sanu future learning ag Wohnumfeld ist also auch raum- und verkehrsplanerisch gesehen ein wichtiges Instrument, um Mobilität einschränken zu können. 5.4 Schwierige Umsetzung und Ausblick Die dokumentierten Beispiele machen deutlich, dass die Möglichkeiten zur Aufwertung von Wohnumfeldern grosser Immobilien mit Mietwohnungen sehr vielfältig sind. Ein in seiner Gesamtheit gut gestaltetes und funktionierendes Wohnumfeld setzt aber ein Gesamtkonzept und eine umsichtige Planung voraus. Kleinere Aufwertungen bestehender Flächen lassen sich hingegen bereits mit relativ einfachen Mitteln und tiefen Investitionen erzielen. Das Potenzial an Aufwertung bestehender Grünflächen im Wohnumfeld ist beträchtlich. Dass dieses Potenzial im Wohnumfeld bisher so wenig genutzt worden ist, kann daher erstaunen. Als Ursachen kommen verschiedene Aspekte in Frage: Wohnumfelder entstehen planerisch gesehen als Restprodukt der aufgrund von Baureglementen einzuhaltenden Grenzabstände. Sie werden in aller Regel nicht als Raum geplant. Geplant wird das Gebäude und dessen Einmittung in die Parzelle. Dies lässt Flächen entstehen, denen ursprünglich keine Funktion zugedacht wurde und nun Verbote Aneignung unterbinden, ausser dort, wo es um die Erschliessung und Parkplätzen geht. Gute Wohnumfelder entstehen dort, wo vom Konzept her der Raum bebaut wird, das Umfeld zur Funktion des Wohnens beiträgt und zur Aneignung durch die Bewohnerschaft einlädt und mit dem Gebäude in Kommunikation steht. Daher ist es dringend nötig, dass Entscheidungsträger sich bewusst werden, dass dem Wohnumfeld die entsprechende Funktion und Gewicht zu geben. Damit Wohnumfeld Lebensraum werden kann und nicht Abstandsfläche bleibt. Gute Wohnumfelder erkennt man an der Nutzungsintensität. Diese ist umso intensiver, je besser die angebotenen Strukturen den ästhetischen und funktionalen Bedürfnissen der Bewohnerschaft entsprechen. Um dies auch wirklich zu gewährleisten, muss die Mieterschaft an Konzeption und Gestaltung partizipieren können. Partizipative Planungsprozesse sind aber erfahrungsgemäss schwerfällig, aufwändiger und weniger vorhersehbar. Diese Schwierigkeiten werden gerne umgangen, indem Wohnumfelder konventionell und auf einfache Weise geplant werden. Zudem muss damit gerechnet werden, dass die Bedürfnisse der Mieterschaft mit der Zeit ändern können und damit auch die Ansprüche an das Wohnumfeld. Wo keine Nutzung stattfindet, kann auch kein Nutzungskonflikt entstehen. Das gilt auch für das Wohnumfeld. Das Risiko, potenzielle Nutzungskonflikte regeln zu müssen, ist mit ein Grund, wieso Eigentümer und Verwaltungen nutzungsfreie Rasenflächen einem qualitativ guten Wohnumfeld vorziehen. Um dem entgegen zu wirken, braucht es einerseits die Voraussetzung, dass die Verwaltung überzeugt ist, dass Aufenthaltsqualität im Wohnumfeld gefördert werden muss und andererseits können Nutzungskonflikte am besten durch partizipative Prozesse und regelmässige Mieterschaftsversammlungen entschärft werden. Der Zusatznutzen an erhöhter Lebensqualität, der mit einem Wohnumfeld erzielt werden kann, lässt sich nicht direkt in höheren Mieten oder Wertvermehrung- oder Erhaltung des Gebäudes ökonomisch aufrechnen. Es gibt zwar Hinweise darauf, dass die Mieterschaft bereit ist, einen höheren Mietzins für ein aufgewertetes Wohnumfeld zu akzeptieren (Vuilleumier 2008). Tatsache ist aber, dass der Mietwohnungsmarkt in der Schweiz nachfragegesteuert ist und es voraussichtlich auch weiterhin noch bleiben wird. So lange der Leerwohnungsbestand auf so tiefem Niveau liegt, lassen sich Wohnungen problemlos vermieten auch ohne zusätzliche Investition im Wohnumfeld. Allerdings stellen Branchenkenner eine gute Nachfrage nach attraktiven Wohnstrukturen fest. Es gibt also durchaus eine Mieterschaft, für die die Qualität des direkten Wohnumfeldes ein wichtiges Entscheidungskriterium darstellt. Die Vorteile, welche für den Vermieter durch ein gutes Wohnumfeld entstehen können, nämlich tiefere Fluktuationen, wenig Leerstand und weniger Vandalismus, lassen sich kaum nachweisen und fallen in der Gesamtrechnung vermutlich auch kaum ins Gewicht. Da für den Immobilienbesitzer ökonomisch kein direkter Nutzen für ein qualitativ gutes Wohnumfeld nachgewiesen werden kann, wird eine Veränderung in erster Linie über eine Bewusstseinsänderung der Entscheidungsträger (vgl. Kapitel 1.4) stattfinden müssen. Sie müssen überzeugt sein, dass es sich aus sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Gründen lohnt, die gängige Praxis zu ändern. So gesehen wird ein qualitativ gutes Wohnumfeld Teil einer nachhaltig ausgerichteten Immobilienbewirtschaftung. Wenn es um nachhaltige Entwicklung resp. gesamtgesellschaftliche Fragen geht, ist in erster Linie die öffentliche Hand angesprochen. Daher wäre es wünschenswert, dass auch das private Wohnumfeld Teil der kantonalen und kommunalen Server | GM12VI_Bericht_20.doc April 2012 36/43
sanu future learning ag Entwicklungsplanung wird. Das kann nur geschehen, wenn die Qualität des Wohnumfeldes quantifizierbar oder messbar gemacht werden kann. Vorstellbar ist ein System, das analog zum Minergie-Standard für Gebäude ein Qualitäts- Standard für bewegungs- und begegnungsfördernde und ökologische Wohnumfelder definiert. Bis es allerdings soweit ist, hoffen wir, dass die vorgestellten Beispiele die Entscheidungsträger anregen und motivieren, Wohnumfelder attraktiver zu gestalten. Der Einbezug der verschiedenen vorgestellten Perspektiven ermöglicht es, in Zukunft vermehrt solche Bilder in Wohnquartieren anzutreffen. Server | GM12VI_Bericht_20.doc April 2012 37/43