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EUCHARISTIE ALS FEIER DER KIRCHE - RKK Basel-Stadt

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<strong>EUCHARISTIE</strong> <strong>ALS</strong> <strong>FEIER</strong> <strong>DER</strong> <strong>KIRCHE</strong><br />

Grundriss des katholischen Eucharistieverständnisses 1<br />

Bischof Kurt Koch<br />

„Unser Erlöser hat beim Letzten Abendmahl in der Nacht, da er überliefert wurde, das<br />

eucharistische Opfer seines Leibes und Blutes eingesetzt, um dadurch das Opfer des Kreuzes<br />

durch die Zeiten hindurch bis zu seiner Wiederkunft fortdauern zu lassen und so der Kirche,<br />

seiner geliebten Braut, eine Gedächtnisfeier seines Todes und seiner Auferstehung anzuvertrauen:<br />

das Sakrament huldvollen Erbarmens, das Zeichen der Einheit, das Band der Liebe,<br />

das Ostermahl, in dem Christus genossen, das Herz mit Gnade erfüllt und uns das Unterpfand<br />

der künftigen Herrlichkeit gegeben wird.“ 2 Mit diesen sehr dichten Worten fasst die<br />

Konstitution über die Heilige Liturgie, die als erste Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils<br />

vor vierzig Jahren verabschiedet worden ist, die katholische Sicht der Eucharistie zusammen.<br />

Sie bringt damit zum Ausdruck, dass die Eucharistie nicht einfach eine gottesdienstliche Feier<br />

unter anderen und nicht einmal einfach eines der sieben Sakramente ist, sondern vielmehr die<br />

innerste Mitte der Kirche überhaupt. In ihr ist uns, wie Papst Johannes Paul II. in seiner<br />

Enzyklika über die „Eucharistie in ihrem Verhältnis zur Kirche“ betont, der „Kern des<br />

Mysteriums der Kirche“ und das „Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle“ gegeben. 3<br />

Deshalb lebt die Kirche von der Eucharistie: „Ecclesia de Eucharistia“.<br />

1. Streit um die Eucharistie: Opfer oder Mahl?<br />

Wenn wir auf die vergangenen vierzig Jahre zurückblicken, wird man feststellen müssen, dass<br />

im durchschnittlichen Glaubensbewusstsein die konziliare Sicht der Eucharistie – wie übrigens<br />

viele Perspektiven des Konzils – weithin nicht rezipiert worden ist. Es ist vielmehr ein heftiger<br />

Streit um die Eucharistie entbrannt, in dem sich zwei extreme Positionen gegenüberstehen: Die<br />

eine Seite behauptet, mit der traditionellen und auch mit der erneuerten Gestalt der Messfeier<br />

habe sich die Kirche vom ursprünglichen Willen des Herrn weit entfernt. Jesus habe ein<br />

schlichtes Mahl der Geschwisterlichkeit mit seinen Jüngern gefeiert und mit Blick auf dieses<br />

gesagt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Die Kirche jedoch habe diese schlichte Mahlgeste<br />

zur Messfeier umstilisiert und aus ihr eine kultische, sakrale und sakramentale Handlung<br />

gemacht. Da behauptet wird, dass die Kirche die einfache Gestalt dessen, was Jesus getan und<br />

aufgetragen habe, bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet habe, kann es nicht erstaunen, dass bald<br />

das Postulat der Entsakralisierung in dem Sinne erhoben wurde, die Messfeier müsse<br />

wiederum die Gestalt eines einfachen Mahles der alltäglichen Menschlichkeit annehmen. Auch<br />

in der Theologie und in der Liturgiewissenschaft hat sich stets deutlicher die Überzeugung<br />

durchgesetzt, dass die Grundform der Eucharistie das Mahl sei. So konnte Joseph Pascher<br />

lapidar formulieren: „Tragende Gestalt ist die des Mahles.“ 4<br />

Je lauter solche Stimmen erklangen und je deutlicher aus ihnen Konsequenzen in der<br />

liturgischen Praxis gezogen wurden, desto mehr warf die andere Seite der Liturgiereform des<br />

Zweiten Vatikanischen Konzils und der neugestalteten Liturgie nicht nur Bilderstürmerei und<br />

1<br />

Vortrag in der von der Katholischen Erwachsenenbildung <strong>Basel</strong> und der Erwachsenenbildung der reformierten Kirche <strong>Basel</strong><br />

veranstalteten Reihe „Das Abendmahl Jesu und die Kirchen“ in der Leonhardskirche <strong>Basel</strong> am 23. Januar 2004.<br />

2<br />

Sacrosanctum Concilium, Nr. 47.<br />

3<br />

Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 1.<br />

4<br />

J. Pascher, Eucharistia. Gestalt und Vollzug (Münster-Krailling 1947) 27.


Puritanismus vor, sondern auch ein Abrücken von der wahren katholischen Tradition. Vor<br />

allem wurde betont, dass wie für jede Religion so erst recht für den katholischen Glauben in<br />

der Mitte der Messfeier die Opferdarbringung stehe, dass aber in der neuen Liturgie an deren<br />

Stelle Lobpreisungen getreten seien. Die Eucharistie nach dem Konzil sei deshalb nicht mehr<br />

die Messe der katholischen Kirche und deshalb habe die Kirche in ihrer Mitte aufgehört,<br />

katholisch zu sein. 5<br />

Dieser Streit um die Eucharistie mit zwei klar umrissenen Positionen schwelt in der<br />

katholischen Kirche bis auf den heutigen Tag, wenn auch nicht mehr in der früheren Heftigkeit,<br />

sondern eher in dem Sinne, dass sich die Positionen verfestigt haben und kaum mehr<br />

miteinander im Gespräch sind. Angesichts dieses Zweifrontenkrieges ist es nicht leicht, sine ira<br />

et studio das katholische Eucharistieverständnis darzulegen. Da dieser Streit aber die alte<br />

Weisheit „Les extrèmes se touchent – et se battent“ belegt, dürfte es hilfreich sein, an erster<br />

Stelle die in diesem Streit dominierende Alternative zu hinterfragen, ob die Eucharistie ein<br />

Mahl oder ein Opfer sei. Einen ersten Vermittlungsversuch hatte bereits Joseph Pascher<br />

vorgelegt, indem er hervorhob, dass die tragende Form der Eucharistie zwar die Mahlgestalt<br />

sei, in die aber die Opfersymbolik eingezeichnet sei. Denn die Trennung der Gaben von Brot<br />

und Wein verweise symbolisch auf das tödliche Blutvergiessen Jesu und trage deshalb das<br />

Zeichen des Opfers in die grundlegende Mahlgestalt ein. Zwischen Mahl und Opfer könne es<br />

jedenfalls keinen Gegensatz geben.<br />

2. Eucharistia als Grundgestalt der Messfeier<br />

Ein derart äusserlich bleibender Vermittlungsversuch dürfte freilich nicht befriedigen.<br />

Demgegenüber hilft es weiter, wenn wir einen kurzen Blick auf die Bezeichnungen werfen, die<br />

die Gedächtnisfeier des Todes und der Auferstehung Jesu Christi in der frühkirchlichen Zeit<br />

erhalten hat. 6 Denn in der alten Kirche gab es dafür verschiedene Namen: Da in dieser<br />

Gedächtnisfeier die Liebe Jesu Christi zu seiner Kirche äusserst konkret erfahrbar ist, wurde<br />

sie einfach „Agape“ genannt. Da Eucharistie im Kern Friede von Christus her bedeutet, wurde<br />

„Pax“ sehr bald einer der Namen des eucharistischen Sakramentes. Da der auferstandene<br />

Christus in der Eucharistie die Getauften in die Kommunion seines Leibes zu sich führt, sie mit<br />

demselben Brot nährt und sie dadurch auch untereinander in Geschwister verwandelt, wurde<br />

sie auch als „Synaxis“, als Versammlung und Zusammenführung der einzelnen Getauften zur<br />

Gemeinschaft mit Christus und untereinander bezeichnet.<br />

Verfolgt man die Sprachgeschichte in der alten Kirche weiter, fällt vor allem auf, dass die<br />

Bezeichnungen „Abendmahl“ und „Herrenmahl“ schon sehr früh ganz verschwunden und seit<br />

dem zweiten Jahrhundert nicht mehr gebraucht worden sind. An deren Stelle ist eindeutig das<br />

Wort „Eucharistie“ getreten. Bereits bei Ignatius von Antiochien ist dieses Wort die Bezeichnung<br />

schlechthin geworden. 7 Der katholische Liturgiewissenschaftlter Josef A. Jungmann<br />

hat eingehend gezeigt, dass es nach der Bezeichnung „Herrenmahl“ in 1 Kor 11. 20 bis ins<br />

sechzehnte Jahrhundert die Bezeichnung der Eucharistie als Mahl nicht mehr gab und dass es<br />

sprachlich der ganzen Tradition gegenüber eine völlige Neuheit war, als Martin Luther die<br />

Eucharistie wiederum als „Abendmahl“ bezeichnete: „Es bestätigt sich also, dass die<br />

Bezeichnung im sechzehnten Jahrhundert ein völliges Novum war.“ 8<br />

5 Vgl. W. Siebel, Freiheit und Herrschaftsstruktur in der Kirche. Eine soziologische Studie (Berlin 1971), bes. 20-52.<br />

6 Vgl. H. B. Meyer, Eucharistie. Geschichte, Theologie, Pastoral = Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft. Teil 4<br />

(Regensburg 1989), bes. 34-43: Namen der Eucharistiefeier.<br />

7 Ignatius von Antiochien, Ad Smyrn 8.1.<br />

8 J. A. Jungmann, „Abendmahl“ als Name der Eucharistie, in: Zeitschrift für katholische Theologie 93 (1971) 91-94, zit. 93.<br />

2


Ist nun die geschichtliche Entwicklung vom Abendmahl Jesu über das paulinische Herrenmahl<br />

zur Eucharistie in der frühen Kirche als Abfall vom Neuen Testament und damit vom<br />

Ursprünglichen zu beurteilen, wie dies Martin Luther getan hat? Oder kommt bei diesem Urteil<br />

nicht eher ein sehr unterschiedliches Grundverständnis des Christlichen überhaupt zum<br />

Vorschein? Auf jeden Fall berühren wir hier die Grundfrage der geschichtlichen Kontinuität<br />

zwischen dem vorösterlichen Jesus und dem nachösterlichen Christus. Wie der Zusammenhang<br />

zwischen der Reichsverkündigung des irdischen Jesus an Israel und der Verkündigung<br />

des auferstandenen und erhöhten Christus an Juden und Heiden in der frühen Kirche beurteilt<br />

wird, so wird man auch den Zusammenhang zwischen dem letzten Abendmahl Jesu und der<br />

urkirchlichen eucharistischen Feier des Todes und der Auferstehung Jesu Christi betrachten.<br />

Wer einen organischen Zusammenhang leugnet, wird von einem Abfall der frühesten<br />

Christenheit von Jesus reden und damit den heute modisch gewordenen Hiatus zwischen Jesus<br />

und der Kirche vertreten. 9 Wer hingegen den Blick auf die nach Ostern notwendig gewordenen<br />

Prozesse der Weiterentwicklung und der Verwandlung des Vorösterlichen richtet, vermag<br />

grundlegende Kontinuitäten zwischen Jesus und der Kirche und ebenso zwischen dem Letzten<br />

