Vollständiges Gutachten vom 7. August 2013 im PDF-Format

Deutscher Verein
für öffentliche
und private Fürsorge e.V.
G 3/13 vom 07.08.2013
Gutachterin: Sabine Gallep
Maria-Teresia Münch
Schein-/Selbständigkeit in der Kindertagespflege
1. Die Einordnung der Tätigkeit einer Kindertagespflegeperson in eine
selbständige oder unselbständige Beschäftigung erfolgt im Einzelfall, wobei
alle Umstände der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit in ihrer
Gesamtheit gewürdigt und abgewogen werden müssen.
2. Den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe bleibt es unbenommen, das
Rechtsverhältnis mit Kindetagespflegepersonen als Angestelltenverhältnis
auszugestalten.
0. Am 1. August 2013 trat der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in der
Kindertagesbetreuung für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr in Kraft. 1 Da in
einigen Regionen immer noch nicht ausreichend Betreuungsplätze für die zu erwartende
Inanspruchnahme zur Verfügung stehen, müssen weiterhin Betreuungsplätze geschaffen
werden. 2 Mit einem Anteil von bundesdurchschnittlich 30 Prozent an den neu zu
schaffenden Plätzen wird der Kindertagespflege beim Ausbau eine große Bedeutung
zugemessen. 3 Allerdings beträgt der Anteil am derzeitigen Platzangebot erst die Hälfte der
geplanten Zielgröße. 4 Um zunehmend Kindertagespflegepersonen zu gewinnen, sehen die
Kommunen in Vereinbarungen zur näheren Ausgestaltung der Rahmenbedingungen eine
Möglichkeit, die Attraktivität dieses Berufs zu steigern. Dabei besteht unter anderem die
Unsicherheit, dass sich die grundsätzlich als selbständige Tätigkeit ausgestaltete
Kindertagespflege gegebenenfalls in ein Arbeitnehmerverhältnis wandelt. 5 Eine daraus zu
ziehende sogenannte Scheinselbständigkeit hätte gravierende steuerrechtliche,
sozialversicherungsrechtliche und arbeitsrechtliche Konsequenzen. 6
1 Der Anspruch kann gemäß Neufassung des § 24 Absatz 2 Satz 1 SGB VIII, der am 1.8.2013 in Kraft
getreten ist, geltend gemacht werden.
2 Vgl. Vierten Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes, BMFSFJ, April 2013.
3 BT-Drucks. 16/9299, S. 14.
4 Vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 234 vom 11.07.2013:
https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/07/PD13_234_225pdf.pdf?__blo
b=publicationFile.
5 Was bleibt?! Tipps und Informationen zur Besteuerung des Einkommens für Tagespflegepersonen und die
sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband
e.V., 2012, 4. Auflage, S. 10; Vierter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes,
BMFSFJ, April 2013, S. 30.
6 Fischer, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 2012, 5. Aufl., §§ 19, 38 Rn. 40; Langer, in:
Grobys/Panzer-Heemeier, Arbeitsrecht Stichwortkommentar, 2012, S. 939.
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1. Dem Gutachten liegt die Rechtsfrage zu Grunde, ob bei der vorliegenden vertraglichen
Ausgestaltung der Tätigkeit einer Kindertagespflegeperson gemäß § 23 SGB VIII in
Verbindung mit § 24 SGB VIII zwischen Kindertagespflegeperson und dem örtlichen Träger
der öffentlichen Jugendhilfe von einer Scheinselbständigkeit auszugehen ist oder ob eine
selbständige Tätigkeit vorliegt.
2. Nach ständiger Gutachtenpraxis des Deutschen Vereins schließt die Erstattung von
Rechtsgutachten die Beantwortung von Einzelfragen, die Bearbeitung oder Lösung der
rechtlichen Probleme eines Einzelfalles sowie Hinweise zur Entscheidung von Einzelfällen
aus. Nach Maßgabe dieser Grundsätze muss sich die Beantwortung einer
Gutachtenanfrage auf die ihr zugrunde liegenden allgemeinen rechtlichen Fragen
beschränken. Es bleibt dem anfragenden Mitglied überlassen, aus dem Gutachten
Rückschlüsse auch für die Beantwortung von Einzelfragen zu ziehen. Danach stellt sich in
der Gutachtenanfrage die grundsätzliche rechtliche Frage, ob Kindertagespflegepersonen
selbständig sind und wo die Grenzen zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit
zu ziehen sind.
