04.10.2012 Aufrufe

reiseland.schweiz. - Basler Zeitung

reiseland.schweiz. - Basler Zeitung

reiseland.schweiz. - Basler Zeitung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

martin matter<br />

» höchste handwerkskunst,faszinierendeszusammenspiel<br />

von symbolbild<br />

und mechanischer bewegung:<br />

die anziehungskraft von paul gugelmanns<br />

poetischen maschinen<br />

ist ungebrochen. da ist nichts gealtert.<br />

am wenigsten der künstler<br />

selber.<br />

Vor uns summt und surrt es in<br />

dem Maschinchen, dann klingelt etwas<br />

leise, gefolgt von regelmässigem<br />

Klicken. Ein paar Meter weiter schlagen<br />

Hämmerchen an Glöckchen und<br />

Messingstäbe. Anderswo scheppert<br />

es vernehmlich: «Die Eitelkeit»<br />

macht sich bemerkbar. Daneben<br />

dreht und klopft oder zwitschert es.<br />

Beim Parterrefenster des kleinen<br />

Museums radelt «Der Verliebte» auf<br />

dem Seil, unter hörbarem Schall von<br />

Glocken­ und Metallstäben. Das Räderwerk<br />

im «Spiegel der Wahrheit»<br />

dreht sich unaufhaltsam und mit Geräusch.<br />

Andere Kunstwerke bewegen<br />

sich fast oder ganz geräuschlos.<br />

Bewegen aber tun sich alle. «Der Politiker»,<br />

dessen Mundwerk sich sichtbar<br />

auf und ab bewegt, setzt sich immer<br />

wieder eine andere Maske auf,<br />

ein anderes Gesicht. Eine Ratte nagt<br />

an seinem Stuhl, der Sturz scheint<br />

nicht weit zu sein. Eva lockt Adam<br />

erfolglos. Dann geschieht das Wunder:<br />

Als Eva ihr Feigenblatt entfernt,<br />

hebt sich Adams Feigenblatt, und er<br />

gibt nickend sein Ja. «Der Nasenbohrer»<br />

erhält eine Kopfnuss, sobald er<br />

den Finger in die Nase steckt; das<br />

Bohren nämlich soll ihm abgewöhnt<br />

werden.<br />

Der Fantasie sind keine Grenzen<br />

gesetzt. Und Paul Gugelmann, inzwischen<br />

77­jährig, ist kein bisschen<br />

müde. Im Gegenteil.<br />

poesie und zauber. Gegen 100000<br />

Besucher hat das kleine Museum im<br />

ehemaligenBally­DorfSchönenwerd<br />

seit seiner Eröffnung im Jahre 1995<br />

empfangen. Der Zustrom hält an.<br />

Fasziniert, amüsiert, nachdenklich<br />

stehen Jung und Alt vor diesen wunderbaren<br />

filigranen Gebilden und<br />

entdecken beim näheren Hinsehen<br />

immer wieder neue, überraschende<br />

Details. Ein eigentümlicher Zauber<br />

geht von den «Machines poétiques»<br />

aus, wie Paul Gugelmann seine Kreationen<br />

nennt. Unwiderstehlich, wie<br />

er auf hintergründig­verspielte Art<br />

über Gott und die Welt sinniert,<br />

Menschliches, Allzu­Menschliches<br />

karikiert, Widersprüche zwischen<br />

Sein und Schein aufdeckt: «Arche<br />

des Teufels», «Narrenschiff», «Monsterfalle»,<br />

«Geldwäscherei». Aber Gugelmann<br />

ist kein unbarmherziger<br />

Richter. Er öffnet uns augenzwinkernd<br />

die Augen, seine poetischen<br />

Maschinen verführen uns zur Wahrheit.<br />

Zeitkritik, Witz, liebenswürdighinterlistige<br />

Ermahnung, Spiegel,<br />

Satire, Gleichnis, Doppelbödigkeit:<br />

Von allem etwas steckt in diesen fantastischen<br />

