Thorolf Lipp und Martina Kleinert Staatliches Museum für ...

*Kastom ist ein
Begriff aus
dem Bislama,
der Verkehrssprache
von Vanuatu,
abgeleitet vom engl.
„custom“ = Tradition,
Brauchtum
Die Sa von Bunlap scheinen aus einer anderen,
vergangenen Zeit zu stammen. Sie tragen Penisbinde
und Grasrock, sie lehnen Kirchen und Schulen ab
und stehen dem Machtanspruch ihres Staates Vanuatu skeptisch
gegenüber. Obwohl sie die „Welt draußen“ aus eigener Anschauung
genau kennen, haben sie sich in Vielem ganz bewusst
dagegen entschieden und leben immer noch sehr weitgehend
nach den Regeln ihrer Vorfahren. Dass die Sa ihren Kastom * bis
heute pflegen, widerspricht vielfach der v ermeintlichen Logik
von zwangsläufigem Fortschritt und Wachstum. Tatsächlich
haben die Kastom Sa in den letzten achtzig Jahren ihre Kultur
erstaunlich hartnäckig gegen Zwänge von außen verteidigt.
Dennoch bedeutet Kastom keineswegs Stillstand, sondern ein
ständiges kreatives und behutsames Weiterentwickeln einer
Einführung
Fotos: Katrin Martin
eigenständigen Vision von Gesellschaft.
Im Titel dieser Ausstellung findet sich der in der Ethnologie
heftig umstrittene, weil an evolutionistische Kulturtheorien
erinnernde Begriff „Ursprung“. Er ist hier dennoch berechtigt
und in dreierlei Hinsicht bedeutsam. Einmal haben die Kastom
Sa mit dem Turmspringen, das man als spielerisch nachempfundene
künstliche Geburt der Männer durch sie selbst betrachten
kann, eine Art Ur-Sprung erfunden. Andererseits haben sie sich,
auf eindrückliche und bewußte Art und Weise, eine erstaunliche
Ursprünglichkeit ihrer Lebensumstände bewahrt. Kultur ist
zweifellos immer im Fluß. Wir wollen mit diesem Projekt auch
deutlich machen, dass eine von Brüchen und Diskontinuitäten
faszinierte postmoderne Ethnologie zu kurz greift, wenn sie
sich polemisch, gar abfällig zu solchen Konzepten von Identität
verhält, die Kontinuität oder vielmehr bewusste Rückkopplung
an Tradition und Brauchtum ausdrücklich betonen. Die Kastom
Sa leben weder das paradiesische Leben von imaginären „edlen
Wilden“, noch sind sie einfach einfallslose Traditionalisten. Sie
haben es vielmehr verdient, in ihrer besonderen Eigenartigkeit
wahrgenommen zu werden.
Die Ausstellung nimmt außerhalb des Dorfes ihren Anfang An
der Peripherie befinden sich die Gärten, und hier findet auch
das Turmspringen statt. Die eindrucksvollen Juban Masken
treten anläßlich der Juban Tänze von hier aus den Weg ins Dorf
an. Dort finden Sie ein stilisiertes Wohnhaus, aber auch das
öffentliche Dorftelefon, das seit 2002 Bunlap mit dem Rest der
Welt verbindet.
Dahinter betreten Sie den Sara, den zentralen Tanzplatz, das
soziale und politische Zentrum des Dorfes. Drei Männerhäuser
repräsentieren die sechs Großfamilien Bunlaps. Bilder aus vier
Jahrzehnten spiegeln Alltag und Ritus wieder, wie sie auf dem
Tanzplatz gelebt wurden und werden.
Zurück im ersten Raum stellt sich die Frage, was Kastom im Kern
bedeutet. Penisbinde und Grasrock sind zwar das nach außen
sichtbare Zeichen für Kastom, aber erst die Kombination dieser
Symbole mit Elementen zeitgenössicher Globalkultur lässt Kastom
als eine Lebenswirklichkeit lebendig und b egreifbar erscheinen,
in der sich vermeintliche Gegensätze mit erstaunlicher Leichtigkeit
auflösen.
Der Rundgang über 15 Stationen möchte Sie auf eine virtuelle
Reise nach Bunlap mitnehmen und Ihnen Einblicke in dieses
bemerkenswerte kulturelle Phänomen eröffnen.
Eine virtuelle Reise nach Bunlap – eine reale Reise nach
München.
Der Blick der Kastom Sa auf uns – festgehalten in zahlreichen
Fotografien und kommentiert – beschließt den Rundgang.
018 Ursprung in der Südsee Einführung
Einführung Ursprung in der Südsee
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