel hin zu IFRS in den USA<br />
langsamer und weniger direkt vollziehen<br />
wird, als ursprünglich kommuniziert (2014<br />
bis 2016).<br />
Dr. Michael Abresch<br />
Partner, Zürich<br />
michael.j.abresch@ch.pwc.com<br />
Juni 2011 Disclose 21
Zeitplan der Standardsetzer<br />
Gemeinsame Prioritätsprojekte<br />
Finanzinstrumente<br />
Umsatzrealisierung<br />
Leasinggeschäfte<br />
Bewertung zum beizulegenden Zeitwert<br />
Gesamtergebnisrechnung<br />
Einführungsdatum und Übergangsregeln<br />
Saldierung von �nanziellen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten<br />
Als Finanzinvestitionen gehaltene <strong>Im</strong>mobilien<br />
IASB – Leistungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
IASB – Bilanzierung von Versicherungsgeschäften<br />
IASB – Konsolidierung<br />
Konsolidierung – Investmentgesellschaften<br />
Darstellung der Jahresrechnung<br />
Aufgegebene Geschäftsbereiche<br />
Finanzinstrumente mit Eigenkapitalcharakter<br />
Handel von Emissionszerti�katen<br />
22<br />
Disclose Juni 2011<br />
Q2 2010 Q3 2010 Q4 2010 Q1 2011 Q2 2011 Q3 2011 Q4 2011 2012<br />
Diskussionen vor Herausgabe des Entwurfes<br />
Entwurf herausgegeben oder erwartet<br />
Zeitraum für Kommentare und/oder Neubeurteilungen<br />
De�nitiver Standard erwartet<br />
Ein auf Prinzipien basierendes<br />
Regelwerk als Ziel<br />
Der Weg zur Konvergenz zwischen IFRS und<br />
US GAAP ist steinig und lang. Der politische<br />
Druck, den momentanen Arbeitsplan<br />
einzuhalten, ist jedoch auf beiden Seiten<br />
des Atlantiks weiterhin hoch. Auch hängt<br />
davon ab, ob und wie die USA in abseh -<br />
barer Zukunft die IFRS in ihre Standards<br />
integrieren. Dies wäre zu wünschen, ist<br />
doch längerfristig ein globaler Rechnungslegungsstandard<br />
ohne die Akzeptanz der<br />
USA nicht realisierbar.<br />
Die Befürchtung, dass die Zustimmung der<br />
USA mit einer «Veramerikanisierung» der<br />
IFRS teuer erkauft werden muss, ist jedoch<br />
weitgehend unbegründet. Beide Boards<br />
teilen das bisher eher auf der IASB-Linie<br />
liegende Ziel, ein auf Prinzipien basierendes<br />
globales Regelwerk zu entwickeln. Jeder<br />
neue Standard folgt konsequent diesem<br />
Anliegen. Damit entfernen sich auch<br />
die US GAAP immer mehr von ihrem auf<br />
zahlreichen Detailregeln basierenden<br />
Ansatz, auch wenn das Condorsement-Konzept<br />
dafür plädiert, in manchen Bereichen<br />
Detailbestimmungen zu erhalten. Beide<br />
Boards sollten der Versuchung widerstehen,<br />
der Forderung nach vielen Anwendungsbeispielen<br />
nachzugeben, wie sie insbesondere<br />
von asiatischer Seite vielfach erhoben wird.<br />
Dies käme einem auf Regeln basierenden<br />
Rechnungslegungswerk wieder deutlich<br />
näher. Das Herzstück eines auf Prinzipien<br />
ausgelegten Standards ist ja gerade der<br />
damit einhergehende, bewusst gesetzte<br />
Interpretationsspielraum in der Anwendung.<br />
Als Konsequenz bleibt den Unternehmen im<br />
Moment nichts anderes übrig, als sich auf die<br />
anhaltend hohe Veränderungsgeschwindigkeit<br />
von IFRS und US GAAP einzurichten<br />
und die Auswirkungen dieser Änderungen<br />
auf ihre Berichterstattung, Systeme und<br />
Prozesse rechtzeitig zu analysieren. Auch<br />
sollten sie sich weiterhin an der Debatte<br />
beteiligen, indem sie Stellungnahmen an das<br />
IASB und das FASB abgeben. Dabei ist es<br />
sinnvoll, sich auf die Aspekte zu konzentrieren,<br />
die für das eigene Unternehmen und<br />
die eigene Branche wesentlich sind.
IASB-Entwurf:<br />
Hedge Accounting<br />
wird attraktiver<br />
Der aktuelle International<br />
Accounting<br />
Standard (IAS) 39<br />
zum Hedge Accounting<br />
stösst bei vielen Unternehmen<br />
auf Unmut:<br />
Viel zu komplex und<br />
wenig praxisorientiert<br />
sei der Standard. Mit<br />
dem am 9. Dezember<br />
2010 publizierten<br />
Entwurf zeigt das IASB,<br />
dass es diese Kritik<br />
verstanden hat.<br />
Stefan Wüest<br />
Director, Basel<br />
stefan.wueest@ch.pwc.com<br />
Bei der letzten gründlichen<br />
Überarbeitung des IAS 39 im<br />
Jahre 2003 hat das IASB die<br />
Latte im Bereich des Hedge<br />
Accounting sehr hoch gelegt.<br />
Viele Unternehmen können oder<br />
wollen diese Anforderungen<br />
nicht erfüllen. Dies führt<br />
teilweise zu Verzerrungen im<br />
Gewinnausweis der Jahresrechnungen.<br />
Dabei liegt es im<br />
Interesse vieler Anspruchsgruppen,<br />
dass gegenläufige Ergebnisse<br />
aus Grund- und Absicherungsgeschäften<br />
in derselben<br />
Periode erfasst werden.<br />
Es überrascht nicht, dass die<br />
bisherigen Bestimmungen<br />
kritisiert werden. Beanstandet<br />
werden vor allem die mangelnde<br />
Kompatibilität zwischen den<br />
IFRS und den Risikomanagementstrategien<br />
der Unternehmen<br />
sowie der formalistische<br />
Ansatz (z.B. die Dokumentationsanforderungen,insbesondere<br />
zum Effektivitätstest). Mit<br />
dem nun vorliegenden Entwurf<br />
geht das IASB auf diese Kritikpunkte<br />
ein.<br />
Wegfall des starren<br />
Effektivitätstests<br />
Der Entwurf schreibt die<br />
quantitative Effektivitätsmessung<br />
nicht mehr zwingend<br />
vor. Für einfache Absicherungen,<br />
bei denen eine sehr hohe<br />
Effektivität erwartet wird (z.B.<br />
Fremdwährungsabsicherungen<br />
von zukünftigen Umsätzen),<br />
reicht eine qualitative Beschreibung<br />
aus. Auch wenn weiterhin<br />
effektive und nicht effektive<br />
Teile der Absicherung ermittelt<br />
und separat verbucht werden<br />
müssen, stellt die flexiblere<br />
Neuregelung eine deutliche<br />
Vereinfachung gegenüber dem<br />
bislang gültigen Standard dar.<br />
Absicherung von<br />
Rohstoffrisiken<br />
Praxisgerechte Anpassungen<br />
