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Interkulturelle Konflikte in Nachbarschaften und ihre Lösung durch ...

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Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München<br />

Sem<strong>in</strong>ar für<br />

Sozialwissenschaftliche<br />

Geographie<br />

<strong>Interkulturelle</strong><br />

<strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Nachbarschaften</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Lösung</strong> <strong>durch</strong><br />

Mediation<br />

Anne Ritz<strong>in</strong>ger


Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

Sem<strong>in</strong>ar für Sozialwissenschaftliche Geographie<br />

Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung<br />

des Grades e<strong>in</strong>er Diplom-Geograph<strong>in</strong><br />

<strong>Interkulturelle</strong> <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Lösung</strong> <strong>durch</strong> Mediation<br />

Betreuung: Prof. Dr. Carmella Pfaffenbach<br />

Vorgelegt von:<br />

Anne Ritz<strong>in</strong>ger<br />

Heßstr. 77<br />

80797 München<br />

anne.ritz<strong>in</strong>ger@web.de<br />

München, im Dezember 2004


Abstract zur Diplomarbeit<br />

<strong>Interkulturelle</strong> <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Lösung</strong> <strong>durch</strong> Mediation<br />

E<strong>in</strong>ordnung der Thematik<br />

Für die Urbanität von Städten gilt das Nebene<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> Mite<strong>in</strong>ander von Kulturen als<br />

konstitutiv. Doch unter anderem <strong>durch</strong> Hunt<strong>in</strong>gtons These von der „heraufziehenden Ära, [<strong>in</strong><br />

der] Kämpfe zwischen Kulturen die größte Gefahr für den Weltfrieden“ (1998, S.531) darstellen<br />

<strong>und</strong> die Anschläge des 11. September 2001 wird der Begriff Kultur häufig vorschnell mit<br />

„Konflikt“ <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht. Politische Äußerungen oder die Berichterstattung der<br />

lokalen Medien beschwören den E<strong>in</strong>druck herauf, als würden sich mit der Zunahme des<br />

Migrantenanteils <strong>in</strong> meist strukturell benachteiligten Wohnvierteln <strong>Konflikte</strong> zwischen E<strong>in</strong>heimischen<br />

<strong>und</strong> Zugewanderten fast zwangsläufig e<strong>in</strong>stellen. H<strong>in</strong>ter der Zunahme von <strong>Konflikte</strong>n<br />

steht jedoch häufig vielmehr e<strong>in</strong>e Verkettung von gegenseitigen Vorurteilen, Unkenntnis<br />

<strong>und</strong> Vorbehalten auf beiden Seiten h<strong>in</strong>sichtlich anderer Formen der Lebensgestaltung.<br />

E<strong>in</strong>e Konfliktbearbeitungsmethode, die vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> zunehmend an Bedeutung<br />

gew<strong>in</strong>nt, ist die Mediation. Deren Gr<strong>und</strong>gedanke ist die Austragung von <strong>Konflikte</strong>n mit Hilfe<br />

e<strong>in</strong>es unparteiischen Dritten, welcher den Prozess moderiert, jedoch nicht <strong>durch</strong> die Vorgabe<br />

von <strong>Lösung</strong>en e<strong>in</strong>greift. “[T]he promise of mediation is that both or all the parties, by<br />

reta<strong>in</strong><strong>in</strong>g ´ownership´ of the process, can br<strong>in</strong>g themselves to agreements (…) that satisfy<br />

all their concerns and that only these sorts of agreements will endure without the need to<br />

<strong>in</strong>voke or re<strong>in</strong>voke externally based measures of compliance” (Avruch 1998, S.83). Die<br />

Konfliktparteien sollen vom Verharren <strong>in</strong> festgefahrenen Positionen zu gegenseitigem Verständnis<br />

<strong>und</strong> letztlich zu Ergebnissen kommen, die <strong>ihre</strong>n wirklichen Bedürfnissen entsprechen.<br />

Die sozialwissenschaftliche Geographie thematisiert Mediation <strong>in</strong> Bezug auf die praktische<br />

<strong>Lösung</strong> raumbezogener <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> Planungsprozessen. Sie erforscht allerd<strong>in</strong>gs bisher nicht,<br />

welchen Beitrag Mediation zur <strong>Lösung</strong> <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte leisten kann.<br />

Die vorliegende Arbeit soll aus geographischer Perspektive e<strong>in</strong>en Schritt <strong>in</strong> diese Richtung<br />

machen.<br />

Fragestellung <strong>und</strong> Aufbau der Arbeit<br />

Was s<strong>in</strong>d die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen In Kapitel 5 werden zunächst rahmenge-<br />

<strong>in</strong>terkultureller Mediation <strong>in</strong> Nachbarbend die <strong>in</strong>terkulturellen Konfliktfelder, die<br />

schaftskonflikten? Dieser Frage wird sich im Bereich Nachbarschaft ergeben,<br />

anhand der drei Gr<strong>und</strong>bauste<strong>in</strong>e Kultur, aufgezeigt. Dabei wird auf spezifische<br />

Nachbarschaft <strong>und</strong> Mediation nach- Charakteristika der Situation <strong>in</strong> München<br />

gegangen. Es werden <strong>Konflikte</strong> zwischen e<strong>in</strong>gegangen.<br />

ethnisch-kulturell verschiedenen Parteien<br />

Kapitel 5<br />

betrachtet, wobei unterschiedliche Kultur Kultur<br />

Nachbarschaft<br />

nicht ursächlich für den Konflikt se<strong>in</strong> muss:<br />

Konflikt<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terkultureller Konflikt zeigt sich dem<br />

Verständnis dieser Arbeit nach schon<br />

Kapitel 6<br />

Kapitel 6<br />

daran, dass Kultur <strong>in</strong> bestimmter Weise<br />

den Verlauf oder die <strong>Lösung</strong> des Konflikts<br />

bee<strong>in</strong>flusst.<br />

Mediation<br />

Desweiteren werden <strong>in</strong> diesem Kapitel <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten für <strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftskonflikte<br />

<strong>in</strong> München aufgezeigt. Nach e<strong>in</strong>em kurzen Überblick über die von verschiedenen<br />

Institutionen angewandten Methoden wird exemplarisch für die Anwendung <strong>in</strong>terkul-<br />

III


Abstract zur Diplomarbeit<br />

tureller Mediation auf das Projekt „Konfliktmanagement im <strong>in</strong>terkulturellen Kontext“ (KiK)<br />

e<strong>in</strong>gegangen. Der Hauptteil der Arbeit (Kapitel 6) besteht <strong>in</strong> der Analyse von drei im Rahmen<br />

von KiK bearbeiteten Nachbarschaftskonflikten bezüglich der Konfliktaspekte, des Ablaufs der<br />

Mediation <strong>und</strong> der Mediationsergebnisse, wobei die Wirkungen von Kultur <strong>und</strong> räumlicher<br />

Nähe <strong>in</strong> der Nachbarschaft herausgearbeitet werden.<br />

Methodik<br />

Es wurde e<strong>in</strong> qualitatives Forschungsdesign verwendet. Für den ersten Teil der empirischen<br />

Untersuchungen (Kapitel 5) führte ich leitfadengestützte Experten<strong>in</strong>terviews mit verschiedenen<br />

Münchner Akteuren unter anderem aus dem Amt für Wohnen <strong>und</strong> Migration, dem<br />

Ausländerbeirat, städtischen Wohnbaugesellschaften <strong>und</strong> der Schlichtungsstelle des Kreisverwaltungsreferats.<br />

Um die Sicht von Migranten auf die Thematik besser e<strong>in</strong>schätzen zu<br />

können, führte ich ergänzend e<strong>in</strong> Gruppen<strong>in</strong>terview mit acht türkischen Personen <strong>durch</strong>. Die<br />

Analyse der Fallbeispiele stützt sich auf qualitative Leitfadengespräche mit den Mediatoren<br />

<strong>und</strong> den Konfliktparteien, die <strong>durch</strong> Experten<strong>in</strong>terviews mit der Leiter<strong>in</strong> der Koord<strong>in</strong>ierungsstelle<br />

<strong>und</strong> dem Ausbilder der Mediatoren ergänzt wurden.<br />

Ergebnisse<br />

A) <strong>Interkulturelle</strong> Nachbarschaftskonflikte <strong>in</strong> München<br />

Die Expertengespräche zeigten auf, dass unterschiedliche Lebensgewohnheiten, die zum Teil<br />

mit e<strong>in</strong>em anderen kulturellen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>in</strong> Zusammenhang stehen, oft zu <strong>Konflikte</strong>n <strong>in</strong><br />

<strong>Nachbarschaften</strong> führen. Diese werden <strong>durch</strong> räumliche Nähe <strong>und</strong> bauliche Gegebenheiten<br />

verstärkt bzw. gerade am Wohnort als besonders störend empf<strong>und</strong>en, da dieser e<strong>in</strong>e Rückzugsfunktion<br />

erfüllt. Strukturelle Ursachen führen zusätzlich dazu, dass gerade Migranten <strong>in</strong><br />

<strong>Nachbarschaften</strong> wohnen, <strong>in</strong> denen ökonomische <strong>und</strong> soziale Probleme zu <strong>Konflikte</strong>n führen.<br />

In München gibt es e<strong>in</strong>e Vielzahl an Konfliktlösungsstellen, die sich mit der Bearbeitung<br />

<strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte beschäftigt, e<strong>in</strong>e statistische Erfassung solcher<br />

<strong>Konflikte</strong> f<strong>in</strong>det bisher jedoch kaum statt. Es werden verschiedenste Techniken zur Regelung<br />

der <strong>Konflikte</strong> angewandt, wobei nur die KiK Mitarbeiter e<strong>in</strong>e Ausbildung <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkultureller<br />

Mediation haben.<br />

B) Entscheidende Bedeutung der Konfliktanalyse<br />

Es bestätigte sich, dass <strong>Konflikte</strong> nie<br />

ausschließlich e<strong>in</strong>er Ursache zugeordnet<br />

werden können (vgl. Schmitt 2003, S.95).<br />

Um der Gefahr entgegenzusteuern,<br />

aufgr<strong>und</strong> der Überbetonung e<strong>in</strong>zelner<br />

Aspekte wie Kultur, Recht, Raum oder<br />

sozialen Problemen, Fehlschlüsse zu<br />

ziehen <strong>und</strong> so die Konfliktlösung bereits<br />

<strong>durch</strong> e<strong>in</strong>e zu begrenzte Analyse negativ<br />

zu bee<strong>in</strong>flussen, erwies sich e<strong>in</strong>e umfassende<br />

Konfliktanalyse als ent-scheidender<br />

Erfolgsfaktor.<br />

Analyseschema<br />

<strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

Quelle: Eigene Bearbeitung<br />

auf Gr<strong>und</strong>lage von Besemer 2002, S. 29<br />

IV


Abstract zur Diplomarbeit<br />

C) Anforderungen an das Mediationsverfahren<br />

Im Verlauf der Mediationsverfahren deuteten sich kulturell unterschiedliche Präferenzen<br />

bezüglich des E<strong>in</strong>bezugs weiterer Personen <strong>und</strong> der Formalität der Gesprächssituation<br />

wie auch e<strong>in</strong> emotionaleres Verhalten auf Seiten der Migranten an. Diese sche<strong>in</strong>en<br />

ferner die Erwartung an e<strong>in</strong>en stärker e<strong>in</strong>greifenden Mediator zu haben, was jedoch<br />

nicht zw<strong>in</strong>gend auf die kulturelle Zugehörigkeit zurückgeführt werden kann, sondern im<br />

Zusammenhang mit rechtlichen <strong>und</strong> strukturellen Machtasymmetrien betrachtet werden<br />

muss.<br />

In Konfliktfällen sollte folglich geprüft werden, ob Informationsmangel oder Benachteiligung<br />

Migranten dazu veranlasst, e<strong>in</strong>e stärkere Unterstützung des Mediators zu erwarten.<br />

Dementsprechend kann zum Beispiel e<strong>in</strong>e Rechtsberatung vermittelt oder versucht<br />

werden, Machtungleichgewichte zu thematisieren <strong>und</strong> auszugleichen. Erhärtet sich die<br />

Vermutung, dass schiedsrichterliches E<strong>in</strong>greifen bevorzugt würde, so kann auf andere<br />

Konfliktmanagementmethoden mit stärker direktivem Charakter zurückgegriffen werden.<br />

Dies muss nicht automatisch zu e<strong>in</strong>er Unzufriedenheit der Parteien mit der <strong>Lösung</strong><br />

führen. Die Eigenverantwortlichkeit der Konfliktgegner für die <strong>Lösung</strong> als e<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>voraussetzung<br />

der Mediation <strong>und</strong> die da<strong>durch</strong> erwartete erhöhte Akzeptanz <strong>und</strong> Dauerhaftigkeit<br />

der <strong>Lösung</strong>en werden <strong>durch</strong> schiedsrichterliche Verfahren jedoch h<strong>in</strong>fällig.<br />

D) Grenzen der <strong>in</strong>terkulturellen Mediation <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong><br />

In den drei Beispielfällen gelang es zwar, die Konfliktsituation zu deeskalieren, Gesprächsbereitschaft<br />

zwischen den Parteien herzustellen <strong>und</strong> teilweise e<strong>in</strong> tieferes Verständnis<br />

für die Lage der anderen Partei zu erreichen. Die Bereitschaft mögliche <strong>Lösung</strong>svorschläge<br />

anzunehmen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>zuhalten bzw. die Dauerhaftigkeit der Mediationslösung<br />

h<strong>in</strong>g jedoch stark vom Interesse an e<strong>in</strong>er Verbesserung der gegenseitigen<br />

Beziehungen, der psychosozialen Verfassung der Parteien <strong>und</strong> strukturellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

ab. So wurde deutlich, dass Mediation <strong>in</strong> <strong>Konflikte</strong>n, die <strong>durch</strong> die räumliche<br />

Lage oder ökonomische Zwänge bed<strong>in</strong>gt s<strong>in</strong>d, kaum zu e<strong>in</strong>er w<strong>in</strong>-w<strong>in</strong>-<strong>Lösung</strong> beitragen<br />

kann, wenn diese Gr<strong>und</strong>bed<strong>in</strong>gungen nicht verändert werden können.<br />

Es zeigte sich, dass der Standortwechsel e<strong>in</strong>er der Streitparteien e<strong>in</strong>e mögliche <strong>Lösung</strong><br />

se<strong>in</strong> kann. Ist das Problem mitunter <strong>durch</strong> psychische oder soziale Ursachen bed<strong>in</strong>gt,<br />

werden <strong>durch</strong> die Umsiedlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Nachbarschaft die <strong>Konflikte</strong> jedoch lediglich<br />

umverlagert. Solche <strong>Lösung</strong>en können also w<strong>in</strong>-w<strong>in</strong> Situationen darstellen, sie widersprechen<br />

allerd<strong>in</strong>gs dem Ziel von Mediation, gesteigertes gegenseitiges Verständnis für<br />

e<strong>in</strong> weiteres Zusammenleben herzustellen.<br />

Zudem ist die richtige E<strong>in</strong>schätzung der Konfliktkonstellationen <strong>durch</strong> die Mediatoren<br />

<strong>und</strong> deren Fähigkeit, die Parteien zu Verständnis <strong>und</strong> engagierter <strong>Lösung</strong>ssuche zu<br />

bewegen von zentraler Bedeutung für den Erfolg der Mediation.<br />

Schlussfolgerung<br />

<strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong> s<strong>in</strong>d oft von der räumlichen Ausgangslage<br />

sowie sozialen <strong>und</strong> kulturellen Disparitäten, die <strong>in</strong> der Gesellschaft nicht aufgearbeitet<br />

werden bestimmt. Mediation sollte diesbezüglich also nicht als e<strong>in</strong> Allheilmittel gesehen<br />

werden, sondern als e<strong>in</strong> Mosaikste<strong>in</strong>, der <strong>durch</strong> politische <strong>und</strong> planerische Veränderungen<br />

<strong>und</strong> Präventionsmaßnahmen sowie e<strong>in</strong>e zunehmende Offenheit der Bürger flankiert<br />

werden muss, um zu e<strong>in</strong>er wirklichen Verbesserung im <strong>in</strong>terkulturellen Zusammenleben<br />

beizutragen.<br />

V


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

.......................................................................................................................... Seite<br />

1 E<strong>in</strong>leitung ............................................................................................................1<br />

2 Fragestellung <strong>und</strong> Aufbau der Arbeit ................................................................3<br />

3 Methodik..............................................................................................................5<br />

3.1 Experten<strong>in</strong>terviews .......................................................................... 5<br />

3.2 Fallstudien ...................................................................................... 7<br />

3.2.1 Auswahl der Fälle...............................................................................................7<br />

3.2.2 Qualitative Befragung der Mediatoren <strong>und</strong> Konfliktparteien................................8<br />

3.3 Auswertung................................................................................... 10<br />

4 Theoretische E<strong>in</strong>ordnung .................................................................................11<br />

4.1 Gr<strong>und</strong>legende Begriffe ................................................................... 11<br />

4.1.1 Kultur ...............................................................................................................11<br />

4.1.2 Konflikt.............................................................................................................15<br />

4.1.3 <strong>Interkulturelle</strong> <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> .....................................................16<br />

4.2 Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte ............................... 19<br />

4.2.1 Konfliktursachen...............................................................................................19<br />

4.2.2 Wie werden <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> verschiedenen Kulturen gesehen? ..............................21<br />

4.2.3 Konfliktkulturen - wie werden <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> unterschiedlichen Kulturen gelöst? ..22<br />

4.2.4 Reaktionen auf kulturelle Unterschiede ............................................................25<br />

4.3 Stadt <strong>und</strong> Konflikt.......................................................................... 27<br />

4.3.1 Zusammenleben verschiedener Kulturen <strong>in</strong> der Stadt.......................................28<br />

4.3.2 Ist räumliche Nähe ursächlich für die Entstehung von <strong>Konflikte</strong>n? ......................29<br />

4.3.3 Der Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Benachteiligung.......................................31<br />

4.4 <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte........... 33<br />

4.4.1 Mediation .........................................................................................................33<br />

4.4.2 <strong>Interkulturelle</strong> Mediation <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong>....................................................37<br />

5 <strong>Interkulturelle</strong> Nachbarschaftskonflikte <strong>in</strong> München ....................................47<br />

5.1 Multikulturelles München ................................................................ 47<br />

5.2 Entstehung von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong> ............................. 49<br />

5.3 <strong>Interkulturelle</strong> Konfliktfelder <strong>in</strong> Münchner <strong>Nachbarschaften</strong> ............... 54<br />

5.3.1 Konfliktursachen...............................................................................................56<br />

5.3.2 Intensität der <strong>Konflikte</strong>.....................................................................................60<br />

5.3.3 Auswirkung von <strong>Konflikte</strong>n...............................................................................60<br />

5.4 Konfliktlösungsstrategien................................................................ 65<br />

5.4.1 Interventionsmöglichkeiten ..............................................................................65<br />

5.4.2 Modellprojekt „Konfliktmanagement im <strong>in</strong>terkulturellen Kontext“ (KiK).............68<br />

VI


Inhaltsverzeichnis<br />

6 Empirie ..............................................................................................................72<br />

6.1 Drei Fallbeispiele - Konfliktbiographien ............................................ 72<br />

6.1.1 „Jugendzentrum“ .............................................................................................72<br />

6.1.2 „Gaststätte Ezgi“ ..............................................................................................74<br />

6.1.3 „Unterkunft“.....................................................................................................76<br />

6.2 Analyse der Konfliktbiographien ...................................................... 79<br />

6.2.1 Kulturelle Unterschiede.....................................................................................79<br />

6.2.2 Kommunikation................................................................................................83<br />

6.2.3 Räumliche Nähe...............................................................................................84<br />

6.2.4 Ökonomische Gründe.......................................................................................87<br />

6.2.5 Psychologische Gründe ....................................................................................88<br />

6.2.6 Macht...............................................................................................................89<br />

6.2.7 Fazit der Konfliktanalyse...................................................................................90<br />

6.3 Analyse des Mediationsverfahrens................................................... 95<br />

6.3.1 Sprachliche Missverständnisse..........................................................................96<br />

6.3.2 Unterschiedliche Verhandlungsstile – kulturell bed<strong>in</strong>gt?....................................97<br />

6.3.3 Neutralität ........................................................................................................98<br />

6.3.4 E<strong>in</strong>satz von Machtmitteln................................................................................100<br />

6.3.5 Recht .............................................................................................................101<br />

6.3.6 Fazit Mediationsdesign ...................................................................................103<br />

6.4 Analyse der Mediationsergebnisse ..................................................105<br />

6.4.1 Ergebnisse der Mediation ...............................................................................105<br />

6.4.2 Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses............................................107<br />

6.4.3 Zukunftsvorstellung der Parteien....................................................................109<br />

6.4.4 Fazit Analyse der Mediationsergebnisse..........................................................110<br />

6.5 Gründe für Scheitern oder Erfolg der Mediation ...............................111<br />

6.5.1 Positive <strong>und</strong> negative E<strong>in</strong>flüsse auf die Mediation...........................................111<br />

6.5.2 Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen von Mediation <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Nachbarschaftskonflikten ...............................................................................117<br />

7 Resümee <strong>und</strong> Ausblick ................................................................................... 118<br />

Literatur ................................................................................................................. 121<br />

Glossar<br />

Anhang<br />

VII


Verzeichnisse<br />

Verzeichnisse<br />

Abbildungen<br />

Abb. 1: Gr<strong>und</strong>bauste<strong>in</strong>e der Arbeit................................................................................. 3<br />

Abb. 2: Ablauf der Analyse der Fallbeispiele.................................................................... 4<br />

Abb. 3: Eisbergmodell wahrgenommener kultureller Unterschiede .................................. 12<br />

Abb. 4: Pyramide der H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>konflikte ................................................................... 20<br />

Abb. 5: Konfliktursachen............................................................................................. 21<br />

Abb. 6: Kulturelle Unterschiede von Konfliktstilen.......................................................... 23<br />

Abb. 7: Contrast of mediation options <strong>in</strong> traditional and urbanized cultures ..................... 24<br />

Abb. 8: Wichtige Merkmale des Mediationsverfahrens ................................................... 36<br />

Abb. 9: Idealtypischer Vergleich kulturell geprägter Mediationsanforderungen ................. 39<br />

Abb. 10: Der strategische E<strong>in</strong>satz von Konfliktpotenzialen im <strong>in</strong>terkulturellen Konflikt......... 43<br />

Abb. 11: Ausländer <strong>in</strong> München (Stand 31.12.2003)........................................................ 47<br />

Abb. 12: Bevölkerungsentwicklung Münchens 1960 bis 2003 ........................................... 49<br />

Abb. 13: Anteil der Ausländer <strong>in</strong> % an der Bevölkerung der Stadtbezirke .......................... 50<br />

Abb. 14: Akteure <strong>und</strong> Mechanismen bei der Entstehung <strong>in</strong>terkultureller <strong>Nachbarschaften</strong>... 53<br />

Abb. 15: Konfliktgegenstände <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong>........................................................... 55<br />

Abb. 16: Institutionen zur Bearbeitung <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte ................... 65<br />

Abb. 17: Das KiK Projekt – Übersicht ............................................................................. 69<br />

Abb. 18: Von der Konfliktpyramide zur Drehscheibe........................................................ 79<br />

Abb. 19: Analyseschema <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte ..................................... 93<br />

Tabellen<br />

Tab. 1: Bewusstse<strong>in</strong>sformen <strong>und</strong> Handeln nach Giddens ................................................... 18<br />

Tab. 2: Responses of immigrants to opportunities <strong>in</strong> the receiv<strong>in</strong>g and send<strong>in</strong>g countries.......... 27<br />

Tab. 3: Bisher bei KiK gemeldete Nachbarschaftskonflikte ................................................. 69<br />

Tab. 4: Problembereiche <strong>in</strong>terkultureller Mediation <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong>..............................104<br />

Tab. 5: Ergebnisse der Mediationen................................................................................105<br />

Tab. 6: Bewertung der Mediationsergebnisse <strong>durch</strong> die Mediatoren...................................106<br />

Tab. 7: Bewertung der Mediationsergebnisse <strong>durch</strong> die teilnehmenden Konfliktparteien ......107<br />

Tab. 8: Zukunftsvorstellungen der Parteien bezüglich der Wohnsituation ...........................109<br />

Tab. 9: Die Ergebnisse der drei Fälle im Überblick............................................................110<br />

Tab. 10: E<strong>in</strong>flussfaktoren auf den Erfolg der Mediationen...................................................112<br />

Tab. 11: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen <strong>in</strong>terkultureller Mediation <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> ..............117<br />

Abkürzungen<br />

ASD Allgeme<strong>in</strong>er Sozialdienst<br />

GEWOFAG Geme<strong>in</strong>nützige Wohnungsfürsorge AG<br />

GWG Geme<strong>in</strong>nützige Wohnstätten- <strong>und</strong> Siedlungsgesellschaft<br />

I.S.AR. Institut für sozialpädagogische Arbeit<br />

JuZ Jugendzentrum<br />

KiK Konfliktmanagement im <strong>in</strong>terkulturellen Kontext<br />

OwiG Gesetz über Ordnungswidrigkeiten<br />

VIII


Anmerkungen<br />

Schreibweise<br />

Anmerkungen<br />

Aus Gründen der Lesbarkeit verzichte ich auf das Ausformulieren der weiblichen Form.<br />

Diese ist selbstverständlich immer impliziert.<br />

Fotographien<br />

Alle Fotos s<strong>in</strong>d eigene Aufnahmen, die zwischen Juli <strong>und</strong> Oktober 2004 <strong>in</strong> München<br />

entstanden.<br />

IX


E<strong>in</strong>leitung


1 E<strong>in</strong>leitung<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

Deutschland ist e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wanderungsland. Die Anerkennung dieser Tatsache <strong>in</strong> der politischen<br />

Diskussion stellt e<strong>in</strong>en Paradigmenwechsel dar, denn die Transformation der<br />

deutschen Gesellschaft <strong>durch</strong> Zuwanderung, die sich seit Jahrzehnten vollzieht, wurde<br />

lange Zeit von politischen Entscheidungsträgern geleugnet <strong>und</strong> <strong>in</strong> der öffentlichen<br />

Diskussion ignoriert.<br />

Die Bevölkerungsstruktur <strong>in</strong> Deutschland ändert sich <strong>und</strong> dabei steigt nicht nur die Zahl<br />

der Migranten <strong>in</strong> absoluten Zahlen, auch ihr Anteil an der Bevölkerung <strong>in</strong>sgesamt wächst<br />

als e<strong>in</strong>e Folge des Rückgangs der deutschen Bevölkerung (vgl. Schader Stiftung 2003,<br />

S.6).<br />

Nicht erst seit Hunt<strong>in</strong>gtons These von der „heraufziehenden Ära, [<strong>in</strong> der] Kämpfe<br />

zwischen Kulturen die größte Gefahr für den Weltfrieden“ (1998, S. 531) darstellen <strong>und</strong><br />

den Anschlägen des 11. September 2001 wird der Begriff Kultur vorschnell mit „Konflikt“<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht.<br />

Derzeit wird <strong>in</strong> der Debatte um die Integration muslimischer Migranten verstärkt vom<br />

Ende der „Multikultiseligkeit“ (vgl. SZ 20./21.11.2004; Anhang 10) <strong>und</strong> der Existenz von<br />

Parallelgesellschaften gesprochen, welche sich besonders <strong>in</strong> den Migrantenquartieren<br />

der Großstädte bilden würden.<br />

Für die Urbanität dieser Städte ist jedoch das Nebene<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> Mite<strong>in</strong>ander von<br />

Kulturen konstitutiv, wozu <strong>in</strong> zunehmend multikulturellen <strong>Nachbarschaften</strong> auch <strong>Konflikte</strong><br />

gehören. Oft beschwören politische Äußerungen oder die Berichterstattung der<br />

lokalen Medien allerd<strong>in</strong>gs den E<strong>in</strong>druck herauf, als würden sich mit der Zunahme des<br />

Anteils von Migranten <strong>in</strong> meist strukturell benachteiligten Wohnvierteln <strong>Konflikte</strong> zwischen<br />

E<strong>in</strong>heimischen <strong>und</strong> zugewanderten M<strong>in</strong>derheiten fast zwangsläufig e<strong>in</strong>stellen.<br />

Dah<strong>in</strong>ter steht jedoch vielmehr e<strong>in</strong>e Verkettung von gegenseitigen Vorurteilen, Unkenntnis<br />

<strong>und</strong> Vorbehalten auf beiden Seiten h<strong>in</strong>sichtlich anderer Formen der Lebensgestaltung.<br />

Die Multidimensionalität <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte zeigt sich an zwei<br />

Beispielen aus München. Im Stadtteil Sendl<strong>in</strong>g protestieren die Nachbarn des Islamischen<br />

Zentrums gegen dessen Ausbaupläne. Gegen Ausländer oder den Islam hätten sie<br />

nichts, so die Anwohner, sie befürchten aber e<strong>in</strong>e steigende Lärmbelästigung <strong>und</strong><br />

erhöhten Parkdruck <strong>in</strong> der Umgebung. Es solle jedoch auch „der mögliche Wertverlust<br />

der umliegenden Wohnungen <strong>und</strong> die Tatsache, dass mit dem Bau der Kuppeln die erste<br />

richtige Moschee <strong>in</strong>nerhalb des Mittleren R<strong>in</strong>gs entstehen würde“ geprüft werden (vgl.<br />

SZ 12.10.2004). Die Mitglieder des Türkisch-Islamischen Vere<strong>in</strong>s hätten am liebsten e<strong>in</strong>e<br />

„richtige Moschee mit M<strong>in</strong>arett“ <strong>und</strong> äußern <strong>ihre</strong> Enttäuschung darüber, dass <strong>ihre</strong>r<br />

Me<strong>in</strong>ung nach „die Bürger wollen, dass das Zentrum hier ganz weg kommt“ (ebenda).<br />

E<strong>in</strong> anderer sicherlich extremer Fall e<strong>in</strong>es Nachbarschaftskonflikts ist der Amoklauf e<strong>in</strong>es<br />

tschechischen Rentners, der jahrelang akribisch Buch über für se<strong>in</strong> Empf<strong>in</strong>den zu laute<br />

Vorgänge <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wohnhaus führte: wann e<strong>in</strong>e Dusche zu hören, die Haustür nicht<br />

verschlossen oder jemand zu laut war. Im Juli 2004 schoss der Mann auf drei Mitglieder<br />

der bosnischen Familie, die unter ihm wohnte. Nach Aussagen der Hausverwaltung hatte<br />

er e<strong>in</strong>en regelrechten Hass entwickelt, da sie sich se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach zu laut verhielten<br />

(vgl. SZ 28.07.2004).<br />

1


E<strong>in</strong>leitung<br />

In e<strong>in</strong>er von Individualisierung <strong>und</strong> Pluralisierung der Lebensstile geprägten multikulturellen<br />

Gesellschaft nimmt offensichtlich der Bedarf an Ansätzen zur konstruktiven <strong>Lösung</strong><br />

von <strong>Konflikte</strong>n zu. Die oftmals komplizierte Natur der <strong>Konflikte</strong> macht e<strong>in</strong>en mehrdimensionalen<br />

Bearbeitungsansatz erforderlich. E<strong>in</strong>e Konfliktbearbeitungsmethode, die <strong>in</strong><br />

letzter Zeit zunehmend Beachtung f<strong>in</strong>det, ist die Mediation. Deren Gr<strong>und</strong>gedanke ist die<br />

Austragung von <strong>Konflikte</strong>n mit Hilfe e<strong>in</strong>es unparteiischen Dritten, welcher den Prozess<br />

moderiert, jedoch nicht <strong>durch</strong> die Vorgabe von <strong>Lösung</strong>en e<strong>in</strong>greift. Die Konfliktparteien<br />

sollen so vom Verharren <strong>in</strong> festgefahrenen Positionen zu gegenseitigem Verständnis<br />

gelangen <strong>und</strong> da<strong>durch</strong> zu Ergebnissen kommen, die <strong>ihre</strong>n wirklichen Bedürfnissen<br />

entsprechen.<br />

Mediation f<strong>in</strong>det Anwendung <strong>in</strong> den unterschiedlichsten Konfliktfeldern, sei es im persönlichen,<br />

gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder im politischen Bereich. Zunehmendes<br />

Interesse an dieser Thematik <strong>und</strong> die Verankerung von Mediation <strong>in</strong> der Praxis belegen<br />

die Veröffentlichung e<strong>in</strong>es Grünbuchs über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im<br />

Zivil- <strong>und</strong> Handelsrecht der EU-Kommission im Jahr 2002, die Festschreibung des<br />

Mediationsversuchs als verpflichtende Voraussetzung für die Inanspruchnahme von<br />

Gerichten <strong>in</strong> den Geschäftsbed<strong>in</strong>gungen vieler Unternehmen oder die zahlreichen<br />

Fachkonferenzen, die zu dieser Thematik stattf<strong>in</strong>den 1 .<br />

Mediation – aktuelles Thema der Forschung<br />

Forschung über Mediation <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Diskussion über <strong>ihre</strong> Anwendung f<strong>in</strong>det gegenwärtig<br />

hauptsächlich unter Juristen, Politikwissenschaftlern sowie Sozialpädagogen <strong>und</strong> Psychologen<br />

statt.<br />

Hacke kritisiert dabei die Red<strong>und</strong>anz der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der Thematik, die er<br />

unter anderem auf den überschaubaren Personenkreis zurückführt, der sich <strong>in</strong> Deutschland<br />

wissenschaftlich mit Mediation befasst (vgl. 2001, S. 16f). Er kritisiert den Alle<strong>in</strong>vertretungsanspruch,<br />

den jede Fachrichtung auf die Mediation erhebe, auch wenn diese im<br />

Gr<strong>und</strong>e <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Kenntnisse aus Psychologie, Kommunikationsforschung, Soziologie,<br />

Spieltheorie <strong>und</strong> Recht vere<strong>in</strong>e (vgl. ebenda, S. 18).<br />

In der sozialwissenschaftlichen Geographie existieren Forschungsarbeiten über <strong>Konflikte</strong><br />

<strong>und</strong> auch die spezielle Problematik <strong>in</strong>terkultureller <strong>Nachbarschaften</strong> (vgl. u.a. Bürkner et<br />

al. 1999; Reuber 1999; Schmitt 2003), Mediation wird jedoch hauptsächlich als Verfahren<br />

zur <strong>Lösung</strong> raumbezogener <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> Planungsprozessen diskutiert 2 (vgl. Gans<br />

1994). Arbeiten zur Mediation <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte fand ich bei<br />

me<strong>in</strong>er Literaturrecherche h<strong>in</strong>gegen nicht. Dabei wären solche Untersuchungen für die<br />

anderen Fachbereiche oder die Mediationspraxis <strong>durch</strong>aus von Interesse (vgl. Bast<strong>in</strong>e et<br />

al. 2004, S. 7). Die vorliegende Arbeit soll aus geographischer Perspektive e<strong>in</strong>en Schritt<br />

<strong>in</strong> diese Richtung machen.<br />

1 z.B. Kongress Wirtschaftsmediation, September 2004, München, Centrale für Mediation; <strong>Interkulturelle</strong><br />

Mediation, September 2004, Frankfurt/ Oder, B<strong>und</strong>esverband Mediation e.V.; Konfliktmanagement <strong>in</strong><br />

Unternehmen <strong>und</strong> Organisationen, November 2004, Bochum, B<strong>und</strong>esverband Mediation <strong>in</strong> Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Arbeitswelt)<br />

2 vgl. dazu auch Ansätze der Umweltmediation oder Mediation im öffentlichen Bereich, u.a. Zilleßen 1998<br />

2


2 Fragestellung <strong>und</strong> Aufbau der Arbeit<br />

Fragestellung <strong>und</strong> Aufbau der Arbeit<br />

Die Thematik von Nachbarschaftskonflikten, der Rolle von Kultur <strong>in</strong> <strong>Konflikte</strong>n oder die<br />

besonderen Anforderungen <strong>in</strong>terkultureller Mediation s<strong>in</strong>d für sich genommen bereits<br />

sehr umfangreiche Themen. Ich möchte <strong>in</strong> der vorliegenden Arbeit die aktuellen Diskussionsergebnisse<br />

dieser Bereiche verknüpfen, um drei Nachbarschaftskonflikte, die mit<br />

<strong>in</strong>terkultureller Mediation bearbeitet wurden, zu analysieren.<br />

Zunächst werden rahmengebend die <strong>in</strong>terkulturellen Konfliktfelder, die sich im Bereich<br />

Nachbarschaft ergeben, aufgezeigt <strong>und</strong> dabei auf spezifische Charakteristika der Situation<br />

<strong>in</strong> München, e<strong>in</strong>er Großstadt mit e<strong>in</strong>em Ausländeranteil von 23% e<strong>in</strong>gegangen. Dabei<br />

werden <strong>Konflikte</strong> zwischen ethnisch-kulturell verschiedenen Parteien betrachtet. Unterschiedliche<br />

Kultur muss dabei nicht ursächlich für den Konflikt se<strong>in</strong>, sondern e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terkultureller<br />

Konflikt zeigt sich dem Verständnis dieser Arbeit nach schon daran, dass Kultur<br />

<strong>in</strong> bestimmter Weise den Verlauf oder die <strong>Lösung</strong> des Konflikts bee<strong>in</strong>flusst.<br />

Wenn ich im Folgenden den Begriff Migranten verwende, so ist damit die „Gruppe der<br />

aus anderen Ländern zugewanderten Menschen, die unterschiedlichsten, von der<br />

Mehrheitskultur des Zuwanderungslandes differierenden Kulturkreisen entstammen bzw.<br />

von diesen abstammen“ geme<strong>in</strong>t (vgl. Schramkowski 2001, S. 13). Es wird so – im<br />

Gegensatz zur amtlichen Statistik, die sich auf die Staatsangehörigkeit bezieht, der<br />

Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> als entscheidend für die kulturelle Zugehörigkeit erachtet.<br />

Der zweite Teil der Diplomarbeit beschäftigt sich mit den <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten für<br />

<strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftskonflikte. Zunächst wird e<strong>in</strong> Überblick über die von verschiedenen<br />

Institutionen <strong>in</strong> München angewandten <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten gegeben.<br />

Exemplarisch für die <strong>Lösung</strong> <strong>durch</strong> Mediation wird dann auf die Anwendung <strong>in</strong>terkultureller<br />

Mediation im Projekt Konfliktmanagement im <strong>in</strong>terkulturellen Kontext (KiK) e<strong>in</strong>gegangen.<br />

Den E<strong>in</strong>flüssen, welche unterschiedliche Kultur <strong>und</strong> das Zusammenleben <strong>in</strong> der<br />

Nachbarschaft auf den Konflikt <strong>und</strong> die Mediation ausüben wird dabei erhöhe Aufmerksamkeit<br />

beigemessen.<br />

Die drei Bauste<strong>in</strong>e Kultur, Nachbarschaft <strong>und</strong> Mediation spiegeln sich im Aufbau der<br />

Arbeit mehrfach wieder. Die Gliederung der Theorie folgt diesem Pr<strong>in</strong>zip ebenso, wie die<br />

oben beschriebene Herangehensweise an die Analyse. Abb.1 veranschaulicht diesen<br />

Gr<strong>und</strong>gedanken der Arbeit nochmals.<br />

Potentiale <strong>und</strong> Grenzen <strong>in</strong>terkultureller Mediation <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> ?<br />

<strong>Interkulturelle</strong> Nachbarschaftskonflikte <strong>in</strong> München<br />

Wie ist die Wohnsituation von Migranten <strong>in</strong> München?<br />

Welche Art von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Konflikte</strong>n treten <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> auf?<br />

Wie entstehen sie <strong>und</strong> wie wirken sie sich aus?<br />

Kultur<br />

Mediation ↔ Kultur<br />

Stellenwert von Kultur im<br />

Konflikt <strong>und</strong> <strong>in</strong> der<br />

Bearbeitung?<br />

Wirkung von Mediation <strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>terkulturellen <strong>Konflikte</strong>n?<br />

Konflikt<br />

Mediation<br />

Nachbarschaft<br />

Mediation ↔ Nachbarschaft<br />

Rolle räumlicher Nähe im<br />

Konflikt <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Bearbeitung?<br />

Wirkung von Mediation <strong>in</strong><br />

Nachbarschaftskonflikten?<br />

Abb. 1: Gr<strong>und</strong>bauste<strong>in</strong>e der Arbeit<br />

Quelle: Eigener Entwurf<br />

Fragestellung<br />

Empirie A<br />

Kapitel 5<br />

Empirie B<br />

Kapitel 6<br />

3


Fragestellung <strong>und</strong> Aufbau der Arbeit<br />

Das übergeordnete Ziel der Untersuchung ist die Analyse von Potenzialen <strong>und</strong> Grenzen<br />

<strong>in</strong>terkultureller Mediation im Nachbarschaftsbereich. Dazu werden drei im Rahmen von<br />

KiK bearbeitete Konfliktfälle dargestellt <strong>und</strong> zum e<strong>in</strong>en auf die Rolle von Kultur im<br />

Konflikt <strong>und</strong> bei dessen Bearbeitung <strong>durch</strong> Mediation h<strong>in</strong> analysiert. Desweiteren wird<br />

auf die Bedeutung räumlicher Nähe für den Konflikt <strong>und</strong> die <strong>Lösung</strong>sf<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>gegangen<br />

<strong>und</strong> versucht, die Veränderungen, die sich für die Konfliktparteien <strong>durch</strong> die Mediation<br />

ergeben haben <strong>und</strong> die <strong>durch</strong> sie angestoßenen Prozesse abzuschätzen.<br />

Im letzten Schritt werden aus dem Vergleich der drei Fälle <strong>und</strong> unter Rückbezug auf die<br />

Diskussion <strong>in</strong> der Fachliteratur mögliche Gründe für das Scheitern oder Gel<strong>in</strong>gen <strong>in</strong>terkultureller<br />

Nachbarschaftsmediationen hergeleitet. Abschließend werden Empfehlungen<br />

für das weitere Vorgehen im Bezug auf die Bearbeitung <strong>in</strong>terkultureller <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Nachbarschaften</strong> <strong>in</strong> München gegeben.<br />

Mediation <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten<br />

Projekt Konfliktmanagement im <strong>in</strong>terkulturellen Kontext(KiK)<br />

Unterkunft<br />

Fallbeispiele<br />

Türkische<br />

Gaststätte<br />

Konfliktanalyse<br />

Analyse der Mediation<br />

Analyse der Mediationsergebnisse<br />

Gründe für Scheitern <strong>und</strong> Erfolg<br />

Empfehlungen<br />

Ausblick<br />

Jugendzentrum<br />

Abb. 2: Ablauf der Analyse der Fallbeispiele<br />

Quelle: Eigener Entwurf<br />

4


Methodik


3 Methodik<br />

Methodik<br />

Ziel der Untersuchung war zum e<strong>in</strong>en, die spezifische Situation <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

<strong>in</strong> München zunächst explorativ zu erfassen <strong>und</strong> zu strukturieren.<br />

Desweiteren wurde die <strong>Lösung</strong> solcher <strong>Konflikte</strong> mittels Mediation <strong>durch</strong> die subjektiven<br />

Erlebnisse <strong>und</strong> Bewertungen der teilnehmenden Personen analysiert. Daher bot sich für<br />

die vorliegende Untersuchung aus Gründen des Forschungsziels e<strong>in</strong>e qualitative Herangehensweise<br />

an.<br />

Beck-Gernsheim kritisiert, dass <strong>in</strong> der sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung <strong>in</strong><br />

zunehmendem Maße Deutsche über Migranten schreiben, ohne dabei auf e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Anpassung der Methoden zu achten. Viele Forschungen seien kulturbl<strong>in</strong>d <strong>und</strong><br />

ließen <strong>in</strong>terkulturelle Kommunikationsregeln <strong>und</strong> unterschiedliche kulturelle Werte <strong>und</strong><br />

Deutungsmuster vollkommen außer Acht. „Überlegungen dazu werden gar nicht erst<br />

angestellt, oder sie werden – vielleicht weil nicht wichtig genommen, vielleicht weil als<br />

problematisch empf<strong>und</strong>en – von der Veröffentlichung ausgenommen“ (2003, S. 79).<br />

Solches Vorgehen bliebe auch für die Art der Bef<strong>und</strong>e nicht folgenlos. Forschungen über<br />

Migranten erforderten viel Geduld, Erfahrung <strong>und</strong> Wissen über transnationale Räume<br />

<strong>und</strong> Lebensformen (vgl. 2003, S. 90). Ich habe mich bemüht, im methodischen Vorgehen,<br />

bei den Interviews <strong>und</strong> der Auswertung kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen<br />

<strong>und</strong> auch me<strong>in</strong>e eigene Rolle zu reflektieren. Allerd<strong>in</strong>gs kann selbst e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive<br />

Beschäftigung mit <strong>in</strong>terkultureller Kommunikation nicht vor möglichen Fehl<strong>in</strong>terpretationen<br />

schützen. Immer muss e<strong>in</strong>e Bee<strong>in</strong>flussung <strong>durch</strong> die eigene kulturelle Zugehörigkeit<br />

<strong>und</strong> Sozialisation berücksichtigt werden. Gerade die heikle Thematik <strong>in</strong>terkultureller<br />

<strong>Konflikte</strong> <strong>und</strong> der Anspruch, deren Ursachen e<strong>in</strong>erseits nicht zu kulturalisieren, die Rolle<br />

von Kultur jedoch auch nicht unterzubewerten, stellen dabei e<strong>in</strong>en Balanceakt dar. Es<br />

wäre <strong>in</strong>teressant <strong>und</strong> aus oben genannten Gründen auch s<strong>in</strong>nvoll, solche Forschungsarbeiten<br />

im multikulturell zusammengesetzten Team <strong>durch</strong>zuführen.<br />

Im Folgenden soll nicht weiter auf die Wahl der Methoden, sondern auf das genaue<br />

Vorgehen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Probleme e<strong>in</strong>gegangen werden (zur weiteren<br />

Charakterisierung qualitativer Methodik vgl. u.a. Lamnek 1995, S. 21-29).<br />

3.1 Experten<strong>in</strong>terviews<br />

Um die Situation <strong>in</strong> München <strong>und</strong> die bisherigen Erfahrungen mit <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten<br />

<strong>und</strong> deren <strong>Lösung</strong> e<strong>in</strong>schätzen zu können, führte ich Experten<strong>in</strong>terviews<br />

<strong>durch</strong>, die <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie der Exploration des Felds, aber auch der systematischen<br />

Informationsgew<strong>in</strong>nung dienten (vgl. Bogner/ Menz 2002, S. 36-38). Diese wurden<br />

anhand e<strong>in</strong>es Leitfadens (-->Anhang 11), der jeweils die gleichen Themenbereiche<br />

abdeckte, jedoch je nach beruflichem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des Experten angepasst wurde,<br />

<strong>durch</strong>geführt <strong>und</strong> mit Tonband mitgeschnitten. Die Gespräche dauerten zwischen dreißig<br />

M<strong>in</strong>uten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er St<strong>und</strong>e.<br />

Ich versuchte, bei der Auswahl der Experten sowohl städtische als auch private Institutionen<br />

zu berücksichtigen <strong>und</strong> die Sichtweise von Deutschen <strong>und</strong> Migranten zu erfassen.<br />

Dazu wählte ich zunächst Personen aus, die <strong>durch</strong> <strong>ihre</strong> berufliche Erfahrung als Experten<br />

im Bereich <strong>in</strong>terkulturelle <strong>Nachbarschaften</strong> gesehen werden können. Ich sprach mit dem<br />

Leiter der Stelle für <strong>in</strong>terkulturelle Arbeit Herrn Rudolf Stummvoll <strong>und</strong> Frau Anja Huber,<br />

Abteilung für Quartiersbezogene Bewohnerarbeit, die beide im Amt für Wohnen <strong>und</strong><br />

5


Methodik<br />

Migration der Stadt München angesiedelt s<strong>in</strong>d. Auf deren Empfehlung wandte ich mich<br />

an Mitarbeiter zweier städtischer Wohnbaugesellschaften, der GWG (Geme<strong>in</strong>nützige<br />

Wohnstätten- <strong>und</strong> Siedlungsgesellschaft) <strong>und</strong> der GEWOFAG (Geme<strong>in</strong>nützige Wohnungsfürsorge<br />

AG), da diese <strong>in</strong> der Praxis sehr viel Erfahrung mit <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Nachbarschaftskonflikten sammeln. Ich sprach <strong>in</strong>sgesamt mit drei Mitarbeitern der<br />

Vermietabteilung bzw. K<strong>und</strong>enbetreuung <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>em Sozialpädagogen, der die<br />

Wohnanlagen e<strong>in</strong>er der Wohnbaugesellschaften unter anderem im Hasenbergl betreut.<br />

Diese werden im weiteren aufgr<strong>und</strong> der von e<strong>in</strong>igen Personen geäußerten Bitte um<br />

Anonymisierung nicht namentlich zitiert, den Interviews werden die Nummern e<strong>in</strong>s bis<br />

vier zugeordnet (Mitarbeiter Nr. 1-3, Sozialpädagoge Nr. 4). Desweiteren <strong>in</strong>terviewte ich<br />

Herrn Staiger vom Institut für Sozialpädagogische Arbeit (I.S.AR. GmbH), welches unter<br />

anderem für Wohnbaugesellschaften aufsuchende Sozialarbeit <strong>und</strong> Konfliktvermittlung<br />

<strong>durch</strong>führt, Herrn Rados von der Geschäftstelle des Ausländerbeirats <strong>und</strong> Herrn Albert<br />

von der Schlichtungsstelle des Kreisverwaltungsreferats.<br />

Die Gesprächspartner waren fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> auskunftsbereit, e<strong>in</strong>ige zeigten sich jedoch<br />

auch misstrauisch. In diesen Interviews wurden meist nach dem offiziellen Ende des<br />

Interviews <strong>und</strong> Abschaltung des Tonbandgeräts weitere wichtige Informationen genannt.<br />

Es zeigte sich me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach deutlich, dass die Thematik <strong>Konflikte</strong> zwischen<br />

Migranten <strong>und</strong> Deutschen für viele brisant ist <strong>und</strong> aus den unterschiedlichsten<br />

Gründen e<strong>in</strong>e Scheu herrscht, sich offen damit ause<strong>in</strong>ander zu setzen (vgl. Diskussion <strong>in</strong><br />

Kap. 5.3.3. --> Ausländerfe<strong>in</strong>dlichkeit <strong>und</strong> Integrationserwartungen). Der Zugang zu<br />

ausführlichen Informationen ist also erschwert <strong>und</strong> es bleibt bei der Auswertung der<br />

Interviewaussagen zu berücksichtigen, dass manche Gesprächspartner unter Umständen<br />

nicht alle vorhandenen Informationen nannten bzw. die Situation beschönigten.<br />

Desweiteren stellte ich kurze telefonische Nachfragen an Herrn Gruber, Amt für Wohnen<br />

<strong>und</strong> Migration/Sozialbelegung, Frau Dellner-Aumann, Beschwerdestelle für Diskrim<strong>in</strong>ierungsfälle<br />

der Stadt München <strong>und</strong> Herrn Folda vom Planungsreferat.<br />

Um die Perspektive der Migranten authentischer zu erfassen, führte ich e<strong>in</strong> Gruppen<strong>in</strong>terview<br />

mit Mitgliedern der türkischen Tanzgruppe „Elvan“ <strong>durch</strong>, die auch eng mit dem<br />

Vere<strong>in</strong> „Aktiv für <strong>in</strong>terKulturellen Austausch e.V.“ (AKA) zusammenarbeiten. Das Gespräch<br />

sollte mir E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> das Handlungs- <strong>und</strong> Erfahrungswissen dieser Personen<br />

geben, da sie <strong>durch</strong> <strong>ihre</strong> Alltagserfahrungen Experten, die selbst e<strong>in</strong> Teil des Handlungsfeldes<br />

s<strong>in</strong>d, darstellen (vgl. Meuser/ Nagel 2002, S. 73). Es nahmen jeweils vier Frauen<br />

<strong>und</strong> vier Männer - zwischen 18 <strong>und</strong> 32 Jahren alt - mit unterschiedlichsten persönlichen<br />

H<strong>in</strong>tergründen teil: Vier hatten deutsche Staatsbürgerschaft, die übrigen türkische. Zwei<br />

Frauen waren <strong>in</strong> München geboren, <strong>ihre</strong> Familien lebten bereits <strong>in</strong> der dritten Generation<br />

hier. Zwei Personen lebten erst seit wenigen Jahren <strong>in</strong> Deutschland <strong>und</strong> waren ohne <strong>ihre</strong><br />

engere Familie hier, die übrigen waren <strong>in</strong> der Türkei geboren <strong>und</strong> lebten schon seit <strong>ihre</strong>r<br />

K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> Deutschland. Sechs Teilnehmer waren Studenten, e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Ausbildung <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er arbeitslos. Im Gespräch stellte ich e<strong>in</strong>ige Impulsfragen, welche die Teilnehmer aus<br />

<strong>ihre</strong>r Erfahrung <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>m Lebensalltag beantworteten (vgl. Atteslander 2003, S. 155f).<br />

Das Gespräch fand auf deutsch statt, dauerte etwa 45 M<strong>in</strong>uten <strong>und</strong> entwickelte sich<br />

gegen Ende zu e<strong>in</strong>er Gruppendiskussion, <strong>in</strong> der ich nur noch beobachtende Funktion<br />

hatte <strong>und</strong> die Teilnehmer <strong>ihre</strong> Standpunkte darlegten (vgl. Bortz/ Dör<strong>in</strong>g 2002, S. 319f).<br />

6


Methodik<br />

Ich hatte nicht den E<strong>in</strong>druck, dass es bei irgende<strong>in</strong>em Befragten sprachliche Probleme<br />

gab. Aus zeitlichen Gründen sah ich davon ab, weitere, ältere Migranten aus der ersten<br />

E<strong>in</strong>wanderergeneration zu befragen. Dies hätte möglicherweise das Spektrum an<br />

Antworten noch erweitert, jedoch weitere Anforderungen an die Interkulturalität der<br />

Methodik gestellt, die im Rahmen dieser Arbeit zu weit geführt hätten. Die Befragten<br />

nahmen desöfteren Bezug auf die Erfahrungen der ganzen Familie oder der Eltern, so<br />

dass diese Punkte zum<strong>in</strong>dest Berücksichtigung fanden.<br />

Weitere Informationen erhielt ich <strong>durch</strong> die Teilnahme an Veranstaltungen wie der<br />

Podiumsdiskussion „Migration – Bedrohung oder Bereicherung?“ am 14.Juli 2004 im<br />

E<strong>in</strong>e-Welt-Haus München <strong>und</strong> den von der Stelle für <strong>in</strong>terkulturelle Arbeit veranstalteten<br />

Fachtagungen „<strong>Interkulturelle</strong> Verständigung - Leben <strong>und</strong> Wohnen <strong>in</strong> München“ am 11.<br />

<strong>und</strong> 18. Oktober 2004.<br />

3.2 Fallstudien<br />

Den Hauptteil der empirischen Arbeit stellt die Untersuchung der drei im Projekt „Konfliktmanagement<br />

im <strong>in</strong>terkulturellen Kontext“ bearbeiteten Konfliktfälle dar. Um e<strong>in</strong>en<br />

Zugang zum Untersuchungsfeld zu bekommen, führte ich mehrere Gespräche mit der<br />

Leiter<strong>in</strong> der Koord<strong>in</strong>ierungsstelle Frau Soraya Attari <strong>und</strong> nahm an Covisions- <strong>und</strong> Supervisionssitzungen<br />

sowie zwei Ausbildungsmodulen mit den Mediatoren teil. Desweiteren<br />

führte ich qualitative Experten<strong>in</strong>terviews mit Daniel Günthör von der Stelle für <strong>in</strong>terkulturelle<br />

Arbeit im Sozialreferat, der mit acht St<strong>und</strong>en <strong>in</strong> der KiK-Koord<strong>in</strong>ierungsstelle<br />

beschäftigt ist, <strong>und</strong> mit dem Mediator <strong>und</strong> Ausbilder der KiK-Mediatoren Kurt Faller.<br />

Da<strong>durch</strong> hatte ich die Möglichkeit, mit der Vorgehensweise bei der Bearbeitung von<br />

Konfliktfällen <strong>und</strong> aktuellen Fragestellungen vertraut zu werden <strong>und</strong> e<strong>in</strong> gutes Kontaktnetz<br />

aufzubauen. Ich musste jedoch auch immer darauf achten, nicht die kritische<br />

Distanz zu verlieren <strong>und</strong> zu sehr die Perspektive der KiK-Mitarbeiter anzunehmen (vgl.<br />

Bortz/ Dör<strong>in</strong>g 2002, S. 341).<br />

3.2.1 Auswahl der Fälle<br />

Die Auswahl der zu analysierenden Fälle gestaltete sich zunächst schwierig, da trotz<br />

<strong>in</strong>tensiver Öffentlichkeitsarbeit kaum Konfliktfälle an KiK gemeldet wurden. Die drei Fälle<br />

„Unterkunft“, „Gaststätte“ <strong>und</strong> „Jugendzentrum“ stellten letztlich bei Beg<strong>in</strong>n der Empiriephase<br />

die e<strong>in</strong>zigen Fälle dar, <strong>in</strong> denen es zu e<strong>in</strong>er weiterführenden Bearbeitung <strong>durch</strong><br />

die Mediatoren gekommen war. Als Geograph<strong>in</strong> sah ich me<strong>in</strong>e Aufgabe nicht <strong>in</strong> der<br />

Evaluation der Arbeit der Mediatoren oder des Projekts KiK, was höhere Fallzahlen <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e Begleitung des gesamten Mediationsprozesses vorausgesetzt <strong>und</strong> zudem die<br />

Fragestellung eher <strong>in</strong> den Bereich der Sozialpädagogik oder Psychologie verlagert hätte.<br />

Ich entschied mich, anhand dieser drei Fälle die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der<br />

Mediation gerade im Bereich <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte aufzuzeigen <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e diesbezügliche Weiterentwicklung der Analysewerkzeuge vorzuschlagen. E<strong>in</strong>e<br />

qualitative Untersuchung an drei Fällen kann nicht den Anspruch erheben repräsentativ<br />

zu se<strong>in</strong>, vielmehr wollte ich e<strong>in</strong> möglichst breites Spektrum möglicher Konfliktfelder<br />

abdecken. Bortz <strong>und</strong> Dör<strong>in</strong>g fordern für die Generalisierbarkeit von Fallanalysen auch<br />

ergänzende quantifizierende Aussagen (vgl. 2002, S. 337).<br />

Weiterführende Forschung über Mediation <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten -<br />

gerade auch von Personen, die selbst e<strong>in</strong>en Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> haben - ist unbed<strong>in</strong>gt<br />

7


Methodik<br />

nötig, aufgr<strong>und</strong> der Komplexität <strong>und</strong> Diversität der Thematik besteht bei quantitativer<br />

Forschung <strong>in</strong> diesem Bereich aber e<strong>in</strong>e hohe Gefahr der Vere<strong>in</strong>fachung.<br />

Bei der Betrachtung der Ergebnisse ist die E<strong>in</strong>zigartigkeit jeden Falles zu berücksichtigen,<br />

zumal die Fälle nicht die optimalen Bed<strong>in</strong>gungen boten, wie im Unterkunftsfall die<br />

lange zurückliegende Bearbeitung oder im Jugendzentrumsfall das Fehlen e<strong>in</strong>er Gegenpartei<br />

<strong>durch</strong> den Tod e<strong>in</strong>er Nachbar<strong>in</strong>. Untypisch s<strong>in</strong>d die drei Fälle möglicherweise<br />

<strong>in</strong>sofern, als bei <strong>Konflikte</strong>n oft Vorbehalte gegenüber Migranten e<strong>in</strong>e größere Rolle<br />

spielen.<br />

3.2.2 Qualitative Befragung der Mediatoren <strong>und</strong> Konfliktparteien<br />

Ich führte qualitative Interviews mit nahezu allen an der Mediation beteiligten Akteuren<br />

<strong>durch</strong>. Die Personen s<strong>in</strong>d im folgenden pseudonymisiert <strong>und</strong> auch der jeweilige Stadtteil<br />

wird aus Gründen des Datenschutzes nicht genannt. Ebenso werden die Mediatoren <strong>in</strong><br />

der Auswertung nicht namentlich erwähnt, um e<strong>in</strong>e Zuordnung zum jeweiligen Fall zu<br />

erschweren. Ich möchte aber im Folgenden kurz auf die fachlichen <strong>und</strong> kulturellen<br />

H<strong>in</strong>tergründe der befragten Mediatoren e<strong>in</strong>gehen. Alle Befragten arbeiteten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

städtischen Stelle oder bei e<strong>in</strong>em freien Träger im Bereich <strong>Interkulturelle</strong>s/Migration.<br />

Vier Mediatoren haben den Abschluss Diplomsozialpädagoge, zwei hatten e<strong>in</strong> Lehramtsstudium<br />

absolviert; im Durchschnitt waren die Mediatoren seit zehn Jahren <strong>in</strong> diesem<br />

Feld tätig. Vier Personen waren weiblich, drei Mediatoren waren Deutsche. Die übrigen<br />

hatten e<strong>in</strong>en deutsch-<strong>in</strong>dischen, österreichischen <strong>und</strong> kosovo-albanischen Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>.<br />

Befragung der Mediatoren<br />

Zunächst führte ich qualitative leitfadengestützte Interviews mit allen sechs Mediatoren<br />

<strong>durch</strong>, wobei der Leitfaden ger<strong>in</strong>gfügig an den jeweiligen Fall angepasst wurde (--><br />

Anhang 12). Die Gespräche dauerten zwischen dreißig M<strong>in</strong>uten <strong>und</strong> 1,5 St<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

fanden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er entspannten Atmosphäre statt. Ich hatte den E<strong>in</strong>druck, dass die Mediatoren<br />

erfreut waren, die Konfliktfälle <strong>und</strong> Mediationen nochmals reflektieren zu können<br />

<strong>und</strong> sie teilweise auch für sich neue Erkenntnisse daraus zogen. Die Aussagen der<br />

Mediatoren nehmen <strong>in</strong> der Analyse e<strong>in</strong>e besondere Stellung e<strong>in</strong>, da sie im Bezug auf die<br />

Beurteilung des Konflikts <strong>und</strong> der Mediation die Rolle von Experten ausfüllen (vgl.<br />

Meuser/ Nagel 2002, S. 73). Da sie selbst sich bereits über e<strong>in</strong>en längeren Zeitpunkt mit<br />

der Konfliktsituation beschäftigten <strong>und</strong> über e<strong>in</strong>e methodische Ausbildung verfügen, was<br />

die Analyse <strong>und</strong> Herangehensweise an <strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftskonflikte betrifft,<br />

wird <strong>ihre</strong>r Beurteilung <strong>in</strong> manchen Punkten besondere Bedeutung beigemessen.<br />

Befragung der Konfliktparteien<br />

Fälle „Unterkunft“ <strong>und</strong> „Gaststätte“ 3<br />

Im Fall „Unterkunft“ befragte ich den Unterkunftsverwalter Herrn Stegmüller <strong>und</strong> den<br />

S<strong>in</strong>to Renaldo Seeger. Se<strong>in</strong>e Frau G<strong>in</strong>a war nicht bereit, an e<strong>in</strong>em Gespräch teilzunehmen,<br />

dafür waren aber se<strong>in</strong> Bruder <strong>und</strong> später auch se<strong>in</strong>e Mutter anwesend.<br />

3 ab hier alle Namen pseudonymisiert<br />

8


Methodik<br />

Im Fall „Gaststätte“ fanden zwei persönliche qualitative Leitfadengespräche, zum e<strong>in</strong>en<br />

mit der Pächter<strong>in</strong> Frau Demir <strong>und</strong> dem Fre<strong>und</strong> der Familie <strong>und</strong> Geschäftsführer Herrn<br />

Yildirim, zum anderen mit dem Mieter Herrn Borchert statt. Dessen Vermieter Strasshofer<br />

war zu ke<strong>in</strong>em persönlichen Gespräch bereit, so dass ich ihm die wichtigsten Fragen<br />

telefonisch stellte.<br />

Bei diesen Gesprächen wählte ich e<strong>in</strong>en eher weichen Befragerstil (vgl. Atteslander<br />

2003, S. 149f), <strong>in</strong>dem ich zwar im Verlauf des Gesprächs den Leitfaden (--> Anhang 13)<br />

abfragte, mich jedoch generell zurückhielt, so dass längere narrative Phasen entstanden.<br />

Da<strong>durch</strong> sollte den Akteuren die Möglichkeit gegeben werden, möglichst unbee<strong>in</strong>flusst<br />

<strong>ihre</strong> Sichtweise aus <strong>ihre</strong>n eigenen sozialen Bed<strong>in</strong>gungen heraus darzustellen (vgl.<br />

Atteslander 2003, S. 158). Alle Gespräche bis auf das Interview Demir/Yildirim <strong>und</strong> das<br />

Telefon<strong>in</strong>terview mit dem Vermieter Strasshofer wurden auf Tonband aufgezeichnet. Bei<br />

letzterem stand ke<strong>in</strong>e Lautsprechere<strong>in</strong>richtung zur Verfügung, so dass ich mitprotokollierte.<br />

Frau Demir <strong>und</strong> Herr Yildirim schienen zunächst sehr misstrauisch <strong>und</strong> erklärten<br />

sich zwar zu e<strong>in</strong>em Gespräch bereit, stimmten aber e<strong>in</strong>er Aufzeichnung nicht zu, so dass<br />

ich <strong>in</strong> Stichpunkten protokollierte <strong>und</strong> umgehend nach dem Interview weitere Punkte<br />

<strong>und</strong> Beobachtungen aus dem Gedächtnis ergänzte. Die Befragten sprachen mit mir<br />

deutsch, Frau Demir stellte ab <strong>und</strong> zu Verständnisfragen an Herrn Yildirim, drückte sich<br />

selbst aber gut verständlich aus.<br />

Bei diesen Interviews fiel besonders auf, dass die Gespräche mit dem S<strong>in</strong>to Seeger <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>er Familie <strong>und</strong> der Pächter<strong>in</strong> Demir <strong>und</strong> Herrn Yildirim von e<strong>in</strong>er ganz anderen<br />

Dynamik geprägt waren. Das Gespräch wurde stark von den Befragten geführt <strong>und</strong> ich<br />

erhielt den E<strong>in</strong>druck, dass sie <strong>in</strong> mir nicht nur die Forschende sahen, sondern sich <strong>in</strong><br />

gewissem Maß auch Hilfe <strong>durch</strong> das Bekanntmachen <strong>ihre</strong>r Problematik erhofften. Ich<br />

wies sie daher immer wieder darauf h<strong>in</strong>, dass ich e<strong>in</strong>e neutrale Rolle e<strong>in</strong>nehme. Ich<br />

vermute, dass sich diese spezifisch bei den Nicht-Deutschen auftretende Beobachtung<br />

nicht nur <strong>durch</strong> die kulturelle <strong>und</strong> soziale Herkunft der Personen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e daher bed<strong>in</strong>gt<br />

andere Haltung Befragungen gegenüber, sondern vor allem <strong>durch</strong> den besonderen<br />

Leidensdruck der jeweiligen persönlichen Situation erklären lässt.<br />

Da<strong>durch</strong>, dass im Interview mit Demir/Yildirim nur teilweise mitprotokolliert werden<br />

konnte, besteht zusätzlich die Gefahr, dass ich vor allem bemerkte, was mir verständlich<br />

<strong>und</strong> überzeugend erschien. Noelle-Neumann/Petersen warnen vor diesem Interviewere<strong>in</strong>fluss:<br />

„Was sie erwartet haben, registrieren sie – unbewusst- besser als das Unerwartete“<br />

(2000, S. 129).<br />

Beim Gespräch mit dem Unterkunftsverwalter zeigte sich e<strong>in</strong>e andere Problematik, die<br />

vor allem <strong>durch</strong> das für die öffentliche Verwaltung brisante Thema entstand. Herr<br />

Stegmüller erschien zwar sehr gesprächsbereit, vermied es jedoch me<strong>in</strong>es Erachtens, die<br />

Eskalation der Konfliktsituation <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Rolle dabei detailliert zu beschreiben. Trotz der<br />

Zusicherung der Anonymisierung schien die Sorge um den Ruf der Verwaltung e<strong>in</strong>e<br />

dom<strong>in</strong>ante Rolle zu spielen, so dass die Ergebnisse diesbezüglich mit E<strong>in</strong>schränkungen<br />

betrachtet werden müssen 4 .<br />

4 vgl. weitere Ausführungen zum Umgang mit dieser Problematik im Kap. 6.1.3<br />

9


Methodik<br />

Befragungen im Fall „Jugendzentrum“<br />

Aufgr<strong>und</strong> des langen Bearbeitungszeitraums hatte ich im Jugendzentrumsfall die Gelegenheit,<br />

an e<strong>in</strong>em Teil der Vorgespräche teilnehmen zu können. Bei den Vorgesprächen<br />

mit dem Bezirksausschuss, der stellvertretenden Leiter<strong>in</strong> der JuZ-Trägerorganisation <strong>und</strong><br />

der Vorstellung der Vermittlungskommission mit zwei Jugendlichen <strong>und</strong> dem Jugendpfleger<br />

nahm ich die Rolle der Protokollant<strong>in</strong> e<strong>in</strong>. So hatte ich die Möglichkeit e<strong>in</strong>er<br />

teilnehmenden Beobachtung, ohne <strong>durch</strong> me<strong>in</strong>e Anwesenheit den Prozess wesentlich zu<br />

bee<strong>in</strong>flussen (vgl. Atteslander 2003, S. 102ff). Den Akteuren war nicht bewusst, dass ich<br />

nicht zum KiK Projekt gehörte <strong>und</strong> die Mediatoren nahmen me<strong>in</strong>e Anwesenheit me<strong>in</strong>es<br />

Erachtens nicht als verhaltensbee<strong>in</strong>flussende Beobachtung wahr. Zu diesem Zeitpunkt<br />

war ich bereits <strong>in</strong> das Feld <strong>in</strong>tegriert <strong>und</strong> die Protokollführung wurde eher als Entlastung<br />

empf<strong>und</strong>en, so dass die Mediatoren sich umso mehr auf das Gespräch konzentrieren<br />

<strong>und</strong> ich gleichzeitig dokumentieren konnte (vgl. Bortz/ Dör<strong>in</strong>g 2002, S. 341f).<br />

Zusätzlich führte ich daraufh<strong>in</strong> qualitative Interviews mit der Leiter<strong>in</strong> des Jugendzentrums<br />

<strong>und</strong> dem zuständigen Jugendpfleger.<br />

In diesem Fall konnten nicht, wie bei den anderen beiden Fällen, zwei streitende Parteien<br />

befragt werden: <strong>in</strong> der Mediation fehlte die Gegenseite der Nachbarn, da e<strong>in</strong>e<br />

anfangs kurz <strong>in</strong> die Mediationsvorgespräche e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>ene Nachbar<strong>in</strong> verstarb <strong>und</strong> die<br />

übrigen direkt am Konflikt beteiligten Nachbarn sich weigerten teilzunehmen. Um den<br />

Nachbarschaftskonflikt e<strong>in</strong>schätzen zu können ergänzte ich <strong>in</strong> diesem Fall das Forschungsdesign<br />

um e<strong>in</strong>e teilstandardisierte Befragung der direkt anwohnenden Nachbarn.<br />

Von den fünfzehn relevanten Haushalten erreichte ich bei drei Befragungsterm<strong>in</strong>en<br />

zwölf, von denen e<strong>in</strong>er die Teilnahme verweigerte. Die übrigen drei Nachbarn waren bei<br />

ke<strong>in</strong>em der Versuche zu Hause. Das Interesse der befragten Nachbarn war groß <strong>und</strong> die<br />

Beantwortung erfolgte mitunter weit umfassender als <strong>durch</strong> die Teilstandardisierung<br />

vorgegeben. Die Ergebnisse stellen e<strong>in</strong>e wichtige Erweiterung der Sichtweise des<br />

Konflikts dar (vgl. Fragebogen, ausführliche Auswertung der Ergebnisse im Anhang.).<br />

3.3 Auswertung<br />

Die Auswertung der Experten<strong>in</strong>terviews <strong>und</strong> der Fallbeispiele erfolgte <strong>durch</strong> die E<strong>in</strong>ordnung<br />

der transkribierten Aussagen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Kategorienschema, dass grob <strong>durch</strong> die<br />