Mikrokosmen.<br />

ewige themen. Beschreibungen<br />

und Interpretationen sind inzwischen<br />

in vier prächtigen Büchern<br />

über Paul Gugelmanns Werk ergangen.<br />

Er trägt sie mit der Gelassenheit<br />

eines Weisen. «Ich bin kein Weltverbesserer»,<br />

lächelt er, im Museum inmitten<br />

seiner Maschinen sitzend.<br />

Moralisieren liegt ihm fern. «Wohl<br />

gibt es zeitkritische Ansätze in meinen<br />

Sachen, aber ich stelle Themen<br />

dar, die es schon immer gegeben<br />

hat.» Den Missbrauch der Religion<br />

als Machtvehikel zum Beispiel. Oder<br />

Wichtigtuerei, Falschheit, Verschwendung.<br />

Gugelmanns Botschaften<br />

sind trotz des komplex scheinenden<br />

Zusammenspiels von Mechanik,<br />

Bewegung und Geräusch einfach<br />

und leicht verständlich.<br />

«Kinder und Narren sagen die<br />

Wahrheit», steht im jüngsten Buch<br />

über Paul Gugelmann*. Da ist etwas<br />

dran. Das Verspielte, ebenso den unverkrampften<br />

Zugang zu seinen Themen<br />

und zur Wahrheit hat er sich<br />

bewahrt. Seit fast einem halben<br />

Jahrhundert. Und der ehemalige<br />

Grafiker, Créateur und Schuhdesigner<br />

bei Bally bleibt in erster Linie der<br />

Ästhet, der er immer war: «Meine<br />

Maschinen müssen auch dann schön<br />

sein, wenn sie stillstehen.»<br />

ein <strong>schweiz</strong>er in paris. Der Erfolg<br />

ist Paul Gugelmann nicht in die Wiege<br />

gelegt worden. Mit sechs Geschwistern<br />

zusammen wuchs er in<br />

einfachen Verhältnissen und in einer<br />

engen Wohnung auf – im Wohngebäude<br />

an der Stiftskirche gleich gegenüber<br />

dem ehemaligen Schuppen,<br />

der heute das Museum beherbergt.<br />

Spielsachen waren in seiner Kindheit<br />

rar, der Erfindergeist der Kinder gefordert.<br />

Seine erste kreative Berufsphase<br />

verbrachte er als Bally­Schuhdesigner<br />

in Paris, wo er in jeder freien<br />

Minute malte, zeichnete, modellierte.<br />

Seine erste Kreation entstand<br />

1963 aus einer Spielzeug­Dampfmaschine,<br />

die er seinem Kind zum Geburtstag<br />

geschenkt hatte: Papa zerlegte<br />

das Ding, fügte allerhand Sachen<br />

aus den Pariser «Marchés aux<br />

puces» hinzu, und daraus wuchs die<br />

erste mobile Skulptur, mit Dampfantrieb.<br />

Sieben weitere dampfgetriebene<br />

Kreationen in Paris folgten, bis<br />

die Familie Ende der Sechzigerjahre<br />

wieder in die Schweiz zurückkehrte.<br />

Gugelmann blieb bis zu seiner Frühpensionierung<br />

1992 in Ballys Diensten<br />

und schuf eine fantasievolle<br />

Skulptur nach der andern. Gegen 80<br />

sind es bis heute, und es werden immer<br />

mehr.<br />

unverkäuflich. In zahlreichen<br />

Ausstellungen im In­ und Ausland<br />

stiessen die «Machines poétiques»<br />

auf Begeisterung, überall standen<br />

die Leute Schlange. An lukrativen<br />

Kaufangeboten aus aller Welt fehlte<br />

es nicht, doch Paul Gugelmann dachte<br />

nie ans Verkaufen. Bei Freunden,<br />

Bekannten und Fans vorab in der Gemeinde<br />

wuchs aber das Bedürfnis<br />