gibt es auch für Unternehmen,<br />
die substanziellen Rohstoffrisiken<br />
ausgesetzt sind. Ein<br />
Beispiel: Nach dem derzeit<br />
gültigen IAS 39 lässt sich Hedge<br />
Accounting auf den Kupferanteil<br />
in einem Kupferkabel des<br />
Warenlagers nur selten anwenden.<br />
Vielmehr darf das Kupferkabel<br />
nur als Ganzes ins Hedge<br />
Accounting einbezogen werden.<br />
Der Entwurf sieht vor, dass<br />
Nichtfinanzinstrumente (also<br />
etwa ein Kupferkabel) in<br />
Komponenten zerlegt werden<br />
dürfen. Damit kann der<br />
Kupferanteil des Kabels künftig<br />
isoliert betrachtet und effektiv<br />
abgesichert werden. Die<br />
nachstehende Grafik veranschaulicht<br />
diesen Mechanismus.<br />
Absicherung mit Optionen<br />
Unter dem aktuellen Standard<br />
ist die Absicherung mit Optionen<br />
aus buchhalterischer Sicht<br />
unattraktiv. Oft kann nur der<br />
«innere Wert» einer Option für<br />
das Hedge Accounting herangezogen<br />
werden, während der<br />
wichtige Zeitwert unberücksichtigt<br />
bleibt.<br />
Juni 2011 Disclose 23
Zerlegung von Nichtfinanzinstrumenten in Komponenten<br />
Produktionskosten des Kupferkabels<br />
Der Entwurf des IASB sieht vor,<br />
dass der Zeitwert je nach Art der<br />
Transaktion entweder<br />
• über die Laufzeit des<br />
abgesicherten Geschäfts<br />
amortisiert wird (z.B. durch<br />
Zinsabsicherung mit einem<br />
Zinssatzdeckel) oder<br />
• einmalig in der Erfolgsrechnung<br />
erfasst wird. Dies<br />
setzt voraus, dass das<br />
Grundgeschäft die Erfolgsrechnung<br />
nur einmal<br />
tangiert (z.B. eine Währungsoption<br />
zur Absicherung<br />
des zukünftigen Umsatzes in<br />
fremder Währung).<br />
Der Entwurf macht die Absicherung<br />
mit Optionen deutlich<br />
attraktiver: Der Zeitwert<br />
verursacht keine Volatilität mehr<br />
in der Erfolgsrechnung.<br />
24<br />
fixe Kosten<br />
andere variable<br />
Kosten<br />
Kupferanteil<br />
Grund geschäft<br />
nach Entwurf<br />
Disclose Juni 2011<br />
Grundgeschäft<br />
nach IAS 39<br />
Absicherung des<br />
Kupferanteils<br />
(z.B. auf der Basis<br />
des Rohstoffpreises)<br />
Absicherungsgeschäft<br />
nach<br />
IAS 39 und<br />
Entwurf<br />
Fazit<br />
Der Entwurf, der frühestens am<br />
1. Januar 2013 in Kraft tritt,<br />
nähert sich den Risikomanagementstrategien<br />
der Unternehmen<br />
an und lockert gewisse<br />
formale Regeln. Hedge Accounting<br />
wird in der Handhabung<br />
vereinfacht, und der ökonomisch<br />
sinnvolle Gewinnausweis in der<br />
Jahresrechnung wird erleichtert.<br />
Auch wenn der Entwurf noch<br />
Fragen offenlässt, ist er ein<br />
Schritt in die richtige Richtung.<br />
Vielen Unternehmen wird er bei<br />
der Anwendung des Hedge<br />
Accounting entgegenkommen.
Internationale<br />
Prüfungsstandards:<br />
klare Anforderungen<br />
an die Prüfer<br />
Die internationalen Prüfungsstandards (ISA) wurden im Rahmen<br />
des Clarity-Projekts grundlegend überarbeitet. Die neuen Clarity-<br />
ISA sind klar strukturiert, verständlich formuliert und erlauben eine<br />
weltweit konsistente Anwendung. Sie sind 2010 in Kraft getreten.<br />
Die zunehmende Globalisierung verlangt<br />
nach einer Harmonisierung der Rechnungslegung.<br />
Investoren und weitere Anspruchsgruppen<br />
erwarten einen Jahresabschluss,<br />
der entscheidungsrelevante und international<br />
vergleichbare Informationen bietet.<br />
Diesen Erwartungen wird mit der Entwicklung<br />
der International Financial Reporting<br />
Standards (IFRS) zunehmend entsprochen.<br />
Die Harmonisierung der Rechnungslegung<br />
geht einher mit der Harmonisierung der<br />
Standards für Abschlussprüfungen. Das<br />
Pendant zu den IFRS sind die internationalen<br />
Prüfungsstandards (ISA), die das<br />
International Auditing and Assurance Board<br />
(IAASB) herausgibt.<br />
Das IAASB ist eine unabhängige, international<br />
besetzte Organisation. Ihre Agenda wird<br />
massgeblich vom Public Interest Oversight<br />
Board (PIOB) bestimmt. Dieses Gremium<br />
setzt sich seinerseits aus zehn Vertretern<br />
staatlicher Behörden und Aufsichtsorgane,<br />
der internationalen Börsenorganisation<br />
IOSCO und der Weltbank zusammen. Das<br />
PIOB überwacht das IAASB und genehmigt<br />
die Wahlen neuer Mitglieder.<br />
Unter dem starken Einfluss des PIOB hat das<br />
IAASB im Rahmen des Clarity-Projekts die<br />
Prüfungsstandards vollständig überarbeitet<br />
und ergänzt. Die neuen Standards sind klar<br />
strukturiert und enthalten verschärfte<br />
Vorgaben für die Prüfer.<br />
Beat Inauen, Partner, St. Gallen<br />
beat.inauen@ch.pwc.com<br />
Neue Standards als Basis für eine<br />
qualitativ hochstehende Prüfung<br />
Ziel des Clarity-Projektes war es, die<br />
Prüfungsstandards unter drei Aspekten zu<br />
verbessern: Sie sollen verständlich und klar<br />
sein und sich für eine konsistente Anwendung<br />
eignen. Diesen Zielen wurde mit<br />
folgenden Verbesserungen Rechnung<br />
getragen:<br />
• Identifikation der grundlegenden Ziele<br />
des Abschlussprüfers bei der Durchführung<br />
einer Prüfung in Übereinstimmung<br />
mit den ISA;<br />
• Formulierung der konkreten Prüfungsziele;<br />
• Festlegung der Pflichten für den<br />
Prüfer hinsichtlich der Erreichung der<br />
Prüfungsziele;<br />
• Klarstellung der Verpflichtungen<br />
durch eine einheitlich verwendete<br />
Terminologie;<br />
• Eliminierung von Mehrdeutigkeiten<br />
hin sichtlich der Anforderungen an den<br />
Prüfer;<br />
• Anwendungsleitlinien («guidance»), die<br />
präzise erklären, was unter einer konkreten<br />
Anforderung zu verstehen ist.<br />
Zudem hat das IAASB knapp die Hälfte der<br />