Fragestellung <strong>und</strong> die Leitfäden vorgegeben war. Dabei fand auch e<strong>in</strong>e Ergänzung <strong>durch</strong><br />

zusätzliche, aus dem empirischen Material abgeleitete Kategorien statt bzw. wurden<br />

andere Kategorien, die sich als irrelevant oder ungenau def<strong>in</strong>iert herausstellten, gestrichen<br />

oder zusammengefasst (vgl. Bortz/ Dör<strong>in</strong>g 2002, S. 330 f). Es wurde darauf<br />

geachtet, objektive, <strong>in</strong>tersubjektiv nachvollziehbare Interpretationen zu geben <strong>und</strong> zu<br />

prüfen, ob die Erklärungsmuster generalisierbar s<strong>in</strong>d. Bei der Auswertung <strong>und</strong> Interpretation<br />

der Befragungen musste die starke Abhängigkeit der Aussagen vom Ausdrucksvermögen<br />

der Befragten bedacht werden: „Angehörige der gehobenen Bildungsschichten<br />

kommen stärker zu Wort, da sie <strong>in</strong> ganz anderer Weise wendig im Formulieren <strong>ihre</strong>r<br />

Ansichten s<strong>in</strong>d als die e<strong>in</strong>fachen Bevölkerungskreise“ (Noelle-Neumann/ Petersen 2000,<br />

S.129). Die Aussagen wurden deshalb bewusst <strong>in</strong> Umgangssprache bzw. Dialekt zitiert,<br />

um <strong>durch</strong> die Glättung <strong>in</strong>s Hochdeutsche ke<strong>in</strong>e Verfälschung oder Informationsverlust zu<br />

verursachen.<br />

10


Theoretische E<strong>in</strong>ordnung


Gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />

4 Theoretische E<strong>in</strong>ordnung<br />

4.1 Gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />

Um e<strong>in</strong> Verständnis für die nachfolgende Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r <strong>Lösung</strong> <strong>durch</strong> Mediation zu schaffen, möchte ich im Folgenden kurz auf die<br />

gr<strong>und</strong>legenden Begriffe Kultur <strong>und</strong> Konflikt e<strong>in</strong>gehen. Beide werden zum e<strong>in</strong>en im<br />

alltäglichen Sprachgebrauch häufig <strong>und</strong> mit unterschiedlichsten Konnotationen verwendet,<br />

s<strong>in</strong>d aber auch <strong>in</strong> den aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskursen unter anderem<br />

von Geographie, Soziologie <strong>und</strong> Ethnologie von Bedeutung.<br />

4.1.1 Kultur<br />

Geographische Kulturforschung sah Kultur zunächst als territorial existierend <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />

Lebensräumen verankert <strong>und</strong> sie entwickelte daraus Kulturraumtheorien. Dabei bildete<br />

das Nahe das Vertraute <strong>und</strong> das Ferne das Fremde, wie Werlen veranschaulicht (vgl.<br />

2003, S. 255). Globalisierung <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Bedeutungsverschiebung von<br />

Raum haben dazu geführt, dass „das räumlich Ferne zeitliche Nähe erreichen <strong>und</strong><br />

räumlich Nahes – wie lokale Traditionen – (...) se<strong>in</strong>e Ursprünge <strong>in</strong> zeitlicher Ferne haben<br />

[kann] (Werlen 2003, S. 256). Auf der Basis dieser veränderten Voraussetzungen<br />

entwickelte sich Ende der ´80er Jahre zunächst vor allem <strong>durch</strong> angloamerikanische <strong>und</strong><br />

französische Geographen der cultural turn <strong>in</strong> der Geographie (vgl. dazu Sahr 2003, S.<br />

237ff). In den Diszipl<strong>in</strong>en der deutschsprachigen Geographie wurden die Ansätze erst<br />

später adaptiert. Die Relevanz kultureller Differenz wird aber auf den verschiedensten<br />

Ebenen „von globalen <strong>Konflikte</strong>n bis zum alltäglichen lokalen Zusammenleben gesellschaftlicher<br />

Gruppen“ (Gebhardt/ Reuber/ Wolkersdorfer 2003, S. 7) anerkannt <strong>und</strong><br />

unter Rückbezug auf die verschiedensten Diskurse, unter anderem der Nachbardiszipl<strong>in</strong><br />

Soziologie, behandelt. Kultur wird als „Gesamtbereich von Lebensformen <strong>und</strong> –weisen<br />

dargestellt, mit denen die Probleme der Existenz bewältigt werden. Der Kernaspekt des<br />

Kulturellen wird dabei <strong>in</strong> den Werten, Regeln <strong>und</strong> Deutungsmustern gesehen, auf die<br />

sich menschliches Handeln – auch die Transformation der Natur – bezieht“ (Werlen<br />

2003, S. 257).<br />

Die Def<strong>in</strong>itionsvielfalt des Begriffs Kultur ist groß. So kannte beispielsweise die Kulturanthropologie<br />

bereits vor fünfzig Jahren mehr als 150 Def<strong>in</strong>itionen (vgl. Avruch 1998, S.<br />

6), die sich, grob gesagt, <strong>in</strong> zwei Verwendungsweisen unterscheiden lassen: zum e<strong>in</strong>en<br />

der enge Kulturbegriff, wie er auch im Volksm<strong>und</strong> benutzt wird, wenn damit Bildung,<br />

Kunst, Literatur etc. geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> andererseits e<strong>in</strong> sehr viel weiter gefasster Kulturbegriff,<br />

unter dem <strong>in</strong> der Sozialanthropologie die Denk-, Fühl- <strong>und</strong> Handlungsmuster<br />

verstanden werden, die Menschen e<strong>in</strong>er bestimmten „Kultur“ teilen (vgl. Hofstede 1993,<br />

S.18-20).<br />

Strittig ist unter Sozialwissenschaftlern zum e<strong>in</strong>en, wo die Grenzen zwischen Natur <strong>und</strong><br />

Kultur bzw. zwischen Kultur <strong>und</strong> Persönlichkeit liegen <strong>und</strong> andererseits auch, wie<br />

weitreichend kulturelle E<strong>in</strong>flüsse das alltägliche Leben prägen. Dem Kulturverständnis<br />

dieser Arbeit liegt dabei die Vorstellung zugr<strong>und</strong>e, dass jeder Mensch zunächst e<strong>in</strong>mal<br />

<strong>durch</strong> die Kultur, <strong>in</strong> der er aufwächst, geprägt wird <strong>und</strong> sich dessen im normalen Alltag<br />

nicht bewusst ist (vgl. Maletzke 1996, S. 42). „Kultur als Konfiguration reziproker<br />

Normen <strong>und</strong> Verhaltensmuster sichert die Handlungsfähigkeit <strong>ihre</strong>r Mitglieder.<br />

11


Gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />

Sie stellt Plausibilität, Gleichförmigkeit, Regelmäßigkeit <strong>und</strong> Voraussehbarkeit der<br />

Handlungen – mit e<strong>in</strong>em Wort: ´Normalität´ her“ (Nicklas 1991, S.129). Kultur ist auch<br />

e<strong>in</strong> Orientierungssystem e<strong>in</strong>er Gesellschaft, Organisation oder Gruppe, welches „das<br />

Wahrnehmen, Denken, Werten <strong>und</strong> Handeln aller Mitglieder [bee<strong>in</strong>flusst] <strong>und</strong> (...)<br />

darüber auch die Zugehörigkeit zu dem betreffenden Kollektiv [def<strong>in</strong>iert]“ (Ropers 1999,<br />

S. 69).<br />

Der cultural turn der Geographie vertritt h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong> konstruktivistisches Kulturverständnis:<br />

„Jede Tätigkeit e<strong>in</strong>es Subjekts ist auch als Ausdruck bestimmter kultureller<br />

Standards, deren Reproduktion oder Transformation zu sehen“ (Werlen 2003, S. 258).<br />

Kulturen werden also von den ihnen zugehörigen Individuen, (aber auch von Außenstehenden<br />

bzw. Angehörigen anderer Kulturen, immer wieder neu geschaffen <strong>und</strong> weiterentwickelt<br />

5 , so dass Kultur „ke<strong>in</strong> fest umrissenes Ganzes sozialer Handlungen <strong>und</strong><br />

Orientierungen, sondern e<strong>in</strong> Verhandlungsobjekt [darstellt]“ (Kiesel 1998, S. 116).<br />

Moosmüller schlägt vor, diesen beiden Vorstellungen <strong>durch</strong> die Unterscheidung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

primordialen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en konstruktiven Aspekt von Kultur gerecht zu werden. Ersterer<br />

stelle dabei die unbewusste kulturelle Prägung dar, der andere die bewusste Aneignung<br />

kultureller Elemente (vgl. 2000, S. 26).<br />

E<strong>in</strong> anschauliches Modell von Kultur ist das Bild e<strong>in</strong>es Eisbergs: nur bestimmte Merkmale<br />

e<strong>in</strong>er Kultur werden bewusst von anderen wahrgenommen, die Übrigen bef<strong>in</strong>den sich<br />

zunächst unsichtbar „unter der Oberfläche“.<br />

Musik<br />

Kunst<br />

Kleidung<br />

Begrüßung<br />

Essen <strong>und</strong> Tr<strong>in</strong>ken<br />

Umgangsformen<br />

Rituale<br />

Sichtbares Verhalten<br />

Orientierungen bezüglich:<br />

Zeit<br />

Aktivität<br />

Kommunikation<br />

Raum<br />

Umwelt<br />

Macht<br />

Individualität<br />

Wettbewerb<br />

Struktur<br />

Denken<br />

Abb. 3: Eisbergmodell wahrgenommener kultureller Unterschiede<br />

Quelle: Deymsoden consult<strong>in</strong>g 2000, S. 12; Eigene Bearbeitung<br />

5<br />

Geographie <strong>in</strong> der Tradition der Postkolonialismus-Kritik weist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auf <strong>in</strong> dieser<br />

Weise immer wieder reproduzierte Machtstrukturen h<strong>in</strong> (vgl. u.a. Lossau 2003, S. 105); Bel<strong>in</strong>a ist der<br />

Me<strong>in</strong>ung, dass e<strong>in</strong>e ideologiekritische Kulturgeographie auch untersuchen muss, wer das Etikett „Kultur“ zu<br />

welchen Zwecken benutzt <strong>und</strong> welche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen dies ermöglichen (vgl. 2003, S. 95).<br />

12


Gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />

Wie s<strong>in</strong>d Kulturen verortet?<br />

Meist handelt es sich, wenn man von Kultur spricht, um „e<strong>in</strong> Kulturverständnis, bei dem<br />

es um die Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er ethnischen Gruppe, e<strong>in</strong>er Nation oder e<strong>in</strong>em <strong>durch</strong><br />

Religion <strong>und</strong> geographische Nähe geprägten ´Zivilisationskreis´ geht“ (Ropers 1999,<br />

S.69). Es wird vielfach diskutiert, ob die Bedeutung der ethnisch-kulturellen Zugehörigkeit<br />

nicht abnimmt, welche Rolle diese „im Vergleich zu anderen, ´modernen´ oder<br />

´postmodernen´ Zugehörigkeiten spielt bzw. <strong>in</strong>wieweit es <strong>in</strong> vielen Fällen überhaupt<br />

möglich ist, e<strong>in</strong>deutige Grenzen angesichts multipler kultureller Zugehörigkeiten vorzunehmen“<br />

(ebenda). Nicklas stellt fest, dass die meisten Menschen <strong>in</strong> modernen Gesellschaften<br />

mehreren Subkulturen angehören <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuell unterschiedliche Handlungsfähigkeit<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Normensystemen besitzen (vgl. 1991, S. 130). Dabei<br />

können die kulturellen Unterschiede <strong>in</strong> verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren <strong>und</strong><br />

Ebenen sogar größer se<strong>in</strong>, als diejenigen zwischen verschiedenen Ethnien. E<strong>in</strong> Jugendlicher<br />

aus Deutschland ist oft e<strong>in</strong>em anderen Jugendlichen aus Ch<strong>in</strong>a kulturell ähnlicher,<br />

als e<strong>in</strong>em ebenfalls aus Deutschland stammenden Abteilungsleiter e<strong>in</strong>er großen Firma<br />

(vgl. ähnliche Beispiele bei Haumersen 1999, S. 181).<br />

Es ist nicht neu, dass Menschen freiwillig oder gezwungen <strong>in</strong> kulturellen Überschneidungssituationen<br />

leben. Durch die Entwicklung moderner Verkehrs- <strong>und</strong> Kommunikationsmittel<br />

<strong>und</strong> die da<strong>durch</strong> immens gesteigerte Mobilität leben jedoch immer mehr<br />

Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fremden Kultur oder zwischen zwei Kulturen (vgl. Nicklas 1991, S.<br />

125). Zu unterscheiden s<strong>in</strong>d dabei das Zusammentreffen von Kulturen im Bereich<br />

Tourismus oder kurzfristiger Arbeits- <strong>und</strong> Studienaufenthalte <strong>und</strong> auf Dauer angelegte<br />

Wanderungen, die aufgr<strong>und</strong> von Arbeitssuche oder Vertreibung <strong>und</strong> Flucht erfolgen (vgl.<br />

Treibel 1999, S. 20f). Unter dem Begriff des Transnationalismus wird die Deterritorialisierung<br />

von Kulturen, die abnehmende Rolle des Nationalstaats <strong>und</strong> die Bildung plurilokaler<br />

ethnischer Netze diskutiert 6 (vgl. u.a. Hannertz 1995; Bommes 2003; Pries<br />

2003). Treibel beschreibt, wie Herkunftskulturen seit Beg<strong>in</strong>n der E<strong>in</strong>wanderung nach<br />

Deutschland transformiert werden <strong>und</strong> sich mit jeder Migrantengeneration neue Kulturen<br />

ausbilden (vgl. 1999, S.190ff). Wie solche Angleichungsprozesse von Kulturen ablaufen,<br />

wird <strong>in</strong> politischen wie wissenschaftlichen Diskursen unter den normativen Konzepten<br />

von Assimilation bzw. Multikulturalismus (vgl. dazu als Überblick Pristl 2000; --> Glossar)<br />

kontrovers diskutiert.<br />

Theoretische Modelle von Kultur<br />

Geht man also davon aus, dass Migranten <strong>ihre</strong> Heimatkultur kaum „<strong>in</strong> der fernen Heimat<br />

zurücklassen“ (Moosmüller 2000, S.22), Kultur vor allem aber aus gelebter Alltagspraxis<br />

bestehe, sich verändere <strong>und</strong> weiterentwickle, so ergibt sich die Frage nach angemessenen<br />

Analyse<strong>in</strong>strumenten kultureller Differenz 7 . Die Modelle der Anthropologen Hofstede<br />

<strong>und</strong> Hall, die eher den primordialen Aspekt kultureller Prägung betonen <strong>und</strong> Unterschie-<br />

6<br />

-> Glossar Transmigration<br />

Das Conta<strong>in</strong>erverständnis des Nationalstaates impliziert e<strong>in</strong>e kulturelle Gleichförmigkeit <strong>in</strong>nerhalb se<strong>in</strong>es<br />

Territoriums. Diese Annahme – sofern sie jemals richtig war – muss im Prozess der Globalisierung von<br />

<strong>in</strong>dividuellen Lebensläufen zunehmend <strong>in</strong> Frage gestellt werden (vgl. Beck 1997, S. 49ff) Durch pluri-lokale<br />

ethnische Kontakte spannen sich Netzwerke zwischen der Herkunfts- <strong>und</strong> Ankunftsgesellschaft auf, so dass<br />

Raumdistanzen zunehmend unbedeutend für soziale Kontakte <strong>und</strong> Loyalitäten werden (vgl. Pries 2003).<br />

7<br />

Es besteht die Gefahr, dass solche Überlegungen <strong>in</strong> rassistischen Diskursen zweckentfremdet werden.<br />

Dabei bleibt jedoch das Ziel solcher Untersuchungen zu bedenken: „Nicht die kulturellen Praxen schaffen die<br />

Differenz, sondern der ihnen zugeschriebene S<strong>in</strong>n <strong>in</strong>nerhalb bestimmter ökonomischer, kultureller <strong>und</strong><br />

politischer Domänen“ (Moosmüller 2000, S. 22)<br />

13


Gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />

de vor allem auf Nationalität beziehen, f<strong>in</strong>den besonders <strong>in</strong> der anwendungsorientierten<br />

Forschung <strong>und</strong> Ausbildung ausgeprägte Verwendung (vgl. u.a. Luger 1994, S.41ff). Es<br />

wird an diesen Modellen jedoch kritisiert 8 , sie seien kulturdeterm<strong>in</strong>istisch <strong>und</strong> würden<br />

Kultur isoliert vom jeweiligen ökonomischen, politischen <strong>und</strong> sozialen Kontext betrachten,<br />

was unter anderem zur Folge habe, dass Machtungleichheiten <strong>in</strong>terkultureller<br />

Interaktionen nicht berücksichtigt würden (Moosmüller 2000, S. 21).<br />

Wann spricht man von e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>terkulturellen Konflikt?<br />

In der multikulturellen Stadt f<strong>in</strong>den <strong>in</strong>terkulturelle Begegnungen bei e<strong>in</strong>er Vielzahl von<br />

Gelegenheiten <strong>in</strong> den Bereichen Arbeiten, Wohnen, Schule, Freizeit etc. statt <strong>und</strong> oft<br />

s<strong>in</strong>d <strong>Konflikte</strong> die Folge solcher kulturellen Überschneidungssituationen (vgl. Nicklas<br />

1991, S. 125). „Vorurteile, Unkenntnis <strong>und</strong> Vorbehalte h<strong>in</strong>sichtlich anderer Formen der<br />

Lebensgestaltung, Indifferenz, Berührungsängste <strong>und</strong> Bedrohungsgefühle prägen das<br />

Verhältnis untere<strong>in</strong>ander“ (Wehrhöfer 2002, S. 3).<br />

Um e<strong>in</strong>en Konflikt als <strong>in</strong>terkulturell e<strong>in</strong>zustufen, ist für Liebe <strong>und</strong> Haumersen wichtig,<br />

„dass auch tatsächlich die unterschiedliche kulturelle Zugehörigkeit ursächlich für<br />

denselben ist“ (Haumersen/ Liebe 1999, S. 36). Bei e<strong>in</strong>em Nachbarschaftskonflikt<br />

zwischen e<strong>in</strong>em gebürtigen Deutschen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em gebürtigen Türken könne nicht von<br />

vornhere<strong>in</strong> davon ausgegangen werden, dass es sich um e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>terkulturellen Konflikt<br />

handele. Im Gegensatz dazu fasst diese Arbeit den Begriff des <strong>in</strong>terkulturellen Konflikts<br />

weiter <strong>und</strong> geht davon aus, dass die ethnisch-kulturelle Zugehörigkeit möglicherweise<br />

für den Verlauf <strong>und</strong> Umgang mit dem Konflikt e<strong>in</strong>e Rolle spielt. Unsicherheits- <strong>und</strong><br />

Bedrohungsgefühle im Bezug auf die andere Kultur wie die oben genannten können sich<br />

dabei ebenso auswirken, wie kulturelle Eigenheiten. Dies können zum Beispiel unterschiedliche<br />

nonverbale <strong>und</strong> verbale Kommunikationsmuster oder e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>direkte bzw.<br />

konfrontative Austragungsweise von <strong>Konflikte</strong>n se<strong>in</strong> (vgl. Schramkowski 2001, S. 50).<br />

Da sich diese Arbeit also mit den Auswirkungen kultureller Unterschiede befasst <strong>und</strong><br />

nicht mit deren Entstehung, so sche<strong>in</strong>en die <strong>in</strong> der <strong>in</strong>terkulturellen Kommunikation<br />

verwendeten Modelle am besten geeignet, diese Unterschiede herauszuarbeiten (vgl.<br />

Moosmüller 2000, S. 23). Auch Avruch betont: “The descriptive advantage of a dimensional<br />

model like Hofstede´s (...) is obvious: it is a very good way to make a „first cut“<br />

at aggregat<strong>in</strong>g and categoriz<strong>in</strong>g cultural data, <strong>in</strong>clud<strong>in</strong>g those that may bear on such<br />

aspects of conflict analysis (…) and on such aspects of conflict resolution and negotiat<strong>in</strong>g<br />

styles (1998, S. 67). Dementsprechend wird auch <strong>in</strong> der <strong>in</strong>terkulturellen Mediation<br />

unter anderem auf die Ansätze von Hofstede <strong>und</strong> Hall zurückgegriffen. Im Folgenden<br />

werden diese Modelle herangezogen, um die Wirkungsweise von Kultur <strong>in</strong> <strong>Konflikte</strong>n <strong>und</strong><br />

bei der Mediation zu verdeutlichen. Anhand der Beispielfälle wird abschließend thematisiert,<br />

<strong>in</strong>wiefern diese Modelle für die Praxis von Nutzen se<strong>in</strong> können.<br />

8<br />

vgl. Moosmüller 2000 zur Diskussion über die Verwendung des Kulturbegriffs <strong>in</strong> der Ethnologie <strong>und</strong><br />

<strong>Interkulturelle</strong>n Kommunikation. In diesem Zusammenhang steht auch die Debatte über die Überbetonung<br />

kultureller Aspekte, das heißt den Vorwurf e<strong>in</strong>es Kulturalismus, welcher Kultur <strong>in</strong> „falscher Ausschließlichkeit<br />

<strong>und</strong> Unabhängigkeit gegen das Soziale <strong>und</strong> Politische auszuspielen versucht“ (Kaschuba 1998, S. 93). Dieser<br />

Diskurs wird <strong>in</strong> unterschiedlichen wissenschaftlichen Diszipl<strong>in</strong>en geführt, vgl. zusammenfassend Bürkner et<br />

al. 1999, S. 14ff)<br />

14


4.1.2 Konflikt<br />

Gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />

Konflikt ist e<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Literatur, wie auch im alltäglichen Gebrauch, häufig <strong>und</strong> <strong>durch</strong>aus<br />

widersprüchlich verwendeter Begriff, e<strong>in</strong>er „der schillerndsten (...) <strong>und</strong> z.T. <strong>in</strong> logisch<br />

<strong>in</strong>konsistenter Weise verwendeten Begriffe der Sozialwissenschaften“ (Bonacker/<br />

Imbusch 1999, S. 73). Dabei gibt es ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Konflikttheorie, sondern es wird<br />

e<strong>in</strong>e Vielfalt von Konfliktbegriffen <strong>und</strong> –verständnissen zugr<strong>und</strong>e gelegt, die je nach dem<br />

Diskurs, <strong>in</strong> dem sie verwendet werden, variieren 9 (vgl. Glasl 1990, S. 47ff; Bonacker<br />

1996, S. 16).<br />

In <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten spielen sowohl <strong>in</strong>trapersonale <strong>Konflikte</strong> wie<br />

Gruppenkonflikte e<strong>in</strong>e Rolle. Sie s<strong>in</strong>d damit <strong>in</strong>nerhalb des Systems menschlicher Interaktionen<br />

e<strong>in</strong>zuordnen, weshalb die von Glasl vorgeschlagene umfassende Def<strong>in</strong>ition des<br />

sozialen Konflikts geeignet ersche<strong>in</strong>t:<br />

E<strong>in</strong> sozialer Konflikt ist dabei e<strong>in</strong>e Interaktion zwischen Akteuren (Individuen, Gruppen,<br />

Organisationen usw.), wobei wenigstens e<strong>in</strong> Akteur Unvere<strong>in</strong>barkeiten im Denken /<br />

Vorstellen / Wahrnehmen <strong>und</strong>/ oder Fühlen <strong>und</strong>/ oder Wollen mit dem anderen Akteur<br />

(anderen Akteuren) <strong>in</strong> der Art erlebt, dass im Realisieren e<strong>in</strong>e Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>durch</strong><br />

e<strong>in</strong>en anderen Akteur erfolge (vgl. Glasl 1990, S. 14).<br />

Im Bezug auf <strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftskonflikte <strong>und</strong> auch die weitere Analyse der<br />

<strong>Lösung</strong> <strong>durch</strong> Mediation lässt sich diese Arbeitsdef<strong>in</strong>ition s<strong>in</strong>nvoll verwenden, da sie dem<br />

breiten Spektrum an Konfliktmöglichkeiten gerecht wird <strong>und</strong> noch nicht e<strong>in</strong>engend die<br />

Konfliktursachen oder mögliche Austragungsformen e<strong>in</strong>bezieht 10 . Allerd<strong>in</strong>gs wird <strong>in</strong> der<br />

Mediation <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> Konflikt erst bearbeitet, „wenn sich unvere<strong>in</strong>bare Interessen,<br />

Bestrebungen oder Werte zwischen zwei oder mehr Parteien <strong>in</strong> der Wahrnehmung, der<br />

E<strong>in</strong>stellung bzw. im Verhalten m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>er Partei tatsächlich manifestiert haben.<br />

Das heißt Ungleichheiten oder Ungerechtigkeiten als solche schaffen noch ke<strong>in</strong>en<br />

Konflikt. Sie müssen sich <strong>in</strong> der Beziehung zwischen den Kontrahenten sichtbar niederschlagen“<br />

(Ropers 1999, S. 62f).<br />

Funktionalität <strong>und</strong> Dysfunktionalität von <strong>Konflikte</strong>n<br />

In der soziologischen Konfliktforschung wird Georg Simmel von e<strong>in</strong>igen als der „erste<br />

orig<strong>in</strong>äre Konflikttheoretiker“ erachtet (Imbusch/ Zoll 1999, S. 134). Auf se<strong>in</strong>er Aussage,<br />

dass <strong>Konflikte</strong> für e<strong>in</strong>e Gesellschaft zum e<strong>in</strong>en unumgänglich <strong>und</strong> zum anderen <strong>durch</strong>aus<br />

positiv s<strong>in</strong>d, fußen die Konflikttheorien von Coser <strong>und</strong> Dahrendorf, welche beide die<br />

Bedeutung von sozialen <strong>Konflikte</strong>n für e<strong>in</strong>en sozialen Wandel betonen (Bonacker 1996,<br />

S. 17). Dieser funktionalen Sichtweise von <strong>Konflikte</strong>n stehen vor allem <strong>in</strong> konservativen<br />

Gesellschaftstheorien eher negative, dysfunktionale E<strong>in</strong>schätzungen gegenüber, welche<br />

„<strong>in</strong> extremen Varianten zur Negierung der gesellschaftlichen Konfliktrealität“ führen<br />

(Bonacker/ Imbusch 1999, S. 81).<br />

9<br />

In den verschiedenen Diszipl<strong>in</strong>en, die sich mit Konfliktforschung beschäftigen gibt es zahlreiche Versuche,<br />

<strong>Konflikte</strong> zu kategorisieren <strong>und</strong> damit dieses allgegenwärtige Phänomen <strong>durch</strong> Schemata greifbarer zu<br />

machen (u.a. <strong>in</strong> der Friedensforschung, Psychologie, Soziologie, Ökonomie, Spieltheorie). Dabei beziehen<br />

sich diese Kategorien unter anderem auf mögliche Streitgegenstände, die Akteure im Konflikt, unterschiedliche<br />

Konfliktursachen oder verschiedene Austragungs- <strong>und</strong> Regelungsformen (vgl. Krysmanski 1971, S. 9-14;<br />

Schmitt 2003, S.94-108).<br />

10<br />

Die E<strong>in</strong>beziehung dieser Punkte kritisieren Bonacker/Imbusch an bisherigen Konfliktdef<strong>in</strong>itionen, da damit<br />

die Gefahr e<strong>in</strong>er negativen Konfliktbewertung <strong>und</strong> Belastung des Konflikts verb<strong>und</strong>en sei, welche e<strong>in</strong>e<br />

angemessene Erfassung erschwere oder sogar verh<strong>in</strong>dere (1999, S. 74).<br />

15


Gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />

So lassen sich die E<strong>in</strong>schätzungen über die Funktion von <strong>Konflikte</strong>n grob <strong>in</strong> vier Abstufungen<br />

unterteilen:<br />

a) Konflikt als vollständig pathologische Ersche<strong>in</strong>ung, welche die soziale Ordnung<br />

bedroht.<br />

b) Konflikt als Dysfunktion, welche auf e<strong>in</strong>e Störung von effizienten Strukturen h<strong>in</strong>weist.<br />

c) Konflikt als normales Phänomen von Gesellschaften mit system<strong>in</strong>tegratorischen<br />

Funktionen.<br />

d) Konflikt als Auslöser <strong>und</strong> Förderer sozialen Wandels<br />

(vgl. Bonacker/ Imbusch 1999, S. 81/82)<br />

„Im Alltag herrscht <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> Konfliktverständnis vor, welches <strong>Konflikte</strong> als für<br />

natürlich erachtete Harmonie, Ordnung oder Geme<strong>in</strong>samkeiten bedrohende Elemente<br />

auffasst, die letztlich ob <strong>ihre</strong>r Auswirkungen dysfunktional für Mensch <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

s<strong>in</strong>d“ (Bonacker/ Imbusch 1999, S. 73). Dieser alltägliche Konfliktbegriff, der im Sprachgebrauch<br />

auch oft synonym mit Streit, Ause<strong>in</strong>andersetzung, Kampf, Gegensatz, Widerspruch<br />

verwendet wird, ist somit oft mit e<strong>in</strong>em negativen bzw. mit Vorurteilen belasteten<br />

Verständnis verb<strong>und</strong>en (vgl. Mehlich 1994, S. 44).<br />

Der <strong>in</strong> der Mediationsbewegung verwendete Konfliktbegriff<br />

In der Mediationsliteratur herrscht E<strong>in</strong>igkeit über die Allgegenwärtigkeit von <strong>Konflikte</strong>n <strong>in</strong><br />

jedem Lebensbereich, also darüber dass „(...) conflict simply exists and as such (…) is<br />

neither good nor bad. It is a central fact of human existence (…)” (Fisher Ronald J.<br />

1990, S. 1; vgl. auch Haumersen/ Liebe 1998, S. 136). Weiterführend wird angenommen,<br />

dass die Betrachtungsweise von <strong>Konflikte</strong>n stärker dazu übergehen sollte, sie als<br />

e<strong>in</strong> wichtiges Signal dafür zu sehen, dass etwas nicht oder nicht mehr stimmt <strong>und</strong><br />

verändert werden muss. <strong>Konflikte</strong> werden so zu e<strong>in</strong>er Chance der Entwicklung <strong>und</strong><br />

Verbesserung gegenseitiger Beziehungen, was im Konfliktverständnis der Mediationsbewegung<br />

zu e<strong>in</strong>em Konsens geworden ist (vgl. Besemer 2002, S. 24; Ropers 1999, S. 66;<br />

Geißler 2000, S.18). Inwiefern sich diese Überlegungen für die Mediation <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturelle<br />

Nachbarschaftskonflikten bestätigen lassen, wird <strong>in</strong> der vorliegenden Arbeit anhand<br />

der drei Beispielfälle untersucht.<br />

4.1.3 <strong>Interkulturelle</strong> <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Die Entstehung <strong>in</strong>terkultureller <strong>Konflikte</strong><br />

Treffen Menschen verschiedener Kulturen aufe<strong>in</strong>ander, so müssen sie manchmal feststellen,<br />

dass es Formen des Denkens, Verhaltens <strong>und</strong> Erlebens gibt, die sich mit <strong>ihre</strong>n<br />

gewohnten Schemata nicht vere<strong>in</strong>baren lassen. Missverständnisse, Fehl<strong>in</strong>terpretationen<br />

<strong>und</strong> <strong>Konflikte</strong> s<strong>in</strong>d oft unvermeidlich, da jede Person naturgemäß zunächst die eigenen<br />

Sitten <strong>und</strong> Normen zum Standard der Beurteilungen macht <strong>und</strong> als die gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

richtigen, ´normalen´ betrachtet (vgl. Maletzke 1996, S. 128). Diese Reaktion wird als<br />

Ethnozentrismus bezeichnet <strong>und</strong> ist <strong>durch</strong> die Relativität des Interpretationssystems <strong>und</strong><br />

die Kultur- <strong>und</strong> Sozialbed<strong>in</strong>gtheit der Weltsicht e<strong>in</strong>es Menschen zu erklären 11 (vgl.<br />

ebenda, S. 24; vgl. u.a. Fisher Ronald J. 1990, S. 22).<br />

11<br />

Als Gegentendenz zum Ethnozentrismus ist der Kulturrelativismus zu sehen (--> Glossar). Maletzke legt<br />

dar, dass dieser schwer zu erreichen ist da er „den Durchschnittsmenschen e<strong>in</strong>er wichtigen Orientierungshilfe,<br />

nämlich se<strong>in</strong>es Glaubens an die universale Verb<strong>in</strong>dlichkeit der eigenen Wertordnung [beraubt]“ (1996,<br />

S.27). Schäffter differenziert unterschiedliche Stufen des Fremderlebens, die mit verschiedenen Reaktionen<br />

verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d, wie beispielsweise das Fremde als das Auswärtige, als das noch Unbekannte oder als das<br />

Unheimliche (vgl. 1991, S. 14). Neben der zunächst als natürlich anzusehenden Reaktion des Ethnozentris-<br />

16


Gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />

Es liegt also die Vorstellung zu Gr<strong>und</strong>e, dass Menschen auf die Welt reagieren, wie sie<br />

sie wahrnehmen. E<strong>in</strong> <strong>und</strong> dieselbe Situation kann <strong>in</strong> den Köpfen völlig unterschiedlich<br />

repräsentiert se<strong>in</strong>, was wiederum zu Kontroversen, zu Streit <strong>und</strong> Konflikt führen kann<br />

(vgl. Grzelak 1990, S. 319). Glasl führt aus, wie sich im Konfliktfall die Wahrnehmungsfähigkeit,<br />

das Vorstellungsleben <strong>und</strong> Denken verändert <strong>und</strong> da<strong>durch</strong> häufig die Sicht auf<br />

die Geschehnisse geschmälert <strong>und</strong> verzerrt wird (vgl. 1990, S. 34ff).<br />

In <strong>in</strong>terkulturellen Konfliktsituationen kann diese Problematik da<strong>durch</strong> verstärkt werden,<br />

dass sich die „Mechanismen, die zu e<strong>in</strong>er verzerrten Wahrnehmung <strong>und</strong> polarisierten<br />

Gefühlen aufgr<strong>und</strong> ethnisch-kultureller Differenz (Fremdheitsgefühle) führen, mit den <strong>in</strong><br />

der Konfliktdynamik auftretenden Perzeptionsänderungen überlagern“ (Schmitt 2003, S.<br />

104). Es tritt also die Gefahr der Verzerrung sowohl <strong>durch</strong> die „kulturelle Brille“, wie<br />

auch <strong>durch</strong> das Konfliktgeschehen selbst auf. Dabei tendieren Streitparteien oft dazu, zu<br />

kulturalisieren, das heißt die Kultur des Anderen als Gr<strong>und</strong> für die Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

zu <strong>in</strong>strumentalisieren <strong>und</strong> überzubewerten (vgl. Haumersen/ Liebe 1998, S. 156).<br />

In der Literatur werden <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die Begriffe ethnisch-kultureller<br />

Konflikt, <strong>in</strong>terkultureller Konflikt, rassistischer Konflikt <strong>in</strong> sich teilweise überschneidender<br />

Weise verwendet. Dangschat versteht unter e<strong>in</strong>em rassistischen Konflikt rassistische<br />

Vorurteile <strong>und</strong> strukturelle Benachteiligungen von Bevölkerungsgruppen aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r<br />

Rasse <strong>und</strong> deren sichtbaren Merkmalen (vgl. 1998, S. 21). Davon trennt er ethnische<br />

<strong>Konflikte</strong>, die dann vorlägen, „wenn es um kulturell-religiöse Verhaltensunterschiede<br />

geht, die e<strong>in</strong>seitig diskrim<strong>in</strong>iert werden“; er nimmt also e<strong>in</strong>e Differenzierung <strong>in</strong> die<br />

strukturelle (Rasse) <strong>und</strong> kulturelle Komponenten (Ethnie) vor (vgl. ebenda; --> Glossar<br />

Ethnie; Rasse).<br />

Diese Def<strong>in</strong>itionen implizieren die bewusste Wertung der kulturellen Zugehörigkeit.<br />

Demgegenüber steht e<strong>in</strong> weiter gefasstes Verständnis, bei dem die Konfliktparteien zwar<br />

über e<strong>in</strong>e unterschiedliche kulturelle bzw. ethnische Herkunft verfügen, der Konflikt aber<br />

noch nicht automatisch e<strong>in</strong>e Diskrim<strong>in</strong>ierung e<strong>in</strong>schließt. Es wird vielmehr „im Verlauf<br />

der Konfliktbearbeitung deutlich (...), daß Unterschiede des beobachteten Verhaltens der<br />

Akteure sich mit deren Zugehörigkeiten zu e<strong>in</strong>er nationalen Kultur erklären lassen <strong>und</strong><br />

dieses unterschiedliche Verhalten den Prozeß der Konfliktbearbeitung maßgeblich<br />

bee<strong>in</strong>flusst“ (Liebe/ Gilbert 1996, S. 9).<br />

Inwieweit die kulturelle Komponente von den Streitenden bewusst wahrgenommen wird<br />

oder sogar ursächlich für den Konflikt ist, wird dabei noch offengelassen.<br />

<strong>Konflikte</strong> zwischen reflektiertem Handeln <strong>und</strong> kultureller Prägung<br />

Gehören die Konfliktparteien unterschiedlichen Kulturen an, so stellt Kultur nur e<strong>in</strong>e<br />

unter den vielen Variablen dar, aus denen die je eigene Wirklichkeit zusammengesetzt<br />

wird. Es gilt jedoch als schwierig abzuschätzen, wie dom<strong>in</strong>ant sie den Konstruktionsprozess<br />

bee<strong>in</strong>flusst. Gleiches trifft für die Behandlung der räumlichen Dimension als Konfliktursache<br />

zu: so stellt Werlen fest, dass im S<strong>in</strong>ne der Neugewichtung des Kultur-Raum<br />

Verhältnisses e<strong>in</strong> Kulturverständnis notwendig wird, „das der Bedeutung der räumlichen<br />

Dimension für kulturelle Wirklichkeiten zwar Rechnung trägt, diese aber nicht als Kausal<strong>in</strong>stanz<br />

begreift. Den räumlichen Bed<strong>in</strong>gungen ist vielmehr als zu <strong>in</strong>terpretierender<br />

Kontext des Handelns Rechnung zu tragen, der je nach Handlungszusammenhang<br />

unterschiedliche Bedeutung erlangen kann“ (2003, S. 257).<br />

mus können auch e<strong>in</strong>e Abwertung des Fremden <strong>und</strong> übersteigerte Wertschätzungen der eigenen Kultur<br />

auftreten, die als Xenophobie bzw. Nationalismus zu bezeichnen s<strong>in</strong>d (vgl. Nicklas 1991, S.134).<br />

17


Gr<strong>und</strong>legende Begriffe<br />

An herkömmlichen Ansätzen der Migrationsforschung wird zum e<strong>in</strong>en die „enge Verklammerung<br />

von Ethnizität <strong>und</strong> sozialen Problemen“ <strong>und</strong> zum anderen die vor allem <strong>in</strong><br />

der Segregationsforschung immer noch weit verbreitete Sichtweise des Raums als<br />

Conta<strong>in</strong>er kritisiert (vgl. Pott 2004, S.44f). Diese beiden Faktoren würden zu e<strong>in</strong>er<br />

Überbetonung kultureller <strong>und</strong> struktureller Aspekte führen. Pott schlägt vor, bei empirischen<br />

Untersuchungen über die Relevanz von Ethnizität <strong>und</strong> Raum stets den Bezug zu<br />

den „gesellschaftlich situierten Problem- <strong>und</strong> Interessenlagen“ der Individuen herzustellen<br />

(vgl. 2004, S.47).<br />

Reuber vertritt die Ansicht, dass die zentralen Elemente der Interaktion <strong>in</strong> <strong>Konflikte</strong>n als<br />

Produkt <strong>in</strong>dividueller, sozialer <strong>und</strong> physisch-materieller Komponenten aufzufassen s<strong>in</strong>d<br />

<strong>und</strong> stützt sich dabei auf Werlens Überlegungen zu e<strong>in</strong>er handlungsorientierten Sozialgeographie<br />

(vgl. Reuber 1999, S. 4; vgl. u.a. Werlen 2000). Bezieht man jedoch dabei<br />

Überlegungen e<strong>in</strong>, welche die Wirkungsweise von Kultur wie oben beschrieben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

unbewusste kulturelle Prägung des Individuums <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e bewusste Aneignung kultureller<br />

Elemente differenziert (vgl. Moosmüller 2000, S.29), so stößt man an die Grenzen<br />

der Vorstellung von Handeln als <strong>in</strong>tentionalem <strong>und</strong> reflexivem Akt 12 (vgl. Werlen 2000,<br />

S. 313).<br />

Giddens entwickelt e<strong>in</strong> Stufenmodell von Bewußtse<strong>in</strong>sformen <strong>und</strong> deren Bezug zum<br />

Handeln, <strong>in</strong> dem unbewußte Motive, Bedürfnisse <strong>und</strong> Wünsche der Handelnden im<br />

Unterbewußtse<strong>in</strong> verortet s<strong>in</strong>d (vgl. Werlen 2000, S. 314, nach Giddens 1988, S.55f).<br />

Diese geben „e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Richtung des Handelns an, s<strong>in</strong>d aber offen für e<strong>in</strong>e<br />

Interpretation <strong>durch</strong> die handelnde Person von der Ebene des diskursiven Bewusstse<strong>in</strong>s<br />

aus“ (Werlen 2000, S. 315).<br />

Bewusstse<strong>in</strong>sform Bezug zum Handeln<br />

Unterbewußtse<strong>in</strong> => Allgeme<strong>in</strong>e Orientierung<br />

Praktisches Bewußtse<strong>in</strong> => Rout<strong>in</strong>e<br />

diskursives Bewußtse<strong>in</strong> => Reflexive Steuerung<br />

Tab. 1: Bewusstse<strong>in</strong>sformen <strong>und</strong> Handeln nach Giddens<br />

Quelle: Werlen 2000, S. 315<br />

Folgerungen für die <strong>in</strong>terkulturelle Mediation<br />

Diese Vorstellung teilt auch die <strong>in</strong>terkulturelle Mediation, da sie auf e<strong>in</strong>em konstruktivistischen<br />

Konzept von Wirklichkeit beruht. Sie „geht von der Prämisse aus, dass jede<br />

Wirklichkeit stets <strong>durch</strong> Handeln bzw. Erkennen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>teraktionistischen Prozeß<br />

geschaffen wird. Mediation hat also u.a. die Aufgabe, diese unterschiedlichen Wirklichkeiten<br />

offen zu legen, um sie dann kommunizierbar zu machen“ (Nothafft 1999, S. 127).<br />

Daher ist es e<strong>in</strong> wichtiger Auftrag der Mediatoren, e<strong>in</strong>e Kommunikation zu ermöglichen,<br />

<strong>in</strong> der es gel<strong>in</strong>gt, kulturelle Differenz zu respektieren, aber zugleich zu verh<strong>in</strong>dern, dass<br />

diese zur Blockade entwickelt wird (vgl. ebenda).<br />

Aufbauend auf diesen Überlegungen soll der Analyse von Nachbarschaftskonflikten im<br />

<strong>in</strong>terkulturellen Kontext <strong>und</strong> deren <strong>Lösung</strong> <strong>durch</strong> Mediation im Folgenden die weiter<br />

gefasste Vorstellung zugr<strong>und</strong>e gelegt werden, dass das Verhalten der Akteure <strong>in</strong> gewis-<br />

12<br />

Kritisiert wird am Handlungstheoretischen Ansatz auch se<strong>in</strong>e „<strong>in</strong>dividualistische Darstellung“, die<br />

gesellschaftliche Zwänge zu wenig berücksichtige. Stattdessen werde e<strong>in</strong>e Entscheidungsfreiheit des<br />

Individuums unterstellt, die es gar nicht gäbe (vgl. Oßenbrügge 1997, S. 251).<br />

18


Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

sem Maße <strong>durch</strong> <strong>ihre</strong> ethnisch-kulturelle Zugehörigkeit geprägt ist <strong>und</strong> sich sowohl diese<br />

kulturellen <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuellen Faktoren, wie auch soziale, physische <strong>und</strong> materielle<br />

Faktoren auf ihr Handeln auswirken. Hier<strong>durch</strong> soll <strong>in</strong> dieser Arbeit e<strong>in</strong>e möglichst<br />

breitgefächerte Herangehensweise an die Thematik gewährleistet werden, die das<br />

Spektrum an möglichen Konfliktursachen nicht bereits im Vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>engt <strong>und</strong> sich um<br />

e<strong>in</strong>e anwendungsbezogene Sozialgeographie, die e<strong>in</strong>e Synthese kultureller, sozialer <strong>und</strong><br />

räumlicher E<strong>in</strong>flüsse bildet, bemüht (vgl. dazu Pohl 1998, S. 70).<br />

4.2 Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

Nachdem nun das Verständnis der Begriffe Kultur <strong>und</strong> Konflikt geklärt wurde, soll das<br />

Thema <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte von verschiedenen Perspektiven beleuchtet<br />

werden. Wie schon angedeutet gibt es zahlreiche Möglichkeiten, <strong>Konflikte</strong> zu klassifizieren<br />

<strong>und</strong> somit zu beschreiben. Schmitt nennt beispielsweise den Konfliktgegenstand,<br />

se<strong>in</strong>e Ursachen, die am Konflikt beteiligten Akteure, die Austragungsformen, den Verlauf<br />

des Konflikts sowie die Konfliktregelungsversuche (vgl. 2003, S. 94). Zunächst wird im<br />

Folgenden e<strong>in</strong> möglicher Analyserahmen für Konfliktgegenstände vorgestellt. Daraufh<strong>in</strong><br />

wird auf die Rolle von Kultur im Konflikt <strong>und</strong> den Umgang verschiedener Kulturen mit<br />

<strong>Konflikte</strong>n e<strong>in</strong>gegangen, bevor Überlegungen zur Bedeutung räumlicher Nähe für<br />

<strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> zunehmend multikultureller werdenden Städten dargestellt<br />

werden. Anschließend wird die Methode der <strong>in</strong>terkulturellen Mediation erläutert <strong>und</strong><br />

aktuell diskutierte Anforderungen umrissen. Anhand der drei Mediationsfälle werden<br />

schließlich diese theoretischen Darstellungen veranschaulicht <strong>und</strong> versucht, <strong>ihre</strong> Relevanz<br />

für die Praxis e<strong>in</strong>zuschätzen.<br />

4.2.1 Konfliktursachen<br />

Zur Analyse der Inhalte von <strong>Konflikte</strong>n werden <strong>in</strong> der Literatur hauptsächlich zwei<br />

verschiedene Kategoriensysteme verwendet. So unterscheidet e<strong>in</strong> Schema zwischen<br />

Ressourcen-, Rangordnungs-, <strong>und</strong> Regelkonflikten (vgl. u.a. Anhut/ Heitmeyer 2000, S.<br />

65), denen Schmitt noch die Kategorie der Identitäts- <strong>und</strong> Anerkennungskonflikte<br />

h<strong>in</strong>zufügt (2003, S. 95). Moore erstellt e<strong>in</strong> anderes umfassendes Schema über Konfliktursachen<br />

<strong>und</strong> Konfliktfelder, auf das vor allem <strong>in</strong> der Mediationsliteratur (vgl. Ropers<br />

1999, S. 70; Besemer 2002, S. 31) häufig Bezug genommen wird. Dieses unterscheidet<br />

zwischen Sachkonflikt, Interessenkonflikt, Strukturkonflikt, Wertkonflikt <strong>und</strong> Beziehungskonflikt<br />

(Moore 1989, S. 27).<br />

E<strong>in</strong> realer Konfliktfall sollte nicht exklusiv e<strong>in</strong>er Konfliktart zugeordnet werden, da immer<br />

mehrere Facetten vorhanden s<strong>in</strong>d. Schmitt empfiehlt von verschiedenen Aspekten oder<br />

Dimensionen e<strong>in</strong>es Konflikts zu sprechen (2003, S. 95). Diesen Gedanken greift auch<br />

Besemer auf <strong>und</strong> entwickelt Moores Schema zu e<strong>in</strong>er Pyramide weiter, <strong>in</strong> der pr<strong>in</strong>zipiell<br />

jeder Problembereich als aktueller Konflikt <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong> treten kann. Dabei<br />

spielen die anderen Konfliktfelder als potentielle H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>konflikte e<strong>in</strong>e unterschwellige<br />

Rolle für den jeweils aktuellen Konflikt. Er ergänzt zudem die Punkte Gefühle, Sichtweise,<br />

Intrapersonale Probleme <strong>und</strong> Missverständnisse/ Kommunikationsprobleme (vgl.<br />

Besemer 2002, S. 29). Dieses Schema ersche<strong>in</strong>t für die Analyse von <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Nachbarschaftskonflikten geeigneter als andere Typisierungen, da es stärker auf die<br />

persönliche <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpersonale Ebene e<strong>in</strong>geht.<br />

19


Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

Abb. 4: Pyramide der H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>konflikte<br />

Quelle: Besemer 2002, S. 28<br />

Besemer selbst kritisiert: „Viele Konfliktursachen überschneiden sich, so daß e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Doppelung e<strong>in</strong>tritt (z.B. Gefühle – emotionale Interessen; Intrapersonale<br />

Probleme – Werte – Sichtweise)“ (2002, S.29). Und Grotz gibt zu bedenken, dass e<strong>in</strong>e<br />

Klassifikation <strong>in</strong>terkultureller <strong>Konflikte</strong> Möglichkeiten des E<strong>in</strong>bezugs struktureller <strong>und</strong><br />

kultureller E<strong>in</strong>flüsse bieten sollte. Schließlich kann der Konflikt für die Konfliktpartei aus<br />

der dom<strong>in</strong>anten gesellschaftlichen Gruppe e<strong>in</strong>e vollkommen andere Ursache haben als <strong>in</strong><br />

der Wahrnehmung der Konfliktpartei aus der dom<strong>in</strong>ierten gesellschaftlichen Gruppe (vgl.<br />

Grotz 2003, S. 75).<br />

Inwiefern dieses Schema zur Darstellung möglicher Konfliktursachen <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen<br />

<strong>Nachbarschaften</strong> geeignet ist oder für diesen Bereich Anpassungen vorgenommen<br />

werden sollten, wird <strong>durch</strong> die Anwendung bei der Konfliktanalyse der drei Beispielfälle<br />

im Kap. 6.2. geprüft.<br />

In der folgenden Übersicht möchte ich e<strong>in</strong>ige der von Besemer genannten Konfliktursachen<br />

darstellen <strong>und</strong> mit den Ausführungen anderer Autoren <strong>in</strong> Bezug setzen, so dass<br />

mögliche kulturelle oder räumliche Implikationen deutlich werden.<br />

Informationen<br />

• Mangel an Information<br />

• Fehl<strong>in</strong>formation<br />

• unterschiedliche E<strong>in</strong>schätzung darüber was wichtig ist<br />

• unterschiedliche Interpretation von Informationen<br />

• unterschiedliche Vorgehensweise zur Bewertung<br />

(vgl. Besemer 2002, S.28f)<br />

Interessen <strong>und</strong> Bedürfnisse<br />

angenommene oder tatsächliche Konkurrenz um<br />

• reale (<strong>in</strong>haltliche) Interessen<br />

• Verfahrens<strong>in</strong>teressen<br />

• Psychologische Interessen<br />

(vgl. Besemer 2002, S.28f)<br />

Interessenkonflikte -> materielle Ressourcen<br />

Bedürfniskonflikte -> immaterielle Wünsche,<br />

wie z.B. Bedürfnis nach Ruhe.<br />

(vgl. Mar<strong>in</strong>ger/ Ste<strong>in</strong>weg 1997, S.5)<br />

Missverständnisse <strong>und</strong> Kommunikationsprobleme<br />

• unterschiedliche Sprachen<br />

• unterschiedliche Werte, Normen <strong>und</strong> Regeln<br />

(vgl. Ropers 1999, S. 69/70).<br />

• Kommunikation prägt das Konfliktgeschehen<br />

auf <strong>in</strong>haltlicher- <strong>und</strong> Beziehungsebene.<br />

Kommunikationsstörungen können dazu führen,<br />

dass sich e<strong>in</strong> Konflikt verschärft<br />

(vgl. Meyer 1997, S.36)<br />

Beziehungsproblem<br />

• starke Gefühle<br />

• Fehlwahrnehmungen oder Stereotype<br />

• wiederholtes negatives Verhalten<br />

• mangelnde Kommunikation bzw.<br />

Fehlkommunikation<br />

(vgl. Moore 1989, S. 27)<br />

20


Werte<br />

• verschiedene Kriterien zur Bewertung von Ideen oder Verhalten<br />

• sich ausschließende <strong>in</strong>nere Werte<br />

• unterschiedliche Lebensformen<br />

• Ideologie <strong>und</strong> Religion<br />

(vgl. Moore 1989, S. 27).<br />

• Anwendung <strong>und</strong> Gültigkeit von Regeln, Werten, Normen.<br />

Dabei können die strittigen Normen <strong>und</strong> Werte dem gesamtgesellschaftlichen,<br />

pr<strong>in</strong>zipiell geme<strong>in</strong>samen Wertebestand entstammen, oder der Konflikt dreht sich<br />

um die konkrete Anwendung oder den Vorrang zweier als unvere<strong>in</strong>bar<br />

ersche<strong>in</strong>ender Normen <strong>und</strong> Werte unterschiedlicher kultureller Bezugssysteme<br />

(vgl. Schmitt 2003, S.122).<br />

• immaterielle Wünsche <strong>und</strong> Ziele, die kollektive Normen,<br />

Maßstäbe sowie Bewertungen konkurrierender<br />

gesellschaftlicher Aufgaben <strong>und</strong> Ziele zum Gegenstand haben<br />

(vgl. Mar<strong>in</strong>ger/ Ste<strong>in</strong>weg 1997, S. 5).<br />

Intrapersonale Probleme<br />

• Ängste, Gehemmtheit, persönliche Zwänge<br />

(vgl. Besemer 2002, S.28f)<br />

• <strong>in</strong>dividuelle Identitätskonflikte:<br />

Gesamtheit der Wertvorstellungen <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>enes Selbstbild der Person.<br />

Können sich aus kollektiven Identitätskonflikten herleiten, aber auch re<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuelle<br />

Gründe haben, wie z.B. die E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> das Missverhältnis von vertretenen <strong>und</strong><br />

praktizierten Werten oder das Zerrissense<strong>in</strong> zwischen Wertmaßstäben <strong>und</strong> Normen<br />

unterschiedlicher, für die betreffende Person gleich attraktiver Kollektive<br />

(Mar<strong>in</strong>ger/ Ste<strong>in</strong>weg 1997, S. 6).<br />

Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

Strukturelle Bed<strong>in</strong>gungen<br />

• destruktive Verhaltens- oder<br />

Interaktionsmuster<br />

• ungleiche Kontrolle<br />

• Eigentumsverhältnisse oder Verteilung<br />

von Ressourcen<br />

• ungleiche Macht <strong>und</strong> Autorität<br />

• geographische, physische oder<br />

umfeldbezogene Faktoren<br />

•Zeitzwänge<br />

(vgl. Moore 1989, S. 27)<br />

• zu große räumliche Nähe oder Distanz<br />

• wirtschaftliche Ungerechtigkeit<br />

• politische Unterdrückung<br />

(vgl. Besemer 2002, S.28f)<br />

• Verteilung knapper Güter<br />

(z. B. Flächen, Bildungsmöglichkeiten,<br />

öffentliche Mittel)<br />

(vgl. Schmitt 2003, S. 122)<br />

Abb. 5: Konfliktursachen<br />

Quelle: Besemer 2002, S.28f ergänzt; Eigene Bearbeitung<br />

Beim Versuch e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> Konfliktursachen ist zu berücksichtigen, dass diese<br />

meist nur theoretisch trennbar, praktisch jedoch stark mite<strong>in</strong>ander verflochten s<strong>in</strong>d (vgl.<br />

Schramkowski 2001, S. 46). Die Schwerpunkte verschieben sich im Verlauf e<strong>in</strong>es <strong>Konflikte</strong>s<br />

oft von e<strong>in</strong>em Aspekt zum anderen oder es werden weniger personenbezogene<br />

Aspekte vorgehoben <strong>und</strong> nach außen betont, die jedoch nicht den Kern des Konflikts<br />

ausmachen (vgl. Mar<strong>in</strong>ger/ Ste<strong>in</strong>weg 1997, S. 7).<br />

4.2.2 Wie werden <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> verschiedenen Kulturen gesehen?<br />

Wie schon angedeutet ist davon auszugehen, dass <strong>Konflikte</strong> zwar e<strong>in</strong> universelles<br />

Phänomen s<strong>in</strong>d, die „Bedeutung <strong>und</strong> der Ausdruck von <strong>Konflikte</strong>n sowie der Wunsch<br />

nach Verleugnung, Duldung oder Beseitigung (...) sich von Kultur zu Kultur [unterscheidet]“<br />

(Dulabaum 1999, S, 79). Augsburger betont jedoch die positiven Lerneffekte, die<br />

solche Erfahrungen mit sich br<strong>in</strong>gen können: “The sensitization of our ´uncommon<br />

senses´ about conflict <strong>in</strong>vites us to learn from another culture as well as respect it. We<br />

have much to ga<strong>in</strong> from each other. Every culture can be our teacher <strong>in</strong> some respect,<br />

offer<strong>in</strong>g some new perspective from the surpris<strong>in</strong>g and amaz<strong>in</strong>g disequilibrium that<br />

occurs on the bo<strong>und</strong>ary” (1992, S. 9).<br />

Modelle kultureller Kommunikationsunterschiede<br />

E<strong>in</strong>e Unterscheidung kultureller Wahrnehmung <strong>und</strong> Ausdrucksweise führt Hall mit „Low<br />

<strong>und</strong> high context cultures“ e<strong>in</strong>:<br />

“A high context communication style is one <strong>in</strong> which most of the <strong>in</strong>formation, or mean<strong>in</strong>g,<br />

is „<strong>in</strong> the person“ or the physical context with<strong>in</strong> which communication takes place;<br />

relatively little is <strong>in</strong> the explicit and coded message itself. By contrast, a low-context<br />

style or message is one where<strong>in</strong> most of the <strong>in</strong>formation or mean<strong>in</strong>g is to be fo<strong>und</strong><br />

explicitly <strong>in</strong> the coded message. In high- context communication, language use is<br />

21


Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

expressive; <strong>in</strong> low-context communication, it is <strong>in</strong>strumental”(Avruch 1998, S. S.64).<br />

Dabei ordnet Hall die Kulturen nach Nationalitäten <strong>in</strong> diese Konzepte e<strong>in</strong>: Deutsche,<br />

Schweizer <strong>und</strong> Skand<strong>in</strong>avier s<strong>in</strong>d beispielsweise als low-context cultures zu verstehen,<br />

während Ch<strong>in</strong>esen <strong>und</strong> Japaner e<strong>in</strong>e eher <strong>in</strong>direkte kontextbezogene Kommunikation<br />

bevorzugen (vgl. Avruch 1998, S. 65).<br />

In low- context Kulturen ist die Kommunikation eher direkt: “what you hear is what you<br />

get”, woh<strong>in</strong>gegen andere Kulturen die zu vermittelnde Information selten nur verbal<br />

ausdrücken: “much is implied and <strong>in</strong>direct and is to be fo<strong>und</strong> (…) <strong>in</strong> the receiver and the<br />

sett<strong>in</strong>g” (Avruch 1998, S. 64) 13 .<br />

Deym-Soden weist darauf h<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> sehr hoher Anteil <strong>in</strong>terkultureller <strong>Konflikte</strong><br />

gerade <strong>durch</strong> e<strong>in</strong> verme<strong>in</strong>tliches Verstehen problematisiert werde. „Im Nicht-Verstehen<br />

ist klar, dass Verständigung als besondere Herausforderung noch besteht. Im verme<strong>in</strong>tlichen<br />

Verstehen wird die Illusion gehegt, man habe verstanden, es werden also ke<strong>in</strong>e<br />

weiteren Anstrengungen unternommen“ (2004, S. 150). Sie gibt e<strong>in</strong> Beispiel für solche<br />

Missverständnisse:<br />

Der Südeuropäer fängt an zu reden, während der Nordeuropäer noch nicht fertig ist mit<br />

Reden. Der Südeuropäer empf<strong>in</strong>det das als Zeichen e<strong>in</strong>es angeregten, geme<strong>in</strong>samen<br />

Gespräches woh<strong>in</strong>gegen der Nordeuropäer das als ´Nicht ausreden lassen´ wahrnimmt<br />

<strong>und</strong> verärgert ist. Die Pausen des Nordeuropäers empf<strong>in</strong>det der Südeuropäer als kalt<br />

<strong>und</strong> un<strong>in</strong>teressiert (vgl. Deym-Soden 2004, S. 150).<br />

Solche Kommunikationsunterschiede können im alltäglichen Umgang zu Verwirrungen<br />

<strong>und</strong> Missverständnissen führen, im Konfliktfall wirken sie sich möglicherweise zusätzlich<br />

kommunikationserschwerend oder eskalationsfördernd aus.<br />

4.2.3 Konfliktkulturen - wie werden <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong><br />

unterschiedlichen Kulturen gelöst?<br />

Neben der Bee<strong>in</strong>flussung der Kommunikation <strong>und</strong> des Umgangs <strong>durch</strong> kulturelle Differenzen,<br />

variieren auch die Reaktionen auf Verhalten, welches mit dem Wertesystem der<br />

Gruppe <strong>in</strong> Konflikt steht. Diese liegen auf e<strong>in</strong>er Skala, die von höflichem Übersehen,<br />

entschuldigen, die Person meiden bis zu gewalttätiger Rache oder Ausstoßen reicht (vgl.<br />

Deym-Soden 2004, S. 121).<br />

Ropers zieht unter anderem die von Geert Hofstede zur Unterscheidung von nationalen<br />

Kulturen entwickelten idealtypischen Dimensionen Kollektivismus-Individualismus 14 für<br />

e<strong>in</strong>e Differenzierung der Umgangsweise mit <strong>Konflikte</strong>n heran (1999, S.72).<br />

13<br />

Bei dieser E<strong>in</strong>ordnung sollen “High” <strong>und</strong> “Low context” die Endpunkte e<strong>in</strong>er Skala darstellen - es muss<br />

immer bedacht werden, dass damit nur die Extrema abgebildet werden <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> der Realität die Mehrheit<br />

der Kulturen <strong>und</strong> dar<strong>in</strong> der Individuen dazwischen e<strong>in</strong>ordnen lassen. Auch der Kommunikationsstil von<br />

Frauen <strong>und</strong> Männern könnte tendenziell an unterschiedlichen Enden dieser Skala e<strong>in</strong>geordnet werden.<br />

14<br />

„Individualismus: repräsentiert e<strong>in</strong>e Gesellschaftsform, <strong>in</strong> der die sozialen B<strong>in</strong>dungen zwischen Individuen<br />

nicht sehr fest s<strong>in</strong>d. Von jedem wird erwartet, dass er sich nur um sich selbst oder se<strong>in</strong>e eigene, unmittelbare<br />

Familie kümmert“ (Hofstede 2001, S. 410/411).<br />

„Kollektivismus: repräsentiert e<strong>in</strong>e Gesellschaft, <strong>in</strong> der die Menschen von Geburt an <strong>in</strong> Wir-Gruppen leben,<br />

d.h. <strong>in</strong> Gruppen mit e<strong>in</strong>em starken Zusammengehörigkeitsgefühl, die ihnen das ganze Leben lang Schutz für<br />

<strong>ihre</strong> außer Frage stehende Loyalität gewähren“ (ebenda).<br />

Hofstedes Untersuchung umfasst 50 Länder. Als <strong>in</strong>dividualistische Kulturen gelten mittel- <strong>und</strong> nordeuropäische<br />

Länder <strong>und</strong> Nordamerika; als kollektivistisch südeuropäische, asiatische <strong>und</strong> mittel- <strong>und</strong> südamerikanische<br />

(vgl. Hofstede 2001, S. 70f). Für den Kontext dieser Diplomarbeit ist vor allem die E<strong>in</strong>ordnung<br />

südeuropäischer Länder <strong>in</strong>teressant, da e<strong>in</strong> Großteil der <strong>in</strong> München lebenden Migranten aus der Türkei,<br />

dem ehemaligen Jugoslawien, Griechenland <strong>und</strong> Italien stammt (vgl. Anhang 1). Zur Kritik an Hofstedes<br />

Modell siehe u.a. Avruch 1998, S. 67f.<br />

22


Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

In <strong>in</strong>dividualistischen Gesellschaften spielen <strong>Konflikte</strong> e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, um Ziele zu<br />

erreichen. Dabei werden sie primär als Spannungen zwischen Individuen gesehen, deren<br />

Bearbeitung <strong>in</strong> der Regel im bilateralen Austausch <strong>durch</strong> eher direktes, konfrontatives<br />

Ausdiskutieren des Konflikts zwischen den unmittelbar Betroffenen erfolgt. In kollektivistischen<br />

Kulturen werden <strong>Konflikte</strong> h<strong>in</strong>gegen vorwiegend als Störungen des sozialen<br />

Systems wahrgenommen <strong>und</strong> zur Bewältigung des Konflikts eher <strong>in</strong>direkte, nicht konfrontative<br />

<strong>und</strong> multilaterale Methoden gewählt. Es gilt als erstrebenswert, die gegebene<br />

soziale Struktur zu bewahren <strong>und</strong> niemandem e<strong>in</strong>en Gesichtsverlust zuzumuten (vgl.<br />

Ropers 1999, S.72).<br />

E<strong>in</strong>e weitere Unterscheidungsmöglichkeit ist die Differenz zwischen traditionalen Kulturen,<br />

worunter noch eher agrarisch geprägte, autochthone Kulturen 15 zu verstehen s<strong>in</strong>d,<br />

welche bei <strong>Konflikte</strong>n eher auf geme<strong>in</strong>schaftliche Prozesse <strong>und</strong> auf paternalistische<br />

Konzepte der Konfliktverme<strong>in</strong>dung Wert legen, <strong>und</strong> urbanisierten westlichen Kulturen.<br />

Westliche Methoden der Problemlösung konzentrieren sich positivistisch auf das Machbare<br />

<strong>und</strong> betrachten <strong>Konflikte</strong> als produktiv (vgl. Baechler 1998, S. 72).<br />

Die zentralen Unterschiede <strong>in</strong> der Wahrnehmung von <strong>Konflikte</strong>n <strong>und</strong> dem Umgang mit<br />

ihnen <strong>in</strong> verschiedenen Kulturen lassen sich <strong>in</strong> Anlehnung an Augsburger, der auch<br />

zwischen westlichen <strong>und</strong> traditionalen Gesellschaften unterscheidet graphisch darstellen:<br />

Westlich Traditional<br />

Situationsdef<strong>in</strong>iert<br />

(open options for pragmatic<br />

choice)<br />

Direkt<br />

Zweiseitig<br />

(one-to one process)<br />

E<strong>in</strong>zelangelegenheit<br />

(personal and private ownership)<br />

Kreativ<br />

Verb<strong>in</strong>dend<br />

Lösend<br />

Restrukturierend<br />

Konfliktstile<br />

Zerstörend<br />

Trennend<br />

Entfremdend<br />

Konkurrierend<br />

Geme<strong>in</strong>sames Anliegen<br />

(group ownership)<br />

Indirekt<br />

Dreiseitig<br />

(third-party process)<br />

Kulturell vorgeschrieben<br />

(conflict patterns embedded <strong>in</strong><br />

mores)<br />

Abb. 6: Kulturelle Unterschiede von Konfliktstilen<br />

Quelle: Augsburger 1992, S. 9; Eigene Übersetzung<br />

15<br />

Vollkommen autochthone Kulturen existieren eigentlich nicht mehr; die Unterscheidung beruht eher auf<br />

dem Unterschied zwischen westliche geprägter, <strong>in</strong>dustrialisierter Welt <strong>und</strong> noch eher traditionell geprägten<br />

Entwicklungsländern. So werden <strong>in</strong> der Literatur zum Beispiel afrikanische Länder als traditional bezeichnet<br />

(vgl. Baechler 1998). Şen beschreibt jedoch auch, wie Arbeitsmigranten aus der damals noch sehr landwirtschaftlich<br />

geprägten Türkei bei der Konfrontation mit der deutschen Industriegesellschaft e<strong>in</strong>en „Kulturkonflikt“<br />

erlebten (vgl. 1991, S.79f). Traditionale Kulturen s<strong>in</strong>d tendenziell auch eher als kollektivistische<br />

Gesellschaften zu sehen. Oft steigt mit zunehmender Entwicklung <strong>in</strong> Richtung Industriegesellschaft dann<br />

auch der Grad der Individualisierung (vgl. Beck 1986, S.206).<br />

23


Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

Betrachtet man die bevorzugte Austragungsform von <strong>Konflikte</strong>n wieder <strong>in</strong>nerhalb des<br />

Schemas low / high context, so zeigt sich auch hier das Problem: „One culture’s belief<br />

system is another’s disbelief system. Members of low-context cultures view the <strong>in</strong>direct<br />

way of handl<strong>in</strong>g conflict as a weak, cowardly, or evasive act while members of highcontext<br />

cultures view the direct way of handl<strong>in</strong>g conflict as lack<strong>in</strong>g <strong>in</strong> politeness, or good<br />

taste. Low-context cultures prefer to separate the conflict issue from the person, but<br />

high-context cultures view the problem issue and the problem person as <strong>in</strong>terrelated”<br />

(Augsburger 1992, S. 91).<br />

Diese schematischen Darstellungen verdeutlichen die Problematik, die sich bei der Wahl<br />

der Austragungsform von <strong>Konflikte</strong>n h<strong>in</strong>tergründig abspielt. Dabei s<strong>in</strong>d auch diese<br />

Unterscheidungsmodelle von Kulturen allesamt westlich geprägt <strong>und</strong> differenziert<br />

idealtypisch nur zwischen zwei Polen. Für diese Arbeit ist jedoch vor allem die Überlegung<br />

von Belang, <strong>in</strong>wiefern solche kulturellen Differenzen e<strong>in</strong>e Rolle spielen können <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong> welche Richtung <strong>ihre</strong> Wirkung bei der Konfliktbearbeitung tendenziell gehen würde.<br />

Dass diese Schemata nicht <strong>in</strong> schwarz-weiß Manier übertragen werden können, zeigt<br />

auch das Beispiel der deutschen Konfliktkultur. Auch wenn die deutsche Kultur diesen<br />

Schematisierungen nach eher der westlich geprägten, konfrontativen Richtung zuzuordnen<br />

ist, so werden die Deutschen oft als konfliktscheu erlebt: „die häufigste Konfliktabwehr<br />

ist (...) immer noch Flucht, <strong>und</strong> viele von uns können <strong>Konflikte</strong>, Andersartigkeit<br />

<strong>und</strong> Unterschiedlichkeiten e<strong>in</strong>fach nicht aushalten. Daher werden <strong>Konflikte</strong> <strong>und</strong> die damit<br />

verb<strong>und</strong>enen Ängste <strong>und</strong> Unsicherheiten vielfach abgewehrt <strong>und</strong> verdrängt“ (Geißler<br />

2000, S. 40).<br />

Institutionen der Konfliktregelung<br />

In traditionalen Kulturen bietet sich im Vergleich zu modernen Gesellschaften e<strong>in</strong>e<br />

Vielzahl an alternativen Konfliktlösungsmechanismen zum rechtlichen Weg an. Augsburger<br />

setzt dies <strong>in</strong> Relation zu den sozialen B<strong>in</strong>dungen: “Where other social controls are<br />

weaker, law is stronger, where familial, tribal, and communal controls are strong, law is<br />

weak” (Augsburger 1992, S. 192).<br />

Traditional Culture Urbanized,<br />

<strong>in</strong>dividualized<br />

Culture<br />

Familiy mediation<br />

Clan-resolution Processes<br />

Community mediation<br />

Third-party mediators<br />

Tribal or village palaver<br />

Local or regional headmen<br />

Political brokers<br />

Religious leaders<br />

Police<br />

Court System<br />

Law, Police,<br />

Court System<br />

Abb. 7: Contrast of mediation options <strong>in</strong> traditional and urbanized cultures<br />

Quelle: Augsburger 1992, S. 192<br />

24


Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

Auch <strong>in</strong> westlichen Industriegesellschaften wurden früher Streitigkeiten mehrheitlich<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Familie, Nachbarschaft oder Schule gelöst. „However those traditional<br />

places of regulation are (…) go<strong>in</strong>g through a crisis, which is why the judiciary and,<br />

above all, the police are more and more be<strong>in</strong>g called upon to resolve m<strong>in</strong>or disputes”<br />

(Bonafe-Schmitt 2000, S. 217). Ropers bezeichnet <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die<br />

deutsche Konfliktkultur als „primär staatsfixiert“ (1999, S. 78).<br />

Bewertung der Konfliktlösungsweise mittels e<strong>in</strong>er dritten Partei<br />