3. Jedes in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafte Kind hat seit dem 1.8.2013 gemäß §
24 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 1 SGB VIII einen Anspruch auf Förderung mit Beginn
des 2. Lebensjahres. Der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe wird somit durch das
Gesetz verpflichtet, ausreichend Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Dabei ist es
nicht entscheidend, ob diese Plätze in Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege
angeboten werden. 7 Bei der Kindertagespflege gemäß §§ 23, 24 SGB VIII handelt es sich
um ein Dreiecksverhältnis zwischen dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw.
dem Jugendamt, den Erziehungsberechtigten des zu betreuenden Kindes und der
Kindertagespflegeperson.
Örtlicher Träger
der öffentlichen
Jugendhilfe
Kindertagespflegestelle
Erziehungsberechtigte
des zu betreuenden
Kindes
Zwischen Kindertagespflegeperson und Jugendamt besteht, sofern sie nicht beim örtlichen
Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder einem freien Träger angestellt ist, ein öffentlichrechtliches
Rechtsverhältnis durch Verwaltungsakt, öffentlich-rechtlichen Vertrag oder auf
andere Weise. 8 Häufig wird eine Vereinbarung mit dem Jugendamt geschlossen, damit der
7 OVG NRW Beschluss vom 14.08.2013, 12 B 793/13.
8 Vgl. Gutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) e.V. vom 31. Dezember
2006 im Auftrag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zu Rechtsfragen der
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Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot realisiert werden kann. Die
Kindertagespflegeperson erhält dafür eine laufende Geldleistung, fachliche Beratung und
Begleitung sowie die Qualifizierungsmaßnahmen als Gegenleistung (§ 23 Absatz 1 SGB
VIII). Auf der anderen Seite schließt sie einen privatrechtlichen Betreuungsvertrag mit den
Erziehungsberechtigten des zu betreuenden Kindes. Das Verhältnis zwischen
Erziehungsberechtigten und Jugendamt, welches von gegenseitigen rechtlichen
Ansprüchen geprägt ist, hat die Vermittlung, Prüfung der Geeignetheit der
Kindertagespflegeperson, Sicherstellung des Bedarfs, Beratung und Heranziehung der
Erziehungsberechtigten zu den Kosten zum Gegenstand. 9 Der Gutachtenanfrage liegt das
Verhältnis zwischen örtlichem Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der
Kindertagespflegeperson zugrunde. Das Verhältnis zwischen den Erziehungsberechtigten
des zu betreuenden Kindes zur Kindertagespflegeperson sowie zum örtlichen Träger der
öffentlichen Jugendhilfe wird in diesem Gutachten nicht untersucht.
4. Der arbeitsrechtliche Status der Kindertagespflegeperson ist gesetzlich nicht
vorgeschrieben. In der Praxis arbeiten jedoch 92 Prozent der Kindertagespflegepersonen
selbständig. 10 Die Abgrenzung von selbständiger zu unselbständiger Tätigkeit ist vom
Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt. Die Rechtsentwicklung hat auch gezeigt, dass
sich konkrete Definitionen kaum finden lassen. 11 Insbesondere im Hinblick auf die
vielfältige Ausgestaltung der Kindertagespflege ist eine generelle arbeitsrechtliche
Einordnung als selbständige oder unselbständige Tätigkeit nicht möglich. 12 Eine
arbeitsrechtliche Klarstellung durch das Kinderförderungsgesetz (Gesetz zur Förderung
von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege, KiföG,
2008) hat der Gesetzgeber ebenfalls nicht vorgenommen. Die damit einhergegangenen,
unterschiedlichen Gesetzesänderungen bezüglich der Sozialversicherungen und der
Besteuerung des Einkommens machen erkennbar, dass eine hauptberufliche selbständige
Tätigkeit vom Gesetzgeber vorgesehen ist. Insbesondere wird in der Gesetzesbegründung
ausdrücklich erwähnt, dass die Kindertagespflegeperson aus ihrer Tätigkeit heraus nicht
der Krankenversicherungspflicht im Sinne eines Angestelltenverhältnisses unterliegt. 13 In
der Gesetzesbegründung wird ebenfalls betont, dass die Kindertagespflegepersonen in
ihrer Absicherung angestellten Arbeitnehmer/innen angenähert werden sollen. Da der
Gesetzgeber gesetzlich die arbeitnehmerähnlichen Rechte (Sozialversicherungen,
Besteuerung) festschreibt, wird deutlich, dass der Gestaltungsspielraum für eine
selbständige und unselbständige Tätigkeit weiterhin bestehen bleibt und somit keine
grundsätzliche arbeitsrechtliche Wertung geändert werden sollte. 14
5. Um die Einordnung in eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit zu erleichtern,
können vereinzelt Hinweise aus verschiedenen Gesetzen herangezogen werden. § 84
Absatz 1 Satz 2 HGB und § 7 Absatz 1 SGB IV bieten zur Abgrenzung einige
Anhaltspunkte. Gemäß § 84 Absatz 1 Satz 2 HGB ist selbständig, wer im Wesentlichen frei
Finanzierung von Kindertagespflege aus öffentlicher Hand – unter Einbeziehung arbeits-, steuer- und
versicherungsrechtlicher Faktoren, S. 53.