Abendmahl Jesu und der urkirchlichen Eucharistie wahrzunehmen.<br />

Dieser fundamentale Unterschied hat Konsequenzen für die Betrachtung der Eucharistie. Im<br />

zweiten Fall wird man die Gestaltwerdung der Eucharistie im Werden der Kirche als organische<br />

Entwicklung beurteilen. Im ersten Fall hingegen wird man die liturgische Gestalt der<br />

Eucharistie in einer letztlich ungeschichtlichen und unkritischen Direktheit aus dem<br />

Abendmahl Jesu herleiten und in der Messfeier nichts anderes sehen als eine Wiederholung<br />

des Letzten Abendmahls Jesu. An diese Position ist freilich die einfache Rückfrage zu stellen,<br />

ob Jesus seinen Jüngern wirklich aufgetragen hat, das Letzte Abendmahl als solches und<br />

ganzes zu wiederholen. Zwar hat Jesus die Eucharistie im Rahmen eines Mahles eingesetzt,<br />

das ein Paschamahl gewesen sein dürfte 10 , wofür noch immer sehr viel spricht, zumal selbst<br />

das Johannesevangelium die rituellen Elemente des Paschamahles voraussetzt 11 . Das Pascha<br />

aber war ein Jahresfest mit einem ganz bestimmten Datum im Mondkalender, das nur einmal<br />

im Jahr gefeiert wird. Die Eucharistie hingegen wurde wöchentlich gefeiert. Von daher dürfte<br />

deutlich sein, dass Jesus nicht aufgetragen hat, jene jüdische Liturgie, die er mit seinen Jüngern<br />

gefeiert hat, als ganze zu wiederholen. Der Wiederholungsbefehl bezieht sich vielmehr auf das<br />

Neue, das er im Zusammenhang der Liturgie Israels geschenkt hat. Dieses neue Geschenk<br />

konnte freilich erst dann auch eine neue Gestalt finden, als durch Kreuz und Auferstehung Jesu<br />

Christi und die folgende Geschichte die Kirche als selbständige Grösse neu aus Israel<br />

herausgetreten war.<br />

Insofern kann man sagen, dass das Letzte Abendmahl Jesu zwar der Grund aller christlichen<br />

Liturgie, aber selbst noch nicht christliche Liturgie ist. Dies ist sie erst geworden, als die<br />

Einsetzungsworte Jesu als Höhepunkt des grossen Dank- und Segensgebetes betrachtet<br />

wurden, das von synagogalen Traditionen her stammt und das auch von Jesus beim letzten<br />

Abendmahl aufgenommen wurde, indem er in der jüdischen Tradition Gott gedankt und<br />

diesem Dank durch die Hingabe seines Leibes und Blutes eine neue Tiefe geschenkt hat. Die<br />

frühe Kirche hat deshalb stets deutlicher erkannt, dass sich der Wiederholungsbefehl Jesu nicht<br />

auf das Letzte Abendmahl als solches bezieht, sondern auf seine spezifischen eucharistischen<br />

9 Symptomatisch für diese geschichtswirksam gewordene Tendenz ist H. Küng, Christ sein (München 1975).<br />

10 Vgl. R. Feneberg, Christliche Passafeier und Abendmahl. Eine biblisch-hermeneutische Untersuchung der neutestamentlichen<br />

Einsetzungsberichte (München 1971); H. Patsch, Abendmahl und historischer Jesus (Stuttgart 1972). Der neuere Forschungsstand ist gut<br />

zusammengefasst in dem Artikel „Abendmahl“ in TRE I.<br />

11 Vgl. R. Pesch, Das Markusevangelium II (Freiburg i. Br. 1977) 326.<br />

3


Handlungen und dass das Wesentliche am Geschehen des Letzten Abendmahles nicht das<br />

Essen des Lammes und der anderen traditionellen Gerichte war, sondern das grosse Gebet der<br />

Lobpreisung, in dessen Mitte nun die Stiftungsworte Jesu standen. Denn mit diesen Worten<br />

hatte Jesus seinen Tod in die Gabe seiner selbst umgewandelt, so dass wir nun Gott für diesen<br />

Tod und die durch ihn vollzogene Selbstgabe Jesu danken dürfen.<br />

Die frühe Kirche hat den wesentlichen Kern des Letzten Abendmahles in der Eucharistia<br />

gesehen, die wir heute als „Hochgebet“ bezeichnen. 12 Insofern ist „eucharistia“ die lateinische<br />

Übersetzung des hebräischen Wortes „berakha“ und bezeichnet wie dieses Lobpreisung,<br />

Danksagung und Segnung. Wenn die Berakha die zentrierende Mitte auch des Letzten<br />

Abendmahls Jesu gewesen ist, dann kann die Grundgestalt des Sakramentes des Leibes und<br />

Blutes Christi nicht das Mahl sein, freilich auch nicht das Opfer, jedenfalls nicht im herkömmlichen<br />

religionsgeschichtlichen Sinne. Die Grundgestalt dieses Sakramentes ist vielmehr<br />

die Eucharistia 13 , beziehungsweise die Eulogia, wie Lothar Lies mit Recht sagt: „Jesus als die<br />

Auto-Eulogia Gottes gibt sich in die Form der alttestamentlichen Passa-Eulogia hinein und<br />

stellt sich als Passa-Eulogia dar. Dies ist die wesentliche Sinngestalt der Eucharistie der<br />

Kirche.“ 14<br />

3. Geschichtliche Gestaltwerdung der Eucharistie der Kirche<br />

Damit haben wir freilich weit vorgegriffen. Um die Eucharistie als Feier der Kirche in der uns<br />

überkommenen und heutigen Gestalt verstehen zu können, müssen wir die geschichtliche<br />

Gestaltwerdung der Eucharistie der Kirche noch weiter skizzieren. Bei diesem differenzierten<br />

Vorgang kann man mit Heinz Schürmann drei Stadien unterscheiden, nämlich die Eucharistie<br />

beim Letzten Abendmahl Jesu, die apostolische Eucharistie in Verbindung mit dem Gemeindemahl<br />

und die vom Gemeindemahl getrennte nachapostolische Eucharistiefeier. 15<br />

a) Apostolische Eucharistie mit Gemeindemahl<br />

Schürmann spricht deshalb pointiert von der „Eucharistie“ beim Letzten Abendmahl Jesu, weil<br />

er das eucharistische Geschehen beim Letzten Abendmahl als „integralen, ja konstitutiven<br />

Bestandteil einer Mahlzeit“ betrachtet und hervorhebt, dass das eucharistische Geschehen beim<br />

Letzten Abendmahl „eine relative Eigenständigkeit und Eigenbedeutung gegenüber dem<br />

Mahlvorgang“ habe. 16 Die apostolische Eucharistie war hingegen mit einem Gemeindemahl<br />

verbunden, das freilich nicht als Wiederholung des Letzten Abendmahles Jesu verstanden<br />

wurde. Wie bereits im 11. Kapitel des Ersten Korintherbriefes deutlich erkennbar ist, ging das<br />

Sättigungsmahl vielmehr als geschlossene Einheit der eucharistischen Feier voraus, während<br />

die eucharistischen Handlungen als eigenes, durch das Dankgebet der Eucharistia<br />

verklammertes Geschehen folgte. Wenn die urchristliche Eucharistie nicht als Wiederholung<br />

des Letzten Abendmahles zu verstehen ist, woher ist sie dann herleitbar?<br />

12 Zum Zusammenhang zwischen der Berakha-Eucharistia des Letzten Abendmahls Jesu und den eucharistischen Hochgebeten vgl. L.<br />

Bouyer, Eucharistie. Théologie et spiritualité de la prière eucharistique (Tournai 1966).<br />

13 Vgl. J. Cardinal Ratzinger, Gestalt und Gehalt der eucharistischen Feier, in: Ders., Das Fest des Glaubens. Versuche zur Theologie des<br />

Gottesdienstes (Einsiedeln 1981) 31-54; Ders., Eucharistie – Mitte der Kirche (München 1978).<br />

14 L. Lies, Eulogia – Überlegungen zur formalen Sinngestalt der Eucharistie, in: Zeitschrift für katholische Theologie 100 (1978) 69-97.<br />

Vgl. Ders., Eucharistie in ökumenischer Verantwortung (Graz 1996).<br />

15 H. Schürmann, Die Gestalt der urchristlichen Eucharistiefeier, in: Ders., Urspung und Gestalt. Erörterungen und Besinnungen zum<br />

Neuen Testament (Düsseldorf 1970) 77-99. Vgl. auch H. Kahlefeld, Das Abschiedsmahl Jesu und die Eucharistie der Kirche (Frankfurt a.<br />

M. 1980).<br />

16 Ebda. 83-84.<br />

4


Nicht wenige Exegeten vertreten die Hypothese, die Eucharistiefeier der werdenden Kirche<br />

schliesse sich entweder an die täglichen Mahlzeiten Jesu oder an seine Sündenmähler an. Diese<br />

Hypothese wirkt heute auf viele ungemein faszinierend und hat weitreichende Konsequenzen.<br />

Zumeist ist mit ihr auch eine beissende Kritik an der Praxis der kirchlichen Eucharistie<br />

verbunden. Denn hinter dieser Hypothese steht die Annahme, die Eucharistie sei der weite<br />

Tisch der Sünder, an den sich auch Jesus setzt, sie sei die offene Gebärde Jesu, zu der er alle<br />

ohne Grenzen einlädt. Die Eucharistie könne deshalb keine Vorbedingungen kennen und nicht<br />

an die Konfession und nicht an die Taufe gebunden sein. Sie sei vielmehr der offene Tisch, an<br />

dem alle ohne Grenzen und konfessionelle Voraussetzungen dem weltweiten Gott begegnen.<br />

Die Eucharistie sei das Zeichen der bedingungslosen Gnade Gottes, die auch den Sündern, ja<br />

selbst den Ungläubigen angeboten sei. 17<br />

Diese Hypothese mit der praktischen Konsequenz einer kirchen- oder gar weltoffenen<br />

Eucharistie 18 dürfte ihren Ursprung in einer konfessionell geprägten, undifferenzierten Identifizierung<br />

der Eucharistie mit der lutherischen Rechtfertigungslehre als der Lehre von der Begnadigung<br />

des Sünders haben. Sie entspricht aber nicht dem biblischen Zeugnis, in dem<br />

immerhin Paulus das sündige Hinzutreten zur Eucharistie als „Essen zum Gericht“ (1 Kor 11. 29)<br />

beurteilt und die Eucharistie sogar durch das Anathem vor Missbrauch schützt (1 Kor 16. 22).<br />

Demgemäss geht der Eucharistie notwendigerweise die Unterscheidung voraus: „Wer<br />

unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch trinkt, macht sich schuldig am Leib und am<br />

Blut des Herrn. Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem<br />

Kelch trinken“ (1 Kor 11. 27-28). Diese Praxis ist später auch greifbar in der Zwölfapostellehre<br />

am Beginn des Zweiten Jahrhunderts, gemäss der der Priester vor der Austeilung des<br />

Sakramentes spricht: „Wer heilig ist, der trete hinzu, wer nicht, tue Busse!“ 19 Wie das Letzte<br />

Abendmahl Jesu wohl kaum eines derjenigen Mähler gewesen ist, die er mit Sündern und<br />

Zöllnern gehalten hat, so ist auch die apostolische Eucharistie nicht das Sakrament der<br />

