Artikel als pdf - Dis|kurs
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Alina Bothe<br />
Ost- und Ostmitteleuropa nicht nur Vernakular-, sondern auch Literatursprache.<br />
Es ist keine an sich einfache Sprache. In der Fassung von Inmitten des grauenvollen<br />
Verbrechens aus dem Jahr 1972 wird im Vorwort zur Handschrift Leventh<strong>als</strong><br />
folgende Einschätzung der sprachlichen Qualität durch den Übersetzer Roman<br />
Pytel wiedergegeben: Die Rechtschreibung im Jiddischen sei nicht ganz fehlerfrei,<br />
die Hebraismen des Jiddischen und die Wendungen aus dem Talmud hingegen<br />
vollkommen fehlerfrei (Bezwińska, Czech 1972, 134). An dieser Stelle ist anzumerken,<br />
dass erst in den 1920er Jahren begonnen worden ist, das Jiddische zu kodifizieren.<br />
Hinzu kommt, dass mehr <strong>als</strong> 40 Prozent des Textes Leventh<strong>als</strong> unleserlich<br />
geworden sind, bevor das Zeugnis aufgefunden wurde. Einige Passagen sind daher<br />
nur bruchstückhaft zu entziffern gewesen (Bezwińska, Czech 1972, 134).<br />
Die Anmerkung »in seinem einfachen Jiddisch« verwundert daher begründet.<br />
Und sie ist umso irritierender, wenn sie in Bezug zu folgender Aussage nur wenige<br />
Zeilen später gesetzt wird.<br />
»Viele Zeugnisse – sowohl der Henker <strong>als</strong> auch der Opfer – stammen von<br />
gewöhnlichen Menschen, wie auch die ›grauen‹ Leute offensichtlich die große<br />
Mehrheit der Lagerbewohner bildeten. Eine der Lehren von Auschwitz<br />
besteht gerade darin, daß es unendlich viel schwieriger ist, den Geist eines<br />
gewöhnlichen Menschen zu begreifen, <strong>als</strong> den Geist Spinozas oder Dantes<br />
(Hannah Arendts so häufig mißverstandene Behauptung einer ›Banalität des<br />
Bösen‹ muß auch in diesem Sinne verstanden werden).« (Agamben 2003, 8)<br />
Es drängt sich der Verdacht intellektueller Distanz auf. Diese Kontextualisierung<br />
von Leventh<strong>als</strong> Zeugnis, die auf seine angenommene intellektuelle Befähigung verweist,<br />
– drei Tage nach Niederschlagung des Aufstands des Sonderkommandos,<br />
am Rande der Gaskammern verfasst – erscheint nicht sonderlich hilfreich. Wenn<br />
man sich das Zitat Leventh<strong>als</strong> auf der sprachlichen Ebene anschaut, erscheint vor<br />
allem die Satzstellung ungewöhnlich, allerdings nicht schwer verständlich. Darüber<br />
hinaus ist schlicht unklar, worauf Agambens Hinweise zur Verständlichkeit<br />
des Geistes »gewöhnlicher« Menschen abzielen.<br />
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