Standards inhaltlich überarbeitet und einen<br />
zusätzlichen Standard zur Kommunikation<br />
bei Mängeln im Internen Kontrollsystem<br />
geschaffen. Zu den wesentlichen inhaltlichen<br />
Änderungen gehören vor allem<br />
deutliche Verschärfungen der Anforderungen<br />
an die Prüfung von Konzernrechnungen<br />
und von Transaktionen mit Nahestehenden<br />
sowie an die Prüfung von Schätzungen und<br />
Marktwerten.<br />
Juni 2011 Disclose 25
Auswirkungen auf die Prüfungspraxis<br />
Weltweit wurden verschiedene Studien<br />
durchgeführt, um den Einfluss der Clarity-<br />
ISA auf den Umfang der Prüfungsarbeiten<br />
zu ermitteln. Alle kommen zu dem Ergebnis,<br />
dass die zusätzlichen Verpflichtungen<br />
den Zeitaufwand für die Prüfung erhöhen.<br />
Die Aufsichtsbehörden weltweit haben<br />
nachdrücklich eine Vertiefung der Prüfung<br />
verlangt, um die Prüfungsqualität und damit<br />
die Qualität der Finanzberichterstattung<br />
zu steigern.<br />
Die absolute Zunahme der Anforderungen<br />
bedeutet nicht automatisch einen Mehraufwand<br />
bei allen Prüfungen. In verschiedenen<br />
Bereichen wurden bisher auslegungsbedürftige<br />
Regelungen präzisiert. Einen<br />
bedeutenden Teil der Änderungen haben die<br />
grösseren Prüfungsgesellschaften frühzeitig<br />
antizipiert und in das Prüfungsvorgehen<br />
integriert. Einige Prüfungshandlungen aber<br />
müssen zusätzlich vorgenommen werden.<br />
Die Anwendung der Clarity-ISA bedingt in<br />
der Regel auch eine aktivere Mitarbeit der<br />
geprüften Unternehmen. Die Prüfer werden<br />
sich verstärkt auf Gespräche mit dem<br />
Management, zusätzliche Informationen<br />
und Dokumentationen stützen müssen. Dies<br />
veranschaulichen die beiden folgenden<br />
Beispiele:<br />
Prüfung von Konzernen (ISA 600)<br />
International tätige Unternehmen werden<br />
am meisten von der Standardisierung der<br />
Prüfung profitieren. Die Clarity-ISA dürften<br />
dazu beitragen, dass sich die – bisher oft<br />
spürbaren – Unterschiede in der Prüfungsqualität<br />
der einzelnen Länder verringern.<br />
Der überarbeitete Standard unterstreicht die<br />
zentrale Rolle des Konzernprüfers und<br />
dessen uneingeschränkte Verantwortung für<br />
die gesamte Konzernprüfung. Dabei wird<br />
unter anderem erwartet, dass die Prüfung<br />
von wesentlichen Tochtergesellschaften und<br />
risikobehafteten Positionen unter der<br />
Kontrolle des Konzernprüfers erfolgt. Das<br />
bedeutet, dass der Informationsaustausch<br />
des Konzernprüfers mit den Prüfern<br />
wesentlicher Tochtergesellschaften zunehmen<br />
wird. Die heute üblichen Prüfungsinstruktionen<br />
und ausführlichen Prüfungsberichte<br />
dürften in vielen Fällen nicht<br />
ausreichen, um dem neuen Standard gerecht<br />
zu werden.<br />
26<br />
Disclose Juni 2011<br />
Prüfung von Schätzungen (ISA 540)<br />
Der Standard verlangt ein hohes Mass an<br />
Skepsis und Sorgfalt bei der Prüfung von<br />
Schätzungen. Das Management und der<br />
Verwaltungsrat sind aufgrund der Rechnungslegungsstandards<br />
dazu verpflichtet,<br />
kritische Schätzungen verlässlich zu<br />
ermitteln. Das heisst: Sie müssen klare<br />
Prozesse definieren, die wesentlichen<br />
Annahmen begründen, Sensitivitäten<br />
berücksichtigen und eine aussagekräftige<br />
Dokumentation über diese Aspekte erstellen.<br />
Diese Dokumentation dient dem Prüfer<br />
als Grundlage seiner Beurteilung. Wurden<br />
die Schätzungen nicht sorgfältig durchgeführt<br />
oder fehlt eine ausreichende Dokumentation,<br />
muss der Prüfer eigene Schätzungen<br />
vornehmen, was zu entsprechenden Mehr -<br />
aufwendungen führen kann.<br />
Anwendung bei kleineren Unternehmen<br />
Für die Prüfung kleinerer Unternehmen hat<br />
das IAASB besondere Anwendungsleitlinien<br />
formuliert. Diese sollen eine unverhältnismässige<br />
Belastung durch die anspruchsvolleren<br />
Standards verhindern, ohne deren<br />
grundlegende Zielsetzungen und Anforderungen<br />
infrage zu stellen. Die Vereinfachungen<br />
beziehen sich vor allem auf eine<br />
Verstärkung des «Professional Judgement»<br />
des Prüfers und eine den Unternehmensverhältnissen<br />
angepasste Dokumentation.<br />
Ausblick<br />
Die Clarity-ISA sind zunächst nur bei<br />
Prüfungen von IFRS-Abschlüssen zwingend<br />
anzuwenden. Für die ordentliche Revision<br />
in der Schweiz gelten nach wie vor die<br />
Schweizer Prüfungsstandards (PS), die auf<br />
dem Stand der ISA vom 30. Juni 2003<br />
basieren. Eine Anpassung der Schweizer<br />
Prüfungsstandards bzw. eine Übernahme<br />
der neuen ISA scheint aber auf mittlere Sicht<br />
unausweichlich – nicht zuletzt, um die<br />
Vergleichbarkeit der Prüfung und die<br />
Akzeptanz des Prüfungstestats international<br />
zu gewährleisten. Die Clarity-ISA werden<br />
derzeit in mehr als 120 Ländern umgesetzt.<br />
Sie geniessen eine breite Unterstützung<br />
durch supranationale Organisationen wie<br />
die Internationale Organisation der<br />
Börsenaufsichtsbehörden IOSCO, den Basler<br />
Ausschuss (Ausschuss der Bankaufsichtsbehörden<br />
der G-10) und die Weltbank.<br />
Die Treuhand-Kammer skizziert in einem<br />
Informationsschreiben vom Dezember 2010<br />
einen Plan zur Einführung der Clarity-ISA in<br />
der Schweiz. Diese soll in Abstimmung mit<br />
den Entwicklungen in der EU erfolgen. Mit<br />
einer Entscheidung der EU-Kommission<br />
in dieser Angelegenheit ist in naher Zukunft<br />
zu rechnen. Als realistischer Zeitpunkt für<br />
eine erstmalige Anwendung in der Schweiz<br />
wird die Prüfung der Abschlüsse für das<br />
Geschäftsjahr 2013 betrachtet.<br />
Die neuen Standards sind<br />
verständlich, klar strukturiert und<br />
für eine konsistente Anwendung<br />
geeignet.