Versöhnung. Dieses wird vielmehr vorausgesetzt für die Eucharistie als Sakrament der<br />

Versöhnten, die sich von Christus versöhnen liessen und dadurch gleichsam seine Familie<br />

geworden sind. Die Eucharistie wurde deshalb von Anfang an in der Hausgemeinschaft Jesu<br />

Christi gefeiert und kannte klare Zulassungsbedingungen.<br />

Die urchristliche Eucharistie ist somit nicht von den Sündermählern Jesu her und auch nicht<br />

einfach als Fortsetzung der täglichen Mahlgemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern verstanden<br />

worden. Den eigentlichen Ansatzpunkt für die urchristliche Gestaltung des Vermächtnisses<br />

Jesu bildete vielmehr das Ostergeschehen. Darauf weist bereits die schlichte Tatsache hin, dass<br />

die Eucharistie zunächst am Sonntag gefeiert wurde. Nichts spricht in der apostolischen Zeit<br />

dafür, dass die Eucharistie täglich gefeiert wurde, wie es eigentlich der Hypothese von der<br />

Herkunft der Eucharistie von der täglichen Mahlgemeinschaft Jesu entsprechen würde. Wir<br />

müssen vielmehr von der wöchentlichen und näherhin sonntäglichen Feier der Eucharistie<br />

ausgehen. Damit ist sie aber gerade aus dem Gewöhnlichen des Alltäglichen und damit auch<br />

aus der täglichen Mahlgemeinschaft herausgehoben. Der Sonntag als Tag der Auferstehung<br />

Jesu Christi wurde nun zum inneren und äusseren Ort für die Feier der Eucharistie in der<br />

werdenden Kirche.<br />

17 Vgl. P. Trummer, „... dass alle eins sind!“ Neue Zugänge zu Eucharistie und Abendmahl (Düsseldorf 2001); J. Rehm, Eintritt frei!<br />

Plädoyer für das ökumenische Abendmahl (Düsseldorf 2002).<br />

18 Vgl. J. Moltmann, Kirche in der Kraft des Geistes. Ein Beitrag zur messianischen Ekklesiologie (München 1975), bes. 268-286: Das<br />

Herrenmahl.<br />

19 Didache X 6.<br />

5


Wie bereits in der Johannesapokalypse der erste Tag der Woche den Namen „Tag des Herrn“<br />

trägt (1. 10) und wie der erste Brief an die Korinther den „Tag des Herrn“ als Tag der<br />

Eucharistie bezeugt (16. 2), so wurde in der apostolischen Zeit der Auferstehungstag als Tag<br />

der besonderen Gegenwart des Auferstandenen verstanden und gefeiert, genauerhin als der<br />

Tag, an dem Christus die Seinen versammelt und sie sich um ihn versammeln lassen. Bereits<br />

zu Beginn des Zweiten Jahrhunderts bezeichnete Ignatius von Antiochien die Christen als<br />

diejenigen, die „gemäss dem Sonntag leben“ 20 , das heisst, die von der Auferstehung und damit<br />

von der Gegenwart des Auferstandenen im Fest der Eucharistie her leben. In der Mitte des<br />

Zweiten Jahrhunderts beschreibt Justinus das liturgische Leben der christlichen Gemeinden<br />

und er begründet die Zusammenkunft der Christen zur Eucharistie am Sonntag sowohl mit<br />

dem Beginn der Schöpfung als auch mit der Auferstehung Jesu Christi, dem Beginn der neuen<br />

Schöpfung Gottes. 21 Damit ist die Eucharistie aus dem jüdischen Paschazusammenhang<br />

herausgenommen und hineingepflanzt in den Auferstehungszusammenhang, so dass das<br />

eigentliche Wesen der Eucharistie darin gesehen wird, Fest der Auferstehung Jesu Christi zu<br />

sein. Seither ist der Auferstehungstag der innere Raum der Eucharistie und gehören Sonntag<br />

und Eucharistie unlösbar zusammen 22 , wie wir dies noch heute im dritten eucharistischen<br />

Hochgebet zum Ausdruck bringen: „Darum kommen wir vor Dein Angesicht und feiern in<br />

Gemeinschaft mit der ganzen Kirche den ersten Tag der Woche als den Tag, an dem Christus<br />

von den Toten auferstanden ist.“<br />

b) Nachapostolische Eucharistie<br />

In der apostolischen Zeit feiert die Kirche danksagend und lobpreisend die Gegenwart von Tod<br />

und Auferstehung Jesu Christi in der Eucharistie, und zwar nach dem irdischen<br />

Sättigungsmahl bei der Versammlung der Gläubigen. Denn die gegenseitige Agape der<br />

Gemeinde sollte den Lebensraum bieten, in den dann mit der Feier der Eucharistie die<br />

verwandelnde Agape Jesu Christi hereintreten kann. In der realen Entwicklung hat diese<br />

schöne Vision freilich nicht standgehalten. Die gemeindliche Agape war als Tür für das<br />

Kommen des Auferstandenen gedacht, faktisch wurde sie aber zum Einlasstor für<br />

unchristlichen Egoismus und deshalb als Vorbereitung auf die Eucharistiefeier ungeeignet.<br />

Dies jedenfalls war der Grund, weshalb bereits Paulus die Trennung von Sättigungsmahl und<br />

Eucharistie vollzogen wissen wollte: „Könnt ihr denn nicht zu Hause essen und trinken? Oder<br />

verachtet ihr die Kirche Gottes?“ (1 Kor 11. 22). Damit stehen wir am Beginn der dritten Phase<br />

der Entwicklung in der nachapostolischen Zeit, in der sich die endgültige kirchliche Gestalt der<br />

Eucharistie herausgebildet hat, die erstmals von Justin dem Märtyrer (+ um 165) eingehend<br />

beschrieben worden ist.<br />

Die Trennung von Sättigungsmahl und Eucharistie hatte eine einschneidende Folge: Solange<br />

sich die Eucharistie unmittelbar an ein Sättigungsmahl angeschlossen hatte, dürften die<br />

Christen noch am Wortgottesdienst der Synagoge teilgenommen haben. Dass sie sich bereits<br />

nach der Erfahrung der Auferstehung Christi nicht mehr am Opferkult im Jerusalemer Tempel<br />

beteiligten, dürfte evident sein, da gemäss neutestamentlicher Überzeugung mit dem<br />

Kreuzestod Jesu der Vorhang des Tempels zerrissen war. 23 Sie dürften sich aber nachwievor<br />

20 Ignatius von Antiochien, Magn. 9,1.<br />

21 Justinus, Apologie 67, 7: „Am Tag des Helios halten wir alle die Zusammenkunft, weil es der erste Tag ist, an welchem Gott durch<br />

Umwandlung der Finsternis und der Materie die Welt erschuf, und weil Jesus Christus, unser Erlöser, an diesem Tag von den Toten<br />

auferstanden ist.“<br />

22 Vgl. Johannes Paul II., Dies Domini. Vgl. ferner K. Koch, Österliche Eucharistiegemeinde am Sonntag. Theologische Perspektiven zum<br />

erzchristlichen Zusammenhang von Ostern, Sonntag und Eucharistie, in: Communio. Internationale katholische Zeitschrift 30 (2001) 319-<br />

338; Ders., Ist der Sonntag noch zu retten? Unzeitgemässe Fragmente (Ostfildern 1991).<br />

23 Vgl. Y. Congar, Le mystère du temple (Paris 1957).<br />

6


am Gottesdienst der Synagoge beteiligt haben, in dem die Heiligen Schriften gelesen und<br />

ausgelegt, die Psalmen gebetet, gemeinsam Gott gelobt und Bitten an Gott gerichtet wurden.<br />

Doch nach der endgültigen Trennung von Synagoge und Kirche gegen Ende des Ersten<br />

Jahrhunderts war auch dies nicht mehr sinnvoll und nicht mehr möglich. Deshalb musste die<br />

Kirche einen eigenen christlichen Wortgottesdienst schaffen, der immer mehr mit der<br />

eucharistischen Feier zusammengewachsen ist. Indem der Gottesdienst des Wortes mit dem<br />

eucharistischen Gottesdienst vereint wurde, war die wesentlich christliche Form entstanden, in<br />

der wir bis heute die Eucharistie der Kirche feiern. Dass man bei dieser Form nicht mehr von<br />

einer Mahlgestalt reden kann, zeigt sich wohl am sichtbarsten in der Umprägung in der<br />

Körperhaltung der die Eucharistie Feiernden: Während sie beim Wortgottesdienst sassen,<br />

standen sie bei der eucharistischen Handlung, was wohl kaum das Übergehen in eine normale<br />

Mahlsituation bezeichnen kann. Als das tragende Element dieser Feier hat sich vielmehr stets<br />

deutlicher die Eucharistia, das eucharistische Hochgebet herausgestellt, so dass man urteilen<br />

darf, dass der Messkanon letztlich aus dem Beten Israels und dem Beten Jesu herausgewachsen<br />

ist.<br />

Aus dieser Feststellung ergeben sich Konsequenzen für die liturgische Praxis auch heute, auf die ich in<br />

diesem Zusammenhang kurz hinweisen möchte: Bedenkt man die grundlegende Bedeutung der<br />

Eucharistia, dann beginnt man zu verstehen, warum die Gestaltung des eucharistischen Hochgebetes<br />

nicht einfach dem Belieben des einzelnen Liturgen anheimgestellt sein kann. Wer die katholische<br />

Überzeugung teilt, dass die Eucharistie Feier der Kirche und nicht Feier der einzelnen ist und dass das<br />

Wunder der Gegenwart des Auferstandenen nicht durch den Priester gewirkt wird, sondern durch die<br />

Anrufung des Heiligen Geistes in der Epiklese, der kann gar nicht auf die Idee kommen, die Anrufung<br />

des Heiligen Geistes einem neuen, von einem einzelnen Liturgen ausgedachten eucharistischen Gebet<br />

anzuvertrauen. Denn die Epiklese macht sinnenfällig, dass die Eucharistie nicht in die Verfügung der<br />

Kirche gestellt ist, dass sie vielmehr ein demütiges wie wirkmächtiges Gebet um das Kommen des<br />

Heiligen Geistes ist, und zwar so sehr, dass Eucharistie und Epiklese miteinander identisch sind. 24<br />

Diese Unbeliebigkeit auch in dem Sinne, dass die Eucharistie nicht aus der einzelnen Gemeinde heraus<br />

entsteht, sondern das Geschenk Jesu Christi an die ganze Kirche ist, in Erinnerung zu rufen und zu<br />

garantieren, ist der eigentliche Sinn der katholischen Überzeugung, dass die Feier der Eucharistie an die<br />

Vorsteherschaft eines sakramental geweihten Priesters gebunden ist. Das Amt des Priesters weist<br />

insofern auf das extra nos des Sakraments hin: „Dass es zur Eucharistie des Sakraments des<br />

priesterlichen Dienstes bedarf, beruht genau darauf, dass die Gemeinde sich die Eucharistie nicht selber<br />

geben kann; sie muss sie vom Herrn her durch die Vermittlung der einen Kirche empfangen.“ 25 Von<br />

daher ist es auch nachvollziehbar, dass das eucharistische Hochgebet eine kompositorisch einheitliche<br />

Oration und deshalb in seinem vollen Umfang ein „priesterliches Amtsgebet“ ist 26 , das im Namen der<br />