Die Zuhilfenahme e<strong>in</strong>er dritten Partei bei der Konfliktlösung kann <strong>durch</strong>aus kulturell<br />

unterschiedlich gesehen werden: Augsburger verweist darauf, dass <strong>in</strong> westlichen<br />

Kulturen die Fähigkeit, Schwierigkeiten direkt anzusprechen, zu verhandeln <strong>und</strong> Forderungen<br />

auszudrücken als zwischenmenschliche Qualifikation <strong>und</strong> persönliche Reife<br />

erachtet wird (vgl. 1992, S. 32). “The <strong>in</strong>corporation of third parties <strong>in</strong> the early stages of<br />

a conflict is seen as avoidance of the other party, as <strong>in</strong>dication of unmanageable anxiety,<br />

as personal <strong>in</strong>security, or as a coercive strategy of collud<strong>in</strong>g to ga<strong>in</strong> support or<br />

power. Third-party resolutions are seen as appropriate when communication is blocked,<br />

the relationship has deteriorated, or the conflict is <strong>in</strong>transigent “(ebenda, S. 33). Die<br />

erste Reaktion e<strong>in</strong>er von westlichen Werten geprägten Person sei demzufolge die<br />

sofortige Konfrontation mit der anderen Partei, das deutliche Ausdrücken von Forderungen<br />

<strong>und</strong> der Versuch, e<strong>in</strong>e direkte <strong>Lösung</strong> zu f<strong>in</strong>den. Augsburger weist darauf h<strong>in</strong>, dass<br />

e<strong>in</strong> solches Verhalten zum Beispiel <strong>in</strong> vielen asiatischen <strong>und</strong> afrikanischen Ländern nicht<br />

nur dysfunktional sei, sondern sogar als fehlende Anpassungsfähigkeit erachtet würde<br />

<strong>und</strong> eventuell jede Möglichkeit nehme, den Konflikt erfolgreich zu lösen.<br />

Verhandlungen unter zu Hilfenahme dritter Parteien hätten sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Kulturen zu<br />

e<strong>in</strong>er hohen Kunst entwickelt, <strong>in</strong> anderen Kulturen seien sie e<strong>in</strong>e lebensrettende Notwendigkeit<br />

oder e<strong>in</strong>e Strategie, das Gesicht zu wahren: „They offer objectivity, emotional<br />

distance, protection of face and honor [and] a time delay to allow emotions to cool<br />

(...)” (Augsburger 1992, S. 33). In traditionalen Kulturen seien entsprechende Verhandlungskenntnisse<br />

bereits <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>schaft vorhanden, das Ausbalancieren von Machtunterschieden<br />

geschehe unter anderem <strong>durch</strong> die Anwesenheit von Zeugen, die den<br />

Prozess <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e stimmige <strong>Lösung</strong> verfolgen (vgl. ebenda).<br />

4.2.4 Reaktionen auf kulturelle Unterschiede<br />

Das Ethnozentrismus- <strong>und</strong> das Anerkennungsproblem<br />

Bei der Betrachtung von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Konflikte</strong>n sche<strong>in</strong>t es folglich wichtig, dieses<br />

Spektrum an unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Umgangsweisen im Blickfeld<br />

zu behalten <strong>und</strong> sich bewusst zu machen, <strong>in</strong>wiefern diese den Konfliktverlauf <strong>und</strong> die<br />

<strong>Lösung</strong>sf<strong>in</strong>dung bee<strong>in</strong>flussen können. Ropers weist dabei speziell auf zwei Reaktionen<br />

h<strong>in</strong>, die er das Ethnozentrismus- <strong>und</strong> das Anerkennungsproblem nennt (vgl. 1995, S.79):<br />

Das Ethnozentrismus-Problem entsteht aufgr<strong>und</strong> der Belastung des Verstehens <strong>und</strong><br />

der Verständigung zwischen den Beteiligten <strong>durch</strong> die unterschiedliche Art <strong>und</strong> Weise<br />

der Kommunikation <strong>und</strong> Interaktion. Diese wirken sich auch auf bestimmte Normen <strong>und</strong><br />

Spielregeln für Konfliktaustragung, Fairness <strong>und</strong> Angemessenheit. Die andere Partei<br />

ersche<strong>in</strong>t als weniger ´normal´, als ´unverständlich´. „Leistet diese Abgrenzung e<strong>in</strong>en<br />

Beitrag zur Herstellung von Stabilität <strong>durch</strong> Abwehr des ´außen´, so wirkt die Ausgrenzung<br />

als Stabilisierungsmechanismus von Zusammengehörigkeit <strong>und</strong> Identität im<br />

25


Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

Inneren“ <strong>und</strong> somit als Bestandssicherung des geme<strong>in</strong>sam geteilten Werte- <strong>und</strong> Normensystems<br />

e<strong>in</strong>er Kultur (vgl. Nicklas 1991, S.134).<br />

Diese Unterschiede verb<strong>in</strong>den sich mit e<strong>in</strong>em tief verwurzelten Gefühl von ´Wir´ <strong>und</strong><br />

´Sie´, von kollektiven Identitäten, <strong>und</strong> damit zum Anerkennungs-Problem, der Frage<br />

nach gegenseitigem Respekt <strong>und</strong> Anerkennung. „Genau um diese Frage geht es ja auch<br />

<strong>in</strong> vielen ethnopolitischen <strong>Konflikte</strong>n, auch wenn sich die Kontroversen auf der kulturellen<br />

Ebene oft sehr viel subtiler äußern als auf derjenigen des Streits um die politische<br />

Selbst- bzw. Mitbestimmung“ (Ropers 1995, S.79).<br />

Ursachen für die Kulturalisierung von <strong>Konflikte</strong>n<br />

Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, wie Probleme <strong>in</strong>terkultureller<br />

Kommunikation, die Differenz der unterschiedlichen Stile bzw. deren kulturgeb<strong>und</strong>ene<br />

Fehl<strong>in</strong>terpretation zur Entstehung oder Verschärfung von <strong>Konflikte</strong>n beitragen kann.<br />

Haumersen <strong>und</strong> Liebe betonen demgegenüber jedoch auch die Möglichkeit der strategischen<br />

Instrumentalisierung oder bewussten Fehl<strong>in</strong>terpretation dieser kulturellen Unterschiede<br />

(vgl. Haumersen/ Liebe 1998, S. 156). Diese Kulturalisierung bzw. Ethnisierung<br />

kann sowohl <strong>durch</strong> die Konfliktparteien als auch <strong>durch</strong> Außenstehende geschehen <strong>und</strong><br />

die verschiedensten Ursachen haben: So br<strong>in</strong>gt die Verunsicherung im Umgang mit<br />

anderen Kulturen möglicherweise e<strong>in</strong>e Überbetonung von Unterschieden mit sich, es<br />

können jedoch auch rassistische E<strong>in</strong>stellungen oder die Angst vor Überfremdung zu<br />

Abwehrreaktionen führen. Spannungen entstehen „zunehmend als Folge der Zuwanderung<br />

von ethnischen Gruppen, der Überformung von vertrauten Lebenswelt <strong>durch</strong><br />

fremde Kulturen <strong>und</strong> der ökonomischen Existenzgefährdung <strong>durch</strong> Fremde“ (Bürkner<br />

1999, S.25). Die Ereignisse des 11. September 2001 führten zu e<strong>in</strong>er verstärkten<br />

Polarisierung zwischen muslimischer <strong>und</strong> westlicher Welt <strong>und</strong> damit auch zu Belastungen<br />

im alltäglichen Umgang. Bodemann spricht sogar von Hass, der sich zwischen E<strong>in</strong>heimischen<br />

<strong>und</strong> Migranten wechselseitig hochschaukele (vgl. SZ 20./21.11.04, S. 13).<br />

Ropers stellt bei der Bearbeitung <strong>in</strong>terkultureller <strong>Konflikte</strong> fest, dass es sich bei den<br />

Beteiligten nicht-deutscher Herkunft jedoch eher selten um Parteien „mit e<strong>in</strong>em noch<br />

geschlossenen ethnisch-kulturellen Profil“ (1999, S. 133) handelt. Die meisten Betroffenen<br />

leben bereits m<strong>in</strong>destens fünf, meistens jedoch schon zehn oder mehr Jahre hier.<br />

Sie „bewältigen <strong>in</strong> persönlich je unterschiedlicher Weise die Anforderungen des Lebens<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kulturell heterogenen Milieu. Die <strong>Konflikte</strong> entzünden sich <strong>in</strong> der Regel nicht an<br />

dem Aufe<strong>in</strong>anderprallen stark divergierende Lebensformen aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er ethnisch<br />

unterschiedlichen Herkunft. Vielmehr handelt es sich dabei oft um <strong>in</strong> der <strong>in</strong>dividuellen<br />

Lebenssituation verortbare <strong>Konflikte</strong>, die gegebenenfalls von den Beteiligten <strong>und</strong> /oder<br />

Dritten entpersonifiziert <strong>und</strong> auf e<strong>in</strong>en kulturellen Stereotyp h<strong>in</strong> abstrahiert werden“<br />

(ebenda).<br />

26


4.3 Stadt <strong>und</strong> Konflikt<br />

Stadt <strong>und</strong> Konflikt<br />

Überlegungen zur Integration von Migranten<br />

Es ist unbestritten, dass die Integration von Zuwanderern e<strong>in</strong>e wichtige Herausforderung<br />

für alle Politikfelder <strong>und</strong> Bereiche der Gesellschaft darstellt. Auf welche Art, <strong>durch</strong> welche<br />

Maßnahmen <strong>und</strong> auf wessen Anstoß h<strong>in</strong> dieses Ziel erreicht werden kann - darüber gibt<br />

es konträre Me<strong>in</strong>ungen 16 .<br />

Nach Faist lassen sich vere<strong>in</strong>facht drei Möglichkeiten unterscheiden, wie sich Migranten<br />

<strong>in</strong> den Aufnahmegesellschaften e<strong>in</strong>fügen bzw. <strong>ihre</strong> Beziehungen zum Herkunftsland<br />

weiter pflegen.<br />

Economic<br />

dimension<br />

Political<br />

dimension<br />

Cultural<br />

dimension<br />

Adaptation <strong>in</strong> the<br />

receiv<strong>in</strong>g nation-<br />

state<br />

Socio-economic<br />

<strong>in</strong>tegration by<br />

adaptation to autochthonous<br />

population<br />

Citizenship (of one<br />

nation-state)<br />

Cultural assimilation<br />

(acculturation)<br />

Segregation <strong>in</strong> the<br />

receiv<strong>in</strong>g nation-<br />

state<br />

Ethnic niches and<br />

enclaves;<br />

“middleman m<strong>in</strong>orities”<br />

and /or socio-economic<br />

marg<strong>in</strong>alization <strong>in</strong> the<br />

labor markets<br />

Political autonomy <strong>in</strong><br />

receiv<strong>in</strong>g country<br />

Cultural segregation<br />

(collective identities<br />

transferred from<br />

send<strong>in</strong>g country)<br />

Border cross<strong>in</strong>g<br />

expansion of social<br />

space<br />

Transnational reciprocity<br />

and transnational circuits<br />

(high degree of transnational<br />

exchange, trade<br />

and traffic)<br />

Transnational solidarity;<br />

“multicultural citizen-<br />

ship”; dual citizenship<br />

Transnational community<br />

(syncretist collective<br />

identities)<br />

Tab. 2: Responses of immigrants to opportunities <strong>in</strong> the receiv<strong>in</strong>g and send<strong>in</strong>g countries<br />

Quelle: Faist 1998, S.4<br />

Die Gültigkeit der jeweiligen Konzepte wird im wissenschaftlichen Diskurs konträr<br />

diskutiert. Während die Anpassungs- bzw. Segregationsprozesse schon <strong>in</strong> den 1920er<br />

Jahren von der Chicagoer Schule thematisiert wurden, stellt die Diskussion über die<br />

Bildung transnationaler sozialer Netzwerke den jüngsten dieser Ansätze 17 dar <strong>und</strong> wird,<br />

wie anfangs erwähnt, vor allem vor dem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> zunehmender Mobilität <strong>und</strong><br />

globaler Verflechtung diskutiert. In der Alltagswelt der Migranten spielen jedoch, abhängig<br />

von verschiedensten Faktoren, sowohl Formen der Assimilation, also e<strong>in</strong>er Anpassung<br />

an die Aufnahmegesellschaft, als auch der Segregation <strong>und</strong> Abschottung e<strong>in</strong>e Rolle<br />

(vgl. dazu auch vertiefend Pristl 2001, S. 76ff).<br />

Als wichtige Vorbed<strong>in</strong>gung für die Integration von Migranten <strong>in</strong> der deutschen Gesellschaft<br />

sollten diese jedoch reale Chancen auf e<strong>in</strong>e Realisierung <strong>ihre</strong>r sozialen, kulturellen,<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen Lebensziele haben, wofür e<strong>in</strong>e weitere Öffnung der<br />

Gesellschaft <strong>in</strong> allen Bereichen als notwendig ersche<strong>in</strong>t (vgl. Pristl 2001, S. 91).<br />

16<br />

dies zeigt die Debatte zum E<strong>in</strong>wanderungsgesetz, wie auch Münchener Diskussionen über<br />

Integrationskonzepte (vgl. Schröer/ Handschuk, 2004).<br />

17<br />

vgl. zu Transnationalisierung u.a. Faist 1998; zur Unterscheidung soziologischer Ansätze bezüglich<br />

Assimilation <strong>und</strong> Transnationalismus Bommes 2003; zu räumlichen Konzepten der Assimilation u.a. Pohl<br />

1998, S.62ff; Segregation u.a. Häußermann/ Siebel 2001.<br />

27


Stadt <strong>und</strong> Konflikt<br />

Auf die Thematik des Zusammenwohnens verschiedener Kulturen <strong>in</strong> der Stadt heruntergebrochen,<br />

stellt die Veränderung der Stadtgesellschaft <strong>durch</strong> Migration <strong>und</strong> die Entwicklung<br />

von Ansätzen zur Integration der Zuwanderer e<strong>in</strong> wichtiges Forschungsthema<br />

<strong>in</strong> der geographischen <strong>und</strong> soziologischen Stadtforschung dar (vgl. u.a. Hanhörster/<br />

Mölder 2000; Pott 2004).<br />

4.3.1 Zusammenleben verschiedener Kulturen <strong>in</strong> der Stadt<br />

Rückbezug auf kulturelle <strong>und</strong> territoriale B<strong>in</strong>dungen<br />

„Globalisierung (...) wird fassbar im Kle<strong>in</strong>en, Konkreten, im Ort, im eigenen Leben, <strong>in</strong><br />

kulturellen Symbolen, die alle die Signatur des ´Glokalen´ tragen“, schreibt Beck (1997,<br />

S. 91). Bezogen auf Migrationsprozesse <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Auswirkung auf das Leben <strong>in</strong> zunehmend<br />

multikulturelleren Städten ruft das –trotz der Diskussionen über weltweite Verflechtungen<br />

<strong>und</strong> die Transnationalisierung sozialer Räume- die räumlich lokale Verankerung<br />

des e<strong>in</strong>zelnen Individuums <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong> zurück.<br />

Denn diese raumüberschreitenden Möglichkeiten sozialer Interaktion müssen nicht<br />

zwangsläufig zu e<strong>in</strong>er „E<strong>in</strong>ebnung regionaler Differenzierungen oder zu universalistischkosmopolitischen<br />

Orientierungsformen führen“ (Weichhart 1990, S. 28). Im Gegenteil,<br />

der Mensch sieht sich mit e<strong>in</strong>er Nivellierung von Differenzierungen <strong>und</strong> der Abschleifung<br />

kulturspezifischer Gegensätzlichkeiten konfrontiert <strong>und</strong> sucht nach Identifikationsmöglichkeiten,<br />

die oft zum Rückbezug auf territoriale B<strong>in</strong>dungen <strong>und</strong> die eigene Kultur<br />

führen (vgl. ebenda S. 25 <strong>und</strong> S. 37). Für <strong>in</strong>terkulturelle <strong>Nachbarschaften</strong> bedeutet dies<br />

zum e<strong>in</strong>en, dass das eigene Heim, die Nachbarschaft, an Bedeutung gew<strong>in</strong>nt – <strong>und</strong><br />

deshalb <strong>Konflikte</strong> dort als besonders unangenehm empf<strong>und</strong>en werden (vgl. Häußermann/<br />

Siebel 2001, S.76; Mediations<strong>in</strong>stitut Nachbarschaft <strong>in</strong>takt 2004). Zum anderen<br />

lässt sich beobachten, dass kulturelle Eigenheiten wieder besonders betont werden.<br />

Nationale oder auch andere Zugehörigkeiten werden als Identifikationsmöglichkeiten<br />

gewählt <strong>und</strong> betont, um dem gewachsenen Abgrenzungsbedürfnis zu entsprechen (vgl.<br />

Krätke 1995, S. 211).<br />

In den <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong> der Großstädte treffen solche Abgrenzungsbedürfnisse<br />

aufe<strong>in</strong>ander. Daher wird nun zunächst kurz angerissen, welche Bedeutung<br />

„Nachbarschaft“ für verschiedene Kulturen haben kann <strong>und</strong> anschließend anhand der<br />

Kontakt- <strong>und</strong> Konflikthypothese auf mögliche Prozesse beim Aufe<strong>in</strong>andertreffen verschiedener<br />

Kulturen e<strong>in</strong>gegangen.<br />

Nachbarschaft - was bedeutet sie <strong>in</strong> verschiedenen Kulturen?<br />

Unter Nachbarschaft wird <strong>in</strong> der Geographie die „Summe der zwischenmenschlichen,<br />

nicht-familiären Beziehungen, die sich aus engem räumlichen Zusammenleben ergeben“<br />

verstanden (Leser 1997, S. 538). Außerdem wird „e<strong>in</strong>e soziale Gruppe, deren Mitglieder<br />

primär wegen der Geme<strong>in</strong>samkeit <strong>ihre</strong>s Wohnortes bzw. wegen <strong>ihre</strong>s engen räumlichen<br />

Zusammenlebens mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong>teragieren“ als Nachbarschaft bezeichnet (ebenda).<br />

Roth stellt fest, dass Nachbarschaft neben dieser räumlichen auch e<strong>in</strong>e soziale <strong>und</strong><br />

zeitliche Dimension habe. So lasse sich der Nachbar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>termediäre soziale Kategorie<br />

„zwischen dem Eigenen als dem Nahen, Bekannten, Vertrauten <strong>und</strong> Vertrauenswürdigen<br />

<strong>und</strong> dem Fremden als dem (ganz) Anderen, Fernen, Exotisch-Fasz<strong>in</strong>ierenden <strong>und</strong><br />

Bedrohlichen“ (2001, S. 12) e<strong>in</strong>ordnen <strong>und</strong> trete da<strong>durch</strong>, wie sich <strong>in</strong> Sprichwörtern<br />

wiederspiegelt, e<strong>in</strong>erseits als Helfer <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>, andererseits auch als Neider, Schädiger<br />

<strong>und</strong> Fe<strong>in</strong>d auf (vgl. ebenda).<br />

28


Stadt <strong>und</strong> Konflikt<br />

Die zeitliche Dimension verstärkt die Bedeutung der Nachbarschaft, da sie meist von<br />

e<strong>in</strong>er gewissen Dauer ist. Wohnnachbarn leben <strong>in</strong> der Regel mehrere Jahre oder Jahrzehnte<br />

nebene<strong>in</strong>ander <strong>und</strong> bilden <strong>in</strong> dieser Zeit auch gewisse Formen des Umgangs<br />

mite<strong>in</strong>ander heraus. So können diese Beziehungen sehr formalisiert se<strong>in</strong> <strong>und</strong> auf gegenseitiger<br />

Verpflichtung beruhen oder sie können, wie es oft <strong>in</strong> Großstädten der Fall ist,<br />

eher <strong>in</strong>formell <strong>und</strong> freiwillig se<strong>in</strong> (vgl. Roth 2001, S. 13). In <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong><br />

differieren die Erwartungen der e<strong>in</strong>zelnen Kulturen an das Zusammenleben oft<br />

stark. So beobachtet Hall Unterschiede zwischen Vorstellungen von US Amerikanern <strong>und</strong><br />

Briten: „In the United States (...) prop<strong>in</strong>quity is the basis of a good many relationships.<br />

Be<strong>in</strong>g a neighbor endows one with certa<strong>in</strong> rights and privileges, also responsibilities. You<br />

can borrow th<strong>in</strong>gs, <strong>in</strong>clud<strong>in</strong>g food and dr<strong>in</strong>k, but you also have to take your neighbor to<br />

the hospital <strong>in</strong> an emergency. In this regard neighbors have almost as much claim on<br />

you as a cous<strong>in</strong>. For these (…) reasons Americans try to pick their neighborhood<br />

carefully, because they know that they are go<strong>in</strong>g to be thrown <strong>in</strong>to <strong>in</strong>timate contact with<br />

people. (…) In England the relations between neighbors are apt to be cooler. Mere<br />

prop<strong>in</strong>quity does not tie people together” (Hall 1959, S. 170f). Dieses Beispiel deutet<br />

bereits an, wie die Bedeutung von Nachbarschaft <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Vorstellungen<br />

über Rechte <strong>und</strong> Pflichten kulturell differieren können 18 . Dass da<strong>durch</strong> Missverständnisse<br />

<strong>und</strong> im weiteren Verlauf <strong>Konflikte</strong> entstehen können liegt auf der Hand.<br />

4.3.2 Ist räumliche Nähe ursächlich für die Entstehung von<br />

<strong>Konflikte</strong>n?<br />

In der sozialwissenschaftlichen M<strong>in</strong>oritätenforschung entspannen sich seit Jahrzehnten<br />

kontroverse Diskussionen um die Frage, ob räumliches Zusammenleben unterschiedlicher<br />

Kulturen konfliktfördernd wirke oder ob <strong>durch</strong> den engeren Kontakt gegenseitiges<br />

Verständnis gefördert werde (vgl. Häußermann/ Siebel 2001, S. 68f). Die Überlegungen<br />

dieser sogenannten Konflikt- bzw. Kontakthypothesen sollen im Folgenden für den<br />

Bereich der <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong> veranschaulicht werden.<br />

Die Konflikthypothese<br />

Häußermann <strong>und</strong> Siebel greifen die Konflikthypothese, die auf Überlegungen der Chicagoer<br />

Schule zurück geht, <strong>in</strong> der Diskussion über die Ursachen von Segregation auf. „Das<br />

Ziel, ungestört <strong>und</strong> mit se<strong>in</strong>en Nachbarn <strong>in</strong> Frieden leben zu können, gebiert den<br />

Wunsch, mit Menschen, die e<strong>in</strong>en ähnlichen Lebensstil haben, zusammenzuwohnen“<br />

(2001, S. 48). Bourdieu stellt fest: "Tatsächlich steht e<strong>in</strong>em nichts ferner <strong>und</strong> ist nichts<br />

weniger tolerierbar als Menschen, die sozial fern stehen, aber mit denen man <strong>in</strong> räumlichen<br />

Kontakt kommt" (1991, S. 32).<br />

Gerade <strong>in</strong> den <strong>Nachbarschaften</strong> der Großstädte leben aber auf engem Raum viele<br />

Menschen mit „unterschiedlichen Erziehungsstilen, Geschlechtsrollen, Eßkulturen <strong>und</strong><br />

Geselligkeitsgewohnheiten, religiösen Riten, Sauberkeitsstandards, Zeitrhythmen <strong>und</strong><br />

Lärmempf<strong>in</strong>dlichkeiten, summarisch: mit unterschiedlichen Lebensweisen“ (Häußermann/<br />

Siebel 2001, S. 48).<br />

18<br />

Bei der Literaturrecherche fand ich ke<strong>in</strong>e Untersuchung, welche detailliert die Vorstellungen von Nachbarschaft<br />

für <strong>in</strong> München lebende Nationalitäten beschreibt. In den empirischen Untersuchungen zu dieser<br />

Arbeit stellt sich jedoch zum Beispiel heraus, dass türkische Personen e<strong>in</strong> eher enges Verhältnis mit der<br />

Nachbarschaft wünschen <strong>und</strong> großen Wert darauf legen, dass bestimmte Gebote der Gastfre<strong>und</strong>schaft<br />

beachtet werden (z.B. gegenseitige E<strong>in</strong>ladungen). Deutsche sche<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>gegen besonderen Wert auf die<br />

E<strong>in</strong>haltung von Regeln <strong>und</strong> gegenseitige Rücksichtnahme zu legen.<br />

29


Stadt <strong>und</strong> Konflikt<br />

Entstehen dann <strong>Konflikte</strong>, so beruhen sie unter anderem auf Überfremdungs- oder<br />

Existenzängsten. Lüttr<strong>in</strong>ghaus <strong>und</strong> Preis schildern dies sehr drastisch aber anschaulich:<br />

„Der zunehmende Anteil ausländischer Bevölkerung <strong>in</strong> den Großstädten führt dazu, daß<br />

sich viele alte<strong>in</strong>gesessene Bewohner von e<strong>in</strong>er steigenden Flut ausländischer Gestalten<br />

überschwemmt wähnen, die über <strong>ihre</strong> unverständliche Sprache h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

Verhaltensweisen an den Tag legen, die ihnen befremdlich ersche<strong>in</strong>en. Die da<strong>durch</strong><br />

ausgelösten Befürchtungen beruhen zum Teil auf Ängsten <strong>und</strong> wahnhaften Negativfantasien,<br />

die mit der gegenwärtig erfahrbaren Wirklichkeit nichts zu tun haben“ (Lüttr<strong>in</strong>ghaus/<br />

Preis 1993, S. 84). Neben solchen Ängsten, die oft ohne persönlichen Kontakt mit<br />

Migranten bei der Mehrheitsgesellschaft vorherrschen <strong>und</strong> <strong>durch</strong> politische Aussagen<br />

<strong>und</strong> die Medienberichterstattung oft noch geschürt werden (vgl. Bürkner et al. 1999,<br />

S.13), können <strong>Konflikte</strong> auch aus konkreten Alltagserfahrungen resultieren. Dabei dreht<br />

es sich zum Beispiel um Belange im Wohnbereich, wie Lärm, Müll, etc., oder aber um<br />

E<strong>in</strong>richtungen, die von der Allgeme<strong>in</strong>heit zwar als generell notwendig angesehen werden,<br />

aber oft <strong>in</strong> der eigenen Nachbarschaft unerwünscht s<strong>in</strong>d, da sie aus Sicht der<br />

Anwohner solche <strong>Konflikte</strong> mit sich br<strong>in</strong>gen. Dieses NIMBY-Phänomen 19 richtet sich unter<br />

anderem gegen Jugendzentren, Asylbewerberheime oder Moscheen (vgl. Schmitt 2003,<br />

S. 114).<br />

Die Kontakthypothese<br />

Durch das Zusammenleben <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> ergeben sich also e<strong>in</strong>e Vielzahl von<br />

Reibungsflächen <strong>und</strong> Konfliktmöglichkeiten. Zum anderen bieten sich aber gerade im<br />

unmittelbaren Wohnumfeld auch Kontaktmöglichkeiten zwischen Migranten <strong>und</strong> Deutschen,<br />

welche als positiv für die Integration der Migranten <strong>und</strong> den Abbau von Vorurteilen<br />

erachtet werden. „Zufällige, unverb<strong>in</strong>dliche <strong>und</strong> unregelmäßige Kontakte dienen als<br />

Gr<strong>und</strong>lage für den kulturellen Annäherungsprozeß <strong>und</strong> die Überw<strong>in</strong>dung von Ängsten“<br />

(Hanhörster/ Mölder 2000, S. 393). Dabei kommen Begegnungen im (halb-)öffentlichen<br />

Raum wie Hausfluren, E<strong>in</strong>gangsbereichen, Spielplätzen etc. e<strong>in</strong>e hohe Bedeutung zu.<br />

Diese „Kontakthypothese“ basiert auf der Annahme, dass räumliche Nähe es ermögliche,<br />

die wechselseitigen Stereotypen <strong>in</strong> der täglichen Begegnung zu überprüfen<br />

<strong>und</strong> an der eigenen Erfahrung zu korrigieren. Sie be<strong>in</strong>haltet die folgenden Schlussfolgerungen<br />

(vgl. Häußermann/ Siebel 2001, S. 45):<br />

Je näher Menschen beie<strong>in</strong>ander wohnen, desto häufiger haben sie Kontakte.<br />

Je mehr Kontakte unter den Bewohnern stattf<strong>in</strong>den, desto mehr wissen sie übere<strong>in</strong>ander<br />

Je mehr Wissen, desto größer die Toleranz zwischen ihnen<br />

Je größer Wissen <strong>und</strong> Toleranz, desto eher f<strong>in</strong>det Integration,<br />

d.h. Anpassung an die Verhaltensweisen der E<strong>in</strong>heimischen statt<br />

19<br />

NIMBY – “Not In My Back Yard -- has become the symbol for the neighborhoods to exclude certa<strong>in</strong> people<br />

because they are homeless, poor, disabled, or because of their race or ethnicity” (vgl. National Low Income<br />

Hous<strong>in</strong>g Coalition, 2004. Onl<strong>in</strong>e im Internet: http://www.nlihc.org/nimby/<strong>in</strong>dex.htm).<br />

30


Stadt <strong>und</strong> Konflikt<br />

Dieser e<strong>in</strong>fache Zusammenhang zwischen der quantitativen <strong>und</strong> qualitativen Steigerung<br />

des Kontakts von Menschen unterschiedlicher ethnisch-kultureller Zugehörigkeit <strong>und</strong><br />

dem Abbau von Vorurteilen wird jedoch als widerlegt angesehen bzw. müssen die<br />

Gr<strong>und</strong>annahmen modifiziert werden (vgl. Brown 1990, S. 412; Maletzke 1996, S. 172f).<br />

E<strong>in</strong>e Verbesserung der <strong>in</strong>terethnischen Beziehungen ist dann zu erwarten, wenn die<br />

Personen <strong>in</strong> etwa den gleichen sozialen Status haben oder die ethnische M<strong>in</strong>derheit<br />

e<strong>in</strong>en höheren sozialen Status. Dabei sei die Förderung des Sozialklimas, die Regelmäßigkeit<br />

<strong>und</strong> hohe Intensität der Kontakte wichtig. Von besonderer Bedeutung ist jedoch,<br />

dass beiderseitige Vorteile des Kontakts gesehen werden oder e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Ziel<br />

verfolgt wird.<br />

Als eher h<strong>in</strong>derlich für die Konfliktvermeidung gelten demgegenüber<br />

Wettbewerb <strong>in</strong> der Kontaktsituation,<br />

Unfreiwilligkeit der Kontakte,<br />

Statusverluste e<strong>in</strong>er Gruppe <strong>durch</strong> den Kontakt,<br />

niedrigerer sozialer Status der ethnischen M<strong>in</strong>derheit,<br />

Unzufriedenheit mit der sozialen Lage,<br />

Unvere<strong>in</strong>barkeit kultureller Standards.<br />

(vgl. Amir 1969, S.337).<br />

Insofern kommen Häußermann <strong>und</strong> Siebel diesbezüglich zu dem Schluss: „Die bereits<br />

existierende (positive oder negative) soziale Beziehung wird <strong>durch</strong> direkte Kontakte<br />

offenbar <strong>in</strong>tensiviert, aber selten konvertiert“ (2001, S. S. 53).<br />

4.3.3 Der Zusammenhang von Kultur <strong>und</strong> Benachteiligung<br />

Unfreiwillige Segregation<br />

„Wo sozial <strong>und</strong> ökonomisch marg<strong>in</strong>alisierte Gruppen, die sich aber kulturell vone<strong>in</strong>ander<br />

unterscheiden, im Quartier aufe<strong>in</strong>andertreffen, dürften also die <strong>Konflikte</strong> am größten<br />

<strong>und</strong> die Integration am wenigsten wahrsche<strong>in</strong>lich se<strong>in</strong>“ (Häußermann/ Siebel 2001,<br />

S.14). Gerade diesen Haushalten, die „mit e<strong>in</strong>er multiplen Problemlage belastet s<strong>in</strong>d,<br />

[fehlt] eben die Möglichkeit (...), soziale oder kulturelle Distanz zu anderen Bewohnergruppen<br />

<strong>in</strong> räumliche Distanz zu übersetzen. Sie werden <strong>durch</strong> die Mechanismen des<br />

Wohnungsmarkts oder <strong>durch</strong> die Zuweisung e<strong>in</strong>er Wohnung <strong>in</strong> die Nähe zu Nachbarn<br />

gezwungen, mit denen sie gerade nicht benachbart se<strong>in</strong> wollen“ 20 (Häußermann/ Siebel<br />

2001, S.48).<br />

Pott kritisiert, dass viele sozialwissenschaftliche Forschungen die Des<strong>in</strong>tegration von<br />

Migranten immer im Zusammenhang mit Konflikt betrachteten <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em „wohletablierten<br />

Ungleichheitsparadigma verfangen“ seien (2004, S.43). Er beanstandet, dass <strong>in</strong><br />

der Wissenschaft vielfach Segregation <strong>und</strong> die Verhaftung <strong>in</strong> benachteiligten oder<br />

strukturell schwachen Stadtvierteln für ger<strong>in</strong>ge Aufstiegschancen verantwortlich gemacht<br />

werde. In se<strong>in</strong>er Untersuchung über die Aufstiegsressourcen von Migranten der<br />

zweiten Generation stellt er fest, dass die „Mobilisierung von Ethnizität, die Teilnahme<br />

an ethnischen Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Netzwerken, aber auch Lokalität <strong>und</strong> räumliche Unterscheidungen<br />

(...) <strong>durch</strong>aus sehr relevante Bestandteile von Aufstiegsprozessen se<strong>in</strong> [können]<br />

(2004, S. 50).<br />

20<br />

Die sich daraus ergebenden Segregationstendenzen könnten somit auch als e<strong>in</strong> Prozess gesehen werden,<br />

der zur Konfliktvermeidung beiträgt (vgl. Häußermann/ Siebel 2001, S.73f).<br />

31


Stadt <strong>und</strong> Konflikt<br />

Erklärungen politischer Akteure für <strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong><br />

Ressourcenarme Gruppen überschneiden sich oft mit den Gruppen nicht-deutscher<br />

Herkunft, was laut Nothafft die Selbst- <strong>und</strong> Fremdzuschreibung ethnischer Stereotypen<br />

fördere. Sie beklagt, dass solche „zu Leerformeln geronnenen gesellschaftlichen Diskurse“<br />

über ´die Türken´ oder ´die Ausländer´ so nachhaltig funktionieren, dass soziokulturelle<br />

Mängellagen nicht als solche identifiziert <strong>und</strong> behoben würden, sondern mit<br />

dem Etikett des ´Anderen´ versehen werden. Da<strong>durch</strong> werden „selbstreflexive Prozesse<br />

der Geme<strong>in</strong>schaft bis auf weiteres suspendiert“ (1999, S. 130). Bürkner et al. kritisieren,<br />

dass <strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> Medien, zum Teil auch <strong>in</strong> der Forschung, e<strong>in</strong> unh<strong>in</strong>terfragter Konsens<br />

über die Gültigkeit der Konflikthypothese herrsche <strong>und</strong> die Thematik stark kulturalisiert<br />

werde (vgl. 1999, S.13f).<br />

Die Erklärungsmuster politischer Akteure für die Entstehung von <strong>Konflikte</strong>n <strong>und</strong> die<br />

entsprechende Ableitung von Maßnahmen zur <strong>Lösung</strong> <strong>in</strong>terkultureller <strong>Konflikte</strong> haben<br />

e<strong>in</strong>en nicht zu unterschätzenden E<strong>in</strong>fluss auf die weitere Entwicklung e<strong>in</strong>er Stadtgesellschaft.<br />

In e<strong>in</strong>er Studie über Interethnische <strong>Konflikte</strong> im Wohnquartier untersuchen<br />

Bürkner et al., wie sehr solche Prozesse <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>e kulturalistische Interpretation der<br />

Beziehungen zwischen Migrantenm<strong>in</strong>derheiten <strong>und</strong> gesellschaftlichen Mehrheiten<br />

geprägt s<strong>in</strong>d. „E<strong>in</strong> häufig wiederkehrendes Argumentationsmuster besteht dar<strong>in</strong>, dass<br />

soziale <strong>und</strong> ökonomische Probleme zunächst als gr<strong>und</strong>legend für die Entstehung von<br />

Gruppenkonflikten begriffen <strong>und</strong> dargestellt werden, <strong>und</strong> zwar meist dann, wenn<br />

<strong>Konflikte</strong> aus der Nähe miterlebt wurden oder die Detailprobleme aus anderen Gründen<br />

unmittelbar anschaulich waren. Sobald jedoch konkrete Erfahrungen mit <strong>Konflikte</strong>n<br />

fehlten oder die Akteure zu ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>deutigen Erklärungen vorstoßen konnten, wurde<br />

auf gängige Interpretationen <strong>in</strong> kulturellen Kategorien zurückgegriffen“ (Bürkner et al.<br />

1999, S. 24). Dies wurde als situationsgeb<strong>und</strong>ener Perspektivenwechsel bewertet:<br />

teilweise unbewusst nahmen die Akteure an, aufgr<strong>und</strong> der kulturellen Differenzen der<br />

beteiligten Gruppen müsse es unweigerlich zu <strong>Konflikte</strong>n kommen. Die „ursprünglich um<br />

rationale Differenzierung <strong>und</strong> Ursachenisolierung bemühte Argumentation [wurde] mit<br />

Hilfe von Kulturalisierungen <strong>und</strong> Ethnisierungen atmosphärisch überlagert <strong>und</strong> gefärbt“<br />

(ebenda).<br />

Zwischenfazit<br />

Es zeigte sich, dass Nachbarschaft <strong>und</strong> <strong>Konflikte</strong> eng zusammen gehören. Ursächlich ist<br />

räumliche Nähe für die <strong>Konflikte</strong> nur <strong>in</strong>sofern, als <strong>durch</strong> das enge Zusammenleben<br />

überhaupt die Möglichkeit besteht, <strong>in</strong> Kontakt mite<strong>in</strong>ander zu kommen. In den vorangegangenen<br />

Abschnitten wurde anhand verschiedener theoretischer Überlegungen die<br />

Bedeutung kultureller Unterschiede für das Zusammenleben <strong>und</strong> den Umgang mit<br />

<strong>Konflikte</strong>n aufgezeigt.<br />

Die Zuschreibung bestimmter Verhaltensweisen zu kulturellen Begründungen ist jedoch<br />

mit Vorsicht zu behandeln, da Kulturen nicht als statisch angesehen werden können <strong>und</strong><br />

<strong>durch</strong> vielfältige E<strong>in</strong>flüsse verändert werden (vgl. Kiesel 1998, S. 116). Ebenso wirken im<br />

räumlichen Zusammenleben verschiedenste Aspekte wie soziale Gegensätze <strong>und</strong> persönliche<br />

Problemlagen mit e<strong>in</strong>. Es sollte bedacht werden, dass <strong>durch</strong> die beabsichtigte<br />

Betonung kultureller Differenz –<strong>durch</strong> die Konfliktakteure oder von politischer Seite <strong>und</strong><br />

Medien- auch die Verschleierung bestehender sozialer, politischer oder ökonomischer<br />

Interessen stehen kann. Pott fordert diesbezüglich für die Migrationsforschung, verstärkt<br />

auch die sozialen Strukturen, die Ungleichheit reproduzieren zu untersuchen (vgl. 2004,<br />

S. 46).<br />

32


<strong>Lösung</strong>smöglichkeiten <strong>in</strong>terkultureller<br />

Der nächste Schritt gilt nun der Frage: Wie wird mit <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten<br />

umgegangen? Werden sie gelöst <strong>und</strong> auf welche Weise? Denn schließlich schöpft<br />

die Beschwerde mit dem Besenstiel via Zimmerdecke nicht alle Informations- <strong>und</strong><br />

Kommunikationsmöglichkeiten aus, so dass die Streitenden möglicherweise aus allen<br />

Wolken fallen, wenn sie das Problem aus der Sicht des anderen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „entgifteten“<br />

Atmosphäre an e<strong>in</strong>em neutralen Ort hören (vgl. Hösl 2004, S. 24).<br />

4.4 <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten <strong>in</strong>terkultureller<br />

Nachbarschaftskonflikte<br />

Was bedeutet Konfliktlösung?<br />

Um <strong>ihre</strong>n Konflikt zu lösen bieten sich zwei Personen verschiedenste Möglichkeiten, die<br />

vom Verdrängen des Problems bis zur gerichtlichen <strong>Lösung</strong> reichen (vgl. Montada/ Kals<br />

2001, S.11f). Welche Möglichkeit auch immer gewählt wird, um e<strong>in</strong>en Konflikt zu<br />

beenden - nicht alle Wege können wirklich als „Konfliktlösung“ bezeichnet werden. Glasl<br />

wählt als Oberbegriff für jede Art der Intervention die Konfliktbehandlung <strong>und</strong> trifft<br />

weitere Unterscheidungen danach, <strong>in</strong>wiefern diese sich auf die Bee<strong>in</strong>flussung des<br />

Konfliktpotenzials, des Konfliktprozesses oder der Konfliktfolgen beziehen (vgl. Glasl<br />

1990, S. 17ff). Konfliktlösung be<strong>in</strong>haltet nach se<strong>in</strong>em Verständnis nur jene Konfliktbehandlungen,<br />

die auch die Quellen des Konflikts beseitigen (vgl. Glasl 1990, S. 19). Mit<br />

Konfliktmanagement werden Interventionen bezeichnet, welche die Dynamik destruktiver<br />

Handlungsweisen begrenzen sollen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Konfliktregelung legt fest, wie die<br />

Parteien mit dem Konflikt umzugehen haben.<br />

Gr<strong>und</strong>gedanke der Mediation<br />

Die <strong>in</strong>stitutionalisierte Form der gerichtlichen Konfliktaustragung endet normalerweise<br />

mit e<strong>in</strong>er Konfliktregelung. (vgl. Montada/ Kals 2001, S. 24). „Sie regelt den akuten<br />

Konflikt, beseitigt aber nicht unbed<strong>in</strong>gt die Konfliktursachen oder die Perzeptionen <strong>und</strong><br />

E<strong>in</strong>stellungen bei den Konfliktparteien“ (Schmitt 2003, S. 105). Im Gegensatz dazu ist<br />

das Ziel e<strong>in</strong>er Mediation e<strong>in</strong>e Konfliktlösung zu f<strong>in</strong>den, die für beide Parteien e<strong>in</strong>en<br />

Gew<strong>in</strong>n darstellt. Dabei soll die dritte Partei lediglich vermitteln <strong>und</strong> die Streitenden<br />

unterstützen, an e<strong>in</strong>er <strong>Lösung</strong> <strong>und</strong> Entscheidung über <strong>ihre</strong>n Disput mitzuwirken (vgl.<br />

Avruch 1998, S. 82; Besemer 2002, S. 14).<br />

4.4.1 Mediation<br />

Historische <strong>und</strong> kulturelle Wurzeln des Mediationsverfahrens<br />

Der Gedanke der Mediation ist - auch wenn die Mediation <strong>in</strong> Deutschland erst <strong>in</strong> den<br />

letzten Jahren <strong>in</strong> Mode gekommen ist - nicht neu oder aus den USA stammend, sondern<br />

„eher e<strong>in</strong>e Mischung aus Konfliktlösungspraktiken verschiedenster Völker <strong>und</strong> Kulturen“<br />

(Besemer 2002, S. 46). Ob <strong>in</strong> Asien, Afrika, im antiken Griechenland oder <strong>in</strong> der Bibel,<br />

<strong>in</strong>formelle Konfliktbeilegung mit Hilfe e<strong>in</strong>er dritten Partei <strong>und</strong> ohne die Verwendung von<br />

Sanktionen als Druckmittel wird seit langer Zeit genutzt. In manchen Kulturen, wie zum<br />

Beispiel der ch<strong>in</strong>esischen oder japanischen, <strong>in</strong> denen <strong>durch</strong> Religion <strong>und</strong> Philosophie e<strong>in</strong>e<br />

starke Betonung auf Konsens, Kooperation <strong>und</strong> Harmonie gelegt wird, ist e<strong>in</strong>e derartige<br />

Konfliktbearbeitung tief verankert 21 (vgl. Besemer 2002, S. 46).<br />

21<br />

In Ch<strong>in</strong>a stellt Mediation e<strong>in</strong>e wichtige Ergänzung der Justiz dar: Mediatoren vermitteln jährlich 7 bis 8<br />

Millionen <strong>Konflikte</strong>. „Obwohl <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a fünfmal mehr Menschen leben als <strong>in</strong> den USA, beträgt die Zahl der<br />

Rechtsanwälte verglichen mit den USA nur 5%. Im ch<strong>in</strong>esischen Rechtssystem wird es höher bewertet,<br />

33


Nachbarschaftskonflikte<br />

In den 1960er Jahren entstand <strong>in</strong> den USA die „Alternative Dispute Resolution“ (ADR) -<br />

Bewegung, die basierend auf e<strong>in</strong>er zunehmend kritischen E<strong>in</strong>stellung gegenüber dem als<br />

unzulänglich empf<strong>und</strong>enen Rechtssystem verschiedene Arten der alternativen Konfliktlösung<br />

propagierte (vgl. Scimecca 1991, S. 28ff). Besonders <strong>in</strong> den Bereichen Trennung,<br />

Mieter-Vermieter- bzw. Nachbarschaftsstreitigkeiten wurde Mediation als e<strong>in</strong>e dieser<br />

Methoden angewandt. <strong>und</strong> <strong>durch</strong> die E<strong>in</strong>führung von neighborhood justice centers oder<br />

community mediation centers verbreitet. Aus der ADR-Bewegung entwickelte sich <strong>in</strong> den<br />

1980er Jahren das Konzept der Harvard Schule, welches als Gr<strong>und</strong>lage vieler aktuell<br />

angewandter Mediationsformen gilt.<br />

In Europa, zunächst vor allem <strong>in</strong> Großbritannien, fand Mediation erst <strong>in</strong> den ´80er<br />

Jahren weitere Verbreitung <strong>und</strong> wurde anfangs vor allem im Bereich Scheidung <strong>und</strong><br />

Trennung angewendet 22 . Wie schon e<strong>in</strong>leitend erwähnt wurde, f<strong>in</strong>det Mediation als<br />

Verfahren der außergerichtlichen Konfliktlösung auch <strong>in</strong> Deutschland <strong>in</strong>zwischen zunehmend<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> den verschiedensten Bereichen Verwendung 23 .<br />

Die Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zipien des Harvard Konzepts<br />

Auch wenn Gr<strong>und</strong>gedanken der Mediation <strong>in</strong> vielen Kulturen vorhanden s<strong>in</strong>d, so stammt<br />

das <strong>in</strong> Deutschland hauptsächlich angewendete Mediationsmodell der Harvard Schule<br />

aus e<strong>in</strong>em westlichen Kulturkontext. In der aktuellen Fachliteratur wird diskutiert,<br />

<strong>in</strong>wiefern dieses Modell bestimmte kulturelle Denk- <strong>und</strong> Handlungsmuster <strong>in</strong> sich trägt.<br />

Daraus ergibt sich die Überlegung, ob jeweils kulturadäquate Verfahren der Mediation<br />

entwickelt werden müssten bzw. das Mediationsverfahren an sich für die Anwendung im<br />

<strong>in</strong>terkulturellen Kontext abgewandelt werden sollte (vgl. u.a. Ropers 1995, S. 79, Grotz<br />

2003, S. 71, Deym-Soden 2004, S. 132f).<br />

Roger Fisher <strong>und</strong> William Ury entwickelten Anfang der ´80er Jahre das Harvard-Konzept<br />

als e<strong>in</strong>e Strategie für pr<strong>in</strong>zipiengeleitetes Verhandeln. Die Gr<strong>und</strong>überlegung lautet, dass<br />

<strong>Konflikte</strong> unvermeidbar s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> notwendig für e<strong>in</strong>en sozialen Wandel, es dazu jedoch<br />

e<strong>in</strong>er konstruktiven Austragung der <strong>Konflikte</strong> bedarf (vgl. Ropers 1999, S. 66).<br />

Die vier Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zipien des Harvard- Konzepts s<strong>in</strong>d:<br />

A) Separate the people from the problem.<br />

B) Focus on <strong>in</strong>terests, not positions.<br />

C) Invent options for mutual ga<strong>in</strong>.<br />

D) Insist on us<strong>in</strong>g objective criteria.<br />

(vgl. Fisher/ Ury 1991, S.13)<br />

e<strong>in</strong>en Kompromiß zu erreichen, als se<strong>in</strong> persönliches Recht <strong>durch</strong>zusetzen. Es wird als Schande empf<strong>und</strong>en,<br />

e<strong>in</strong> Gericht <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen“ (Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>Lösung</strong>sorientiertes Konfliktmanagement 2004.<br />

Onl<strong>in</strong>e im Internet:<br />

http://members.magnet.at/arge-konfliktmanag/medi.htm).<br />

22<br />

Besemer weist darauf h<strong>in</strong>, dass es schon davor ähnliche Ansätze <strong>in</strong> der Gesprächstherapie oder der<br />

Konflikttheorie gab (vgl. 2002, S. 49).<br />

23<br />

So f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> der Datenbank des B<strong>und</strong>esverbands Mediation e.V. Mediatoren für die verschiedensten<br />

Fachbereiche wie u.a. Bauwesen, Familie/Partnerschaft, Geme<strong>in</strong>wesen, <strong>Interkulturelle</strong> <strong>Konflikte</strong>, Jugend,<br />

Krankenhaus, Nachbarschaft, Schule, Sport, Umwelt, Öffentlicher Dienst/Verwaltung, Wirtschaft/Organisationen<br />

(vgl. B<strong>und</strong>esverband Mediation e.V. 2004). Weitere Anwendungsbereiche s<strong>in</strong>d der<br />

Täter-Opfer-Ausgleich bei laufenden Strafgerichtsverfahren oder im Anschluss daran <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale bzw.<br />

zwischenstaatliche <strong>Konflikte</strong> (vgl. Schramkowski 2001, S. 60; Besemer 2002, S. 50).<br />

34


Nachbarschaftskonflikte<br />

Es wird davon ausgegangen, dass <strong>Konflikte</strong> sowohl auf e<strong>in</strong>er Sach- <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Beziehungsebene<br />

geführt werden <strong>und</strong> deshalb oft eskalieren (vgl. Hösl 2004, S. 69). Menschen<br />

<strong>und</strong> Probleme s<strong>in</strong>d daher am besten getrennt vone<strong>in</strong>ander zu behandeln,<br />

das heißt, die Beziehungsebene des Konflikts sollte ernst genommen werden; es<br />

sollte im Verfahren Raum für die Äußerung von Gefühlen, Ängsten, Wünschen, persönlichen<br />

Erfahrungen usw. geben. Diese Ebene sollte jedoch nicht vermischt werden mit der<br />

Bearbeitung der Sachkonflikte. Diese sollten <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sam zu lösende Probleme transformiert<br />

werden <strong>und</strong> letztlich im Mittelpunkt der Bearbeitung stehen (vgl. Ropers 1999,<br />

S. 66).<br />

Mediation setzt nicht bei den Positionen an, sondern bei den Bedürfnissen <strong>und</strong> Interessen.<br />

„Positionen, das heißt, die festgefügten Vorstellungen davon, wie e<strong>in</strong> Problem<br />

gelöst werden sollte, s<strong>in</strong>d oft nicht mite<strong>in</strong>ander vere<strong>in</strong>bar. E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>vernehmliche Problemlösung<br />

sche<strong>in</strong>t deshalb nicht möglich. Doch die zugr<strong>und</strong>eliegenden Interessen – <strong>und</strong><br />

auf die kommt es letztendlich an – können meist auf verschiedene Weise befriedigt<br />

werden. Wenn die Interessen offengelegt werden, wird es oft möglich, <strong>Lösung</strong>en zu<br />

f<strong>in</strong>den, die im allseitigen Interesse s<strong>in</strong>d“ (Besemer 2002, S. 25). „Damit diese Bewegung<br />

weg von den Positionen h<strong>in</strong> zu den Interessen gel<strong>in</strong>gen kann, brauchen Konfliktparteien<br />

<strong>in</strong> den meisten Fällen Hilfestellungen, <strong>und</strong> genau die bietet ihnen das Verfahren<br />

der Mediation“ (Haumersen/ Liebe 1998, S. 138).<br />

Die Überlegung h<strong>in</strong>ter dem Fokus auf die Interessen liegt dar<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong><br />

möglich wird, die auf der Ebene der Positionen gar nicht zum Vorsche<strong>in</strong> kommen konnte<br />

(ebenda, S. 139). Sehr viel öfter als die Parteien es erwarten würden, ist es möglich,<br />

Optionen zu entwickeln, bei denen alle Beteiligten gew<strong>in</strong>nen können („w<strong>in</strong>w<strong>in</strong>-<strong>Lösung</strong>en“<br />

oder „<strong>in</strong>klusive <strong>Lösung</strong>en“). Die Voraussetzung dafür ist, dass die <strong>Lösung</strong><br />

von allen als e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Problemlösung betrachtet wird. „Wie oft reden wir vom<br />

Kuchen, den es aufzuteilen gilt, <strong>und</strong> me<strong>in</strong>en dabei die Zahl <strong>und</strong> Größe der uns schon<br />

bekannten Stücke! Das Stück, das der e<strong>in</strong>e bekommt, verliert der andere: das klassische<br />

Nullsummenspiel. Wir können aber auf der Gr<strong>und</strong>lage der Interessen (...) neue Ideen<br />

entwickeln <strong>und</strong> neue Handlungsmöglichkeiten bilden (...) <strong>und</strong> damit den Verteilungskuchen<br />

<strong>und</strong> die Chancen für e<strong>in</strong>e W<strong>in</strong>-W<strong>in</strong>- <strong>Lösung</strong> vergrößern“ (Hösl 2004, S. 70).<br />

Zudem haben die Parteien bei der Mediation größere Spielräume, unkonventionelle<br />

<strong>Lösung</strong>en zu f<strong>in</strong>den, da sie sich nicht normierten Maßstäben zu unterwerfen haben. So<br />

müssen zwar gesetzliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>klagbare Rechte bei der Mediationsvere<strong>in</strong>barung<br />

berücksichtigt werden, um e<strong>in</strong>e Dauerhaftigkeit zu gewährleisten, doch<br />

darüber h<strong>in</strong>aus gibt es vielfältige Möglichkeiten für e<strong>in</strong>e spezielle, dem Fall angepasste<br />

Regelung, aus der beide Seiten als Gew<strong>in</strong>ner hervorgehen (vgl. Haumersen/ Liebe 1998,<br />

S. 41). Für die Entwicklung dauerhaft tragfähiger <strong>Lösung</strong>en ist es notwendig, möglichst<br />

objektivierbare Kriterien für die <strong>Lösung</strong> bzw. Regelung des Konflikts heranzuziehen.<br />

Vere<strong>in</strong>barungen sollten deshalb konkret <strong>und</strong> überprüfbar, am besten schriftlich<br />

abgefasst werden (vgl. Ropers 1999, S. 66).<br />

35


Wichtige Merkmale des Mediationsverfahrens<br />

E<strong>in</strong>beziehung aller<br />

Konfliktbeteiligten<br />

Ergebnisoffenheit<br />

des Konflikts<br />

Vermittlung <strong>durch</strong><br />

unparteiische Dritte<br />

Mediation<br />

Nachbarschaftskonflikte<br />

Informell/<br />

außergerichtlich<br />

Freiwillig/<br />

selbstbestimmt/<br />

konsensorientiert<br />

Abb. 8: Wichtige Merkmale des Mediationsverfahrens<br />

Quelle: Besemer 2000, S. 15, ergänzt nach Hösl 2004, S. 29<br />

Für e<strong>in</strong>e Mediation s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong> der Abbildung dargestellten Merkmale charakteristisch. Als<br />

wichtige Voraussetzungen gelten die Anwesenheit aller wichtigen Konfliktparteien, ke<strong>in</strong>e<br />

gravierenden Machtunterschiede zwischen den Parteien <strong>und</strong> ausreichend Zeit, um e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>vernehmliche Konfliktlösung zu erarbeiten. Zudem sollte es sich bei dem zu bearbeitenden<br />

Konflikt nicht um gr<strong>und</strong>sätzliche Wertorientierungen, gr<strong>und</strong>legende Rechte oder<br />

bloße Ja/ Ne<strong>in</strong>-Entscheidungen handeln. Die Streitenden müssen über e<strong>in</strong> gewisses Maß<br />

an Ausdrucksvermögen <strong>und</strong> Selbstbehauptungsfähigkeit verfügen <strong>und</strong> sollten, wie<br />

Besemer erwähnt, nicht gewaltsam unterdrückt werden oder unter ausgeprägten<br />

psychischen Erkrankungen oder starker Sucht leiden (vgl. Besemer 2002, S. 20). Wenn<br />

der Streit komplex ist <strong>und</strong> nicht oder nur schlecht im direkten Gespräch gelöst werden<br />

kann, die Streitenden aber Interesse an e<strong>in</strong>er <strong>Lösung</strong> haben, so kann Mediation andere<br />

Konfliktlösungswege ersetzen <strong>und</strong> ergänzen (vgl. B<strong>und</strong>esverband Mediation e.V. 2004a,<br />

S.5).<br />

Ablauf der Mediation<br />

Gr<strong>und</strong>legend ist für viele Mediationen e<strong>in</strong> Vorgehen <strong>in</strong> fünf Schritten: Nach der Anfangsphase,<br />

<strong>in</strong> der Voraussetzungen <strong>und</strong> Regeln geklärt werden, bekommen die Parteien die<br />

Möglichkeit, <strong>ihre</strong> Sichtweise des Konflikts zu schildern. Dann folgt die „Phase der <strong>Konflikte</strong>rhellung“<br />

– <strong>durch</strong> das Ausdrücken von Gefühlen, Wünschen <strong>und</strong> Interessen sollen<br />

die wirklichen Bedürfnisse der Personen gef<strong>und</strong>en werden. Anschließend werden <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten<br />

gesammelt <strong>und</strong> nach e<strong>in</strong>er allen zusagenden Übere<strong>in</strong>kunft gesucht<br />

(Darstellung des Ablaufschemas --> Anhang 2). Mediationen müssen jedoch nicht immer<br />

nach den aufgeführten Mediationsschritten verlaufen. S<strong>in</strong>d die Gesprächsparteien nicht<br />

zu e<strong>in</strong>em direkten Kontakt bereit, kann e<strong>in</strong>e Shuttle Mediation angewendet werden.<br />

Dabei pendelt der Mediator zwischen den Parteien <strong>und</strong> überbr<strong>in</strong>gt die verschiedenen<br />

Sichtweisen des Konflikts (vgl. Schramkowski 2001, S. 65). In e<strong>in</strong>er Gruppenmediation<br />

mit mehr als zwei Parteien oder mehreren Personen pro Partei müssen die Mediatoren<br />

auch andere Methoden verwenden (--> Glossar Methodenkenntnisse). E<strong>in</strong>e Technik, bei<br />

der die dritte Partei e<strong>in</strong>e stärkere Rolle <strong>und</strong> zum Teil auch Entscheidungsbefugnis hat, ist<br />

zum Beispiel die Methode des M<strong>in</strong>i Trial. Hier präsentieren die Konfliktparteien <strong>ihre</strong><br />

Sichtweisen vor e<strong>in</strong>em unabhängigen Gremium, welches letztlich e<strong>in</strong>e Entscheidung<br />

36


Nachbarschaftskonflikte<br />

trifft. Die Parteien sollen allerd<strong>in</strong>gs Vorschläge zur konstruktiven <strong>Lösung</strong> <strong>ihre</strong>s Konflikts<br />

vorbr<strong>in</strong>gen 24 . Dieses Verfahren ist ähnlich den <strong>in</strong> der ADR unter anderem e<strong>in</strong>gesetzten<br />

Konfliktlösungsformen der “arbitration” oder der Mischform “mediation-arbitration” 25<br />

(vgl. Scimecca 1991, S. 29).<br />

4.4.2 <strong>Interkulturelle</strong> Mediation <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Zukunftsorientierung als Voraussetzung<br />

Wesentlich für das Gel<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>er Mediation ist das Interesse der Parteien an e<strong>in</strong>er<br />

e<strong>in</strong>vernehmlichen <strong>Lösung</strong>, welches oft entscheidend von der Zukunftsorientierung der<br />

Personen abhängt: gerade Nachbarn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Wohnhaus oder –viertel können sich nicht<br />

dauerhaft vone<strong>in</strong>ander fernhalten, ohne sich da<strong>durch</strong> selbst empf<strong>in</strong>dlich e<strong>in</strong>zuschränken.<br />

Deshalb ist Mediation besonders s<strong>in</strong>nvoll, wenn absehbar ist, dass die Konfliktparteien<br />

auch nach Beendigung <strong>ihre</strong>s <strong>Konflikte</strong>s weiter mite<strong>in</strong>ander leben müssen <strong>und</strong> daher e<strong>in</strong><br />

Interesse an guten zukünftigen Beziehungen besteht (vgl. Haumersen/ Liebe 1998, S.<br />

140f). „Das bedeutet, wenn beide Konfliktparteien zu der Übere<strong>in</strong>stimmung bzw.<br />

Überzeugung gelangt s<strong>in</strong>d, auch <strong>in</strong> der Zukunft am gleichen Ort zur gleichen Zeit zu<br />

leben, wird die Konfliktklärung zum geme<strong>in</strong>samen Wohle/ Zufriedenheit gesucht“ (Çakir<br />

1998, S. 6f). In <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong> ist dies von besonderer Bedeutung, da,<br />

zum e<strong>in</strong>en zwar die Wertschätzung e<strong>in</strong>er guten Nachbarschaftsbeziehung gerade bei<br />

Migranten besonders hoch ist (vgl. LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung<br />

2002, S. 26) zum anderen aber, nach Nationalität unterschiedlich, auch oft die<br />

Absicht besteht, früher oder später wieder <strong>in</strong> das Heimatland zurückzukehren (vgl. LH<br />

München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 1997, S. 54f). Dies wirke sich nach<br />

Çakir negativ auf die Bereitschaft aus, Konfliktlösungsstrategien zu akzeptieren, die nicht<br />

dem eigenen Wertesystem entsprechen (vgl. 1998, S. 7).<br />

Anbieter <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftsmediation<br />

<strong>Interkulturelle</strong> Mediation wird <strong>in</strong> Nachbarschaftskonflikten auch <strong>in</strong> Deutschland zunehmend<br />

von sogenannten Geme<strong>in</strong>wesenmediatoren <strong>durch</strong>geführt. Dies s<strong>in</strong>d, ähnlich wie <strong>in</strong><br />

der community mediation <strong>in</strong> Großbritannien oder den USA, häufig <strong>in</strong> Mediation geschulte<br />

ehrenamtliche Privatpersonen aus der Nachbarschaft. Die Trägerschaft obliegt unabhängigen<br />

geme<strong>in</strong>nützigen Organisationen oder der öffentlichen Verwaltung 26 (vgl. Metzger<br />

2000, S. 239ff). Schramkowski betont auch die zunehmende Bedeutung der Mediation<br />

als Instrument der sozialen Arbeit <strong>in</strong> Stadtteilen (vgl. 2001, S. 76). In Kap. 5.4.2 wird<br />

das Projekt „Konfliktmanagement im <strong>in</strong>terkulturellen Kontext“ <strong>in</strong> München vorgestellt.<br />

Dieses stellt <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>en relativ neuen Ansatz dar, als auf breiter Basis Mitarbeiter<br />

verschiedener Sozialdienste als <strong>in</strong>terkulturelle Mediatoren ausgebildet, die unter anderem<br />

<strong>in</strong> Nachbarschaftskonflikten e<strong>in</strong>gesetzt werden.<br />

24 Diese Methode wurde als „Vermittlungskommission“ von den Mediatoren im Jugendzentrumsfall<br />

angewendet.<br />

25 “Mediation-Arbitration: A third party is authorized by the disputants to serve first as a mediator and then<br />

as an arbitrator empowered to decide any issues should mediation not br<strong>in</strong>g any substantive contributions.<br />

Arbitration: Widely used <strong>in</strong> labor-management disputes, where a neutral third party renders a decision after<br />

hear<strong>in</strong>g arguments and review<strong>in</strong>g evidence” (Scimecca 1991, S. 29).<br />

26<br />

E<strong>in</strong>es der ersten derartigen Projekte ist die 1996 gegründete Mediationsstelle Brückenschlag e.V.,<br />

Lüneburg.<br />

37


Nachbarschaftskonflikte<br />

Veränderung der Mediation im <strong>in</strong>terkulturellen Zusammenhang<br />

“Conflict is a crisis that forces us to recognize explicitly that we live with multiple realities<br />

and must negotiate a common reality; that we br<strong>in</strong>g to each situation differ<strong>in</strong>g -<br />

frequently contrast<strong>in</strong>g- stories and must create together a s<strong>in</strong>gle shared story with a role<br />

for each and for both” (Augsburger 1992, S. 11). Wie bereits erläutert, trifft dieses<br />

Problem gerade auf <strong>in</strong>terkulturelle Konfliktsituationen verstärkt zu. Beim Zusammentreffen<br />

von Menschen unterschiedlicher Herkunft kann aufgr<strong>und</strong> der spezifischen Bedürfnisse,<br />

Wahrnehmungen <strong>und</strong> Sichtweisen nicht automatisch von e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Kommunikationsebene<br />

ausgegangen werden. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> def<strong>in</strong>iert der B<strong>und</strong>esverband<br />

Mediation <strong>in</strong>terkulturelle Mediation auch <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie als Beitrag zu Verständigung<br />

<strong>und</strong> gegenseitigem Verstehen (vgl. 2004b, S.2).<br />

E<strong>in</strong>ige Autoren diskutieren weitergehend jedoch auch, welche Annahmen des Mediationsverfahrens<br />

im <strong>in</strong>terkulturellen Bereich problematisch s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> wie Mediation verändert<br />

werden könnte. Kritisch wird zum Beispiel die Forderung des ADR Konzepts nach<br />

der Trennung von Person <strong>und</strong> Problem gesehen. Diese könne <strong>in</strong> traditionalen Kulturen<br />

mit e<strong>in</strong>em hohen Grad kollektivistischer Orientierungen unter Umständen kontraproduktiv<br />

se<strong>in</strong>, da erfolgreiche Konfliktbearbeitung hier gerade auf der engen Verknüpfung von<br />

Personen <strong>und</strong> Problemen beruhe. „Fraglich ersche<strong>in</strong>en auch die Betonung des offenen<br />

Austausches von Bekenntnissen, die Beteiligung aller Betroffenen, die Zeitökonomie <strong>und</strong><br />

die E<strong>in</strong>deutigkeit von Aussagen“ (Ropers 1999, S. 72f). Deym-Soden kritisiert die<br />

westliche Prägung des Konzepts: „Wie [Mediation] <strong>in</strong> Europa <strong>und</strong> USA systematisch<br />

beschrieben <strong>und</strong> praktiziert wird, hat sie mehr <strong>in</strong>dividualistische <strong>und</strong> von direkter<br />

Kommunikation ausgehende Anteile als kollektivistische <strong>und</strong> von <strong>in</strong>direkter Kommunikation<br />

ausgehende Anteile“ (2004, S. 132).<br />

Haumersen <strong>und</strong> Liebe betonen, dass es bei e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>terkulturellen Mediation nicht darum<br />

gehen könne, e<strong>in</strong> quasi kulturneutrales Verfahren anzustreben oder im anderen Extrem<br />

Unterschiede aus verme<strong>in</strong>tlich verschiedenen kulturellen Identitäten zu verabsolutieren;<br />

die Methode selbst „entspricht e<strong>in</strong>er Suchhaltung, e<strong>in</strong>er Aufforderung zu e<strong>in</strong>em Experiment“<br />

(1998, S. 147).<br />

Wolle man die Ausgangspr<strong>in</strong>zipien der Mediationsbewegung wie Empowerment, Relativierung<br />

von Machtdifferenzen <strong>und</strong> prozedurale Gerechtigkeit konsequent <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen<br />

<strong>Konflikte</strong>n anwenden, so folgt daraus laut Ropers, „daß das Verfahren <strong>in</strong>terkultureller<br />

Mediation selbst Gegenstand e<strong>in</strong>es Aushandlungsprozesses se<strong>in</strong> sollte“ (1995, S.79). Die<br />

kulturspezifischen Vorstellungen der Konfliktparteien sollten schon vor Beg<strong>in</strong>n der<br />

eigentlichen Konfliktbearbeitung <strong>in</strong> das Design des Mediationsverfahrens e<strong>in</strong>bezogen<br />

werden.<br />

Dabei s<strong>in</strong>d laut Ropers (1999, S. 75) folgende Probleme zu thematisieren:<br />

„Wie lässt sich e<strong>in</strong> Mediationsdesign entwickeln, das die Bedürfnisse <strong>und</strong> Interessen<br />

aller Konfliktparteien angemessen berücksichtigt, die sich aus <strong>ihre</strong>r kulturellen<br />

Zugehörigkeit ergeben, ohne den Konflikt ungewollt (weiter) zu<br />

´kulturalisieren´?<br />

Wie kann der Mediationsprozeß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>terkulturellen Kontext so gesteuert<br />

werden, dass es tatsächlich zu e<strong>in</strong>er konstruktiven Konfliktbearbeitung kommt?<br />

Welche Anforderungen ergeben sich aus dem <strong>in</strong>terkulturellen Kontext für das<br />

Konzept der Neutralität <strong>und</strong> Allparteilichkeit der dritten Partei? Sollte sie<br />

z.B.: e<strong>in</strong>e ´dritte Kultur´ oder e<strong>in</strong>e ´Multikultur´ repräsentieren?“<br />

38


Nachbarschaftskonflikte<br />

Diese Fragen stellen <strong>in</strong> der aktuellen Diskussion Ansatzpunkte dar, auf die es allerd<strong>in</strong>gs<br />

erst sehr vorläufige Antworten aus der Praxis gibt (vgl. ebenda).<br />

In der Übersicht werden anhand der Gegenüberstellung des nordamerikanischen<br />

Mediationsmodells mit dem von Augsburger als traditional bezeichneten Modell die<br />

unterschiedlichen Ansprüche an e<strong>in</strong> Mediationsverfahren nochmals veranschaulicht.<br />

Traditionale Kulturen Moderne Kulturen<br />

Kollektive Identität:<br />

Vertrauen ist familien- bzw.<br />

gesellschaftsgerichtet<br />

Status <strong>durch</strong> Zuschreibung:<br />

Status wird <strong>durch</strong> Position,<br />

Beziehung oder Netzwerk erlangt<br />

Affektiv <strong>und</strong> <strong>in</strong>formell:<br />

Absprachen werden <strong>durch</strong><br />

soziales Vertrauen erlangt<br />

Führende Rollen s<strong>in</strong>d heilig:<br />

Vertrauenskriterien s<strong>in</strong>d<br />

Lebenserfahrung <strong>und</strong><br />

soziale Stellung<br />

Mediator ist persönlich,<br />

kontextbezogen <strong>und</strong> Teil der<br />

Gesellschaft<br />

Polychrones Zeitverständnis:<br />

Aufgaben <strong>und</strong> Zeitpläne s<strong>in</strong>d<br />

sek<strong>und</strong>är<br />

Persönliche Identität<br />

Sozialer Status<br />

<strong>und</strong> Rang<br />

Bevorzugter<br />

Verhandlungsprozess<br />

Soziale Rollen<br />

Funktion des<br />

Mediators<br />

Zeitrahmen<br />

Individualismus:<br />

Egozentrisch, selbstsicher,<br />

selbstbestimmt, unabhängig.<br />

Status <strong>durch</strong> Leistung:<br />

<strong>in</strong>dividuelle Erfolge <strong>und</strong> <strong>durch</strong><br />

eigene Arbeit verdienter Status<br />

Rational <strong>und</strong> formell:<br />

Geschäftsvere<strong>in</strong>barungen, die mit<br />

geradl<strong>in</strong>igen Verträgen besiegelt<br />

werden; Struktur ist äußerst wichtig<br />

Spezialisierte Führungsrollen:<br />

technisches Fachwissen wird als<br />

Vertrauenskriterium angesehen<br />

Der Vermittler ist unpersönlich,<br />

professionell <strong>und</strong> steht außerhalb<br />

der jeweiligen Geme<strong>in</strong>schaft.<br />

Rational <strong>und</strong> formell:<br />

Geschäftsvere<strong>in</strong>barungen, die mit<br />

geradl<strong>in</strong>igen Verträgen besiegelt<br />

werden; Struktur ist äußerst wichtig<br />

Abb. 9: Idealtypischer Vergleich kulturell geprägter Mediationsanforderungen<br />