9 Vgl. auch Überarbeitete Empfehlung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zur
Ausgestaltung der Kindertagespflege nach den §§ 22, 23, 24 SGB VIII, NDV 2005, 479 ff. (428).
10 Vierter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes, BMFSFJ, April 2013, S. 30.
11 Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 2013, 13. Auflage, § 230, Rn. 35.
12 Struck, in: Wiesner SGB VIII Kommentar, 2011, 4. Auflage, § 23, Rn. 42.
13 BT-Drucks. 16/9299, S. 14.
14 BT-Drucks. 16/9299, S. 15; vgl. auch JAmt 2009, 126 f. Neue arbeitsrechtliche Einordnung der
Kindertagespflege nach dem KiföG?, § 23 Abs. 2 SGB VIII, § 18 Abs. 1 EStG, DIJuF-Rechtsgutachten
24.2.009.
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seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. In dieser
handelsrechtlichen Abgrenzung zwischen selbständigem Handelsvertreter und abhängig
beschäftigten kaufmännischen Angestellten ist über den direkten Anwendungsbereich
hinweg eine allgemeine gesetzgeberische Wertung anzuerkennen. 15 § 7 Absatz 1 SGB IV
gibt ebenfalls Hinweise auf die Unterscheidung zwischen abhängiger Beschäftigung und
Selbständigkeit: „Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem
Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach
Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ Diese
Anhaltspunkte zugrunde gelegt, setzt nach ständiger Rechtsprechung eine unselbständige
Beschäftigung eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber voraus.
Arbeitnehmer ist demnach, wer aufgrund eines Vertrages im Dienste eines anderen zur
Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit
verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der
Tätigkeit betreffen. 16 Eine selbständige Tätigkeit hingegen ist überwiegend durch das
eigene Unternehmerrisiko 17 , das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die
Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete
Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. 18 Darüber hinaus können Kriterien der
wirtschaftlichen Unabhängigkeit ergänzend herangezogen werden. 19 Wie das
Vertragsverhältnis einzuordnen ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Dabei
sind alle Umstände des Falls in Betracht zu ziehen und schließlich in ihrer Gesamtheit zu
würdigen. Die Vertragstypenwahl ist bei der Gesamtabwägung auch zu berücksichtigen
und nicht gänzlich bedeutungslos. Maßgebend ist aber stets das Gesamtbild der
Arbeitsleistung. 20 Ob es sich um ein Arbeitsverhältnis oder um eine selbständige Tätigkeit
handelt, ist somit im Einzelfall nach den tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen. Der
jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt und der tatsächlichen
Durchführung, unabhängig von der formalvertraglichen Ausgestaltung. 21
6. In dem Gutachten können zur Beurteilung, ob eine selbständige oder unselbständige
Tätigkeit vorliegt, lediglich die formalen Kriterien, die in der Regel in den Vereinbarungen
zwischen Kindertagespflegeperson und örtlichem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Inhalt
sind, herangezogen werden. Grundsätzlich spricht für eine selbständige Tätigkeit, dass
vom Gesetzgeber diese Form für die Kindertagespflege vorgesehen ist. 22 Entscheidend ist
dann jedoch neben den formalen Vereinbarungen die tatsächliche Ausgestaltung.