Gemeinde, aber nicht, auch nicht in einzelnen Teilen, von der Gemeinde oder von im kirchlichen Dienst<br />

stehenden Laien gesprochen werden kann. Wir brauchen heute eine neue Sensibilität für die<br />

Unbeliebigkeit des liturgischen Ritus, verstanden als „gestaltgewordener Ausdruck der Ekklesialität und<br />

der geschichtsüberschreitenden Gemeinschaftlichkeit des liturgischen Betens und Handelns“ 27 . Gewiss<br />

lässt der liturgische Ritus verschiedene Formgebungen und lebendige Entwicklungen zu, er schliesst<br />

aber ebenso sehr subjektive Beliebigkeit aus.<br />

Überblickt man den differenzierten Prozess der Gestaltwerdung der Eucharistie in der<br />

werdenden Kirche, dann kann man nicht nur Unterschiede, sondern auch organische Entwicklungen<br />

vom Letzten Abendmahl Jesu zur Eucharistie der Kirche feststellen. Vor allem darf man<br />

24<br />

Vgl. J. Betz, Die Eucharistie in der Zeit der griechischen Väter. Band I/1 (Freiburg i. Br. 1955) 319.<br />

25<br />

J. Cardinal Ratzinger, Die Ekklesiologie der Konstitution Lumen gentium, in: Ders., Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als<br />

Communio (Augsburg 2002) 107-131, zit. 123.<br />

26<br />

O. Nussbaum, Einheit, Variabilität und Pluralität der Hochgebete, in: Ders., Geschichte und Reform des Gottesdienstes.<br />

Liturgiewissenschaftliche Untersuchungen (Paderborn 1996) 87-97, zit. 91.<br />

27<br />

J. Kardinal Ratzinger, Der Geist der Liturgie. Eine Einführung (Freiburg i. Br. 2000) 143.<br />

7


urteilen, dass die geschichtlich gewachsene Eucharistie der Kirche „nicht Abfall vom Ursprung<br />

ist, sondern dessen wahre Frucht“ 28 . Wer hingegen aus der Feier der Eucharistie heute<br />

wiederum ein einfaches, geschwisterliches oder gar profanes Mahl machen will, der trägt nicht<br />

nur der historischen Tatsache der folgenreichen Trennung von Kirche und Synagoge keine<br />

Rechnung, sondern der wendet sich vor allem nicht dem Urspung zu, sondern geht hinter die<br />

Wende von Kreuz und Auferstehung zurück und damit hinter jene Wirklichkeit, die das<br />

Christentum überhaupt in seiner Neuheit begründet. Auf diese Gefahr eines<br />

bedeutungsmindernden Verständnisses der Eucharistie hat Papst Johannes Paul II. mit<br />

eindringlichen Worten hingewiesen: „Einmal seines Opfercharakters beraubt, wird das eucharistische<br />

Geheimnis so vollzogen, als ob es nicht den Sinn und den Wert eines Treffens zum<br />

brüderlichen Mahl übersteigen würde.“ 29<br />

4. Jüdische Wurzeln der christlichen Eucharistie<br />

Nicht nur die grundlegende Kontinuität der kirchlichen Liturgie der Eucharistie zu ihrem<br />

Ursprung ist sichtbar geworden, sondern vielmehr auch, dass die eucharistische Dimension des<br />

Abendmahles Jesu und die Eucharistie der christlichen Kirche durch und durch alttestamentliche<br />

Wurzeln aufweisen, die es verdienen, eigens hervorgehoben zu werden. 30 Sie<br />

werden exemplarisch sichtbar in einer energischen Diskussion in der frühchristlichen Zeit<br />

zwischen dem Rabbiner Tryphon und dem Christen Justin, der den Beinamen „der Märtyrer“<br />

erhalten hat, über das Wort Gottes im Mund des Propheten Maleachi: „Vom Aufgang der<br />

Sonne bis zu ihrem Untergang steht mein Name gross da bei den Völkern und an jedem Ort<br />

wird meinem Namen ein Rauchopfer dargebracht und eine reine Opfergabe; ja, mein Name<br />

steht gross da bei den Völkern, spricht der Herr der Heere“ (Mal 1. 11). Über dieses Wort sagt<br />

der Rabbiner zum Christen, dass die vielen Segensgebete, die die Juden überall auf der Welt<br />

sprechen, diese „reine Opfergabe“ sind. Denn auf diese Weise bringen die frommen Juden im<br />

Lobpreis die Schöpfung Gott zurück. Darauf jedoch antwortet der Christ Justin, dass das reine<br />

Opfer, das vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang überall auf Erden dargebracht<br />

wird, die Eucharistie ist, genauerhin Jesus, der die Schöpfung nicht nur im Wort, sondern<br />

durch sein ganzes Leben Gott zurückgegegeben hat. Weil Christus alles Gott zurückgebracht<br />

hat, ist die Eucharistie das vollkommene Lobopfer der Schöpfung.<br />

Trotz dieser Gegenüberstellung wurde von allem Anfang an die Eucharistie in der Tradition<br />

des Alten Testamentes als Dankgebet und Lobopfer verstanden und vollzogen. Dies ist besonders<br />

deutlich beim Evangelisten Markus, der in seinem Abendmahlsbericht hervorhebt, Jesus<br />

habe über das Brot das Lobgebet und über den Becher das Dankgebet gesprochen (Mk 14. 22-25:<br />

??????????und?????????????????Markus interpretiert also das letzte Abendmahl Jesu als<br />

Eulogie und Eucharistie, und zwar ganz in der Tradition des jüdischen Lob- und Dankgebetes,<br />

der sogenannten Berakha. Aus diesen jüdischen Lobpreisungen ist später der Kanon der<br />

römischen Messe entstanden, und er ist zu verstehen als Fortsetzung des Abendmahlsgebetes<br />

Jesu und bildet auch insofern den Kern der kirchlichen Eucharistie.<br />

Das Letzte Abendmahl Jesu und die Eucharistie der Kirche als berakha zu verstehen, kann<br />

nicht erstaunen, wenn man bedenkt, welch grossen Stellenwert die berakha in der jüdischen<br />

Frömmigkeit einnimmt. Gemäss einer schönen Tradition soll der fromme Jude Gott an einem<br />

einzigen Tag hundertmal lobpreisen, Gott eine berakha darbringen, und zwar angefangen vom<br />

28 J. Kardinal Ratzinger, Gott ist uns nah. Eucharistie: Mitte des Lebens (Augsburg 2001) 64.<br />

29 Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 10.<br />

30 Vgl. A. Schenker, Das Abendmahl Jesu als Brennpunkt des Alten Testaments. Begegnung zwischen den beiden Testamenten – eine<br />

bibeltheologische Skizze (Freiburg/Schweiz 1977).<br />

8


Aufwachen in der Frühe bis zum Schlafengehen bei jeder sich bietenden Gelegenheit. So soll<br />

der gläubige Jude beispielsweise beim Aufwachen sprechen: „Gepriesen seist du, Herr unser<br />

Gott, König der Welt, der du die Seelen ihren sterblichen Leibern zurückgibst und so das morgendliche<br />

Erwachen verbindest mit der Aussicht auf die Auferstehung.“ Wie das morgendliche<br />

Aufstehen eine Erinnerung an die Auferstehung ist, so sollen die Lobpreisungen durch den<br />

ganzen Tag hindurch an die Heilstaten Gottes erinnern. Alles, was wir empfangen haben,<br />

sollen wir Gott in der Lobpreisung zurückgeben. Alles soll, wie wir auch sagen könnten,<br />

Eucharistie werden. Nichts sollen wir empfangen, ohne Gott zu preisen, ohne Gott zu<br />

eucharistieren.<br />

Eine sehr schöne Lobpreisung finden wir auch im Stundengebet der christlichen Kirche am Schluss der<br />

Laudes im Benedictus, das die berakha des Zacharias wiedergibt: „Gepriesen sei der Herr, der Gott<br />

Israels.“ Wie das lateinische „benedictus“ zeigt, müsste man freilich genau übersetzen: „Gesegnet sei<br />

der Herr, der Gott Israels“. Vor einer solchen Übersetzung scheuen wir Christen uns, weil wir in<br />

unserer Tradition das Segnen Gott zusprechen. Der fromme Jude aber ist überzeugt, dass nicht nur Gott<br />

uns segnet, sondern dass auch wir Menschen Gott segnen, ihm eine berakha darbringen können.<br />

Natürlich geht auch nach jüdischer Überzeugung aller Segen stets von Gott aus, und ebenso natürlich<br />

verdanken wir alles in unserem Leben dem Segen Gottes. Doch wir Menschen können und sollen Gott<br />

seinen empfangenen Segen verdanken und ihn Gott gleichermassen zurückgeben, Gott segnen. In<br />

diesem Segnen Gottes wird die besondere Würde des Menschen sichtbar: Er ist das einzige Geschöpf<br />

Gottes, das den Segen Gottes nicht nur empfangen, sondern gleichsam als Priester der Schöpfung den<br />

Segen Gottes ihm wieder zurückgeben kann, und zwar zusammen mit allem, was Gottes Segen auf<br />

Erden bewirkt hat.<br />

Nicht nur allgemein als berakha, sondern konkret als Dankopfer, als sogenannte Toda deutet<br />

der Alttestamentler Hartmut Gese das Letzte Abendmahl Jesu, aus dem die Eucharistie des<br />

Herrn hervorgewachsen ist, und charakterisiert die Toda so: „Das Dankopfer setzt eine<br />

bestimmte Situation voraus. Wird ein Mensch aus einer Todesgefahr, aus lebenszerstörender<br />

Krankheit oder lebensbedrohlicher Verfolgung errettet, so feiert er diese göttliche Errettung in<br />

einem Dankopfergottesdienst als Neubegründung seiner Existenz. Hier bekennt (jd) er<br />

Gott als den Erretter bei einem , Dankopfermahl (toda).“ 31 Die Toda ist deshalb<br />

in ihrem Kern ein Bekenntnisopfergottesdienst, was bedeutet, dass Lob und Opfer unlösbar<br />

zusammengehören und eine Einheit bilden. Von daher erblickt Gese in der alttestamentlichen<br />

Toda-Frömmigkeit die Christologie, und zwar als eucharistische Christologie, vorgegeben,<br />

indem er das Herrenmahl als „die Toda des Auferstandenen“ versteht 32 .<br />

5. Eucharistie als logosgemässes Opfer<br />

Von diesem engen Zusammenhang zwischen Todaopfer und Eucharistie, zwischen Todafrömmigkeit<br />

und Christologie bestätigt sich nochmals die vorher entwickelte Sicht, dass<br />

Eucharistia, beziehungsweise Eulogia die bestimmende Gestalt des Letzten Abendmahles Jesu<br />

und der Eucharistie der Kirche ist. Damit öffnet sich auch ein Tor zu einem tieferen Verständnis<br />

dessen, was die christliche Tradition meint, wenn sie die Eucharistie als Opfer bezeichnet.<br />

Denn damit wird ein genuin neutestamentliches und christliches Verständnis des<br />

