reiseland.schweiz. - Basler Zeitung
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eiseland.<strong>schweiz</strong>.<br />
bahnkarussell. Die steile Bergflanke, welche die Bahn in weiten Schleifen und<br />
mit einem Kehrtunnel elegant bewältigt. Foto BLS AG<br />
baz | 18. april 2008 | seite 9<br />
alte geleise und neue spuren<br />
frutigen. der bahnabschnitt nach kandersteg – ein spannender wanderweg<br />
Freddy widmer<br />
» im dezember 2007<br />
ging der neue lötschbergtunnel<br />
in betrieb.<br />
bahnreisenden kommt<br />
damit eine der spektakulärsten<br />
strecken der <strong>schweiz</strong> abhanden.<br />
wir geniessen die viertelstündige<br />
«fahrt» zwischen frutigen und<br />
kandersteg auf andere art – in<br />
zeitlupe, zu fuss.<br />
Was der Künzi Samuel in der<br />
Nacht auf den 20. Dezember des<br />
Jahres 1947 in seinem Stall auf der<br />
Fluh oben gerade machte, ist nicht<br />
überliefert – Tiere versorgen? Heu<br />
holen? Aber plötzlich wurde der Boden<br />
«in die Höhe gehoben, wie bei<br />
einem Erdbeben, dann sah Samuel<br />
das Tal unter sich voll Feuer und<br />
flüchtete sich mit dem Knecht in den<br />
benachbarten Tunnel der BLS. Durch<br />
den Kehrtunnel gelangten sie ins Tal<br />
und morgens um vier erreichte Samuel<br />
Künzi die Ruinen seines Hauses,<br />
darunter die beiden Kinder, irgendwo<br />
in der Nähe die Mutter und<br />
der Pflegebub.»<br />
Das schreibt die «Volkszeitung»<br />
am 22. Dezember 1947. In den Felskavernen<br />
südlich der Station Mitholz,<br />
einem Dorf zwischen Frutigen<br />
und Kandersteg, waren riesige Munitionslager<br />
explodiert, 3000 Tonnen<br />
mindestens, vielleicht auch<br />
7000; Felswände und Stahltore<br />
konnten nicht standhalten, das<br />
Bahnhofsgebäude und weitere Häuser<br />
wurden zerstört, neun Menschen<br />
kamen ums Leben, die 220 Einwohner<br />
wurden evakuiert, Mitholz wurde<br />
ein Fall für General Guisan und<br />
Bundesrat Kobelt. Die Untersuchungen<br />
zur Ursache wurden im Mai<br />
1949abgeschlossen.Allerdingsohne<br />
Ergebnis.<br />
Das Dorf ist wieder aufgebaut<br />
worden, die Katastrophe ist gut 60<br />
Jahre her, und nicht mehr viele Mitholzer<br />
können sich an jene Dezembernacht<br />
erinnern. Das Erinnern<br />
übernahmen alte Inschriften an<br />
Häusern, etwa diese:<br />
«Ein Schrecken lief durchs ganze Land<br />
als unser Dorf zerstört, verbrannt<br />
nun ist die Freude eingekehrt<br />
da uns ein Neues ist beschert.»<br />
im karussell. Die Haltestelle BlauseeMitholz<br />
liegt mittlerweile ziemlich<br />
verlassen da. «Der Haltepunkt<br />
BlauseeMitholz wird von Zügen des<br />
Personenverkehrs nicht bedient. Benützen<br />
Sie bitte den Bus», ist hier<br />
schon lange auf einer Tafel zu lesen.<br />
Seit dem 9. Dezember 2007 ists rund<br />
um Mitholz noch einmal etwas ruhiger<br />
geworden. Seither ist der neue<br />
Lötschbergtunnel in Betrieb und die<br />
schnellen Züge in den Süden fahren<br />
nicht mehr hier vorbei, sondern unten<br />
durch. Sie lassen eine der kühnsten<br />
Bahnanlagen, die je gebaut wurden,<br />
links liegen, dieses grossartige<br />
Geleisekarussell, mit dem die Bahn<br />
in kurzer «Luftlinie» rund 400 Höhenmeter<br />
aufsteigt. Von Frutigen zunächst<br />
über den Kanderviadukt, der<br />