Ausgehend von den Formalien sprechen folgende Gesichtspunkte für eine selbständige
Tätigkeit: Die Kindertagespflegeperson hat in der Regel keinen zugewiesenen
Arbeitsplatz, sondern üblicherweise eine eigene Betriebsstätte (ihre private Wohnung).
Die Tatsache, dass dieser Ort der Kontrolle des Jugendamts im Rahmen der Prüfung der
Geeignetheit für die Pflegeerlaubnis gemäß § 43 SGB VIII unterliegt, bedeutet nicht, dass
15 Langer, in: Grobys/Panzer-Heemeier, Arbeitsrecht Stichwortkommentar, S. 937; BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 5
AZR 644/98, NZA 2000, S. 1102 ff. (1104).
16 BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 5 AZR 644/98, NZA 2000, S. 1102 ff. (1103); BAG, Urt. v. 13.3.2008 – 2 AZR
1037/06, NZA 2008, S. 878 ff. (879).
17 Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 2013, 13. Auflage, § 230, Rn. 55.
18 Struck, in: Wiesner, SGB VIII Kommentar, 2011, 4. Auflage, § 23, Rn. 42 ff.
19 BAG, Urt. v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, S. 878 ff. (879).
20 SG Berlin, Urt. v. 26.10.2012, S 81 KR 2081/10, AuR 2013, S. 92 ff. (92); BAG, Urt. v. 9.6.2010 – 5 AZR
332/09, NZA 2010, S. 877 ff. (879).
21 Langer, in: Grobys/Panzer-Heemeier, Arbeitsrecht Stichwortkommentar, S. 938; Preis, in: Erfurter
Kommentar zum Arbeitsrecht, 2013, 13. Auflage, § 230, Rn. 47; Hergenröder, in: Henssler/Willemsen/Kalb,
Arbeitsrecht Kommentar, 5. Aufl., Art. 12 GG, Rn. 77.
22 BT-Drucks. 16/9299.
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die Kindertagespflegeperson umfassend den Weisungen der Behörde unterworfen ist.
Vielmehr stellt die Pflegeerlaubnis gemäß § 43 SGB VIII die Voraussetzung für die
Tagespflegetätigkeit dar. 23 Dies verbindet den Auftrag des Staates, Kinderbetreuung
öffentlich sicherzustellen und das Wohl eines außerhalb der Familie betreuten Kindes
besonders staatlich zu schützen. 24 Ähnliche Konstellationen kann man in anderen
selbständigen Tätigkeitsfeldern finden. So haben zum Beispiel auch die Betreiber von
Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen oder Gaststättengewerben Erlaubnisse einzuholen,
die die Örtlichkeit bei der Prüfung mit einbeziehen. Eine weitgehende Weisungsfreiheit
setzt somit nicht das Fehlen jeglicher Kontrolle voraus. 25 Darüber hinaus ist die
Kindertagespflegeperson räumlich nicht an die eine Betriebsstätte gebunden. Sie kann
Ausflüge mit den Kindern unternehmen, sich außerhalb eines Gebäudes (z.B. auf dem
Spielplatz) oder in den Räumen der Kindertagespflegestelle aufhalten. Dabei muss sie
weder Rücksprache halten noch eine Erlaubnis einholen. Vor allem aber ist die
Kindertagespflegeperson nicht in den Betrieb des örtlichen Trägers der öffentlichen
Jugendhilfe eingegliedert. Sie ist weder verpflichtet sonstige Arbeiten auszuüben, wie zum
Beispiel Angestellte, noch gibt es abzustimmende Ordnungsgefüge bei der
Kindertagespflege, Dienstpläne oder Vorgaben wie zum Beispiel eine Kleiderordnung.