Neues Rechnungslegungsrecht<br />
Auf der<br />
Zielgeraden!<br />
Die Neuregelung der Rechnungslegung<br />
in der Schweiz<br />
nähert sich der Schlussphase.<br />
Damit ist der Zeitpunkt gekommen,<br />
um eine erste Beurteilung<br />
vorzunehmen.<br />
Die Rechnungslegung ist für die Geschäftstätigkeit<br />
jedes Unternehmens von zentraler<br />
Bedeutung. Mehr noch: Sie ist eine Voraussetzung,<br />
damit die Volkswirtschaft funktioniert.<br />
Mangelhafte Rechnungslegung<br />
untergräbt das Vertrauen in das Wirtschaftssystem<br />
als Ganzes. Insofern hat der Gesetzgeber<br />
ein ausgeprägtes Interesse an einer<br />
Regelung der Rechnungslegung.<br />
In der Schweiz arbeiten Regierung und<br />
Parlament seit mehreren Jahren an einer<br />
Revision der Rechnungslegung. Dieser<br />
Gesetzgebungsprozess nähert sich nun dem<br />
Ende. In der Frühjahrssession hat der<br />
Ständerat mit der Differenzbereinigung<br />
begonnen. Da nur noch wenige Differenzen<br />
zum Nationalrat bestehen, zeichnet sich<br />
die endgültige Fassung des neuen Gesetzes ab.<br />
Dies macht eine erste Beurteilung möglich.<br />
Einheitliche Regelung für alle<br />
Rechtsformen<br />
Künftig werden Buchführung und Rechnungslegung<br />
– unabhängig von der jeweiligen<br />
Rechtsform des Unternehmens – an<br />
einer Stelle des Obligationenrechts in sieben<br />
Artikeln (Art. 957 – 963 OR) geregelt.<br />
Die Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung<br />
und Rechnungslegung, die Mindestgliederungsvorschriften<br />
für die Bilanz und die<br />
Erfolgsrechnung sowie die Mindestanforderungen<br />
an den Inhalt des Anhangs entsprechen<br />
weitgehend den bisherigen Bestimmungen<br />
des Aktienrechts. Wie bisher soll die<br />
Rechnungslegung «die wirtschaftliche Lage<br />
des Unternehmens so darstellen, dass<br />
sich Dritte ein zuverlässiges Urteil bilden<br />
können».<br />
Lorenz Lipp<br />
Partner, St. Gallen<br />
lorenz.lipp@ch.pwc.com<br />
Juni 2011 Disclose 27
Das neue Recht stärkt die Rechte von<br />
Personen mit Minderheitsbeteiligungen.<br />
Aktiven und Verbindlichkeiten «sollen in<br />
der Regel einzeln bewertet» werden. Die<br />
historischen Kosten (abzüglich notwendiger<br />
Abschreibungen) bilden weiterhin die<br />
Bewertungsobergrenze. Künftig können –<br />
sofern dies im Anhang offengelegt wird –<br />
Aktiven mit Börsenkurs zu ihrem Kurswert<br />
angesetzt werden. Strittig ist, ob diese<br />
Option auf weitere «Aktiven mit beobachtbaren<br />
Marktpreisen» ausgedehnt werden<br />
soll. Umstritten ist auch, ob Verbindlichkeiten<br />
zwingend zum Nennwert anzusetzen<br />
sind oder ob diese auch zum «Ausgabebetrag<br />
oder Übernahmebetrag» bewertet werden<br />
dürfen.<br />
Es ist auch künftig erlaubt, in grossem<br />
Umfang stille Reserven zu bilden. Um zu<br />
verhindern, dass das Ergebnis durch die<br />
Auflösung stiller Reserven beschönigt wird,<br />
muss das Unternehmen – entsprechend der<br />
bisherigen Regelung im Aktienrecht – den<br />
Netto-Gesamtbetrag der aufgelösten stillen<br />
Reserven im Anhang ausweisen.<br />
Nach Betriebsgrösse differenzierte<br />
Anforderungen<br />
Die Anforderungen an die Rechnungslegung<br />
unterscheiden sich je nach der wirtschaftlichen<br />
Bedeutung und Grösse des Unternehmens.<br />
Zur Unterteilung werden dieselben<br />
Kriterien wie bei der Rechnungsprüfung<br />
(Art. 727 OR) herangezogen. <strong>Im</strong> Zuge der<br />
Revision wurden die Schwellenwerte für<br />
diese Kriterien aber deutlich erhöht. Als<br />
grösseres Unternehmen gilt demnach, wer in<br />
zwei aufeinanderfolgenden Jahren zwei der<br />
drei kritischen Grössen überschritten hat:<br />
28<br />
Disclose Juni 2011<br />
Bilanzsumme CHF 20 Mio. (bisher<br />
CHF 10 Mio.); Umsatzerlös CHF 40 Mio.<br />
(bisher CHF 20 Mio.); Vollzeitstellen 250<br />
(bisher 50).<br />
Die neuen Anforderungen lassen sich wie<br />
folgt zusammenfassen:<br />
• Sehr kleine Einzelunter nehmen und<br />
Personen gesellschaften (mit weniger als<br />
CHF 500 000 Umsatzerlös) sowie Vereine<br />
und Stiftungen, die nicht im Handelsregister<br />
eingetragen sind, können sich auf<br />
eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung<br />
sowie eine Darlegung der Vermögenslage<br />
beschränken.<br />
• KMU, die lediglich einer eingeschränkten<br />
Revision unterliegen, erstellen eine<br />
Jahresrechnung mit Bilanz, Erfolgsrechnung<br />
und Anhang. Auf Angaben zur<br />
Durchführung einer Risikobeurteilung im<br />
Anhang können sie künftig verzichten.<br />
• «Grössere Unternehmen», die zur<br />
ordentlichen Revision verpflichtet sind,<br />
verfassen zusätzlich einen Lagebericht,<br />
eine Geldflussrechnung und einen<br />
erweiterten Anhang.<br />
• Publikumsgesellschaften, grosse<br />
Genossenschaften und Stiftungen müs -<br />