Quelle: Augsburger 1992, Seite 202; Eigene Übersetzung<br />

Herausforderungen an <strong>in</strong>terkulturelle Mediation<br />

Dulabaum empfiehlt für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terkulturelle Mediation e<strong>in</strong> Vorgehen, das bereits <strong>in</strong> der<br />

E<strong>in</strong>stiegsphase feststellt, <strong>in</strong> welchem Kontext der Konflikt entstanden ist, aus welchem<br />

Kulturkreis die Betroffenen stammen <strong>und</strong> ob e<strong>in</strong> Machtgefälle vorliegt. Desweiteren<br />

sollten kulturspezifische Prägungen, Stile oder Merkmale, die den Konflikt bee<strong>in</strong>flussen,<br />

festgestellt werden. In der Hauptphase nimmt der Mediator „die Rolle e<strong>in</strong>es Katalysators<br />

(anstatt e<strong>in</strong>es Experten) an <strong>und</strong> lässt (...) den Prozess [sich] je nach kulturellem Kontext,<br />

Regeln, Sitten, der Motivation <strong>und</strong> den Möglichkeiten der Konfliktparteien entfalten“<br />

(Dulabaum 1999, S. 81). Alle Beteiligten seien herausgefordert, kreativ Wege zu suchen,<br />

auf denen sie bereit s<strong>in</strong>d, mite<strong>in</strong>ander zu reden. Die Aufgabe des Mediators sei es, dabei<br />

e<strong>in</strong>e Balance zwischen geschehen lassen <strong>und</strong> begleiten zu f<strong>in</strong>den (vgl. ebenda).<br />

In der Ausbildung sollen den Mediatoren Methoden vermittelt werden, um mit allen<br />

Situationen adäquat umgehen zu können. Dennoch verlangt e<strong>in</strong>e solche Verfahrensoffenheit<br />

e<strong>in</strong> hohes Maß an Geschick von den Mediatoren <strong>und</strong> auch die Bereitschaft der<br />

39


Nachbarschaftskonflikte<br />

Parteien, sich auf den Prozess e<strong>in</strong>zulassen <strong>und</strong> mitzuarbeiten (vgl. Haumersen /Liebe<br />

1998, S. 155).<br />

E<strong>in</strong>ige vor allem <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen Situationen angewandte Methoden <strong>und</strong> Ansätze stellt<br />

Deym-Soden dar:<br />

Verlangsamen<br />

die eigene Kultur transparent machen<br />

Kontext erfragen<br />

Refram<strong>in</strong>g (Umdeuten auf vielfältigste Weise)<br />

verwenden von Bildern <strong>und</strong> Metaphern<br />

Red<strong>und</strong>anz <strong>und</strong> Vielfalt der Kommunikation (die gleiche Sache auf mehrere verschiedene<br />

Arten <strong>und</strong> über mehrere Kommunikationskanäle ausdrücken)<br />

<strong>in</strong>direkte Kommunikation (sowohl über Mittler als auch <strong>in</strong> der Wahl der Semantik<br />

als Ergänzung der direkten Kommunikation)<br />

Modell<strong>in</strong>g (ganz genau Erfassen, was die andere Person tut <strong>und</strong> sich ggf. darauf<br />

e<strong>in</strong>stellen)<br />

Shuttle Mediation<br />

u.a. (vgl. 2004, S. 156; siehe vertiefend auch Mecke 2004)<br />

Neben den oben aufgelisteten Kommunikationswerkzeugen, die solche Missverständnisse<br />

zum<strong>in</strong>dest teilweise aufdecken sollen, nennt Deym-Soden auch die Bedeutung e<strong>in</strong>er<br />

wachen Aufmerksamkeit für Nuancen, Milieuerfahrung <strong>in</strong> den beteiligten Kulturen oder<br />

das Anhören beider Sprachen auch im Orig<strong>in</strong>al (vgl. 2004, S. 151).<br />

Missverständnisse <strong>in</strong> der Kommunikation<br />

Sprachliche Unterschiede können e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schränkende Rolle spielen, sofern es sich um<br />

Parteien handelt, die unterschiedliche Muttersprachen sprechen bzw. diese sich von der<br />

Muttersprache der Mediatoren unterscheidet. Abhängig davon bieten sich <strong>in</strong> der Praxis<br />

die Möglichkeiten der E<strong>in</strong>igung auf e<strong>in</strong>e Sprache, im Regelfall der Landessprache, der<br />

Inanspruchnahme von Übersetzern oder die Mischung dieser beiden Methoden, so dass<br />

nur gedolmetscht wird, wenn es bei e<strong>in</strong>er Partei zu Ausdrucks- oder Verständnisschwierigkeiten<br />

kommt (vgl. Schramkowski 2001, S. 94).<br />

Generell ist davon auszugehen, dass man beim Sprechen der Muttersprache am entspanntesten<br />

ist <strong>und</strong> Gestik, Mimik <strong>und</strong> Worte <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang kommen (vgl. Deym-Soden<br />

2004, S.151). [Streitende] (...) unterschiedlicher ethnischer Herkunft laufen (...) verstärkt<br />

Gefahr, die nonverbalen Signale der anderen Diskursteilnehmer falsch zu lesen.<br />

So wird z.B. der für uns positiv konnotierte bewusste <strong>und</strong> direkte Augenkontakt <strong>in</strong> Japan<br />

als bedrohlich <strong>und</strong> grenzverletzend empf<strong>und</strong>en (Nothafft 1999, S.129). Es ist also<br />

anzunehmen, dass e<strong>in</strong>e als „adäquat wahrgenommene <strong>und</strong> ´richtig beantwortete´<br />

Körpersprache der Klienten wesentlich über das Gel<strong>in</strong>gen des Vermittlungsverlaufs<br />

entscheidet“ (ebenda).<br />

Emotionen<br />

Neben möglichen Kommunikationsschwierigkeiten müssen auch persönlichkeits- oder<br />

kulturbed<strong>in</strong>gten Aspekte wie die Emotionalität des Verhaltens <strong>in</strong> der <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Mediation berücksichtigt werden. Wie schon thematisiert, kann zum e<strong>in</strong>en die Forderung<br />

an e<strong>in</strong>e direkte Kommunikation über Gefühle <strong>und</strong> Gedanken bei der Beteiligung mancher<br />

Kulturen als problematisch gewertet werden. Grotz weist darauf h<strong>in</strong>, dass die kulturelle<br />

Prägung des Mediationsverfahrens sich zum anderen auch <strong>in</strong> der Annahme auswirke,<br />

dass „der ideale Verhandlungspartner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Mediation se<strong>in</strong>e negativen Emotionen zu<br />

40


Nachbarschaftskonflikte<br />

Beg<strong>in</strong>n der Hauptphase artikuliert [hat] <strong>und</strong> (...) danach ruhig <strong>und</strong> sachlich [ist]“ (2003,<br />

S. 73). Ruhiges <strong>und</strong> logisches Argumentieren gelte als e<strong>in</strong> Zeichen von <strong>Lösung</strong>swilligkeit,<br />

woh<strong>in</strong>gegen emotionales Verhandeln als Irrationalität gewertet werde (vgl. Montada/Kals<br />

2001, S. 44f).<br />

Diskussion über Wertekonflikte<br />

Viele Vertreter der Meditation me<strong>in</strong>en ausdrücklich, dass Wert- <strong>und</strong> Kulturkonflikte mit<br />

diesem Instrumentarium kaum zu bearbeiten s<strong>in</strong>d, da es sich hierbei oft um e<strong>in</strong>ander<br />

ausschließende Auffassungen handelt (vgl. Ropers 1999, S.71). Deshalb wird empfohlen,<br />

diesen Bereich entweder zu relativieren <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Verständigung möglichst <strong>in</strong> anderen<br />

Themenfeldern zu suchen oder zu versuchen, übergeordnete geme<strong>in</strong>same Wertvorstellungen<br />

zu f<strong>in</strong>den (vgl. ebenda).<br />

Deym-Soden betont aber, dass Wertunterschiede ke<strong>in</strong> Spezifikum für multikulturelle<br />

<strong>Konflikte</strong> s<strong>in</strong>d, sondern auch <strong>in</strong> <strong>in</strong>trakulturellen <strong>Konflikte</strong>n vorkommen <strong>und</strong> dort unter<br />

Umständen noch gravierendere Wirkungen zeigen. Allerd<strong>in</strong>gs seien Wertunterschiede<br />

zwischen Kulturen häufiger anzutreffen als <strong>in</strong>nerhalb von Kulturen (vgl. 2004, S. 126).<br />

Wenn Werteunterschiede die Kommunikation be<strong>in</strong>trächtigen, müssen diese zunächst<br />

e<strong>in</strong>mal überbrückt werden, um die <strong>Konflikte</strong> bearbeitbar zu machen. Hier können zwei<br />

Co-Mediatoren, die je e<strong>in</strong>er Partei nahe stehen, hilfreich se<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem sie <strong>durch</strong> <strong>ihre</strong>n<br />

konstruktiven Umgang Wege aufzeigen (vgl. Deym-Soden 2004, S. 152).<br />

Auch wenn Werte <strong>in</strong> der Mediation als nicht verhandelbar gelten, so s<strong>in</strong>d Haumersen<br />

<strong>und</strong> Liebe der Me<strong>in</strong>ung, dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>terkulturellen Mediation zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e Problematisierung<br />

dieser eben nicht allgeme<strong>in</strong>en Regeln erfolgen muss. „Die Frage lautet<br />

nicht, wie verh<strong>in</strong>dert werden kann, dass sich die Konfliktparteien über unterschiedliche<br />

Werte ause<strong>in</strong>andersetzen, sondern wie e<strong>in</strong>e solche Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>in</strong> den Prozess<br />

<strong>in</strong>tegriert werden kann“ (1998, S. 148).<br />

Neutrale Rolle des Mediators <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen Mediationen<br />

Die Anforderungen an den Mediator werden vom B<strong>und</strong>esverband Mediation wie folgt<br />

dargestellt:<br />

muss von allen Konfliktbeteiligten als Vertrauensperson akzeptiert werden,<br />

behandelt alle Informationen vertraulich <strong>und</strong> sorgt dafür, dass die Parteien das<br />

ebenfalls tun,<br />

ist neutral <strong>und</strong> unparteilich, darf ke<strong>in</strong>e eigenen Interessen vertreten,<br />

setzt sich für die Interessen aller Konfliktparteien e<strong>in</strong>, ist allparteilich,<br />

bewertet <strong>und</strong> urteilt nicht,<br />

ist für den Gang der Mediationsgespräche verantwortlich,<br />

hilft den Beteiligten, Gefühle <strong>und</strong> Interessen verständlich auszudrücken,<br />

sorgt dafür, dass Machtungleichgewichte den Prozess nicht stören,<br />

achtet darauf, dass realisierbare Vere<strong>in</strong>barungen getroffen werden,<br />

kann das Gespräch abbrechen oder vertagen.<br />

(vgl. B<strong>und</strong>esverband Mediation e.V. 2004b, S.4).<br />

Das Postulat der Neutralität <strong>und</strong> der Nichtbee<strong>in</strong>flussung der <strong>Lösung</strong> <strong>durch</strong> den Mediator<br />

variieren <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Mediationsschulen <strong>und</strong> Mediationsverfahren (vgl. Ropers<br />

1996, S. 207). Haumersen stellt die Ergebnisse e<strong>in</strong>es Workshops verschiedener Fachleute<br />

zur Frage der Neutralität der Mediatoren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>terkulturellen Mediation dar (vgl.<br />

1999, S. 176ff). Es kristallisieren sich unterschiedliche, <strong>in</strong> manchen Punkten konträre<br />

41


Nachbarschaftskonflikte<br />

Sicht- <strong>und</strong> Bewertungsweisen bezüglich der Neutralität des Mediators heraus. So wird zu<br />

bedenken gegeben, Neutralität sei schwerer zu erreichen, da <strong>durch</strong> die verwendeten<br />

„kommunikativen Codes <strong>und</strong> Strategien“ e<strong>in</strong>e Konfliktpartei ungewollt oder sogar<br />

unerkannt benachteiligt werden könne. Zum anderen fiele es <strong>in</strong> Wertekonflikten den<br />

Mediatoren oft schwerer, ke<strong>in</strong>e Position zu beziehen. Auch ist im H<strong>in</strong>blick auf unterschiedliche<br />

kulturelle Anforderungen zu bedenken, dass e<strong>in</strong>e neutrale Haltung des<br />

Mediators von manchen Konfliktparteien als nicht akzeptable Distanz empf<strong>und</strong>en werden<br />

könnte. So stellt Avruch die Vorteile der Neutralität des Mediators <strong>in</strong> Frage <strong>und</strong> verweist<br />

diesbezüglich auf Untersuchungen <strong>in</strong> Late<strong>in</strong>amerika <strong>und</strong> im Mittleren Osten, <strong>in</strong> denen die<br />

Wichtigkeit e<strong>in</strong>er Vertrauensbasis <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er sozialen Verb<strong>und</strong>enheit der Mediatoren mit<br />

den Streitenden <strong>und</strong> der Art <strong>ihre</strong>s Konflikts festgestellt wurde (vgl. Avruch 1998, S. 84).<br />

Andere Diskussionsteilnehmer legen e<strong>in</strong>en weiten Kulturbegriff zugr<strong>und</strong>e, welcher<br />

<strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong> auch zwischen anderen, nicht ethnisch oder national abgegrenzten<br />

Zugehörigkeiten def<strong>in</strong>iert <strong>und</strong> kommen zu dem Schluss, kulturelle Differenz müsse<br />

nicht zwangsläufig als H<strong>in</strong>dernis gesehen werden - der Kommunikationsprozess sei<br />

ebenso leicht oder schwer zu gestalten wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>trakulturellen Mediation.<br />

Vorschläge für e<strong>in</strong>e möglichst ausgewogene Betrachtung der Situation <strong>durch</strong> die Mediatoren<br />

stellen die Bearbeitung <strong>in</strong>terkultureller Konfliktsituationen <strong>in</strong> heterogen zusammengesetzten<br />

Mediationsteams dar. Zudem wird auf die Bedeutung guter Methodenkenntnis<br />

h<strong>in</strong>gewiesen, die es erlaube, auch <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen Konfliktkonstellationen <strong>und</strong><br />

bei Wertekonflikten Neutralität zu wahren (vgl. Haumersen 1999, S. 179).<br />

E<strong>in</strong>ige Autoren gehen bewusst dazu über, den Begriff „Neutralität“ <strong>durch</strong> „Allparteilichkeit“<br />

zu ersetzen (vgl. Montada/Kals 2001, S. 38f). Damit sei auch e<strong>in</strong> Umdenken der<br />

Erwartung des „Neutral se<strong>in</strong>s“ verb<strong>und</strong>en. Dies stelle immer e<strong>in</strong> Dilemma zwischen<br />

Neutralität wahren sollen, aber selbst e<strong>in</strong>en Standpunkt brauchen, um die Standpunkte<br />

anderer Menschen überhaupt verstehen <strong>und</strong> anerkennen zu können, dar (vgl. Haumersen<br />

1999, S.180). Stattdessen würde sich <strong>durch</strong> die Umformulierung <strong>in</strong> „Neutral agieren“<br />

die geforderte Neutralität <strong>in</strong> der Rolle des Konfliktlotsen <strong>und</strong> nicht <strong>in</strong> der Abwesenheit<br />

e<strong>in</strong>es eigenen Standpunkts zum Konflikt zeigen (vgl. ebenda).<br />

Machtasymmetrien <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Konflikte</strong>n<br />

Zwischenmenschliche <strong>Konflikte</strong> s<strong>in</strong>d oft <strong>in</strong> gesamtgesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse<br />

e<strong>in</strong>gebettet. Werden diese bei der Konfliktbearbeitung außer Acht gelassen, so ist<br />

kaum von e<strong>in</strong>er für alle Beteiligten befriedigenden <strong>Lösung</strong> auszugehen (vgl. Weiß 2001,<br />

S.4). Machtasymmetrien können dabei <strong>in</strong> Aspekten wie Schichtzugehörigkeiten, Alter,<br />

Geschlecht oder Ethnie wurzeln (vgl. u.a. Grotz 2003, S. 73).<br />

Gerade bei der Konfliktbearbeitung mit Beteiligten verschiedener Kulturen besteht die<br />

Gefahr, von <strong>in</strong>terkulturellen Ausprägungen zu sprechen, wenn es letztendlich um Macht<br />

<strong>und</strong> Dom<strong>in</strong>anz oder geschlechtsspezifische Zuschreibungen geht (vgl. Wüstehube/<br />

Ropers 1999, S. 186).<br />

In machtasymmetrischen <strong>Konflikte</strong>n ist es schwer, gleichberechtigte Verhandlungspositionen<br />

zu schaffen. Besemer ist der Ansicht, dass „entweder die Schwächeren <strong>ihre</strong> eigene<br />

Machtposition verbessern (z.B.: <strong>durch</strong> das Entwickeln von guten Alternativen zum<br />

Verhandeln, das Suchen von Verbündeten oder <strong>durch</strong> gewaltfreien Widerstand), oder die<br />

Stärkeren müssen bereit se<strong>in</strong>, im Rahmen der Mediation auf <strong>ihre</strong> Machtposition zu<br />

verzichten“ (2002, S. 20).<br />

42


Nachbarschaftskonflikte<br />

Weiß h<strong>in</strong>gegen kommt zu dem Schluss, dass gerade <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Konflikte</strong>n<br />

Machtasymmetrien weder <strong>durch</strong> symmetrische Verfahren aufgefangen noch <strong>durch</strong> die<br />

Stärkung der strukturell schwächeren Partei entschärft werden können, da diese außerhalb<br />

der Mediation kaum Bestand hätten (vgl. 2001, S. 23). Stattdessen sollte die<br />

Problematik während der Konfliktbearbeitung transparent gemacht werden. Gr<strong>und</strong>regeln<br />

sollten nicht e<strong>in</strong>fach vorausgesetzt, sondern zur Disposition gestellt werden: „Besonders<br />

dann, wenn die VermittlerInnen selbst der dom<strong>in</strong>anten Gruppe angehören oder <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>r<br />

professionellen Rolle dom<strong>in</strong>ante Institutionen <strong>und</strong> Werte repräsentieren, sollten sie<br />

anerkennen <strong>und</strong> nach außen sichtbar machen, daß die dom<strong>in</strong>ierte Partei legitime<br />

Anliegen haben kann, die aus der dom<strong>in</strong>anten Perspektive nicht leicht nachvollziehbar<br />

s<strong>in</strong>d“ (ebenda). Es gehe also darum, Verhandlungsstrategien im H<strong>in</strong>blick auf Hierarchien<br />

symbolischer Macht 27 auszudifferenzieren.<br />

„Die Machtdifferenz kann während der Mediation auch entgegengesetzt zum gesellschaftlich<br />

vorherrschenden Verhältnis se<strong>in</strong>, z.B. wenn die kulturelle Herkunft taktisch<br />

e<strong>in</strong>gesetzt wird“ (Grotz 2003, S. 74). So haben Mediatoren auf unterschiedliche Strategien<br />

zu achten: „Dom<strong>in</strong>ante Akteure versichern sich <strong>ihre</strong>r Macht, <strong>in</strong>dem sie sich selbst<br />

als neutral h<strong>in</strong>stellen; dom<strong>in</strong>ierte Akteure nutzen die ´Waffen der Schwachen´, <strong>in</strong>dem<br />

sie den Konflikt kollektivieren“ (Weiß 2001, S. 24).<br />

Abb. 10: Der strategische E<strong>in</strong>satz von Konfliktpotenzialen im <strong>in</strong>terkulturellen Konflikt<br />

Quelle: Weiß 2001, S. 17<br />

In der Mediation sollte e<strong>in</strong> gegenseitiger Verständigungsprozess auf den Weg gebracht<br />

werden, der klären hilft, <strong>in</strong>wiefern Machtungleichgewichte auf das Verstehen <strong>und</strong> die<br />

Bearbeitung des konkreten Konflikts e<strong>in</strong>wirken (vgl. Haumersen/Liebe 1998, S. 150). Die<br />

dom<strong>in</strong>ierte Partei sollte ermutigt werden, kollektive Aspekte des Konflikts anzusprechen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs gilt es auch klarzumachen, dass sie im Kle<strong>in</strong>en <strong>durch</strong>aus konkrete Verhand-<br />

27<br />

Unter symbolischer Macht versteht Weiß unter Bezug auf Bourdieu e<strong>in</strong>e Form von Herrschaft, „die nicht<br />

auf direktem Zwang oder körperlicher Gewaltanwendung basiert, sondern e<strong>in</strong>en Schleier von kulturellen<br />

Selbstverständlichkeiten über objektive Machtunterschiede legt“ (Weiß 2001, S. 6)<br />

43


Nachbarschaftskonflikte<br />

lungserfolge erzielen könnte, wenn sie sich nicht nur auf das Verharren <strong>in</strong> der Opferrolle<br />

konzentriert (vgl. Weiß 2001, S.24). Der strukturell dom<strong>in</strong>anteren Partei sollten die<br />

eigenen Interessen veranschaulicht, <strong>und</strong> versucht werden, <strong>ihre</strong>r Macht <strong>in</strong>soweit entgegenzuwirken,<br />

dass es ihr nicht gel<strong>in</strong>gt, die eigenen Normen als allgeme<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit<br />

vorauszusetzen (vgl. ebenda).<br />

Mediation <strong>und</strong> die Rolle von Rechtsansprüchen<br />

Die <strong>in</strong>stitutionalisierte Form der gerichtlichen Konfliktaustragung endet <strong>in</strong> der Regel mit<br />

e<strong>in</strong>er Konfliktregelung. Die <strong>Konflikte</strong> werden „verrechtlicht“, d.h. aus der komplexen<br />

Lebenswirklichkeit werden Rechtsansprüche identifiziert (vgl. Montada/ Kals 2001, S.<br />

24). Diese von Juristen als „Objektivierung“ bezeichnete Vorgehensweise kann aber von<br />

den Streitenden als Verfremdung erlebt werden, <strong>in</strong> dem sie selektiv Informationen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Form br<strong>in</strong>gt, die für die Argumentationsziele günstig s<strong>in</strong>d (vgl. ebenda). Generell ist<br />

das Ziel e<strong>in</strong>es Rechtsstreits, diesen zu gew<strong>in</strong>nen. Dabei vertrauen die Parteien <strong>in</strong> die<br />

gesetzgebenden Institutionen <strong>und</strong> erwarten, dass die autoritative Entscheidung des<br />

Richters oder der Schiedsleute die objektiv richtige <strong>und</strong> gerechte <strong>Lösung</strong> sei (vgl.<br />

Montada/ Kals 2001, S.27).<br />

<strong>Konflikte</strong>n, die aus e<strong>in</strong>em komplexen Beziehungsgewebe entstanden s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> <strong>in</strong> denen<br />

die bedrohten Interessen, normativen Überzeugungen <strong>und</strong> Gefühle der Parteien e<strong>in</strong>e<br />

Rolle spielen, wird die juristische Art der „Objektivierung des Sachverhalts“ <strong>in</strong> der Regel<br />

nicht gerecht (ebenda, S.28). Dies kann leicht dazu führen, dass der Konflikt nach der<br />

Gerichtsentscheidung wieder aufflammt. Bei gerichtlichen oder anderen von außen<br />

auferlegten Entscheidungen gew<strong>in</strong>nt normalerweise immer e<strong>in</strong>e Seite <strong>und</strong> die andere<br />

verliert. Als Alternative dazu kann der Entscheidungsträger auch e<strong>in</strong>en Kompromiss<br />

vorschlagen, wobei beide Parteien ebenso mit dem Gefühl, verloren zu haben, zurückbleiben<br />

(vgl. Avruch 1998, S. 82/83).<br />

Bei den <strong>Konflikte</strong>n muss allerd<strong>in</strong>gs zwischen justiziablen <strong>und</strong> nicht justiziablen Konfliktfällen<br />

unterschieden werden (--> Glossar). Gerade bei <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten<br />

f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e Vielzahl von Fällen, <strong>in</strong> denen der Sachkonflikt im Gr<strong>und</strong>e <strong>durch</strong><br />

gesetzliche Vorschriften geregelt ist <strong>und</strong> unter bestimmte Verordnungen fällt 28 (vgl.<br />

Kieschke 2003, S.108). Vielen Personen aus anderen Kulturen s<strong>in</strong>d diese Regeln zunächst<br />

nicht bekannt oder im Alltag nicht bewusst. Für e<strong>in</strong>e erfolgreiche Mediation<br />

müssen „alle Konfliktparteien (...) über <strong>ihre</strong> Rechte <strong>und</strong> Pflichten aufgeklärt werden,<br />

damit sie auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Kenntnisse <strong>Lösung</strong>en bewerten, vere<strong>in</strong>baren <strong>und</strong><br />

nachhaltig anerkennen [können]“ (Montada/ Kals 2001, S.32).<br />

Wird es versäumt, die genauen rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen zu klären, so kann e<strong>in</strong>e Mediationsvere<strong>in</strong>barung<br />

rechtswidrig se<strong>in</strong> <strong>und</strong> damit ungültig werden. Desweiteren besteht die<br />

Gefahr, dass e<strong>in</strong>e spätere Information über die eigenen Rechte die Parteien veranlasst,<br />

die E<strong>in</strong>igung im nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> als ungünstig oder ungerecht zu bewerten <strong>und</strong> doch e<strong>in</strong>e<br />

gerichtliche <strong>Lösung</strong> anzustrengen.<br />

28<br />

Unzulässige Lärmbelästigungen s<strong>in</strong>d zum Beispiel im § 117, OWiG (Gesetz über Ordnungswidrigkeiten)<br />

geregelt; die Nachtruhe von 22 bis 7 Uhr ist <strong>in</strong> München <strong>in</strong> der Hausarbeits- <strong>und</strong> Musiklärmverordnung vom<br />

5. August 2003 festgeschrieben.<br />

44


Nachbarschaftskonflikte<br />

Ziele der Mediation<br />

Abhängig von der Fachrichtung der Mediatoren <strong>und</strong> deren Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er<br />

bestimmten Mediationsschule 29 variieren die prioritären Ziele der Mediation. So kann der<br />

Fokus unter anderem auf der <strong>Lösung</strong> für den aktuellen Konflikt, der Schaffung <strong>und</strong><br />

Förderung von sozialer Gerechtigkeit oder der Veränderung im Bewusstse<strong>in</strong> der Parteien<br />

liegen. Hösl betont zwei Punkte, die vor allem von Anhängern des Transformationsansatzes<br />

vorgebracht werden: die Bestärkung (empowerment), die eigenen Interessen,<br />

Bedürfnisse, Wünsche auszudrücken <strong>und</strong> zum anderen die Anerkennung (recognition)<br />

der gegenseitigen Interessen, Bedürfnisse, Ziele, Fertigkeiten etc. (vgl. 2004, S. 71).<br />

Konkret auf <strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftskonflikte bezogen werden die folgenden<br />

Vorteile des E<strong>in</strong>satzes von Mediation gesehen:<br />

Vordr<strong>in</strong>gen zu den Konfliktwurzeln,<br />

Verbesserung des Nachbarschaftsverhältnisses für die Zukunft<br />

Entlastung der Ziviljustiz<br />

Leidens-, Kosten- <strong>und</strong> Zeitersparnis für die Konfliktbeteiligten<br />

(vgl. Kieschke 2003, S. 109)<br />

Möglichkeiten der Evaluation<br />

Die Frage nach den Ergebnissen, der Effektivität von <strong>in</strong>terkultureller Mediation drängt<br />

sich bei e<strong>in</strong>em Ansatz, der <strong>durch</strong> empirische wissenschaftliche Studien noch kaum<br />

abgesichert ist, natürlich auf. E<strong>in</strong>e Möglichkeit <strong>in</strong>terkulturelle Mediation zu evaluieren,<br />

stellt e<strong>in</strong>e Kosten-Nutzen Bilanz dar, <strong>in</strong> der die Konfliktkosten <strong>und</strong> die Kosten der <strong>Lösung</strong><br />

<strong>durch</strong> Mediation gegenübergestellt werden (vgl. Faller/ Komke 2004, S.26). Dabei ist es<br />

im Bereich <strong>in</strong>terkultureller <strong>Nachbarschaften</strong> aufgr<strong>und</strong> der Multidimensionalität <strong>und</strong> den<br />

oft im psychologisch-sozialen Bereich liegenden Auswirkungen schwieriger, die konkreten<br />

Kosten sozialer <strong>Konflikte</strong> monetär zu beziffern, als zum Beispiel <strong>in</strong> der Wirtschaftsmediation<br />

30 .<br />

Baechler skizziert für den Bereich ethnopolitischer <strong>Konflikte</strong> die sich gegenüberstehenden<br />

Ansätze der Bewertung von Ergebnissen: „Die Vertreter des ideographischen<br />

Ansatzes behaupten schlicht, dass jeder Fall anders ist <strong>und</strong> für sich betrachtet werden<br />

muss. Demnach lasse sich auch nichts S<strong>in</strong>nvolles über die Mediation generell aussagen.<br />

Demgegenüber heben die Normativisten hervor, dass ke<strong>in</strong> Disput zu vertrackt sei, um<br />

nicht von erfahrenen Mediatoren aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>s generellen Wissens <strong>und</strong> entsprechender<br />

Kommunikationsstrategien gelöst werden zu können“ (1998, S. 65). Er verweist auf die<br />

Ergebnisse des von Bercovitch entwickelten Cont<strong>in</strong>gency Ansatzes, welcher 79 <strong>in</strong>ternationale<br />

<strong>Konflikte</strong> zwischen 1945 <strong>und</strong> 1989 untersuchte <strong>und</strong> systematisch versuchte,<br />

29 Es gibt verschiedene Schulen bzw. Philosophien bezüglich der Art Mediation zu praktizieren. Schwerpunktsetzungen<br />

variieren zwischen dem Fokus auf die <strong>Lösung</strong> des aktuellen Problems, dem E<strong>in</strong>satz von<br />

Mediation als Strategie zur Förderung sozialer Gerechtigkeit <strong>und</strong> dem Ziel, e<strong>in</strong>en weitergehenden Bewusstse<strong>in</strong>swandel<br />

zu erreichen (Transformationsschule) (vgl. Ropers 1999, S. 76f). Schramkowski spricht von<br />

siebzehn unterschiedlichen Schulen alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> den USA (vgl. 2001, S. 58). Der Ausbilder der KiK Mediatoren <strong>in</strong><br />

München, Kurt Faller vertritt den Ansatz der Systemischen Konfliktbearbeitung. Diese Methode „konzentriert<br />

sich auf die Wahrnehmung, Analyse <strong>und</strong> Bewertung, Prävention <strong>und</strong> Deeskalation von Konfliktpotenzialen“<br />

(Faller/Komke 2004, S. 22), die aus der Konstellation des Umfelds entstehen. Bevor Maßnahmen zur<br />

Konfliktbewältigung e<strong>in</strong>geleitet werden, werden die Akteure, ihr Verhältnis zue<strong>in</strong>ander sowie die Regeln, die<br />

ihr Verhalten prägen, betrachtet <strong>und</strong> auf strukturelle Konfliktpotenziale untersucht (vgl. ebenda). Dieser<br />

Ansatz basiert auf systemtheoretischen Überlegungen im Bereich der Organisationsberatung.<br />

30<br />

Das Netzwerk The European General Mediator spricht von <strong>durch</strong> Mediationslösungen erreichten E<strong>in</strong>sparungen<br />

von über 50% bei den Rechts- <strong>und</strong> Beratungskosten <strong>in</strong>nerhalb weniger Jahre <strong>und</strong> Erfolgsquoten von<br />

bis zu 90%“ (vgl. 2001, onl<strong>in</strong>e im Internet: http://www.egm-mediation.de/Entry/News/news.html).<br />

45


Nachbarschaftskonflikte<br />

operationale Kriterien über Variablen <strong>und</strong> Eigenschaften der Mediation zu erlangen 31<br />

(vgl. Bercovitch et al. 1991). Danach ist Mediation<br />

voll erfolgreich, wenn sie im H<strong>in</strong>blick auf die tatsächliche Beilegung der Streitigkeit<br />

e<strong>in</strong>e große Differenz ausmacht.<br />

teilweise erfolgreich, wenn <strong>ihre</strong> Anstrengungen wenigstens Verhandlungen <strong>und</strong><br />

Gespräche zwischen den Parteien <strong>in</strong>itiieren konnten.<br />

von begrenztem Erfolg, wenn es lediglich zu e<strong>in</strong>em Waffenstillstand oder e<strong>in</strong>er<br />

Waffenruhe kommt.<br />

nicht erfolgreich, wenn sie ke<strong>in</strong>en nennenswerten E<strong>in</strong>fluss auf das Konfliktgeschehen<br />

hat.<br />

Auch wenn sich die Thematik <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte auf e<strong>in</strong>er anderen<br />

Ebene abspielt, lassen sich diese Kategorien für e<strong>in</strong>e grobe Unterscheidung über Erfolg<br />

<strong>und</strong> Misserfolg verwenden. Für die Beurteilung der Wirkung e<strong>in</strong>er Mediation s<strong>in</strong>d jedoch<br />

noch weitere Punkte von Belang. Dies kann zum e<strong>in</strong>en die Dauerhaftigkeit der Vere<strong>in</strong>barung<br />

se<strong>in</strong> 32 , zum anderen sollte auch die Bewertung <strong>durch</strong> die Parteien herangezogen<br />

werden. Vor allem mit der Zielvorstellung, kulturell unterschiedliche Bewertungen <strong>und</strong><br />

Erfahrungen mit der Mediation zu erforschen <strong>und</strong> zu prüfen, ob der Aushandlungsprozess<br />

über differierende Interessen als gleichberechtigt empf<strong>und</strong>en wurde, ist dieser<br />

Aspekt wichtig. Als e<strong>in</strong>e Möglichkeit festzustellen, ob e<strong>in</strong> Prozess konstruktiv ist, schlägt<br />

Liebe die Beantwortung folgender Fragen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Feedback-Schleife vor. Sobald<br />

e<strong>in</strong>e der Fragen mit Ne<strong>in</strong> beantwortet werde, bestehe Handlungsbedarf (vgl. 1999, S.<br />

169).<br />

Kriterien für e<strong>in</strong>en konstruktiven Prozess:<br />

Fühlen sich die Konfliktparteien vom Team anerkannt <strong>und</strong> verstanden?<br />

Gibt es zwischen den Konfliktparteien e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>sätzliche Anerkennung?<br />

Können die Konfliktparteien sagen, was sie wollen?<br />

Gibt es e<strong>in</strong> gegenseitiges Zuhören?<br />

Fühlen sich die Konfliktparteien im Sett<strong>in</strong>g aufgehoben?<br />

Akzeptieren die Konfliktparteien das Team der MediatorInnen?<br />

Gefahren der <strong>in</strong>terkulturellen Mediation<br />

Auf die Bedeutung der Dimension Kultur für die Bearbeitung von <strong>Konflikte</strong>n wurde<br />

<strong>in</strong>zwischen ausgiebig e<strong>in</strong>gegangen; deshalb soll an dieser Stelle noch e<strong>in</strong>mal betont<br />

werden, dass es gerade <strong>in</strong> <strong>Konflikte</strong>n, bei denen Angehörige mehrerer Kulturen <strong>in</strong>volviert<br />

s<strong>in</strong>d, besonders wichtig ist, „die <strong>in</strong>dividuellen Annahmen <strong>und</strong> Gründe für e<strong>in</strong> Sich-<br />

Beziehen auf kulturelle Stereotypen (...) zu h<strong>in</strong>terfragen <strong>und</strong> die persönliche Lebenssituation<br />

auszuleuchten“ (Nothafft 1999, S.132). Schließlich kann es für den Vermittlungsverlauf<br />

„geradezu kontraproduktiv se<strong>in</strong>, sich vorschnell bei Beteiligten unterschiedlicher<br />

ethnischer Herkunft auf die Bearbeitung e<strong>in</strong>es ethnischen/<strong>in</strong>terkulturellen Konflikts zu<br />

beschränken, da alle Beteiligten (<strong>in</strong>sbesondere auch die VermittlerInnen) hierbei Gefahr<br />

laufen, soziokulturelle Stereotypen zu reproduzieren, die als „Lebensform“ aufgr<strong>und</strong> der<br />

vielfältigen Migrationsprozesse so zum Teil gar nicht mehr existieren“ (ebenda).<br />

31<br />

Es fanden dabei <strong>in</strong> 44 <strong>Konflikte</strong>n <strong>in</strong>sgesamt 284 Mediationsversuche statt, wobei sich nach dieser<br />

Kategorisierung zeigte, dass das häufigste Resultat <strong>in</strong> 50 % der Fälle der Misserfolg war. In weiteren 22%<br />

der Fälle wurde e<strong>in</strong> Angebot auf Mediation von den Parteien zurückgewiesen. Nur <strong>in</strong> 22 % der Fälle<br />

mündete die Mediation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en teilweisen oder vollen Erfolg.<br />

32<br />

Nach Metzger enden 85% der Geme<strong>in</strong>wesenmediationen mit e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>igung zwischen den Beteiligten,<br />

90% der E<strong>in</strong>igungen erweisen sich als dauerhaft, 95% der Teilnehmer geben an, dass sie bei e<strong>in</strong>em<br />

vergleichbaren Fall wieder Mediation nutzen würden (vgl. 2000, S. 242).<br />

46


<strong>Interkulturelle</strong><br />

Nachbarschaftskonflikte<br />

<strong>in</strong> München


Multikulturelles München<br />

5 <strong>Interkulturelle</strong> Nachbarschaftskonflikte <strong>in</strong> München<br />

5.1 Multikulturelles München<br />

„München hat sich unheimlich verändert, ist viel farbiger geworden, im besten S<strong>in</strong>ne des<br />

Wortes“, me<strong>in</strong>t der Leiter der Stelle für <strong>in</strong>terkulturelle Arbeit der LH München Rudolf<br />

Stummvoll <strong>und</strong> bezieht sich dabei auf die Multikulturalität Münchens, die <strong>in</strong>zwischen im<br />

Alltag, ob beim E<strong>in</strong>kaufen oder <strong>in</strong> der S-Bahn, beobachtbar geworden ist. In München<br />

leben derzeit 291.995 Ausländer 33 (Stand September 04) aus mehr als 180 Nationen.<br />

Dies entspricht e<strong>in</strong>em Anteil von 23% der Gesamtbevölkerung. Damit liegt München im<br />

b<strong>und</strong>esdeutschen Vergleich mit anderen Großstädten an vierter Stelle h<strong>in</strong>ter Offenbach<br />

am Ma<strong>in</strong> (25%), Stuttgart (24,5%) <strong>und</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong> (24,1%). Im Bezug auf die<br />

absolute Anzahl der Ausländer folgt München jedoch gleich h<strong>in</strong>ter Berl<strong>in</strong> mit 433 600<br />

Ausländern 34 (vgl. Isoplan 2002).<br />

Im September 2004 kamen 37% der Ausländer <strong>in</strong> München aus den EU Mitgliedsstaaten.<br />

Die weitere Verteilung ist der Grafik zu entnehmen.<br />

Abb. 11: Ausländer <strong>in</strong> München (Stand 31.12.2003)<br />

Die fünf größten Gruppen <strong>und</strong> weitere Verteilung nach Kont<strong>in</strong>enten<br />

Quelle: Statistisches Amt der Stadt München 2004; Eigene Berechnungen<br />

Zwischen 30 <strong>und</strong> 40% der derzeit <strong>in</strong> München lebenden Migranten gehören zur „Gastarbeiter-Generation“,<br />

die <strong>in</strong> den 60er <strong>und</strong> 70er Jahren aus Italien, Griechenland, der<br />

Türkei <strong>und</strong> dem ehemaligen Jugoslawien zuwanderte <strong>und</strong> weitere 20 bis 30% stammen<br />

aus der ersten <strong>und</strong> zweiten Nachkommengeneration (vgl. LH München 1997, S. 2 35 ).<br />

33<br />

Die amtlichen Statistiken orientieren sich am Staatsbürgerschaftsrecht <strong>und</strong> verwenden für alle Personen<br />

anderer Nationalität den Begriff „Ausländer“. M<strong>in</strong>derheiten wie Aussiedler <strong>und</strong> ethnische M<strong>in</strong>derheiten wie<br />

S<strong>in</strong>ti <strong>und</strong> Roma werden nicht erfasst, wie auch Personen, die neben der deutschen e<strong>in</strong>e weitere<br />

Staatsangehörigkeit angeben. Im Zusammenhang mit der Verwendung statistischen Zahlenmaterials wird im<br />

Folgenden „Ausländer“ anstelle von „Migranten“ benutzt.<br />

34<br />

Daten von 2001; (--> Anhang 3: Städte <strong>und</strong> Landkreise mit den höchsten Ausländeranteilen)<br />

35<br />

Im Folgenden wird mehrmals auf diese Studie Bezug genommen, da sie e<strong>in</strong>e der umfassendsten<br />

Untersuchungen der Lebenssituation von Migranten <strong>in</strong> München darstellt. Es wurden <strong>in</strong>sgesamt 1600<br />

Haushalte aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Griechenland, Italien <strong>und</strong> Polen befragt. Leider gibt<br />

es kaum aktuelleres Material zu den meisten Bereichen.<br />

47


Multikulturelles München<br />

Doch neben den Migrationsgründen wie Arbeitssuche oder Nachzug im Zuge der Familienzusammenführung<br />

kommen viele Migranten auch als Asylsuchende, Vertriebene oder<br />

Spätaussiedler bzw. im Rahmen zeitlich begrenzter Zuwanderung zum Beispiel als<br />

Greencard Inhaber oder um zu Studieren (--> Anhang 4 für deutschlandweite Zahlen).<br />

R<strong>und</strong> 60% der Ausländer <strong>in</strong> München verfügen über e<strong>in</strong>en gesicherten Aufenthaltsstatus,<br />

das heißt e<strong>in</strong>e unbefristete Aufenthaltsgenehmigung oder Aufenthaltsberechtigung 36<br />

(vgl. Reiß-Schmidt/ Tress 2000, S. 205). Schätzungen zufolge kann <strong>in</strong> München von<br />

zwischen 30 000 <strong>und</strong> 50 000 Erwachsenen ohne Aufenthaltsstatus ausgegangen werden<br />

(vgl. LH München, Sozialreferat 2003, S. 15).<br />

Die Studie „Lebenssituation ausländischer Bürger<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Bürger <strong>in</strong> München“ des<br />

Referates für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung aus dem Jahr 1997 stellte fest, dass etwa<br />

die Hälfte der befragten Migranten noch m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>ige Jahre, 35,6% für immer <strong>in</strong><br />

Deutschland bleiben möchte.<br />

Durch die Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts zum Jahresbeg<strong>in</strong>n 2000 stieg die<br />

Anzahl der E<strong>in</strong>bürgerungen sprunghaft an. Im Jahr 2003 wurden knapp 3500 Migranten<br />

e<strong>in</strong>gebürgert, mit 30 % hatte e<strong>in</strong> Großteil zuvor die türkische Staatsangehörigkeit (vgl.<br />

LH München, Statistisches Amt 2004, S.11/12). Insofern wird München immer multikultureller,<br />

ohne dass es die Statistik erfassen kann: <strong>in</strong>klusive der deutschen Staatsbürger<br />

haben mehr als e<strong>in</strong> Viertel der Münchner e<strong>in</strong>en Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>, wie die stellvertretende<br />

Leiter<strong>in</strong> des Sozialreferats Dr. Schmid-Urban schätzt 37 . Dabei zeigte sich im<br />

Rahmen dieser Untersuchung <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte die Problematik,<br />

dass zum Beispiel bei der Bedarfsplanung von Wohnbauten (vgl. Fußnote 63 zu besonderen<br />

Wohnansprüchen von Migranten) oder der Belegung von Sozialwohnungen <strong>durch</strong><br />

die fehlende Möglichkeit kulturelle Unterschiede statistisch zu erfassen, e<strong>in</strong> unterschiedlicher<br />

ethnisch-kultureller H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> oft nicht e<strong>in</strong>bezogen werden kann.<br />

Die Chancen der Migranten auf dem hiesigen Arbeitsmarkt werden unter anderem <strong>durch</strong><br />

deren Qualifikation bestimmt. Ende 2003 waren 33% der <strong>in</strong> München wohnenden<br />

Ausländer sozialversicherungspflichtig beschäftigt, Deutsche zu 38,8% (Eigene<br />

Berechnungen auf Basis von Zahlen des Statistischen Amts 2004).<br />

Die Studie des Planungsreferats stellte fest, dass Migranten der untersuchten Nationalitäten<br />

überwiegend im gewerblichen Bereich <strong>und</strong> dabei mit 54,1% <strong>in</strong> Hilfstätigkeiten<br />

beschäftigt s<strong>in</strong>d (vgl. 1997, S. 119).<br />

Häufig s<strong>in</strong>d Migranten <strong>in</strong> Tätigkeiten <strong>in</strong> kurzfristigeren, weniger abgesicherten Bereichen<br />

wie Raumpflege, Aushilfen <strong>in</strong> der Gastronomie, Heimarbeit beschäftigt (vgl. Treibel<br />

1999, S. 205). Ausländische Selbständige stellen über gastronomische Betriebe (Imbissstuben,<br />

Restaurant), Lebensmittel- <strong>und</strong> Gemüseläden, Übersetzungs- <strong>und</strong> Reisbüros<br />

oder Änderungsschneidereien, Versorgungs- <strong>und</strong> Dienstleistungen für die Mitglieder <strong>ihre</strong>r<br />

ethnic community, aber auch für e<strong>in</strong>e wachsende Gruppe von E<strong>in</strong>heimischen bereit<br />

(ebenda, S. 207).<br />

36<br />

Ab 1.1.2005 werden sich <strong>durch</strong> das neue Zuwanderungsgesetz diese Titel verändern: befristete Aufenthaltserlaubnis<br />

<strong>und</strong> unbefristete Niederlassungserlaubnis ersetzen dann Aufenthaltsbefugnis, Aufenthaltsbewilligung,<br />

befristete <strong>und</strong> unbefristete Aufenthaltserlaubnis <strong>und</strong> Aufenthaltsberechtigung (vgl. Adamski 2004,<br />

S.341f; zu weiteren Inhalten des neuen Zuwanderungsgesetzes vgl. B<strong>und</strong>esgesetzblatt Teil I Nr. 41 vom<br />

5.8.2004, S. 1950ff).<br />

37<br />

Eröffnungsvortrag auf der Fachtagung „<strong>Interkulturelle</strong> Verständigung - Leben <strong>und</strong> Wohnen <strong>in</strong> München“<br />

am 11. Oktober 2004.<br />

48


Entstehung von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong><br />

7,3% der Ausländer waren arbeitslos, was 30% der gesamten Arbeitslosen <strong>in</strong> München<br />

entsprach. Im Vergleich dazu waren Ende 2003 knapp 5% der deutschen Münchner<br />

arbeitslos. 3,3% der Ausländer (EU Ausländer <strong>und</strong> Asylberechtigte) empf<strong>in</strong>gen zu<br />

diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem B<strong>und</strong>essozialhilfegesetz, was e<strong>in</strong>en Anteil von<br />

33,5% aller Sozialhilfeempfänger <strong>in</strong> München darstellte (Eigene Berechnungen auf Basis<br />

von Zahlen des Statistischen Amts 2004).<br />

Tendenziell ist der Anteil der Ausländer an der Münchener Bevölkerung seit Mitte der<br />

90er Jahre gleichgeblieben.<br />

Abb. 12: Bevölkerungsentwicklung Münchens 1960 bis 2003<br />

Quelle: LH München, Statistisches Amt 2004<br />

5.2 Entstehung von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Wohnsituation von Migranten <strong>in</strong> München<br />

Die deutsche Bevölkerung nimmt immer stärker ab <strong>und</strong> es wird mit weiterer Zuwanderung<br />

gerechnet (vgl. Schader Stiftung et al. 2003, S.6). In München ist laut Prognosen<br />

noch bis 2015 nicht mit e<strong>in</strong>er Schrumpfung der Bevölkerung zu rechnen (vgl. B<strong>und</strong>esamt<br />

für Bauwesen <strong>und</strong> Raumordnung o.J., vgl. auch Anhang 6). Aufgr<strong>und</strong> der wirtschaftlichen<br />

Attraktivität, des - noch anhaltenden - Zuzugs von <strong>in</strong>nerhalb <strong>und</strong> außerhalb<br />

Deutschlands <strong>und</strong> der relativen Wohnungsknappheit ist Münchens Wohnungsmarkt <strong>in</strong><br />

der besonderen Lage, e<strong>in</strong> Vermietermarkt zu se<strong>in</strong>, nicht wie <strong>in</strong> vielen anderen deutschen<br />

Städten e<strong>in</strong> Mietermarkt.<br />

Bei der Wahl der Wohnlage stellt dies e<strong>in</strong>en stark e<strong>in</strong>schränkenden Faktor für viele<br />

Migranten dar. Es zeigen sich bestimmte Konzentrationspunkte, an denen Migranten<br />

wohnen (vgl. Abb. 12). Dabei lassen sich nach Nationalität differenzierte Muster erkennen.<br />

Türken <strong>und</strong> Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien wohnen vor allem <strong>in</strong> den<br />

Stadtbezirken Milbertshofen – Am Hart, Ramersdorf – Perlach <strong>und</strong> Feldmoch<strong>in</strong>g –<br />

Hasenbergl. Ausländer aus EU Staaten, wie Österreicher oder Italiener leben dagegen<br />

auch verstärkt <strong>in</strong> <strong>in</strong>nenstadtnahen Bezirken wie Ludwigsvorstadt - Isarvorstadt, Bogenhausen<br />

oder Neuhausen – Nymphenburg (vgl. LH München, Statistisches Amt 2004;<br />

auch Anhang 8).<br />

49


Entstehung von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Folda vom Planungsreferat stellt fest, dass es im kle<strong>in</strong>räumigen Maßstab auf Stadtbezirks-<br />

oder Quartiersebene Segregationstendenzen gibt, <strong>in</strong> München aber ke<strong>in</strong>eswegs<br />

von Ghettobildung zu sprechen sei. In den nutzungsgemischten Innenstadtgebieten wie<br />

zum Beispiel dem Westend, der Ludwigsvorstadt oder Au/ Haidhausen, wo teilräumlich<br />

relativ viele Ausländer leben, seien „überwiegend lebendige, sozial <strong>in</strong>tegrierte, auch zum<br />

E<strong>in</strong>kaufen oder für Kneipenbesuche gern besuchte Quartiere entstanden“ (Reiß-Schmidt/<br />

Tress 2000, S. 211). Es zeigen sich jedoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Vierteln Zeichen für „Erosionsprozesse“,<br />

auf die versucht wird unter anderem im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“<br />

zu reagieren (vgl. Reiß-Schmidt/Tress 2000, S. 208f). Die bisherigen Sanierungsgebiete<br />

lagen <strong>in</strong> Milbertshofen <strong>und</strong> im Hasenbergl, Voruntersuchungen laufen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren<br />

Gebiet, welches am Mittleren R<strong>in</strong>g Süd-Ost liegt 38 (vgl. Anhang 5).<br />

Abb. 13: Anteil der Ausländer <strong>in</strong> % an der Bevölkerung der Stadtbezirke<br />

(Stand 31.12.2003)<br />

Quelle: Statistisches Amt München 2004<br />

1 Altstadt - Lehel 23,0<br />

2 Ludwigsvorstadt - Isarvorstadt 30,5<br />

3 Maxvorstadt 24,8<br />

4 Schwab<strong>in</strong>g - West 22,0<br />

5 Au - Haidhausen 24,7<br />

6 Sendl<strong>in</strong>g 25,7<br />

7 Sendl<strong>in</strong>g - Westpark 22,7<br />

8 Schwanthalerhöhe 40,2<br />

9 Neuhausen - Nymphenburg 21,7<br />

10 Moosach 23,9<br />

11 Milbertshofen - Am Hart 34,2<br />

12 Schwab<strong>in</strong>g - Freimann 23,7<br />

13 Bogenhausen 17,3<br />

14 Berg am Laim 25,3<br />

15 Truder<strong>in</strong>g - Riem 15,6<br />

16 Ramersdorf - Perlach 26,1<br />

17 Obergies<strong>in</strong>g 27,9<br />

18 Untergies<strong>in</strong>g - Harlach<strong>in</strong>g 19,6<br />

19 Thalkirchen - Obersendl<strong>in</strong>g - 18,4<br />

Forstenried - Fürstenried - Solln<br />

20 Hadern 19,5<br />

21 Pas<strong>in</strong>g - Obermenz<strong>in</strong>g 16,9<br />

22 Aub<strong>in</strong>g - Lochhausen - Langwied 17,9<br />

23 Allach - Untermenz<strong>in</strong>g 16,5<br />

24 Feldmoch<strong>in</strong>g - Hasenbergl 25,3<br />

25 Laim 20,6<br />

Die Studie zur Lebenssituation ausländischer Bürger stellt fest, dass Migrantenhaushalte<br />

im Vergleich zu deutschen Haushalten mit weniger Wohnfläche pro Person auskommen<br />

müssen <strong>und</strong> 29% der Haushalte überbelegt s<strong>in</strong>d 39 . Dies trifft besonders türkische<br />

Haushalte: 43,1% gelten als überbelegt. Ferner s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> besonderem Maße Haushalte mit<br />

K<strong>in</strong>dern von Überbelegung betroffen: 86% aller ausländischen Haushalte mit zwei<br />

K<strong>in</strong>dern s<strong>in</strong>d mit zu wenig Wohnraum ausgestattet (1997, S. 74ff).<br />

38<br />

Hafner weist diesbezüglich auf die Gefahr h<strong>in</strong>, dass die für f<strong>in</strong>anzielle Zuwendungen vorgenommene<br />

Gebietsabgrenzung benachteiligter Räume nicht nur „<strong>in</strong> den Köpfen der (Planungs-) ExpertInnen Bestand<br />

hat[. Sie] wird vielmehr auch zur konstituierenden Wirklichkeit für die BewohnerInnen“ (2003, S. 167f).<br />

39<br />

Die Belegungsdichte def<strong>in</strong>iert sich aus dem Verhältnis von Anzahl der Räume <strong>und</strong> Personen im Haushalt.<br />

Als überbelegt gilt e<strong>in</strong>e Wohnung, wenn nicht jedem Haushaltsmitglied e<strong>in</strong> Raum zur Verfügung steht (vgl.<br />

Landeshauptstadt München 1997, S. 77).<br />

50


Entstehung von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Welche Faktoren steuern die Wohnlage von Migranten?<br />

Neben der Lage auf dem Wohnungsmarkt engen auch die <strong>durch</strong>schnittlich niedrigeren<br />

E<strong>in</strong>kommen die Wahlmöglichkeiten bei der Wohnungssuche für Migranten e<strong>in</strong> (vgl. LH<br />

München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 1997, S. 61; siehe auch Häußermann/<br />

Siebel 2001, S. 23f). Häußermann <strong>und</strong> Siebel nennen e<strong>in</strong>e Reihe weiterer Faktoren,<br />

die sich darauf auswirken, wo <strong>und</strong> wie Migranten e<strong>in</strong>e Wohnung f<strong>in</strong>den. So ist vor<br />

allem für Neuzuwanderer <strong>und</strong> Migranten unterer sozialer Schichten oft der Informationszugang<br />

über freie <strong>und</strong> günstige Wohnungen erschwert, zum anderen spielen auch die<br />

Entscheidungen der Vermieter e<strong>in</strong>e bedeutende Rolle. In München können diese aufgr<strong>und</strong><br />

der Marktlage wählen, an wen sie vermieten. Neben der Ablehnung aus persönlichen<br />

Vorurteilen oder Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit wirken sich auch Praktiken wie die E<strong>in</strong>führung<br />

von Quoten zur Begrenzung des Ausländeranteils diskrim<strong>in</strong>ierend aus, die, so<br />

Häußermann <strong>und</strong> Siebel, unter anderem aus ökonomischem Kalkül festgelegt werden,<br />

um vor allem <strong>in</strong> Wohngegenden mit hohem Sozialprestige die Attraktivität für besser<br />

verdienende Deutsche zu erhalten (vgl. 2001, S.26). Die städtische Studie über die<br />

Lebenssituation von Migranten zeigt, dass Ausländer mit 2,1% <strong>in</strong> sehr viel ger<strong>in</strong>gerem<br />

Umfang Haus- <strong>und</strong> Wohnungseigentümer als Deutsche (21%) s<strong>in</strong>d. Unter den Käufern<br />

der <strong>durch</strong> städtische Gr<strong>und</strong>stückssubventionen stark verbilligten Eigentumswohnungen<br />

des München Modells 40 s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs 20% Ausländer (vgl. LH München, Referat für<br />

Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 1997, S. 86f) 41 .<br />

Migranten im sozialen Wohnungsbau<br />

Klee beobachtet e<strong>in</strong>en Zusammenhang der Wohnlage von Migranten <strong>und</strong> dem Standort<br />

von Industriebetrieben sowie öffentlich geförderten Wohnungen (vgl. 2003, S. 187).<br />

Stummvoll bestätigt, dass Migranten relativ häufiger die Zugangsberechtigung zum<br />

sozialen Wohnungsbau erfüllen als Deutsche: „Die E<strong>in</strong>kommensgrenzen des sozialen<br />

Wohnungsbaus s<strong>in</strong>d seit e<strong>in</strong>igen Jahren extrem niedrig. (...) Das hat nichts damit zu tun,<br />

dass Migranten bevorzugt werden, weil sie Migranten s<strong>in</strong>d, sie verdienen e<strong>in</strong>fach so<br />

wenig Kohle, dass sie da re<strong>in</strong>fallen, <strong>und</strong> viele Deutsche raus.“ Die Mehrheit der ausländischen<br />

Haushalte (69,1%) lebte 1997 <strong>in</strong> frei f<strong>in</strong>anzierten Mietwohnungen, 11,5% <strong>in</strong><br />

Werkswohnungen, 2,8% <strong>in</strong> Genossenschaftswohnungen <strong>und</strong> 14,3% <strong>in</strong> Sozialwohnungen.<br />

Damit war <strong>in</strong>sgesamt der Anteil der ausländischen Haushalte, die Sozialwohnungen<br />

belegen nicht höher als derjenige der Deutschen 42 . Türkische Haushalte waren dabei<br />

jedoch mit 31,5% überproportional häufig <strong>in</strong> Sozialwohnungen untergebracht, gefolgt<br />

von polnischen Haushalten mit 27,2% (vgl. Landeshauptstadt München 1997, 87f).<br />

40<br />

Das München Modell ermöglicht <strong>durch</strong> verschiedene Programme preisgünstiges Wohnungseigentum zu<br />

erwerben oder Mietwohnungen zu f<strong>in</strong>den. Diese Angebote s<strong>in</strong>d mit e<strong>in</strong>igen Auflagen verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> richten<br />

sich vor allem an Münchener Familien mit mittlerem E<strong>in</strong>kommen <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern (vgl. LH München, Referat für<br />

Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 2004. Onl<strong>in</strong>e im Internet:<br />

http://www.muenchen.de/Rathaus/plan/stadtsanierung/wohnungsbau/106334/mm_eigentum.html<br />

41<br />

Insgesamt leben Ausländer häufiger als Deutsche zur Miete (Ausländer 86%; Deutsche 68%) oder s<strong>in</strong>d<br />

Haus- bzw. Wohnungseigentümer (Ausländer: eigenes Haus 3%, Eigentumswohnung 6%; Deutsche:<br />

eigenes Haus 15%, Eigentumswohnung 16%) (vgl. LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung<br />

2002, S. 23).<br />

42<br />

Nach Auskunft von Herrn Gruber, Amt für Wohnen <strong>und</strong> Migration, leben derzeit im Sozialwohnungsbestand<br />

etwa 12% Ausländer. Dabei werden allerd<strong>in</strong>gs im sozialen Wohnungsbau Haushalte mit EU-<br />

Angehörigen statistisch nicht als ausländische Haushalte gerechnet.<br />

51


Entstehung von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Wohnungsversorgung von Migranten <strong>durch</strong> die Kommune<br />

Auf die Entwicklung des freien Wohnungsmarktes kann die Kommune nur sehr <strong>in</strong>direkt<br />

über <strong>ihre</strong> Baulandpolitik E<strong>in</strong>fluss nehmen. Inwiefern die Kommune die Wohnungsversorgung<br />

von Migranten steuert <strong>und</strong> welche Probleme sich dabei ergeben, wird im Folgenden<br />

anhand von Aussagen aus den geführten Experten<strong>in</strong>terviews dargestellt.<br />

In München leben derzeit etwa 25 000 Flüchtl<strong>in</strong>ge aus mehr als 85 Herkunftsländern.<br />

Die meisten kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien, dem Irak <strong>und</strong> Afghanistan 43 .<br />

Seit Jahresbeg<strong>in</strong>n 2004 werden wohnungslose Migranten mit Fluchth<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> zu den<br />

Wohnungslosen gezählt <strong>und</strong> <strong>in</strong> sogenannten Clear<strong>in</strong>ghäusern untergebracht. Dort leben<br />

sie, solange ihr Aufenthaltsstatus ungeklärt ist. Für die Unterbr<strong>in</strong>gung von Asylbewerbern<br />

ist seit 2002 der Freistaat Bayern zuständig. Im Jahr 2003 wurden 2149 Personen<br />

<strong>in</strong> etwa zwanzig bereitgestellten Geme<strong>in</strong>schaftsunterkünften untergebracht (vgl. Landeshauptstadt<br />

München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 2004, S. 60).<br />

Migranten, die e<strong>in</strong> Bleiberecht <strong>in</strong> Deutschland haben, seit fünf Jahren <strong>in</strong> München leben<br />

<strong>und</strong> bestimmte E<strong>in</strong>kommensgrenzen erfüllen 44 , erhalten die Zugangsberechtigung zum<br />

sozialen Wohnungsbau. Die Steuerung erfolgt <strong>durch</strong> das Amt für Wohnen <strong>und</strong> Migration,<br />

welches Ende 2003 r<strong>und</strong> 12% im weitesten S<strong>in</strong>ne belegungsgeb<strong>und</strong>ene Wohnungen an<br />

allen Wohnungen <strong>in</strong> München hatte. Dies s<strong>in</strong>d r<strong>und</strong> 57.000 Sozialmietwohnungen <strong>und</strong><br />

zusätzlich etwa 28.000 Wohnungen des Kommunalreferats <strong>und</strong> der städtischen Wohnungsgesellschaften,<br />

<strong>in</strong> denen die Stadt über Belegrechte verfügt. Seit Mitte der ´80er<br />

Jahre schrumpft der Münchener Sozialwohnungsbestand als Folge des Auslaufens von<br />

Sozialb<strong>in</strong>dungen kont<strong>in</strong>uierlich (vgl. LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung<br />

2004, S. 47). Der Spielraum ist also für die Kommune relativ ger<strong>in</strong>g: „Pro Jahr gibt<br />

es zwischen 12.000 <strong>und</strong> 15.000 Vormerkungen, die wir anerkennen. Und vermitteln<br />

noch r<strong>und</strong> 4.000. Das bedeutet, dass statistisch nur noch jeder fünfte zum Zug kommt.<br />

Man kann ja nur die Wohnungen vermitteln, die frei werden <strong>und</strong> die Fluktuation geht<br />

fast gegen Null“ (Stummvoll) (vgl. auch LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong><br />

Bauordnung 2004, S.50f).<br />

Die Entstehung <strong>in</strong>terkultureller <strong>Nachbarschaften</strong> <strong>in</strong> München<br />

München versucht die Philosophie e<strong>in</strong>es <strong>durch</strong>mischten, nicht segregierten Wohnens zu<br />

verfolgen 45 . Daher wird bei der Neuausweisung von Baugebieten darauf geachtet, e<strong>in</strong>en<br />

bestimmten Anteil an Sozialwohnungen e<strong>in</strong>zuplanen 46 <strong>und</strong> den Migrantenanteil im<br />

Eigentum <strong>durch</strong> bestimmte Programme im Rahmen des München Modells zu fördern. Bei<br />

der Belegung der Sozialwohnungen wird darauf geachtet, pro Haus nur e<strong>in</strong>en Migrantenanteil<br />

von etwa 20% der Haushalte zu erreichen 47 . Dabei werden möglichst auch die<br />

43<br />

vgl. LH München, 2004: Rathausumschau. Onl<strong>in</strong>e im Internet:<br />

http://www.muenchen.de/Rathaus/aktuelles/85278/fluechtl<strong>in</strong>ge.html<br />

kritisch hierzu: Die Karawane München: Onl<strong>in</strong>e im Internet:<br />

http://carava.net/article.php?story=20040422172250265<br />

44<br />

nach §9 WoFG s<strong>in</strong>d das derzeit z.B. für e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>personenhaushalt 12.000 Euro pro Jahr.<br />

45<br />

vgl. u.a. Oberbürgermeister Ude <strong>in</strong> der Vollversammlung des Stadtrats am 6. Oktober 1999. LH München.<br />

Onl<strong>in</strong>e im Internet: http://www.muenchen.de/Rathaus/lhm_alt/mde/ob/pg/43213/haushalt.html<br />

46<br />

da diese stark von B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Landesmitteln subventioniert s<strong>in</strong>d, müssen vor allem billigere Wohnlagen<br />

berücksichtigt werden (vgl. Telefonische Nachfrage Herr Folda, LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong><br />

Bauordnung).<br />

47<br />

<strong>in</strong> der Realität ist dieses Maß kaum e<strong>in</strong>zuhalten: zum e<strong>in</strong>en umfassen Migrantenhaushalte meist mehr<br />

Personen, so dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus faktisch mehr als e<strong>in</strong> Drittel der Bewohner Migranten leben kann. Zum<br />

anderen haben viele Personen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> die deutsche Staatsangehörigkeit, unter Umständen<br />

aber e<strong>in</strong>en kulturell anderen Lebensstil <strong>und</strong> werden von den deutschen Mitbürgern als Migranten<br />

wahrgenommen.<br />

52


Entstehung von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Wünsche der Vermieter <strong>und</strong> deren E<strong>in</strong>schätzungen bezüglich der Bewohnerstruktur<br />

berücksichtigt 48 (vgl. Gruber, LH München, Sozialbelegung).<br />

Ob nun also <strong>durch</strong> Quotierungen seitens der Wohnbaugesellschaften bzw. der Wohnungsämter<br />

oder <strong>durch</strong> restriktive Praktiken auf dem freien Markt - der Wohnungsmarkt<br />

ist für Migranten aus verschiedensten Gründen verengt.<br />

In der folgenden Grafik s<strong>in</strong>d die Akteure <strong>und</strong> Mechanismen, die E<strong>in</strong>fluss auf die Entstehung<br />

von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong> haben, nochmals schematisch zusammengefasst.<br />

Private Vermieter<br />

Wohnbaugesellschaften<br />

Präferenzen,<br />

freiwillige Quotierungen<br />

Wohnungsmarkt<br />

Marktlage<br />

Preise<br />

Wohnungssuchender<br />

E<strong>in</strong>kommen,<br />

Wohnpräferenzen<br />

Stadtrat<br />

Gr<strong>und</strong>satzbeschlüsse<br />

Stadtverwaltung<br />

Planungsreferat: Planung <strong>und</strong> Bau<br />

Amt für Wohnen u. Migration: Belegung<br />

Kommunale<br />

Wohnbaugesellschaften<br />

Belegung<br />

Abb. 14: Akteure <strong>und</strong> Mechanismen bei der Entstehung <strong>in</strong>terkultureller <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Soziale Gegebenheiten <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong><br />

<strong>Interkulturelle</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> f<strong>in</strong>den sich überall <strong>in</strong> München, <strong>in</strong> manchen Gebieten<br />

oder Wohnformen ergibt sich <strong>durch</strong> die beschriebenen Vorgänge jedoch häufigerer<br />

Kontakt zwischen Migranten <strong>und</strong> Deutschen. Dabei wirken sich die sozialen Gegebenheiten,<br />

<strong>in</strong> denen die Personen zusammenleben, laut Häußermann <strong>und</strong> Siebel darauf aus, ob<br />

<strong>Konflikte</strong> entstehen. In München wohnen 24,3% der Ausländer über<strong>durch</strong>schnittlich<br />

häufig <strong>in</strong> Gebieten mit besonderem sozialräumlichen Handlungsbedarf. Die Studie des<br />

Referates für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung stellte fest, dass im Vergleich zu 37,6% der<br />

Deutschen 54% der Türken, 47% der Griechen <strong>und</strong> je 44,3% der Jugoslawen <strong>und</strong> Polen<br />

<strong>in</strong> Armutsgebieten 49 leben (vgl. 1997, S.38 50 ). Dort leben vor allem Alle<strong>in</strong>erziehende <strong>und</strong><br />

Familien mit zwei <strong>und</strong> mehr K<strong>in</strong>dern (vgl. 1997, S. 89).<br />

48<br />

Das Amt für Wohnen <strong>und</strong> Migration fungiert als Vermittlungsbehörde für mehrere Wohnungsunternehmen<br />

<strong>und</strong> andere Bauträger, die Sozialwohnungsbau betreiben <strong>und</strong> macht fünf Mietervorschläge, aus denen die<br />

Vermieter auswählen.<br />

49<br />

Die Studie setzt „Armutsgebiete“ gleich mit „Gebieten mit sozialräumlichem Handlungsbedarf“, worunter<br />

Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, Sendl<strong>in</strong>g, Westpark, Milbertshofen-Am Hart, Berg am Laim, Ramersdorf-<br />

Perlach, Obergies<strong>in</strong>g, Hadern <strong>und</strong> Feldmoch<strong>in</strong>g-Hasenbergl verstanden werden (vgl. LH München 1997, S.<br />

38 unter Bezug auf LH München (Hrsg.) 1995; Soziale Entwicklung 2000, S. 107).<br />

50<br />

Sonderauswertung des Statistischen Amts bezogen auf alle Migranten dieser Nationalitäten <strong>in</strong> München<br />

53


<strong>Interkulturelle</strong> Konfliktfelder <strong>in</strong><br />

„Die Mechanismen der Arbeits- <strong>und</strong> Wohnungsmärkte führen die Migranten im Betrieb<br />

<strong>und</strong> im Wohnquartier mit jenen Deutschen zusammen, die am wenigsten <strong>in</strong> der Lage<br />

s<strong>in</strong>d, mit den ´Zumutungen´ der Fremdheit umzugehen“ (Häußermann/ Siebel, 2001 a,<br />

S. 74). Dies seien häufig Deutsche, die selbst <strong>in</strong> existenziell ungesicherten Situationen<br />

leben oder sozialen Abstieg ertragen mussten. Im sozialen Wohnungsbau ergibt sich<br />

diese Situation <strong>durch</strong> die niedrigen E<strong>in</strong>kommensgrenzen jedoch fast zwangsläufig.<br />

Stummvoll erläutert: „Wer kommt denn re<strong>in</strong>? Transferbezieher, d.h. Arbeitslosengeld-,<br />

Sozialhilfe-, Rentenbezieher, oder Sie als alle<strong>in</strong>erziehende Frau mit mehreren K<strong>in</strong>dern.<br />

Du hast also e<strong>in</strong>e Mieterstruktur von mit sozialen Problemlagen konfrontierten Personen,<br />

die sich gewaschen hat.“<br />

5.3 <strong>Interkulturelle</strong> Konfliktfelder <strong>in</strong><br />

Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Statistische Erfassung <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

<strong>Interkulturelle</strong> <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> werden <strong>in</strong> München kaum statistisch erfasst.<br />

Dies zeigte sich e<strong>in</strong>deutig <strong>in</strong> den Befragungen zu dieser Arbeit <strong>und</strong> wird von den Experten<br />

auf die verschiedensten Ursachen zurückgeführt: zum e<strong>in</strong>en sei es aufgr<strong>und</strong> der<br />

vielen Facetten <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte schwierig, e<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition zu<br />

f<strong>in</strong>den, die alle Vorfälle erfasst, aber andererseits nicht zu spezifisch sei, um e<strong>in</strong>e<br />

Bearbeitung <strong>und</strong> statistische Erfassung zu aufwendig werden zu lassen. Desweiteren<br />

würden diese <strong>Konflikte</strong> an die verschiedensten Stellen herangetragen <strong>und</strong> diese, teilweise<br />

mit dem normalen Arbeitspensum schon stark belasteten E<strong>in</strong>richtungen hätten oft<br />

ke<strong>in</strong>e Zeit, die Fälle für e<strong>in</strong>e statistische Aufarbeitung zu erfassen.<br />

Oftmals werden derartige <strong>Konflikte</strong> auch gar nicht bekannt. Dazu trägt auch der problematische<br />

Umgang der Deutschen mit Migranten <strong>und</strong> mit <strong>Konflikte</strong>n im Allgeme<strong>in</strong>en bei.<br />

So äußerten e<strong>in</strong>ige Befragte auch die Vermutung, <strong>Konflikte</strong> zwischen Deutschen <strong>und</strong><br />