Zudem gibt es in der Regel keine zugewiesenen Arbeitszeiten. Zwar werden häufig
Kernbetreuungszeiten in den Vereinbarungen zwischen Kindertagespflegeperson und
Jugendamt vorgegeben. Diese werden jedoch überwiegend im Betreuungsvertrag mit den
Erziehungsberechtigten der Kinder individuell ausgestaltet und vereinbart. Die
Kindertagespflegeperson erarbeitet darüber hinaus in der Regel ein eigenes Konzept
pädagogischer und strukturell-wirtschaftlicher Art, welches die Grundlage ihrer Tätigkeit
bildet. Das pädagogische Konzept unterliegt teilweise im Rahmen der Erlaubniserteilung
gemäß § 43 SGB VIII und der Gesamtverantwortung gemäß § 79 SGB VIII zwar ebenfalls
der Kontrolle des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe und der Eltern der zu
betreuenden Kinder. Es wird jedoch nicht die Anwendung eines bestimmten Konzeptes
vorgegeben. Bei der Ausübung und Durchführung haben weder die Eltern noch das
Jugendamt ein Weisungsrecht über konkrete Handlungen. Es handelt sich vielmehr um
eine nach eigenen Vorstellungen ausgestaltbare Bildungs-, Erziehungs-, und
Betreuungsarbeit. Dies wird auch aus den §§ 23, 43 SGB VIII deutlich, nach denen die
Geeignetheit der Kindertagespflegeperson neben der Verfügbarkeit von kindgerechten
Räumen aufgrund der Persönlichkeit, Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft
bewertet wird. Die Kindertagespflegeperson kann darüber hinaus die Kinder und bedingt
auch die Anzahl (begrenzt durch Angaben in amtlicher Erlaubnis gemäß § 43 SGB VIII) der
Kinder, die sie betreut, auswählen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da die
Betreuung in der Kindertagespflege sehr individuell ausgestaltet ist und die gegenseitige
Akzeptanz voraussetzt. Sie kann grundsätzlich über die Vermittlung durch das Jugendamt
hinaus auf dem Markt auftreten und Betreuungsverhältnisse eingehen. Sie ist zur eigenen
Werbung zum Auftreten auf dem Markt berechtigt. Problematisch wird es in den Fällen, in
denen gebietsfremde Kinder vertraglich nicht von der Kindertagespflegeperson betreut
werden dürfen. Auch wenn die Auswahl der Kinder aus dem „Pool“ der gebietsinternen
Kinder noch von der Kindertagespflegeperson vorgenommen wird, so wird die Tätigkeit
über die Zusammenarbeit mit dem örtlichen Träger hinaus eingeschränkt. Dies gilt unter
Umständen auch für eine privat vermittelte Betreuung. In diesen Fällen ist neben der
zunehmenden Weisungsgebundenheit zu bedenken, dass in den Landesgesetzen das
23 BSG, Urt. v. 17.2.1998 – B 2 U 3/97 R, NJW 1998, 3141 ff. (3142).
24 Mörsberger, in: Wiesner, SGB VIII Kommentar, 2011, 4. Auflage, vor § 43 Rn. 9, 13, 15, 24.
25 Langer, in: Grobys/Panzer-Heemeier, Arbeitsrecht Stichwortkommentar, 2012, S. 938.
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Wunsch- und Wahlrecht über die kommunalen Gebietsgrenzen hinaus
Kindertagespflegepersonen zu wählen gewährleistet wird. 26 Dies wird je nach
Ausgestaltung zu einer rechtswidrigen Vereinbarung führen. Sofern die Vereinbarung eine
vorrangige Auswahl der Kinder aus der Kommune vorsieht, wird die Rechtmäßigkeit
gegeben sein. Jedoch wird damit ein starkes Indiz für eine weisungsgebundene und somit
unselbständige Tätigkeit gesetzt. Des Weiteren werden die Betriebsausgaben wie zum
Beispiel Hausnebenkosten zwar nur teilweise von der Kindertagespflegeperson getragen,
da sie vom Jugendamt gemäß § 23 Absatz 2 Nr. 1 SGB VIII eine sogenannte laufende
Geldleistung erhält, in der ein Betrag für den Sachaufwand enthalten ist.