sen – neben dem handelsrechtlichen<br />
Abschluss – einen Abschluss nach einem<br />
anerkannten Regelwerk (Swiss GAAP,<br />
IFRS, US GAAP) erstellen.<br />
• Unternehmen, die Teil eines Konzerns<br />
sind, sind grundsätzlich von den erwähnten<br />
zusätzlichen Anforderungen befreit.<br />
Stärkung des Minderheitenschutzes<br />
Das neue Recht bringt verschiedene<br />
Verbesserungen hinsichtlich der Transparenz<br />
und stärkt die Rechte von Personen mit<br />
Minderheitsbeteiligungen. Künftig können<br />
qualifizierte Minderheiten – bei allen<br />
Unternehmen, ohne Angabe von Gründen<br />
und ohne den Nachweis sachlicher Voraussetzungen<br />
– die Erstellung einer Jahresrechnung<br />
nach einem anerkannten Regelwerk<br />
verlangen. Dieser Abschluss ist dem obersten<br />
Organ anlässlich der Genehmigung der<br />
Jahresrechnung vorzulegen, bedarf aber<br />
selbst keiner Genehmigung. Er ist steuerlich<br />
nicht relevant. Dieses Recht verbessert die<br />
Transparenz für Minderheiten stark, kann<br />
aber für das Unternehmen einen erheblichen<br />
Mehraufwand mit sich bringen. Die<br />
Umschreibung, wer zur Ausübung dieses<br />
Rechts berechtigt ist, ist zurzeit zwischen<br />
den Räten noch strittig.<br />
Griffigere Konzern rechnung<br />
Durch die deutliche Anhebung der Schwellenwerte<br />
werden viele Unternehmensgruppen<br />
von der Konsolidierungspflicht befreit.<br />
Andererseits werden künftig auch Genossenschaften,<br />
Vereine und Stiftungen konsolidierungspflichtig.
Es gibt einen Zielkonflikt zwischen<br />
Transparenz und Steuerneutralität.<br />
Während Publikumsgesellschaften, grosse<br />
Genossenschaften mit mindestens 2000<br />
Ge - nossenschaftern und grosse Stiftungen,<br />
die der ordentlichen Revision unterliegen,<br />
ihre Konzernrechnung zwingend nach<br />
einem anerkannten Regelwerk zu erstellen<br />
haben, ist eine solche Vorschrift für die<br />
übrigen Unternehmensgruppen noch strittig.<br />
<strong>Im</strong> Gegensatz zum Nationalrat möchte der<br />
Ständerat, dass auch diese Konzerne ein<br />
anerkanntes Regelwerk bei der Konsolidierung<br />
anwenden. Da nur grössere Unternehmensgruppen<br />
der Konsolidierungspflicht<br />
unterliegen, scheint diese Forderung<br />
vertretbar. Strittig ist auch, wer in (kleinen)<br />
Konzernen die Erstellung einer Konzernrechnung<br />
verlangen darf, obwohl der<br />
Konzern an sich aufgrund der Grössenverhältnisse<br />
von der Konsolidierungspflicht<br />
befreit wäre.<br />
Fazit<br />
Der modulare Aufbau der Rechnungslegungsvorschriften<br />
und die Differenzierung<br />
nach der Grösse des Unternehmens erscheinen<br />
grundsätzlich zweckmässig. Allerdings<br />
erhöhen die verschiedenen Wahlrechte,<br />
unterschiedliche Kriterien und die Rechte<br />
der Minderheiten – so berechtigt deren<br />
Anliegen sein mögen – die Komplexität der<br />
Regelungen.<br />
Die materiellen Verbesserungen im Hin -<br />
blick auf die Transparenz halten sich –<br />
zumindest für die Aktiengesell schaften als<br />
wirtschaftlich bedeutendste Rechtsform –<br />
gegenüber der heutigen Regelung in engen<br />
Grenzen. Dies erstaunt nicht weiter,<br />
denn bei der Reform gibt es einen grundsätzlichen<br />
Zielkonflikt zwischen Transparenz<br />
und Steuerneutralität. Sollen hohe<br />
stille Reserven auch künftig zulässig<br />
sein und das Prinzip der Massgeblichkeit<br />
des handelsrechtlichen Abschlusses für<br />
die Steuerveranlagung unverändert gelten,<br />
so geht dies zulasten der Transparenz.<br />
<strong>Im</strong>merhin stellt die Einführung einer<br />
Geldflussrechnung bei den grösseren<br />
Unternehmen einen Fortschritt dar.<br />
Die Verbesserung des Minderheitenschutzes<br />
lässt sich erst nach der Revision des übrigen<br />
Aktienrechts (Corporate Governance)<br />
abschliessend beurteilen. Gerade hier gehen<br />
die Ansichten in den Räten noch weit<br />
auseinander. Aufgrund dieser Differenzen<br />
dürfte sich auch die Inkraftsetzung des<br />
neuen Rechnungslegungsrechts hinauszögern.<br />
Juni 2011 Disclose 29
Andreas Eschbach<br />
Partner, Zürich<br />
andreas.eschbach@ch.pwc.com<br />
30<br />
Die elektronische<br />
Archivierung ist Teil der<br />
Geschäftsprozesse<br />
Die Datenflut in den Unternehmen steigt unaufhaltsam.<br />
Der grösste Teil der Daten fällt in elektronischer<br />
Form an, und meist sind diese Daten geschäftsrelevant.<br />
Kaum ein Unternehmen kann daher auf<br />
eine elektronische Archivierung verzichten.<br />
Disclose Juni 2011<br />
Christopher Oehri<br />
Senior Manager, Zürich<br />
christopher.oehri@ch.pwc.com<br />
Die Archivierung von Geschäftsunterlagen<br />
ist gesetzlich<br />
geregelt. Massgebend ist die<br />
Verordnung über die Führung<br />
und Aufbewahrung der<br />
Geschäftsbücher (Geschäftsbücherverordnung,<br />
GeBüV;<br />
