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Konzepte für Rostock - Stadtgespräche Rostock

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0.32 __ //// RÜCKBLICK<br />

ganzen Krimskrams täglicher Kleinigkeiten drehten. Als ob das<br />

wichtig sei! Ich mag mich nicht ganz auf meine Erinnerungen<br />

verlassen: sie verfärben sich und schieben die Dinge dann in<br />

das Licht, das man sich wünscht… Aber es waren wohl Micha,<br />

Oliver und andere, die die Leute zur Seite schoben, bis wir hinter<br />

dem OB standen und das Mikrofon übernahmen. Wir hatten<br />

uns verständigt, dass ich klar seinen Rücktritt verlangen<br />

sollte – darum ging es doch, nicht um Beruhigungspillen.<br />

Es gab ja auch schon anderes. Der Linke Schülerbund (LSB)<br />

formierte sich. War das alles so wichtig? War es damals wohl.<br />

Der LSB war noch nicht gegründet, da schaute schon eine lustige<br />

FDJ-Abordnung in der Michaeliskirche vorbei, dass sie<br />

uns fertig machen würden. Ganz überzeugt, ganz ehrlich. Es<br />

zeichnete sich schon so was wie Marktwirtschaft ab.<br />

Egal – die Mauer fiel und der Schleier auch. Berlin im Rausch<br />

zu sehen, war toll. Mit Lutz am 11.11. abends bei Gisela an die<br />

Tür zu klopfen war ein Film. Die ersten Deutschlandbanner<br />

auf unsern Demos zu sehen, war noch verwunderlich, die Reaktionen<br />

auf unsere ablehnenden Reaktionen vertraut: „Verpisst<br />

Euch doch, ihr Wandlitzkinder!“ Hätten unsere Eltern<br />

sein können, waren sie aber zum Glück nicht. Hatten das Maul<br />

nie aufgekriegt – jetzt johlten sie. Sollten sie doch.<br />

Anfang Dezember diese Demo an der Kongresshalle. Im Namen<br />

des LSB schlug ich vor, dass Alexander Dubček eingeladen<br />

werden solle, die Symbolfigur des Prager Frühlings. Er starb<br />

wenige Jahre später, ohne dass daraus etwas geworden wäre. Ich<br />

begrüßte die TeilnehmerInnen als „Bürger der Freien und Han-<br />

JENS LANGER<br />

sestadt <strong>Rostock</strong>“, darauf hatten wir es beim Formulieren abgesehen.<br />

Die Dinge normalisierten sich bereits, bevor sie wirklich<br />

umgebrochen worden waren. Der Rausch der Bürgeranarchie<br />

neigte sich bereits seinem Ende zu. Immerhin wurde die „Tante<br />

Trude“ besetzt. Beim Silvester ins 1990er Jahr dort Auseinandersetzungen<br />

auf der Strasse mit den Kahlrasierten: ich schoss<br />

endlich einmal, mit Feuerwerksraketen, aber auf sie.<br />

In Rumänien habe ich begonnen, mich als deutscher Staatsbürger<br />

zu bekennen. Länger als im vereinten Deutschland lebe ich inzwischen<br />

hier und komme so selten wie gern zu Besuch an die Küste.<br />

Ich war damals fünfzehn. Die Jubeleien und Spiele heute lassen<br />

mich kalt. Weder damals noch heute musste ich mich um meine<br />

materielle Existenz sorgen. Was aber war das <strong>für</strong> ein Land, in<br />

dem man sich vor der ersten Akne über den Wehrdienst den Kopf<br />

zerbrechen musste, vor dem ersten Kuss sich versuchte politisch zu<br />

verorten, weil dazu gedrängt? Was <strong>für</strong> ein krankes System war<br />

das denn eigentlich, dem manche immer noch hinterherheulen?<br />

Was <strong>für</strong> eine kleinliche, widerliche Struktur mit der wir zu früh<br />

unsern Frieden versuchten? Je länger das alles zurückliegt, umso<br />

mehr ärgere ich mich über dieses verschwundene Land, in das ich<br />

geboren wurde. Wo sind wir heute, welche Regeln jagen uns und<br />

welchen wir hinterher?<br />

Und dann wieder dieses Foto. Wo wir lächeln. Weil die alten<br />

Männer mit ihren Hüten gerade die Logenplätze räumen. Weil<br />

wir glaubten, sie dabei voranzuschubsen.“Fußball hättest du damals<br />

spielen sollen“, hat Schippi einmal gesagt. Und er hatte recht<br />

damit. ¬<br />

II. Zusammenbruch mit Aufbruch nebst Anschluss.<br />

Viel früher als 1989 und vorläufig bis 2009.<br />

Am 6. Oktober 1959 wurde ich an der Universität Jena immatrikuliert.<br />

Das war am Vorabend des Staatsfeiertages zur Gründung<br />

der DDR und ist nun fünfzig Jahre her. Niemand hat mir<br />

gratuliert, abgesehen von einem Freund aus Norwegen, der es<br />

auf meine Aufforderung hin tat. Dabei war es ein Sieg. Denn<br />

mir war nach dem Abitur schriftlich jedes Studium im Lande<br />

untersagt worden. Ein Jahr danach war ich der brieflichen Aufforderung<br />

zur auch 1959 schon verspäteten Immatrikulation<br />

gefolgt und stand nun in der Administration der Universität.<br />

Der Beamte sagte: „Sie sind hier, um sich einzuschreiben“, und<br />

fuhr fort: „Aber Ihre Akten sind gar nicht hier.“ Er setzte nach:<br />

„Dann machen wir es eben ohne Akten.“ Ich vermute heute, das<br />

war keine Eingebung des Augenblicks, sondern es gab eine Absprache<br />

zwischen diesem Sachbearbeiter und dem Dekan mei-<br />

ner zukünftigen Fakultät. Arbeitsthese „Was ich nicht weiß,<br />

macht mich nicht heiß.“<br />

Meine Mutter hatte mich wegen angeblich politisch renitenter<br />

Äußerungen seit Jahren gewarnt: „Dich sperren sie noch einmal<br />

ein.“ Ich war immer schon ängstlich und wollte niemanden<br />

provozieren. Aber meine Zurückhaltung und mein Schweigen<br />

wurden in der ideologisch aufgeheizten Schule als Provokation<br />

missverstanden. Unpädagogische Reaktionen haben mir nicht<br />

geschadet. Das ist aber kein Verdienst solcher Lehrer 1 . Meiner<br />

Mutter antwortete ich regelmäßig: „Wir kriegen sie alle.“ Die<br />

konkrete Bezeichnung der zu Kriegenden ließ ich offen.<br />

Am 5.Dezember 1989 sprach ich auf dem Weg zur Arbeit wildfremde<br />

Menschen an: „Heute Nacht ist die Staatssicherheit

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