Migranten würden mitunter totgeschwiegen, da niemand als ausländerfe<strong>in</strong>dlich gelten<br />

möchte.<br />

Die Schlichtungsstelle des Kreisverwaltungsreferats 51 verzeichnete 2003 174 Konfliktfälle<br />

größtenteils aus dem Bereich Nachbarschaft, ohne dabei jedoch genaue Daten über die<br />

Beteiligung verschiedener Kulturen zu erfassen. Nach E<strong>in</strong>schätzungen von Herrn Albert,<br />

der die Schlichtungsgespräche <strong>durch</strong>führt, sei jedoch „e<strong>in</strong> hoher Anteil von Migranten<br />

dabei. In letzter Zeit hatten wir e<strong>in</strong> paar Fälle mit Vietnamesen, Tunesier waren auch da“.<br />

Bei der seit Oktober 2003 e<strong>in</strong>gerichteten Beschwerdestelle für Diskrim<strong>in</strong>ierungsfälle der<br />

Stadt München g<strong>in</strong>gen nach Angaben von Frau Dellner-Aumann bisher etwa 100 Anfragen<br />

e<strong>in</strong> <strong>und</strong> es wurden etwa 35 Fälle bearbeitet. Sie schätzt, dass dabei Problemfälle im<br />

Wohnumfeld etwa 25% ausmachten; bei dieser an den Ausländerbeirat angegliederten<br />

Stelle beschwerten sich größtenteils Deutsche über Migranten.<br />

Ansonsten f<strong>in</strong>den sich Angaben über <strong>Konflikte</strong> oft nur <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternen Unterlagen, zum<br />

Beispiel den Mieterakten der Wohnbaugesellschaften. Staiger vom Institut für Sozialpädagogische<br />

Arbeit (I.S.AR.) nennt als ungefähren Richtwert etwa 600 von I.S.AR.<br />

bearbeitete Nachbarschaftskonflikte im Jahr 2003 <strong>und</strong> der Sozialarbeiter e<strong>in</strong>er der<br />

Wohnbaugesellschaften schätzt, dass etwa e<strong>in</strong>mal pro Woche e<strong>in</strong> Konflikt zwischen<br />

Migranten <strong>und</strong> Deutschen <strong>in</strong> den von ihm betreuten Anlagen auftritt. Die GEWOFAG ist<br />

51 Die offizielle Bezeichnung lautet Sühne- <strong>und</strong> Gütestelle; vgl. weitere Ausführungen unter 5.4.1<br />

54


Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

im Begriff, e<strong>in</strong>e Datenbank über Probleme <strong>in</strong> den Wohnanlagen aufzubauen <strong>und</strong> auch im<br />

Rahmen des KiK Projekts werden <strong>in</strong> Zukunft die bearbeiteten Fälle statistisch erfasst.<br />

Ursachen <strong>und</strong> Gegenstände von Nachbarschaftskonflikten<br />

Nachbarschaftskonflikte entstehen aus den unterschiedlichsten Gründen. Dabei geht es<br />

oft um ganz banale Fragen des Zusammenlebens, stellt Anja Huber von der Abteilung<br />

für Quartiersbezogene Bewohnerarbeit des Amts für Wohnen <strong>und</strong> Migration fest. „Das<br />

fängt schon an bei so Geschichten wie Mülleimern. Sie wohnen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus <strong>und</strong><br />

trennen w<strong>und</strong>erbar <strong>ihre</strong>n Müll <strong>und</strong> dann schmeißt der was re<strong>in</strong>, was gar nicht re<strong>in</strong> passt.<br />

W<strong>und</strong>erbar, wie sich die Leute über diese Kiste streiten“, me<strong>in</strong>t Herr Stummvoll von der<br />

Stelle für <strong>in</strong>terkulturelle Arbeit <strong>und</strong> führt noch e<strong>in</strong>en weiteren Konfliktpunkt an, den auch<br />

andere Experten als gr<strong>und</strong>legend ansehen: Ärger über Lärm bzw. unterschiedliches<br />

Ruhebedürfnis. Neben Musik, Gesprächslautstärke <strong>und</strong> ähnlichem s<strong>in</strong>d auch K<strong>in</strong>der, die<br />

die Ruhe stören e<strong>in</strong> permanenter Konfliktherd. Dabei spielen unterschiedliche Vorstellungen<br />

über Erziehung der K<strong>in</strong>der oder die Uhrzeiten, zu denen es laut se<strong>in</strong> darf e<strong>in</strong>e<br />

tragende Rolle: „die e<strong>in</strong>en haben die Auffassung, K<strong>in</strong>der gehören ab 8 Uhr <strong>in</strong>s Haus re<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> es gibt die anderen, die der Me<strong>in</strong>ung s<strong>in</strong>d, wenn es schönes Wetter ist <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>e<br />

Autos fahren, warum sollen die nicht draußen spielen?“ (vgl. Huber).<br />

Dabei liegen diesen Problemen die unterschiedlichsten Lebensauffassungen zugr<strong>und</strong>e:<br />

„Die e<strong>in</strong>en f<strong>in</strong>den es halt toll, wenn Leben draußen ist, alle draußen sitzen <strong>und</strong> Musik ist,<br />

Lärm <strong>und</strong> Palaver. Und die anderen denken sich, oh Gott, ich will me<strong>in</strong>e Ruhe haben<br />

<strong>und</strong> jeder muss schön sauber alles ordentlich halten.“ Dabei ist es vielen nicht bewusst,<br />

dass „es für andere e<strong>in</strong> Problem se<strong>in</strong> könnte“, me<strong>in</strong>t Huber.<br />

Staiger ist der Me<strong>in</strong>ung, dass „Wohnanlagen die klassischsten aller Lebensfelder [s<strong>in</strong>d].<br />

Und da passiert auch alles, was passieren kann.“ Die bisher genannten Konfliktpunkte<br />

können <strong>in</strong> jeder Nachbarschaft auftreten, ohne dass es sich dabei um e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Konflikt handelt.<br />

Abb. 15: Konfliktgegenstände <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong><br />

<strong>und</strong> entsprechende Beispiele<br />

Lärm<br />

Geruch<br />

Sauberkeit<br />

Raumnutzung<br />

Zeiten, Regelungen<br />

Grillen<br />

Müll<br />

Nutzung<br />

von<br />

Freiflächen<br />

Spielende<br />

K<strong>in</strong>der<br />

Musik<br />

K<strong>in</strong>derwagen<br />

im<br />

Hause<strong>in</strong>gang<br />

55


Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Erklärungsmuster für <strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftskonflikte<br />

Bürkner et al. stellten bei <strong>ihre</strong>n Untersuchungen fest, dass politische Akteure dazu<br />

tendieren, entweder kulturelle Differenzen für Gruppenkonflikte im Wohnquartier<br />

verantwortlich zu machen oder die kulturelle Komponente auszublenden <strong>und</strong> soziale <strong>und</strong><br />

ökonomische Probleme als gr<strong>und</strong>legend für die Entstehung der <strong>Konflikte</strong> zu begreifen<br />

(vgl. 1999, S. 24). Dabei griffen vor allem Akteure, denen „konkrete Erfahrungen mit<br />

<strong>Konflikte</strong>n fehlten oder die (...) zu ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>deutigen Erklärungen vorstoßen konnten<br />

(...), auf gängige Interpretationen <strong>in</strong> kulturellen Kategorien zurück“ (ebenda).<br />

Bei den Befragungen zu dieser Arbeit machte ich die Beobachtung, dass eigentlich alle<br />

Experten sowohl kulturelle wie räumliche, soziale oder ökonomische Faktoren für die<br />

Entstehung <strong>in</strong>terkultureller <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> mitverantwortlich machten. Nur<br />

Staiger betonte besonders, dass se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach kulturelle Unterschiede nicht die<br />

<strong>Konflikte</strong> verursachen würden. Dieses Ergebnis führe ich darauf zurück, dass die Befragten<br />

über viel Erfahrung mit der Thematik <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte verfügen<br />

<strong>und</strong> daher e<strong>in</strong>en guten E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Ursachenzusammenhänge haben. Im Folgenden<br />

werden die <strong>in</strong> den Experten<strong>in</strong>terviews herausgearbeiteten Ursachen betrachtet <strong>und</strong><br />

dabei der Logik dieser Arbeit folgend soweit möglich zunächst auf die kulturellen <strong>und</strong><br />

räumlichen Konfliktursachen <strong>und</strong> schließlich auf weitere strukturelle Ursachen e<strong>in</strong>gegangen.<br />

5.3.1 Konfliktursachen<br />

Kulturelle Unterschiede<br />

„Von Ausländern erwartet man eher Unverträglichkeiten: viele <strong>und</strong> laute K<strong>in</strong>der, mit<br />

Lärm verb<strong>und</strong>ene Familienfeste, mangelnde Ordnungsliebe, Bohnen statt Blumen im<br />

Vorgarten, Wäsche auf der Wiese <strong>und</strong> generell ´Fremdheit´ “(Häußermann/ Siebel,<br />

2001, S. 27). Viele <strong>Konflikte</strong> entstehen aufgr<strong>und</strong> kulturell anderer Gebräuche <strong>und</strong><br />

Gewohnheiten. So ist Huber der Me<strong>in</strong>ung, dass es sich um gr<strong>und</strong>legend unterschiedliche<br />

Lebensweisen handle: „Also e<strong>in</strong> ganz anderes Bewusstse<strong>in</strong>, wie lebe ich eigentlich, wie<br />

wohne ich, wie gehe ich mit me<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern um, wie trete ich <strong>in</strong> der Öffentlichkeit auf.<br />

Kultur, wie feiert man Feste, wie trage ich Streit aus, davon gibt es ja auch verschiedene<br />

Auffassungen, ob man eher darüber schweigt <strong>und</strong> es über sich ergehen lässt oder ob<br />

man se<strong>in</strong>en Ärger raus lässt <strong>und</strong> rumbrüllt. Und auch die Umgehensweisen oder auch<br />

sprachliche Barrieren, dass man sich nicht versteht.“<br />

Nutzung des öffentlichen Raums<br />

Als <strong>in</strong>terkulturelle Probleme im nachbarschaftlichen Zusammenleben werden von den<br />

Experten unterschiedliche Zeiten bzw. Lebensrhythmen genannt. So würden Migranten<br />

aus südlicheren Gegenden abends tendenziell länger wach <strong>und</strong> aktiv se<strong>in</strong>. Desweiteren<br />

wird die Beobachtung gemacht, dass es unterschiedliche Ansprüche an die Raumnutzung<br />

gibt: „Das Leben ist eher draußen, ist eher öffentlich“ (Staiger). Huber geht <strong>in</strong><br />

diesem Zusammenhang auch auf die unterschiedliche Nutzung des öffentlichen Raumes<br />

e<strong>in</strong>: „Ist es privater oder öffentlicher Raum? Wie verhält man sich da? Es gibt ganz viele<br />

Familien aus anderen Ländern, die e<strong>in</strong>fach den öffentlichen Raum als ihr Wohnzimmer<br />

ansehen, was dann die anderen wieder vor den Kopf stößt, weil sie denken: „Wie kann<br />

man das nur machen? Das gehört doch allen. Da muss ich mich doch eigentlich zurückziehen!<br />

Da b<strong>in</strong> ich nur mit me<strong>in</strong>em öffentlichen Gesicht draußen <strong>und</strong> nicht mit me<strong>in</strong>em<br />

privaten!“<br />

56


Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

E<strong>in</strong> nicht unbed<strong>in</strong>gt ethnisch-kulturell begründeter Konflikt ist auch die Nutzung von<br />

öffentlichen Plätzen <strong>durch</strong> bestimmte Gruppen. „Wenn verschiedene Gruppen Plätze<br />

besetzen <strong>und</strong> andere Gruppen die dann nicht mehr nutzen. Zum Beispiel bei Jugendlichen,<br />

dass die Plätze besetzen, bei denen Ältere dann nicht mehr vorbei gehen, weil sie<br />

Angst haben, dass sie angepöbelt werden oder da ist es ihnen zu laut, zu unübersichtlich<br />

<strong>und</strong> sie können nicht e<strong>in</strong>schätzen, ob das e<strong>in</strong>e Gefahr ist oder nicht. (vgl. Huber)“<br />

Lärmempf<strong>in</strong>den<br />

In sehr vielen Fällen entsp<strong>in</strong>nen sich <strong>Konflikte</strong> um das Thema Lärm. Dabei wird unter<br />

anderem beim Gruppen<strong>in</strong>terview von den türkischen Migranten gemutmaßt, dass<br />

Südländer im allgeme<strong>in</strong>en lauter s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> dies für deutsche Verhältnisse oft zu laut sei.<br />

Es zeigt sich also e<strong>in</strong>e kulturell unterschiedliche Lärmempf<strong>in</strong>dlichkeit bzw. e<strong>in</strong> unterschiedliches<br />

Ruhebedürfnis.<br />

Bei kollektivistisch geprägten Kulturen ist e<strong>in</strong>e viel stärkere Familienverb<strong>und</strong>enheit (vgl.<br />

Hofstede 1993, S. 66) festzustellen <strong>und</strong> daher s<strong>in</strong>d auch die im Verhältnis häufigeren<br />

Besuche von Fre<strong>und</strong>en oder Familienmitgliedern e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> für höhere Lautstärke. Auch<br />

aus der Tatsache, dass Migranten, zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> der ersten <strong>und</strong> zweiten E<strong>in</strong>wanderergeneration,<br />

meist mehr K<strong>in</strong>der als Deutsche haben (vgl. Göschel 52 ; auch LH München,<br />

Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 1997, S. 32) betont, folgen oft <strong>Konflikte</strong> über<br />

erhöhte Lautstärke. Von mehreren Gesprächspartnern werden unterschiedliche Erziehungsauffassungen<br />

als Konfliktursache genannt. „Wann müssen K<strong>in</strong>der re<strong>in</strong>, wann<br />

müssen sie ruhig oder anständig se<strong>in</strong>, wann dürfen sie laut se<strong>in</strong> <strong>und</strong> sich draußen<br />

aufhalten?“ (vgl. Huber). So sei es <strong>in</strong> südländischen Migrantenfamilien üblich, dass die<br />

K<strong>in</strong>der bis 22 Uhr oder später wach s<strong>in</strong>d, deutsche Eltern <strong>ihre</strong> K<strong>in</strong>der h<strong>in</strong>gegen schon um<br />

20 Uhr <strong>in</strong>s Bett schicken. Die türkischen Befragten bestätigten aus eigener Erfahrung,<br />

dass <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dererziehung nach außen oft e<strong>in</strong>e „Laisser-faîre-Haltung“ vertreten werde<br />

<strong>und</strong> die K<strong>in</strong>der lange wach bleiben dürften. Die Eltern würden tendenziell die K<strong>in</strong>der <strong>ihre</strong><br />

Streitigkeiten selbst austragen lassen <strong>und</strong> sich nicht e<strong>in</strong>mischen, was oft Unverständnis<br />

bei deutschen Eltern errege.<br />

Vorstellungen von Ordnung <strong>und</strong> E<strong>in</strong>haltung der Hausregeln<br />

In diesem Zusammenhang wird auch das Befolgen von Hausordnungen genannt, die<br />

bestimmte Richtl<strong>in</strong>ien für Ruhezeiten, Sauberkeit <strong>und</strong> Nutzung der Flure, Anlagen oder<br />

Geme<strong>in</strong>schaftse<strong>in</strong>richtungen festlegen. Hier liegen oft unterschiedliche Werte vor: „Was<br />

für bestimmte Leute eigentlich e<strong>in</strong>e Pflicht ist, ist für andere nicht so wichtig“, fasst Herr<br />

Rados von der Geschäftsstelle des Ausländerbeirats zusammen. So entsteht bei vielen<br />

e<strong>in</strong>e Verärgerung über die Nichte<strong>in</strong>haltung von Regeln, woh<strong>in</strong>gegen die Deutschen sich<br />

<strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht als sehr pedantisch erweisen. E<strong>in</strong> Mitarbeiter e<strong>in</strong>er Wohnbaugesellschaft<br />

bestätigt: „Unser Hauptproblem ist, dass die Leute nicht damit fertig werden,<br />

dass sich etwas ändert. Früher wurde die Hausordnung e<strong>in</strong>gehalten, alles war w<strong>und</strong>erbar<br />

sauber. Es war ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>derwagen im Hausgang. Die ersten kommen dann <strong>und</strong><br />

kümmern sich nicht mehr. Aber das s<strong>in</strong>d nicht nur Ausländer, also das s<strong>in</strong>d auch die<br />

Nachkommen deutscher Generationen. Sicher, die Balkone, die Grünanlagen, der<br />

Hausflur werden anders genutzt. Das s<strong>in</strong>d halt die Hauptprobleme, dass <strong>in</strong><br />

Anführungszeichen die deutsche Ordnung, die mal da war, komplett aufgelöst wird.“<br />

52<br />

Vortrag auf der Fachtagung „<strong>Interkulturelle</strong> Verständigung - Leben <strong>und</strong> Wohnen <strong>in</strong> München“ am 11.<br />

Oktober 2004<br />

57


Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

E<strong>in</strong> immer wieder vorkommendes Beispiel ist der Streit über die vor der Wohnungstür<br />

stehenden Schuhe. Dies kommt natürlich auch bei deutschen Familien vor, doch ist bei<br />

Migranten mit muslimischer Religion der H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong> ganz anderer. Aus religiösen<br />

Gründen darf der Wohn- <strong>und</strong> Betbereich nicht mit Schuhen betreten werden. E<strong>in</strong>e<br />

Teilnehmer<strong>in</strong> der Gruppendiskussion bestätigt, dass sich bei engen Wohnungen <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er großen Familie e<strong>in</strong>ige Schuhe vor der Tür sammeln <strong>und</strong> dies oft zu <strong>Konflikte</strong>n mit<br />

den Nachbarn führt.<br />

Anmerkungen zu Vandalismus<br />

Unabhängig vom kulturellen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ist die E<strong>in</strong>stellung zu Sauberkeit <strong>und</strong> Pflege der<br />

Anlagen sehr unterschiedlich <strong>und</strong> reicht von der Vorstellung, der Rasen sollte nicht<br />

betreten werden bis zum Extrembeispiel von Vandalismus <strong>und</strong> Zerstörung von E<strong>in</strong>richtungen.<br />

In diesem Zusammenhang weist e<strong>in</strong> Befragter darauf h<strong>in</strong>, dass sich <strong>in</strong> den<br />

Anlagen der städtischen Wohnbaugesellschaften teilweise e<strong>in</strong> schwieriges Mieterklientel<br />

befände <strong>und</strong> er deutet an, dass se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach manche Migranten weniger<br />

pfleglich mit den E<strong>in</strong>richtungen umg<strong>in</strong>gen: „die haben e<strong>in</strong>e andere Wertepyramide. Da<br />

wird schneller mal was kaputt gemacht, <strong>in</strong>teressiert ja ke<strong>in</strong>en, dann ist es halt kaputt.<br />

Das Aggressionspotenzial ist deutlich größer, das merkt man“ (Interview Nr.1).<br />

<strong>Konflikte</strong> zwischen Migrantengruppen verschiedener Nationalität<br />

Zudem wird im Bezug auf <strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong> auch auf Streitigkeiten zwischen<br />

Migranten verschiedener Nationalität verwiesen, die da<strong>durch</strong> entstehen, „dass sich diese<br />

Bevölkerungsgruppen gegenseitig nicht besonders gern mögen. Also Türken <strong>und</strong> S<strong>in</strong>tis<br />

zum Beispiel ist e<strong>in</strong> bisschen e<strong>in</strong> Problem, dann haben wir Serben <strong>und</strong> Albaner, die auch<br />

nicht mite<strong>in</strong>ander können“, me<strong>in</strong>t e<strong>in</strong> Sozialarbeiter (Interview Nr. 4). Es gibt also auch<br />

Konfliktpotenziale, die aufgr<strong>und</strong> der nationalen Zugehörigkeit entstehen.<br />

Räumliche Enge als Konfliktursache<br />

Mehrere Interviewpartner äußern, dass sich <strong>Konflikte</strong> oft aus der Enge des Zusammenlebens<br />

ergeben. „Die meisten Siedlungen s<strong>in</strong>d dicht bebaut <strong>und</strong> da sitzen die Leute halt<br />

auch sehr eng aufe<strong>in</strong>ander. Also da hat man nicht so viel Platz, dass jeder fe<strong>in</strong> leben<br />

kann. Sondern da knallt es halt auch, weil es so eng ist“ (vgl. Huber).<br />

E<strong>in</strong> Mitarbeiter e<strong>in</strong>er Wohnbaugesellschaft sieht <strong>durch</strong> se<strong>in</strong>e Erfahrungen auch eher die<br />

Konflikthypothese bestätigt: „Wer e<strong>in</strong>em sozial entfernt ist, kulturell oder vom E<strong>in</strong>kommen<br />

her, mit dem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus zu leben ist immer schwierig“ (Interview Nr.3).<br />

Bauliche Gegebenheiten<br />

Die Isolierung von Wohngebieten <strong>durch</strong> stark befahrene Strassen, wie auch die Unterversorgung<br />

mit öffentlichen E<strong>in</strong>richtungen wirken sich nach Erfahrung von Huber<br />

konfliktfördernd aus. „Da bleiben so <strong>Konflikte</strong> auch länger oder so Vorbehalte, weil es<br />

e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>e Möglichkeit gibt sich kennen zu lernen. Das hängt sehr stark auch mit der<br />

Bauweise zusammen, wie Integration gel<strong>in</strong>gt“, me<strong>in</strong>t sie <strong>und</strong> weist darauf h<strong>in</strong>, dass die<br />

Gestaltung von Wohngegenden sich auf das Zusammenleben auswirke, die von Planern<br />

oft vernachlässigt würden. Es sei „nicht nur wichtig, ob e<strong>in</strong> Haus schön ist, sondern<br />

auch, ob es bestimmte Zwecke erfüllt. Ob es <strong>durch</strong>lässig ist, ob die Räume auch von<br />

Außenstehenden wahr genommen werden können, ob man sich treffen kann.“<br />

Nachbarschaftliches Engagement <strong>durch</strong> Zukunftsorientierung<br />

Eng damit verb<strong>und</strong>en, ob e<strong>in</strong> solches Zusammenleben funktionieren kann, ist nach<br />

Ansicht von Huber die Zukunftsorientierung der Bewohner <strong>und</strong> deren Erwartung an die<br />

58


Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Wohnlage (vgl. auch Çakir 1998, S.7): „Gerade <strong>in</strong> Sozialwohnungssiedlungen, die auch<br />

nicht attraktiv s<strong>in</strong>d, wo die Leute schnellstmöglichst versuchen, wieder um- oder rauszuziehen.<br />

Da setzen sie sich natürlich nicht h<strong>in</strong>, <strong>und</strong> versuchen großartig etwas auf die<br />

Be<strong>in</strong>e zu stellen, wenn sie wissen: ´In e<strong>in</strong>em oder hoffentlich spätestens <strong>in</strong> zwei Jahren<br />

b<strong>in</strong> ich wieder weg´.“ Sie nennt als Beispiel für e<strong>in</strong> engagiertes Zusammenleben neu<br />

entstandene Wohnviertel <strong>in</strong> München Riem: „Das ist so e<strong>in</strong> ganz neuer Stadtteil, da<br />

ziehen die Leute auch mit e<strong>in</strong>er Perspektive h<strong>in</strong>, das s<strong>in</strong>d Familien, die wollen da zehn<br />

bis zwanzig Jahre bleiben. Also da ist e<strong>in</strong> ganz hohes Selbsthilfepotenzial <strong>und</strong> auch so<br />

e<strong>in</strong>e pragmatische Auffassung, dass man sich jetzt mal zusammentun muss. Wenn’s<br />

schon nicht die Stadt, die E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> die Geschäfte h<strong>in</strong>bekommen, dann muss<br />

man eben selber was tun.“<br />

Strukturelle Ursachen<br />

Hohe K<strong>in</strong>derzahl<br />

Strukturelle Ursachen, die mit zur Entstehung von <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten<br />

beitragen, s<strong>in</strong>d unter anderem demographischen Ursprungs. So trägt zum Ärger<br />

über K<strong>in</strong>derlärm wohl auch bei, dass nur <strong>in</strong> knapp 16% aller Haushalte <strong>in</strong> München<br />

K<strong>in</strong>der leben. Dabei s<strong>in</strong>d fast 60% davon Haushalte mit E<strong>in</strong>zelk<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> nur <strong>in</strong> 9%<br />

leben mehr als zwei K<strong>in</strong>der (LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung<br />

2004, S. 22). Wie auch Rudolf Stürzer vom Haus- <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>besitzervere<strong>in</strong> bestätigt: „Je<br />

weniger K<strong>in</strong>der es gibt, desto mehr stoßen sich Bewohner ohne K<strong>in</strong>der daran, weil sie es<br />

nicht gewohnt s<strong>in</strong>d“ (SZ 12. Mai 2004, S. 41).<br />

Die Tatsache, dass ausländische Familien mehr K<strong>in</strong>der haben, führt dazu, dass diese auf<br />

dem freien Markt unter anderem aufgr<strong>und</strong> der Preise für größere Wohnungen, der<br />

niedrigen Akzeptanz für k<strong>in</strong>derreiche Familien <strong>und</strong> der ger<strong>in</strong>geren Anzahl an großen<br />

Wohnungen (vgl. dazu LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 2004, S.<br />

7) schwieriger e<strong>in</strong>e Wohnung f<strong>in</strong>den. Insofern f<strong>in</strong>den sich oft vor allem k<strong>in</strong>derreiche<br />

Migrantenfamilien im Sozialwohnungsbau, was e<strong>in</strong> zusätzliches Konfliktpotenzial darstellt<br />

(vgl. LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 1997, S. 32).<br />

Sukzession <strong>in</strong> Sozialwohnungen<br />

Ebenfalls demographisch bed<strong>in</strong>gt ist oft die schon angesprochene Ballung von Migrantenfamilien,<br />

die <strong>durch</strong> die Nachbesetzung freiwerdender Wohnungen entsteht. „Die erste<br />

Generation ist gestorben oder die Leute haben <strong>ihre</strong> K<strong>in</strong>der großgezogen, e<strong>in</strong>er nach dem<br />

anderen zieht aus.“ Konfliktkonstellationen ergeben sich <strong>in</strong> der Folge oft, <strong>in</strong>dem <strong>in</strong> die<br />

freiwerdenden Wohnungen Migrantenfamilien e<strong>in</strong>ziehen <strong>und</strong> die Alte<strong>in</strong>gesessenen<br />

nachfragen: „´Wir waren mal vierzehn deutsche Parteien hier dr<strong>in</strong>, jetzt haben wir nur<br />

noch vier. Was passiert, wenn der nächste rausstirbt?´“, schildert e<strong>in</strong> Mitarbeiter e<strong>in</strong>er<br />

Wohnbaugesellschaft. „Irgendwann ist dann die angestammte Mieterstruktur verdrängt,<br />

besonders <strong>in</strong> älteren Sozialwohnungsanlagen, die so um 1970 gebaut wurden.“<br />

Schlechte wirtschaftliche Lage<br />

Neben diesen Faktoren, die zur Zunahme von <strong>Konflikte</strong>n beitragen <strong>und</strong> bei manchen zu<br />

Angst vor Überfremdung führen, bestätigt Staiger auch die Thesen Häußermann <strong>und</strong><br />

Siebels (vgl. 2001, S. 90): „Um so schlechter es den Leuten geht f<strong>in</strong>anziell, umso<br />

schneller s<strong>in</strong>d die <strong>Konflikte</strong> da.“ Gerade <strong>in</strong> Zeiten wirtschaftlicher Rezession <strong>und</strong> steigender<br />

Arbeitslosigkeit mag dies bei manchen Personen noch verstärkt dazu führen, <strong>in</strong><br />

Migranten den Sündenbock für Probleme zu suchen.<br />

59


Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Zunahme psychischer Problemfälle<br />

Als weitere Konfliktursache wird auch die Zunahme von konfliktbereiten <strong>und</strong> aggressiven<br />

sowie sozial <strong>und</strong> psychisch auffälligen Mietern gesehen (vgl. Reiß-Schmidt/ Tress 2000,<br />

S. 208). „Die schwierigsten aller unserer Fälle s<strong>in</strong>d eigentlich soziale Auffälligkeiten.<br />

Menschen, die e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>m Leben gescheitert s<strong>in</strong>d, die haben häufig e<strong>in</strong>en deutschen<br />

Pass“ (vgl. Staiger).<br />

5.3.2 Intensität der <strong>Konflikte</strong><br />

Haben <strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong> zugenommen?<br />

Die Experten s<strong>in</strong>d unterschiedlicher Me<strong>in</strong>ung darüber, ob die Häufigkeit von <strong>Konflikte</strong>n <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren zugenommen hat. So me<strong>in</strong>te e<strong>in</strong> Mitarbeiter e<strong>in</strong>er Wohnbaugesellschaft,<br />

die Intensität hätte mit der verstärkten Zuwanderung zugenommen, woraufh<strong>in</strong><br />

die Wohnungswirtschaft <strong>in</strong> den vergangenen fünfzehn Jahren verstärkt mit präventiver<br />

Sozialarbeit <strong>und</strong> Quartiersmanagement begonnen habe. Diese Beobachtung hat auch<br />

Stummvoll gemacht. Er ist jedoch der Me<strong>in</strong>ung, <strong>in</strong> den letzten Jahren hätten die Spannungen<br />

nicht merklich zugenommen <strong>und</strong> betont, dass dies von den jeweiligen gesamtgesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen abh<strong>in</strong>ge.<br />

Wer beschwert sich über wen?<br />

Welche Personenkreise sich über Nachbarschaftskonflikte beschweren, hängt natürlich<br />

von der Zielgruppe e<strong>in</strong>er jeden Stelle ab. Den K<strong>und</strong>enbetreuungen der Wohnbaugesellschaften<br />

fällt auf, dass Deutsche sich <strong>in</strong> der Regel eher beschweren, <strong>in</strong> letzter Zeit sich<br />

jedoch auch zunehmend Migranten an sie wenden <strong>und</strong> über ähnliche Themen wie die<br />

deutschen Mitbewohner, also zum Beispiel Ruhestörung, klagen. Die Leiter<strong>in</strong> der KiK-<br />

Koord<strong>in</strong>ierungsstelle, Soraya Attari, die selbst Iraner<strong>in</strong> ist, erklärt dies mit dem deutschen<br />

Rechtsstaat <strong>und</strong> der Vielzahl von Instanzen, an die Betroffene sich wenden<br />

können. „Im Iran gibt’s das nicht, da ärgert man sich erst <strong>und</strong> schimpft <strong>und</strong> dann f<strong>in</strong>det<br />

man sich damit ab. Hier gibt es weniger Kompromissfähigkeit.“<br />

5.3.3 Auswirkung von <strong>Konflikte</strong>n<br />

Welche Folgen haben <strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftskonflikte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stadt? Nach<br />

Me<strong>in</strong>ung des Sozialarbeiters Staiger haben <strong>Konflikte</strong> ke<strong>in</strong>e besondere Auswirkung auf<br />

das weitere Zusammenleben: „Wohnen hat <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>en ganz anderen Charakter als<br />

vielleicht vor 30 oder 50 Jahren. Ich kenne nur me<strong>in</strong>e unmittelbaren Nachbarn, den über<br />

mir, den neben mir, unter mir vielleicht. <strong>Konflikte</strong> werden gelöst <strong>und</strong> wenn sie gelöst<br />

s<strong>in</strong>d, ist es vorbei. Dann haben sie ke<strong>in</strong>erlei weiteren Kontakt zu diesen Menschen.“<br />

Zunahme von Isolation <strong>und</strong> Ängsten<br />

F<strong>in</strong>det sich aber ke<strong>in</strong>e konstruktive <strong>Lösung</strong> <strong>und</strong> bietet sich den Kontrahenten aus<br />

f<strong>in</strong>anziellen Gründen oder aufgr<strong>und</strong> der Wohnungsmarktlage nicht die Möglichkeit,<br />

wegzuziehen, so ist nach Hubers Aussagen unter anderem zunehmende Isolation e<strong>in</strong>e<br />

Folge von Nachbarschaftskonflikten: „Also es gibt wirklich Fälle, bei denen sich die<br />

beschimpfen <strong>und</strong> dann verhärtet sich das. Und entweder streitet man oder isoliert sich<br />

dann immer mehr. Es f<strong>in</strong>det immer weniger Kommunikation statt. Weil sie halt auch<br />

immer Konflikt beladen ist <strong>und</strong> die Leute wollen immer weniger mite<strong>in</strong>ander zu tun<br />

haben. Die Leute ziehen sich e<strong>in</strong>fach zurück <strong>und</strong> es ist weniger e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>schaftliches<br />

Gestalten oder Zusammenleben. Die Kontakte werden ärmer <strong>und</strong> da<strong>durch</strong> ist auch<br />

60


Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

weniger Hilfe <strong>und</strong> Solidarität da <strong>und</strong> auch ke<strong>in</strong> Netzwerk im Stadtteil. Also diese ganzen<br />

<strong>in</strong>direkten sozialen Kosten, dass kann man so gar nicht messen.“<br />

Auch als bedrohlich empf<strong>und</strong>ene Situationen, wie zum Beispiel die erwähnte Besetzung<br />

von Plätzen <strong>durch</strong> bestimmte Gruppen, wirken sich auf das Verhalten von Personen im<br />

öffentlichen Raum aus.<br />

Ausländerfe<strong>in</strong>dlichkeit <strong>und</strong> Integrationserwartungen<br />

Nachdem von den befragten Experten auch häufig die Problematik von Vorurteilen <strong>und</strong><br />

Ausländerfe<strong>in</strong>dlichkeit angeschnitten wurde, möchte ich im Folgenden explizit darauf<br />

e<strong>in</strong>gehen. Ich erhielt von mehreren Seiten Auskünfte, die teilweise auf eigene Enttäuschungen,<br />

oft aber auch auf e<strong>in</strong>e <strong>durch</strong> den beruflichen Alltag bed<strong>in</strong>gte Erfahrung der<br />

gegenseitigen Frustration im Umgang von deutscher <strong>und</strong> Migrantenbevölkerung h<strong>in</strong>deuteten.<br />

Migranten machen häufig, verstärkt seit dem 11. September 2001, <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er<br />

Form diskrim<strong>in</strong>ierende Erfahrungen <strong>und</strong> führen dies unter anderem auf e<strong>in</strong>e besondere<br />

„Spießigkeit <strong>in</strong> München“ <strong>und</strong> Versäumnisse auf allen politischen Ebenen zurück (vgl.<br />

Gruppenbefragung türkische Tanzgruppe). Im Gegenzug wird Migranten oft vorgeworfen,<br />

<strong>ihre</strong> andere kulturelle Zugehörigkeit zu <strong>in</strong>strumentalisieren <strong>und</strong> sich „nur weil sie<br />

Migranten s<strong>in</strong>d“, benachteiligt zu fühlen. Die Deutschen haben zum e<strong>in</strong>en die Angst, als<br />

ausländerfe<strong>in</strong>dlich zu gelten <strong>und</strong> neigen daher zu unkritischer Schönfärberei oder sie<br />

machen extreme Mutmaßungen wie „die wollen sich gar nicht <strong>in</strong>tegrieren <strong>und</strong> bekommen<br />

alles <strong>in</strong> den Arsch geschoben!“<br />

Oft steht dabei die Angst vor Fremdem oder vor eigener Benachteiligung im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>.<br />

„Ganz viele Menschen fühlen sich [von der zunehmenden Zahl der Migranten]<br />

bedroht <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d verunsichert. Und alles was fremd ist, ist irgendwas was Angst macht<br />

oder Unwohlse<strong>in</strong> hervorruft. Und deshalb bist Du ganz schnell auf der <strong>Konflikte</strong>bene“,<br />

me<strong>in</strong>t Stummvoll <strong>und</strong> bestätigt damit auch die Aussagen von Schäffter (vgl. 1991, S.<br />

14). Maletzke weist darauf h<strong>in</strong>, dass Fremdse<strong>in</strong> immer e<strong>in</strong> wechselseitiges Gefühl sei<br />

(vgl. 1996, S.31).<br />

Von Seiten der Deutschen sche<strong>in</strong>t die Erwartung an die Integrationsleistung der Migranten<br />

sehr hoch zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> im Zusammenleben e<strong>in</strong>e Rücksichtnahme erwartet zu werden,<br />

die viele Migranten unter Druck setzt. So bestätigt Rados: „Auf alles aufpassen zu<br />

müssen, da ist man nicht daran gewöhnt. Und sich so h<strong>und</strong>ertprozentig anzupassen,<br />

was von den E<strong>in</strong>heimischen erwartet wird, das fällt den Leuten oft schwer. Sie passen<br />

sich an, aber man kann sich nicht von heute auf morgen anpassen.“ So s<strong>in</strong>d auch für die<br />

Migranten viele Ängste <strong>und</strong> Probleme vorhanden. Neben der Gefahr, diskrim<strong>in</strong>iert zu<br />

werden, haben auch vor allem ältere Migranten die Sorge, <strong>ihre</strong> Gewohnheiten <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>n<br />

Glauben zu verlieren. Die jüngeren Generationen leiden auch darunter, sich zwischen<br />

den beiden Kulturen zu fühlen <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>er richtig zugehörig zu se<strong>in</strong> (vgl. weiterführend:<br />

Landeshauptstadt München 2002).<br />

<strong>Interkulturelle</strong> Wohnnachbarschaften als Integrationsbereich<br />

Arbeit <strong>und</strong> Bildung werden als die wichtigsten Integrationsbereiche von Migranten<br />

gesehen. Hansen betont jedoch, dass gerade für e<strong>in</strong>kommensschwache Haushalte die<br />

Wohnung immer mehr zum Lebensort wird 53 . Im Allgeme<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> München vor allem<br />

Haushalte mit K<strong>in</strong>dern -unter anderem wegen der B<strong>in</strong>dung an bestimmte Betreuungse<strong>in</strong>richtungen-<br />

<strong>und</strong> Migrantenhaushalte „deutlich stadtteilgeb<strong>und</strong>ener“ (LH München,<br />

53<br />

Vortrag auf der Fachtagung „<strong>Interkulturelle</strong> Verständigung - Leben <strong>und</strong> Wohnen <strong>in</strong> München“ am 18.<br />

Oktober 2004; vgl. auch Friedrichs/ Blasius 2000, S. 194.<br />

61


Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 2002, S. 21). Unter den <strong>in</strong> der Studie zur<br />

Lebenssituation von Migranten befragten Haushalten lebten fast fünfzig Prozent seit elf<br />

oder mehr Jahren <strong>in</strong> der selben Wohnung, e<strong>in</strong> weiteres Fünftel seit sechs bis 10 Jahren<br />

(vgl. LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 1997, S. 74).<br />

Demzufolge kommt dem Wohnort bei der Schaffung von Integration e<strong>in</strong>e besondere<br />

Bedeutung zu (vgl. Schader Stiftung 2003, S.7). In München kommen Migranten vor<br />

allem <strong>in</strong> der Arbeit (49,7%), aber auch im privaten Bereich (48,4%), sehr häufig bis<br />

manchmal <strong>in</strong> Kontakt mit Deutschen. In der Nachbarschaft hatten 34,4% der befragten<br />

Migranten sehr häufig, häufig oder manchmal Kontakte zu den Nachbarn <strong>und</strong> bewerteten<br />

diese mit 11,4% als „fre<strong>und</strong>schaftlich“ <strong>und</strong> mit 30,4% als „gut nachbarschaftlich“<br />

(LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 1997, S. 191f).<br />

Solche nachbarschaftlichen Kontakte werden von 64% der Befragten der Münchner<br />

Bürgerbefragung 2000 als wichtig oder sehr wichtig angesehen. Dabei zeigte sich auch,<br />

dass ausländische Haushalte solche Kontakte höher bewerten als deutsche (76%<br />

gegenüber 63%). Neben Haushalten mit K<strong>in</strong>dern wissen auch Frauen eher als Männer,<br />

Ältere eher als Jüngere <strong>und</strong> Befragte mit Hauptschulabschluss eher als Akademiker die<br />

Vorteile nachbarschaftlicher Kontakte zu schätzen. Ergebnisse der Münchner Bürgerbefragung<br />

zeigen jedoch auch, dass die Intensität der nachbarschaftlichen Beziehungen<br />

mit s<strong>in</strong>kender Zufriedenheit mit der Zusammensetzung der Bewohner im Viertel abnimmt<br />

(vgl. LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 2002, S. 26).<br />

Stigmatisierung von Stadtvierteln<br />

In e<strong>in</strong>igen Vierteln, so stellt der Mitarbeiter e<strong>in</strong>er städtischen Wohnbaugesellschaft fest,<br />

gibt es wahrnehmbare Tendenzen zur Segregation. Die Deutschen würden wegziehen,<br />

sofern es die Wohnungssituation zuließe, <strong>und</strong> von e<strong>in</strong>er guten sozialen Mischung könnte<br />

nicht mehr gesprochen werden. Der Migrantenanteil sei zu hoch <strong>und</strong> es sei e<strong>in</strong> Ziel,<br />

diesen auf etwa 25% zu senken. E<strong>in</strong>e erfolgreiche Mischung von Sozial- <strong>und</strong> Eigentumswohnungen<br />

ist aufgr<strong>und</strong> negativer Stigmatisierungen oft schwer zu erreichen. Zum<br />

Beispiel gab es, wie Huber erzählt, <strong>in</strong> der Messestadt Riem zunächst Probleme, die<br />

Eigentumswohnungen zu verkaufen, da die Sozialwohnungen zuerst fertiggestellt <strong>und</strong><br />

bezogen wurden <strong>und</strong> „schon e<strong>in</strong> gewisser Ruf entstanden war“. Auch bei den städtischen<br />

Wohnbaugesellschaften ist dieses Problem bekannt: „Es gibt auch Stadtteile, wo<br />

Bewerber sagen, sie wollen da nicht h<strong>in</strong>. Obwohl sie noch nie da gewesen s<strong>in</strong>d. Klassisches<br />

Beispiel ist immer noch Hasenbergl. Oder die Nordheide oder Neuperlach. Es gibt<br />

Leute, die waren noch nie im Leben im Hasenbergl <strong>und</strong> sagen: ´Da will ich nicht h<strong>in</strong>, da<br />

s<strong>in</strong>d lauter Wilde.´ Das stimmt nicht, die Krim<strong>in</strong>alitätsrate ist da ger<strong>in</strong>ger als <strong>in</strong> München“<br />

(vgl. Interview 1) 54 .<br />

Derartige Zuschreibungen übertragen sich auch auf die Bewohner solcher Viertel, so<br />

dass diese unter anderem Probleme bei der Arbeitssuche haben. Bürkner et al. kritisieren<br />

<strong>in</strong> diesem Zusammenhang, dass die „soziale Problemüberbürdung von Unterschichtwohnquartieren<br />

(...) nicht mehr ausreichend auf <strong>ihre</strong> ökonomischen (Wohnungsmarkt-<br />

54<br />

Im November/ Dezember 2004 läuft <strong>in</strong> den Münchner Kammerspielen das Projekt „Bunnyhill“, das als e<strong>in</strong><br />

Versuch gesehen werden kann, Stigmatisierungen aufzubrechen. Zahlreiche Aktionen, wie das Theaterstück<br />

„E<strong>in</strong> Junge der nicht Mehmet heißt“, werden <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit Akteuren aus dem Hasenbergl<br />

angeboten, um „das Verhältnis von Zentrum <strong>und</strong> Peripherie [zu] untersuchen <strong>und</strong> dabei Begegnungen [zu]<br />

schaffen, die München gut tun.“ (vgl. Münchener Kammerspiele, 2004. Onl<strong>in</strong>e im Internet:<br />

http://www.muenchner-kammerspiele.de/<strong>in</strong>dex2.php?&URL=ex_bunnyhill.php?%A7 )<br />

62


Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

mechanismen, Arbeitsmarktlage) <strong>und</strong> politischen Ursachen (staatliche <strong>und</strong> lokale Migrationspolitik)<br />

h<strong>in</strong> analysiert [würde]“ (1999, S. 26). Soziales würde tendenziell zur Privatsache<br />

erklärt, während Kulturelles bzw. Ethnisches e<strong>in</strong>e „öffentliche Angelegenheit“ sei<br />

(vgl. ebenda).<br />

Pott weist darauf h<strong>in</strong>, dass das Augenmerk stärker auf die Aufstiegsprozesse von<br />

Migranten gerichtet werden sollte <strong>und</strong> f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Untersuchung heraus, dass<br />

Aufsteiger der zweiten <strong>und</strong> dritten Generation oft auch aus als Problemviertel gehandelten<br />

Gegenden kommen (vgl. 2004, S. 43f).<br />

Segregation – gut oder schlecht?<br />

Segregation ist e<strong>in</strong> wichtiges Thema <strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> Öffentlichkeit <strong>und</strong> auch <strong>in</strong> der stadtbezogenen<br />

Forschung von Geographie <strong>und</strong> Soziologie. In München stellt sie unter<br />

anderem im Bezug auf die Integration von Migranten e<strong>in</strong> heiß diskutiertes Thema der<br />

Stadt- <strong>und</strong> Sozialplanung dar, wie unter anderem bei der Fachtagung „<strong>Interkulturelle</strong><br />

Verständigung - Leben <strong>und</strong> Wohnen <strong>in</strong> München“ am 11. Oktober 2004 deutlich wurde.<br />

Durch abnehmenden Sozialwohnungsbau <strong>und</strong> Belegrechte des Wohnungsamts, zunehmende<br />

Entspannung auf dem Wohnungsmarkt <strong>und</strong> anhaltende Zuwanderung wird sich<br />

nach Ansicht von Göschel 55 früher oder später von selbst Segregation e<strong>in</strong>stellen. Schreyer<br />

vom Amt für Wohnen <strong>und</strong> Migration wehrt sich jedoch dagegen, den Versuch e<strong>in</strong>er<br />

Steuerung frühzeitig aufzugeben <strong>und</strong> fragt provokant: „Welches Viertel soll denn zu<br />

Ch<strong>in</strong>atown werden?“<br />

Trotz kontroverser Diskussionen um den Erwünschtheitsgrad <strong>und</strong> die Wirksamkeit<br />

möglicher Maßnahmen sche<strong>in</strong>en im Gr<strong>und</strong>e jedoch die Aussagen Häußermann <strong>und</strong><br />

Siebels bestätigt zu werden (vgl. 2001 a, S.77). Es ist unbestreitbar, dass e<strong>in</strong>e erzwungene<br />

Integration aus verschiedenen Gründen abzulehnen ist <strong>und</strong> nicht funktionieren<br />

kann. Der Versuch, Segregation über Zuzugssperren <strong>und</strong> direkte Zuweisung zu steuern,<br />

ruft die Ablehnung <strong>und</strong> das Unverständnis der Migranten hervor. E<strong>in</strong>e vorschnelle<br />

Verdammung von Segregation ist nicht als s<strong>in</strong>nvoll anzusehen, da freiwillige Clusterung<br />

„zum Heimatbewusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Fremde, zur Entwicklung stabiler Bezugsgruppen <strong>und</strong><br />

auch zur Entfaltung kreativer <strong>und</strong> wirtschaftlich erfolgreicher Milieus“ beitragen könne<br />

(Reiß-Schmidt/ Tress, 2000, S. 211). Unfreiwilliger residentieller Segregation gilt es<br />

jedoch entgegenzuwirken <strong>und</strong> „nicht nur den Abstieg auszupolstern, sondern den<br />

Aufstieg zu ermöglichen <strong>und</strong> Aufsteiger <strong>in</strong> den Quartieren zu halten“ (John).<br />

E<strong>in</strong>schätzungen der zukünftigen Entwicklung<br />

Der Mitarbeiter e<strong>in</strong>er Wohnbaugesellschaft hofft, dass sich <strong>in</strong> Zukunft das Zusammenleben<br />

verbessern wird. „Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Umbruchzeit. In zwanzig Jahren hat sich das<br />

ganze Niveau abgemildert, dann ist es nicht mehr so fremd mit Leuten, die vielleicht<br />

e<strong>in</strong>e andere Herkunft oder e<strong>in</strong>e andere Hautfarbe haben. Dann weiß man: „Aha, der<br />

kommt zwar von dort <strong>und</strong> dort, aber der ist <strong>in</strong> Ordnung, der tut mir nichts böses.“<br />

Stummvoll betont, dass dies e<strong>in</strong> Denk- <strong>und</strong> Orientierungsprozess der Gesellschaft sei,<br />

„der <strong>in</strong> den Köpfen der Menschen noch nicht verankert ist <strong>und</strong> wo sich noch wahns<strong>in</strong>nig<br />

viel tun“ müsse (vgl. u.a. Bade 1995, S. 13).<br />

55<br />

Im Folgenden zitierte Aussagen von Göschel, Schreyer <strong>und</strong> John stammen aus deren Vorträgen oder<br />

Diskussionsbeiträgen auf der Fachtagung „<strong>Interkulturelle</strong> Verständigung - Leben <strong>und</strong> Wohnen <strong>in</strong> München“<br />

am 11. Oktober 2004.<br />

63


Münchner <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Fazit <strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Durch diese Darstellung sollte e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die von Experten <strong>in</strong> München wahrgenommenen<br />

<strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikte, <strong>ihre</strong> Ursachen <strong>und</strong> möglichen Auswirkungen<br />

gegeben werden. Es zeigt sich, dass unterschiedliche Lebensgewohnheiten, die<br />

zum Teil auch mit e<strong>in</strong>em anderen kulturellen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>in</strong> Zusammenhang stehen, oft<br />

zu <strong>Konflikte</strong>n führen. Diese werden <strong>durch</strong> räumliche Nähe <strong>und</strong> bauliche Gegebenheiten<br />

verstärkt bzw. gerade am Wohnort als besonders störend empf<strong>und</strong>en, da dieser e<strong>in</strong>e<br />

Rückzugsfunktion erfüllt (vgl. Häußermann/ Siebel 2001, S.76; Mediations<strong>in</strong>stitut<br />

Nachbarschaft <strong>in</strong>takt 2004). Strukturelle Ursachen führen zusätzlich dazu, dass gerade<br />

Migranten <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> wohnen, <strong>in</strong> denen ökonomische <strong>und</strong> soziale Probleme zu<br />

<strong>Konflikte</strong>n führen, welche sich mitunter an kulturellen Unterschieden entzünden.<br />

Dabei ergaben die Expertenaussagen ke<strong>in</strong> wirklich überraschendes Bild der kulturell<br />

bed<strong>in</strong>gten Unterschiede. Interessanterweise bestätigten die Erfahrungen aus der Praxis<br />

vielmehr die klassische Vorstellung des südländischen Migranten, der sich mit vielen<br />

Bekannten <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dern bis spät abends im Garten aufhält.<br />

Diese Arbeit fokussiert auf <strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong> unter dem Aspekt von Ethnien <strong>und</strong><br />

Nationalitäten, <strong>in</strong> den Expertenbefragungen deutete sich jedoch auch an, dass „Kultur“<br />

nicht nur zwischen Ethnien variiert, sondern gerade auch zwischen unterschiedlichen<br />

Generationen, Bildungsniveaus <strong>und</strong> sozialen Schichten <strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong> auftreten<br />

(vgl. Nicklas 1991, S.130).<br />

64


5.4 Konfliktlösungsstrategien<br />

Konfliktlösungsstrategien<br />

Austragungsformen von <strong>Konflikte</strong>n<br />

<strong>Interkulturelle</strong> Nachbarschaftskonflikte werden auf die unterschiedlichsten Weisen<br />

ausgetragen, wobei dies nicht unbed<strong>in</strong>gt zu e<strong>in</strong>er <strong>Lösung</strong> führen muss.<br />

In der folgenden Aufzählung werden zunächst die <strong>in</strong> den Experten<strong>in</strong>terviews genannten<br />

Möglichkeiten dargestellt 56 , die sich Nachbarn zunächst bieten, ohne externe Hilfe<br />

e<strong>in</strong>zuschalten (vgl. auch Montada/ Kals, 2001, S.11).<br />

Aktive <strong>und</strong> passive Umgangsweisen mit <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten:<br />

Klärendes Gespräch<br />

Wortwechsel, Streit<br />

Handgreiflichkeiten, physische Gewalt<br />

Mobb<strong>in</strong>g 57<br />

Abbruch der Kommunikation/ des Kontakts<br />

5.4.1 Interventionsmöglichkeiten<br />

In München bieten sich verschiedenste Möglichkeiten, <strong>durch</strong> externe Angebote <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten<br />

zu f<strong>in</strong>den. Dies kann <strong>in</strong> Form von Beschwerden oder Anzeigen bei<br />

den <strong>in</strong> der Übersicht dargestellten E<strong>in</strong>richtungen erfolgen oder <strong>in</strong>dem sich Betroffene um<br />

Rat an die entsprechenden Stellen wenden.<br />

B<strong>und</strong> –Länder Programm<br />

Soziale Stadt<br />

Quartiersbezogene<br />

Bewohnerarbeit<br />

Wohnbaugesellschaften<br />

Hausverwaltung<br />

Institut für<br />

Sozialpädagogische<br />

Arbeit I.S.AR.<br />

Mieterläden<br />

Wohnforum<br />

<strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>terkulturellen<br />

<strong>Nachbarschaften</strong><br />

Konfliktmanagement<br />

im <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Kontext KiK<br />

Polizei<br />

Gericht<br />

Bezirksausschuss<br />

Bürgerversammlung<br />

Ausländerbeirat<br />

Schlichtungsstelle<br />

Kreisverwaltungsreferat<br />

Beschwerdestelle<br />

für Diskrim<strong>in</strong>ierungsfälle<br />

Abb. 16: Institutionen zur Bearbeitung <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte 58<br />

56<br />

Dabei wird jedoch nicht speziell darauf e<strong>in</strong>gegangen, <strong>in</strong>wieweit bestimmte der genannten Austragungsformen<br />

oder Konfliktlösungsweisen kulturell geprägt s<strong>in</strong>d.<br />

57<br />

Rados: “Durch Briefe, die <strong>in</strong> den Briefkasten re<strong>in</strong>geworfen werden oder <strong>durch</strong> Parolen an der E<strong>in</strong>gangstür<br />

oder <strong>durch</strong> Bemerkungen beim Vorbeigehen oder so.“<br />

58<br />

Aufstellung erhebt ke<strong>in</strong>en Anspruch auf Vollständigkeit; es gibt viele Institutionen, die Konfliktschlichtung<br />

<strong>in</strong> anderen Bereichen anbieten, wie zum Beispiel „Die Brücke München“ (vgl. Brücke München, 2003) für<br />

Jugendliche <strong>und</strong> Täter-Opfer-Ausgleich oder der „Verband b<strong>in</strong>ationaler Familien <strong>und</strong> Partnerschaften“ (iaf<br />

e.V.) für <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> b<strong>in</strong>ationalen Ehen.<br />

65


Konfliktlösungsstrategien<br />

Vom schiedsrichterlichen E<strong>in</strong>griff bis zur Mediation<br />

Die <strong>in</strong> der Abbildung dargestellten Institutionen beschäftigen sich auf den unterschiedlichsten<br />

Ebenen mit <strong>Konflikte</strong>n. E<strong>in</strong>ige s<strong>in</strong>d verstärkt im Bereich Prävention tätig (Wohnforum,<br />

Mieterläden 59 ) oder s<strong>in</strong>d politische Gremien, an die sich Bürger mit Beschwerden<br />

wenden (Bezirksausschuss, Ausländerbeirat).<br />

Die Vorgehensweise der übrigen Institutionen soll im Folgenden kurz vorgestellt werden.<br />

Die angewandten Methoden s<strong>in</strong>d von Stelle zu Stelle vollkommen verschieden <strong>und</strong><br />

variieren <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>r Zielsetzung <strong>und</strong> dem Grad, <strong>in</strong>dem die Konfliktparteien an der <strong>Lösung</strong>sf<strong>in</strong>dung<br />

beteiligt s<strong>in</strong>d bzw. diese <strong>durch</strong> die jeweilige dritte Partei forciert werden kann.<br />

E<strong>in</strong>e Mediationsausbildung haben nur wenige Beschäftigte.<br />

Die Polizei sieht neben dem E<strong>in</strong>griff im Konfliktfall <strong>ihre</strong> Aufgabe eher im Bereich der<br />

Prävention von <strong>Konflikte</strong>n als <strong>in</strong> der Konfliktlösung. Mediation werde im E<strong>in</strong>satz nicht<br />

angewandt, da Polizisten Vollzugsbeamte s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> dies nicht <strong>ihre</strong>m Auftrag entspreche,<br />

me<strong>in</strong>t der Leiter e<strong>in</strong>es Münchener Kommissariats 60 .<br />

Die übrigen Akteure wenden <strong>in</strong> gewissem Maß mediative Techniken an <strong>und</strong> versuchen,<br />

e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>vernehmliche <strong>Lösung</strong> zwischen den Parteien zu erreichen. Dies ist zum Beispiel<br />

das Institut für Sozialpädagogische Arbeit oder die Beschwerdestelle für Diskrim<strong>in</strong>ierungsfälle,<br />

die auch auf die Freiwilligkeit der Teilnahme der Gegenpartei setzen.<br />

Die Arbeit der Schlichtungsstelle des Kreisverwaltungsreferats ist eher im Bereich des<br />

schiedsrichterlichen E<strong>in</strong>griffs anzusiedeln, da die Teilnahme <strong>in</strong> gewisser Weise e<strong>in</strong>e<br />

Pflicht darstellt, möchte man den Weg vor Gericht vermeiden 61 . Nach Angaben von<br />

Herrn Albert wird hierbei jedoch versucht, e<strong>in</strong> Verständnis der Parteien für die Situation<br />

der anderen zu erreichen <strong>und</strong> <strong>Lösung</strong>svorschläge der Parteien s<strong>in</strong>d ausdrücklich erwünscht.<br />

Für die Sozialarbeiter der Wohnbaugesellschaften bietet sich neben dem klärenden<br />

Gespräch mit den Konfliktbeteiligten auch die Möglichkeiten, <strong>durch</strong> die Androhung e<strong>in</strong>er<br />

Räumung Druck auszuüben oder den Konflikt <strong>durch</strong> die Umsetzung e<strong>in</strong>er Partei aus der<br />

Welt zu schaffen. Staiger kommt zu dem Schluss, dass es <strong>in</strong> manchen chronischen<br />

Nachbarschaftsstreitigkeiten auch e<strong>in</strong>fach darum gehe, den Konflikt auszuhalten <strong>und</strong><br />

abzuwarten, wenn die Parteien auf gar ke<strong>in</strong> <strong>Lösung</strong>sangebot e<strong>in</strong>gehen (vgl. auch Geißler<br />

2000, S. 41).<br />

Im Rahmen der Quartiersbezogenen Bewohnerarbeit oder des Programms Soziale Stadt<br />

steht aufgr<strong>und</strong> der übergeordneten Stadtteilorientierung neben der Vermittlung <strong>in</strong><br />

<strong>Konflikte</strong>n zwischen e<strong>in</strong>zelnen Personen vor allem das Anregen e<strong>in</strong>es Dialogs <strong>in</strong> größeren<br />

Gruppen, d.h. Hausgeme<strong>in</strong>schaften, Wohnblöcken, Stadtteilen im Mittelpunkt.<br />

Das Projekt KiK bietet als e<strong>in</strong>ziges schwerpunktmäßig Mediation als Konfliktlösungsweg<br />

an. Weitere E<strong>in</strong>zelheiten werden im Abschnitt 5.4.2 dargestellt.<br />

59<br />

Hafner nennt als Aufgaben von Mieterläden „geme<strong>in</strong>wesenbezogene BewohnerInnenarbeit, d.h. Arbeit mit<br />

BewohnerInnen, Vernetzungs- <strong>und</strong> Stadtteilarbeit <strong>und</strong> Beschäftigung <strong>und</strong> Qualifizierung“. 10,3 % der von<br />

Mietern herangetragenen Themen s<strong>in</strong>d Nachbarschaftskonflikte (vgl. 2004, S. 138).<br />

60<br />

Aussage bei e<strong>in</strong>er Vorstellung des KiK Projekts mit Soraya Attari.<br />

61<br />

Diese Stelle ist als Sühnestelle für Verfahren <strong>in</strong> der Vorstufe zur strafprozessualen Privatklage zuständig<br />

(nach § 380 StPO i.V.m. der Verordnung über die Durchführung des Sühneversuches <strong>in</strong> Bayern). Es werden<br />

Vergehen wie Hausfriedensbruch ( § 123 StGB ), üble Nachrede ( § 186 StGB ), Verletzung des Briefgeheimnisses<br />

( § 202 StGB ) oder Sachbeschädigung ( § 303 StGB ) behandelt. Außerdem ist sie für die<br />

Durchführung von Güteverfahren, die vor Erhebung e<strong>in</strong>er Zivilklage z.B. <strong>in</strong> nachbarrechtlichen Streitigkeiten<br />

bis zu e<strong>in</strong>em Streitwert von 5.000,00 Euro ( Art. 1 Nr. 2 BaySchlG ) stattf<strong>in</strong>den, zuständig (vgl. Albert).<br />

66


Konfliktlösungsstrategien<br />

Akzeptanz von Konfliktregelungsmechanismen bei Migranten<br />

Die Wohnbaugesellschaften s<strong>in</strong>d mit dem E<strong>in</strong>satz von Sozialpädagogen sehr zufrieden,<br />

stellen e<strong>in</strong>e hohe Erfolgsquote fest <strong>und</strong> führen das darauf zurück, dass die Mieter sich<br />

mit <strong>ihre</strong>n Problemen ernst genommen fühlen. Rados me<strong>in</strong>t im Bezug auf des Rechtssystem<br />

<strong>und</strong> die Polizei, Migranten wären <strong>in</strong> der Regel zufrieden. Er betont jedoch, dass bei<br />

Klagen über rassistische Aussagen das Unverständnis <strong>und</strong> die Enttäuschung über e<strong>in</strong>e<br />

Abweisung der Klage oft groß seien.<br />

Um wirklich zuverlässige Aussagen über die Akzeptanz der verschiedenen Konfliktregelungsmechanismen<br />

bei Migranten zu machen, reichen die Aussagen der Experten jedoch<br />

nicht aus, es müsste e<strong>in</strong>e umfassendere Evaluation <strong>durch</strong>geführt werden. E<strong>in</strong> Sozialarbeiter<br />

der GWG weist jedoch darauf h<strong>in</strong>, dass die Hemmschwelle, sich an Konfliktschlichter<br />

<strong>und</strong> Mediatoren zu wenden, oft hoch ist, da Migranten bereits vertraute Personen<br />

vorziehen.<br />

Staiger betont die Wichtigkeit von Kultur <strong>in</strong> der Konfliktbearbeitung <strong>und</strong> die Bedeutung<br />

e<strong>in</strong>es Konfliktlösungsprozesses, der „den Menschen signalisiert man nimmt sich dem<br />

Problem an, man sucht e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong> <strong>und</strong> lässt sie nicht im Regen stehen, bzw. versucht<br />

es nicht von oben herab zu dirigieren. (...) Alle Beteiligten können am Prozess teilhaben,<br />

s<strong>in</strong>d also Teil des Ganzen <strong>und</strong> nicht irgende<strong>in</strong>e fremde Institution bestimmt über sie.“<br />

Prävention <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

Die Wichtigkeit präventiver Maßnahmen wird von den Experten immer wieder angesprochen.<br />

Es wird im Gr<strong>und</strong>e von dem Gedanken ausgegangen, dass e<strong>in</strong>e bessere Integration<br />

der Migranten zur Verr<strong>in</strong>gerung von <strong>Konflikte</strong>n führe. E<strong>in</strong>ige der oben erwähnten<br />

Institutionen wie die Mieterläden oder die Quartiersbezogene Bewohnerarbeit legen<br />

Wert darauf, Orte der freiwilligen Begegnung zu schaffen <strong>und</strong> so zum Abbau von<br />

Vorurteilen <strong>und</strong> der Schaffung e<strong>in</strong>es engagierten Zusammenlebens beizutragen 62 (Huber;<br />

Interview 2; 3).<br />

Viele Projekte, die von den städtischen Referaten oder den zahlreichen Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong><br />

Initiativen angeboten werden, haben <strong>ihre</strong>n Schwerpunkt auf präventive Maßnahmen<br />

gelegt <strong>und</strong> setzen sich zum Ziel, Integration <strong>in</strong> unterschiedlichsten Bereichen zu fördern.<br />

Neben der Sprachförderung <strong>und</strong> der Weiterbildung wird auch der fachliche oder kulturell-folkloristische<br />

Austausch gefördert (InitiativGruppe - <strong>Interkulturelle</strong> Begegnung <strong>und</strong><br />

Bildung e.V.“ (IG), AKA - Aktiv für <strong>in</strong>terKulturellen Austausch e.V., etc.).<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus darf jedoch auch die Verbesserung struktureller Bed<strong>in</strong>gungen, wie der<br />

Förderung <strong>in</strong> sprachlicher <strong>und</strong> <strong>in</strong>terkultureller H<strong>in</strong>sicht besser auf zunehmende Migrantenzahlen<br />

e<strong>in</strong>gestellter K<strong>in</strong>dergärten, Schulen, Krankenhäuser, Altenheime etc. nicht<br />

vernachlässigt werden.<br />

Auf Bewertungen des Erfolge präventiver Maßnahmen soll hier nicht näher e<strong>in</strong>gegangen<br />

werden. In diesem Zusammenhang sei jedoch an die Überlegungen zur Kontakthypothese<br />

er<strong>in</strong>nert: das bloße Zusammentreffen von Kulturen erzeugt noch ke<strong>in</strong> gegenseitiges<br />

Verständnis. Wichtig ist auch die Schaffung gegenseitigen Verständnisses, so dass<br />

präventive Projekte mit entsprechender <strong>in</strong>terkultureller Qualifikation <strong>durch</strong>geführt<br />

werden sollten. Dabei bestätigen sich <strong>in</strong> der Praxis Dangschats Thesen, dass der Abbau<br />

62<br />

unter anderem <strong>in</strong> diesem Zusammenhang forscht auch das Praxisnetzwerk „Sozialräumliche Integration<br />

von Zuwanderern“, bestehend aus Schader-Stiftung, B<strong>und</strong>esverband deutscher Wohnungsunternehmen,<br />

Deutscher Städtetag, Deutsches Institut für Urbanistik, Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft,<br />

Stadt- <strong>und</strong> Regionalentwicklung. München ist mit e<strong>in</strong>em Projektgebiet <strong>in</strong> Moosach beteiligt.<br />

67


Konfliktlösungsstrategien<br />

von Vorurteilen nicht notwendigerweise Verhaltensänderungen nach sich ziehen muss,<br />

bzw. sich E<strong>in</strong>stellungsänderungen aufgr<strong>und</strong> persönlicher sozialer Kontakte auch nur auf<br />

spezifische Situationen beschränken können (vgl. 1998, S. 46; Huber).<br />

Integration <strong>durch</strong> Gestaltung des Wohnumfelds<br />

Im Bereich Wohnen bietet sich e<strong>in</strong>e Vielzahl weiterer Möglichkeiten, das Zusammenleben<br />

von Deutschen <strong>und</strong> Migranten zu verbessern. Hansen kritisiert <strong>in</strong> diesem Zusammenhang,<br />

dass es <strong>in</strong> Wohnanlagen vielfach immer noch vernachlässigt werde, Migranten<br />

mit mangelnden Deutschkenntnissen e<strong>in</strong>e sprachliche Unterstützung für die Wohnregeln<br />

zu geben. Neben solchen organisatorischen Verbesserungen weist John darauf h<strong>in</strong>,<br />

Integration <strong>durch</strong> die entsprechende Gestaltung der Wohnumfelds zu schaffen. So<br />

fördere die Differenzierung <strong>in</strong> private, halböffentliche <strong>und</strong> öffentliche Räume die Integration.<br />

Auch Eigentumsbildung <strong>und</strong> Teilhabe an Entscheidungs- <strong>und</strong> Gestaltungsprozessen<br />

steigere die Identifikation mit dem Wohnort <strong>und</strong> da<strong>durch</strong> langfristig das Engagement im<br />

nachbarschaftlichen Zusammenleben 63 . H<strong>in</strong>sichtlich der Möglichkeiten, <strong>in</strong>terkulturelle<br />

<strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> besser zu lösen, empfiehlt John die Weiterbildung von<br />

Mitarbeitern der Wohnungswirtschaft <strong>und</strong> den E<strong>in</strong>satz von Konfliktmediation.<br />

5.4.2 Modellprojekt „Konfliktmanagement im <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Kontext“ (KiK)<br />

Seit Jahren werden die Migrationssozialberatung der Arbeiterwohlfahrt wie auch die<br />

Regeldienste der Kommune, <strong>in</strong>sbesondere der Allgeme<strong>in</strong>e Sozialdienst der Stadt München,<br />

immer wieder mit <strong>Konflikte</strong>n konfrontiert, <strong>in</strong> denen die unterschiedliche ethnische<br />

Herkunft der Beteiligten e<strong>in</strong>e Rolle spielt. Solche Konfliktfälle können häufig nur unzureichend<br />

bearbeitet werden, da die Zuständigkeit nicht geklärt ist oder es an Kenntnissen<br />

wie z.B. über andere kulturelle H<strong>in</strong>tergründe, über Konfliktvermittlungsverfahren etc.<br />

mangelt (vgl. Beratungsdienste der Arbeiterwohlfahrt 2003, S. 3).<br />

Nach mehrjähriger Vorbereitungszeit begann Anfang 2003 das KiK Projekt, bei dem bis<br />

Oktober 2004 17 Mitarbeiter von öffentlichen Trägern, Migrationsdiensten der Wohlfahrtsverbände,<br />

Initiativgruppen <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>en berufsbegleitend zu <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Mediatoren ausgebildet wurden. Die Ausbildung wurde vom Mediator Kurt Faller <strong>durch</strong>geführt,<br />

der e<strong>in</strong>en Schwerpunkt auf systemische Konfliktbearbeitung legte, <strong>und</strong> ist mit<br />

200 Ausbildungsst<strong>und</strong>en vergleichsweise umfassend. Während der Ausbildungsphase<br />

wurden von den Mediatoren bereits Fälle bearbeitet <strong>und</strong> bei den Modulen, Covisionen<br />

<strong>und</strong> Supervisionen besprochen.<br />

Die Teilnehmer entstammen den verschiedensten kulturellen H<strong>in</strong>tergründen <strong>und</strong> die<br />

Konfliktvermittlung kann <strong>in</strong> dreizehn Sprachen angeboten werden. Die Bearbeitung der<br />

<strong>Konflikte</strong> erfolgt <strong>in</strong> Tandems, die meist aus zwei Mediatoren unterschiedlicher ethnischkultureller<br />

Herkunft bestehen.<br />

63<br />

Migranten haben teilweise aus kulturellen oder religiösen Gründen andere Wünsche <strong>und</strong> Ansprüche an<br />

e<strong>in</strong>e Wohnung bzw. deren Umgebung. Neben verstärkten Möglichkeiten, sich im Freien aufzuhalten (Bänke,<br />

Plätze, Garten), gehört dazu <strong>in</strong> der Wohnung zum Beispiel die Vermeidung der Toilettenstellung Richtung<br />

Mekka, die Trennung von WC <strong>und</strong> Waschbecken (wg. religiöser Gebetswaschungen), verbesserte Nichte<strong>in</strong>sehbarkeit<br />

der Zimmer <strong>und</strong> - wegen der Trennung bei Besuchern nach Geschlecht - große Küchen <strong>und</strong><br />

abtrennbare, kle<strong>in</strong>ere Wohnzimmer u.a.m.. vgl. Stadtteilarbeit Hannover 2004. Onl<strong>in</strong>e im Internet:<br />

http://www.stadtteilarbeit.de/Seiten/Projekte/hannover/habitat.htm ; Projekte der Schader Stiftung 2004.<br />

Onl<strong>in</strong>e im Internet: http://www.schader-stiftung.de/wohn_wandel/474.php; Qualitative Untersuchung der<br />

Wohnbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> –ansprüche von Migranten. In: LH München, Sozialreferat 2003, S. 30-33).<br />

68


Projektübersicht<br />

Polizei Ausländerbeirat<br />

Verwaltung<br />

Politische Gremien<br />

Wissenschaft<br />

Implementierung <strong>in</strong><br />

die Arbeitsfelder<br />

Anlauf- <strong>und</strong><br />

Koord<strong>in</strong>ationsstelle<br />

Begleitende Projektgruppe<br />

/Beirat<br />

Ausbildungsprojekt<br />

Mediation<br />

Wohlfahrtsverbände<br />

Sozialreferat<br />

Bearbeitung der<br />

<strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> Tandems<br />

MitarbeiterInnen aus Regeldiensten, Vere<strong>in</strong>en, Migrationsdiensten<br />