SR 221.431). Sie stützt sich auf<br />
Art. 957 Abs. 5 OR. Seit dem<br />
1. Juni 2002 ist es ausdrücklich<br />
erlaubt, Geschäftsbücher,<br />
Buchungsbelege und Geschäftskorrespondenz<br />
elektronisch zu<br />
führen und aufzubewahren.<br />
Zu beachten ist aber: Auch wenn<br />
ein Unternehmen elektronische<br />
Archivsysteme einsetzt, muss es<br />
gemäss Art. 957 Abs. 3 OR die<br />
Betriebsrechnung und die Bilanz<br />
schriftlich und unterzeichnet<br />
aufbewahren.<br />
Spezialgesetzliche Regelungen<br />
gehen über die Geschäftsbücherverordnung<br />
hinaus. So enthält<br />
beispielsweise das Mehrwertsteuerrecht<br />
detaillierte Bestimmungen<br />
zum elektronischen<br />
Geschäftsverkehr (ElDI-V). <strong>Im</strong><br />
Bereich Finanzwirtschaft hat die<br />
Finanzaufsichtsbehörde FINMA<br />
in einem Rundschreiben zusätz -<br />
liche Vorschriften erlassen.<br />
Welche Unterlagen müssen Sie<br />
archivieren?<br />
Aufbewahrt werden müssen<br />
Geschäftsbücher, Buchungsbelege<br />
und die Geschäftskorrespondenz.<br />
Geschäftsbücher: Gemäss Art. 1<br />
GeBüV müssen die Unternehmen<br />
alle Bücher aufbewahren,<br />
die «zur Feststellung der<br />
Vermögenslage des Geschäftes<br />
und die mit dem Geschäftsbetrieb<br />
zusammenhängenden<br />
Schuld- und Forderungsverhältnisse<br />
sowie die Ergebnisse der<br />
einzelnen Geschäftsjahre nötig<br />
sind». Der gleiche Artikel legt<br />
auch den Mindestinhalt der zu<br />
führenden Bücher fest: Hauptbuch<br />
(bestehend aus den Konten
Zur Geschäftskorrespondenz gehören<br />
schriftliche Mitteilungen – unabhängig<br />
davon, ob sie in Papierform oder<br />
elektronisch erstellt wurden.<br />
und dem Journal) und Hilfsbücher<br />
(insbesondere Lohnbuchhaltung,<br />
Debitoren- und<br />
Kreditorenbuchhaltung,<br />
fortlaufende Führung der<br />
Warenbestände bzw. der nicht<br />
fakturierten Dienstleistungen).<br />
Buchungsbelege: Darunter<br />
fallen alle Urkunden, die<br />
geeignet sind, Sachverhalte<br />
nachzuweisen, die in den<br />
Büchern als Geschäftsvorfälle<br />
aufgeführt werden und damit<br />
Grundlage für die Buchung<br />
bilden (Art. 110 Ziff. 5 StGB).<br />
Geschäftskorrespondenz: Der<br />
Inhalt der Geschäftskorrespondenz<br />
kann sich in der Bilanz<br />
niederschlagen. Sie enthält<br />
wesentliche Angaben im<br />
Hinblick auf das rechtsgeschäftliche<br />
Handeln des Unternehmens.<br />
Zur Geschäftskorrespondenz<br />
gehören schriftliche<br />
Mitteilungen – unabhängig<br />
davon, ob sie in Papierform oder<br />
elektronisch erstellt wurden.<br />
Nicht der Aufbewahrungspflicht<br />
unterliegen zusätzliche, frei -<br />
willig geführte Bücher oder<br />
interne Notizen, sofern es sich<br />
nicht um Buchungsbelege<br />
handelt.<br />
Wie sind die Aufbewahrungsfristen<br />
definiert?<br />
Grundsätzlich legt das OR die<br />
Dauer der Aufbewahrungspflicht<br />
für Geschäftsbücher, Buchungsbelege<br />
und die Geschäftskorrespondenz<br />
auf zehn Jahre fest. Die<br />
Frist beginnt «mit dem Ablauf<br />
des Geschäftsjahres, in dem die<br />
letzten Eintragungen vorgenommen<br />
wurden, die Buchungsbelege<br />
entstanden sind und die<br />
Geschäftskorrespondenz<br />
ein- oder ausgegangen ist»<br />
(Art. 962 Abs. 2 OR). Aber auch<br />
hier gilt: Spezialregelungen<br />
sehen teilweise unterschiedliche<br />
Aufbewahrungsfristen vor.<br />
Der heutige Geschäftsverkehr<br />
wird weitgehend über E-Mails<br />
abgewickelt. Daraus folgt, dass<br />
geschäftsrelevante E-Mails<br />
aufbewahrt werden müssen. Die<br />
Art der Aufbewahrung lässt der<br />
Gesetzgeber jedoch offen.<br />
E-Mails können somit auch<br />
physisch abgelegt werden.<br />
Verzichtet ein Unternehmen auf<br />
die elektronische Archivierung<br />
von E-Mails, muss es Regeln zur<br />
physischen Aufbewahrung<br />
erlassen. Für Finanzinstitute gilt<br />
eine zusätzlich Regelung: Das<br />
FINMA-Rundschreiben 2008/38<br />
«Marktverhaltensregeln»<br />
schreibt vor, dass die elektronische<br />
Korrespondenz der im<br />
Effektenhandel tätigen Mitarbeiter<br />
«während mindestens einem<br />
halben Jahr aufzubewahren und<br />
der FINMA bei Bedarf zu<br />
Untersuchungszwecken<br />
unverändert zugänglich zu<br />
machen» ist.<br />
Welche Informationsträger<br />
sind geeignet?<br />
Art. 9 GeBüV unterscheidet<br />
zwischen veränderbaren und<br />
unveränderbaren Informationsträgern.<br />
Von unveränderbaren<br />
Datenträgern spricht man, wenn<br />
die Daten beispielsweise auf<br />
einem WORM-Medium (write<br />
once read multiple times)<br />
gespeichert oder durch sogenannteSoftWORM-Technologien<br />
vor Veränderung geschützt<br />
werden. Als veränderbare<br />
Datenträger gelten Festplatten,<br />
Back-up-Bänder oder Speichertechnologien<br />
wie Network<br />
Attached Storage (NAS). Auch<br />
das Storage Area Network (SAN)<br />
