1 Dr. Gernot Sittner Zentrum Seniorenstudium Kunst, Kultur ...
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Eine Zeitung finanziert sich, wie schon gesagt, von ihren Lesern und von<br />
Anzeigen.<br />
Die Anzeigenerlöse der Zeitungen gehen seit dem Jahr 2000 in der Tendenz<br />
zurück. Über Jahrzehnte galt in der alten Bundesrepublik: Etwa ein <strong>Dr</strong>ittel<br />
der Umsätze der Zeitungen stammt aus dem Vertrieb, also aus dem Verkauf<br />
der Zeitung, zwei <strong>Dr</strong>ittel werden durch Anzeigen, durch Werbung erlöst.<br />
Mittlerweile ist das Verhältnis fast ausgeglichen. Der Vertriebserlös lag im<br />
Jahr 2009 sogar erstmals bei mehr als 50 Prozent der Einnahmen der<br />
Zeitungen, und es wäre nicht überraschend, wenn sich für das vergangene<br />
Jahr eine ähnliche Bilanz ergäbe.<br />
Wer ein gebrauchtes Auto, einen neuen Job oder eine größere Wohnung an<br />
einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Preis sucht, kann dies dank<br />
immer ausgefeilterer Kriterien auch im Internet schnell und bequem tun, und<br />
wer ein Auto oder eine Immobilie verkaufen, eine Wohnung vermieten will<br />
oder einen Mitarbeiter sucht, der macht das im Internet viel billiger als in<br />
der Tageszeitung. Der Markt der Stellen-, Immobilien- und Autoanzeigen ist<br />
für die Tageszeitungen weggebrochen – und das rechtfertigt es durchaus,<br />
wenn die Zeitungen sich in einer Krise sehen.<br />
Es ist für die Tageszeitungen allerdings nicht die erste Krise. Irgendwie<br />
prägen Krisen ihre Geschichte und die ist schon mehr als 400 Jahre alt, was<br />
wiederum für eine robuste Natur der Gattung Zeitung spricht. Im Jahr 1605<br />
publizierte Johann Carolus in Strassburg die erste Zeitung der Welt, die<br />
heutigen Kriterien standhält: die Relation. Und dem Start folgte die erste<br />
Krise gleich auf dem Fuße. Johann Carolus drohte zwölf Tage nach dem<br />
erstmaligen Erscheinen seines Blattes damit, es gleich wieder einzustellen.<br />
Beim Bürgermeister von Straßburg beklagte er sich über Kopisten, die ihm<br />
das Geschäft zerstörten. Sie übernahmen seine Nachrichten, seine Inhalte,<br />
ohne etwas dafür zu bezahlen.<br />
Denn Zeitungsverlegern von heute müsste das irgendwie bekannt<br />
vorkommen. Aber anders als Johann Carolus sind sie als Opfer der<br />
gegenwärtigen Krise zugleich – zu einem erklecklichen Teil zumindest –<br />
auch deren Verursacher. Kaum je in der Wirtschaftsgeschichte hat eine<br />
Branche ihr eigenes Geschäftsmodell so sehr in die Krise geführt wie die<br />
Zeitungsverleger in den zurückliegenden Jahren.<br />
1995 war das Jahr des breitenwirksamen Internetstarts. Für die Verlage<br />
ergab sich dadurch die Möglichkeit, ihre Inhalte auch ohne Papier,<br />
<strong>Dr</strong>uckmaschinen, Lastwagen, Bahn und Flugzeuge zu den Lesern zu<br />
bringen. Sie hätten ihre Ware – Informationen, Nachrichten,<br />
Meinungsartikel, Feuilletons, Sportberichte, Wirtschaftsmeldungen und<br />
vieles andere – also kostengünstiger an ihre Kunden, die Leserinnen und<br />
Leser, weitergeben können. Aber sie entschieden sich anders: Sie boten –<br />
und bieten auch heute noch – ihre Ware im Internet, auf den verlagseigenen<br />
Websites zu einem erklecklichen Teil gleich kostenlos oder spottbillig an.<br />
Um es etwas hochtrabend auszudrücken: Geistige Leistungen werden im<br />
Web verschenkt – das war nach Meinung vieler Experten der grundlegende<br />
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