Nr. 28 Jahrgang 8 - batschkaerspuren.fw.hu
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Preisausschreiben<br />
Im Sommer dieses Jahres war in unserem Dorf ein<br />
besonderes Klassentreffen. Die Anwesenden kamen aus<br />
vielen Ländern der Welt nach Wikitsch/Bácsbokod: Sie<br />
sagten alle, wir kamen nach Hause, denn sie beendeten die<br />
sechste Klasse im Jahre 1947. Die meisten konnten aber<br />
nicht mehr in die siebte Klasse treten, denn am 23. August<br />
1947 wurden sie aus ihrem Heimatland, aus ihrem<br />
Heimatdorf vertrieben. Nur die Hälfte der Klasse konnte die<br />
siebte Klasse anfangen. Die hiergebliebenen Kinder hatten<br />
in Ungarn zum ersten Mal die Möglichkeit, eine<br />
achtklassige Grundsc<strong>hu</strong>le zu absolvieren. In diesem Jahr<br />
war es gerade sechzig Jahre. Die Hiergebliebenen haben<br />
aber auch die damaligen vertriebenen Klassenkameraden<br />
zum Klassentreffen eingeladen. So kam aus den USA<br />
Joseph Fleischmann, der während dieser Tage in unserer<br />
Nachbarschaft bei seinen Verwandten wohnte. Mit ihm habe<br />
ich viel über sein Leben gesprochen.<br />
Wann haben Sie Ungarn verlassen müssen?<br />
An das Datum kann ich<br />
mich noch jetzt ganz<br />
klar erinnern. Es war<br />
am 23. August im Jahre<br />
1947. Ich und meine<br />
Familie wurden als<br />
Schwaben einfach aus<br />
meinem Heimatland<br />
vertrieben. Schon<br />
vorher wurde uns alles<br />
weggenommen. Zuerst<br />
haben sie uns die<br />
„Tanya“<br />
weggenommen. Sie war<br />
in der Bajaer Straße.<br />
Dort hatten wir Ställe,<br />
Felder und ein schönes<br />
Haus, ein Weingarten gehörte auch dazu. Ich meine, das war<br />
schon im Jahre 1945, es war Sommer oder früh Herbst. Im<br />
Dorf hatten wir unser Haus in der Tóth Kálmán Straße. Von<br />
dort wurden wir einfach herausgeschmissen. Mein Vater -<br />
der damals nicht mehr lebte - hatte einen guten Bekannten<br />
und obwohl er ein Bunjewaze war, hatte er uns sein Haus<br />
gegeben. Dieses Haus war dort bei dem Kreuz neben dem<br />
Babity-Haus, Éva Égi wohnte in der Nähe. Hier haben wir<br />
ungefähr ein Jahr oder ein gutes halbes Jahr gewohnt. Wie<br />
dieser Kamerade hieß, das weiß ich nicht mehr, er war<br />
Bürgermeister und ein gutherziger Mensch bunjewatzischer<br />
Herkunft. Hier wohnten wir bis zur Aussiedlung, besser<br />
gesagt Vertreibung, bis 1947.<br />
Es war nachts, nachts um 12 Uhr, da sind sie gekommen:<br />
Soldaten und auch ein Mann aus Wikitsch. Sie haben gesagt,<br />
wir müssen zusammenpacken und dazu haben wir nur eine<br />
Stunde bekommen. Wir haben davon gewusst, dass<br />
irgendwann einige Deutsche ausgesiedelt werden und wir<br />
haben schon ein bisschen vorgesorgt und etwas<br />
zusammengepackt. Wir Kinder waren schon im Bett, mein<br />
Bruder schlief schon. Meine Großeltern haben auch schon<br />
Batschkaer Spuren<br />
Interview mit Joseph Fleischmann<br />
30<br />
geschlafen. Nur meine Mutter war wach oder sie wurde<br />
plötzlich wach als sie am Tor gerumpelt haben. Am<br />