zählt zu den veränderbaren<br />
Datenträgern.<br />
Grundsätzlich sind beide<br />
Arten von Datenträgern für die<br />
Speicherung elektronisch<br />
vorhandener Informationen<br />
zulässig. Bei veränderbaren<br />
Informationsträgern müssen die<br />
Unternehmen jedoch besondere<br />
Vorkehrungen treffen:<br />
• Technische Verfahren,<br />
etwa eine digitale Signatur,<br />
müssen implementiert<br />
werden, um die Integrität der<br />
gespeicherten Daten zu<br />
gewährleisten.<br />
• Der Zeitpunkt der Speicherung<br />
muss fälschungssicher<br />
nachweisbar sein.<br />
• Die Abläufe und Verfahren<br />
bezüglich der Archivierung<br />
müssen geregelt und doku -<br />
mentiert werden.<br />
Juni 2011 Disclose 31
Beide Arten der Aufbewahrung<br />
werden in der Schweiz angewandt.<br />
Da veränderbare<br />
Datenträger komplexe technische<br />
Verfahren zur Sicherstellung<br />
der Integrität erfordern,<br />
werden in der Praxis heutzutage<br />
grösstenteils WORM-Medien<br />
verwendet.<br />
Welche technischen Möglichkeiten<br />
haben Sie?<br />
Für die richtige Wahl der Archiv-<br />
lösung ist die Datenmenge das<br />
ausschlaggebende Kriterium.<br />
Will etwa ein KMU lediglich<br />
bestimmte Informationen statt<br />
in Papierform auf Datenträgern<br />
archivieren, kann es ausreichend<br />
sein, diese Daten auf einmal<br />
beschreibbaren CDs (WORM-<br />
Medium) zu speichern. Handelt<br />
es sich jedoch um grössere<br />
Datenmengen, die üblicherweise<br />
von Systemen erzeugt werden,<br />
müssen spezifizierte Systemumgebungen<br />
für die Archivierung<br />
von Daten aufgebaut werden.<br />
32<br />
Disclose Juni 2011<br />
Zeichnung einer Systemsteuerung<br />
Die hohen Kosten für die<br />
<strong>Im</strong>plementierung und den<br />
Unterhalt machen es teilweise<br />
unwirtschaftlich, komplexe<br />
Systemumgebungen zu<br />
errichten, die nur den gesetzlichen<br />
Anforderungen an die<br />
Archivierung Rechnung tragen.<br />
Zudem lassen sich die Kosten<br />
eventuell nicht mit dem Risiko<br />
des Verlustes von Daten<br />
begründen. Sinnvoller ist es,<br />
neue Archivlösungen in die<br />
Geschäftsprozesse einzugliedern.<br />
Moderne Archivsysteme<br />
erfüllen so nicht nur die<br />
Anforderungen der gesetzlichen<br />
Bestimmungen, sondern leisten<br />
auch einen Beitrag zur Optimierung<br />
der Geschäftsprozesse.<br />
Wie kann eine Systemumgebung<br />
aufgebaut sein?<br />
Die Geschäftsbücherverordnung<br />
schreibt vor, archivierte und<br />
aktuelle Informationen strikt<br />
zu trennen oder zumindest<br />
so zu kennzeichnen, dass eine<br />
Unterscheidung möglich ist<br />
(Art. 7 GeBüV). Die Archivierung<br />
von Daten kann daher nie<br />
Produktiv-<br />
system<br />
Archivapplikation<br />
Archivmedium<br />
direkt in produktiven Systemen<br />
(z.B. im Finanzbuchhaltungs-,<br />
ERP- oder Bankensystem)<br />
erfolgen.<br />
Weshalb sind Reviews von<br />
Archivumgebungen sinnvoll?<br />
Die technische <strong>Im</strong>plementierung<br />
von Archivsystemen ist komplex.<br />
Sie ist stets mit der Schwierigkeit<br />
verbunden, die Prozesse und<br />
technischen Einrichtungen so zu<br />
gestalten, dass die gesetzlichen<br />
Anforderungen erfüllt werden<br />
können. Dies betrifft nicht nur<br />
den Neuaufbau einer Umgebung,<br />
sondern auch den Wechsel<br />
(Migration) zu einem neuen<br />
Archivsystem. Hinzu kommt der<br />
wirtschaftliche Faktor: In vielen<br />
Fällen ist die einfachste und –<br />
unter dem Aspekt der Archivierung<br />
– sinnvollste Lösung nicht<br />
die wirtschaftlichste. Für<br />
Unternehmen, die ein Projekt<br />
zur Archivierung von Geschäftsunterlagen<br />
angehen, kann<br />
es sich auszahlen, bereits in der<br />
Planungsphase eine externe<br />
Review vorzusehen.<br />
Auslagerung<br />
von Daten aus<br />
Performancegründen
Leserservice<br />
www.pwc.ch/boardroom<br />
Chairman SMI SMI Changes SMIM SMIM Changes<br />
2009 08/09 07/09 2009 08/09 07/09<br />
2007 2008 07/08 2007 2008 07/08<br />
2,568,379 2,388,785 3,070,609 –6.99% +28.54% 19.55% 906,043 932,560 751,464 +2.93% –19.42% –17.06%<br />
Upper Quartile<br />
Median 1,200,000 844,723 1,330,867 –29.61% +57.55% 10.91% 430,500 581,876 560,591 +35.16% –3.66%<br />
Lower Quartile<br />
+30.22%<br />
520,869 397,564 670,599 –23.67% +68.68% 28.75% 278,750 261,000 305,640 –6.37% +17.10% +9.64%<br />
Highest 14,624,000 15,228,951 15,116,196 +4.14% –0.74% 3.37% 10,625,656 7,418,000 7,418,000 –30.19% 0.00% –30.19%<br />
Average 2,328,611 2,424,636 2,954,167 +4.12% +21.84% 26.86% 1,231,812 906,415 862,602 –26.42% –4.83% –29.97%<br />
Lowest 0 0 256,570 0.00% n/a n/a 0 0 144,000 0.00% n/a n/a<br />
Ein Blick in die<br />
Zukunft<br />
Board of<br />
SMI SMI Changes SMIM SMIM Changes<br />
Directors<br />