Beratungsdienste der<br />

Arbeiterwohlfahrt gGmbH München<br />

Abb. 17: Das KiK Projekt – Übersicht<br />

Quelle: Beratungsdienste der Arbeiterwohlfahrt 2003, S.5<br />

Konfliktlösungsstrategien<br />

Neben Nachbarschaftskonflikten werden auch <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> den Bereichen Schule <strong>und</strong><br />

Familie, K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Jugendarbeit, Ges<strong>und</strong>heitsbereich, Betrieb <strong>und</strong> Ausbildung bearbeitet.<br />

In der folgenden Übersicht s<strong>in</strong>d nur die bisher gemeldeten Nachbarschaftsfälle<br />

aufgelistet.<br />

Tab. 3: Bisher bei KiK gemeldete Nachbarschaftskonflikte<br />

Konflikt Beteiligte Kulturen Wohnform Status der Mediation<br />

Streitereien,<br />

Bedrohung <strong>durch</strong><br />

H<strong>und</strong><br />

Lärm, Streit<br />

zwischen<br />

K<strong>in</strong>dern, Schlägereien<br />

Lärm <strong>durch</strong> Musik<br />

Lärm<br />

Diverse <strong>Konflikte</strong><br />

Zugang zum<br />

Spielplatz für<br />

K<strong>in</strong>der, Hausordnung<br />

Lärm <strong>durch</strong><br />

K<strong>in</strong>der<br />

Lärm <strong>und</strong><br />

Beleidigungen<br />

Sauberkeit<br />

Lärm<br />

Deutscher Verwalter –<br />

S<strong>in</strong>tifamilie<br />

Deutsche Familie -<br />

türkische Familie<br />

Türkische Gaststätte -<br />

deutscher Mieter<br />

Deutsche Nachbarn -<br />

Jugendliche verschiedener<br />

Nationalitäten<br />

Verschiedenste Nationalitäten<br />

Deutsches Hausmeisterehepaar<br />

- türkische<br />

Familie<br />

Deutsche Frau - vietnamesische<br />

Familie<br />

Deutsche Frau –<br />

Roma Familie<br />

Irakische Familie –<br />

Hausbesitzer<br />

Städtische<br />

Unterkunft<br />

Mietswohnung<br />

Mietswohnung<br />

Eigentums- <strong>und</strong><br />

Mietwohnungen<br />

um Jugendzentrum<br />

Städtische<br />

Unterkunft<br />

Mietswohnung<br />

Mietswohnung<br />

u.a.<br />

Mit <strong>Lösung</strong> abgeschlossen<br />

Türkische Partei nicht bereit<br />

zur Mediation<br />

Mediationsgespräche<br />

abgebrochen<br />

Mediationsvorgespräche mit<br />

vielen Akteuren, Vermittlungskommission<br />

scheiterte wg.<br />

Nichtbeteiligung der Nachbarn<br />

Wegen Multiproblematik ke<strong>in</strong>e<br />

Mediation möglich, Vorschlag<br />

e<strong>in</strong>er Vermittlungskommission<br />

nicht angenommen<br />

Vorgespräche mit beiden<br />

Parteien, deutsche Frau will<br />

ke<strong>in</strong>e Mediation<br />

Vorgespräche mit beiden<br />

Parteien, vietnamesische Familie<br />

will ke<strong>in</strong>e Mediation<br />

Mietswohnung Vorgespräche, <strong>in</strong> Bearbeitung<br />

Mietswohnung Vorgespräche, <strong>in</strong> Bearbeitung<br />

69


Konfliktlösungsstrategien<br />

Die Ziele der Konfliktvermittlung bei KiK s<strong>in</strong>d zum e<strong>in</strong>en die Entwicklung <strong>in</strong>terkultureller<br />

Kompetenz <strong>in</strong> der Zusammenarbeit von Regel- <strong>und</strong> Migrationsdiensten <strong>und</strong> die Implementierung<br />

<strong>in</strong>terkultureller Mediation <strong>in</strong> verschiedenen Arbeitsbereichen. Letztlich soll<br />

<strong>durch</strong> die <strong>Lösung</strong> <strong>in</strong>terkultureller <strong>Konflikte</strong> auch e<strong>in</strong>e konstruktive Streit- <strong>und</strong> Konfliktkultur<br />

<strong>und</strong> das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher kultureller<br />

Herkunft gefördert werden (vgl. Attari; vgl. auch Beratungsdienste der Arbeiterwohlfahrt<br />

2003, S. 3).<br />

Neben <strong>in</strong>terkultureller Mediation stehen den Mediatoren weitere Instrumente wie<br />

Konfliktberatung, Konfliktcoach<strong>in</strong>g oder die Installation e<strong>in</strong>er Konfliktvermittlungskommission<br />

zur Verfügung. Neben diesen Möglichkeiten der Intervention im Konfliktfall s<strong>in</strong>d<br />

auch Projekte <strong>in</strong> den Bereichen Konfliktprävention <strong>und</strong> Fortbildung <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkultureller<br />

Konfliktvermittlung weiterer Mitarbeiter <strong>in</strong> Vorbreitung. Mediation sollte also als „e<strong>in</strong><br />

Mosaikste<strong>in</strong>, nicht als e<strong>in</strong> Allheilmittel“ (Stummvoll) gesehen werden.<br />

Im Bereich Nachbarschaftsmediation haben sich <strong>in</strong> den vergangenen Jahren <strong>in</strong> Deutschland<br />

verschiedene Anbieter entwickelt. Neben dem Angebot hauptberuflicher Mediatoren<br />

bieten öffentliche Stellen wie das Amt für Multikulturelle Angelegenheiten der Stadt<br />

Frankfurt am Ma<strong>in</strong> oder geme<strong>in</strong>nützige Verbände wie die Mediationsstelle Brückenschlag<br />

<strong>in</strong> Lüneburg Geme<strong>in</strong>wesen- oder Stadtteilmediatoren, das heißt Bewohnern, die <strong>in</strong><br />

Mediation geschult wurden, an (vgl. Kerntke 1998, S. 40f). Das KiK Projekt ist das<br />

e<strong>in</strong>zige derartige Mediationsprojekt <strong>in</strong> München <strong>und</strong> f<strong>in</strong>det b<strong>und</strong>esweit aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Struktur Beachtung, wie Herr Günthör aus der KiK-Koord<strong>in</strong>ierungsstelle von e<strong>in</strong>em<br />

Erfahrungsaustausch verschiedener Geme<strong>in</strong>wesenmediationsprojekte <strong>in</strong> Freiburg im Juni<br />

2004 berichtet. So ist bei KiK zum e<strong>in</strong>en der E<strong>in</strong>satz der Mediatoren für die Parteien<br />

kostenlos. Die jeweiligen Arbeitgeber, meist Sozialdienste unter städtischer oder freier<br />

Trägerschaft, stellen die Mediatoren im Rahmen <strong>ihre</strong>r normalen Tätigkeit <strong>in</strong> bestimmtem<br />

Umfang frei. Zum anderen wird die Leistungsfähigkeit <strong>durch</strong> den E<strong>in</strong>satz der Koord<strong>in</strong>ierungsstelle,<br />

die mit e<strong>in</strong>er Halbtags- <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er 8-St<strong>und</strong>en-Stelle besetzt ist, verbessert.<br />

Viele andere Mediationsprojekte verfügen lediglich über ehrenamtliche Koord<strong>in</strong>atoren.<br />

E<strong>in</strong> Problem, mit dem sich viele Mediationsprojekte derzeit beschäftigen, ist die ger<strong>in</strong>ge<br />

Rezeption <strong>durch</strong> die Bevölkerung <strong>und</strong> mangelnde Fälle (vgl. Geißler 2000, S. 49; Metzger<br />

2000, S. 249). Die Leiter<strong>in</strong> der KiK-Koord<strong>in</strong>ierungsstelle Attari kennt dieses Problem.<br />

Trotz <strong>in</strong>tensiver Öffentlichkeitsarbeit werden nur zögerlich Fälle gemeldet. Ihrer Me<strong>in</strong>ung<br />

nach bedeutet dies nicht, dass es <strong>in</strong> München ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Konflikte</strong> gibt – „Es<br />

gibt viele andere Stellen, die Konfliktberatung machen. Das Gericht gibt Fälle zum<br />

Beispiel an „Die Brücke“ ab, die damit auch Geld verdienen. Oder es geht um Interna,<br />

die Leute haben Angst, dass Probleme nach draußen dr<strong>in</strong>gen.“ Diese Erfahrung bestätigte<br />

sich auch <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Befragungen.<br />

70


Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />

Konfliktlösungsstrategien<br />

Konfliktlösungen <strong>in</strong> München<br />

In München gibt es, wie die Experten e<strong>in</strong>stimmig feststellten, e<strong>in</strong>e Fülle an Konfliktlösungsstellen,<br />

die sich mitunter auch für die Bearbeitung <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

zuständig fühlen. Trotz der gleichen Ziele – der Verbesserung der <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Beziehungen <strong>und</strong> der <strong>Lösung</strong> von <strong>Konflikte</strong>n – sche<strong>in</strong>t es <strong>in</strong> diesem Bereich zunehmend<br />

Konkurrenzen zwischen den verschiedenen Institutionen zu geben.<br />

Diesen Tendenzen sollte, alle<strong>in</strong> des geme<strong>in</strong>samen Gr<strong>und</strong>gedankens willen, <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>e<br />

bessere Vernetzung, Aufgabenverteilung <strong>und</strong> gegenseitige Unterstützung entgegengewirkt<br />

werden.<br />

KiK sieht sich selbst als e<strong>in</strong>e Dienstleistung ohne die Schaffung neuer Stellen <strong>und</strong><br />

möchte <strong>durch</strong> die Zugehörigkeit der Mediatoren zu den verschiedensten Organisationen<br />

die Kooperation zwischen den städtischen E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> freien Trägern fördern.<br />

Dabei könnten die umfangreiche Ausbildung <strong>in</strong> Mediation, Konfliktmanagement <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>terkultureller Kommunikation, die Sprachenvielfalt der KiK-Mediatoren <strong>und</strong> deren<br />

<strong>in</strong>terkulturelle Erfahrung im Beruf <strong>und</strong> oft auch im Privatleben allen Seiten zum Beispiel<br />

<strong>durch</strong> Fortbildungsangebote zu Gute kommen (vgl. Attari). Allerd<strong>in</strong>gs ist die Zukunft des<br />

Projekts derzeit etwas im Ungewissen: ob <strong>und</strong> wann e<strong>in</strong>e weitere Ausbildungsr<strong>und</strong>e<br />

zustande kommt, hängt unter anderem von Leistungsnachweisen <strong>und</strong> Evaluationen ab,<br />

welche die Arbeitgeber e<strong>in</strong>fordern. Auch die F<strong>in</strong>anzierung der Koord<strong>in</strong>ierungsstelle ist<br />

<strong>durch</strong> Umstrukturierungen im Rahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes noch unklar.<br />

71


Analyse<br />

der Fallbeispiele


Drei Fallbeispiele - Konfliktbiographien<br />

6 Empirie<br />

6.1 Drei Fallbeispiele - Konfliktbiographien<br />

Im Folgenden werden die Konfliktbiographien anhand der von Konfliktparteien <strong>und</strong><br />

Mediatoren gemachten Interviewaussagen <strong>und</strong> Protokollen der Mediatoren dargestellt.<br />

Ziel ist es, die Entstehung <strong>und</strong> den Verlauf der <strong>Konflikte</strong> <strong>und</strong> der Mediation, sowie die<br />

aktuelle Situation zu verdeutlichen, um <strong>in</strong> den späteren Analysen darauf aufbauen zu<br />

können.<br />

6.1.1 „Jugendzentrum“<br />

Konfliktgeschichte<br />

Im Herbst 1998 klagen mehrere Anwohner e<strong>in</strong>er Hausaufgabenhilfe für Gr<strong>und</strong>schüler,<br />

die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Conta<strong>in</strong>er auf e<strong>in</strong>em städtischen Gr<strong>und</strong>stück im Nord-Westen Münchens<br />

untergebracht ist gegen den Beschluss der Stadt, e<strong>in</strong>en weiteren Conta<strong>in</strong>er aufzustellen.<br />

Dort sollen Freizeitangebote für 11- bis 18- jährige Jugendliche angeboten werden. Die<br />

Kläger befürchten unzumutbare Lärmbelästigungen <strong>durch</strong> die im Abstand von fünf<br />

Metern angrenzende E<strong>in</strong>richtung. Die Klage wird vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof<br />

im November 1999 abgewiesen, es werden allerd<strong>in</strong>gs Lärmschutzauflagen <strong>und</strong><br />

Ruhezeiten festgelegt.<br />

Ende 2000 wird der zusätzliche Conta<strong>in</strong>er als Provisorium für die Dauer von fünf Jahren<br />

aufgestellt, da sich ke<strong>in</strong> anderer Standort anbietet <strong>und</strong> der dr<strong>in</strong>gende Bedarf für Jugendarbeit<br />

<strong>in</strong> diesem Viertel festgestellt wurde. Dabei soll vor allem die angrenzende<br />

Siedlung, die als sozialer Brennpunkt gilt <strong>und</strong> <strong>in</strong> der sehr viele K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche<br />

aus sozial schwächeren - <strong>und</strong> Migrantenfamilien leben, berücksichtigt werden.<br />

Akteure im Fall „Jugendzentrum“<br />

Jugendliche<br />

Bezirksausschuss<br />

Sozialplanung<br />

Jugendpfleger<br />

Jugendzentrumsleitung<br />

Träger des JUZ<br />

Eigentümerehepaar Huber,<br />

Nachbar<strong>in</strong> Frau Scheuch<br />

übrige Nachbarn<br />

Nach der Eröffnung des Jugendzentrums treten immer wieder <strong>Konflikte</strong> mit den Nachbarn<br />

über Lärmbelästigung auf. Die Jugendzentrumsleitung <strong>und</strong> die Jugendlichen<br />

bemühen sich <strong>durch</strong> E<strong>in</strong>ladungen zu Festen <strong>und</strong> zum geme<strong>in</strong>samen Grillen um positivere<br />

Stimmung, diese Angebote werden jedoch kaum angenommen.<br />

Sowohl bei der Zentrumsleitung, als auch bei den zuständigen Stellen für Jugendpflege<br />

im Sozialreferat <strong>und</strong> beim Bezirksausschuss f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong> Personalwechsel statt. Die neue<br />

72


Drei Fallbeispiele - Konfliktbiographien<br />

Jugendzentrumsleitung bietet aufgr<strong>und</strong> des dr<strong>in</strong>genden Bedarfs an Angeboten für<br />

Jugendliche verstärkt e<strong>in</strong>en offenen Betrieb an.<br />

Im Sommer 2003 eskaliert der Konflikt. Vor allem die Nachbar<strong>in</strong> Frau Scheuch <strong>und</strong> das<br />

Ehepaar Huber, das Eigentümer e<strong>in</strong>er benachbarten Wohnung ist, beschweren sich<br />

immer wieder massiv bei der Leiter<strong>in</strong> des Jugendzentrums über die Lautstärke von im<br />

Garten ballspielenden Jugendlichen <strong>und</strong> Musik. Teilweise eskalieren Streitgespräche<br />

zwischen Nachbarn <strong>und</strong> Jugendlichen, die über den Zaun h<strong>in</strong>weg geführt werden, <strong>in</strong><br />

gegenseitigen Beleidigungen.<br />

Der Träger versucht die Situation <strong>durch</strong> den E<strong>in</strong>bau von Lärmschutzvorrichtungen, die<br />

Anschaffung e<strong>in</strong>es Busses, der die Jugendlichen möglichst oft zu anderen Aktivitäten wie<br />

z.B. Schwimmen br<strong>in</strong>gt, den Abbau des Basketballkorbs <strong>und</strong> die weitgehende E<strong>in</strong>schränkung<br />

von Außenaktivitäten zu entschärfen.<br />

Mediation<br />

Über die Leiter<strong>in</strong> des Jugendzentrums wird der Konflikt im August 2003 an KiK herangetragen.<br />

E<strong>in</strong> Mediatorenteam von drei Personen entschließt sich, den Fall anzunehmen.<br />

Sie führen Mediationsvorgespräche mit verschiedenen Betroffenen <strong>und</strong> Akteuren, wie<br />

der Zentrumsleitung, mehreren Jugendlichen <strong>und</strong> Frau Huber, der Eigentümer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Nachbarwohnung <strong>und</strong> Kläger<strong>in</strong> gegen das JuZ.<br />

Im weiteren Akteurskreis wurden vom Mediatorenteam Vertreter des Bezirksausschusses,<br />

der zuständige Jugendpfleger <strong>und</strong> die Geschäftsführer<strong>in</strong> des Trägerverbandes des<br />

Jugendzentrums angesprochen. Desweiteren f<strong>in</strong>den im Vorfeld Telefonate mit den für<br />

Planung <strong>und</strong> Bau Zuständigen bei Sozialplanung <strong>und</strong> Jugendpflege statt.<br />

Für e<strong>in</strong>e Konfliktbearbeitung bietet sich zunächst e<strong>in</strong>e Gruppenmediation zwischen allen<br />

betroffenen Parteien an. Da aber ke<strong>in</strong>e weiteren Nachbarn zu e<strong>in</strong>em Gespräch bewegt<br />

werden konnten <strong>und</strong> die bisher e<strong>in</strong>bezogene Eigentümer<strong>in</strong> Frau Huber im Frühjahr 2004<br />

verstirbt, versuchen die Mediatoren deren Ehemann, der auch <strong>in</strong> die Klage gegen das<br />

JUZ <strong>und</strong> den Konflikt e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en war, zu e<strong>in</strong>er Teilnahme zu bewegen. Im Juli 2004<br />

f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong> Treffen statt, zu dem die Mediatoren zwei Vertreter der Jugendlichen, den<br />

Jugendpfleger <strong>und</strong> den Eigentümer der Nachbarwohnung e<strong>in</strong>geladen haben, um e<strong>in</strong>e<br />

Konfliktvermittlungskommission zu <strong>in</strong>stallieren. Diese Kommission soll sich regelmäßig<br />

treffen <strong>und</strong> <strong>in</strong> aktuell auftretenden Streitigkeiten um das JuZ vermitteln. Zu diesem<br />

Treffen kommt Herr Huber ohne Angabe von Gründen nicht, obwohl er zuvor zugesagt<br />

hatte. Die anderen Beteiligten, vor allem die Leiter<strong>in</strong> des JuZ <strong>und</strong> die Jugendlichen, s<strong>in</strong>d<br />

über das Des<strong>in</strong>teresse der Nachbarn enttäuscht, da sie sich schon lange e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames<br />

Gespräch erhofft hatten.<br />

Situation im Sommer 2004<br />

Unter anderem aufgr<strong>und</strong> der E<strong>in</strong>schränkungen <strong>und</strong> des schlechten Wetters treten ke<strong>in</strong>e<br />

weiteren Eskalationen auf, die Fronten sche<strong>in</strong>en jedoch verhärtet <strong>und</strong> es besteht ke<strong>in</strong>e<br />

Gesprächsbereitschaft der bisher hauptsächlich am Konflikt beteiligten Nachbarn.<br />

Das JuZ wird für die Jugendlichen immer unattraktiver, weil dort aufgr<strong>und</strong> der E<strong>in</strong>schränkungen<br />

<strong>ihre</strong>r Me<strong>in</strong>ung nach kaum noch etwas unternommen werden kann <strong>und</strong><br />

viele Jugendliche bleiben den Sommer über weg. Es gibt kaum andere Angebote für<br />

Jugendliche <strong>in</strong> diesem Stadtteil, die ungünstige F<strong>in</strong>anzlage der Stadt lässt <strong>in</strong> näherer<br />

Zukunft nicht viel Spielraum für den Bau e<strong>in</strong>es Ersatzjugendzentrums. Die Mediatoren<br />

schließen den Fall vorerst ab, da auf Seiten der Konfliktnachbarn ke<strong>in</strong>e Gesprächsbereitschaft<br />

besteht <strong>und</strong> so ke<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Mediationsgespräch zustande kam. Sie hoffen,<br />

73


Drei Fallbeispiele - Konfliktbiographien<br />

dass <strong>durch</strong> die neugeweckte Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger auf<br />

städtischer <strong>und</strong> lokaler Ebene e<strong>in</strong>e langfristige <strong>Lösung</strong> gef<strong>und</strong>en wird. Die Jugendzentrumsleiter<strong>in</strong><br />

hofft, dass die Jugendlichen im W<strong>in</strong>ter wieder verstärkt das JuZ besuchen.<br />

Sie plant, den Basketballkorb wieder aufzuhängen. Es f<strong>in</strong>det nur noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der<br />

Woche offener Betrieb bis 22 Uhr statt, an den Wochenenden ist das Jugendzentrum<br />

geschlossen.<br />

Die Befragung der übrigen, bisher nicht <strong>in</strong> den Konflikt <strong>in</strong>volvierten Nachbarn, ergab,<br />

dass die meisten Nachbarn sich gar nicht oder nur alle paar Monate e<strong>in</strong>mal <strong>durch</strong> das<br />

Jugendzentrum gestört fühlten. Nur e<strong>in</strong> Nachbar gab an, sich oft gestört zu fühlen,<br />

erklärte jedoch auch, dass er bereits gegen den Bau des JuZ gewesen sei <strong>und</strong> ihn<br />

besonders die Tatsache störe, dass dies gegen den Willen der Anwohner dorth<strong>in</strong> gebaut<br />

wurde 64 .<br />

6.1.2 „Gaststätte Ezgi“<br />

Konfliktgeschichte<br />

Im Frühjahr 2003 ziehen nach der Sanierung e<strong>in</strong>es Wohnhauses neue Pächter <strong>in</strong> die im<br />

Untergeschoss liegende Gaststätte mit angeschlossener Kegelbahn. Die türkische<br />

Pächterfamilie Demir bietet an den Wochenenden bis 3 oder 4 Uhr morgens Livemusik<br />

an <strong>und</strong> macht da<strong>durch</strong> e<strong>in</strong>en Großteil <strong>ihre</strong>s Geschäfts. Im ersten Stock zieht sechs<br />

Monate später wegen e<strong>in</strong>es Arbeitsplatzwechsels Dieter Borchert mit se<strong>in</strong>er Familie e<strong>in</strong>.<br />

Vor allem diese Familie, welche die Wohnung nur aufgr<strong>und</strong> der Versicherung des<br />

Vermieters bezogen hat, dass es ke<strong>in</strong>e Lärmbelästigung <strong>durch</strong> die Gaststätte gäbe, fühlt<br />

sich <strong>durch</strong> die Musik <strong>und</strong> den Lärm der Gäste gestört. Sie bitten Herrn Strasshofer, den<br />

Vermieter <strong>ihre</strong>r Wohnung, die Lärmbelästigung abzustellen, drohen Mietm<strong>in</strong>derung an<br />

<strong>und</strong> rufen nachts die Polizei. Die Pächter des „Ezgi“ zeigen sich von den Beschwerden<br />

der Mieter unbee<strong>in</strong>druckt, bezweifeln, dass die Musik wirklich laut sei, stellen sie wieder<br />

lauter, nachdem die Polizei weg ist <strong>und</strong> wiederholen dieses Vorgehen jedes Wochenende.<br />

Im weiteren Verlauf sammeln die Anwohner Unterschriften, das Kreisverwaltungsreferat<br />

<strong>und</strong> Anwälte werden e<strong>in</strong>geschaltet, es treten weitere Beschwerden über die<br />

Restmüllconta<strong>in</strong>er der Gaststätte auf, die unerlaubterweise Speiseabfälle enthalten.<br />

Akteure im Fall „Gaststätte Ezgi“<br />

Pächter<strong>in</strong> Frau Demir<br />

Sohn Tahir Demir<br />

Geschäftsführer<br />

Herr Yildirim<br />

Kreisverwaltungsreferat<br />

64 Weitere Ergebnisse der Befragung siehe Anhang 15<br />

übrige Nachbarn<br />

Vermieter Herr<br />

Strasshofer <strong>und</strong> Vater<br />

Mieter Herr Borchert<br />

<strong>und</strong> Familie<br />

Vermieter der Gaststätte<br />

Herr Aschauer<br />

74


Drei Fallbeispiele - Konfliktbiographien<br />

Aufgr<strong>und</strong> der regelmäßigen Polizeibesuche <strong>und</strong> der da<strong>durch</strong> verkürzten Konzerte bleiben<br />

immer mehr Besucher dem „Ezgi“ fern. Dies führt schließlich dazu, dass sich die Pächter,<br />

welche stark auf die Wochenende<strong>in</strong>nahmen angewiesen s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schwierigen<br />

wirtschaftlichen Situation bef<strong>in</strong>den. Zudem belasten sie auch der ständige Streit mit den<br />

Nachbarn <strong>und</strong> weitere familiäre Probleme.<br />

Im Konflikt spielen drei Akteursgruppen e<strong>in</strong>e Rolle. Das ist zum e<strong>in</strong>en die türkische<br />

Betreibergruppe des „Ezgi“, bestehend aus der Familie Demir <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em befre<strong>und</strong>eten<br />

Mann, Cihan Yildirim, der <strong>in</strong>tern als Geschäftsführer der Gaststätte fungiert. Der offizielle<br />

Pächter ist der Sohn Tahir, die Mutter Zeynep Demir übt jedoch starken E<strong>in</strong>fluss aus <strong>und</strong><br />

wird im Folgenden aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r realen Stellung auch als Pächter<strong>in</strong> bezeichnet. Der<br />

Vater ist nach deren Angaben psychisch krank <strong>und</strong> wird von ihr nur <strong>in</strong>direkt an den<br />

Vorgängen beteiligt. Außerdem gibt es e<strong>in</strong>en Bekannten der Demirs, der mit se<strong>in</strong>er<br />

Musikgruppe auftritt <strong>und</strong> mit se<strong>in</strong>er Frau <strong>in</strong> der Wirtschaft hilft <strong>und</strong> im weiteren Akteurskreis<br />

verschiedene F<strong>in</strong>anzgeber <strong>und</strong> Bekannte der Demirs, die mit der Gaststätte sympathisieren.<br />

Auf der anderen Seite s<strong>in</strong>d die Mieter des Wohnhauses, im Vordergr<strong>und</strong> Dieter Borchert<br />

mit se<strong>in</strong>er Frau Susanne <strong>und</strong> der schulpflichtigen Tochter Sylvia. Herr Borchert verliert<br />

kurz nach dem Umzug nach München se<strong>in</strong>e Arbeit.<br />

Der Vermieter der Borcherts, Herr Strasshofer junior <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Vater, wohnen im gleichen<br />

Haus <strong>und</strong> werden <strong>in</strong>volviert, als es von Borcherts <strong>und</strong> weiteren Mietern Beschwerden<br />

über die Gaststätte gibt. Das Haus gehört e<strong>in</strong>er Eigentümergeme<strong>in</strong>schaft. Neben anderen<br />

Parteien besitzt Herr Strasshofer e<strong>in</strong>en Teil der Wohnungen, se<strong>in</strong> Cous<strong>in</strong> Herr<br />

Aschauer weitere Wohnungen <strong>und</strong> die Gaststätte. Damit hat Herr Strasshofer rechtlich<br />

ke<strong>in</strong>en direkten E<strong>in</strong>fluss auf die Pächter, sondern nur über die Eigentümergeme<strong>in</strong>schaft<br />

<strong>und</strong> über Herrn Aschauer, der sich aber vollkommen heraushält <strong>und</strong> nicht für e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Lösung</strong> des Konflikts e<strong>in</strong>setzt.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Beschwerden der Anwohner über Lärm <strong>und</strong> Müll s<strong>in</strong>d im weiteren Verlauf<br />

des Konflikts auch offizielle Stellen wie die Polizei, das Kreisverwaltungsreferat <strong>und</strong> der<br />

Bezirksausschuss beteiligt. Auch Rechtsanwälte wurden von den Vermietern schon<br />

kontaktiert.<br />

Mediation<br />

Herr Borchert wird im Stadtteilzentrum auf das Mediationsangebot von KiK aufmerksam<br />

<strong>und</strong> wendet sich an die Koord<strong>in</strong>ierungsstelle. E<strong>in</strong>e Mediator<strong>in</strong> <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Mediator bearbeiten<br />

den Fall <strong>und</strong> treffen sich, nachdem sich die Pächter<strong>in</strong> des „Ezgi“ Frau Demir <strong>und</strong> der<br />

Geschäftsführer Herr Yildirim bereit erklärt haben, an der Mediation teilzunehmen, zu<br />

Vorgesprächen mit den Parteien. Es f<strong>in</strong>den von November 2003 bis Februar 2004<br />

zunächst je zwei Gespräche mit den Konfliktparteien <strong>und</strong> dann drei Treffen mit allen<br />

geme<strong>in</strong>sam statt.<br />

Auf der Betreiberseite nehmen beim ersten Gespräch die Pächter<strong>in</strong>, ihr Sohn <strong>und</strong> der<br />

Geschäftsführer teil, auf der anderen Seite der Mieter, se<strong>in</strong> Vermieter <strong>und</strong> dessen Vater.<br />

Sie schildern <strong>ihre</strong> Sicht der D<strong>in</strong>ge jeweils e<strong>in</strong>em Mediator. Beim zweiten Treffen mit<br />

beiden Mediatoren werden die Ergebnisse aus den Vorgesprächen mit der anderen<br />

Partei vorgestellt <strong>und</strong> nachdem alle e<strong>in</strong>verstanden s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Mediationssitzung<br />

anberaumt.<br />

An der ersten Sitzung nehmen alle teil, auch e<strong>in</strong> paar Musiker aus dem „Ezgi“ s<strong>in</strong>d da. In<br />

der folgenden Sitzung, <strong>in</strong> der <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten erarbeitet werden sollen, nehmen<br />

der Vermieter Herr Strasshofer <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Sohn nicht mehr teil, da sie ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n mehr<br />

75


Drei Fallbeispiele - Konfliktbiographien<br />

dar<strong>in</strong> sehen. Auch auf der anderen Seite nimmt nur Herr Yildirim mit Bevollmächtigung<br />

von Frau Demir teil, da sie selbst krank ist <strong>und</strong> ihr Sohn sich <strong>in</strong> der Türkei aufhält. Es<br />

kommt zu e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>barung, die von den Beteiligten unterzeichnet werden soll. Frau<br />

Demir weigert sich, die Übere<strong>in</strong>kunft zu unterzeichnen, <strong>und</strong> es kommt nach Schriftwechsel<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Telefonat zur Beendigung der Mediation <strong>durch</strong> die Mediatoren.<br />

Situation im Sommer 2004<br />

Die Situation im Haus ist <strong>in</strong>sgesamt angespannt, aber ruhig <strong>und</strong> abwartend. Herr<br />

Borchert macht e<strong>in</strong>en Weiterqualifikationskurs <strong>und</strong> versucht, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wohnung e<strong>in</strong>e<br />

kostenlose Lautstärkemessung e<strong>in</strong>er anerkannten Stelle zu bekommen. Er hat mit Herrn<br />

Yildirim <strong>und</strong> Frau Demir e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>kunft, die sich aus den Überlegungen im Rahmen<br />

der Mediation ergeben hat: Borchert erklärt er sich bereit, Livemusik bis 12 Uhr nachts<br />

zu erdulden <strong>und</strong> dafür e<strong>in</strong>e Kompensation von mehreren H<strong>und</strong>ert Euro pro Monat zu<br />

bekommen 65 . Diese Vere<strong>in</strong>barung läuft nicht vollkommen reibungslos, Herr Borchert<br />

„läuft se<strong>in</strong>em Geld h<strong>in</strong>terher“ <strong>und</strong> muss die Pächter desöfteren ermahnen, sich zeitlich<br />

an die Abmachung zu halten. Diese s<strong>in</strong>d unzufrieden, weil er <strong>ihre</strong>r Aussage nach immer<br />

mehr Geld fordert <strong>und</strong> sie unter Druck setzt. Vater <strong>und</strong> Sohn Demir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Türkei,<br />

um Herrn Demirs Krankheit behandeln zu lassen. Das „Ezgi“ ist schon e<strong>in</strong>ige Monate mit<br />

der Miete im Rückstand <strong>und</strong> auch bei verschiedenen Lieferanten verschuldet, da die<br />

Gäste aufgr<strong>und</strong> der verkürzten Musikzeiten ausbleiben <strong>und</strong> sich die Gaststätte nicht<br />

mehr rentiert. Frau Demir ist verzweifelt, weil sie ke<strong>in</strong>e Zukunft mit der Gaststätte sieht<br />

<strong>und</strong> ke<strong>in</strong>en Ausweg weiß.<br />

Im Haus m<strong>in</strong>dern mehrere Parteien die Miete, e<strong>in</strong>e Mieter<strong>in</strong> ist ausgezogen 66 . Die Familie<br />

Strasshofer versucht weiter, über e<strong>in</strong>en Anwalt <strong>und</strong> Beschwerdebriefe an das KVR <strong>und</strong><br />

den Bezirksausschuss e<strong>in</strong>e Änderung der Situation zu erreichen. Das KVR hat bestätigt,<br />

dass die Pächter ke<strong>in</strong>e Genehmigung für Livemusik haben <strong>und</strong> diese beantragen müssten.<br />

Herr Aschauer, der Vermieter der Gaststätte, hat bisher noch nichts unternommen,<br />

um den Konflikt zu lösen.<br />

6.1.3 „Unterkunft“<br />

Konfliktgeschichte<br />

In e<strong>in</strong>er städtischen Unterkunftsanlage im Norden Münchens gibt es im Frühjahr 2003<br />

immer wieder Beschwerden der Bewohner über die S<strong>in</strong>tifamilie Seeger, die dort neu<br />

e<strong>in</strong>gezogen ist. Gr<strong>und</strong> dafür ist, dass dort neben der eigentlich wohnberechtigten Mutter<br />

G<strong>in</strong>a mit Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d auch der mit ihr nach S<strong>in</strong>tirecht 67 verheiratete Renaldo mit se<strong>in</strong>em<br />

Kampfh<strong>und</strong> lebt. Die Bewohner sammeln Unterschriften <strong>und</strong> wenden sich an die Unterkunftsverwaltung,<br />

die sich nun unter Handlungszwang sieht. Hauptbeschwerdepunkt ist<br />

die ständige Anwesenheit von Renaldo Seeger, der aggressiv <strong>und</strong> kampflustig sei <strong>und</strong><br />

mit se<strong>in</strong>em Kampfh<strong>und</strong> die K<strong>in</strong>der terrorisiere, <strong>und</strong> demzufolge alle <strong>in</strong> Angst zu leben<br />

hätten. Der Unterkunftsverwalter Herr Stegmüller, der die Familie bereits gut kennt,<br />

versucht die Situation zu klären. Die Familie weigert sich, auszuziehen, die Situation<br />

spitzt sich über mehrere Wochen h<strong>in</strong> zu, bis die Kommunikation unterbrochen ist <strong>und</strong><br />

65<br />

Angaben über die realen Beträge s<strong>in</strong>d nicht exakt zu machen: Herr Borchert spricht von „e<strong>in</strong> bisschen<br />

Geld“, Frau Demir sagt, er fordere mittlerweile 300€. Ob diese Summe letztlich auch vere<strong>in</strong>bart wurde, blieb<br />

unklar.<br />

66<br />

nach Aussagen des Vermieters. Es ist nicht e<strong>in</strong>deutig festzustellen, ob sie wegen des Konflikts ausgezogen<br />

ist.<br />

67<br />

ungeschriebene Rechtstradition, welche für S<strong>in</strong>ti faktische Gültigkeit hat (vgl. Weyrauch 2002; -->Glossar)<br />

76


Drei Fallbeispiele - Konfliktbiographien<br />

das Wohnungsamt mit fristloser Kündigung <strong>und</strong> Räumung droht. Renaldo Seeger<br />

wiederum droht mit der Benachrichtigung e<strong>in</strong>es lokalen Fernsehsenders <strong>und</strong> dem<br />

Zentralrat der S<strong>in</strong>ti.<br />

Wohnungsamt<br />

Unterkunftsverwalter<br />

Herr Stegmüller<br />

Akteure im Fall „Unterkunft“<br />

S<strong>in</strong>tifamilie<br />

Renaldo Seeger,<br />

Frau G<strong>in</strong>a <strong>und</strong> Baby<br />

übrige Bewohner der Unterkunft<br />

ASD-Betreuer<strong>in</strong><br />

Frau Hammer<br />

Sachbearbeiter<br />

Herr Holzapfel<br />

Mutter, Vater <strong>und</strong><br />

Bruder von Renaldo<br />

Mediation<br />

Das Wohnungsamt schaltet die Mediator<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, die <strong>in</strong> der S<strong>in</strong>ti- <strong>und</strong> Roma-Betreuung der<br />

Stadt arbeitet, <strong>und</strong> bittet sie um Unterstützung <strong>und</strong> Beruhigung der Familie bei der<br />

Räumung. Sie stellt die Bed<strong>in</strong>gung, dass sie zunächst e<strong>in</strong>e Vermittlung versuchen darf<br />

<strong>und</strong> die Räumung aufgeschoben wird. Nachdem sie mit der Familie Seeger zuerst <strong>durch</strong><br />

verschlossene Wohnungstüren kommuniziert <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Bereitschaft zur Teilnahme an<br />

e<strong>in</strong>er konstruktiven <strong>Lösung</strong>ssuche erwirkt hat, beg<strong>in</strong>nt sie e<strong>in</strong>e Shuttle-Mediation, bei<br />

der sie mit beiden Seiten abwechselnd nach <strong>in</strong> Betracht kommenden <strong>Lösung</strong>en sucht.<br />

Die Vermittlung wird den Parteien nicht bewusst als Mediation benannt, vielmehr wendet<br />

die Mediator<strong>in</strong> mediative Techniken <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>r Funktion als S<strong>in</strong>ti- <strong>und</strong> Roma-Beauftragte<br />

an. Es f<strong>in</strong>den mit der Familie Seeger drei Gespräche, zunächst mit Renaldo Seeger <strong>und</strong><br />

später auch geme<strong>in</strong>sam mit se<strong>in</strong>er Frau G<strong>in</strong>a statt. Mit der Unterkunftsverwaltung<br />

besteht hauptsächlich telefonischer Kontakt, um immer wieder die Sachlage abzuklären.<br />

E<strong>in</strong>en Monat später f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Gespräch statt. Daran nehmen neben der<br />

S<strong>in</strong>tikle<strong>in</strong>familie Seeger <strong>und</strong> Herrn Stegmüller auch zusätzlich Renaldos Mutter <strong>und</strong><br />

Bruder, die für den Wohnbezirk zuständige Betreuer<strong>in</strong> vom Allgeme<strong>in</strong>en Sozialdienst<br />

Frau Hammer <strong>und</strong> der für die E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e städtische Pension zuständige Sachbearbeiter<br />

Herr Holzapfel teil. Die Stimmung war angespannt, da die Parteien bis dah<strong>in</strong><br />

nicht mehr mite<strong>in</strong>ander gesprochen hatten. Es konnte jedoch e<strong>in</strong>e Kommunikationsebene<br />

gef<strong>und</strong>en werden <strong>und</strong> man e<strong>in</strong>igte sich auf e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong>, bei der unter der Auflage<br />

e<strong>in</strong>es Gutachtens über den Kampfh<strong>und</strong> <strong>und</strong> weiterer Sicherheitsvorkehrungen die<br />

Familie zunächst nicht zwangsgeräumt oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Pension verlegt werden sollte,<br />

sondern e<strong>in</strong> Umzug <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e größere Wohnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anderen Unterkunftsanlage<br />

ermöglicht werden sollte.<br />

77


Drei Fallbeispiele - Konfliktbiographien<br />

Situation im Sommer 2004<br />

Die Familie ist nach der Vermittlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e etwas größere Wohnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Unterkunftsanlage<br />

im Münchener Westen gezogen, <strong>in</strong> der auch Renaldos Eltern leben <strong>und</strong> wo<br />

er aufgewachsen ist. Sie haben <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong> zweites K<strong>in</strong>d bekommen <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d unzufrieden<br />

mit <strong>ihre</strong>r Wohnsituation. Sie möchten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e größere Wohnung <strong>und</strong> vor allem<br />

aus der Unterkunftsanlage weg, da das nachbarschaftliche Zusammenwohnen unzumutbar<br />

<strong>und</strong> schlecht für die K<strong>in</strong>der sei. Renaldo Seegers Anträge auf e<strong>in</strong>e andere Wohnung<br />

werden abgelehnt <strong>und</strong> er ist verärgert <strong>und</strong> frustriert, weil er der Me<strong>in</strong>ung ist, man würde<br />

ihm se<strong>in</strong>e Vergangenheit vorhalten <strong>und</strong> ihm ke<strong>in</strong>e weitere Chance geben.<br />

Herr Stegmüller ist nicht mehr direkt für diese neue Unterkunftswohnung zuständig,<br />

bekommt aber weitere <strong>Konflikte</strong> zwischen Renaldo <strong>und</strong> den Anwohnern bzw. dem<br />

Hausmeister der Anlage mit. Se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach ist die Kommunikation zwischen ihnen<br />

beiden gut; aus Renaldos Sicht ist das nicht so, er hat se<strong>in</strong> Vertrauen <strong>in</strong> Herrn Stegmüller<br />

verloren <strong>und</strong> wendet sich an andere Zuständige.<br />

In diesem Mediationsfall gibt es zwei Besonderheiten zu berücksichtigen. Zum e<strong>in</strong>en<br />

liegen mehrere <strong>Konflikte</strong> vor: der zwischen der Bewohnergeme<strong>in</strong>schaft <strong>und</strong> Renaldo<br />

Seeger <strong>und</strong> desweiteren der <strong>in</strong> der Mediation behandelte Konflikt zwischen ihm <strong>und</strong> dem<br />

Unterkunftsverwalter Stegmüller, bzw. dem Wohnungsamt. In der Analyse wird letzterer<br />

Konflikt behandelt <strong>und</strong> der Fokus auf die Mediation gelegt. Aussagen über die Nachbarschaftsbeziehungen<br />

<strong>in</strong> der Unterkunft werden nur am Rande gemacht.<br />

Zum anderen gehen <strong>in</strong> diesem Fall die Aussagen über Sach<strong>in</strong>formationen <strong>und</strong> den<br />

Konflikthergang sehr weit ause<strong>in</strong>ander. Dies ist nicht alle<strong>in</strong> <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>e von Person zu<br />

Person verschiedene Wahrnehmung zu erklären. E<strong>in</strong>e Rolle kann das weite Zurückliegen<br />

des Vorfalls (zum Befragungszeitpunkt fast anderthalb Jahre) spielen, so dass manche<br />

Fakten <strong>in</strong> Vergessenheit geraten s<strong>in</strong>d. Auf Seiten des S<strong>in</strong>tos spielen darüber h<strong>in</strong>aus<br />

vermutlich se<strong>in</strong> Ärger über die momentane Situation <strong>und</strong> der Wunsch, diese zu verändern,<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. Er hatte <strong>in</strong> der Vergangenheit mehrere Streitigkeiten mit Herrn Stegmüller<br />

<strong>und</strong> nimmt diesen Vorfall als nicht besonders hervorstechend wahr. Ebenso Herr Stegmüller,<br />

der sich <strong>in</strong> der Befragung auch immer wieder auf andere Vorfälle bezieht <strong>und</strong><br />

zudem se<strong>in</strong>e bzw. die Rolle des Wohnungsamts abschwächen möchte, um jegliche<br />

negative Kritik oder Publicity zu vermeiden (vgl. Kap. 3.2.2 Methodik). Insofern erwähnt<br />

er zum Beispiel nie direkt den geplanten Polizeie<strong>in</strong>satz oder die Drohung von Herrn<br />

Seeger, das Lokalfernsehen e<strong>in</strong>zuschalten. Die Schilderung der Mediator<strong>in</strong> ersche<strong>in</strong>t<br />

daher als die zuverlässigste Quelle, auch wenn man hier vermuten könnte, dass sie im<br />

Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> den E<strong>in</strong>fluss der Mediation oder <strong>ihre</strong> Rolle überbewertet. Dies relativiert sich<br />

jedoch <strong>durch</strong> die Aussagen der beiden anderen Interviewpartner, die der <strong>Lösung</strong> ke<strong>in</strong>e<br />

übermäßige Bedeutung beimessen (vgl. Kap. 6.4.1). Die Mediator<strong>in</strong> hat jedoch <strong>in</strong> der<br />

Konfliktsituation mit beiden Seiten Kontakt gehabt <strong>und</strong> deren Sichtweisen gehört. Sie hat<br />

den Vorfall als e<strong>in</strong>zigen Konfliktfall der beiden erlebt, bei dem sie e<strong>in</strong>bezogen wurde, hat<br />

ihn zur Bearbeitung bereits damals analysiert <strong>und</strong> daher vermutlich bewusster memorisiert<br />

als die Konfliktparteien. Ich habe mich deshalb <strong>in</strong> der Darstellung der Konfliktbiographie<br />

hauptsächlich auf Aussagen der Mediator<strong>in</strong> bezogen, um den genauen Hergang<br />

zu rekonstruieren.<br />

78


Analyse der Konfliktbiographien<br />

6.2 Analyse der Konfliktbiographien<br />

Mittels Interviewaussagen der Konfliktparteien <strong>und</strong> der Mediatoren werden im Folgenden<br />

allen drei Fällen geme<strong>in</strong>same Faktoren für die Entstehung <strong>und</strong> den Verlauf des Konflikts<br />

herausgearbeitet. Dabei werden die <strong>in</strong> Kap. 4.2.1 vorgestellten, von Besemer verwendeten<br />

Kategorien von Konfliktursachen <strong>und</strong> -gegenständen weiter differenziert <strong>und</strong> den<br />

Aspekten kulturelle Differenz <strong>und</strong> räumliche Nähe <strong>in</strong> der Nachbarschaft zugeordnet. Im<br />

dritten Abschnitt werden zusätzliche Aspekte behandelt, die weder der kulturellen noch<br />

der räumlichen Dimension zuzurechnen s<strong>in</strong>d, jedoch starke Auswirkungen auf die<br />

Entstehung oder Entwicklung der <strong>Konflikte</strong> hatten. Wie schon <strong>in</strong> der theoretischen<br />

Diskussion von Besemers Kategorienschema festgestellt, überschneiden sich e<strong>in</strong>ige<br />

Themengebiete zwangsläufig, da e<strong>in</strong>e weitaus vertieftere Analyse <strong>durch</strong>geführt werden<br />

müsste, um e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Zuordnung vorzunehmen. Dazu fehlten im Rahmen dieser<br />

geographischen Arbeit die psychologischen Fachkenntnisse, um also z.B. mit Sicherheit<br />

zwischen kultureller oder persönlich-psychologischer Motivation unterscheiden zu<br />

können. Es zeigt sich da<strong>durch</strong> noch e<strong>in</strong>mal die besondere Multidimensionalität von<br />

<strong>Konflikte</strong>n, <strong>in</strong> denen unterschiedliche Kulturen <strong>in</strong>volviert s<strong>in</strong>d. Im Fazit wird die Rolle der<br />

e<strong>in</strong>zelnen Aspekte im jeweiligen Fall gewichtet <strong>und</strong> e<strong>in</strong> an die empirischen Ergebnisse<br />

angepasstes Kategorienschema vorgestellt, welches e<strong>in</strong>e adäquate Konfliktanalyse <strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftsfällen unterstützen soll.<br />

Besemer entwickelt das Pyramidenschema zu e<strong>in</strong>er Drehscheibe weiter, um zu verdeutlichen,<br />

dass e<strong>in</strong> Konflikt nicht exklusiv e<strong>in</strong>er Konfliktart zugeordnet werden sollte. Es s<strong>in</strong>d<br />

immer mehrere Facetten vorhanden, die e<strong>in</strong>e unterschwellige Rolle für den jeweils<br />

aktuellen Konflikt spielen können (vgl. 2000, S. 29).<br />

Abb. 18: Von der Konfliktpyramide zur Drehscheibe<br />

Quelle: Besemer 2000, S. 28f<br />

6.2.1 Kulturelle Unterschiede<br />

In allen drei Untersuchungsfällen kann e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>fluss von kulturellen Unterschieden auf die<br />

Entstehung oder den Verlauf des Konflikts beobachtet werden, wobei sich Geme<strong>in</strong>samkeiten<br />

bei den drei Fällen herauskristallisieren. Zunächst wird aufgezeigt, <strong>in</strong>wiefern<br />

Ausländerfe<strong>in</strong>dlichkeit e<strong>in</strong>e Rolle für die Entstehung des Konflikts spielt. Dann wird an<br />

den Themen Lärmempf<strong>in</strong>dlichkeit <strong>und</strong> Regelorientierung aufgezeigt, welche kulturell<br />

unterschiedlichen E<strong>in</strong>stellungen vorliegen. Abschließend für den Bereich Kultur wird auf<br />

79


Analyse der Konfliktbiographien<br />

Kommunikation <strong>und</strong> die Rolle von Missverständnissen e<strong>in</strong>gegangen. Dieser Themenbereich<br />

ist von diversen Faktoren bee<strong>in</strong>flusst <strong>und</strong> so umfassend, dass er <strong>in</strong> Besemers<br />

Schema e<strong>in</strong>e eigene Kategorie e<strong>in</strong>nimmt. Im Folgenden wird allerd<strong>in</strong>gs auf besonders<br />

auf kulturspezifische Faktoren der Kommunikation e<strong>in</strong>gegangen.<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierung aufgr<strong>und</strong> kultureller Unterschiede<br />

Im Fall der türkischen Gaststätte sehen sich Frau Demir <strong>und</strong> Herr Yildirim aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r<br />

Nationalität diskrim<strong>in</strong>iert. Sie äußerten den E<strong>in</strong>druck, der Vermieter sei gegen Ausländer<br />

<strong>und</strong> auch generell würde viel schneller die Polizei geholt, wenn es sich um ausländische<br />

Kneipenbesitzer handle. Für den Mieter Borchert h<strong>in</strong>gegen sche<strong>in</strong>t die Herkunft der<br />

Pächter ke<strong>in</strong>e Konfliktursache zu se<strong>in</strong>. Das Hauptproblem ist se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach die<br />

auf den Betrieb e<strong>in</strong>er Livemusik-Kneipe ausgerichtete Art der Gastronomie <strong>und</strong> der<br />

dah<strong>in</strong>ter stehende wirtschaftliche Druck: „Also es gibt nicht den Nationalitätenkonflikt, es<br />

gibt e<strong>in</strong>fach nur dieses Problem, die Gastronomiemieter s<strong>in</strong>d genauso an die Hausordnung<br />

geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> müssen gegen die Hausordnung verstoßen, die da Nachtruhe von<br />

22 bis 6 Uhr vorschreibt, weil <strong>ihre</strong> Gastronomie anderst gestaltet ist.“ Auch der Mediator<br />

ist der Me<strong>in</strong>ung, dass ausländerfe<strong>in</strong>dliche Motivationen bei ke<strong>in</strong>er der deutschen Konfliktparteien<br />

e<strong>in</strong>e Rolle spielen <strong>und</strong> der Konflikt nicht ursächlich auf e<strong>in</strong>en kulturellen<br />

Unterschied zurückzuführen ist: „Ich glaub e<strong>in</strong> deutscher Wirt, der e<strong>in</strong> Musiklokal<br />

aufmachen hätt wollen, wär genauso an se<strong>in</strong>e Grenzen gestoßen.“<br />

Vergleichbar ist die Lage beim Fall „Unterkunft“. Renaldo Seeger ist der Me<strong>in</strong>ung, dass<br />

ihm viele Nachteile daraus entstehen, dass se<strong>in</strong>e Nachbarn <strong>und</strong> auch die städtischen<br />

Stellen, wie er es nennt, „was gegen S<strong>in</strong>tis haben“. Der Unterkunftsverwalter me<strong>in</strong>t<br />

dazu: „Er hat halt das Problem, dass er denkt, er is Mensch zweiter Klasse, weil er ke<strong>in</strong>e<br />

normale Sozialwohnung kriegt, weil ihn ke<strong>in</strong>er nimmt. Weil wenn e<strong>in</strong>er sigt oder hört, a<br />

S<strong>in</strong>ti (...), dann wird sofort die Tür zugeschlagen.“ Inwiefern also die von Seeger empf<strong>und</strong>ene<br />

Abneigung der Unterkunftsbewohner <strong>und</strong> der städtischen Mitarbeiter speziell<br />

auf e<strong>in</strong>e Diskrim<strong>in</strong>ierung aufgr<strong>und</strong> der S<strong>in</strong>ti-Kultur oder lediglich auf schlechte Erfahrungen<br />

mit Seeger <strong>in</strong> der Anlage <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er vom Unterkunftsverwalter angeführten berüchtigten<br />

Bekanntheit des S<strong>in</strong>tifamilienclans zurückzuführen ist, kann aufgr<strong>und</strong> dieser<br />

Interviewaussagen nicht e<strong>in</strong>deutig festgestellt werden, da die subjektiven E<strong>in</strong>drücke<br />

widersprüchlich s<strong>in</strong>d. Die Äußerung möglicher negativer E<strong>in</strong>stellungen gegenüber S<strong>in</strong>ti<br />

widerspricht zudem der erforderten political correctness <strong>in</strong> dieser beruflichen Stellung,<br />

so dass dies im Interview kaum thematisiert worden wäre. Der Unterkunftsverwalter<br />

betont vielmehr se<strong>in</strong> Verständnis für die Kultur: er sei selbst im Münchener Norden<br />

aufgewachsen, wo viele S<strong>in</strong>ti <strong>und</strong> türkische Migranten wohnten <strong>und</strong> wüsste <strong>durch</strong> die<br />

geme<strong>in</strong>same Schulzeit viel über deren Sozialgefüge <strong>und</strong> Denkweisen. Die Mediator<strong>in</strong> hat<br />

den E<strong>in</strong>druck, dass beim Unterkunftsverwalter ke<strong>in</strong>e Diskrim<strong>in</strong>ierung aufgr<strong>und</strong> kultureller<br />

Unterschiede vorliege, sondern die Problematik eher <strong>in</strong> vergangenen Vorfällen mit<br />

Seeger <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Ruf aufgr<strong>und</strong> früherer kle<strong>in</strong>er Straftaten begründet liegt. Wie sich im<br />

Folgenden an zitierten Aussagen von Herrn Stegmüller noch verdeutlichen wird, lässt<br />

sich bei ihm zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> stark <strong>durch</strong> Vorurteile <strong>und</strong> pauschalisierende Vorstellungen<br />

geprägtes Bild von S<strong>in</strong>ti feststellen, welches möglicherweise von se<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />

Jugendzeit <strong>und</strong> der jahrelangen Arbeitserfahrung mit S<strong>in</strong>ti stammt. Im Gegensatz zur<br />

Mediator<strong>in</strong>, die auch viel Erfahrung im Umgang mit S<strong>in</strong>ti besitzt, hatte ich hier jedoch<br />

<strong>durch</strong>aus den E<strong>in</strong>druck, dass Herr Stegmüller sich nicht wirklich bemüht, Seegers Lage<br />

zu verstehen bzw. sich <strong>in</strong> gewisser Weise überlegen fühlt.<br />

80


Analyse der Konfliktbiographien<br />

Beim Fall „Jugendzentrum“ sche<strong>in</strong>en ethnische Unterschiede für die Entstehung des<br />

Konflikts nicht die vorwiegende, aber doch e<strong>in</strong>e unterschwellige Rolle zu spielen. Die<br />

jugendlichen Besucher kommen größtenteils aus e<strong>in</strong>em auch im Regionalbericht der<br />

Jugendhilfeverwaltung von 2004 als strukturell benachteiligten ausgewiesenen Viertel.<br />

E<strong>in</strong> hoher Anteil stammt aus Migrantenfamilien <strong>und</strong> nach Auskunft der Leiter<strong>in</strong> besuchen<br />

auch Jugendliche, die teilweise schon e<strong>in</strong>mal straffällig geworden s<strong>in</strong>d das JuZ. Diese<br />

Aspekte sche<strong>in</strong>en, wie sich auch <strong>in</strong> der Befragung der Nachbarn zeigte, den meisten<br />

Akteuren deutlich zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> könnte nach E<strong>in</strong>schätzung der befragten Akteure die<br />

Sichtweise des JuZ <strong>durch</strong> die Nachbarn bee<strong>in</strong>flussen. So äußert e<strong>in</strong>e Mediator<strong>in</strong> die<br />

Vermutung: „[Die Jugendlichen], die auffällig s<strong>in</strong>d, die wollen die [Nachbarn] da nicht<br />

wirklich haben.“ Und auch die E<strong>in</strong>schätzung, dass e<strong>in</strong>ige Anwohner Vorurteile <strong>und</strong><br />

Ängste haben, die aufgr<strong>und</strong> von negativen Presseberichten, welche die Krim<strong>in</strong>alität<br />

ausländischer Jugendlicher thematisieren, geschürt werden, wird von e<strong>in</strong>em Mediator<br />

geäußert <strong>und</strong> bestätigte sich <strong>in</strong> der Befragung bei e<strong>in</strong>igen Nachbarn zum<strong>in</strong>dest, was die<br />

vorschnelle Beurteilung oder Unsicherheit gegenüber den Jugendlichen betrifft (vgl.<br />

Anhang 15).<br />

Neben diesen Ängsten vor Fremdem <strong>und</strong> Überfremdung, die Lüttr<strong>in</strong>ghaus (1998, S.124)<br />

wie schon ausgeführt beschreibt, sche<strong>in</strong>t aber vor allem e<strong>in</strong> kultureller Unterschied<br />

zwischen „Jung <strong>und</strong> Alt“ e<strong>in</strong>e Rolle zu spielen. „Es gibt ke<strong>in</strong> Jugendzentrum, das nicht -<br />

weil Jugend e<strong>in</strong>fach anstrengend ist <strong>und</strong> aneckt - gr<strong>und</strong>sätzlich Widerstand herausfordert,“<br />

me<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e Mediator<strong>in</strong> <strong>und</strong> auch der Jugendpfleger äußert: „Da geht’s um den<br />

Lärm, ob das jetzt deutsche oder nicht deutsche Jugendliche machen, ist gar nicht so<br />

relevant <strong>in</strong> dem Fall.“<br />

Es lässt sich also bezüglich möglicher Diskrim<strong>in</strong>ierungen <strong>in</strong> allen drei Fällen feststellen,<br />

dass kulturelle Zugehörigkeiten allen Konfliktbeteiligten bewusst s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> auch -<br />

zunächst wertfrei- mit bestimmten Eigenschaften <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht werden. Es<br />

liegt aus Sicht der Mediatoren <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall e<strong>in</strong> Konflikt vor, der <strong>durch</strong> fremdenfe<strong>in</strong>dliche<br />

Motivation verursacht wurde, was sich auch <strong>durch</strong> die Gespräche mit den Akteuren<br />

eher bestätigen als widerlegen lässt.<br />

Lärmempf<strong>in</strong>den<br />

Kulturelle Unterschiede spielen als Konfliktursache <strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>e Rolle, als sich <strong>in</strong> den<br />

Fällen Gaststätte <strong>und</strong> Jugendzentrum e<strong>in</strong> kulturell unterschiedliches Lärmempf<strong>in</strong>den<br />

abzeichnet. So me<strong>in</strong>t der Vermieter Strasshofer: „Das ist halt e<strong>in</strong>e unterschiedliche<br />

Mentalität der Gäste, die s<strong>in</strong>d lauter. Und die Demirs haben behauptet, die Musik ist<br />

nicht laut.“ Auch die Mediator<strong>in</strong> weist auf Unterschiede h<strong>in</strong>, „e<strong>in</strong>fach weil die Pächter die<br />

Wahrnehmung hatten, die Musik ist nicht laut, das dürfte man eigentlich nicht hören <strong>und</strong><br />

der Mieter aber gesagt hat, er hörts <strong>in</strong> der Früh um drei, er hörts wie wenn’s neben ihm<br />

spielen würde.“ Dabei muss allerd<strong>in</strong>gs auch der <strong>durch</strong> die jeweilige Situation geprägte<br />

Blickw<strong>in</strong>kel der e<strong>in</strong>zelnen Personen bedacht werden. Dies ist auch der Mediator<strong>in</strong><br />

bewusst, denn sie gibt zu bedenken, dass dabei wohl auch die unterschiedlichen Bedürfnisse<br />

E<strong>in</strong>fluss auf die Wahrnehmung nahmen: „<strong>und</strong> dann [ist da] halt bei dem e<strong>in</strong>en<br />

der Wunsch nach Ruhe <strong>und</strong> bei der Anderen der Wunsch, <strong>ihre</strong> Existenz zu sichern (...).“<br />

Neben der Lautstärke der Musik ist auch das laute Verhalten der Gäste unter anderem<br />

beim Verlassen des Lokals e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> für Beschwerden des Mieters Borchert: „Es s<strong>in</strong>d ja<br />

auch Probleme gewesen, dass die Gäste, die aus diesem Kulturkreis kommen, wenn sie<br />

draußen telefonieren, weil die Handys <strong>in</strong>nen dr<strong>in</strong> nicht gehen, (...) <strong>und</strong> die Leute haben<br />

81


Analyse der Konfliktbiographien<br />

im Sommer die Fenster auf, dann reden sie so laut <strong>in</strong> ihr Handy, dass man das im<br />

zweiten Stock noch versteht - wenn man die Sprache verstehen könnte.“<br />

Diese Problematik ergibt sich bei vielen gastronomischen Betrieben, egal welcher Kultur<br />

der Pächter oder die Besucher angehören. Interviewaussagen aus der Gruppenbefragung<br />

der türkischen Tanzgruppe <strong>und</strong> dem Interview mit der Leiter<strong>in</strong> der Koord<strong>in</strong>ierungsstelle<br />

Soraya Attari bestätigen jedoch, „dass Leute aus südlichen Ländern temperamentvoller<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> auch lauter“ (Attari) (vgl. auch Kap. 5.3.1).<br />

E<strong>in</strong> weiterer, vom Mieter Borchert genannter Aspekt ist die Art der Musik, die er als<br />

„schon ziemlich belastend“ empf<strong>in</strong>det. „Es nervt schon mehr, wenn es um Lärmbelästigung<br />

geht <strong>und</strong> wenn da anders getanzt wird <strong>und</strong> andere Musik ist.“<br />

Auch beim Jugendzentrum lassen sich Anzeichen für e<strong>in</strong> kulturell unterschiedliches<br />

Lärmempf<strong>in</strong>den bzw. damit verb<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>e unterschiedliche Toleranz gegenüber<br />

K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Jugendlichen beobachten. Zum e<strong>in</strong>en führt e<strong>in</strong> Nachbar <strong>in</strong> der Befragung<br />

an, ausländische Jugendliche seien besonders laut. Dies kann jedoch auch aus e<strong>in</strong>er<br />

kulturellen Zuschreibung aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>es Ärgers über die Störung beruhen. E<strong>in</strong>en<br />

anderen kulturellen Aspekt br<strong>in</strong>gt jedoch der aus dem Kosovo stammende Mediator e<strong>in</strong>:<br />

„Es gibt viele Regeln hier <strong>in</strong> Deutschland, dass man das nicht darf <strong>und</strong> dort nicht zu laut<br />

se<strong>in</strong> [soll], (...) im Kosovo gibt’s ke<strong>in</strong>e. (...) [W]enn man extrem laut ist schon, aber<br />

wenn man mit K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> der Wohnung spielt <strong>und</strong> dann kommt jemand <strong>und</strong> sagt: ´e<strong>in</strong><br />

bisschen leiser!´, das gibt’s bei uns nicht.“<br />

Im Gr<strong>und</strong>e handelt es sich <strong>in</strong> beiden Fällen also, gleichgültig ob zwischen verschiedenen<br />

Ethnien oder Altersgruppen um die unterschiedliche Bewertung von „Ruhe“ im nachbarschaftlichen<br />

Zusammenleben, bzw. um <strong>in</strong>dividuell unterschiedliche Bedürfnisse. E<strong>in</strong>e<br />

Mediator<strong>in</strong> weist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang auch auf e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />

immer stärker werdenden Individualismus h<strong>in</strong> <strong>und</strong> moniert, dass „die Toleranz auch<br />

relativ ger<strong>in</strong>g ist von Leuten, (...) sie auch nicht mehr so <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kollektiv zusammenleben<br />

können oder wollen.“ Diese Überlegungen stimmen mit den von Beck beschriebenen<br />

Prozessen der Individualisierung übere<strong>in</strong> (vgl. 1986, S. 206), wobei die Mediator<strong>in</strong><br />

die besondere Situation im Bezug auf K<strong>in</strong>der betont: „Die Leute sehen die eigenen<br />

Interessen, das eigene Ruhebedürfnis <strong>und</strong> sehen nicht, dass K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche<br />

e<strong>in</strong>fach irgendwo auch laut se<strong>in</strong> dürfen müssen.“<br />

Auslegung von Regeln<br />

Wie schon <strong>in</strong> Kapitel 5.3.1 beschrieben, ist <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> häufig e<strong>in</strong> kulturell<br />

unterschiedlicher Umgang mit Regeln <strong>und</strong> Vorschriften festzustellen. In den Beispielfällen<br />

entstehen die <strong>Konflikte</strong> mitunter aufgr<strong>und</strong> „als unvere<strong>in</strong>bar ersche<strong>in</strong>ender Normen<br />

<strong>und</strong> Werte unterschiedlicher kultureller Bezugssysteme“ (Schmitt 2003, S. 122). So<br />

erklären die Mediatoren das Konfliktgeschehen sowohl im Fall „Unterkunft“ als auch bei<br />

der Gaststätte „Ezgi“ mit der von der Mehrheitsgesellschaft abweichenden, <strong>in</strong>formelleren<br />

Auslegung von Regeln <strong>und</strong> damit, dass die Akteure „nicht wahrnehmen wollen oder<br />

können, dass <strong>in</strong> Deutschland halt alles sehr reglementiert ist, dass es tausend Vorschriften<br />

gibt <strong>und</strong> dass es Tausend Stellen gibt, die <strong>ihre</strong> Bestimmungen haben <strong>und</strong> die auch<br />

<strong>durch</strong>setzen können. Das nicht so viel <strong>in</strong>formell läuft“(Mediator Gaststättenfall).<br />

Im Fall „Unterkunft“ kann die unterschiedliche Beurteilung von <strong>in</strong>formellen Regeln auch<br />

als e<strong>in</strong>e Konfliktursache gesehen werden. So me<strong>in</strong>t die Mediator<strong>in</strong>: „Diese <strong>in</strong>formelle<br />

Entscheidung [Seeger <strong>in</strong> der Wohnung zu lassen, obwohl er nicht offiziell wohnberechtigt<br />

war; Anmerk. der Verfasser<strong>in</strong>], die hat ´ne ganz wesentliche Rolle gespielt. Weil der<br />

82


Analyse der Konfliktbiographien<br />

sagte, die wissen doch, dass ich da b<strong>in</strong>. Wieso geben sie uns denn dann die Wohnung?<br />

Und das war so e<strong>in</strong> bisschen der Punkt, wo ich zum Wohnungsamt gesagt hab, ich weiß,<br />

formell dürft Ihrs nicht sagen, <strong>in</strong>formell weiß ich aber, dass ihr wirklich auch wusstet,<br />

dass es diesen Mann gibt. Ihr müsst auch se<strong>in</strong>e Sicht verstehen, deswegen ist der so<br />

sauer.“<br />

Die Unterkunftsverwaltung ließ zunächst aus Kulanz das Paar geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> der Wohnung,<br />

sah sich dann aufgr<strong>und</strong> der schriftlichen Beschwerden der Unterkunftsbewohner<br />

jedoch gezwungen, dem offiziellen Weg zu folgen. Wie die Mediator<strong>in</strong> bestätigt, haben<br />

für S<strong>in</strong>ti <strong>in</strong>formelle Regeln oder e<strong>in</strong>e wörtliche Abmachung besonderes Gewicht. Daher<br />

führten die Umstände zu Missverständnissen <strong>und</strong> widersprachen nach Me<strong>in</strong>ung der<br />

Mediator<strong>in</strong> Seegers Gerechtigkeitss<strong>in</strong>n.<br />

Im Gaststättenfall stellt der Umgang mit Müll bzw. die Nichtbeachtung von Mülltrennungsvorschriften<br />

e<strong>in</strong>en Aspekt des Konflikts dar, den der Mediator mitunter auf kulturelle<br />

E<strong>in</strong>flüsse zurückführt: „Das Nichte<strong>in</strong>halten von Mülltrennung, ich me<strong>in</strong>, E<strong>in</strong>halten<br />

von Mülltrennung ist so was typisch deutsches, ist ja auch gut wenn’s funktioniert,<br />

Verordnungen. Die haben das überhaupt nicht beachtet. Da hat der Müll ke<strong>in</strong>e Rolle<br />

gespielt, ist <strong>durch</strong>aus auch e<strong>in</strong> kulturelles Signal.“ Unter anderem im Mittelmeerraum<br />

hätten solche, <strong>in</strong> Deutschland als wichtig erachtete Regeln, e<strong>in</strong>en niedrigeren Stellenwert.<br />

Auch im Jugendzentrumsfall kann e<strong>in</strong>e Übertretung der Ruhezeiten möglicherweise auf<br />

e<strong>in</strong>e bei Jugendlichen ger<strong>in</strong>gere Akzeptanz solcher Regelungen zurückgeführt werden,<br />

generell wurde jedoch von Seiten der Leiter<strong>in</strong> auf die E<strong>in</strong>haltung der Zeiten geachtet.<br />

Inwieweit rechtliche Vorschriften nicht bekannt waren oder bewusst weit auslegt <strong>und</strong><br />

überschritten wurden, ist neben kulturellen vor allem auf persönliche Faktoren zurückzuführen.<br />

Weitere Überlegungen zum Machtpotenzial von Regeln <strong>und</strong> gesetzlichen Vorschriften<br />

f<strong>in</strong>den sich als e<strong>in</strong> gesonderter Aspekt im Abschnitt 6.2.4 Macht<strong>in</strong>strumente.<br />

6.2.2 Kommunikation<br />

Zwischenmenschliche Kommunikation ist e<strong>in</strong> Aspekt, der sowohl stark <strong>durch</strong> kulturelle<br />

wie auch persönliche E<strong>in</strong>flüsse geprägt ist <strong>und</strong> welcher sich, wie <strong>in</strong> den theoretischen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen schon ausgeführt, e<strong>in</strong>schneidend auf den Verlauf e<strong>in</strong>es Konflikts auswirken<br />

kann (vgl. Avruch 1998; Deym-Soden 2004). Missverständnisse aufgr<strong>und</strong> sprachlicher<br />

Unterschiede sche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> den Beispielfällen ke<strong>in</strong>e besondere Rolle zu spielen. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

können auch Missverständnisse aufgr<strong>und</strong> mangelnder Kommunikation oder Fehlkommunikation<br />

auftreten <strong>und</strong> zum Auslöser für <strong>Konflikte</strong> werden. Solche Ursachen liegen<br />

möglicherweise für die weiteren <strong>Konflikte</strong> zwischen Renaldo Seeger <strong>und</strong> Unterkunftsverwalter<br />

Stegmüller vor, wie weiter unten noch verdeutlicht wird.<br />

Desweiteren wird das Auftreten e<strong>in</strong>er kulturell unterschiedlichen Kommunikationsstruktur<br />

<strong>und</strong> damit <strong>in</strong> Konfliktsituationen verb<strong>und</strong>ene Reaktionen von mehreren Mediatoren<br />

als Ursache für Missverständnisse benannt, die <strong>in</strong> allen drei Fällen e<strong>in</strong>e Rolle gespielt<br />

haben könnten. Haben Personen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> das Gefühl, sich verbal nicht<br />

ausreichend ausdrücken zu können, so würden sie eher aggressiv reagieren <strong>und</strong> dies<br />

würde oft missverstanden. In den Konfliktfällen wurden Renaldo Seeger <strong>und</strong> Tahir Demir<br />

von den Mediatoren als aggressiv auftretend bezeichnet. Bei beiden ist dies jedoch kaum<br />

auf sprachliche Barrieren zurückzuführen, sondern eher <strong>durch</strong> die Persönlichkeit begründet.<br />

Möglicherweise kann auch e<strong>in</strong>e Überforderung <strong>durch</strong> <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>m sozialen Milieu<br />

83


Analyse der Konfliktbiographien<br />

ungebräuchliche Kommunikationsformen vorliegen. Im Jugendzentrumsfall gab e<strong>in</strong>e<br />

Mediator<strong>in</strong> zu bedenken, dass <strong>in</strong> der direkten Ause<strong>in</strong>andersetzung zwischen Nachbarn<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen solche Kommunikationsaspekte e<strong>in</strong>e Rolle gespielt haben könnten.<br />