Bahnhof standen schon die Waggons: Es waren offene<br />
Viehwaggons. Hier wurden wir untergebracht, mein<br />
Großvater Mihály Harbeith, meine Großmutter Erzsébet<br />
Hartbeith geborene Tuhart, meine Mutter Anna Fleischmann<br />
geborene Harbeith, mein Bruder Sebastian Fleischmann, der<br />
vier Jahre jünger war als ich und ich Joseph Fleischmann.<br />
Ich war dreizehn.<br />
Konnten Sie von den Verwandten und Kameraden nicht<br />
einmal Abschied nehmen?<br />
Doch. Aber nicht deshalb, weil die Soldaten es so meinten.<br />
Die Waggons waren drei Tage lang auf dem Bácsbokoder<br />
Bahnhof gestanden. Später habe ich es von jemandem<br />
gehört, dass sie uns nach Westdeutschland deportieren<br />
wollten, aber dort haben sie uns nicht mehr empfangen.<br />
Andere haben es so gewusst, dass mit diesem Zug auch noch<br />
einige Vertriebene aus Csávoly, Gara und Vaskút<br />
ausgesiedelt wurden und aus diesen Dörfern kamen die<br />
Leute nur am 23. nach Wikitsch. Wir haben von unseren<br />
Nachbarn noch einmal Brot und frische Milch bekommen.<br />
Wohin führte der Weg der Vertriebenen?<br />
Wie ich schon sagte, war es so, dass wir nach<br />
Westdeutschland kommen, darüber hat sich jeder gefreut,<br />
aber wir sind dann über die Tschechei nach Ostdeutschland<br />
geliefert worden. Nicht weit von Dresden, in Pirna wurden<br />
wir in einem Lager untergebracht. Da waren Baracken und<br />
drin waren Stufenbetten. Wir haben gleich etwas zum Essen<br />
bekommen, aber das war nur ein Mischmasch. Wir Kinder<br />
haben es nicht so bemerkt, was mit uns geschehen ist, aber<br />
unsere Eltern, die haben alles verloren, sogar die Heimat.<br />
Sie hatten großes Heimweh. Da waren viele aus unserem<br />
Dorf, die Hellenpárts die Witwe und Kinder von Ádám Papp<br />
und die anderen weiß ich nicht mehr, ich kann mich nicht<br />
mehr erinnern.<br />
Wo war Ihr Vater?<br />
Mein Vater lebte damals nicht mehr. Er ist im Februar 1945<br />
in Budapest auf eine Mine getreten und der Krieg war Mitte<br />
Februar zu Ende! Drei Tage vorher ist er auf eine Mine<br />
getreten und er hat Blutvergiftung bekommen und ist<br />
gestorben! Wo sein Grab ist, das weiß ich nicht. Nur die<br />
Nachricht haben wir bekommen.<br />
Und wie ging Ihr Leben in Pirna weiter?<br />
Wir Kinder haben es etwas leichter aufgenommen, meine<br />
Mutter hatte sich etwas Arbeit als Tagelöhner gesucht, aber<br />
meine Großeltern hatten es am schwersten. Das Heimweh<br />
war durch und durch groß. In Pirna haben sie uns zuerst in<br />
ein Wohnheim geschickt, dann haben wir in<br />
Manchmankirchen eine Wohnung gekriegt: meine Mutter,<br />
mein Bruder und ich. Meine Großmutter und mein<br />
Großvater haben auch in diesem Dorf, aber eine andere<br />
Wohnung bekommen. Die dort lebenden Einwohner haben<br />
uns verspottet. Sie sagten, da kommen die Zigeuner. Ja, sie<br />
sagten, dass wir ein Zigeunervolk sind. Hier in Ungarn<br />
waren wir „büdös sváb”, dort waren wir die Zigeuner. Wir<br />
konnten nicht gut Deutsch. Unsere schwäbische Sprache<br />
wollten sie nicht verstehen, viele von uns konnten nur