Verpflegungskosten werden von den Erziehungsberechtigten ersetzt. Die
Kindertagespflegeperson trägt aber grundsätzlich das alleinige Unternehmerrisiko. Die
Erziehungsberechtigten der zu betreuenden Kinder können die Betreuungsverträge
kündigen, wenn sie mit der Betreuung nicht zufrieden sind, örtliche Veränderungen
gewünscht sind oder sonstige Gründe vorliegen. Die Vereinbarung der
Kindertagespflegeperson mit dem Jugendamt ist auch nicht zeitlich unbegrenzt
geschlossen, sondern in der Regel für ein Jahr. Der grundsätzliche Erlaubnisvorbehalt
der Tätigkeit gemäß § 43 SGB VIII spricht ebenfalls für eine selbständige Tätigkeit. Mit der
Erlaubnis kann die Tätigkeit nach eigenen Vorstellungen innerhalb der durch die Erlaubnis
gesetzten grundsätzlichen Grenzen am Markt angeboten und durchgeführt werden. Eine
monatliche oder vierteljährliche Abrechnung der Tätigkeit dem örtlichen Träger der
öffentlichen Jugendhilfe gegenüber ist ebenfalls ein Indiz für eine Selbständigkeit.
7. Für eine unselbständige Tätigkeit, also die Begründung einer Scheinselbständigkeit,
spricht, dass die Kindertagespflegeperson in der Regel nur für einen Auftraggeber tätig
ist. Es gibt neben dem Vertag mit dem Jugendamt auch die Betreuungsverträge mit den
Eltern, die in der Regel jedoch an den Vertrag mit dem Jugendamt geknüpft sind.
Allerdings besteht überwiegend die Möglichkeit, unabhängig von der Vermittlung durch das
Jugendamt, Betreuungsverhältnisse einzugehen. Ebenfalls für eine weisungsgebundene
Tätigkeit spricht, dass das Entgelt für die Tätigkeit vorgegeben ist. Die Vergütung nach
Betreuungsstunden, wie sie in der Regel vereinbart wird, entspricht eher einem
Arbeitsentgelt als einer Vergütung für eine selbständige Tätigkeit. 27 Der kommunale Anteil
der Geldleistung für die Kindertagespflegeperson ist fest vorgeschrieben. Die Beiträge der
Eltern an den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind ebenfalls tabellarisch
berechenbar. Darüber hinaus können Kindertagespflegepersonen aber einzelne
zusätzliche Beträge mit den Erziehungsberechtigten individuell aushandeln, was wiederum
eher für eine selbständige Tätigkeit spricht. Dadurch können unter Umständen
Schwierigkeiten bei den bereitzustellenden Betreuungsplätzen entstehen, da eine
ausreichende Anzahl qualifizierter Kindertagespflegepersonen durch den Träger der
öffentlichen Jugendhilfe vorzuhalten ist, die kein zusätzliches Betreuungsgeld erheben. 28
Den Kommunen bleibt es dessen ungeachtet unbenommen, das Rechtsverhältnis mit
Kindertagespflegepersonen als Angestelltenverhältnis auszugestalten, womit auch dieser
Problematik begegnet werden könnte. Außerdem ist zu erwähnen, dass die vertragliche
Beziehung zwischen örtlichem Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der
26 Vgl. z.B. § 4 SächsKitaG.
27 BSG, Urt. v. 17.2.1998 – B 2 U 3/97 R, NJW, 3141 ff. (3142).
28 Vgl. auch Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) e.V. vom
25.02.2013 zur Zulässigkeit der Untersagung der Erhebung von Kostenbeiträgen durch
Kindertagespflegepersonen neben der öffentlich-rechtlichen Kostenbeteiligung des Trägers der öffentlichen
Jugendhilfe, S. 4.