6.2.3 Räumliche Nähe<br />

In diesem Abschnitt werden Aspekte der <strong>Konflikte</strong> behandelt, die mit dem Wohnort <strong>und</strong><br />

dem nachbarschaftlichen Zusammenleben <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehen. In Besemers Schema<br />

lassen sich diese Aspekte vor allem <strong>in</strong> die Gruppe „Strukturelle Bed<strong>in</strong>gungen“ e<strong>in</strong>ordnen.<br />

Es zeigt sich jedoch, dass gerade bei Nachbarschaftskonflikten viele Komponenten zu<br />

dieser Kategorie gehören, was e<strong>in</strong>e Untergliederung nahe legt (vgl. 6.2.5). Im Folgenden<br />

sollen e<strong>in</strong>ige aus geographischer Perspektive <strong>in</strong>teressante Punkte beleuchtet<br />

werden. Zunächst wird auf die bei den Konfliktparteien vorherrschende Vorstellung von<br />

Nachbarschaft <strong>und</strong> deren kulturelle Prägung e<strong>in</strong>gegangen, dann wird die Problematik<br />

des geme<strong>in</strong>samen Alltags im räumlich engen Zusammenwohnen illustriert. Im Anschluss<br />

wird anhand der planerischen <strong>und</strong> baulichen Ursachen die Entstehung solcher Nachbarschaftskonflikte<br />

<strong>und</strong> deren Auswirkungen thematisiert, welche sich oft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stigmatisierung<br />

der Wohnlage äußern.<br />

Nachbarschaftsgedanke<br />

Unterschiedliche Vorstellungen darüber, was gute Nachbarschaft bedeutet, zeigen sich<br />

besonders deutlich im Fall „türkische Gaststätte“. So bedeutet für Herrn Borchert, der<br />

von vornhere<strong>in</strong> auf der Suche nach e<strong>in</strong>er ruhigen Wohnung war, nachbarschaftliches<br />

Zusammenleben, „dass man sich <strong>in</strong> Notfällen helfen kann, vorausgesetzt, man wird<br />

gefragt, <strong>und</strong> dass man Rücksicht nimmt auf Andere <strong>und</strong> sich halbwegs an die Hausordnung<br />

hält, wenn’s um Lärm geht <strong>und</strong> um unzumutbare Belästigung.“ Die Demirs h<strong>in</strong>gegen<br />

legen andere Schwerpunkte auf <strong>ihre</strong> Erwartungen an Nachbarschaft, sie möchten<br />

gerne Kontakt mit den Leuten im Haus, laden sie zum Feiern <strong>in</strong> <strong>ihre</strong> Gaststätte e<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

geben etwas aus. Sie äußern Enttäuschung darüber, dass sie aufgr<strong>und</strong> des Konflikts von<br />

e<strong>in</strong>igen Nachbarn nicht mehr gegrüßt werden.<br />

Auch Renaldo Seeger me<strong>in</strong>t: „Für mich heißt gute Nachbarschaft, wenn ich jetzt rausgehe,<br />

setz mich auf die Bank h<strong>in</strong>, dass ich nicht beschimpft werde: ´Du Zigeuner! Ich kann<br />

Euch nicht leiden!´ Für mich ist Nachbarschaft, wenn ich hier rausgehe: ´Hallo, Grüß<br />

Gott, wie geht’s?´ Zu den K<strong>in</strong>dern nett se<strong>in</strong>, mal re<strong>in</strong>kommen auf e<strong>in</strong>en Kaffee, (...)<br />

zusammen weg gehen, <strong>in</strong> die Stadt, e<strong>in</strong>fach gut verstehen. Und nicht , wenn ich rausgehe<br />

mitm H<strong>und</strong>: ´Ach, der hat e<strong>in</strong>en Kampfh<strong>und</strong>.´ <strong>und</strong> so weiter.<br />

Im Jugendzentrumsfall äußerte <strong>in</strong> der Befragung der Nachbarn der überwiegende Teil<br />

zwar Verständnis für die Jugendlichen <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>richtung, betonte jedoch fast im<br />

selben Atemzug, dass jedoch auch die Ruhezeiten berücksichtigt werden müssten. Die<br />

Jugendlichen versuchten im Vorfeld der Mediationsvorgespräche, <strong>durch</strong> e<strong>in</strong> Fest <strong>und</strong> die<br />

E<strong>in</strong>ladung aller umliegenden Nachbarn, e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Kennenlernen zu <strong>in</strong>itiieren.<br />

Nach Aussage der Leiter<strong>in</strong> erschien jedoch nur e<strong>in</strong>e Nachbar<strong>in</strong>, was zu Enttäuschung<br />

<strong>und</strong> Frustration bei den Jugendlichen führte.<br />

Diese Aussagen können nur e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick geben, deuten jedoch möglicherweise auf<br />

kulturelle Unterschiede h<strong>in</strong>. Pauschalisierend könnte man folgern, dass die Deutschen<br />

eher Wert auf die E<strong>in</strong>haltung von Hausregeln <strong>und</strong> gegenseitige Rücksichtnahme legen,<br />

woh<strong>in</strong>gegen <strong>in</strong> der türkischen <strong>und</strong> der S<strong>in</strong>ti-Kultur der soziale Kontakt <strong>und</strong> geme<strong>in</strong>schaftliche<br />

Unternehmungen im Vordergr<strong>und</strong> stehen. Geme<strong>in</strong>sam ist allen die Betonung<br />

höflicher Umgangsformen.<br />

84


Analyse der Konfliktbiographien<br />

Weitere <strong>Konflikte</strong> im nachbarschaftlichen Zusammenleben<br />

Im nachbarschaftlichen Alltag ergeben sich neben den schon beschriebenen Beschwerden<br />

über Lärm oder Beschimpfungen weitere <strong>Konflikte</strong>. So entstanden zum Beispiel <strong>in</strong><br />

der Unterkunftsanlage auch <strong>durch</strong> unterschiedliche Vorstellungen über die Sauberkeit im<br />

Haus <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Anlage <strong>Konflikte</strong> zwischen den Bewohnern. Der Unterkunftsverwalter<br />

schildert dies sehr illustrativ: „Es ist ja so, dass der Renaldo eigentlich sehr sauber ist<br />

<strong>und</strong> wir haben da ja Leute draußen gehabt, die nie Treppen putzen oder irgendwas. Und<br />

er ist - die s<strong>in</strong>d alle sehr auf Sauberkeit bedacht, dass ist also a großer Vorzug von die<br />

S<strong>in</strong>tis, das wirklich sauber san, <strong>ihre</strong> Wohnung super <strong>in</strong> Schuss ham, <strong>und</strong> gut, sie haben<br />

dafür andere negative Eigenschaften, aber das ist halt e<strong>in</strong>er der Gesichtspunkte, wo sich<br />

eigentlich von anderen Hausbewohnern raushebt. Und sie auch des gegenüber den<br />

anderen Hausbewohnern monieren. Und natürlich auf <strong>ihre</strong> Art <strong>und</strong> Weise <strong>und</strong> da<strong>durch</strong><br />

entsteht halt wieder e<strong>in</strong> Konfliktpotenzial. Er sagt: `Du bist a richtiges Sch..., weil du<br />

den Abfall da h<strong>in</strong> tust <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>e Treppn sauber machst, ich putz <strong>und</strong> du tust´s nicht <strong>und</strong><br />

da gibt halt e<strong>in</strong> Wort das andere <strong>und</strong> dann geht’s halt meistens zur Sache auch.“<br />

Zusätzliche Konfliktl<strong>in</strong>ien zwischen den Parteien<br />

Wie schon angedeutet, zeigen sich <strong>in</strong> den Fällen „Gaststätte“ <strong>und</strong> „Unterkunft“ neben<br />

dem Hauptkonflikt noch weitere Konfliktl<strong>in</strong>ien.<br />

Im Fall „Unterkunft“ bestanden vor <strong>und</strong> nach dem mediierten Konflikt weitere Kontroversen,<br />

die zum e<strong>in</strong>en auf Missverständnisse <strong>und</strong> Fehlkommunikation zwischen den<br />

Beteiligten, zum anderen auch auf organisatorische Fehler oder mangelnde Transparenz<br />

der städtischen Sozialwohnungspolitik zurückgeführt werden können. So berichtet<br />

Renaldo Seeger empört von mehreren <strong>Konflikte</strong>n mit Herrn Stegmüller, der ihm schon<br />

mehrmals e<strong>in</strong>e größere Wohnung versprochen hätte, die er letztendlich nie bekommen<br />

habe. In e<strong>in</strong>em Fall habe er sogar schon se<strong>in</strong>e Wohnung ausgeräumt <strong>und</strong> sei umzugsbereit<br />

gewesen, als es hieß: „Ja, die Wohnung hat e<strong>in</strong> anderer bekommen, tut mir leid,<br />

Herr Seeger.“ Zum anderen äußert Renaldo Seeger mehrmals Unverständnis über die<br />

Verteilungsregeln bzw. die Belegungspolitik der Unterkunftsverwaltung <strong>und</strong> darüber,<br />

dass nichts gegen das se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach asoziale Verhalten anderer Nachbarn<br />

unternommen werde.<br />

Im Fall „Ezgi“ gibt es auch Schwierigkeiten zwischen dem Mieter Borchert <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Vermieter Strasshofer. Borchert hat unter anderem das Gefühl, dass er unter falschen<br />

Voraussetzungen die Wohnung gemietet hat <strong>und</strong> nun vom Vermieter <strong>und</strong> anderen<br />

Mietern als Stellvertreter vorgeschickt wird, um den Konflikt auszutragen. Er revanchiert<br />

sich <strong>durch</strong> die Mietm<strong>in</strong>derung. Zum anderen sche<strong>in</strong>t es Probleme zwischen den Cous<strong>in</strong>s<br />

Aschauer <strong>und</strong> Strasshofer zu geben, da sich Herr Aschauer trotz mehrfacher Aufforderung<br />

nicht e<strong>in</strong>schaltet <strong>und</strong> se<strong>in</strong>erseits den Pächtern Druck macht.<br />

Räumlich enges Zusammenwohnen<br />

Die räumliche Nähe, das relativ enge Zusammenwohnen prägt die <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> allen drei<br />

Fällen stark. Ist der Abstand des Jugendzentrums zu den Wohnhäusern „so ger<strong>in</strong>g, dass<br />

der Konflikt eigentlich zwangsläufig entstanden ist“, wie der Jugendpfleger me<strong>in</strong>t, so<br />

bee<strong>in</strong>flusst auch die Wohnlage der S<strong>in</strong>tifamilie mit <strong>ihre</strong>m Kampfh<strong>und</strong> mitten <strong>in</strong> der<br />

Unterkunftsanlage nach Angaben der Mediator<strong>in</strong> sehr stark das Zusammenleben der<br />

Bewohner: „Da hast du e<strong>in</strong>fach gemerkt, wie schnell so ´ne Wohnanlage, die gut<br />

funktioniert, <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>en Bewohner vollkommen lahm gelegt werden kann. Und da<br />

kamen plötzlich andere Streitigkeiten auf, es wurde plötzlich alles gegen ihn verwendet,<br />

85


Analyse der Konfliktbiographien<br />

was auch gar nicht stimmte, er hat mit allen Bewohnern gestritten.“ Verstärkend wirkte<br />

sich bei der Konfliktaustragung nach Me<strong>in</strong>ung der Mediator<strong>in</strong> der Familienzusammenhalt<br />

der S<strong>in</strong>ti aus: „Bei S<strong>in</strong>tis ist e<strong>in</strong> Konflikt leider nicht nur mit E<strong>in</strong>zelpersonen, sondern es<br />

geht auf Familien über. Und das ist das Gefährliche, weil das dann große Familienbandenfehden<br />

s<strong>in</strong>d.“ Andere Bewohner <strong>und</strong> weitere S<strong>in</strong>tifamilien <strong>in</strong> der Wohnanlage hatten<br />

<strong>ihre</strong>r Beobachtung nach Angst vor erneuten Familienfehden. „Aber wenn Du so dicht<br />

zusammenwohnst, kann natürlich so was irre aufgehen, dann (...) kommt dieser Streit<br />

von Jahrzehnten wieder hoch <strong>und</strong> wird ausgetragen.“<br />

Kommunikationsprobleme <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Die Unterkunftsbewohner, zum Teil selbst S<strong>in</strong>ti e<strong>in</strong>er anderen Familie, versuchten den<br />

unbeliebten Mitbewohner „loszuwerden“. Dabei zeigt sich e<strong>in</strong>e Ausprägung der Austragung<br />

von Nachbarschaftskonflikten, die <strong>in</strong> vielen anderen Lebensbereichen vorkommt<br />

<strong>und</strong> als Mobb<strong>in</strong>g bezeichnet wird: „ (...) dafür dass sie ned dagegen ankommen können,<br />

versuchen´s über Beschwerden oder h<strong>in</strong>trum irgendwie, sag´ ma mal, schlechte Stimmung<br />

zu schüren. Und dann alle Leute für sich e<strong>in</strong>zunehmen <strong>und</strong> sich zusammenrotten<br />

<strong>und</strong> sagen, der muss weg, so ungefähr lauft des <strong>in</strong> dem Ton“, beschreibt der Unterkunftsverwalter.<br />

Renaldo Seegers Aussagen deuten die Persistenz solcher Verhaltensweisen<br />

an: „Hier draußen, alles neue Leute e<strong>in</strong>gezogen, die hassen den Herrn Seeger,<br />

die hassen mich. Die s<strong>in</strong>d gewarnt worden von den Alten. Und da kommt schon wieder<br />

das Gerede rum <strong>und</strong> so geht’s immer weiter.“<br />

Im Jugendzentrumsfall zeigt sich h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong> Kommunikationsproblem der Nachbarn<br />

untere<strong>in</strong>ander bzw. nochmals die Dom<strong>in</strong>anz, mit der E<strong>in</strong>zelne ganze <strong>Nachbarschaften</strong><br />

regelrecht terrorisieren können. Die Befragung der übrigen Anwohner ergab, dass<br />

mehrere Nachbarn Schwierigkeiten mit Frau Scheu, e<strong>in</strong>er Hauptbeschwerdeführer<strong>in</strong><br />

haben. Diese wird als überempf<strong>in</strong>dlich dargestellt, sche<strong>in</strong>t sich auch bei anderen Nachbarn<br />

über Lärm zu beschweren <strong>und</strong> hat darüber h<strong>in</strong>aus kaum nachbarschaftliche Kontakte.<br />

Es stellt sich heraus, dass der Kontakt zwischen Herrn Huber <strong>und</strong> ihr <strong>in</strong>zwischen<br />

abgebrochen ist.<br />

Diese Ausführungen sollen neben weiteren Konfliktgegenständen die Vielschichtigkeit<br />

von Nachbarschaftskonflikten veranschaulichen. Dabei spielt das Verhältnis der Akteure<br />

zue<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>e große Rolle. Weitere <strong>Konflikte</strong> neben dem <strong>in</strong> der Mediation behandelten<br />

mit anderen Nachbarn oder Vermietern können die Konfliktdynamik negativ bee<strong>in</strong>flussen<br />

<strong>und</strong> mitunter dessen Lösbarkeit bee<strong>in</strong>trächtigen. Sie können darüber h<strong>in</strong>aus, wie der<br />

Mediator <strong>und</strong> Ausbilder Faller aus der systemischen Sicht betont, auch als Anzeichen<br />

gewertet werden, dass der Konflikt nur e<strong>in</strong> Symptom für weitere Probleme <strong>in</strong> diesem<br />

Nachbarschaftssystem ist.<br />

Es zeigt sich <strong>in</strong> den Beispielfällen, welchen E<strong>in</strong>fluss das geme<strong>in</strong>same Vorgehen mehrerer<br />

Nachbarn gegen E<strong>in</strong>zelne oder im Gegenzug die nachhaltige Beschwerde von E<strong>in</strong>zelpersonen<br />

auf die gesamte Nachbarschaft ausüben können. An späterer Stelle wird noch<br />

stärker verdeutlicht, dass diese Druckmittel auch Machtpotenziale darstellen.<br />

Die räumliche Nähe spielt <strong>in</strong> Nachbarschaftskonflikten naturgemäß oft e<strong>in</strong>e Rolle. Wie<br />

bei der Kulturalisierung von <strong>Konflikte</strong>n zeigt sich hier jedoch auch, dass räumliche Nähe<br />

als vornehmliche Konfliktursache überbetont werden kann, die Probleme jedoch auch<br />

mitunter auf andere Faktoren, wie die psychische Verfassung <strong>und</strong> den Charakter e<strong>in</strong>er<br />

Person zurückzuführen se<strong>in</strong> können.<br />

86


Analyse der Konfliktbiographien<br />

Planungsfehler <strong>und</strong> bauliche Gründe<br />

Aus den Aussagen der Akteure lässt sich schließen, dass im Konflikt um das Jugendzentrum<br />

politische Machtspiele <strong>und</strong> mangelnde Transparenz e<strong>in</strong>e wichtige Rolle für die<br />

Entstehung des Konflikts spielten. Zum e<strong>in</strong>en wurde der Standort im Wohngebiet als<br />

vorgebliche Hausaufgabenhilfe <strong>durch</strong>gesetzt, obwohl verschiedene Stellen bei Sozialplanung<br />

<strong>und</strong> Bezirksausschuss weiterführend e<strong>in</strong> Angebot der offenen Jugendarbeit planten.<br />

Neben dieser mangelnden Transparenz <strong>in</strong> der Anfangsphase spielten sche<strong>in</strong>bar<br />

auch persönliche Animositäten verschiedener politischer Akteure auf Stadtteilebene, die<br />

zum Teil auch Eigentümer umliegender Wohnungen s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e Rolle, so dass <strong>in</strong> der<br />

Nachbarschaft schon vor Baubeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> Widerstand gegen das JuZ vorhanden war.<br />

Im weiteren Verlauf unterstützte auch die <strong>in</strong> der Conta<strong>in</strong>erbauweise begründete mangelnde<br />

Lärmisolierung die <strong>Konflikte</strong>ntstehung.<br />

Ebenso im Fall der Gaststätte, bei der sich die Lage <strong>in</strong> mehreren Aspekten auf den<br />

Konflikt auswirkt: zum e<strong>in</strong>en spielt die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es Musiklokals <strong>in</strong> der von Dämmung<br />

<strong>und</strong> Lage als Speiselokal geplanten Räumlichkeit e<strong>in</strong>e ursächliche Rolle für den<br />

Konflikt. So me<strong>in</strong>t die Mediator<strong>in</strong> rückblickend: „Es hat sich gezeigt, dass die Gastronomie<br />

mehr so e<strong>in</strong> Beiwerk war für die Kegelbahn, um e<strong>in</strong> bisschen was zu tr<strong>in</strong>ken <strong>und</strong><br />

gastronomisch zu versorgen, es war nicht gedacht für Musik- oder Tanzveranstaltungen.<br />

Es war vom Bau her nicht so vorgesehen, von der Isolierung, dass das so <strong>in</strong>tensiv<br />

genutzt wird <strong>und</strong> die Bausubstanz fördert das noch, das der ganze Schall nach oben<br />

zieht.“ Zum anderen schränkt die Kellerlage die Attraktivität der Gaststätte für Besucher<br />

e<strong>in</strong>, die sonst auch ohne die zusätzliche Attraktion der Livemusik angezogen würden.<br />

Dies bestätigen Aussagen von Frau Demir, wie auch der Ausspruch von Herrn Borchert:<br />

„Die Gaststätte liegt nicht so ideal, die Leute müssen <strong>in</strong> Keller runter, man kann’s dem<br />

Ottonormalverbraucher normalerweise heutzutage nicht mehr zumuten, also da ist ke<strong>in</strong>e<br />

Biergartenatmosphäre da unten im Keller.“<br />

6.2.4 Ökonomische Gründe<br />

Bisher zeigte die Analyse der Konfliktbiographien, dass kulturelle <strong>und</strong> räumliche E<strong>in</strong>flussfaktoren<br />

e<strong>in</strong>e sehr große Auswirkung haben, als alle<strong>in</strong>ige Erklärung für das Geschehen<br />

jedoch nicht ausreichen. Die im Folgenden dargestellten Aspekte spielen ebenso e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Rolle. In Besemers Kategorienschema lassen sich die Punkte ökonomische<br />

Gründe <strong>und</strong> Recht, wie auch soeben die räumlichen Aspekte, unter dem Punkt „strukturelle<br />

Bed<strong>in</strong>gungen“ e<strong>in</strong>ordnen, bzw. fallen diese, wie auch die im Folgenden dargestellten<br />

psychologische Gründe, unter se<strong>in</strong>e Kategorie „Interessen/ Bedürfnisse“. Bestimmte<br />

Aspekte lassen sich auch <strong>in</strong> Besemers Kategorie „Intrapersonale Probleme“ behandeln.<br />

Beim Fall Gaststätte „Ezgi“ müssen bei der Analyse der Entstehung des Konflikts neben<br />

kulturellen Ursachen <strong>und</strong> dem gr<strong>und</strong>sätzlichen Problem e<strong>in</strong>er Musik-Kneipe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Wohnviertel auch die jeweilige Lebenssituation berücksichtigt werden. So liegen für die<br />

Demirs vor allem ökonomische Gründe vor, die Bands bis 3 oder 4 Uhr morgens Livemusik<br />

spielen zu lassen. Für die Familie Demir bedeuten die E<strong>in</strong>nahmen <strong>durch</strong> die Gaststätte<br />

<strong>ihre</strong> Existenz, da sie schon <strong>durch</strong> die Ablöse, die sie für die Gaststätte bezahlt hat,<br />

verschuldet ist. Allerd<strong>in</strong>gs spielen ökonomische Überlegungen auch für die anderen<br />

Parteien e<strong>in</strong>e große Rolle <strong>und</strong> wirken sich <strong>in</strong> weiteren Spannungen zwischen den übrigen<br />

Akteuren aus. Herr Borchert ist <strong>durch</strong> den Verlust se<strong>in</strong>er Arbeitsstelle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ungünstigen<br />

Lage <strong>und</strong> m<strong>in</strong>dert aufgr<strong>und</strong> des Lärms se<strong>in</strong>e Mietzahlungen an Herrn Strasshofer.<br />

Für diesen entsteht da<strong>durch</strong> wirtschaftlicher Schaden <strong>und</strong> er ist besorgt, dass weitere<br />

87


Analyse der Konfliktbiographien<br />

Mieter <strong>ihre</strong> Miete m<strong>in</strong>dern könnten. Auch der nicht <strong>in</strong> die Mediation e<strong>in</strong>bezogene Vermieter<br />

der Gaststätte, Herr Aschauer, hat ökonomische Interessen: Zum e<strong>in</strong>en ist er natürlich<br />

am E<strong>in</strong>gang der Pachte<strong>in</strong>nahmen für die Gaststätte <strong>in</strong>teressiert, zum anderen würde<br />

er vermutlich die Kosten e<strong>in</strong>er umfassenden Schallschutzisolierung für die Gaststätte<br />

zum<strong>in</strong>dest teilweise mittragen müssen.<br />

Im Jugendzentrumsfall spielen nach E<strong>in</strong>schätzung mehrerer Akteure mangelnde städtische<br />

F<strong>in</strong>anzmittel e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>schränkenden Faktor, da da<strong>durch</strong> zum Beispiel e<strong>in</strong>e Verlegung<br />

des JuZ <strong>in</strong> näherer Zukunft nicht <strong>in</strong> Betracht kommt. E<strong>in</strong>er der ursprünglichen<br />

Gründe für die Ablehnung des JuZ können auch die f<strong>in</strong>anziellen Interessen der Eigentümer<br />

umliegender Wohnungen gewesen se<strong>in</strong>, welche <strong>durch</strong> den zu erwartenden Lärm<br />

Beschwerden <strong>und</strong> Mietm<strong>in</strong>derungen oder schlechtere Vermietbarkeit der Wohnungen<br />

befürchteten.<br />

Es zeigt sich also, dass strukturell bed<strong>in</strong>gte Konfliktursachen wie ökonomische Beweggründe<br />

nicht unterschätzt werden dürfen. Vor allem im Gaststättenfall stellen sie e<strong>in</strong>e<br />

gr<strong>und</strong>legende Handlungsmotivation der Pächter <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e essentielle Komponente des<br />

Konflikts dar. Ohne e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong> für die f<strong>in</strong>anzielle Problematik wird hier kaum e<strong>in</strong>e<br />

Beilegung des Konflikts möglich se<strong>in</strong>.<br />

6.2.5 Psychologische Gründe<br />

E<strong>in</strong>e sehr große Rolle für die Entwicklung des Konflikts spielen die psychischen H<strong>in</strong>tergründe<br />

der Akteure vor allem <strong>in</strong> Gaststättenfall. Auf Frau Demir lastet großer Druck<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r Familiensituation: der Ehemann ist psychisch krank, der Sohn benimmt<br />

sich <strong>in</strong> den Gesprächen aggressiv <strong>und</strong> bedroht den Mieter Borchert. Frau Demir äußert<br />

gegenüber dem Mediator, dass sie sich Sorgen mache, dass er <strong>in</strong>s Drogenmilieu abrutsche.<br />

Mit dem Kauf der Gaststätte wollte sie nach <strong>ihre</strong>n Aussagen e<strong>in</strong>e Zukunftsperspektive<br />

für den Sohn schaffen. Zudem vermutet der Mediator, dass die Aufgabe des Geschäfts<br />

für Frau Demir auch e<strong>in</strong>en enormen Gesichtsverlust <strong>in</strong>nerhalb der Betreibergruppe<br />

bedeuten würde <strong>und</strong> dies sie zusätzlich unter Druck setze. Während der Mediationsgespräche<br />

drohte sie immer wieder mit Selbstmord, wenn sie die Wirtschaft aufgeben<br />

müsse. Nach Erachten der Mediatoren suchen die Demirs <strong>in</strong> der Gaststätte auch e<strong>in</strong>e<br />

persönliche Orientierung <strong>und</strong> leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schwierigen familiären Situation, <strong>in</strong> der viele<br />

Hoffnungen an deren Betrieb geknüpft s<strong>in</strong>d. Diese Umstände würden dazu führen, dass<br />

„sie nicht <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, die E<strong>in</strong>richtung zu steuern“, so der Mediator.<br />

E<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>sätzliche Konfliktursache <strong>und</strong> eigentlich allen Konfliktparteien geme<strong>in</strong>same<br />

Motivation ist der Wunsch, mit se<strong>in</strong>en Bedürfnissen <strong>und</strong> Interessen ernst genommen zu<br />

werden. So ist zum Beispiel bei Herrn Borchert der H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> zu berücksichtigen: „Er<br />

hat se<strong>in</strong>e Arbeit verloren, dem geht’s mit se<strong>in</strong>em Selbstbewusstse<strong>in</strong> auch nicht so gut.<br />

Da möchte er sich wenigstens an e<strong>in</strong>em Punkt <strong>durch</strong>setzen können <strong>und</strong> ernst genommen<br />

werden, wenn er sich über D<strong>in</strong>ge beschwert, die nachvollziehbar s<strong>in</strong>d“, so der<br />

Mediator.<br />

E<strong>in</strong> ähnliches Empf<strong>in</strong>den drückt auch Renaldo Seeger aus: „Und wenn ich hier mal<br />

streite, das kommt bei mir e<strong>in</strong>mal im Jahr vor, e<strong>in</strong>mal im Jahr. Dann heißt´s gleich<br />

wieder: ´der Renaldo, der schreit´ (...). Da gibt’s e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>e Wörter, ich red schon<br />

viel zu lange, ich red schon viel zu viele Jahre. Und das schlimmste ist, nicht geglaubt zu<br />

werden.“ Im Gegensatz zu dieser Sichtweise aus der Innenperspektive beurteilt die<br />

Gegenpartei die Problematik oft vollkommen anders. So me<strong>in</strong>t Herr Stegmüller, der<br />

88


Analyse der Konfliktbiographien<br />

Unterkunftsverwalter, dass mit Renaldo Seeger schon desöfteren Probleme aufgetreten<br />

wären <strong>und</strong> schätzt dessen Selbstsicht wie folgt e<strong>in</strong>: „Er hat auch das Problem von der<br />

Persönlichkeit her, dass er woas, dass ´n koana mog, des is des e<strong>in</strong>e. Des is halt des<br />

immer, des arme Opfer, ke<strong>in</strong>er mag ihn, jeder geht auf ihn los, bloß, dass er Opfer <strong>und</strong><br />

Täter ist, des versteht er natürlich nicht.“<br />

Hier zeigen sich zwei Problembereiche: Zum e<strong>in</strong>en können psychische Belastungen <strong>und</strong><br />

weiterführende Problematiken das Konfliktgeschehen <strong>und</strong> die Möglichkeiten der <strong>Lösung</strong>sf<strong>in</strong>dung<br />

negativ bee<strong>in</strong>flussen, ohne dass die Akteure dies reflektieren.<br />

Zum anderen müssen, unabhängig von den ausgeprägten Problemen im Fall Gaststätte<br />

immer die natürlichen Bedürfnisse der Konfliktparteien nach gegenseitiger Akzeptanz,<br />

Anerkennung <strong>und</strong> Verständnis berücksichtigt werden.<br />

6.2.6 Macht<br />

In allen drei Fällen spielen die rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> der Verstoß gegen sie e<strong>in</strong>e<br />

entscheidende Rolle für den Verlauf des Konflikts. Sie legen fest, was richtiges <strong>und</strong> was<br />

falsches Verhalten ist <strong>und</strong> br<strong>in</strong>gen damit jeweils e<strong>in</strong>e Partei <strong>in</strong> die schwächere Position,<br />

<strong>ihre</strong> Interessen <strong>und</strong> Bedürfnisse <strong>durch</strong>zusetzen. Insofern kann die Rechtsposition <strong>und</strong><br />

die Drohung mit dem Rechtsweg e<strong>in</strong> Machtmittel darstellen. Desweiteren bieten sich den<br />

Konfliktparteien jedoch auch <strong>in</strong>formelle Druckmittel.<br />

Im Fall des Jugendzentrums ist „mit dem Gerichtsurteil was so Dom<strong>in</strong>antes <strong>in</strong> den Raum<br />

gesetzt worden. (...) E<strong>in</strong> Gerichtsurteil wird <strong>in</strong> dieser Gesellschaft als ganz wichtig <strong>und</strong><br />

als unveränderlich betrachtet“, me<strong>in</strong>t der Jugendpfleger. Dieser Gerichtsbeschluss<br />

regelte den Bau des JuZ, so dass die Nachbarn ke<strong>in</strong>e weitere Handhabe hatten, im<br />

Gegenzug werden dabei jedoch auch limitierende Auflagen für das Jugendzentrum<br />

festgeschrieben. Da<strong>durch</strong> ist der Spielraum für Interessenlösungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aushandlungsverfahren<br />

sehr e<strong>in</strong>geschränkt.<br />

Auf die kulturell unterschiedliche Auslegung von Recht im Fall „Unterkunft“ wurde<br />

bereits e<strong>in</strong>gegangen. E<strong>in</strong> weiterer Aspekt <strong>in</strong> diesem Fall ist auch die Verwendung von<br />

Gesetzen als Mittel zur Ausübung von Macht bzw. zum Versuch e<strong>in</strong>er Konfliktregelung.<br />

Nach Ansicht der Mediator<strong>in</strong> wurden sowohl auf Seiten der Unterkunftsverwaltung als<br />

auch von der S<strong>in</strong>tifamilie Machtmittel e<strong>in</strong>gesetzt, <strong>in</strong>dem die Verwaltung zunächst mit<br />

Vollzug der gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen drohte, e<strong>in</strong>e Zwangsräumung <strong>und</strong> Polizeie<strong>in</strong>satz<br />

ankündigte. „Die Verwaltung hat erst versucht, sich h<strong>in</strong>ter <strong>ihre</strong>n Gesetzen zu verstecken,<br />

weil sie nicht weiterkommt <strong>und</strong> die S<strong>in</strong>ti haben sich eben Verstärkung von außen geholt,<br />

dass Publicity, also Öffentlichkeit kommt. Das waren schon ganz e<strong>in</strong>deutig Waffen von<br />

beiden Seiten.“ Gerade über die Drohung, an die Presse zu gehen, s<strong>in</strong>d öffentliche<br />

Stellen sehr verletzbar, da negative Meldungen über Räumungen von Sozialwohnungen<br />

oder Benachteiligung sehr rufschädigend s<strong>in</strong>d.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Machtmittel, das Seeger im Zusammenleben mit den Nachbarn e<strong>in</strong>setzen<br />

kann, ist der Kampfh<strong>und</strong>, über den e<strong>in</strong> tierärztliches Unbedenklichkeitsgutachten verlangt<br />

wurde, damit er <strong>in</strong> der Unterkunftsanlage bleiben konnte.<br />

Im Fall „Ezgi“ s<strong>in</strong>d die Machtmittel auf Seiten der Bewohner des Hauses die Vorgaben<br />

des KVR bezüglich Musik <strong>und</strong> Abfallentsorgung oder auch der nächtliche Anruf bei der<br />

Polizei, deren Ersche<strong>in</strong>en bewirkt, dass die Gäste das Lokal verlassen <strong>und</strong> auf Dauer<br />

fernbleiben.<br />

89


Analyse der Konfliktbiographien<br />

Im Zusammenhang mit Bildung <strong>und</strong> sozialem Status stellt das Wissen über gesetzliche<br />

Vorschriften, Rechte <strong>und</strong> Pflichten e<strong>in</strong> Machtmittel dar. So weist die Mediator<strong>in</strong> des<br />

Unterkunftsfalls darauf h<strong>in</strong>, dass <strong>Konflikte</strong> auch entstehen, weil sich die Bewohner nicht<br />

ausreichend <strong>in</strong>formieren. „Die Bewohner <strong>in</strong>teressiert das Gesetz nicht, die wollen e<strong>in</strong>fach<br />

<strong>in</strong> Frieden leben. Und das macht es schwierig. Ich denke, die Leute aus der sozialen<br />

Situation kennen die Gesetze nicht so, haben auch nicht so die Möglichkeit, sich zu<br />

<strong>in</strong>formieren. Wir erk<strong>und</strong>igen uns <strong>und</strong> lesen nach <strong>und</strong> kucken, wo unsere Rechte s<strong>in</strong>d.“<br />

Ähnliches ist auch bei der Pächter<strong>in</strong> der Gaststätte „Ezgi“ zu beobachten. Inwieweit dies<br />

auch auf e<strong>in</strong>em persönlichen Unwillen, die rechtliche Situation zur Kenntnis zu nehmen<br />

oder e<strong>in</strong>em kulturellen Unterschied beruht, wurde schon andiskutiert <strong>und</strong> ist <strong>in</strong> diesem<br />

Rahmen nicht genau festzustellen.<br />

Es lässt sich feststellen, dass die <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht schwächere Partei <strong>in</strong> allen drei Fällen<br />

diejenige zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t, die nicht die gesetzlichen Vorgaben auf <strong>ihre</strong>r Seite hat (S<strong>in</strong>ti,<br />

türkische Pächter, Jugendliche). Wie aus den Interviewangaben zur Sozialstruktur<br />

hervorgeht, fällt dies zum e<strong>in</strong>en mit e<strong>in</strong>em eher niedrigen sozialen Status <strong>und</strong> Bildungsgrad<br />

zusammen, zum anderen aber auch mit e<strong>in</strong>em nicht-deutschen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>.<br />

Letzteres lässt sich <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>en kulturell anderen Umgang mit Regeln, oft aber auch<br />

e<strong>in</strong>fach <strong>durch</strong> deren Unkenntnis erklären. Dafür können generell unterschiedliche<br />

Zugangsbarrieren wie z.B. mangelhafte Sprachkenntnisse oder benutzerunfre<strong>und</strong>liche<br />

Darstellung verantwortlich se<strong>in</strong>.<br />

6.2.7 Fazit der Konfliktanalyse<br />

Strategischer E<strong>in</strong>satz von Kultur oder Diskrim<strong>in</strong>ierung?<br />

Nach dieser Betrachtung der e<strong>in</strong>zelnen Aspekte der Konfliktfälle lässt sich feststellen,<br />

dass es sich nicht um <strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne handelt, dass kulturelle<br />

Unterschiede e<strong>in</strong>e maßgebliche Ursache für das Entstehen des Konflikts s<strong>in</strong>d (vgl.<br />

Haumersen/ Liebe 1999, S. 36). In allen drei Fällen sche<strong>in</strong>t von Seiten der Deutschen<br />

offene Ausländerfe<strong>in</strong>dlichkeit oder Diskrim<strong>in</strong>ierung aufgr<strong>und</strong> ethnisch-kultureller Unterschiede<br />

ke<strong>in</strong>e ausgeprägte Rolle zu spielen, obwohl dies vor allem für die Pächter der<br />

Gaststätte <strong>und</strong> den S<strong>in</strong>to h<strong>in</strong>gegen schon e<strong>in</strong> Thema ist. Weiß weist darauf h<strong>in</strong>, dass es<br />

<strong>in</strong> solchen Situationen schwierig ist, zwischen tatsächlichen kulturellen Missverständnissen<br />

<strong>und</strong> deren strategischer Verwendung zu unterscheiden (vgl. 2001, S.16). So ist e<strong>in</strong>e<br />

Interpretationsmöglichkeit die bewusste Instrumentalisierung der kulturellen Zugehörigkeit<br />

<strong>durch</strong> die Migranten, um sich <strong>in</strong> der Opferrolle zu legitimieren <strong>und</strong> andere für die<br />

Benachteiligung verantwortlich zu machen. Diese Tendenzen zeigen sich <strong>in</strong> den analysierten<br />

<strong>Konflikte</strong>n bei der türkischen Pächter<strong>in</strong> <strong>und</strong> dem S<strong>in</strong>to. Möglich s<strong>in</strong>d auch Missverständnisse<br />

oder e<strong>in</strong>e unbewusste Überbewertung kultureller Verschiedenheit, die<br />

dazu führt, dass diese sich ausländerfe<strong>in</strong>dlich behandelt fühlen, auch wenn nach Ansicht<br />

der übrigen Befragten objektive Maßstäbe angewendet wurden. Es ist jedoch nicht<br />

auszuschließen, dass die Wahrnehmungsunterschiede auch auf e<strong>in</strong>e erhöhte Sensibilität<br />

der Migranten für reale Diskrim<strong>in</strong>ierungstendenzen zurückzuführen s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> die als<br />

maßgeblich für die Beurteilung der Lage angesehenen Mediatoren sich getäuscht haben.<br />

Mit Sicherheit lässt sich jedoch festhalten, dass Gefühle von Fremdheit <strong>und</strong> gegenseitige<br />

Vorurteile im Verlauf der <strong>Konflikte</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Beziehung der Konfliktparteien mitschwangen<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Situationen e<strong>in</strong> unterschwelliges Unwohlse<strong>in</strong> hervorriefen oder<br />

möglicherweise zu Missverständnisse <strong>und</strong> Fehl<strong>in</strong>terpretationen führten. Hier überlager-<br />

90


Analyse der Konfliktbiographien<br />

ten sich vermutlich jedoch polarisierte Gefühle aufgr<strong>und</strong> ethnisch-kultureller Differenz<br />

mit <strong>durch</strong> die Konfliktdynamik auftretenden Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Verhaltensänderungen<br />

(vgl. Schmitt 2003, S. 104).<br />

Kulturelle Unterschiede im Umgang mit dem Konflikt<br />

Die Fallbeispiele verdeutlichen, dass <strong>in</strong> der Tat e<strong>in</strong> kulturell unterschiedliches Lärmempf<strong>in</strong>den<br />

bzw. Ruhebedürfnis vorliegt. Es soll hier jedoch noch e<strong>in</strong>mal betont werden, dass<br />

das Empf<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>er Lärmbelästigung auch von der generellen E<strong>in</strong>stellung <strong>und</strong> der<br />

Aktivität im Konflikt geprägt ist. Das heißt, die Aktiven, den Lärm Verursachenden<br />

empf<strong>in</strong>den die Lautstärke weniger stark als die Passiven. Ebenso zeigt sich am Jugendzentrumsfall,<br />

dass die den Jugendlichen wohlgesonnenen Nachbarn die Störung weniger<br />

ausgeprägt empf<strong>in</strong>den als die sowieso schon verärgerten Nachbarn.<br />

Die rechtliche Situation <strong>und</strong> der Gebrauch <strong>in</strong>formeller Machtmittel<br />

Als e<strong>in</strong>er der wichtigsten Aspekte jedoch, als conditio s<strong>in</strong>e qua non, ist die rechtliche<br />

Lage des Konflikts zu sehen. Die Wahrnehmung <strong>und</strong> Auslegung von Regeln <strong>und</strong> Normen<br />

sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> den Beispielfällen teilweise kulturell bed<strong>in</strong>gt zu se<strong>in</strong>, <strong>ihre</strong> Existenz stellt aber <strong>in</strong><br />

jedem Fall e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>schneidende Begrenzung der <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten dar <strong>und</strong> würde<br />

bei e<strong>in</strong>em gerichtlichen <strong>Lösung</strong>sweg klar zu e<strong>in</strong>er Entscheidung ohne w<strong>in</strong>-w<strong>in</strong>-<strong>Lösung</strong><br />

führen. Breidenbach er<strong>in</strong>nert jedoch auch daran, dass Recht wiederum die stärkste<br />

Waffe gegen die Ausübung von Macht ist, es also nicht vergessen werden darf, dass die<br />

Rechtsordnung auch Schutz bietet (vgl. 1995, S. 78).<br />

Gerade <strong>in</strong> Nachbarschaftskonflikten geben gesetzlichen Vorgaben wie Ruhezeiten oder<br />

kommunalen Vorschriften bei der Abfallentsorgung den Rahmen vor <strong>und</strong> können als<br />

Machtmittel benutzt werden. Wie gezeigt wurde bieten sich jedoch e<strong>in</strong>e Reihe weiterer<br />

Möglichkeiten wie Unterschriftensammlungen oder Beschwerdebriefe, um Interessen zu<br />

artikulieren <strong>und</strong> Druck <strong>und</strong> Macht auszuüben. Die rechtliche Situation bedeutet damit<br />

jeweils für e<strong>in</strong>e Partei e<strong>in</strong>en Schutz <strong>ihre</strong>r Interessen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Macht<strong>in</strong>strument, welchem<br />

die andere Partei mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten an faktischer<br />

Machtausübung begegnet (Lärm machen, mit dem Kampfh<strong>und</strong> drohen, Öffentlichkeit<br />

e<strong>in</strong>beziehen etc.).<br />

Weitere wichtige Aspekte der <strong>Konflikte</strong><br />

Die Bedeutung der kulturellen <strong>und</strong> rechtlichen Faktoren wurde <strong>in</strong> den obigen Abschnitten<br />

ausgeführt. Desweiteren stellt die räumliche Lage <strong>in</strong> der Nachbarschaft e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende<br />

Ursache für die Entstehung der <strong>Konflikte</strong> dar, <strong>durch</strong> welche sich überhaupt die<br />

Möglichkeit e<strong>in</strong>es gestört Fühlens <strong>durch</strong> Lärm, Abfall, Streitigkeiten, etc. ergibt. Die<br />

Situation wird zudem aber auch <strong>durch</strong> extreme Nähe (Jugendzentrum) oder bauliche<br />

Voraussetzungen (Gaststätte <strong>und</strong> JuZ) verschärft.<br />

Zudem spielen <strong>in</strong> allen Fällen die Gefühle der Konfliktparteien, ungerecht behandelt zu<br />

werden oder nicht mit <strong>ihre</strong>n Bedürfnissen wahrgenommen zu werden, e<strong>in</strong>e ausgeprägte<br />

Rolle. Vor allem im Fall Unterkunft tragen wohl auch persönliche Missverständnisse <strong>und</strong><br />

Kommunikationsprobleme zu e<strong>in</strong>er Eskalation des Konflikts bei.<br />

Neben solchen persönlichen Handlungsmotivationen dürfen ökonomische Beweggründe<br />

nicht unterschätzt werden. Dabei ist <strong>in</strong> Nachbarschaftsfällen stets die Problematik der<br />

Mietm<strong>in</strong>derung <strong>durch</strong> <strong>Konflikte</strong> zu berücksichtigen, die e<strong>in</strong>e Handlungsmotivation für<br />

Vermieter <strong>und</strong> Eigentümer darstellen kann, auch wenn diese sonst nicht vom Konflikt<br />

betroffen s<strong>in</strong>d.<br />

91


Analyse der Konfliktbiographien<br />

Multikausalität von <strong>Konflikte</strong>n<br />

Breidenbach weist auf die Gefahr h<strong>in</strong>, die <strong>Lösung</strong> von <strong>Konflikte</strong>n schon <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>e zu<br />

begrenzte Analyse negativ zu bee<strong>in</strong>flussen. Neben dem bereits diskutierten Problem der<br />

Kulturalisierung nennt er die Gefahren der Verrechtlichung, also der Überbetonung des<br />

rechtlichen Aspekts <strong>und</strong> dem gegenüber der Entrechtlichung, also e<strong>in</strong>er zu engen<br />

Fokussierung auf soziale Faktoren <strong>und</strong> Beziehungsaspekte (vgl. 1995, S. 50ff). Beide<br />

Herangehensweisen bezeichnet er als <strong>in</strong>adäquate Prozesse, welche letztendlich zu e<strong>in</strong>er<br />

Verselbständigung des e<strong>in</strong>geschlagenen Weges <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schränkung des Spektrums<br />

möglicher <strong>Lösung</strong>en führen können (vgl. ebenda, S. 53). E<strong>in</strong>e möglichst vielen Blickw<strong>in</strong>keln<br />

gerecht werdende Konfliktbehandlung „hält den Konflikt für über das Recht h<strong>in</strong>ausgehende<br />

Aspekte, <strong>in</strong>sbesondere e<strong>in</strong>e Interessenlösung offen (...)“ (ebenda, S. 55).<br />

Die Analyse der <strong>Konflikte</strong> bestätigte, dass diese nur äußerst selten ausschließlich e<strong>in</strong>er<br />

Ursache zugeordnet werden können (vgl. Schmitt, 2003, S. 95; Besemer, 2002, S. 29).<br />

Daher ist es ratsam, bei der Konfliktanalyse möglichst umfassend vorzugehen, um der<br />

Gefahr zu entgehen, aufgr<strong>und</strong> der Überbetonung e<strong>in</strong>zelner Aspekte wie Kultur, Recht,<br />

Raum oder sozialen Problemen, Fehlschlüsse zu ziehen.<br />

Kategorienschema für die Analyse<br />

<strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

Um die Analysemöglichkeiten des Kategorienschemas von Besemer stärker auf <strong>in</strong>terkulturelle<br />

Nachbarschaftskonflikte zuzuschneiden, empfiehlt sich aufgr<strong>und</strong> der geschilderten<br />

Beobachtungen die im Folgenden vorgestellte Untergliederung.<br />

Die strukturellen Aspekte sollten aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r Bedeutung für den Konflikt <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r<br />

Diversität genauer aufgeschlüsselt werden. Dabei haben sich für Nachbarschaftskonflikte<br />

rechtliche <strong>und</strong> räumliche Bed<strong>in</strong>gungen als besonders e<strong>in</strong>flussnehmend herausgestellt.<br />

E<strong>in</strong>en weiteren strukturellen Aspekt, der auch sehr eng mit den rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen<br />

<strong>und</strong> der sozialen Situation der Konfliktparteien verb<strong>und</strong>en ist, stellen Machtasymmetrien<br />

dar. Um zu e<strong>in</strong>er befriedigenden <strong>Lösung</strong> zu kommen, dürfen Ungleichheitsverhältnisse,<br />

ob sie nun <strong>in</strong> Aspekten wie Schichtzugehörigkeiten, Alter, Geschlecht oder Ethnie<br />

wurzeln, nicht außer Acht gelassen werden (vgl. Weiß, 2001, S.4). Dabei sollten auch<br />

die e<strong>in</strong>gesetzten Machtmittel berücksichtigt werden.<br />

Die ökonomischen Bed<strong>in</strong>gungen werden zur Kategorie „Interessen/ Bedürfnisse“ gezählt,<br />

wobei Bedürfnisse mehr die immateriellen <strong>und</strong> psychologischen Bedürfnisse me<strong>in</strong>t <strong>und</strong><br />

Interessen eher als materielle Bedürfnisse zu verstehen s<strong>in</strong>d (vgl. Mar<strong>in</strong>ger/Ste<strong>in</strong>weg<br />

1997, S.5).<br />

Die kulturelle Komponente sollte nicht nur als E<strong>in</strong>zelaspekt betrachtet werden. In der<br />

Analyse zeigten sich mehrere Bereiche, <strong>in</strong> denen kulturelle Unterschiede Konfliktpotenzial<br />

bergen. Daher wird vorgeschlagen, Besemers Kategorien „Werte“, „Intrapersonale<br />

Probleme“ <strong>und</strong> „Missverständnisse/ Kommunikationsprobleme“ beizubehalten, da sie<br />

sich als wichtige Kategorien erwiesen haben.<br />

Besemers Kategorie „Sichtweisen“ wird übernommen, da sie andeutet, wie viel Gewicht<br />

auf der persönlichen Interpretation <strong>und</strong> Prioritätensetzung des Geschehens <strong>durch</strong> die<br />

Kontrahenten liegt. Sie kann übergeordnet auch <strong>in</strong> der Interpretation der Konfliktursachen<br />

während der Analyse <strong>durch</strong> die Mediatoren e<strong>in</strong>e unterschiedliche Fokus- <strong>und</strong><br />

Prioritätensetzung (vgl. die obigen Ausführungen zur Überbetonung von z.B. Kultur oder<br />

Recht) bedeuten. Unter Sichtweisen fällt ebenso die <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen noch stärker als<br />

92


Analyse der Konfliktbiographien<br />

<strong>in</strong> anderen <strong>Konflikte</strong>n auftretende Unfähigkeit zum Perspektivenwechsel, zum wirklichen<br />

Verständnis der anderen Partei. Andererseits sollte jedoch jedem e<strong>in</strong> Anrecht auf e<strong>in</strong>e<br />

eigene Sichtweise zugestanden werden, da es ke<strong>in</strong>e universelle Wahrheit gibt. Damit<br />

bef<strong>in</strong>det sich diese Kategorie auf e<strong>in</strong>er anderen, übergeordneten Ebene im Vergleich zu<br />

den übrigen, welche die personen- <strong>und</strong> umfeldbezogenen Beschränkungen <strong>und</strong> Zwänge<br />

umfassen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der thematischen Überschneidung <strong>und</strong> für die Analyse <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

wenig gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>gende Differenzierung bietet es sich an, die Kategorien<br />

„Beziehungsproblem“ <strong>und</strong> „Gefühle“, wie auch „Sachkonflikt“ <strong>und</strong> „Informationen“<br />

zusammenzufassen.<br />

Abb. 19: Analyseschema <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

Quelle: Eigene Bearbeitung auf Gr<strong>und</strong>lage von Besemer 2002, S. 29<br />

Auswirkungen der <strong>Konflikte</strong><br />

In den drei Konfliktfällen zeigen sich Geme<strong>in</strong>samkeiten <strong>in</strong> der Auswirkung der <strong>Konflikte</strong><br />

<strong>und</strong> dem Weg der letztlich zur Kontaktaufnahme mit KiK führte.<br />

Bei allen Fällen ergibt sich <strong>durch</strong> die <strong>Konflikte</strong> e<strong>in</strong> Attraktivitätsverlust der jeweiligen<br />

E<strong>in</strong>richtung (Gaststätte „Ezgi“, Jugendzentrum, Unterkunftsanlage) für die Nutzer <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e Bee<strong>in</strong>trächtigung des gesamten Umfelds. Allerseits zeigen sich zunächst Verärgerung<br />

<strong>und</strong> im weiteren Verlauf Frustrationen der Akteure über die Konfliktsituation <strong>und</strong><br />

die Unfähigkeit, sie zufriedenstellend zu regeln. Freiwillige Maßnahmen (u.a. zum<br />

Lärmschutz von JuZ-Leitung <strong>und</strong> Jugendlichen; Teilisolierung der Gaststätte; Beachtung<br />

von Auflagen für den Kampfh<strong>und</strong>) werden nur teilweise von der anderen Partei anerkannt<br />

<strong>und</strong> mildern die Konfliktdynamik lediglich ab. Die Kompromisse e<strong>in</strong>gehende Partei<br />

fühlt sich benachteiligt <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>n Bedürfnissen e<strong>in</strong>geschränkt. Unzufriedenheit <strong>und</strong><br />

Aversionen bleiben auf beiden Seiten <strong>und</strong> es ergibt sich ke<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong>, die alle zufrieden<br />

stellt – im Gegenteil, optimal ist die Situation nicht e<strong>in</strong>mal für jeweils e<strong>in</strong>e Seite. Je nach<br />

Ausprägung des Leidensdrucks beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e Partei zu handeln <strong>und</strong> zieht externe Hilfe<br />

h<strong>in</strong>zu.<br />

In vielen Fällen kann die Hilfe e<strong>in</strong>er dritten Partei bewirken, dass die Konfliktparteien die<br />

Perspektive des Anderen verstehen, sich Missverständnisse klären <strong>und</strong> neue <strong>Lösung</strong>swege<br />

erschließen. Im Folgenden wird zunächst dargestellt, welche Motivationen die<br />

Parteien hatten, an der Mediation teilzunehmen <strong>und</strong> was die Ziele der Mediatoren<br />

waren. Daran knüpft e<strong>in</strong>e Analyse des Verlaufs <strong>und</strong> der Ergebnisse der drei Mediationsbeispiele<br />

an.<br />

93


Analyse der Konfliktbiographien<br />

Motivationen an der Mediation teilzunehmen<br />

Um den weiteren Verlauf der Mediationen analysieren <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> Wirkung beurteilen zu<br />

können, muss zunächst e<strong>in</strong>mal verstanden werden, mit welchen Zielen <strong>und</strong> Erwartungen<br />

die Akteure, also die Parteien <strong>und</strong> die Mediatoren, <strong>in</strong> die Mediationsgespräche g<strong>in</strong>gen.<br />

Jugendzentrum<br />

Von den <strong>Konflikte</strong>n um das Jugendzentrum wurde e<strong>in</strong>er Mediator<strong>in</strong> <strong>durch</strong> die Zentrumsleitung<br />

berichtet. Die Mediatoren boten darauf h<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Konfliktmediation an. Ihre Ziele<br />

waren nach eigenen Aussagen zum e<strong>in</strong>en, zum<strong>in</strong>dest die Kernakteure an e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen<br />

Tisch zu br<strong>in</strong>gen, die bestehenden Vorurteile <strong>durch</strong> persönliche Bekanntschaft zu<br />

reduzieren <strong>und</strong> „für die aktuelle konfliktträchtige Situation <strong>Lösung</strong>en zu f<strong>in</strong>den, wie die<br />

beiden Parteien <strong>in</strong> dieser schwierigen Situation mite<strong>in</strong>ander umgehen können, bis e<strong>in</strong>e<br />

andere <strong>Lösung</strong> gef<strong>und</strong>en wird.“ Somit blieb auch die langfristige Orientierung im Blickfeld,<br />

auf kommunalpolitischer Ebene e<strong>in</strong>en Anstoß für die weitere Planung zu geben <strong>und</strong><br />

entscheidende Akteure an e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Tisch zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Die Leiter<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung gab an, <strong>durch</strong> die Erfolglosigkeit der vorangegangenen<br />

Verständigungsversuche etwas resigniert gewesen zu se<strong>in</strong>, erhoffte sich jedoch, dass die<br />

Mediatoren e<strong>in</strong>en Kommunikationsprozess e<strong>in</strong>leiten könnten.<br />

Die Jugendlichen wollten nach eigenen Aussagen vor allem geme<strong>in</strong>sam mit den Nachbarn,<br />

die sich bisher hauptsächlich per Telefon beschwert oder über den Zaun gerufen<br />

hatten, an e<strong>in</strong>em Tisch sitzen, um über <strong>Lösung</strong>en zu diskutieren. Davon erhofften sie<br />

sich Zugeständnisse von deren Seite, da sie das Gefühl hatten, schon viel mehr Kompromisse<br />

e<strong>in</strong>gegangen zu se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> weiteres Ziel der Jugendlichen sche<strong>in</strong>t es Interpretationen<br />

des Mediators nach auch zu se<strong>in</strong>, von den Nachbarn anerkannt zu werden <strong>und</strong><br />

mögliche negative Me<strong>in</strong>ungen über sich zu widerlegen, was er sowohl auf deren Identität<br />

als Jugendliche, aber auch auf die unterschiedliche Nationalität bezieht.<br />

Der Jugendpfleger nannte als se<strong>in</strong> Ziel vor allem, „dass die Jugendlichen dort e<strong>in</strong><br />

vernünftiges Angebot haben, womit sie was anfangen können.“<br />

Auf Seiten der direkt <strong>in</strong> den Konflikt <strong>in</strong>volvierten Nachbarn gab es, wie schon gesagt,<br />

ke<strong>in</strong> besonderes Interesse an e<strong>in</strong>er Mediation teilzunehmen bzw. verstarb Frau Huber,<br />

die Eigentümer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Nachbarwohnung, mit der die Mediatoren zu Beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> kurzes<br />

Informationsgespräch geführt hatten <strong>und</strong> die potentiell für die Teilnahme an e<strong>in</strong>er<br />

geme<strong>in</strong>samen Mediationssitzung <strong>in</strong> Frage gekommen wäre. Das Des<strong>in</strong>teresse der<br />

übrigen Anwohner erklärten sich die Mediatoren zum e<strong>in</strong>en <strong>durch</strong> die Frustration, bereits<br />

die Klage gegen den Bau des JuZ verloren zu haben <strong>und</strong> die Besorgnis, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Verhandlung<br />

darüber h<strong>in</strong>aus Zugeständnisse oder Abstriche von den <strong>durch</strong> das Urteil<br />

festgelegten Regelungen machen zu müssen. Zudem könnte die mangelnde Bereitschaft<br />

nach E<strong>in</strong>schätzung des Mediators auch daher stammen, dass ke<strong>in</strong> Nachbar sich <strong>in</strong> der<br />

Lage fühlte, als Repräsentant aller Nachbarn am Mediationsverfahren teilzunehmen.<br />

Gaststätte<br />

Im Fall „Gaststätte Ezgi“ nahm Herr Borchert Kontakt zu KiK auf. Er hatte von der<br />

Möglichkeit der kostenlosen Mediation gehört <strong>und</strong> hoffte, nachdem andere Wege bisher<br />

zu ke<strong>in</strong>em Ergebnis geführt hatten, da<strong>durch</strong> letztendlich zu se<strong>in</strong>er Nachtruhe am Wochenende<br />

zu kommen.<br />

Die Familie Demir hatte nach E<strong>in</strong>schätzung der Mediatoren e<strong>in</strong>en hohen Leidensdruck<br />

<strong>und</strong> versprach sich von der Mediation e<strong>in</strong>e Möglichkeit, Unterstützung für <strong>ihre</strong> Situation<br />

zu f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> die Gaststätte - möglichst <strong>in</strong> dieser Weise - weiterführen zu können.<br />

94


Analyse des Mediationsverfahrens<br />

Der Vermieter von Herrn Borchert, Herr Strasshofer, erhoffte sich e<strong>in</strong>e schnelle <strong>Lösung</strong><br />

des Konflikts <strong>und</strong> me<strong>in</strong>te: „Warum soll man’s nicht probieren?“.<br />

Die beiden Mediatoren hatten sich zunächst zum Ziel gesetzt, „dass die Parteien erst mal<br />

mite<strong>in</strong>ander reden, dass es von dem Rechtlichen, also von dem Druck wegkommt, dass<br />

Demirs die Wirtschaft gleich dicht machen müssen. Dass beide Seiten Bereitschaft<br />

signalisieren, <strong>in</strong> dem Haus geme<strong>in</strong>sam zu leben <strong>und</strong> das ruhig ablaufen kann.“<br />

Unterkunft<br />

Im Fall „Unterkunft“ hatte Herr Stegmüller bzw. der zuständige Abteilungsleiter im<br />

Wohnungsamt die Mediator<strong>in</strong> e<strong>in</strong>geschaltet, um während der Räumung die Situation zu<br />

beruhigen. Für die Mediator<strong>in</strong> war es jedoch zunächst wichtig, die Räumung der S<strong>in</strong>tifamilie<br />

zu verh<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> die Situation zu deeskalieren. Danach war neben e<strong>in</strong>em Wiederaufbau<br />

der Kommunikation zwischen Seeger <strong>und</strong> Stegmüller für sie wichtig, e<strong>in</strong>e „<strong>Lösung</strong><br />

zu f<strong>in</strong>den für beide Seiten, das Wohnungsamt <strong>und</strong> Familie, egal wie, aber es<br />

musste zu ´ner <strong>Lösung</strong> kommen“.<br />

Herr Stegmüller stimmte der Vermittlung <strong>und</strong> den Bed<strong>in</strong>gungen der Mediator<strong>in</strong> zu, da<br />

e<strong>in</strong>e gütliche E<strong>in</strong>igung letztlich auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Interesse lag. Auf Seiten der S<strong>in</strong>tifamilie<br />

war der Leidensdruck hoch, so dass <strong>durch</strong> die Vermittlung <strong>ihre</strong> Situation fast nur verbessert<br />

werden konnte. Beide Parteien stimmten e<strong>in</strong>er Vermittlung zu, ohne sich dabei<br />

ausdrücklich klar zu se<strong>in</strong>, was e<strong>in</strong>e Mediation ist oder dass die Mediator<strong>in</strong> spezielle<br />

Mediationstechniken anwendete.<br />

Als Ziele der Mediatoren lassen sich also zusammengefasst die Deeskalation der Situation,<br />

das Wiederbeleben e<strong>in</strong>er konstruktiven Kommunikation <strong>und</strong> das F<strong>in</strong>den von <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten,<br />

die zur Verbesserung der Lage der Parteien beitragen, festhalten.<br />

Die Konfliktparteien stehen teilweise unter hohem Leidensdruck <strong>in</strong> der aktuellen Konfliktsituation.<br />

Neben der Hoffnung <strong>ihre</strong> Interessen <strong>durch</strong>setzen zu können, spielen auch<br />

der Wunsch an erneute Kommunikation <strong>und</strong> Anerkennung der eigenen Situation e<strong>in</strong>e<br />

Rolle.<br />

6.3 Analyse des Mediationsverfahrens<br />

Wie <strong>in</strong> Kapitel 4.4.2 aufgezeigt, herrscht <strong>in</strong> der Fachwelt e<strong>in</strong>e rege Diskussion, <strong>in</strong>wiefern<br />

<strong>in</strong>terkulturelle Mediation andere Ansprüche erfüllen müsse, als e<strong>in</strong>e Mediation ohne die<br />

Beteiligung unterschiedlicher Kulturen. Dabei werden vor allem die Rolle von <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Missverständnissen <strong>und</strong> unterschiedlicher Sprache, der Umgang mit Machtasymmetrien,<br />

unterschiedlichen Werten <strong>und</strong> der Forderung der Neutralität des Mediators<br />

kontrovers diskutiert. Im Feld Nachbarschaftsmediationen zeigte sich <strong>in</strong> der Mediationspraxis<br />

<strong>und</strong> auch <strong>in</strong> den Fallstudien zu dieser Arbeit, dass hier die rechtlichen Gegebenheiten<br />

besonders berücksichtigt werden müssen.<br />

Im Folgenden soll an den drei Mediationsfällen aufgezeigt werden, <strong>in</strong>wiefern die soeben<br />

genannten Punkte e<strong>in</strong>e Rolle für das Verfahren gespielt haben <strong>und</strong> sich als problematisch<br />

erwiesen. Es wird darauf e<strong>in</strong>gegangen, welche Punkte die Mediatoren <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang als besonders auffällig empfanden <strong>und</strong> wie sie darauf reagierten. Dabei<br />

liegt der Schwerpunkt im Weiteren jedoch nicht darauf, die Wirksamkeit der von den<br />

Mediatoren angewandten Methoden zu bewerten, sondern Anforderungen an die<br />

<strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftsmediation aufzuzeigen <strong>und</strong> diese <strong>in</strong> Bezug zu den genannten<br />

theoretischen Überlegungen zu setzen.<br />

95


Analyse des Mediationsverfahrens<br />

Die Anforderungen an die Mediation werden im Folgenden an den Bereichen Sprache,<br />

Verhandlungsstil, Gruppenorientierung, E<strong>in</strong>stellung gegenüber der Neutralität des<br />

Mediators behandelt. Ebenso wird auf Machtasymmetrien <strong>und</strong> den E<strong>in</strong>fluss der rechtlichen<br />

Situation auf die Mediation e<strong>in</strong>gegangen. In Unterpunkten, welche Erfahrungen mit<br />

Kultur <strong>und</strong> Neutralität im Mediationsgespräch betreffen, wird hauptsächlich auf die Fälle<br />

„Unterkunft“ <strong>und</strong> „Gaststätte“ e<strong>in</strong>gegangen, da im Jugendzentrumsfall nur die erste<br />

Phase der Vorgespräche stattgef<strong>und</strong>en hat, die Akteure also nie an e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen<br />

Tisch saßen.<br />

Ferner wird überwiegend mit den Beobachtungen der Mediatoren gearbeitet. Dabei<br />

muss angemerkt werden, dass <strong>ihre</strong> Sichtweise auch kritisch h<strong>in</strong>terfragt werden muss, da<br />

sie <strong>durch</strong> eigene kulturelle Prägung bee<strong>in</strong>flusst <strong>und</strong> bisherige Erfahrungen stereotypisiert<br />

se<strong>in</strong> kann. Letztlich wird jedoch die Annahme zugr<strong>und</strong>e gelegt, dass die Mediatoren<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r Ausbildung <strong>und</strong> der allgeme<strong>in</strong>en Erfahrung <strong>in</strong> der Arbeit mit Migranten als<br />

Experten gelten können.<br />

Gefahr von Kulturalisierungen <strong>in</strong> der Mediation<br />

Wie gezeigt wurde, haben als Ursache für die Entstehung der <strong>Konflikte</strong> eher räumliche<br />

<strong>und</strong> strukturelle Ursachen e<strong>in</strong>e Rolle gespielt. Die Wirkungen kultureller Unterschiede<br />

ließen sich am unterschiedlichen Lärmempf<strong>in</strong>den, dem Umgang mit Regeln <strong>und</strong> dem<br />

gegenseitigen Umgang verdeutlichen. Wie auch bei der Konfliktanalyse tritt bei Analyse<br />

der Mediation die Gefahr e<strong>in</strong>er Kulturalisierung der Folgerungen auf, obwohl die Beobachtungen<br />

eigentlich auf andere Faktoren zurückzuführen wären bzw. Kultur nur e<strong>in</strong>en<br />

von verschiedenen E<strong>in</strong>flussfaktoren darstellt. E<strong>in</strong>e Mediator<strong>in</strong> fasst die Schwierigkeit, die<br />

genaue Rolle von Kultur zu def<strong>in</strong>ieren wie folgt <strong>in</strong> Worte: „Ich tu´ mir mit solchen<br />

Sachen immer schwer, weil die dann gleich <strong>in</strong> Stereotype übergehen. Also ich mag das<br />

eigentlich nicht so festsetzen,(...) irgendwelche Schubladen auf <strong>und</strong> wieder zu machen.“<br />

Es ist deshalb <strong>in</strong> den Ausführungen immer zu beachten, dass lediglich mögliche Zusammenhänge<br />

aufgezeigt werden, Kultur als Ursache jedoch kaum bewiesen werden kann.<br />

6.3.1 Sprachliche Missverständnisse<br />

Unterschiedliche Deutschkenntnisse spielten lediglich im Fall „Gaststätte“ e<strong>in</strong>e größere<br />

Rolle. Hier hatten beide Parteien den E<strong>in</strong>druck, dass es Verständigungsprobleme aufgr<strong>und</strong><br />

der Sprache gab. Die türkische Partei fiel während der Mediationsgespräche<br />

desöfteren <strong>in</strong> <strong>ihre</strong> Muttersprache, so dass die Mediatoren die Gefahr sahen, dass wichtige<br />

Me<strong>in</strong>ungen oder Diskussionspunkte nicht allen bekannt wurden. Sie wiesen immer<br />

wieder darauf h<strong>in</strong>, lediglich Verständnisfragen <strong>in</strong> Türkisch zu besprechen <strong>und</strong> achteten<br />

darauf, dass die Besprechungen größtenteils <strong>in</strong> Deutsch geführt wurden. Bei den<br />

Mediatoren blieb e<strong>in</strong>e gewisse Unklarheit, ob die Une<strong>in</strong>sichtigkeit von Frau Demir auf<br />

sprachliche Probleme oder <strong>ihre</strong> persönliche Art zurückzuführen sei, also „was sie nicht<br />

verstehen will <strong>und</strong> was sie verstanden hat“ (Mediator). Die Zusammenarbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

türkisch-deutschen Mediatorentandem hätte vielleicht zur <strong>Lösung</strong> dieser Verständigungsproblematik<br />

beitragen können.<br />

Auf weitere sprachliche Differenzierungen (Tonhöhe, Klangfarbe, etc.) oder nonverbale<br />

Sprache (Haltung, Mimik, Gestik, Verhältnis von Nähe <strong>und</strong> Distanz, etc.) konnte im<br />

Rahmen der Untersuchung nicht e<strong>in</strong>gegangen werden, es ist jedoch denkbar, dass auch<br />

auf dieser Ebene Missverständnisse stattgef<strong>und</strong>en haben könnten. Wie Deym-Soden<br />

bemerkt, liegt die größte Gefahr im verme<strong>in</strong>tlichen Verstehen, da im Folgenden ke<strong>in</strong>e<br />

96


Analyse des Mediationsverfahrens<br />

weiteren Versuche unternommen werden, die Situation genauer zu klären, sondern<br />

davon ausgegangen wird, was man glaubt verstanden zu haben (vgl. 2004, S. 150).<br />

6.3.2 Unterschiedliche Verhandlungsstile – kulturell bed<strong>in</strong>gt?<br />

Die Herstellung e<strong>in</strong>er konstruktiven Gesprächsatmosphäre stellt oft e<strong>in</strong> Problem dar,<br />

wenn die Konfliktparteien sehr aufgebracht s<strong>in</strong>d; bei der Beteiligung von Personen, die<br />

auch von <strong>ihre</strong>r kulturellen Prägung aus temperamentvoller s<strong>in</strong>d, kann sich dies noch<br />

steigern, wie die folgenden Beispiele aus dem Fall Gaststätte verdeutlichen.<br />

Die Mediatoren waren sich bewusst, dass es „bei ausländischen Gruppen e<strong>in</strong>e große<br />

Rolle spielt, dass zuerst die Atmosphäre stimmt, dass man über anderes redet, dreiviertel<br />

St<strong>und</strong>e über alles mögliche Andere, <strong>und</strong> den eigentlichen Kern erzählt man dann <strong>in</strong><br />

zehn M<strong>in</strong>uten - aber erst wenn die Beziehung stimmt.“ Sie erlebten <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>r ersten<br />

Mediationssitzung mit beiden Parteien, dass die Umsetzung dieser Vorstellung sich<br />

schwierig gestaltete, da die Atmosphäre aufgeheizt war. Vor allem von Seiten der<br />

türkischen Partei sei die erste Begegnung „sehr temperamentvoll“ gewesen <strong>und</strong> „gar<br />

nicht entspannt“. Diesbezüglich weist der Mediator auf e<strong>in</strong>en unterschiedlichen Umgang<br />

mit Sachlichkeit bzw. Emotionalität h<strong>in</strong>, den er e<strong>in</strong>erseits stark auf die persönliche <strong>und</strong><br />

psychische Situation von Frau Demir zurückführt, andererseits aber auch e<strong>in</strong>e kulturelle<br />

Komponente <strong>in</strong> diesem Unterschied sieht: „Tendenziell war’s so, dass die Gruppe der<br />

deutschen Vertreter versucht hat, sachlich zu bleiben <strong>und</strong> die Emotionen h<strong>in</strong>ten anzustellen<br />

<strong>und</strong> bei Frau Demir war’s genau umgekehrt.“ Die e<strong>in</strong>zelnen Personen der Interessengruppe<br />

„Gaststätte Ezgi“ zeigen dabei jedoch unterschiedliche Verhaltenstendenzen,<br />

was gegen e<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>fachende Zuschreibung auf die unterschiedliche Kultur<br />

spricht: Frau Demir geht wie schon angesprochen sogar soweit, Selbstmorddrohungen<br />

auszusprechen <strong>und</strong> übt damit Druck aus. Der Sohn Tahir „hat mit Gewaltandrohung<br />

gedroht <strong>und</strong> Herr Yildirim war der ausgleichende Teil, e<strong>in</strong> kultureller Vermittler.“<br />

