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Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. G 3/12 ...

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Verein</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>öffentliche</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>private</strong> <strong>Fürsorge</strong> e.V.<br />

G 3/<strong>12</strong> vom 22.08.20<strong>12</strong> Gutachterin: Dorette Nickel<br />

Örtliche Zuständigkeit <strong>und</strong> Kostenerstattung – Zur Reichweite des „Schutzes der<br />

Pflegestellen“ nach § 89a SGB VIII<br />

Ein Kostenerstattungsanspruch des örtlichen Jugendhilfeträgers nach § 89a<br />

SGB VIII besteht auch dann, wenn vor seiner Sonderzuständigkeit nach § 86 Abs. 6<br />

SGB VIII zwar kein anderer örtlicher Träger i.S.d. § 89a Abs. 1 SGB VIII zuständig war<br />

oder gewesen wäre, er aber einen Kostenerstattungsanspruch gegen den<br />

überörtlichen Träger nach § 89 SGB VIII hatte, weil sich die örtliche Zuständigkeit<br />

nach dem tatsächlichen Aufenthalt des Kindes (§ 86 Abs. 4 SGB VIII) richtete.<br />

0. Das vorliegende Gutachten nimmt Stellung zur Frage der örtlichen Zuständigkeit <strong>und</strong><br />

Kostenerstattung in folgender Fallkonstellation: Ein Kind wird direkt aus der Geburtsklinik in<br />

eine Pflegefamilie vermittelt. Klinik <strong>und</strong> Pflegestelle befinden sich an demselben Ort. Die<br />

leibliche Mutter des Kindes – der Vater ist unbekannt – hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt<br />

in einer anderen Stadt, so dass zunächst der dortige Träger unstreitig <strong>für</strong> die Hilfeleistung<br />

zuständig ist <strong>und</strong> auch die Kosten zu tragen hat. Die Mutter verstirbt etwa eineinhalb Jahre<br />

später. Es stellt sich die Frage, wer nach Ablauf von zwei Jahren – das Kind soll dauerhaft<br />

in der Pflegefamilie verbleiben – die Kosten <strong>für</strong> die Hilfe zu tragen hat.<br />

1. Ausschlaggebend <strong>für</strong> die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist zunächst gemäß<br />

§ 86 Abs. 1 S. 2 SGB VIII der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter. Nach dem Tod der Mutter<br />

wechselt die örtliche Zuständigkeit an den Ort der Geburtsklinik, da nunmehr gemäß § 86<br />

Abs. 4 S. 1 <strong>und</strong> 2 SGB VIII der tatsächliche Aufenthalt des Kindes vor Beginn der Leistung<br />

ausschlaggebend ist. Nach zwei Jahren ergibt sich über die Vorschrift des § 86 Abs. 6 die<br />

Sonderzuständigkeit – in diesem Fall desselben örtlichen Trägers – am Ort des<br />

gewöhnlichen Aufenthalts der Pflegeeltern.<br />

2. Die Kosten sind zunächst von Seiten des örtlichen Trägers entsprechend seiner örtlichen<br />

Zuständigkeit zu tragen. Mit dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit an den Ort des<br />

tatsächlichen Aufenthalts – also der Geburtsklinik – fallen örtliche Zuständigkeit <strong>und</strong><br />

Kostentragungspflicht auseinander. Das örtlich zuständige Jugendamt hat einen Anspruch<br />

auf Kostenerstattung gegen den überörtlichen Träger gemäß § 89 SGB VIII.<br />

3. Der Kostenerstattungsanspruch bleibt auch nach dem Wechsel der die Zuständigkeit<br />

begründenden Norm (von § 86 Abs. 4 zu § 86 Abs. 6 SGB VIII) erhalten. Dies ergibt sich<br />

aus § 89a SGB VIII, der in der vorliegenden Fallgestaltung analog heranzuziehen ist. Zwar<br />

ist ein Kostenerstattungsanspruch hier von dem Wortlaut der Norm nicht umfasst, da es<br />

lediglich zu einer Änderung der die Zuständigkeit begründenden Rechtsgr<strong>und</strong>lage<br />

gekommen ist <strong>und</strong> somit zuvor kein anderer örtlicher Träger im Sinne der § 89a Abs. 1-3<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Verein</strong> l Michaelkirchstraße 17/18 l D-10179 Berlin-Mitte Seite 1 von 3<br />

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SGB VIII zuständig war, gewesen oder geworden wäre. Es bestand aber vor Änderung der<br />

die Zuständigkeit begründenden Norm ein Anspruch des örtlichen Trägers auf<br />

Kostenerstattung gegen den überörtlichen Träger, der nach dem Sinn des § 89a SGB VIII<br />

erhalten bleiben muss. Denn § 89a SGB VIII bezweckt – entsprechend dem Schutz der<br />

Einrichtungsorte, § 89e SGB VIII – einen Schutz derjenigen örtlichen Träger der<br />

Jugendhilfe, in deren Bezirk ein größeres Potential an Pflegeeltern zur Verfügung steht,<br />

das auch von anderen <strong>öffentliche</strong>n Trägern in Anspruch genommen wird. 1 Durch die<br />

Sonderzuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII soll, sobald ein dauerhafter Verbleib eines<br />