den Talboden überquert, mit einer<br />
maximalen Steigung von 27 Promille<br />
hinein in die östlichen Hänge des<br />
Kandertals, weiter südwärts in die<br />
weite Schlaufe hinten im Talgrund,<br />
nordwärts zurück, hinein in einen<br />
1655 Meter langen Kehrtunnel, dann<br />
wieder südwärts Richtung Kandersteg<br />
– man konnte sich nicht entscheiden:<br />
sitz ich rechts oder links,<br />
und man wunderte sich, dass man<br />
das Rinderhorn sah, wenn man nach<br />
vorwärts, dann auch, wenn man<br />
nach rückwärts, und schliesslich<br />
wieder, wenn man nach vorwärts<br />
schaute. Und man darf sich auch<br />
heute noch wundern, dass noch immer<br />
funktioniert, was 1906 mit den<br />
ersten Sprengungen begann und<br />
1913 als erste elektrifizierte Alpenbahn<br />
Fahrt aufnahm.<br />
auf klimaspuren. Die Bahnanlage<br />
ist auch etwas für Langsamreisende,<br />
für Wanderer. Ein sogenannter Erlebnispfad<br />
führt der Strecke entlang,<br />
mal ganz in der Nähe des Trassees,<br />
mal mit etwas Distanz. Dabei begegnet<br />
man nicht nur uralten Geleisen,<br />
man begegnet auch Spuren aus<br />
der jüngeren Zeit, Spuren des Klimas.<br />
Zunächst mal und am auffälligsten<br />
der riesige «Schmiss», den<br />
der Sturm Lothar der Westflanke des<br />
Gehrihorns verpasst hat; etwas<br />
später, genau über jener Stelle, an<br />
information<br />
hin oder zurück. Von<br />
Frutigen, 780 Meter über<br />
Meer, nach Kandersteg,<br />
1176 mü.M. – Für den Weg<br />
sollte man etwa fünf Stunden<br />
einrechnen; wenn man<br />
ihn in umgekehrter Richtung<br />
begeht, also von oben<br />
nach unten, natürlich etwas<br />
weniger.<br />
charakter der wanderung.<br />
Gut markierte Wege;<br />
stellenweise Trittsicherheit<br />
gefordert (rutschige Stellen<br />
in den Bachgräben). Nicht<br />
Kinderwagen-tauglich.<br />
verlauf. Vom Bahnhof<br />
Frutigen nach Kanderbrügg<br />
und direkt hinauf auf den<br />
BLS-Erlebnispfad. – Variante:<br />
Wer im Talgrund bis<br />
nach Mitholz geht, sollte<br />
den Blausee nicht verpassen<br />
und wird den dortigen<br />
Forellen nicht widerstehen<br />
können, muss<br />
allerdings viel Hartbelag<br />
und die Nähe des Strassenverkehrs<br />
in Kauf nehmen.<br />
Von Mitholz dann auf<br />
schmalem Pfad steil hinauf<br />
zum Punkt «Hemlige», wo<br />
man auf den BLS-Erlebnispfad<br />
trifft. fw<br />
der tausendtonnenweise NeatKies<br />
liegt, hat ein steiler Bach dem Hang<br />
schwer zugesetzt, da und dort ist ein<br />
Stück Hang gerutscht. Und kurz vor<br />
Kandersteg schliesslich, dort wo die<br />
Kander nicht laufen darf wie sie will,<br />
sondern in einen engen Kanal<br />
gezwungen ist, von jenem flachen<br />
Wegstück aus sehen wir noch einmal<br />
hinauf zum Rinderhorn. Und stossen<br />
noch einmal auf Klimaspuren: Vor<br />
zwanzig Jahren noch bot die ebenmässige<br />
Firnflanke des Rinderhorns<br />
den Bergsteigern ein schön weisses,<br />
ein reines Vergnügen; sie ist schon<br />
arg geschrumpft, und in weiteren<br />
zwanzig Jahren liegt dort oben<br />
vielleicht nur mehr ein kümmerlicher<br />
Rest von schmutziggrauem<br />
Eis.<br />
> anreisebeispiel. Basel ab 8.30 Uhr,<br />
Bern ab 9.39, Frutigen an 10.26. –<br />
Rückreise: Kandersteg ab 16.14, Bern<br />
ab 17.34, Basel an 18.29.