2007 2008 2009 07/08 08/09 07/09 2007 2008 2009 07/08 08/09 07/09<br />
400,000 375,053 400,034 –6.24% +6.66% +0.01% 221,000 218,217 223,975 –1.26% +2.64% +1.33%<br />
Upper Quartile<br />
Median 296,030 279,869 317,407 –5.46% +13.41% +7.22% 169,000 154,500 158,423 –8.58% +2.54% –6.26%<br />
Lower Quartile 176,265 170,000 192,799 –3.55% +13.41% +9.38% 105,919 106,250 105,050 +0.31% -1.13% –0.82%<br />
Highest 5,027,381 2,901,796 5,274,667 –42.28% +81.77% +4.92% 3,255,621 4,107,000 4,107,000 +26.15% 0.00% +26.15%<br />
Average 377,953 363,552 400,572 –3.81% +10.18% +5.98% 248,103 239,510 230,052 –3.46% -3.95% –7.28%<br />
Lowest 0 0 0 0.00% 0.00% 0.00% 0 0 0 0.00% 0.00% 0.00%<br />
Entwicklungen für Audit<br />
Committees in der Schweiz<br />
CEO SMI SMI Changes SMIM SMIM Changes<br />
2009 08/09 07/09 2009 08/09 07/09<br />
2007 2008 07/08 2007 2008 07/08<br />
12,618,250 8,185,720 12,518,763 –35.13% +52.93% –0.79% 4,058,039 3,469,390 3,664,328 –14.51% +5.62% –9.70%<br />
Upper Quartile<br />
Median 7,727,944 5,351,799 5,861,461 –30.75% +9.52% Ein Meinungspapier<br />
–24.15% 2,750,174 2,520,853 2,178,500 –8.34% –13.58% –20.79%<br />
Lower Quartile 4,792,787 3,770,484 3,935,927 –21.33% +4.39% –17.88% 1,788,900 1,581,127 1,383,553 –11.61% –12.50% –22.66%<br />
der <strong>PwC</strong> und der<br />
Highest 22,280,000 20,544,032 20,471,929 –7.79% –0.35% –8.12% 12,024,884 7,062,808 7,840,619 –41.27% +11.01% –34.80%<br />
Average<br />
Universität St.Gallen<br />
9,326,781 6,943,456 8,191,353 –25.55% +17.97% –12.17% 3,814,715 2,939,052 2,948,413 –22.95% +0.32% –22.71%<br />
Lowest 1,704,000 1,814,702 1,819,000 +6.50% +0.24% +6.75% 1,012,836 930,824 710,000 –8.10% –23.72% –29.90%<br />
November 2010<br />
pwc.ch/reward<br />
Ein Blick in die Zukunft<br />
Entwicklungen für Audit Committees<br />
in der Schweiz<br />
<strong>PwC</strong> hat in Zusammenarbeit mit der<br />
Universität St. Gallen ein zukunftsweisendes<br />
Meinungspapier für Audit Committees<br />
in der Schweiz erarbeitet. Die Publikation<br />
stützt sich auf die Ergebnisse einer<br />
Befragung von Audit-Committee-<br />
Mitgliedern und zeigt in übersichtlicher<br />
Form die Trends für deren Arbeit auf.<br />
Illustrative IFRS corporate consolidated<br />
financial statements for 2010 year ends<br />
Diese Publikation schildert die konsolidierte<br />
Finanzberichterstattung für eine<br />
fiktive Produktions-, Grosshandels-<br />
und Einzelhandelsgruppe. Sie basiert auf<br />
den Rechnungslegungsvorschriften<br />
und Interpretationen nach IFRS, die für<br />
die Geschäftsjahre, die am oder nach dem<br />
1. Januar 2010 beginnen, massgebend<br />
sind.<br />
2010 survey examining<br />
compensation structure<br />
in SMI and SMIM<br />
companies as well as<br />
Say-on-Pay<br />
pwc.ch/reward<br />
Executive<br />
Compensation &<br />
Corporate<br />
Governance<br />
Executive Compensation &<br />
Corporate Governance 2010<br />
Die vierte Erhebung von <strong>PwC</strong> zu diesem<br />
Thema beinhaltet eine Analyse der<br />
öffentlich zugänglichen Angaben zur<br />
Management-Kompensation der SMI-<br />
Gesellschaften und fast aller im SMIM-<br />
Index abgebildeten Unternehmen. Die<br />
Studie vermittelt ein umfassendes Bild der<br />
heutigen Kompensationspraxis führender<br />
Schweizer Unternehmen.<br />
World Watch – Governance, Reporting<br />
and Assurance<br />
World Watch ist das Magazin von<br />
<strong>PwC</strong>, das sich regelmässig aktuellen<br />
Fragen der Corporate Governance und<br />
der Unternehmensberichterstattung<br />
widmet. Es bietet einen Überblick<br />
über die Themen Governance,<br />
Finanzberichterstattung, Assurance<br />
und Reporting im weiteren Sinne und<br />
enthält Nachrichten aus aller Welt.<br />
A practical guide to new IFRSs<br />
for 2011<br />
2011 dürften wesentliche Änderungen<br />
zu den IFRS veröffentlicht werden. Für die<br />
Abschlüsse zum Ende des Jahres 2011<br />
aber wird es nur wenige Modifikationen<br />
geben. Der Leitfaden umreisst – in<br />
Form von Fragen und Antworten – die<br />
Hauptanforderungen der neuen Standards<br />
und Interpre tationen, die dieses Jahr in<br />
Kraft treten.<br />
Juni 2011 Disclose 33
Bestellformular<br />
Leserservice<br />
Ich bestelle (kostenlos):<br />
Ein Blick in die Zukunft – Entwicklungen für Audit Committees in der Schweiz<br />
Deutsch Französisch<br />
Executive Compensation & Corporate Governance 2010 (Englisch)<br />
A practical guide to new IFRSs for 2011 (Englisch)<br />
Illustrative IFRS corporate consolidated financial statements for 2010 year ends<br />
(Englisch)<br />
World Watch – Governance, Reporting and Assurance (Abonnement, Englisch)<br />
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Firma: Funktion:<br />
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Telefon: E-Mail:<br />
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