Kindes in einer Pflegefamilie zu erwarten ist, nicht mehr die örtliche Nähe zu den leiblichen<br />

Eltern entscheidend <strong>für</strong> die örtliche Zuständigkeit sein, sondern den nunmehr absehbar auf<br />

Dauer erziehungsberechtigten Pflegepersonen das örtliche Jugendamt als zuständiger<br />

Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Die Kosten soll das Jugendamt aber nur dann<br />

tragen, wenn es sie auch unter Absehung von der Sonderzuständigkeit nach § 86 Abs. 6<br />

SGB VIII tragen würde. Andernfalls sieht § 89a SGB VIII eine Kostenerstattungspflicht<br />

desjenigen Trägers vor, der sie (fiktiv) zu tragen hätte, gäbe es die Sonderzuständigkeit<br />

nicht. 2<br />

4. Die entsprechende Heranziehung des § 89a SGB VIII in der vorliegenden Fallgestaltung<br />

steht auch nicht im Widerspruch zu der bisher ergangenen höchstrichterlichen<br />

Rechtsprechung. Zwar hat das B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht unter Verweis auf eine frühere<br />

Entscheidung den Kostenerstattungsanspruch eines örtlichen Trägers gegen den<br />

überörtlichen mit der Begründung abgelehnt, dass der Erstattungsanspruch nach § 89a<br />

SGB VIII einen Wechsel des örtlich zuständigen Trägers infolge der zweijährigen<br />

Familienpflege gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII voraussetzt. 3 Beiden Entscheidungen lagen<br />

jedoch Sachverhalte zugr<strong>und</strong>e, die mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sind. 4 In beiden<br />

Fällen hätte – anders als bei der vorliegenden Fallgestaltung – auch bei Außerachtlassen<br />

der durch § 86 Abs. 6 SGB VIII begründeten Sonderzuständigkeit kein<br />

Kostenerstattungsanspruch des örtlichen gegen den überörtlichen bzw. gegen einen<br />

anderen örtlichen Träger bestanden. Aus § 89a SGB VIII kann kein<br />

Kostenerstattungsanspruch gegen einen Träger abgeleitet werden, der auch bei fiktiver<br />

Anwendung der allgemeinen Regeln die Kosten nicht zu tragen hätte.<br />

5. Legt man die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zugr<strong>und</strong>e, so<br />

gelangt man – wenn auch mit einer abweichenden Begründung – ebenfalls zur<br />

Kostenerstattungspflicht des überörtlichen Trägers. Denn danach wäre es vorliegend zu<br />

keinem Wechsel der die Zuständigkeit begründenden Norm gekommen. 5 Die Zuständigkeit<br />

des Pflegestellenortes setzt nach dem VGH divergierende Zuständigkeiten nach § 86<br />

Abs. 6 <strong>und</strong> § 86 Abs. 1 <strong>und</strong> 5 SGB VIII voraus. Führten die Vorschriften dagegen zur<br />

Zuständigkeit desselben Trägers, bedürfe es der Sonderregelung des § 86 Abs. 6 SGB VIII<br />

mit der daran anknüpfenden Kostenentlastung des § 89a SGB VIII nicht. Demnach wäre es<br />

vorliegend bei der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 4 SGB VIII geblieben. Der<br />

Kostenerstattungsanspruch gegen den überörtlichen Träger ergäbe sich weiterhin aus § 89<br />

SGB VIII.<br />

1 Vgl. Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 89a, Rn. 1.<br />

2 Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 17.<strong>12</strong>.2004, <strong>12</strong> A 1<strong>12</strong>28/04.<br />

3 Vgl. BVerwG, Beschluss v. 8.6.20<strong>12</strong>, 5 B 52.09, unter Verweis auf den Beschluss v. 23.10.2002, 5 B <strong>12</strong>.02.<br />

4 Hinsichtlich des Sachverhalts vgl. OVG NRW, Urteil v. 25.5.2009, <strong>12</strong> A 3099/07.<br />

5 Vgl. BayVGH, Urteil v. 18.07.2007, <strong>12</strong> B 06.955.<br />

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6. Die Vorschrift zum Schutz der Einrichtungsorte (§ 89 e SGB VIII) kommt im vorliegenden<br />

Fall schon deswegen nicht zum Tragen, weil kein gewöhnlicher Aufenthalt in der<br />

Geburtsklinik begründet wurde. Eine Schutzlücke besteht aber insofern nicht, als die<br />

Kostenerstattung nach § 89a SGB VIII durch den überörtlichen Träger zu erfolgen hat.<br />

7. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann eine Rückerstattung zu Unrecht erfolgter Kostenerstattungen nach<br />

§ 1<strong>12</strong> SGB X <strong>für</strong> einen Zeitraum von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem<br />

die Erstattung zu Unrecht erfolgt ist, gefordert werden (§ 113 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Im<br />

vorliegenden Fall ist der überörtliche Träger jedoch seit dem Tod der Mutter durchgängig<br />

kostenerstattungspflichtig, so dass die Voraussetzungen <strong>für</strong> einen<br />

Rückerstattungsanspruch gegen den örtlichen Träger nicht erfüllt sind.<br />

Im Auftrag<br />

gez. Dorette Nickel<br />

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