Opfers sichtbar, in dem sowohl das katholische Erbe in einer neuen Tiefe verstanden als auch<br />

der Protest Martin Luthers gegen den katholischen Messopfergedanken überwunden werden<br />

kann.<br />

31 H. Gese, Die Herkunft des Herrenmahls, in: Ders., Zur biblischen Theologie (München 1977) 107-127, zit. 117.<br />

32 Ebda. 122.<br />

9


Der entscheidende Kern des neutestamentlichen Opfergedankens besteht darin, dass Gott selbst<br />

das schenkt, was wir ihm schenken, und dass beim Opfer die Initiative ganz von Gott her<br />

kommt: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingab“ (Joh<br />

3. 16). Christus ist also nicht zuerst eine Gabe, die wir Menschen in der Eucharistie Gott, und<br />

schon gar nicht einem zürnenden Gott, darbringen sollten und könnten. Es ist vielmehr bereits<br />

das Werk der Liebe Gottes, dass er uns seinen Sohn geschenkt hat. Ihn schenken wir Gott, dem<br />

Vater, in der Eucharistie zurück. Seit ältesten Zeiten wird dieses Opferverständnis auch im<br />

römischen Kanon ausgedrückt, wenn es dort heisst: „De tuis donis ac datis offerimus tibi“ –<br />

„Aus deinen Geschenken und Gaben schenken wir dir.“<br />

Gott schenkt, damit wir schenken können. Dies ist die Grundlage des neutestamentlichen<br />

Opferverständnisses. Hinzugenommen werden muss freilich die weitere Aussage, dass auch<br />

wir wirklich schenken, nämlich zurückschenken, was Gott uns geschenkt hat, oder zurücksegnen,<br />

womit er uns gesegnet hat. Auch diese Dimension des christlichen Opferverständnisses<br />

hat alttestamentliche Wurzeln und ist greifbar in der Frömmigkeit der Psalmen und<br />

der Propheten, etwa in der Einsicht, dass ein zerknirschter Geist das wahre Opfer vor Gott ist,<br />

dass unsere Gebete aufsteigen mögen wie Weihrauch zu Gott hin und dass mehr als Tausende<br />

von fetten Widdern das Gebet vor Gott wiegen möge. 33 Solche Aussagen dokumentieren, dass<br />

Israel in einem langen Ringen zur Überzeugung gekommen ist, dass jenes Opfer, das Gott<br />

wirklich gemäss ist, der gottgemässe Mensch selbst ist und dass somit das wahre Opfer das<br />

Gebet, die dankende Lobpreisung Gottes ist, in dem wir uns als seine Geschöpfe ihm<br />

zurückgeben.<br />

Mit Recht haben die Kirchenväter das Opfer Jesu Christi und in der Folge das Opfer der<br />

Eucharistie vorgebildet gesehen im Uropfer Abrahams, bei dem Gott selbst den Widder im<br />

Dornengestrüpp schenkt, damit er ihn schenken kann, und sie haben darin den ersten Vorboten<br />

des Lammes Jesus Christus gesehen. Der entscheidende Unterschied besteht freilich darin,<br />

dass im neutestamentlichen Verständnis das Opfer an Gott nicht durch die Übergabe von<br />

Tieren oder Sachen, sondern durch die Selbstübergabe des Geistes geschieht, die im Wort ihre<br />

Gestalt findet. Das Besondere des Opfers Jesu Christi besteht dabei darin, dass sein<br />

Todesgeschick in ein Wort der Hinnahme und der Hingabe umgewandelt worden und das<br />

Unlogische des Todes zum logosgemässen Opfer geworden ist. Genau in diesem Sinn ist auch<br />

das eucharistische Gebet ein Opfer, dass es unser Eintreten in das Gebet Jesu Christi selbst und<br />

damit unser Eingehen in den Logos und in seine Selbstübergabe an den Vater ist, die im Kreuz<br />

zugleich Übergabe der Menschheit an ihn geworden ist. 34<br />

Bedenkt man diese Vergeistigung und Personalisierung des christlichen Opferverständnisses,<br />

dann kann man es nicht als Abweg oder gar Irrweg beurteilen, dass sich der Gedanke des<br />

Dankes sehr früh mit dem des Opfers verbunden hat und deshalb aus dem Begriff der<br />

Eucharistia mit wachsender Bestimmtheit der Gedanke der Oblatio herausgehoben worden ist.<br />

Der Schritt von „gratias agamus“ zum offere und zum sacrificium ist letztlich nur eine Entfaltung<br />

dessen, was von Anfang an gegeben war. 35 Vorausgesetzt ist dabei die in der<br />

Spätantike entwickelte Vorstellung von einem worthaften Opfer, die auch Eingang gefunden<br />

hat in den römischen Messkanon, wenn dort von einer „oblatio rationabilis“ die Rede ist. Von<br />

33<br />

Zu den jüdischen Wurzeln dieses Opferverständnisses vgl. L. Bouyer, Eucharistie. Théologie et spiritualité de la prière eucharistique<br />

(Tournai 1966). Vgl. auch H. U. von Balthasar, Die Messe, ein Opfer der Kirche?, in: Ders., Spiritus Creator (Einsiedeln 1967) 166-217.<br />

34<br />

Vgl. O. Casel, ???????????? ?der antiken Mystik in christlich-liturgischer Umdeutung, in: Jahrbuch für Liturgiewissenschaft 4 (1924)<br />

36ff.<br />

35<br />

Vgl. J. Ratzinger, Ist die Eucharistie ein Opfer?, in: Concilium 3 (1967) 299-304.<br />

10


daher lässt sich der Kanon als Eucharistia so verstehen, wie die Liturgie selbst ihn nennt,<br />

nämlich „rationabile obsequium“, Opfer in der Weise des Wortes.<br />

Mit dieser Sicht ist auch das fatale Missverständnis des Opfers, gegen das Martin Luther<br />

protestiert hat, ausgeschlossen, dass es sich nämlich beim Messopfer um ein dem Kreuzesopfer<br />

Jesu Christi gegenüber selbständiges und zusätzliches Opfer der Kirche handle. Die<br />

Eucharistie ist vielmehr als „sakramentale Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers“ Jesu Christi<br />

selbst zu verstehen 36 , wie Papst Johannes Paul II. mit Recht betont: „Die Messe macht das<br />

Opfer des Kreuzes gegenwärtig, sie fügt ihm nichts hinzu und vervielfältigt es auch nicht. Das,<br />

was sich wiederholt, ist die gedenkende Feier, seine (memorialis<br />

demonstratio), durch die das einzige und endgültige Erlösungsopfer Christi in der Zeit<br />

gegenwärtig wird. Die Natur des Opfers des eucharistischen Geheimnisses kann deswegen<br />

nicht als etwas in sich selbst Stehendes verstanden werden, unabhängig vom Kreuz oder nur<br />

mit einem indirekten Bezug zum Opfer von Golgotha.“ 37<br />

6. Nicht Umfunktionierung, sondern Umsubstanziierung<br />

Die Mitte der Eucharistia-Berakha liegt darin, dass wir in ihr alles, was wir von Gott<br />

empfangen haben, ihm zurückbringen und als Opfer des Lobes darbringen. Alles, was Gott<br />

geschaffen hat, wird in der Eucharistie Gott wieder zurückgebracht und die ganze Schöpfung<br />

wird vor Gott eulogisiert und eucharistiert. Einen besonders schönen Ausdruck findet diese<br />

Dimension in der Göttlichen Liturgie der orthodoxen Kirchen, wenn sie das Opfer mit<br />

avv??????“ umschreiben, nämlich als das zu Gott Hinaufbringen von all dem, was er uns<br />

geschenkt hat.<br />

In diese eucharistische Anaphora wird die ganze Schöpfung mit einbezogen, wie die Kirche<br />

dies im liturgischen Akt der Gabenbereitung bekennt, vor allem in den Begleitgebeten, die<br />

wiederum als berakhot, als Lobpreisgebete nach dem Vorbild der jüdischen Tischgebete<br />

gestaltet sind: „Gepriesen bist du Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt, du schenkst uns das<br />

Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir bringen dieses Brot vor dein<br />

Angesicht, damit es uns das Brot des Lebens werde. Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr, unser<br />

Gott.“ In der Darbringung von Brot und Wein, den Früchten der Erde und der menschlichen<br />

Arbeit, wird somit nicht nur die endgültige Verherrlichung Gottes durch die gesamte<br />

Schöpfung, sondern in der Verwandlung der eucharistischen Gaben wird auch die<br />

Verwandlung der ganzen Welt am Ende der Zeiten vorweggefeiert.<br />

Auf diese universale und sozusagen kosmische Dimension der Eucharistie legt Papst Johannes<br />

Paul II. einen besonderen Akzent, wenn er betont: Selbst dann, wenn man die Eucharistie „auf<br />

dem kleinen Altar einer Dorfkirche feiert, wird die Eucharistie immer in einem gewissen Sinn<br />

auf dem Altar der Welt zelebriert. Sie verbindet Himmel und Erde. Sie umfasst und erfüllt alles<br />

Geschaffene.“ 38 Diese Dimension der Eucharistie dürfte zudem von keinem zweiten<br />

Glaubenszeugen so tief erfasst worden sein wie von Pierre Teilhard de Chardin. Denn seine<br />

theologisch-spirituelle Vision von der kosmischen „Eucharistisation“ entspringt der realen<br />

Erfahrung der kirchlichen Eucharistie und hat ihren eigentlichen „Sitz im Leben“ in der<br />

eucharistischen „Wandlung“ der natürlichen Materieelemente von Brot und Wein in den Leib<br />

36 W. Kasper, Einheit und Vielfalt der Aspekte der Eucharistie. Zur neuerlichen Diskussion um Grundgestalt und Grundsinn der<br />

Eucharistie, in: Ders., Theologie und Kirche (Mainz 1987) 300-320, zit. 309.<br />

37 Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 12.<br />

38 Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 8.<br />

11


und das Blut Jesu Christi. Genauerhin hat Teilhard de Chardin in der eucharistischen<br />

Wandlung die vorwegnehmende Feier der universalen Transsubstantiation des ganzen Kosmos<br />

in den ebenso universalen Leib Christi wahrgenommen. 39<br />

a) Das Geheimnis der Wesensverwandlung<br />

Mit dieser grossartigen Schau eröffnet sich ein neuer Zugang zu jenem Glaubensgeheimnis der<br />

Eucharistie, das im durchschnittlichen Bewusstsein der heute Glaubenden weithin in den<br />

Hintergrund getreten ist, das aber im Mittelpunkt der Lehrentscheidungen der Kirche steht und<br />

das als Geheimnis der Transsubstantiation beschrieben wird. In diesem Sinn hat das Konzil<br />

von Trient im Jahre 1551 definiert: Weil „Christus, unser Erlöser, sagte, das, was er unter der<br />

Gestalt des Brotes darbrachte..., sei wahrhaft sein Leib, deshalb hat in der Kirche Gottes stets<br />

die Überzeugung geherrscht, und dieses heilige Konzil erklärt es jetzt von neuem: Durch die<br />

Konsekration des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der ganzen Substanz des<br />

Brotes in die Substanz des Leibes Christi, und der ganzen Substanz des Weines in die Substanz<br />

seines Blutes. Diese Wandlung wurde von der heiligen katholischen Kirche treffend und im<br />

eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt.“ 40<br />

Transsubstantiation ist in der Tat ein schwieriges Wort, nicht nur wegen der Fremdheit der<br />

Sprache, sondern auch wegen des damit Gemeinten, zumal in einer Zeit wie der heutigen, in<br />

der die Menschen oft nur noch in Funktionen denken und leben können, bis dahin, dass der<br />