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Kindertagespflegeperson grundsätzlich auf Dauer angelegt ist. In den Verträgen sind in der
Regel Jahresfristen enthalten, jedoch mit einer automatischen Verlängerung. Dies spricht
für eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation und eine Scheinselbständigkeit. Der
Umstand, dass die gleiche Arbeit auch Personen in Angestelltenverhältnissen mit
öffentlichen und freien Trägern ausüben, spricht auch dafür, dass diese Tätigkeit in
Scheinselbständigkeit münden könnte. Es steht den Kommunen frei,
Kindertagespflegepersonen im Angestelltenverhältnis zu beschäftigen. Neben den
sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Änderungen durch das KiföG, die die
Kindertagespflegeperson einer/m angestellten Arbeitnehmer/in annähern, gibt es oftmals
Regelungen über Urlaubsansprüche, bezahlte Krankentage und Fortbildungstage, um den
Kindertagespflegepersonen entgegenzukommen. Mit der Fortbildung kann die Qualität, die
gesetzlich vorgeschrieben ist, gesichert werden. Bezahlte Krankentage und
Urlaubsansprüche hingegen sind klare arbeitnehmerrechtliche Ansprüche, die im
Gegensatz zu Unfallversicherungs-, Alterssicherungs- oder Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträgen auch nicht gesondert für Kindertagespflegepersonen
gesetzlich vorgeschrieben sind. Somit spricht die Gewährung solcher Leistungen durch die
örtlichen Träger für eine angestellte Tätigkeit, es sei denn, es steht der
Kindertagespflegeperson frei, nach eigenem Belieben Urlaub zu nehmen. 29 Dies wird in der
Regel nicht der Fall sein, da die Erziehungsberechtigten die Betreuung in die
Jahresplanung mit einbeziehen müssen. Allerdings kann im Rahmen der Privatautonomie
der Vertragsparteien die Geltung arbeitsrechtlicher Ansprüche der
Kindertagespflegeperson gewährt werden, solange sie nicht den §§ 138, 242 BGB
widersprechen. 30 Ferner werden häufig in den Vereinbarungen Meldepflichten an das
Jugendamt vorgegeben, wie zum Beispiel über Personalien der Kinder oder wenn Kinder
unentschuldigt fehlen. Eine Anzeigepflicht bei Änderung der Konzeption, Anzahl der Kinder
etc. und Berichtspflicht vermag jedoch die selbstbestimmte Gestaltung der Tätigkeit an sich
nicht zu beeinträchtigen. 31
8. Nach alledem überwiegen für die in der Regel bestehenden Vereinbarungen die für eine
Selbständigkeit sprechenden Umstände, wenn auch nicht eindeutig. Dabei ist nicht die
Quantität der Argumente entscheidend. Ausschlaggebend sind die überwiegend
weisungsfreie Tätigkeit bezüglich des Ortes, der Ausgestaltung der Arbeit und die
Übernahme des unternehmerischen Risikos. Der besondere Charakter der
Kindertagespflege, Kinder nach eigenem Konzept zu bilden, zu erziehen und zu betreuen,
wiegt dabei besonders schwer. Mit zunehmender arbeitnehmerähnlicher Ausgestaltung der
Vereinbarung zwischen Kindertagespflegeperson und örtlichem Träger der öffentlichen
Jugendhilfe (zum Beispiel Gewährung von bezahltem Urlaub oder bezahlten
Krankheitstagen, Verpflichtung zu einem konkreten pädagogischem Konzept, territoriale
Einschränkungen, Verbot der Erhebung von Zusatzbeiträgen bei den Eltern) nähert sich
jedoch die Tätigkeit einer weisungsabhängigen unselbständigen Beschäftigung. Dies trägt
grundsätzlich dem Bedürfnis von Kindertagespflegepersonen Rechnung, in einer
Arbeitnehmereigenschaft tätig zu sein. 32 Um weiterhin die Selbständigkeit zu erhalten,
sollte zunehmend darauf geachtet werden, dass die tatsächliche freie Gestaltung der
29 Langer, in: Grobys/Panzer-Heemeier, Arbeitsrecht Stichwortkommentar, 2012, S. 939.
30 Vgl. auch Gutachten des DIJuF vom 31. Dezember 2006 im Auftrag des Deutschen Vereins für öffentliche
und private Fürsorge e.V. zu Rechtsfragen der Finanzierung von Kindertagespflege aus öffentlicher Hand –
unter Einbeziehung arbeits-, steuer- und versicherungsrechtlicher Faktoren, S. 56.
31 Vgl. BAG, Urt. v. 9.6.2010 – 5 AZR 332/09, NZA 2010, 877 ff. (879).
32 Sell/Kukula, Leistungsorientierte Vergütung in der Kindertagespflege, Instituts für Bildungs- und
Sozialpolitik der Hochschule Koblenz (Hrsg.) im Auftrag des Bundesverbands für Kindertagespflege, S. 6.
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Tätigkeit gewahrt bleibt. Wie bereits eingangs erwähnt, ist nicht die vertragliche
Ausgestaltung oder die Vorstellung des Gesetzgebers für die Einordnung in eine
selbständige oder unselbständige Tätigkeit entscheidend, sondern die tatsächliche
Ausgestaltung, die im Einzelfall differenziert zu prüfen ist.
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