drama queen - Freunde der Wiener Staatsoper
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6<br />
Christoph Willibald Ritter von Gluck,<br />
1775<br />
Ein Ein „Hier wi<strong>der</strong>willig ist alles Natur, komponiertes ist alles Leidenschaft“<br />
Meisterwerk:<br />
I I vespri vespri sicliani<br />
„Ich las und las immer wie<strong>der</strong> Glucks<br />
Partituren, ich kopierte sie und lernte sie<br />
auswendig. Sie kosteten mich meinen<br />
Schlaf, ich vergaß zu trinken und zu essen.<br />
Ich war dem Wahnsinn nahe. Und als<br />
<strong>der</strong> Tag kam, an dem es mir nach langem<br />
Warten endlich gelang, ,Iphigénie<br />
en Tauride’ zu hören, leistete ich beim<br />
Verlassen <strong>der</strong> Oper einen Schwur, daß<br />
ich ein Musiker werden würde, trotz Vater,<br />
Mutter, Onkel, Tanten, Großeltern und<br />
<strong>Freunde</strong>n.“<br />
Der Autor, <strong>der</strong> hier in seinen Erinnerungen<br />
schwelgt, ist kein geringerer als Hector<br />
Berlioz. Schlägt man zudem dessen<br />
Traité d’Instrumentation auf, gilt das erste<br />
Notenbeispiel, dem man begegnet,<br />
Christoph Willibald Glucks Alceste.<br />
Wagners Werk wäre ohne Gluck ebenso<br />
undenkbar (er zählte wie Berlioz zu den<br />
Bewun<strong>der</strong>ern), bei Haydn finden sich<br />
sogar in <strong>der</strong> Musik Anspielungen (in <strong>der</strong><br />
G-Dur-Symphonie Le soir ist etwa eine<br />
Melodie aus Glucks Le diable à quatre<br />
zu hören), bei Mozart ebenso (<strong>der</strong> zweite<br />
Satz des Klavierkonzertes KV 449 basiert<br />
auf <strong>der</strong> Arie des Hymen aus Tetide,<br />
Anklänge an Alceste finden sich im Don<br />
Giovanni). Mozart saß zudem 1781,<br />
während gleichzeitig seine Entführung<br />
aus dem Serail entstand, wie<strong>der</strong>holt in<br />
Proben zu Glucks Iphigenie in Tauris<br />
(deutsche Fassung).<br />
Dennoch, kaum ein <strong>Wiener</strong> würde heute<br />
wohl Gluck anführen, ginge es darum,<br />
wichtige in Wien wirkende Komponisten<br />
(<strong>der</strong> letzten Jahrhun<strong>der</strong>te) zu nennen.<br />
Bei <strong>der</strong> Quizfrage, welche bedeutende<br />
Gluckoper direkt mit dem Leben von<br />
Kaiserin Maria Theresia verknüpft ist,<br />
wären wohl auch nur Opernexperten<br />
rasch mit Antworten parat. Und doch ist<br />
es genau diese Alceste, die Operngeschichte<br />
geschrieben hat, o<strong>der</strong> um genau<br />
zu sein, das Vorwort zur gedruckten<br />
Ausgabe (zwei Jahre nach <strong>der</strong> <strong>Wiener</strong><br />
Uraufführung erschienen), das eine <strong>der</strong><br />
bedeutendsten künstlerischen Grund -<br />
satzerklärungen des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
darstellt. Die wichtigste Kernaussage:<br />
Musik sollte <strong>der</strong> Handlungs<strong>drama</strong>turgie<br />
dienen und nicht virtuos gestricktes Sängerhilfsmittel<br />
sein.<br />
Dass Gluck eine „Opernreform“ be -<br />
trieb, gehört zum Allgemeinwissen, die<br />
Oper, in <strong>der</strong> Gluck seine wichtigsten Reformpostulate<br />
auch musikalisch umsetzte<br />
(zum zweiten Mal nach Orfeo ed Euridice),<br />
ist nahezu aus dem Gedächtnis verschwunden.<br />
An <strong>der</strong> <strong>Wiener</strong> <strong>Staatsoper</strong><br />
etwa (wo sie 1885 erstmals zu erleben<br />
war) ist sie seit dem Jahr 1957 nicht<br />
mehr gespielt worden. (...)<br />
Was jedoch führte Gluck von <strong>der</strong> Komposition<br />
barocker Seria-Opern zur großen,<br />
in ganz Europa beachteten Opernreform?<br />
Nicht nur bei Händel (und Glucks auf<br />
vielen Europa-Reisen gesammelten weiteren<br />
Anregungen), son<strong>der</strong>n insbeson -<br />
<strong>der</strong>e auch in Wien (und damit gleichzeitig<br />
in Frankreich) liegen wichtige Wurzeln:<br />
In <strong>der</strong> Reichshauptstadt war seit 1752<br />
regelmäßig französisches Theater zu erleben,<br />
neben Molière, Racine und<br />
Voltaire wurden auch die neuesten<br />
Opéras comiques und Ballette auf die<br />
Bühne gebracht. Gluck selbst war ab<br />
1755 als musikalischer Bearbeiter <strong>der</strong><br />
Opéra comique tätig und hatte - was die<br />
Umarbeitungen betraf - freie Hand. In<br />
den bearbeiteten Werken fand er Szenen<br />
mit Chor und Ballett, Tanzsätze, volksliedartige<br />
Airs o<strong>der</strong> Vaudeville-Formen<br />
vor (letztere hat noch Mozart im Entführung<br />
aus dem Serail-Finale aufgegriffen),<br />
auch französische Theaterästhetik war<br />
damit präsent. In Zusammenarbeit mit<br />
dem italienischen Dichter und Librettisten<br />
Ranieri Simone Francesco Maria de<br />
Calzabigi, <strong>der</strong> zuvor in Paris gewirkt<br />
hatte, brachte Gluck zudem das <strong>drama</strong>tische<br />
Ballett Don Juan ou Le Festin de<br />
Pierre auf die Bühne (Choreographie:<br />
Gasparo Angiolini, ein Gegenspieler<br />
Noverres), das wichtige Anregungen<br />
dieser Zeit erstmals in einem eigenen<br />
Werk aufgreift. Ein Jahr später sollte in<br />
<strong>der</strong> gleichen Konstellation Orfeo ed<br />
Euridice über die Bühne gehen, ein von<br />
Tragik geprägtes Werk wie „Alceste“<br />
und frei von verwickelter Handlung,<br />
Nebenpersonen, hochvirtuoser Gesangs-