Mensch selbst nach seinem Funktionswert eingestuft wird. Gerade in dieser Zeit muss die<br />

Kirche mit dem Sakrament der Eucharistie bekennen, dass sie aus dem rein Funktionalen<br />

hinausführt und den Grund der Wirklichkeit berührt. Eben deshalb ist das, was in der<br />

Eucharistie geschieht, nicht Umfunktionierung, sondern wirkliche Umwandlung, die die<br />

kirchliche Tradition Umsubstanziierung nennt. Denn mit dem Wort „Substanz“ hat die Kirche<br />

gerade die oberflächliche Einstellung in Frage gestellt, die sich vor allem an das Greifbare,<br />

Messbare und Funktionale hält.<br />

Diese Sicht der „Transsubstantiation“ als Wort für das Geheimnis der leiblichen Gegenwart<br />

Jesu Christi in der Eucharistie ist freilich nur verständlich auf dem Hintergrund der im<br />

Mittelalter üblich gewordenen philosophischen Unterscheidung zwischen der Substanz und<br />

den Akzidentien. Die letzteren sind die konkret und empirisch fass- und greifbaren Realitäten<br />

wie Brot und Wein. Die Substanz hingegen ist das der konkreten empirischen Realität<br />

unsichtbar zugrundeliegende eigentliche Wesen dieser Wirklichkeit. Das Konzil von Trient<br />

wollte deshalb zum Ausdruck bringen, dass in der Feier der Eucharistie das eigentliche Wesen<br />

von Brot und Wein in die Substanz von Leib und Blut Jesu Christi verwandelt wird, während<br />

die Akzidentien von Brot und Wein bleiben. Dabei ist es der auferstandene Christus selbst, der<br />

sich der Elemente von Brot und Wein bemächtigt, um sie gleichsam aus den Angeln ihres<br />

gewöhnlichen Seins in eine neue Seinsordnung hinein zu heben. Auch wenn Brot und Wein<br />

rein physikalisch Brot und Wein bleiben, sind sie doch zutiefst etwas anderes geworden,<br />

nämlich wirksame Zeichen für den Leib und das Blut Christi.<br />

Im naturphilosophischen Denken des Mittelalters war die Lehre der Transsubstantiation<br />

wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, um das Geheimnis der eucharistischen Gegenwart<br />

Jesu Christi denkerisch zum Ausdruck zu bringen. 41 Heute hingegen erweckt dieses Wort<br />

39<br />

Vgl. E. Benz, Schöpfungsglaube und Endzeiterwartung (München 1965), bes. 243ff.<br />

40<br />

DH 1642.<br />

41<br />

Vgl. E. Schillebeeckx, Die eucharistische Gegenwart. Zur Diskussion über die Realpräsenz (Düsseldorf 1968).<br />

12


leicht den Eindruck, Christus sei in den eucharistischen Gaben gegenwärtig wie eine naturale<br />

Sache. Der auferstandene Christus ist in der Eucharistie aber auf eine personale Weise und in<br />

der Beziehung zu Personen gegenwärtig. Bereits Paulus bezeichnet die Eucharistie als<br />

„???????.????i/????“ (1 Kor 11. 20), als ein Mahl, das zum Herrn gehört und von ihm<br />

ausgeht, und er bringt damit die Glaubensüberzeugung zum Ausdruck, dass die christliche<br />

Gemeinde in der eucharistischen Feier ihren auferweckten und erhöhten Herrn personal<br />

gegenwärtig erfährt. 42 In der Eucharistie feiern wir deshalb die personale Begegnung der<br />

christlichen Gemeinde mit ihrem Herrn. Zusammen mit seiner Person wird in der Eucharistie<br />

auch sein in Tod und Auferstehung kulminierendes Erlösungsgeschehen gegenwärtig. In<br />

diesem grösseren Zusammenhang sind die Elemente von Brot und Wein die realisierenden<br />

Zeichen der personalen Gegenwart Jesu Christi und der sakramentalen Vergegenwärtigung des<br />

Heilsgeschehens.<br />

Christus ist somit in der Eucharistie anwesend seinem wesentlichen Selbstsein nach, in das er<br />

die ganze Schöpfung mit einbezieht, und zwar dadurch, dass er Brot und Wein zu Zeichen<br />

seines Gegenwärtigseins umwandelt. Anwesend ist dabei „seine durch das Kreuz hindurchgegangene<br />

Liebe, in der Er sich selbst (die seiner selbst): Sein von Tod und Auferstehung<br />

geprägtes Du als heilschaffende Wirklichkeit uns gewährt“ 43 . Mit diesen Worten hat<br />

Kardinal Joseph Ratzinger die bleibende Wahrheit der leiblichen Gegenwart Jesu Christi in<br />

der Eucharistie, nämlich der Gegenwart von Leib und Blut des Gekreuzigten und Auferweckten<br />

in den Elementen von Brot und Wein, zum Ausdruck gebracht. Diese Wahrheit kann nicht zur<br />

Disposition stehen, wenn wir den herausfordernden Realismus ernst nehmen, der uns vor allem<br />

in den Reden des johanneischen Christus über das Himmelsbrot begegnet. Jesus stellt sich<br />

selbst als Brot des Lebens vor, das ewiges Leben nicht nur verheisst, sondern auch schenkt.<br />

Die Eucharistie ist wirklich, wie die Kirchenväter zu sagen pflegten, „?????????<br />

avv??????? ?“, Heilmittel der Unsterblichkeit. Und Jesus verheisst, dass das Essen und<br />

Trinken seines Leibes und seines Blutes uns am Tiefsten mit ihm verbindet: „Mein Fleisch ist<br />

wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein<br />

Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm“ (Joh 6. 55-56).<br />

b) Kommunion und eucharistische Verehrung<br />

Vom Geheimnis der leiblichen Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie her erschliesst sich<br />

auch die katholische Grundüberzeugung von der bleibenden Dauer der eucharistischen<br />

Gegenwart Jesu Christi über den Abschluss der liturgischen Feier der Eucharistie hinaus:<br />

Christus schenkt sich in der Eucharistie seiner Kirche dadurch, dass seine Gegenwart in den<br />

Gaben von Brot und Wein eine konkret sinnliche Gestalt findet. Dann aber ist prinzipiell nicht<br />

einzusehen, warum seine Gegenwart nicht genau so lange bleibt, wie die Kirche lebt. Die<br />

sakramentale Vergegenwärtigung Jesu Christi ereignet sich nicht „bloss“ um einer liturgischen<br />

Feier willen, sondern primär für die Kirche. Deshalb wird die Kirche, solange sie lebt und<br />

glaubt, von Christus auch weiterhin begleitet in der Konkretheit und Leibhaftigkeit, die seine<br />

Begleitung in den eucharistischen Gaben angenommen hat. In diesen eucharistischen Gaben<br />

lebt die Eucharistie gleichsam kristallisiert weiter, selbst wenn die Liturgie als Vorgang<br />

abgeschlossen ist.<br />

42 Vgl. H.-J. Klauck, Präsenz im Herrenmahl. 1 Kor 11. 23-26 im Kontext hellenistischer Religionsgeschichte, in: Ders., Gemeinde, Amt,<br />

Sakrament. Neutestamentliche Perspektiven (Würzburg 1989) 313-330. Vgl. ferner Ders., Herrenmahl und hellenistischer Kult. Eine<br />

religionsgeschichtliche Untersuchung zum ersten Korintherbrief (Münster 1986).<br />

43 J. Ratzinger, Das Problem der Transsubstantiation und die Frage nach dem Sinn der Eucharistie, in: Tübinger Theologische<br />

Quartalschrift 147 (1967) 129-158, zit. 153-154.<br />

13


Von daher kann es, wie heute gerne unterstellt wird, keine Konkurrenz zwischen Kommunion<br />

in der Eucharistie und eucharistischer Verehrung geben. Beide fordern und fördern sich<br />

vielmehr wechselseitig. Die Kommunion selbst will über sich hinausreichen: einerseits in die<br />

alltägliche Kommunikation der Christen und Christinnen untereinander und anderseits in die<br />

persönliche Kommunikation des einzelnen Christen und der Christin mit Christus, die ihren<br />

Höhepunkt in der Anbetung findet. Nur in diesem Klima der Anbetung kann die Feier der<br />

Eucharistie ihre Grösse und Kraft erhalten.<br />

Die eucharistische Anbetung verlebendigt und praktiziert damit die erzchristliche Glaubensüberzeugung,<br />

dass Christus seiner Kirche treu bleibt „bis zum Ende der Welt“ (Mt 28. 20). In<br />

ihrer unscheinbaren und doch gewichtigen Gestalt weist die Anbetung deshalb über das jetzige<br />

irdische Leben voraus auf das ewige Leben, in dem die Anbetung nicht mehr bloss eine Oase<br />

der Ewigkeit mitten in der Zeit, sondern bleibende Gegenwart sein wird, weil dann Gott<br />

„weder auf dem Berg noch in Jerusalem“, sondern für alle Ewigkeit „im Geist und in der<br />

Wahrheit angebetet“ (Joh 4. 23) werden wird. Denn ewiges Leben ist im Kern Verweilen in<br />

der dankbaren Anbetung des absoluten Geheimnisses Gottes. Insofern erweist sich die Praxis<br />

der eucharistischen Anbetung auch als eine lebendige Vorerfahrung der ewigen Vollendung<br />

mitten in der Zeit und deshalb als Lebenselixier der christlichen Kirche als des in der<br />

Geschichte wandernden Volkes Gottes, das vom „Aufgang der Sonne bis zum Untergang das<br />

reine Opfer darbringt“.<br />

In der Eucharistie geht die Verheissung des Propheten Maleachi in der Tat in Erfüllung, wie<br />

dies bereits Justin betont hat. Denn in der Eulogie der Eucharistie geben wir Gott alles, was er<br />

uns schenkt, zurück und nehmen in diesen Lobpreis auch die ganze Schöpfung hinein. Wie<br />

Christus sich in der Eucharistie der Materieelemente von Brot und Wein bedient, um uns seine<br />

leibliche Gegenwart zu schenken, so bringen wir in der Eucharistie die ganze Schöpfung vor<br />

Gott in der Hoffnung auf die endgültige Transsubstantiation und Eucharistisation des ganzen<br />

Kosmos. In diesem universal-kosmischen Horizont dürfen wir Eucharistie feiern und unseren<br />

eucharistischen Glauben zum Ausdruck bringen mit den Worten des Dritten Hochgebetes:<br />

„Durch Deinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus und in der Kraft des Heiligen Geistes<br />

erfüllst du die ganze Schöpfung mit Leben und Gnade. Bis ans Ende der Zeiten versammelst<br />

du dir ein Volk, damit deinem Namen das reine Opfer dargebracht werde vom Aufgang der<br />

Sonne bis zum Untergang“.<br />

7. Eucharistisches Geheimnis der Wandlung<br />

Von daher lässt sich das Wesen der Eucharistie zusammenfassend als Wandlung beschreiben.<br />

Wandlung ist nicht nur in der menschlichen und menschheitlichen Erfahrung ein Urwort,<br />

sondern das Wissen um Wandlung in dem Sinn, dass Neues wird, gehört auch zu den<br />

Urgegebenheiten des eucharistischen Glaubens. Das Wort „Wandlung“ kann deshalb am<br />

deutlichsten verdichten, um was es in der Eucharistie geht und was mit ihr auf dem Spiel steht.<br />