nach einer öffentlich zugängigen<br />

Bleibe. 1994 wurde der Grossteil der<br />

Maschinen in eine Stiftung eingebracht,<br />

und dank der Unterstützung<br />

von Gemeinde, zahlreichen Sponsoren<br />

und noch zahlreicheren fleissigen<br />

Händen entstand das Museum<br />

in Schönenwerd.<br />

Bei Führungen stellt Paul Gugelmann<br />

seine Schöpfungen immer<br />

wieder selber vor. Gegen 50 Freiwillige<br />

aus der Region kümmern sich<br />

heute um all die Führungen, ein Förderverein<br />

sorgt für Betrieb und Unterhalt.<br />

Der Künstler selber macht<br />

baz | 18. april 2008 | seite 13<br />

kind, narr, (gugel-)mann<br />

schönenwerd. die «machines poétiques» begeistern ein wachsendes publikum<br />

fehlkonstruktion i. nur scheinbar<br />

tickt dieser Organismus richtig.<br />

allerdings in Sachen Energie allen<br />

etwas vor. Nach wie vor steht er oft<br />

beim ersten Büchsenlicht auf («dann<br />

kommen mir die besten Ideen»), und<br />

arbeitet so intensiv wie früher. Mehrere<br />

hundert, bisweilen auch über<br />

tausend Arbeitsstunden investiert er<br />

in eine Kreation. Er arbeitet ohne genaue<br />

Pläne, alles entsteht in seinem<br />

Kopf, nur die Figuren bekommen<br />

eine hölzerne Vorlage. Und wenn ihn<br />

am Abend jemand fragt, ob er heute<br />

das schöne Wetter zur Kenntnis genommen<br />

habe, muss er oft passen.<br />

der plastiker. Aus seinem konzentrierten<br />

Schaffen bezieht Gugelmann,<br />

seit mehreren Jahren Witwer,<br />

seine ungebrochene Lebenskraft.<br />

Gebresten kennt er keine («Holz anfassen»).<br />

Im Moment formt sich unter<br />

seinen Händen eine grosse Plastik,<br />

die einen Strassenkreisel in Gretzenbach<br />

zieren wird. Über 40 mobile<br />

Skulpturen hat er als Auftragsarbeiten<br />

geschaffen, die meisten stehen<br />

auf Brücken, an Gebäuden, auf Plätzen.<br />

Und dass ihm auch die Arbeit<br />

mit Kindern und Jugendlichen Spass<br />

macht, verwundert nicht: Vor einiger<br />

Zeit entstanden unter seiner Anstiftung<br />

über 100 kleine Kurbelmaschinen,<br />

kreiert von den Kindern einer<br />

Gretzenbacher Schule.<br />

Paul Gugelmann, ein Vollblutkünstler<br />

ohne Dünkel, ein liebenswürdiger<br />

Mensch, einer, der auch<br />

sich selber nicht todernst nehmen<br />

muss. «Ich wünsche Ihnen noch ein<br />

schönes Leben!», schrieb ihm ein begeisterter<br />

Gretzenbacher Schulbub.<br />

Dem ist nichts beizufügen.<br />

* Paul gugelmann: Poetische Maschinen.<br />

neuausgabe 2004, Fr. 49.–. erhältlich im<br />

Museum.<br />

> anreisebeispiel. Basel ab 9.30,<br />

Olten ab 10.07, Schönenwerd an<br />

10.15Uhr.<br />

paul-gugelmannmuseum<br />

Schmiedengasse 37,<br />

5012 Schönenwerd (neben<br />

der Stiftskirche). Telefon<br />

062496540. Öffnungszeiten:<br />

Mittwoch, Samstag und<br />

Sonntag jeweils 14 bis 17 Uhr.<br />

gruppenführungen auch<br />

ausserhalb der Öffnungszeiten.<br />

anmeldungen:<br />

06284965 40.<br />

> www.gugelmann-museum.ch

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!