In der Eucharistie vollzieht sich dabei Wandlung in einem sechsfachen Sinn. 44<br />

a) Wandlung des Todes in Liebe<br />

Die grundlegende Wandlung, auf der alle anderen aufruhen, ist die Wandlung des Todes in<br />

Liebe. Der Kreuzestod Jesu ist an sich und von aussen betrachtet ein profanes Ereignis,<br />

44 Vgl. J. Cardinal Ratzinger, Eucharistie – Communio – Solidarität: Christus gegenwärtig und wirksam im Sakrament, in: Ders.,<br />

Unterwegs zu Jesus Christus (Augsburg 2003) 109-130, bes. 126-130.<br />

14


nämlich die Hinrichtung eines Menschen in der grausamsten der von Menschen ersonnenen<br />

Arten. Doch die biblische Tradition ist überzeugt, dass Jesus diese erbärmliche Gewalttat der<br />

Menschen gegen ihn in einen Akt der Hingabe für die Menschen, in einen Akt der Liebe umgewandelt<br />

hat, und zwar von innen her. Der grausame Akt des Tötens und des Todes wird in<br />

Liebe für die anderen umgewandelt. Indem die biblische Tradition – vor allem Paulus<br />

(Röm 3. 21- 31) - den Kreuzestod Jesu mit kultischen Kategorien interpretiert, versteht sie ihn<br />

als kosmische Liturgie, genauerhin Christus als ?`?????????, als eigentlichen Sühneort, der<br />

die Gewalt der Menschen in einem Akt der Liebe von innen her besiegt und damit den Tod<br />

selbst umgewandelt hat, so dass sich die Liebe als stärker erweist denn der Tod. In Aufnahme<br />

einer grundlegenden jüdischen Tradition kann man im Kreuzestod Jesu die Vollendung des<br />

Versöhnungsfestes, gleichsam den endgültigen, bleibenden und personifizierten Yom Kippur<br />

wahrnehmen. 45<br />

Indem in den Einsetzungsworten Jesu beim Letzten Abendmahl nicht einfach vom Leib und<br />

vom Blut die Rede ist, sondern bewusst vom Leib gesprochen wird, der für euch hingegeben<br />

wird, und vom Blut, das für euch vergossen wird, ist die biblische Tradition ebenso überzeugt,<br />

dass Jesus im Letzten Abendmahl seinen Tod vorausvollzogen und in ein Geschehen der<br />

Hingabe und der Liebe von innen her umgewandelt hat. Dass die Einsetzung der Eucharistie<br />

Vorwegnahme des Todes und geistiger Vorwegvollzug des Kreuzes ist, ist auch der tiefere<br />

Sinn der Erzählung von der Fusswaschung, die im Johannes-Evangelium an der Stelle des<br />

Berichts vom Letzten Abendmahl steht. Indem Jesus die Gewänder der Herrlichkeit ablegt und<br />

den Sklavendienst der Fusswaschung vollzieht, lebt er jene Proexistenz, die am Kreuz ihren<br />

Höhepunkt erreicht und die im Letzten Abendmahl bereits vorausgenommen wird. Denn beides<br />

gehört hier unlösbar zusammen: Ohne den Tod am Kreuz wären die Abendmahlsworte Jesu<br />

letztlich eine Währung ohne Deckung. Umgekehrt aber wäre ohne die Abendmahlsworte Jesu<br />

der Kreuzestod eine blosse Hinrichtung ohne erkennbaren Sinn. Dies gilt vollends für die<br />

heutige Feier der Eucharistie als der sakramentalen Vergegenwärtigung von Kreuz und<br />

Auferstehung Jesu Christi.<br />

Damit wird der Blick frei für die zweite Wandlung, nämlich die Wandlung von Tod zu<br />

Auferstehung, vom getöteten Leib Jesu zum auferstandenen Leib Christi. Der sterbliche Leib<br />

wird in den Auferstehungsleib umgewandelt, wie Paulus betont: War der erste Mensch lebende<br />

Seele, so ist der neue Adam, Christus, lebenspendender Geist (1 Kor 15. 45). Als der<br />

Auferstandene ist Christus vollends Hingabe, Mitteilung und Communio. Die Umwandlung<br />

von Tod zu Leben ist damit die innere Voraussetzung dafür, dass Jesus Christus in der Feier<br />

der Eucharistie als gegenwärtig erfahren wird.<br />

Erst in diesem grösseren Zusammenhang bekommt die dritte Wandlung ihren tiefen Gehalt,<br />

nämlich die Umwandlung der Gaben des Brotes und des Weines, die Schöpfungsgaben sind,<br />

so dass in diesen verwandelten Gaben der sich hingebende Christus, seine Hingabe und damit<br />

Er selbst gegenwärtig ist: Aus Erdenbrot wird Himmelsbrot. Unser Brot wird sein Leib, damit<br />

sein Leib unser Brot wird.<br />

Das verwandelte Brot und der verwandelte Wein, in denen sich uns der auferstandene Christus<br />

selbst gibt, verweisen aber von selbst auf die Wandlung von uns Menschen, die wir an der<br />

Eucharistie teilnehmen: „Die Verwandlung der Gaben, die nur die grundlegenden<br />

Verwandlungen von Kreuz und Auferstehung fortsetzt, ist nicht der Schlusspunkt, sondern<br />

45 Vgl. K. Koch, Durch-kreuz-ter Glaube. Das Kreuz Jesu Christi als Kerngeheimnis christlicher Theologie, in: L. Mödl (Hrsg.), Ein<br />

sperriges Zeichen. Praktisch-theologische Überlegungen zur Theologie des Kreuzes (München 1997) 12-51.<br />

15


ihrerseits ein Anfang. Das Ziel der Eucharistie ist die Verwandlung der Empfänger in der<br />

wahren Communio mit seiner Verwandlung.“ 46 Da das Ziel der Verwandlung der Friede in der<br />

Communio mit Christus und der Communio untereinander ist, wird nochmals verständlich,<br />

dass die Eucharistie einfach „Pax“ heissen kann.<br />

b) Wandlung der Kirche in den Leib Christi<br />

Damit tritt viertens die Wandlung der Kirche in den Leib Christi ans Tageslicht. Damit scheint<br />

die innere Verbindung von Eucharistie und Kirche auf, die Paulus so eindringlich<br />

herausgestellt hat. Er hat für den engen Zusammenhang von Eucharistie und Kirche einen<br />

prägnanten Ausdruck gefunden, wenn er das Wort „Leib Christi“ sowohl für den eucharistischen<br />

Leib Christi als auch für die kirchliche Gemeinschaft verwendet: „Ist der Kelch des<br />

Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir<br />

brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn<br />

wir alle haben Teil an dem einen Brot“ (1 Kor 10. 16-17).<br />

Wie wichtig Paulus der unlösbare Zusammenhang zwischen Eucharistie und Kirche ist, wird<br />

an seinem Vorgehen deutlich, dass er – im Unterschied zu allen anderen neutestamentlichen<br />

Abendmahlstraditionen – Brot- und Kelchwort umstellt, genauerhin das Kelchwort dem<br />

Brotwort voranstellt. Der Grund für dieses eigenwillige Verfahren liegt darin, dass Paulus auf<br />

diesem Weg den Zusammenhang zwischen Eucharistie und Kirche besser verdeutlichen kann.<br />

Unmittelbar wechselt Paulus vom „Leib Christi“, der uns als eucharistisches Brot geschenkt<br />

wird, über zum „Leib Christi“, der die Kirche ist. Paulus macht so verständlich, dass der<br />

Aufbau der Kirche durch die Eucharistie geschieht und dass die Einheit der vielen Glaubenden<br />

in der einen Kirche von dem einen eucharistischen Brot und damit von dem einen Christus<br />

herkommt. Diesen unlösbaren Lebenszusammenhang zwischen der Teilhabe am<br />

eucharistischen Leib Christi und dem Leben der Kirche als Leib Christi hat später der Heilige<br />

Augustinus auf die schöne Kurzformel gebracht: „Wenn ihr selbst also Leib Christi und seine<br />

Glieder seid, dann liegt auf dem eucharistischen Tisch euer eigenes Geheimnis... Ihr sollt sein,<br />

was ihr seht, und sollt empfangen, was ihr seid.“ 47<br />

In der Eucharistie empfangen wir den Leib des Herrn und werden zu seinem Leib<br />

umgewandelt. Der Leib des Herrn, der die Kirche ist, wird in der Eucharistie aufgebaut, ja die<br />

Kirche ist in ihrem tiefsten Wesen Eucharistie. 48 Von daher hat es seinen guten Sinn, dass der<br />

gängige Ausdruck für den Empfang der Eucharistie in der römisch-katholischen Tradition<br />

„Kommunion“ heisst. Denn Kirche entsteht und besteht dadurch, dass Christus sich Menschen<br />

kommuniziert, in Kommunion mit ihnen tritt und sie so zur Kommunion miteinander bringt.<br />

Die eucharistische Communio ist deshalb nicht nur personal als Anteilhabe der Glaubenden<br />

am auferstandenen Christus zu verstehen und zu vollziehen, sondern auch ekklesial als<br />

Gemeinschaft der Glaubenden untereinander in Christus: Der „Leib Christi“ als eucharistische<br />

Nahrung und der „Leib Christi“ als kirchliche Gemeinschaft unter den Glaubenden und<br />

Getauften bilden ein einziges Sakrament. 49<br />

46 J. Cardinal Ratzinger, a.a.O. (Anm. 44) 129.<br />

47 Augustinus, Sermo 272.<br />

48 Vgl. K. Koch, Eucharistie als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens. Theologische Besinnung auf die vielfältige Gegenwart<br />

Jesu Christi im eucharistischen Mysterium, in: Ders., Leben erspüren – Glauben feiern. Sakramente und Liturgie in unserer Zeit (Freiburg i.<br />

Br. 1999) 191-228.<br />

49 Vgl. Th. Schneider, Deinen Tod verkünden wir. Gesammelte Studien zum erneuerten Eucharistieverständnis (Düsseldorf 1980).<br />

16


Weil es nur einen Christus und deshalb nur einen Leib Christi gibt, wird die Eucharistie zwar<br />

am jeweiligen Ort gefeiert und ist doch immer zugleich universal. 50 Denn die Eucharistie<br />

entsteht nicht aus der lokalen Kirche heraus und kann auch nicht in ihr enden. Wenn Christus<br />

in der Eucharistie uns seinen Leib schenkt und uns so zu seinem Leib gestaltet, so bedeutet die<br />

Feier der Eucharistie für jede Ortskirche ihre Einbeziehung in den einen Christus und damit<br />

das Einswerden aller Kommunizierenden in der universalen Communio der Kirche, die sogar<br />

Lebende und Tote verbindet und Gegenwart auf Zukunft hin öffnet. Dies kommt liturgisch<br />

darin zum Ausdruck, dass die Eucharistie einerseits in der Gemeinschaft mit den Heiligen und<br />

mit den Toten gefeiert wird, und dass sie auf der anderen Seite nur in der apostolischen<br />

Tradition möglich ist. Die Erwähnung des jeweiligen Ortsbischofs und des Papstes als des<br />

Bischofs von Rom im eucharistischen Hochgebet stehen deshalb dafür, dass wahrhaft die eine<br />

Eucharistie Jesu Christi gefeiert wird, die zu empfangen nur in der einen Kirche möglich ist.<br />

Diese liturgische Praxis ist „Ausdruck der communio, innerhalb derer die einzelne<br />

eucharistische Feier von ihrem innersten Wesen her sinnvoll ist“ 51 , und sie ruft in die<br />

Erinnerung, dass man die Eucharistie nur mit dem einen Christus und folglich mit der ganzen<br />

Kirche oder dass man sie überhaupt nicht feiern kann.<br />

Von diesem unlösbaren Zusammenhang von eucharistischer und kirchlicher Spiritualität her<br />

erschliesst sich auch die katholische Sicht des drängenden ökumenischen Problems der<br />

eucharistischen Gemeinschaft, die ich freilich nur noch kurz ansprechen kann. 52 Da die<br />

Eucharistie das Band der kirchlichen Gemeinschaft sowohl in der unsichtbaren Dimension des<br />

Lebens in der Gnade als auch in der sichtbaren Dimension in der Gemeinschaft in der Lehre<br />

der Apostel, in den Sakramenten und in der Ordnung der Ämter ist, kann es in katholischer<br />

Sicht prinzipiell keine Eucharistiegemeinschaft ohne Kirchengemeinschaft geben. Die Nicht-<br />

Möglichkeit einer ökumenischen „Interkommunion“, die in sich bereits ein problematisches<br />

Wort ist, ergibt sich deshalb nicht, wie die katholische Sicht heute gerne beurteilt wird, aus<br />

einer antiökumenischen Haltung oder aus einer konfessionalistischen Rechthaberei, sondern<br />

aus dem Ernstnehmen des Zeugnisses bereits der frühen Kirche, dass Glaubensgemeinschaft,<br />

Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft nicht voneinander getrennt werden können:<br />

„Kirche ist nicht primär Zusammenschluss von Menschen gleichen Glaubens, sondern sie ist<br />

sakramentale Stiftung, sie entstand im Abendmahlssaal und sie verwirklicht sich in jeder<br />

Eucharistiefeier.“ 53 Es ist genau diese kirchliche Dimension der Eucharistie, die vor allem in<br />

der Ökumene zwischen der katholischen Kirche und den kirchlichen Gemeinschaften der<br />

Reformation nachwievor sehr unterschiedlich gesehen wird. Deshalb drängt sich in der<br />

ökumenischen Diskussion in erster Linie eine Klärung des Verständnisses der Kirche und ihrer<br />

Einheit und des Verhältnisses von Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft auf. 54<br />

50 Vgl. K. Koch, Die Kirche: Eine Gemeinschaft aus vielen Völkern, in: migratio (Hrsg.), Eine Kirche für alle aufbauen. Zur Zukunft der<br />

Fremdsprachigenseelsorge in der Schweiz (Luzern 2001) 3-36.<br />

51 W. Kasper, Einheit und Vielfalt der Aspekte der Eucharistie. Zur neuerlichen Diskussion um Grundgestalt und Grundsinn der<br />

Eucharistie, in: Ders., Theologie und Kirche (Mainz 1987) 300-320, zit. 316.<br />

52 Vgl. K. Koch, Geeint im Glauben – getrennt am Tisch? Überlegungen zum ökumenischen Problem der eucharistischen Gemeinschaft,<br />

in: Ders., Gelähmte Ökumene. Was jetzt zu tun ist (Freiburg i. Br. 1991) 213-237; Ders., Eucharistie und Kirche in ökumenischer<br />

Perspektive, in: Schweizerische Kirchenzeitung 171 (2003) 619-631 und 640-649.<br />

53 P. Neuner – B. Kleinschwärzer-Meister, Ein neues Miteinander der christlichen Kirchen. Auf dem Weg zum Ökumenischen Kirchentag<br />

in Berlin 2003, in: Stimmen der Zeit 221 (2003) 363-375, zit. 373.<br />

54 Vgl. W. Kasper, Kircheneinheit und Kirchengemeinschaft in katholischer Perspektive, in: K. Hillenbrand / H. Niederschlag (Hrsg.),<br />

Glaube und Gemeinschaft. Festschrift für Bischof Paul-Werner Scheele (Würzburg 2000) 100-117; Ders., Ein Herr, ein Glaube, eine<br />

Taufe. Ökumenische Perspektiven der Zukunft, in: KNA vom 27. November 2001. Dokumentation; Ders., Communio – Leitbegriff<br />

katholischer ökumenischer Theologie, in: Catholica 56 (2002) 243-262; K. Lehmann, Einheit der Kirche und Gemeinschaft im<br />

Herrenmahl. Zur neueren ökumenischen Diskussion um Eucharistie- und Kirchengemeinschaft, in: Th. Söding (Hrsg.), Eucharistie.<br />

Positionen katholischer Theologie (Regensburg 2002) 141-177. Vgl. ferner K. Koch, Kirchengemeinschaft oder Einheit der Kirche? Zum<br />

Ringen um eine angemessene Zielvorstellung der Ökumene, in: P. Walter, K. Krämer, G. Augustin (Hrsg.), Kirche in ökumenischer<br />

Perspektive. Kardinal Walter Kasper zum 70. Geburtstag (Freiburg i. Br. 2003) 135-162.<br />

17


Mit dieser angesichts der Differenziertheit des Problems allzu kurzen Darlegung über den<br />

Zusammenhang von Eucharistie und Kirche öffnet sich auch der Blick auf die fünfte<br />

Wandlung, um die es im Sakrament der Eucharistie geht. Durch die in der Eucharistie<br />

verwandelten Menschen, die zu einem Leib werden, soll die ganze Schöpfung verwandelt<br />

werden. Da die wirksame Ansage des Todes Jesu Christi in der Eucharistie, wie Paulus<br />

hervorhebt, geschieht, „bis er kommt“ (1 Kor 11. 26), wird in der Eucharistie die Parusie<br />

Christi vorweggefeiert und zugleich die Hoffnung der Kirche auf die Wiederkunft Christi am<br />

Ende der Zeiten und auf die endgültige Verwandlung der Schöpfung in die „neue <strong>Stadt</strong>“ und<br />

damit in den lebendigen Wohnort Gottes, in dem Gott alles in allem sein wird, geweckt und<br />

gestärkt. 55 Die Eucharistie ist so das wahre „Viaticum“ für die Kirche als das in der Geschichte<br />

wandernde Volk Gottes – unterwegs zu seiner wahren Vollendung im verheissenen Reiche<br />

Gottes, in die auch die ganze Schöpfung einbezogen sein wird.<br />

c) Wandlung des christlichen Lebens<br />

Die Eucharistie erweist sich als ein Prozess von Verwandlungen, deren sechste und<br />

glaubensexistenziell am meisten herausfordernde zweifellos die Umgestaltung des Lebens der<br />

Menschen ist, die Eucharistie feiern. Diese Verwandlung des Empfängers der Eucharistie<br />

kommt in einer schönen Weise zum Ausdruck in einer Vision, die der heilige Augustinus noch<br />

vor seiner Bekehrung hatte. In dieser Vision sagt eine Stimme zu ihm: „Ich bin das Brot der<br />

Starken, iss mich! Doch nicht Du wirst mich in Dich verwandeln, sondern ich werde Dich in<br />

mich verwandeln.“ 56 Damit wird der grundlegende Unterschied zwischen der alltäglichen<br />

Speise und der eucharistischen Speise deutlich. Während beim gewöhnlichen Essen der<br />

Mensch der Stärkere ist, indem er die Speisen in sich aufnimmt und sie in seinem Körper<br />

assimiliert werden, so dass sie Teil seiner eigenen Substanz werden, ist bei der eucharistischen<br />

Speise Christus der Stärkere, und zwar dadurch, dass wir in ihn hinein assimiliert werden und<br />

wir eins werden mit ihm und untereinander und unser Leben aus der Eucharistie heraus<br />

gestalten, so dass unser ganzes Leben selbst, wie Franz von Assisi einmal sagt, zu einem<br />

eucharistischen Hochgebet werden kann.<br />

Von daher kann es nicht erstaunen, dass die biblische Tradition kultisch-liturgische Sprache<br />

auch und gerade auf das christliche Leben im Alltag anwendet und umgekehrt die Sendung der<br />

Christen in der Welt als Frucht der Eucharistie betrachtet. 57 Nicht nur versteht Paulus seinen<br />

apostolischen Dienst der Glaubensverkündigung als eine priesterliche Handlung, nämlich als<br />

Vollzug der von Christus begründeten neuen Liturgie, wenn er bekennt, er habe den Brief an<br />

die Römer geschrieben, „damit ich als Liturge Jesu Christi für die Heiden wirke und das<br />

Evangelium Gottes wie ein Priester verwalte; denn die Heiden sollen eine Opfergabe werden,<br />

die Gott gefällt, geheiligt im heiligen Geist“ (Röm 15. 16). Paulus versteht vielmehr auch das<br />

christliche Leben der Getauften und der Gemeinden als ??????.???????,? , als logosgemässen<br />

Gottesdienst, wenn er die Römer mahnt, sie sollen ihre Leiber und damit sich selbst „als<br />

lebendiges und heiliges Opfer darbringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und<br />

angemessene Gottesdienst“ (Röm 12. 1). Im Unterschied zum äusseren Opferdienst mit Tieren<br />

und Sachen besteht dieses wahre Opfer für Gott wiederum im Wort der Lobpreisung und<br />

Anbetung Gottes.<br />

55 Vgl. E. Keller, Eucharistie und Parusie. Liturgie- und theologiegeschichtliche Untersuchungen zur eschatologischen Dimension der<br />

Eucharistie anhand ausgewählter Zeugnisse aus frühchristlicher und patristischer Zeit (Freiburg/Schweiz 1989); G. Wainwright, Eucharist<br />

and Eschatology (New York 1981).<br />

56 Augustinus, Confessiones VII, 10, 16.<br />

57 Vgl. J. Cardinal Ratzinger, Eucharistie und Mission, in: Ders., Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio (Augsburg 2002)<br />

79-106.<br />

18


Damit bringt Paulus unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Feier der Eucharistie ihr Ziel<br />

darin findet, dass die Teilnehmenden an der Eucharistie in den auferstandenen Christus hinein<br />

assimiliert werden, durch diesen Umschmelzungsprozess auch untereinander zu einer geschwisterlichen<br />

Gemeinschaft werden und dadurch ihre Sendung in der Welt wahrnehmen.<br />

Dass das christliche Leben selbst Eucharistie werden will, dies hat Papst Johannes Paul II. in<br />

seiner Enzyklika über die „Eucharistie in ihrem Verhältnis zur Kirche“ mit diesen Worten ausgedrückt:<br />

„Den Tod des Herrn verkünden, ( 1 Kor 11. 26), bringt für alle<br />

Christen, die an der Eucharistie teilnehmen, die Verpflichtung mit sich, das Leben zu<br />

, damit es in gewisser Weise ganz werde.“ 58 Von daher beginnt<br />

man zu erahnen, dass die Eucharistie nicht nur Quelle und Höhepunkt, sondern auch die<br />

Herzmitte des christlichen und kirchlichen Lebens ist und dass dieses Herz Liebe heisst. Nur<br />

wenn dieses Herz Herz bleibt, können auch die anderen Organe des Leibes Christi leben. Nur<br />

so ist die Eucharistie wirklich Feier der Kirche.<br />

58 Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 20.<br />

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