Zudem zeigen sich bei allen Parteien unterschiedliche Fähigkeiten, mit der Gesprächssituation,<br />

das heißt dem offenen Ausdrücken von Gefühlen, umzugehen. Diese Beschreibungen<br />

des Mediators könnten auch auf e<strong>in</strong>e unterschiedliche Gesprächskultur der<br />

beiden deutschen Parteien schließen lassen: „Bei Herrn Borchert hatte ich den E<strong>in</strong>druck,<br />

er war sehr froh, mal reden zu können, Herr Strasshofer <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Vater, die waren eher<br />

zurückhaltend, auch so was nicht so sehr gewöhnt. Die Frau Demir musste man überhaupt<br />

sehr bremsen, dass sie mal andere reden lässt“.<br />

Es deutet sich an, dass die deutschen Teilnehmer <strong>in</strong> der Regel jedoch besser mit dem<br />

Ablauf des Mediationsverfahrens zurechtkommen. So nennt der Mediator beispielsweise<br />

das unterschiedliche Verhalten von Herrn Borchert <strong>und</strong> Frau Demir: „Er hat sich um die<br />

Verfahrensschiene sehr bemüht <strong>und</strong> blieb an den Fakten. Sie war sehr emotional, die<br />

Fakten hat sie verschwiegen.“ Neben der, wie schon ausgeführt, für sie <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht<br />

schwierigen Situation, können für dieses emotionale Verhalten von Frau Demir auch<br />

vere<strong>in</strong>fachend kulturelle Unterschiede oder geschlechtsbed<strong>in</strong>gte Eigenschaften als<br />

Erklärungsmöglichkeiten herangezogen werden. Dies muss allerd<strong>in</strong>gs unter Vorbehalt<br />

geschehen, da solche Zusammenhänge hier nur vermutet werden können.<br />

Die Mediator<strong>in</strong> des Unterkunftsfalls stellt fest, dass neben der unterschiedlichen Stellung<br />

von Mann <strong>und</strong> Frau <strong>in</strong> der Öffentlichkeit, auch die Familienorientierung bei den S<strong>in</strong>ti e<strong>in</strong>e<br />

große Rolle spielt. Letzteres zeigte sich <strong>in</strong> den Mediationsfällen unter anderem daran,<br />

welcher Personenkreis mit <strong>in</strong> die Mediation e<strong>in</strong>bezogen werden sollte. Beispielsweise<br />

nahmen Renaldo Seegers Mutter <strong>und</strong> Bruder an der geme<strong>in</strong>samen Mediationssitzung mit<br />

97


Analyse des Mediationsverfahrens<br />

der Unterkunftsverwaltung teil <strong>und</strong> im ersten Mediationsgespräch des Gaststättenfalls<br />

waren auch weitere Musiker <strong>und</strong> Bekannte der Demirs anwesend.<br />

Unterschiedliche Verhandlungsstile bzw. verschiedener Umgang mit der Verhandlungssituation<br />

kann also kulturell begründet se<strong>in</strong>, wobei sich H<strong>in</strong>weise auf die von Augsburger<br />

dargestellte Polarität zwischen affektiv-<strong>in</strong>formellem <strong>und</strong> rational–formellem Verhandlungsstil<br />

(vgl. 1992, S. 202) besonders <strong>in</strong> der Stimmung während der Mediationsgespräche<br />

zeigten.<br />

Die Vermutungen von Grotz, dass <strong>in</strong> der Mediation e<strong>in</strong> emotionales Verhandeln <strong>in</strong> der<br />

Hauptphase der Mediation problematisch <strong>und</strong> h<strong>in</strong>derlich sei, da sich an dieser Stelle des<br />

Verfahrens die Emotionen entladen haben sollten <strong>und</strong> e<strong>in</strong> sachlicher, lösungsorientierter<br />

Gesprächsstil vorausgesetzt werde (vgl. 2003, S.73), bestätigten sich <strong>in</strong>sofern, als die<br />

Mediatoren Schwierigkeiten andeuteten, die Situation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e lösungsorientierte Richtung<br />

zu steuern.<br />

6.3.3 Neutralität<br />

Wie bereits <strong>in</strong> Kapitel 4.4.2 festgestellt, ist es für e<strong>in</strong>en Mediator kaum möglich, vollkommen<br />

neutral zu se<strong>in</strong>, was die Sichtweise des Konflikts anbelangt. Doch se<strong>in</strong>e Neutralität<br />

begründet sich nicht dar<strong>in</strong>, ke<strong>in</strong>en eigenen Standpunkt zu haben, sondern neutral<br />

zu agieren <strong>und</strong> den Prozess neutral zu moderieren (vgl. Haumersen 1999, S. 180). Dabei<br />

sollte auf e<strong>in</strong>en Ausgleich der Macht geachtet werden (vgl. Abschnitt 6.3.4).<br />

E<strong>in</strong>stellung der Mediatoren zu Neutralität<br />

Oben genannte E<strong>in</strong>stellung zeigte sich auch bei den Mediatoren. Sie äußerten <strong>in</strong> der<br />

Befragung, dass sie eigenen Standpunkte zum Konfliktgeschehen haben, im Verfahren<br />

<strong>und</strong> der Begegnung mit den Parteien aber sehr um Neutralität bemüht waren. So me<strong>in</strong>t<br />

beispielweise die Mediator<strong>in</strong> des Unterkunftsfalls, dass sie beide Sichtweisen sehr gut<br />

verstehen konnte. Sie betont <strong>in</strong> diesem Zusammenhang die Schwierigkeit, aber auch die<br />

Bedeutung der Neutralität im Umgang mit anderen Kulturen: „Ich kann (...) vieles nicht<br />

verstehen von S<strong>in</strong>tis, bei Kulturen gibt’s so vieles, das man nicht verstehen kann. Also<br />

verstehen <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass ich sage, ich würde diese Werte, Normen übernehmen.<br />

Aber ich respektier´ sie. Ich kann’s stehen lassen. Also ich denke, es ist so wichtig, grad<br />

bei Kulturen, nicht parteiisch zu se<strong>in</strong>.“<br />

Die Mediatoren des Gaststättenfalls, die beide Deutsche s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> seit langem mit<br />

Migranten arbeiten, vermuteten zu Beg<strong>in</strong>n des Falls, dass die Situation mitunter <strong>durch</strong><br />

fremdenfe<strong>in</strong>dliche Schikane gegenüber den türkischen Gaststättenpächtern entstanden<br />

sei. Aufgr<strong>und</strong> der rechtlichen Ausgangslage <strong>und</strong> der unnachgiebigen Haltung der Pächter<br />

verändert sich ihr E<strong>in</strong>druck von der Situation jedoch. Sie betonen: „(...) wir haben da<br />

auch viel Verständnis dafür <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d sehr aufgeschlossen. Dennoch war´s nicht unsere<br />

Haltung, diese Position dort zu stärken <strong>und</strong> Familie Demir <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>r Vorgehensweise zu<br />

stärken, sondern schon zu schauen, wo s<strong>in</strong>d die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, wie s<strong>in</strong>d die<br />

Bestimmungen <strong>und</strong> <strong>in</strong> welchem Kontext bewegt sich das Ganze. Und dann zu versuchen,<br />

Familie Demir diese Rahmenbed<strong>in</strong>gungen klarzumachen <strong>und</strong> zu schauen, wie man<br />

konstruktiv <strong>und</strong> positiv damit umgeht.“ Beide äußern, dass sie im Laufe der Gespräche<br />

immer mehr den Mieter Borchert <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Wunsch nach Ruhe verstehen konnten.<br />

Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach haben sie dies jedoch <strong>in</strong> der Mediation nicht gezeigt, sondern auf<br />

die bestehenden rechtlichen Vorgaben h<strong>in</strong>gewiesen <strong>und</strong> versucht, darauf aufzubauen.<br />

98


Analyse des Mediationsverfahrens<br />

E<strong>in</strong>ige Mediatoren äußerten <strong>in</strong> der Befragung selbstkritisch, dass ihnen <strong>in</strong> manchen<br />

Situationen die Neutralität schwer fiel. Der Mediator im Jugendzentrumsfall stellte fest,<br />

dass er aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Arbeit mit Jugendlichen „auch e<strong>in</strong> bisschen parteiisch werden<br />

kann. Aber ich versuche nicht parteiisch zu werden, sondern lösungsorientiert zu se<strong>in</strong>.“<br />

Ebenso berichtet e<strong>in</strong>e Mediator<strong>in</strong> von der Schwierigkeit, der Art der Konfliktlösung<br />

gegenüber neutral zu se<strong>in</strong>, also nicht Mediation als den e<strong>in</strong>zigen <strong>Lösung</strong>sweg zu propagieren:<br />

„Ich hab´ gemerkt, dass es schwierig ist, nicht <strong>in</strong> diese Rolle zu kommen, die<br />

[Anmerk. d. Verfasser<strong>in</strong>: Mitglieder des Bezirksausschuss] überzeugen zu wollen, dass<br />

sie aber doch da unbed<strong>in</strong>gt mitmachen müssen.“<br />

Erwartungen der Parteien an die Neutralität der Mediatoren<br />

Die Mediator<strong>in</strong> des Gaststättenfalls hatte das Gefühl, dass die türkische Partei „die<br />

Hoffnung <strong>und</strong> Erwartung hatte, dass wir <strong>ihre</strong> Position vertreten. Das wir sie unterstützen<br />

dabei, dass sie dort (...) bleiben können.“ Hier zeigen sich möglicherweise e<strong>in</strong> kulturell<br />

unterschiedlicher Anspruch an die Neutralität der Mediatoren <strong>und</strong> der vorherrschende<br />

Wunsch nach Unterstützung <strong>und</strong> Anleitung. Dieser stärkere Anspruch der türkischen<br />

Partei an e<strong>in</strong>en emotional <strong>in</strong>volvierten <strong>und</strong> engagierten Mediator könnte die erwähnten<br />

Anforderung an e<strong>in</strong>en Mediator <strong>in</strong> eher traditionell geprägten Gesellschaften bestätigen,<br />

wo er Teil dieser Gesellschaft, persönlich <strong>und</strong> kontextbezogen sei (vgl. Augsburger 1992,<br />

S. 202). Es liegt auch der Gedanke nahe, dass die Familie Demir, die der <strong>in</strong> Hofstedes<br />

Schema als eher kollektivistisch e<strong>in</strong>zuordnenden türkischen Kultur entstammt, auf e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Lösung</strong> hofft, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong> Schiedsspruch gefällt wird (vgl. Kap. 4.2.3). Auch Faller weist<br />

darauf h<strong>in</strong>, dass klassische Mediatoren, wie z.B. die türkischen Agas, eher Schiedsrichter<br />

als Mediatoren waren. Diese allgeme<strong>in</strong> anerkannten weisen Personen brachten den<br />

Parteien mehr Empathie entgegen, schlugen <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten vor <strong>und</strong> trafen auch<br />

die Entscheidung. Neben solchen kulturellen Erklärungen kann diese Erwartung von Frau<br />

Demirs Seite aus jedoch auch mit der Überforderung <strong>durch</strong> die als ausweglos wahrgenommene<br />

Situation zusammenhängen.<br />

Aussagen von Herrn Borchert zeigen e<strong>in</strong>en für ihn wichtigen Punkt auf, der von se<strong>in</strong>er<br />

Seite her eher für die Präferenz e<strong>in</strong>es neutralen <strong>und</strong> distanzierten Mediators spricht. Er<br />

betont die Rolle der Mediatoren als offizielle Instanz, die „versucht haben über so e<strong>in</strong>en<br />

Rahmen, das e<strong>in</strong> bisschen amtlicher zu machen.“ Er erhoffte sich da<strong>durch</strong> nach eigenen<br />

Angaben e<strong>in</strong>e größere Zuverlässigkeit der Demirs bei der E<strong>in</strong>haltung der Abmachungen.<br />

Empf<strong>in</strong>dung der Parteien<br />

Die Konfliktparteien bezeichneten die Mediatoren <strong>in</strong> allen Fällen als sehr aufgeschlossen,<br />

verständnisvoll <strong>und</strong> lösungsorientiert. Niemand äußerte <strong>in</strong> den Interviews mir gegenüber<br />

das Gefühl, <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>e Handlung der Mediatoren benachteiligt worden zu se<strong>in</strong>. Das<br />

Ergebnis kann unter Umständen <strong>durch</strong> den E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er sozialen Erwünschtheit oder<br />

die Sorge, ich würde die Informationen weitergeben, bee<strong>in</strong>flusst worden se<strong>in</strong>. Dies lässt<br />

sich jedoch <strong>in</strong> gewissem Maße ausschließen, da die Fragen nach der Bewertung der<br />

Mediation <strong>durch</strong>aus kritisch beantwortet wurden (vgl. Kap. 6.4.1). Bedacht werden muss<br />

allerd<strong>in</strong>gs auf jeden Fall die Möglichkeit, dass die Parteien Gefühle der Benachteiligung<br />

hatten <strong>und</strong> dies nicht bewusst reflektiert haben oder sie sich <strong>in</strong> der Interviewsituation<br />

daran nicht er<strong>in</strong>nerten bzw. dem ke<strong>in</strong>e Bedeutung beimaßen.<br />

99


6.3.4 E<strong>in</strong>satz von Machtmitteln<br />

Analyse des Mediationsverfahrens<br />

Eng mit dem Thema der Neutralität verb<strong>und</strong>en ist die Diskussion über Machtungleichgewichte<br />

<strong>in</strong> der Mediation.<br />

Neben den bereits <strong>in</strong> der Konfliktanalyse angesprochenen rechtlichen <strong>und</strong> faktischen<br />

Machtmitteln, von denen vor allem die rechtlichen Vorschriften auch <strong>in</strong> den Mediationsgesprächen<br />

e<strong>in</strong>e beschränkende <strong>und</strong> druckausübende Rolle spielen <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

gesonderten Abschnitt behandelt werden, verwenden die Konfliktparteien noch weitere,<br />

hauptsächlich psychologische Druckmittel.<br />

Instrumentalisierung kultureller Zugehörigkeit<br />

Wie schon erwähnt, stellt e<strong>in</strong> Machtmittel, welches vor allem von der türkischen Partei<br />

im Gaststättenkonflikt <strong>und</strong> dem S<strong>in</strong>to Renaldo Seeger verwendet wird, die strategische<br />

Verwendung <strong>ihre</strong>r kulturellen Zugehörigkeit dar. Sie betonen die kollektive Seite des<br />

Konflikts, also dass der Konflikt entstanden sei, weil die andere Partei gegen S<strong>in</strong>ti bzw.<br />

Türken sei. Gerade <strong>in</strong> der deutschen Kultur kann mit dem Vorwurf der Ausländerfe<strong>in</strong>dlichkeit<br />

großer Druck ausgeübt werden. Da<strong>durch</strong> s<strong>in</strong>d letztlich jedoch die nichtdeutschen<br />

Konfliktparteien doppelt im Nachteil. Zum e<strong>in</strong>en, weil sie die gesetzlichen<br />

Regeln nicht beachten <strong>und</strong> zum anderen, weil sie gegen die bei der Mehrheitsgesellschaft<br />

übliche Form der Konfliktaustragung verstoßen, welche die Konzentration auf den<br />

Konflikt zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Personen legt (vgl. Weiß 2001, S.18).<br />

Androhung von Selbstmord oder physischer Gewalt<br />

Als ähnlich wirkendes Machtmittel ist im Fall „Gaststätte“ die wiederholte Selbstmorddrohung<br />

von Frau Demir zu bezeichnen. Sie macht dem Mieter Borchert Vorwürfe,<br />

schuld an <strong>ihre</strong>r Lage zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> versucht so, <strong>durch</strong> das Schüren von Schuldgefühlen<br />

Druck auszuüben. Die Mediatoren weisen sie diesbezüglich immer wieder darauf h<strong>in</strong>,<br />

dass es nicht um Schuldzuweisungen geht <strong>und</strong> Herr Borchert nur stellvertretend für die<br />

gesamte Mieterschaft am Gespräch teilnimmt. In e<strong>in</strong>er anderen Situation droht der Sohn<br />

Tahir Demir Herrn Borchert Gewalt an. Die Mediatoren weisen dies strikt zurück <strong>und</strong><br />

versuchen, die Mediation <strong>durch</strong> den Rückbezug auf die Gesprächs- <strong>und</strong> Mediationsregeln<br />

zu steuern.<br />

Instrumentalisierung sozialer Probleme<br />

Im Fall „Jugendzentrum“ nutzen auch die Jugendlichen das Druckmittel, e<strong>in</strong> schlechtes<br />

Gewissen zu erzeugen bzw. appellieren sie an das soziale Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong> 16-jähriger Gymnasiast me<strong>in</strong>t zum Beispiel: „Sollen wir uns erst vor dem NORMA<br />

treffen <strong>und</strong> die Leute anmachen?“ Er nutzt damit taktisch klug die bestehende Diskussion<br />

über die Wohnsiedlung als sozialen Brennpunkt <strong>und</strong> <strong>in</strong>strumentalisiert so die Gefahr<br />

e<strong>in</strong>er Krim<strong>in</strong>alisierung von Jugendlichen ohne s<strong>in</strong>nvolle Freizeitbeschäftigung als Druckmittel<br />

für deren Anliegen.<br />

Machtungleichgewicht <strong>durch</strong> fehlende Akteure<br />

Dennoch herrscht im Jugendzentrumsfall e<strong>in</strong>e große Machtasymmetrie. So me<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e<br />

Mediator<strong>in</strong> <strong>und</strong> deutet damit auch <strong>ihre</strong> Strategie zum Ausgleich des Machtverhältnisses<br />

an: „Ich denke, die Jugendlichen haben wenig Macht, wenig Lobby, wenig Möglichkeiten<br />

(...) <strong>ihre</strong> Interessen <strong>durch</strong>zusetzen (...) <strong>und</strong> das spielt ´ne Rolle <strong>und</strong> das haben wir auch<br />

versucht e<strong>in</strong> bisschen da<strong>durch</strong> auszugleichen, <strong>in</strong>dem wir versucht haben, Personen<br />

e<strong>in</strong>zubeziehen <strong>und</strong> auf diese Frage aufmerksam zu machen[. Personen,] die für die<br />

Jugendlichen sprechen, die auch für die Planung zuständig s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> dafür, dass da dann<br />

der Bedarf festgestellt wird <strong>und</strong> auch politisch was weitergebracht wird.“ Die Mediatoren<br />

100


Analyse des Mediationsverfahrens<br />

beziehen also im weiteren S<strong>in</strong>ne beteiligte Konfliktakteure e<strong>in</strong>, um die Machtbalance<br />

zugunsten der schwächeren Seite zu verbessern.<br />

Der E<strong>in</strong>bezug weiterer Personen spielt auch im Fall „Ezgi“ e<strong>in</strong>e ausgeprägte Rolle für das<br />

Machtgleichgewicht. Wie schon dargestellt, hätte nur der Vermieter der Gaststätte Herr<br />

Aschauer aus rechtlicher Sicht tatsächlich die Möglichkeit gehabt, E<strong>in</strong>fluss auf die Familie<br />

Demir zu nehmen. Da<strong>durch</strong>, dass er ke<strong>in</strong> Interesse an der Mediation zeigte bzw. von<br />

den Mediatoren nicht ausdrücklich e<strong>in</strong>bezogen wurde, fehlte e<strong>in</strong>e entscheidende Komponente<br />

<strong>in</strong> der Akteurskonstellation, die sich <strong>in</strong> positiver oder auch negativer Weise auf<br />

die Machtverteilung hätte auswirken können. Im besten Fall hätte Herr Aschauer unter<br />

Umständen, alle<strong>in</strong> <strong>durch</strong> se<strong>in</strong>e Teilnahme an e<strong>in</strong>er konstruktiven <strong>Lösung</strong>sf<strong>in</strong>dung, das<br />

Spektrum an s<strong>in</strong>nvollen <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten erweitert <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e stärkere Bereitschaft<br />

zu Zugeständnissen auf Seiten der Pächter erreicht. Andererseits hätte er auch <strong>durch</strong> die<br />

Androhung se<strong>in</strong>e rechtliche Macht zu nutzen <strong>und</strong> die Demirs zu kündigen zu e<strong>in</strong>er<br />

weiteren Schwächung dieser Partei beitragen können.<br />

Es zeigen sich <strong>in</strong> den Beispielfällen verschiedene Mittel, mit denen die Konfliktparteien<br />

versuchen, Macht auszuüben oder sich gegen bestehende Machtasymmetrien zu wehren.<br />

Als Möglichkeiten der Gegensteuerung nannten die Mediatoren den E<strong>in</strong>bezug<br />

unterstützender Personen oder das Er<strong>in</strong>nern an die vere<strong>in</strong>barten Mediationsregeln.<br />

Inwiefern Machtasymmetrien im Verlauf der Mediationsgespräche, wie Weiß fordert,<br />

offen thematisiert <strong>und</strong> ausgehandelt wurden (vgl. 2001, S.24), thematisierten die<br />

Mediatoren im Rahmen der Interviews nicht ausdrücklich. Als weiterführende Untersuchung<br />

wäre diesbezüglich e<strong>in</strong>e begleitende Analyse von Mediationsfällen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />

speziell auf die Behandlung von Machtasymmetrien im Gespräch fokussierte Auswertung<br />

<strong>in</strong>teressant.<br />

6.3.5 Recht<br />

Recht <strong>und</strong> Macht s<strong>in</strong>d extrem <strong>in</strong>terdependente Themenbereiche, die <strong>in</strong> allen drei Beispielfällen<br />

von Bedeutung s<strong>in</strong>d. Mediation setzt sich zum Ziel, die bestmögliche <strong>Lösung</strong><br />

für beide Parteien zu erreichen <strong>und</strong> orientiert sich deshalb nicht wie e<strong>in</strong>e Gerichtsverhandlung<br />

nur an den rechtlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen. Breidenbach weist darauf h<strong>in</strong>,<br />

dass <strong>in</strong> Fällen, die e<strong>in</strong>e Bewertung nach der Rechtordnung ermöglichen, die Tendenz der<br />

e<strong>in</strong>en Partei dazu geht, die andere zu bee<strong>in</strong>flussen, sich dem Recht freiwillig zu beugen<br />

(vgl. 1995, S. 67). Somit schw<strong>in</strong>det die Bereitschaft zu e<strong>in</strong>er kreativen <strong>Lösung</strong>, bei der<br />

unter Umständen Abstriche von den eigenen Rechten gemacht werden müssen bei<br />

vielen, auch wenn diese Rechte nicht mit <strong>ihre</strong>n realen Bedürfnissen übere<strong>in</strong>stimmen.<br />

Ebenso können Normen außerhalb der Rechtsordnung als Maßstab dafür dienen, wer<br />

Recht hat. Wie sich auch an den Beispielfällen zeigt, können dies Konventionen, rechtlich<br />

nicht anerkannte Gewohnheiten, moralische Positionen, der Fairnessgedanke etc.<br />

se<strong>in</strong> (vgl. Breidenbach 1995, S. 67). Inwieweit diese Normen <strong>und</strong> Werte aus kulturellen<br />

Gründen mit der Rechtslage unvere<strong>in</strong>bar s<strong>in</strong>d oder nicht akzeptiert werden bzw. dies aus<br />

anderen, strategischen Gründen geschieht, ist schwerlich festzustellen.<br />

Nun soll dargestellt werden, wie die rechtliche Lage die Konfliktlösung im Mediationsprozess<br />

der drei Beispielfälle bee<strong>in</strong>flusst hat <strong>und</strong> welche Möglichkeiten sich boten, die<br />

<strong>Lösung</strong>smöglichkeiten darüber h<strong>in</strong>aus zu erweitern.<br />

101


Analyse des Mediationsverfahrens<br />

Sanktionsmöglichkeiten der Verwaltung<br />

Die Mediator<strong>in</strong> im Unterkunftsfall bestand den Konfliktparteien gegenüber zunächst<br />

e<strong>in</strong>mal darauf, rechtliche Ansprüche <strong>und</strong> jegliche Druckmittel außen vor zu lassen. Sie<br />

versuchte, die Bereitschaft der Parteien für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressenbasierte <strong>Lösung</strong> zu erreichen<br />

<strong>und</strong> es stellte sich heraus, dass die Zukunft <strong>und</strong> der Verbleib der Familie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Unterkunft<br />

das Interesse war, das beiden Kontrahenten wichtig war. Auf dieser Basis wurde<br />

im Shuttle-Mediationsverfahren versucht, die rechtlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen des<br />

Wohnungsamts <strong>und</strong> dem gegenüber die Bedürfnisse der S<strong>in</strong>tifamilie gegene<strong>in</strong>ander<br />

abzuwägen <strong>und</strong> so den Rahmen für e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong> abzustecken, mit der beide Seiten<br />

zufrieden se<strong>in</strong> konnten. Dieses Vorgehen war effektiv, da sich die Positionen langsam<br />

annähern konnten. Allerd<strong>in</strong>gs spielte für die Kompromissbereitschaft der S<strong>in</strong>ti-Familie<br />

vermutlich die Machtposition der Verwaltung mit <strong>ihre</strong>n Sanktionsmöglichkeiten e<strong>in</strong>e<br />

Rolle. Das Aufzeigen solcher Grenzen stellt Aussagen von Herrn Stegmüller zufolge e<strong>in</strong>e<br />

von ihm desöfteren angewendete Strategie im Umgang mit Herrn Seeger dar. Dies<br />

funktioniere, da „er merkt, dass er (...) wenn er sich e<strong>in</strong>fügt <strong>in</strong>s Gefüge, eigentlich nur<br />

Vorteile hat. Und <strong>in</strong> dem Moment, wo er aneckt <strong>und</strong> wo er halt gegen bestimmte<br />

Vere<strong>in</strong>barungen ist, dass er da sofort Ärger kriegt. Und des hat er jetzt sche<strong>in</strong>bar<br />

irgendwie begriffen.“<br />

Akzeptanz rechtlicher Gr<strong>und</strong>lagen im Widerspruch mit Interessen<br />

Im Fall „Gaststätte“ teilten sich die Mediatoren die Zuständigkeiten auf, <strong>in</strong>dem der e<strong>in</strong>e<br />

sich speziell über die rechtlichen Voraussetzungen <strong>in</strong>formierte, der andere verstärkt die<br />

Bedürfnisse der Parteien analysierte. Sie sahen die Akzeptanz der Demirs für die rechtlichen<br />

Möglichkeiten des Betriebs e<strong>in</strong>er Musikgaststätte <strong>in</strong> dieser Wohnlage als Voraussetzung<br />

für e<strong>in</strong>e weitergehende <strong>Lösung</strong> an. Durch die f<strong>in</strong>anzielle <strong>und</strong> psychologisch-soziale<br />

Situation fiel es Frau Demir jedoch schwer, diese rechtlichen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>zuhalten.<br />

Ebenso g<strong>in</strong>g sie nicht auf die von Herrn Borchert vorgeschlagenen <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten<br />

wie zum Beispiel die Verlegung der Musikdarbietungen auf den frühen Abend oder die<br />

Suche nach e<strong>in</strong>er anderen Lokalität e<strong>in</strong>.<br />

Auch nach dem Abbruch der Mediation konnte sich jedoch die klar gegen die Gaststätte<br />

stehende Rechtsposition nicht als wirksame Machtposition erweisen, da Herr Aschauer<br />

nicht e<strong>in</strong>griff <strong>und</strong> die Eigentümergeme<strong>in</strong>schaft ohne se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>verständnis nichts gegen die<br />

Gaststätte unternehmen konnte. Die lange Dauer des Konflikts <strong>und</strong> der ergebnislose,<br />

langwierige Briefwechsel mit zuständigen Stellen wirken sich zusätzlich demotivierend<br />

aus. Diese Schritte stellen ansche<strong>in</strong>end ke<strong>in</strong> ernstzunehmendes Druckmittel für die<br />

Demirs dar, solange sie ke<strong>in</strong>e weiteren E<strong>in</strong>schränkungen <strong>in</strong> Kauf nehmen müssen.<br />

Beharren auf Rechtsanspruch blockiert Teilnahmebereitschaft<br />

Im Jugendzentrumsfall gab es für die Mediatoren <strong>durch</strong> die Nichtteilnahme der Nachbarn<br />

ke<strong>in</strong>e Möglichkeit, e<strong>in</strong>e Verhandlung zu beg<strong>in</strong>nen. Auch hier geben die rechtlichen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen wie im Gaststättenfall von vornhere<strong>in</strong> den Rahmen vor. Nach Me<strong>in</strong>ung<br />

mehrerer Akteure waren die Nachbarn nicht zu Kompromissen oder Abstrichen von<br />

dieser Rechtsposition bereit: „Die sagen, hier, das ist der Punkt, h<strong>in</strong>ter den geh´ ich<br />

nicht zurück, das ist die Macht <strong>und</strong> der Paragraph ist machtgegossen, <strong>und</strong> dieses<br />

Instrument haben die Nachbarn benutzt“, wie e<strong>in</strong>e Mediator<strong>in</strong> es ausdrückt.<br />

Nur im Unterkunftsfall gelang es <strong>in</strong> gewisser Weise, die <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten über die<br />

Möglichkeiten des Rechtwegs h<strong>in</strong>aus zu erweitern. In beiden anderen Fällen zeigte sich,<br />

dass die Durchsetzung der Interessen der Pächter <strong>und</strong> der Jugendlichen <strong>durch</strong> rechtliche<br />

102


Analyse des Mediationsverfahrens<br />

Gegebenheiten e<strong>in</strong>geschränkt wurden <strong>und</strong> es im Rahmen der Mediation nicht gelang,<br />

darüber h<strong>in</strong>aus kreative <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten zu schaffen.<br />

6.3.6 Fazit Mediationsdesign<br />

Diese Ausführungen zeigten auf, dass <strong>durch</strong> die Beteiligung unterschiedlicher Kulturen<br />

an e<strong>in</strong>er Mediation bestimmte kulturell unterschiedliche Anforderungen an das Mediationsdesign<br />

vorliegen. Ropers fordert e<strong>in</strong> „Mediationsdesign (...), das die Bedürfnisse <strong>und</strong><br />

Interessen aller Konfliktparteien (...), die sich aus <strong>ihre</strong>r kulturellen Zugehörigkeit ergeben,<br />

[angemessen berücksichtigt] ohne den Konflikt ungewollt (weiter) zu<br />

´kulturalisieren´“ (1995, S.79). Die Mediatoren haben aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r Ausbildung <strong>und</strong><br />

der Arbeitserfahrungen mit Migranten das Design teilweise an diese Ansprüche angepasst.<br />

In Tabelle 4 werden die sich andeutenden Problematiken, dah<strong>in</strong>terstehende,<br />

möglicherweise kulturell bed<strong>in</strong>gte Bedürfnisse <strong>und</strong> mögliche Reaktionen der Mediatoren<br />

darauf tabellarisch zusammengefasst. Diese Übersicht wurde <strong>in</strong> Punkten, die den<br />

empirischen Ergebnissen nicht zu entnehmen waren, <strong>durch</strong> Überlegungen aus der<br />

Literatur (vgl. Darstellungen <strong>in</strong> Kap. 4.4.2) ergänzt, so dass sich e<strong>in</strong>e Gesamtübersicht<br />

möglicher Problembereiche <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftsmediation ergibt.<br />

<strong>Lösung</strong>en für kulturell unterschiedliche Ansprüche an Neutralität<br />

Da die Überlegungen bezüglich der möglicherweise kulturell geprägten Erwartungen<br />

e<strong>in</strong>es stärker unterstützenden oder schlichtend e<strong>in</strong>greifenden Mediators die Anwendung<br />

von Mediation <strong>in</strong> solchen <strong>Konflikte</strong>n <strong>in</strong> Frage stellen könnten, soll hier nochmals kurz auf<br />

diese Thematik e<strong>in</strong>gegangen werden.<br />

In den Beispielfällen ließ sich feststellen, dass die Migranten tendenziell eher e<strong>in</strong>e<br />

stärkere Unterstützung <strong>durch</strong> die Mediatoren oder e<strong>in</strong>e gewisse Parte<strong>in</strong>ahme für sich<br />

erwarteten. Daraus kann noch nicht automatisch abgeleitet werden, dass die Akzeptanz<br />

der neutralen Stellung des Mediators generell angezweifelt werden muss, da sich dieses<br />

Verhalten unter anderem auch aus der persönlichen Problematik oder e<strong>in</strong>er Unsicherheit<br />

<strong>in</strong> rechtlichen D<strong>in</strong>gen herleiten lässt. Die Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong> des KiK-Projekts bestätigt jedoch<br />

aus <strong>ihre</strong>r Erfahrung <strong>in</strong> der Arbeit mit Migranten, dass diese generell stärker auf e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Lösung</strong>svorgabe oder Hilfestellung hoffen. Im Gegenzug dazu sche<strong>in</strong>t auf der deutschen<br />

Seite eher e<strong>in</strong> Interesse daran zu bestehen, selbst <strong>Lösung</strong>en zu f<strong>in</strong>den, es besteht<br />

jedoch auch die Erwartung an die Mediatoren, e<strong>in</strong>e gewisse Macht- oder Kontroll<strong>in</strong>stanz<br />

darzustellen. Diese Beobachtungen könnten Anzeichen dafür darstellen, dass das<br />

Mediationsverfahren <strong>in</strong> der praktizierten Form nicht optimal auf die kulturell unterschiedlichen<br />

Konfliktlösungsstrategien zugeschnitten ist, sondern <strong>in</strong> vielen Kulturen e<strong>in</strong>e<br />

tendenziell dom<strong>in</strong>antere, eher schiedsrichterliche Position der Mediatoren erwartet wird.<br />

Daher sollte <strong>in</strong> <strong>Konflikte</strong>n, <strong>in</strong> denen sich solche unterschiedlichen Erwartungen zeigen,<br />

zunächst geprüft werden, ob Informationsmangel oder Unsicherheiten dazu führen, e<strong>in</strong>e<br />

stärkere Unterstützung des Mediators zu erwarten <strong>und</strong> gegebenenfalls e<strong>in</strong>e dementsprechende<br />

Beratung <strong>durch</strong>geführt oder vermittelt werden. Erhärtet sich die Vermutung,<br />

dass schiedsrichterliches E<strong>in</strong>greifen bevorzugt würde, so kann abgewogen werden, ob<br />

Mediation das richtige Verfahren ist oder auf andere Konfliktmanagementmethoden mit<br />

stärker direktivem Charakter zurückgegriffen werden sollte (vgl. Scimecca 1991, S. 29;<br />

KiK-Mediatoren s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> solchen Methoden geschult, vgl. Vermittlungskommission im<br />

JuZ-Fall). Greift der Mediator stärker <strong>in</strong> die <strong>Lösung</strong>sf<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>, muss dies nicht automatisch<br />

zu e<strong>in</strong>er Unzufriedenheit der Parteien mit der <strong>Lösung</strong> führen. Ideale der Mediation<br />

103


Analyse des Mediationsverfahrens<br />

wie die Eigenverantwortlichkeit der Konfliktgegner für die <strong>Lösung</strong> <strong>und</strong> die da<strong>durch</strong><br />

erwartete erhöhte Akzeptanz <strong>und</strong> Dauerhaftigkeit werden jedoch <strong>in</strong> Frage gestellt.<br />

Tab. 4: Problembereiche <strong>in</strong>terkultureller Mediation <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Thematik Problematik Bedürfnis der<br />

Parteien<br />

Methoden<br />

Sprache - Missverständnisse <strong>durch</strong> Sich ausdrücken - Geme<strong>in</strong>same Sprache<br />

sprachliche Unterschiede können, verstehen - Übersetzung<br />

- <strong>Interkulturelle</strong> Missverständnis- <strong>und</strong> verstanden - Verlangsamen <strong>und</strong> Spiegeln<br />

se werden aufgr<strong>und</strong> sprachlicher<br />

Unterschiede nicht geklärt<br />

- zusätzliche Distanz<br />

zwischen den Parteien<br />

werden<br />

Gesprächs- - unterschiedliche Ansprüche Mediationssituation - E<strong>in</strong>bezug wichtiger Personen<br />

situation bezüglich Formalität (affektiv- als angemessen - Shuttle- Mediation<br />

<strong>in</strong>formell vs. rational–formell)<br />

- unterschiedliche Wünsche<br />

bezüglich Teilnehmern<br />

(Gruppenorientierung vs.<br />

E<strong>in</strong>zelangelegenheit)<br />

empf<strong>in</strong>den<br />

Emotionales - Steuerbarkeit der Mediation Gefühle zeigen - Gefühle zulassen<br />

Verhandeln erschwert<br />

können<br />

- auf Sachebene lenken<br />

- Shuttle-Mediation<br />

Macht- - Benachteiligung e<strong>in</strong>er Partei Gleichberechtigt - E<strong>in</strong>bezug von Unterstützern<br />

asymmet - Blockierung e<strong>in</strong>er<br />

se<strong>in</strong><br />

der schwächeren Partei<br />

rien lösungsorientierten Haltung Sich gerecht (Familie, Interessenvertreter)<br />

(<strong>durch</strong><br />

Kulturalisierung,<br />

rechtliche o.<br />

strukturelle<br />

Ungleichgewichte)<br />

behandelt fühlen - E<strong>in</strong>haltung der<br />

Mediationsregeln fordern<br />

- Reflexion <strong>und</strong> offenen<br />

Diskussionsprozess anstoßen<br />

Neutralität - Erwartungen der Partei an Vertrauen <strong>in</strong> den - Heterogen zusammen-<br />

des stärker unterstützenden Mediator Mediationsprozess/ gesetzte Tandems<br />

Mediators - Erwartungen der Partei an auf den Mediator - Supervision, Evaluation<br />

schlichtend e<strong>in</strong>greifenden<br />

- gegenseitiges Feedback der<br />

Mediator<br />

Mediatoren<br />

- Ungleichbehandlung der<br />

- Verwendung stärker konflikt-<br />

Parteien aufgr<strong>und</strong> eigener<br />

regelnder / schlichtender<br />

kulturell geprägter Vorstellungen<br />

Elemente <strong>und</strong> Methoden<br />

Unterschied- Schwierigkeit e<strong>in</strong>en Konsens zu Mit se<strong>in</strong>en (kultu- - geme<strong>in</strong>samen übergeordneliche<br />

Werte f<strong>in</strong>den, da Werte subjektiv <strong>und</strong> rellen) Werten <strong>und</strong> ten Wert f<strong>in</strong>den,<br />

nicht verhandelbar s<strong>in</strong>d<br />

Normen akzeptiert - geme<strong>in</strong>sames Interesse<br />

werden, nach f<strong>in</strong>den<br />

ihnen leben - unterschiedliche Werte<br />

können.<br />

thematisieren<br />

- Mediatorentandem aus<br />

unterschiedlichen Kulturen<br />

Rechtliche - E<strong>in</strong>engung der <strong>Lösung</strong>smög- Gleichberechtigt - zw<strong>in</strong>gende rechtliche<br />

Lage lichkeiten<br />

se<strong>in</strong><br />

Gr<strong>und</strong>lagen beachten<br />

- Mediations<strong>in</strong>teresse der Partei, Sich gerecht - <strong>Lösung</strong>ssuche auf höherer<br />

die offiziell im Recht ist, s<strong>in</strong>kt behandelt fühlen Ebene, kreative <strong>Lösung</strong>s-<br />

- Zugang zu rechtlichen Informamethoden<br />

über rechtliche<br />

tionen für Migranten aus<br />

mehreren Gründen erschwert<br />

- Gefahr über rechtliche Situation<br />

h<strong>in</strong>ausgehende Interessen nicht<br />

zu berücksichtigen<br />

Situation h<strong>in</strong>aus<br />

104


Analyse der Mediationsergebnisse<br />

6.4 Analyse der Mediationsergebnisse<br />

Im folgenden Kapitel soll die Wirkung der Mediation bzw. der Mediationsvorgespräche<br />

auf die Akteure <strong>und</strong> ihr Umfeld diskutiert werden. In der Literatur wird die Verbesserung<br />

der Kommunikation als e<strong>in</strong> wichtiges Ziel von Mediation genannt. Für Nachbarschaftskonflikte<br />

wird unter anderem die Vermeidung von Folgekonflikten <strong>und</strong> die Schaffung<br />

e<strong>in</strong>er zukunfts- <strong>und</strong> da<strong>durch</strong> lösungsorientierten E<strong>in</strong>stellung als wichtig erachtet (vgl.<br />

Mediations<strong>in</strong>stitut Nachbarschaft <strong>in</strong>takt 2004; Kieschke 2003, S. 109).<br />

Als besonders wichtig für <strong>in</strong>terkulturelle Mediationen ist zusätzlich die Schaffung von<br />

gegenseitiger Akzeptanz <strong>und</strong> Verständnis für die jeweils andere Kultur zu sehen. Die<br />

Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong> des KiK-Projekts Soraya Attari betont auch die kurzfristigen Ziele der<br />

Deeskalation von <strong>Konflikte</strong>n <strong>und</strong> die Wegnahme von Spannungen. Auf lange Sicht<br />

erhofft sie sich <strong>durch</strong> die Bearbeitung von Konfliktfällen <strong>und</strong> die Anwendung anderer KiK<br />

Instrumente im Bereich Prävention sogar e<strong>in</strong>e verbesserte Kommunikationskultur.<br />

Um den Erfolg e<strong>in</strong>er Mediation zu beurteilen, sollten jedoch auch die Bewertung des<br />

Verfahrens <strong>durch</strong> die teilnehmenden Akteure, deren Zufriedenheit mit den Ergebnissen<br />

<strong>und</strong> die Dauerhaftigkeit der <strong>Lösung</strong> betrachtet werden.<br />

In diesem Abschnitt werden nun die konkreten Ergebnisse der Mediationen zusammengefasst<br />

<strong>und</strong> diskutiert, <strong>in</strong>wiefern e<strong>in</strong>e Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses<br />

zwischen den Parteien gelungen ist.<br />

Die Zukunftsorientierung der Parteien wird als e<strong>in</strong> wichtiger Beitrag gesehen, deren<br />

Interesse an der <strong>Lösung</strong>sf<strong>in</strong>dung zu wecken. Insofern werden <strong>in</strong> Abschnitt 6.4.3 die<br />

Zukunftsvorstellungen der Parteien aufgezeigt <strong>und</strong> untersucht, ob sich e<strong>in</strong>e Parallele zu<br />

deren <strong>Lösung</strong>sorientierung herstellen lässt.<br />

6.4.1 Ergebnisse der Mediation<br />

Unterkunft<br />

• Übere<strong>in</strong>kunft getroffen:<br />

Umzug der S<strong>in</strong>tifamilie <strong>in</strong><br />

andere Unterkunftsanlage,<br />

Kampfh<strong>und</strong> durfte behalten<br />

werden<br />

• Deeskalation der Situation<br />

• Kontakt der Familie mit<br />

ASD Mitarbeiter<strong>in</strong> Frau<br />

Hammer hergestellt<br />

(Ansprechpartner<strong>in</strong> für<br />

Familie gef<strong>und</strong>en,<br />

Entlastung der Mediator<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

der Folgezeit)<br />

=> <strong>Lösung</strong> gef<strong>und</strong>en<br />

Gaststätte<br />

• Mediation fand statt,<br />

Nichtunterzeichnung der<br />

Vere<strong>in</strong>barung <strong>durch</strong> Partei Demir,<br />

Abbruch <strong>durch</strong> die Mediatoren<br />

• Deeskalation der Situation<br />

(Mieter <strong>und</strong> Vermieter lassen<br />

gerichtliche Möglichkeiten ruhen;<br />

Pächter bemühen sich zunächst<br />

um E<strong>in</strong>haltung der Zeiten <strong>und</strong><br />

ger<strong>in</strong>gere Lautstärke)<br />

• Kompromissregelung: Zahlung<br />

von Entschädigung an Borchert/<br />

Duldung der Musik bis zu e<strong>in</strong>er<br />

bestimmten Uhrzeit<br />

=> Ke<strong>in</strong>e Mediationslösung<br />

gef<strong>und</strong>en, teilweise<br />

Veränderung der Situation<br />

Tab. 5: Ergebnisse der Mediationen<br />

Jugendzentrum<br />

• Mediationsvorgespräche mit<br />

Parteien <strong>und</strong> weiteren<br />

Akteuren, allerd<strong>in</strong>gs nur mit<br />

e<strong>in</strong>er Nachbar<strong>in</strong>; ke<strong>in</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>same<br />

Mediationssitzung<br />

=> faktisch ke<strong>in</strong>e<br />

besondere Veränderung<br />

Die Übersicht veranschaulicht die Ergebnisse der Mediation kurz nach <strong>ihre</strong>m Abschluss.<br />

Es kann also festgehalten werden, dass <strong>in</strong> zwei Fällen e<strong>in</strong>e vorübergehende Entspan-<br />

105


Analyse der Mediationsergebnisse<br />

nung <strong>und</strong> Deeskalation der Konfliktsituation erreicht wurde, allerd<strong>in</strong>gs nur im Fall<br />

„Unterkunft“ e<strong>in</strong>e wirkliche Übere<strong>in</strong>kunft getroffen werden konnte.<br />

Letztendlich hatte sich die Situation bei den Befragungen im Sommer 2004 <strong>in</strong> allen drei<br />

Fällen jedoch nicht nachhaltig verbessert bzw. wieder verschlechtert <strong>und</strong> zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e<br />

Partei war unzufrieden mit der Situation (vgl. Kap. 6.1).<br />

Die Mediatoren wurden <strong>in</strong> den Untersuchungen zu dieser Diplomarbeit als erste Akteure<br />

befragt <strong>und</strong> gaben <strong>ihre</strong> E<strong>in</strong>schätzung bezüglich der Mediationen <strong>in</strong> Unkenntnis der<br />

aktuellen Situation der Konfliktparteien ab.<br />

Unterkunft<br />

+<br />

positiv<br />

„Also es ist ne <strong>Lösung</strong><br />

gef<strong>und</strong>en worden, die am<br />

Anfang re<strong>in</strong> paragraphisch<br />

nie gef<strong>und</strong>en worden<br />

wäre.“<br />

Gaststätte<br />

+/-<br />

teils – teils<br />

Abbruch der Mediation war<br />

s<strong>in</strong>nvoll.<br />

Hoffnung, dass <strong>durch</strong> die<br />

Mediation „doch e<strong>in</strong> Prozess<br />

<strong>in</strong> Gang gesetzt worden ist,<br />

wo der Pächter<strong>in</strong> vielleicht<br />

auch klar geworden ist, (...)<br />

dass sie e<strong>in</strong>e großes Stück<br />

der <strong>Lösung</strong> beitragen muss.“<br />

Jugendzentrum<br />

+/-<br />

abwartend<br />

Sowohl auf <strong>in</strong>dividueller-,<br />

wie auch auf politischerbzw.<br />

Verwaltungsebene<br />

wurde die Aufmerksamkeit<br />

für das Problem geweckt.<br />

Transparenz der<br />

Problematik gestiegen<br />

Tab. 6: Bewertung der Mediationsergebnisse <strong>durch</strong> die Mediatoren<br />

Auch die Mediatoren der Fälle, <strong>in</strong> denen ke<strong>in</strong>e Mediationslösung gef<strong>und</strong>en werden<br />

konnte, sehen <strong>durch</strong>aus auch positive Faktoren <strong>in</strong> den Ergebnissen. Neben der Deeskalation<br />

der Situation <strong>durch</strong> die Gespräche haben sie auch die Hoffnung, dass Denkprozesse<br />

bei den Parteien <strong>in</strong> Gang gesetzt wurden, die <strong>in</strong> Zukunft zu mehr Verständnis für die<br />

Lage der jeweils anderen Partei beitragen.<br />

Die Bewertungen der Parteien s<strong>in</strong>d unter Berücksichtigung der zeitlichen Distanz zur<br />

Mediation <strong>und</strong> deren aktueller Lebenssituation zu sehen.<br />

Vergleicht man die <strong>in</strong> der folgenden Übersicht dargestellten Bewertungen mit den vorher<br />

gesetzten Zielen oder Erwartungen an die Mediation (vgl. Kap. 6.2.6), so haben sich<br />

diese lediglich im Fall Unterkunft erfüllt. Dabei ist auch hier die E<strong>in</strong>schränkung zu<br />

machen, dass Seeger mit der aktuellen Situation nicht mehr zufrieden ist, die Mediation<br />

also ke<strong>in</strong> dauerhaftes Ergebnis mit sich brachte. In den anderen Fällen h<strong>in</strong>gegen wurden<br />

die Ziele der Akteure kaum bis gar nicht erreicht. Der im Jugendzentrumsfall angestrebte<br />

geme<strong>in</strong>same Kommunikationsprozess fand nicht statt, ebenso konnte im Gaststättenfall<br />

ke<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong> gef<strong>und</strong>en werden, die für die Pächter wirtschaftlich tragbar <strong>und</strong> für den<br />

Nachbarn Borchert erträglich gewesen wäre.<br />

106


Unterkunft<br />

Renaldo Seeger<br />

zunächst positiv +<br />

„Gut, vorübergehend war ich<br />

sehr froh, dass ich die<br />

Wohnung bekommen habe,<br />

wegen der Überbrückung. Aber<br />

mit der Zeit. Und zwei kle<strong>in</strong>en<br />

K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> ich <strong>und</strong> me<strong>in</strong>e<br />

Frau <strong>und</strong> der H<strong>und</strong>...“<br />

------------------------------nnUnterkunftsverwalter<br />

nnStegmüller<br />

positiv +<br />

Ist mit den Vere<strong>in</strong>barungen<br />

zufrieden. Sie haben se<strong>in</strong>er<br />

Me<strong>in</strong>ung nach „bis jetzt recht<br />

gut gehalten.“ Kommt se<strong>in</strong>en<br />

Angaben zufolge gut mit<br />

Renaldo Seeger zurecht.<br />

Gaststätte<br />

Mieter Borchert<br />

eher negativ -<br />

• Äußert Verständnis für die<br />

Entscheidung der Mediatoren.<br />

• Nur bed<strong>in</strong>gte Zufriedenheit mit<br />

der Kompromissregelung<br />

------------------------------------<br />

Vermieter Strasshofer<br />

negativ -<br />

„Dieser Konflikt ist nicht <strong>durch</strong><br />

Mediation zu lösen.“<br />

------------------------------------<br />

Pächter<strong>in</strong> Demir/ Yildirim<br />

negativ -<br />

• Generelle Bereitschaft<br />

weiterzuverhandeln<br />

• Äußern jedoch auch, dass es<br />

„doch ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n hat, weil der<br />

Borchert wieder die Polizei ruft.“<br />

• Nur bed<strong>in</strong>gte Zufriedenheit mit<br />

der Kompromissregelung<br />

Analyse der Mediationsergebnisse<br />

Jugendzentrum<br />

Jugendliche<br />

eher negativ -<br />

Unzufriedenheit mit der Situation<br />

Enttäuschung über Des<strong>in</strong>teresse<br />

der Nachbarn<br />

------------------------------------<br />

JuZ-Leiter<strong>in</strong><br />

negativ -<br />

„Ich hatte von Vornhere<strong>in</strong> nicht<br />

viel Hoffnung, dass die Nachbarn<br />

mitmachen würden.“<br />

------------------------------------<br />

Jugendpfleger<br />

teils - teils +/-<br />

„So vieles hat sich noch nicht<br />

verändert, weil ja ke<strong>in</strong>e<br />

Kommunikation stattfand. Das ist<br />

schade.“<br />

Er sieht jedoch Chancen auf<br />

schnellere E<strong>in</strong>igung<br />

Tab. 7: Bewertung der Mediationsergebnisse <strong>durch</strong> die teilnehmenden Konfliktparteien<br />

Den Erfolg der Mediation nur an der Erreichung der Ziele zu messen, würde jedoch<br />

angestoßene Prozesse außer acht lassen, derer sich die Konfliktparteien gar nicht<br />

bewusst s<strong>in</strong>d, oder die sie nicht schätzen können, da ihr hauptsächliches Ziel nicht<br />

erreicht wurde. Inwieweit also die Kommunikation verbessert wurde oder sogar Verständnis<br />

<strong>und</strong> Akzeptanz für die Interessen <strong>und</strong> Bedürfnisse der anderen Seite entstand,<br />

soll im folgenden Abschnitt behandelt werden.<br />

6.4.2 Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses<br />

Unterkunft<br />

Bei der geme<strong>in</strong>samen Sitzung wurde nach Ansicht der Mediator<strong>in</strong> die Fähigkeit der<br />

Parteien, mite<strong>in</strong>ander zu kommunizieren, wiederhergestellt: „Also das war für mich so<br />

ganz schön zu sehen, die Kommunikationsstörung wurde aufgehoben. Und sie waren<br />

wieder <strong>in</strong> der Lage, mite<strong>in</strong>ander zu verhandeln <strong>und</strong> <strong>Lösung</strong>en zu f<strong>in</strong>den, die sie geme<strong>in</strong>sam<br />

gesucht haben.“<br />

Dies führt sie unter anderem auf e<strong>in</strong> Verständnis der beiden Parteien für die Situation<br />

der anderen zurück: „Ich glaub schon, (...), dass die Familie gemerkt hat, das Wohnungsamt<br />

ist bereit, uns zu helfen, die wollen uns eigentlich nicht nur rausschmeißen.<br />

Und der Verwalter hat gesagt, eigentlich verstehe ich sie ja, (...) ich weiß ja wirklich,<br />

dass er da ist <strong>und</strong> deswegen will ich ´ne <strong>Lösung</strong> f<strong>in</strong>den.´“<br />

Der Unterkunftsverwalter Stegmüller macht selbst ke<strong>in</strong>e Aussagen, <strong>in</strong>wiefern er Seegers<br />

Situation besser verstehen konnte, er ist der Me<strong>in</strong>ung, dass Renaldo Seeger se<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>stellung geändert hat: „Weil’s ja bloß Ärger gibt <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>er will ständig Ärger haben.<br />

So hat sich das dann e<strong>in</strong>igermaßen gelöst.“ Renaldo Seeger selbst sieht die Lage sehr<br />

negativ. Er schildert die Stimmung beim Zusammentreffen als „grausam“ <strong>und</strong> ist der<br />

107


Analyse der Mediationsergebnisse<br />

Me<strong>in</strong>ung: „Ich hab ke<strong>in</strong> Recht bekommen, auch wo wir da alle <strong>in</strong> dem Sitzungssaal<br />

dr<strong>in</strong>nen waren.“ Er hat nicht das Gefühl, von Herrn Stegmüller verstanden worden zu<br />

se<strong>in</strong>: „da hab ich geredet <strong>und</strong> geredet <strong>und</strong> da hat sich der Herr Stegmüller gedacht,<br />

(...), ´ja der Renaldo. Das geht mir hier re<strong>in</strong> <strong>und</strong> hier raus.´ (...) Und so was ärgert<br />

mich.“ Im Gegenzug sche<strong>in</strong>t auch er dem Unterkunftsverwalter nicht mehr Verständnis<br />

entgegenzubr<strong>in</strong>gen: „Der hat mir schon viel erzählt, aber ich nehm´ den gar nicht mehr<br />

so ernst. (...) Der Stegmüller, der hat bloß geredet.“<br />

Jugendzentrum<br />

Die Mediatoren s<strong>in</strong>d der Me<strong>in</strong>ung, dass zum<strong>in</strong>dest bei den Personen, mit denen Vorgespräche<br />

geführt wurden, das Bewusstse<strong>in</strong> für die Problematik geschärft wurde <strong>und</strong> das<br />

Jugendzentrum so <strong>in</strong> zukünftigen Planungen eher berücksichtigt wird.<br />

Generell wurde die Kommunikation mit den Konfliktnachbarn jedoch nicht verbessert<br />

<strong>und</strong> <strong>durch</strong> das Des<strong>in</strong>teresse der Nachbarn die Jugendlichen <strong>und</strong> die Zentrumsleitung, die<br />

sich gesprächs- <strong>und</strong> kompromissbereit zeigten, weiter frustriert. Die Mediatoren vermuten,<br />

dass die bisher Beteiligten jetzt dennoch eher die Situation der jeweils Anderen<br />

verstehen können, „dass sie lösungsorientiert werden <strong>und</strong> sich Gedanken machen, nicht:<br />

´Ich hab Recht <strong>und</strong> Punkt´.“<br />

Bei den Konfliktnachbarn gibt es dafür kaum Anzeichen, außer, dass schon längere Zeit<br />

ke<strong>in</strong>e Beschwerden mehr auftraten. In der Befragung der übrigen Nachbarn zeigt sich,<br />

dass e<strong>in</strong> generelles Verständnis für die Bedürfnisse der Jugendlichen da ist. Mit e<strong>in</strong>igen<br />

Nachbarn hat die JuZ-Leiter<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en guten Kontakt; mehrere Nachbarn äußern jedoch,<br />

kaum etwas Genaues über die Jugendlichen oder die E<strong>in</strong>richtung zu wissen.<br />

Gaststätte<br />

Die Pächter <strong>und</strong> der Mieter Borchert haben immer noch nachbarschaftlichen Umgang<br />

mite<strong>in</strong>ander. „Die Demirs s<strong>in</strong>d herzlich nach wie vor, laden uns nach wie vor e<strong>in</strong> <strong>und</strong> wir<br />

versuchen höflich zu bleiben, aber wir haben ja auch wenn wir fre<strong>und</strong>lich s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>en<br />

Konflikt mit dieser Gegenseite <strong>und</strong> solange der Konflikt nicht endgültig gelöst ist, kann<br />

man nicht locker mite<strong>in</strong>ander umgehen“, me<strong>in</strong>t Herr Borchert. Was das Verständnis für<br />

die andere Partei anbelangt, so schätzen die Mediatoren, dass es <strong>durch</strong> die Mediation<br />

teilweise gelungen ist, „dass sie über <strong>ihre</strong>n eigenen Tellerrand h<strong>in</strong>ausgeschaut haben.<br />

Das ist dem Herrn Yildirim gelungen <strong>und</strong> dem Herrn Borchert. Frau Demir, ich weiß<br />

nicht, ich glaub´s nicht so, (...) dem Tahir auch nicht.“<br />

Für die Seite des Mieters Borchert bestätigt sich dies auch. Er me<strong>in</strong>t: „(...) es hat uns<br />

auch e<strong>in</strong> bisschen Verständnis gebracht für die Situation dieser Familie, die ja auch nicht<br />

so ohne ist. Man könnt ja sagen, was <strong>in</strong>teressieren mich die Leute, aber ich könnte<br />

heute nicht mehr sagen, ich f<strong>in</strong>d das okay, wenn die nicht mehr Musik machen dürfen,<br />

das f<strong>in</strong>d ich ja auch nicht richtig. Die müssen schon Musik machen, um zu wirtschaften.<br />

Sonst geht das nicht.“<br />

In der letzten geme<strong>in</strong>samen Sitzung nähern sich Herr Borchert <strong>und</strong> Herr Yildirim an <strong>und</strong><br />

suchen geme<strong>in</strong>sam nach <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten. Nach E<strong>in</strong>schätzung der Mediatoren<br />

gel<strong>in</strong>gt es Yildirim jedoch nicht, dieses Verständnis an Frau Demir <strong>und</strong> <strong>ihre</strong>n Sohn<br />

weiterzugeben. In der Befragung me<strong>in</strong>en Frau Demir <strong>und</strong> der mittlerweile auch frustriert<br />

sche<strong>in</strong>ende Herr Yildirim, Herr Borchert sei e<strong>in</strong>fach überempf<strong>in</strong>dlich bezüglich der<br />

Lautstärke <strong>und</strong> würde sie gar nicht verstehen.<br />

Die Mediator<strong>in</strong> schätzt, dass auf Seiten der Pächter „ke<strong>in</strong> so richtig tiefgehendes Verständnis<br />

für die Problematik des Mieters“ entstanden sei, sondern immer die eigene<br />

Sichtweise im Vordergr<strong>und</strong> gestanden habe.<br />

108


Analyse der Mediationsergebnisse<br />

„Bei der Familie Strasshofer (...), die hatten <strong>ihre</strong> Vorstellung, die blieben dabei, die<br />

g<strong>in</strong>gen so raus. Die haben’s probiert, (...) <strong>und</strong> waren dann nicht mehr dabei, weil sie so<br />

e<strong>in</strong>er <strong>Lösung</strong> ke<strong>in</strong>e Chance gegeben haben“, schildert der Mediator die Sicht des Vermieters,<br />

welche sich auch <strong>durch</strong> dessen Aussagen bestätigt.<br />

Ansche<strong>in</strong>end hat sich auf die Dauer gesehen <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall e<strong>in</strong> tieferes beidseitiges<br />

Verständnis für die Sichtweise <strong>und</strong> Problematik der anderen Partei e<strong>in</strong>gestellt. Die zu<br />

positiven E<strong>in</strong>schätzungen der Mediator<strong>in</strong> des Unterkunftsfalls lassen sich aus der Unkenntnis<br />

der aktuellen Situation <strong>und</strong> der E<strong>in</strong>drücke <strong>und</strong> Euphorie über die zu e<strong>in</strong>er<br />

<strong>Lösung</strong> gekommene Mediation erklären. Inwieweit Renaldo Seeger <strong>durch</strong> spätere<br />

Ereignisse <strong>und</strong> die aktuelle Unzufriedenheit mit der Situation veranlasst wurde, die<br />

Verhandlungen negativer zu schildern bzw. er sie auch <strong>in</strong> der Mediationssituation<br />

wirklich so erlebt hat, ist <strong>in</strong> diesem Rahmen nicht festzustellen.<br />

6.4.3 Zukunftsvorstellung der Parteien<br />

Gerade <strong>in</strong> Nachbarschaftskonflikten gilt die Zukunftsvorstellung der Parteien als entscheidend<br />

für <strong>ihre</strong> Bereitschaft, e<strong>in</strong>e Konfliktlösung zu f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> diese e<strong>in</strong>zuhalten.<br />

<strong>Lösung</strong>sbereitschaft wird <strong>durch</strong> den Wunsch, <strong>in</strong> Zukunft weiter geme<strong>in</strong>sam am gleichen<br />

Ort <strong>und</strong> im E<strong>in</strong>vernehmen zusammenzuwohnen, gefördert (vgl. Çakir 1998, S. 6).<br />

Gaststätte<br />

Demir / Yildirim<br />

Ke<strong>in</strong>e konkrete Vorstellung. Situation unlösbar aus <strong>ihre</strong>r<br />

Sicht.<br />

Borchert<br />

Entweder er f<strong>in</strong>det andere Wohnung oder<br />

Demirs e<strong>in</strong>e andere Gaststätte<br />

Strasshofer<br />

Demirs sollen anderen Standort suchen<br />

Jugendzentrum<br />

Leiter<strong>in</strong><br />

noch m<strong>in</strong>destens drei Jahre,<br />

dann möglicherweise anderer Standort für JuZ.<br />

Jugendliche<br />

Sehen ke<strong>in</strong>e Alternative<br />

Konfliktnachbarn<br />

Erhoffen sich Zukunft ohne JuZ<br />

(nach Me<strong>in</strong>ung der übrigen Akteure)<br />

Jugendpfleger<br />

In Zukunft neuer Standort für Errichtung des JuZ<br />

Unterkunft<br />

Seeger<br />

Will aus der Unterkunft raus<br />

In Sozialwohnung oder er kauft sich e<strong>in</strong>en Wohnwagen<br />

Stegmüller<br />

ke<strong>in</strong>e Äußerung über den zukünftigen Wohnort der Familie<br />

Nachbarschaft der alten Unterkunftsanlage<br />

Seeger soll ausziehen<br />

Tab. 8: Zukunftsvorstellungen der Parteien bezüglich der Wohnsituation<br />

Die Darstellung der Zukunftsperspektiven verdeutlicht, dass die Parteien kaum Interesse<br />

an e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Zukunft haben. In allen Fällen existiert zum<strong>in</strong>dest die Vorstellung,<br />

die momentane Wohnlage zu verlassen bzw. die Hoffnung darauf, dass die andere<br />

Partei e<strong>in</strong>en Ersatzstandort f<strong>in</strong>det. Diese mangelnde Orientierung an e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>sa-<br />

?<br />

-<br />

-<br />

-<br />

?<br />

-<br />

-<br />

-<br />

?<br />

-<br />

109


Analyse der Mediationsergebnisse<br />

men zukünftigen Zusammenleben verdeutlicht, dass nach Çakirs Überlegungen bereits<br />

die Basis für das Interesse an e<strong>in</strong>er Konfliktlösung fehlt (vgl. 1998, S. 6). Die Parteien<br />

hoffen auf e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong> des Konflikts, <strong>in</strong>dem sich e<strong>in</strong>e Veränderung <strong>in</strong> der räumlichen<br />

Konstellation ergibt. In allen drei Fällen sche<strong>in</strong>t die Erfüllung dieser Wünsche <strong>in</strong> näherer<br />

Zukunft vor allem aus ökonomischen Gründen kaum erreichbar.<br />

Der Wegzug als <strong>Lösung</strong><br />

Im Fall Unterkunft war die Mediationslösung mit dem Wegzug der Familie Seeger aus<br />

der ersten Unterkunftsanlage verb<strong>und</strong>en, was zunächst e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e w<strong>in</strong>-w<strong>in</strong> <strong>Lösung</strong> für<br />

den zugr<strong>und</strong>eliegenden Konflikt zwischen der Nachbarschaft <strong>und</strong> Seeger darstellte. Die<br />

Me<strong>in</strong>ung von Seegers momentanen Nachbarn ist zwar nicht bekannt, doch stellt sich<br />

zum<strong>in</strong>dest aus se<strong>in</strong>er Sicht die aktuelle Situation wieder ähnlich konfliktträchtig dar.<br />

Inwiefern Chancen bestehen, dass se<strong>in</strong>e Familie aus dieser Unterkunftsanlage wegziehen<br />

kann, bzw. von sich aus Ressourcen <strong>und</strong> Energie aufbr<strong>in</strong>gt, e<strong>in</strong>e Arbeit <strong>und</strong> andere<br />

Wohnung zu f<strong>in</strong>den, ist fraglich, da Seeger sich sehr auf externe Hilfe beruft.<br />

Für Nachbarschaftsfälle im Allgeme<strong>in</strong>en lässt sich also mitunter ableiten, dass ungelöste<br />

<strong>Konflikte</strong> den Wohnstandort unattraktiv machen. In diesem Zusammenhang wäre es<br />

<strong>in</strong>teressant zu erfassen, wie viele Nachbarschaftskonflikte nicht <strong>durch</strong> konstruktive<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung, sondern <strong>durch</strong> den Wegzug e<strong>in</strong>er Partei gelöst werden. Ist es, wie<br />

<strong>in</strong> München, schwierig, e<strong>in</strong>e andere Wohnung zu bekommen, so kann das problematische<br />

nachbarliche Zusammenwohnen zu e<strong>in</strong>er dauerhaften Zwangsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>und</strong><br />

der Konflikt zwischen Nachbarn zum gesamten Inhalt <strong>ihre</strong>r Beziehung werden (vgl.<br />

Kerntke 1998, S. 38).<br />

6.4.4 Fazit Analyse der Mediationsergebnisse<br />

<strong>Lösung</strong><br />

Bewertung<br />

der<br />

Mediatoren<br />

Unterkunft Ja positiv<br />

Gaststätte<br />

Jugendzentrum<br />

ke<strong>in</strong>e Mediationslösung,<br />

aber<br />

eigene Vere<strong>in</strong>barung<br />

ke<strong>in</strong>e Veränderung<br />

teils – teils<br />

abwartend<br />

Aktuelle<br />

Zufriedenheit<br />

der Parteien<br />

ger<strong>in</strong>g bei<br />

Seeger<br />

ger<strong>in</strong>g bei allen<br />

Beteiligten<br />

ger<strong>in</strong>g v.a. bei<br />

Jugendlichen<br />

<strong>und</strong> JuZ Leiter<strong>in</strong><br />

Verständnis<br />

für andere<br />

Partei<br />

Ne<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>seitig bei<br />

Borchert<br />

eher ne<strong>in</strong><br />

Tab. 9: Die Ergebnisse der drei Fälle im Überblick<br />

Interesse an<br />

Zukunft <strong>in</strong> der<br />

Nachbarschaft<br />

Ne<strong>in</strong>;<br />

Möglichkeiten<br />

jedoch begrenzt<br />

Ne<strong>in</strong>;<br />

Möglichkeiten<br />

fraglich<br />

Ne<strong>in</strong>; m<strong>in</strong>destens<br />

aber noch<br />

drei Jahre<br />

Die Übersicht stellt die Ergebnisse dieses Kapitels nochmals <strong>in</strong> der Zusammenschau dar.<br />

Nachdem <strong>in</strong> zwei Fällen ke<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>kunft, im Fall JuZ auch ke<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Gespräch<br />

zustande kam, ist es nicht weiter überraschend, dass die <strong>Konflikte</strong> zwischen den<br />

Parteien weiterschwelen.<br />

110


Gründe für Scheitern oder Erfolg der Mediation<br />

6.5 Gründe für Scheitern oder Erfolg der Mediation<br />

Zusammenfassung der bisherigen Überlegungen<br />

An dieser Stelle sollen die Überlegungen aus Konfliktanalyse, Analyse der Mediation <strong>und</strong><br />

der Mediationsergebnisse nochmals kurz <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung gerufen <strong>und</strong> im Zusammenhang<br />

dargestellt werden.<br />

Die Analyse der drei Konfliktfälle zeigte, dass die Lage jeweils sehr komplex ist <strong>und</strong><br />

diverse Aspekte E<strong>in</strong>fluss nehmen. Es lässt sich festhalten, dass die Lage <strong>in</strong> der Nachbarschaft<br />

entscheidenden E<strong>in</strong>fluss für die Entstehung der <strong>Konflikte</strong> hat. Die unterschiedliche<br />

Kultur kann nicht als ursächlich für den Konflikt gelten, bee<strong>in</strong>flusst jedoch die Sichtweisen<br />

der Personen <strong>und</strong> ihr Verhalten <strong>in</strong> verschiedener H<strong>in</strong>sicht. Desweiteren stellt sich <strong>in</strong><br />

allen <strong>Konflikte</strong>n die rechtliche Lage als sehr dom<strong>in</strong>ierender Aspekt heraus, der jeweils<br />

e<strong>in</strong>e Partei <strong>in</strong> die bessere Ausgangsposition br<strong>in</strong>gt.<br />

Gefolgert wurde, dass e<strong>in</strong>e breite Analyse des jeweiligen Konflikts von großer Bedeutung<br />

ist, um alle Aspekte zu berücksichtigen. Aufgr<strong>und</strong> der Voraussetzungen bieten sich nur<br />

enge Spielräume für <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten.<br />

In der Analyse des Mediationsverlaufs h<strong>in</strong>sichtlich spezifischer Anforderungen an e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftsmediation deuteten sich Sprache <strong>und</strong> Kommunikation,<br />

sowie die Stellung des Mediators als Bereiche an, <strong>in</strong> denen mit kulturell unterschiedlichen<br />

Ansprüchen umgegangen werden muss. Desweiteren zeigte sich, dass Machtasymmetrien<br />

<strong>und</strong> die Anwendung <strong>in</strong>formeller Druckmittel wie auch der Umgang mit<br />

rechtlichen Gegebenheiten <strong>in</strong> der Mediation problematisch s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> bestimmte<br />

Methodenkenntnisse erfordern.<br />

Im vorangegangenen Kapitel wurden die faktischen Ergebnisse, deren Bewertung <strong>durch</strong><br />

die Konfliktparteien <strong>und</strong> die Mediatoren dargestellt. Es zeigte sich, dass <strong>in</strong> allen drei<br />

Fällen e<strong>in</strong>e kurzfristige Verbesserung <strong>und</strong> Deeskalation erreicht wurde, die Mediationsgespräche<br />

jedoch ke<strong>in</strong>e tiefgreifende <strong>und</strong> andauernde Verbesserung der Situation<br />

herbeiführen konnten.<br />

Im Folgenden werden nun die <strong>in</strong> der Befragung der Mediatoren <strong>und</strong> Konfliktparteien<br />

erarbeiteten Gründe, welche zu e<strong>in</strong>em Erfolg oder Scheitern der Mediation beitrugen<br />

bzw. sich <strong>in</strong> die jeweilige Richtung auswirkten, dargestellt. Denn letztendlich ist, wie<br />

Breidenbach feststellt, die „Analyse der Verhandlungen der Parteien <strong>und</strong> der (möglichen)<br />

Gründe <strong>ihre</strong>s Scheiterns (...) die Voraussetzung, um die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen von<br />

Mediation zu verstehen“ (1995, S. 55).<br />

6.5.1 Positive <strong>und</strong> negative E<strong>in</strong>flüsse auf die Mediation<br />

Besemer nennt als wichtige Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e erfolgreiche Mediation die Anwesenheit<br />

aller wichtigen Konfliktparteien, ke<strong>in</strong>e gravierenden Machtunterschiede zwischen<br />

den Parteien <strong>und</strong> ausreichend Zeit. Desweiteren weist er darauf h<strong>in</strong>, dass die psychische<br />

Verfassung der Konfliktparteien berücksichtigt werden müsse. Die Konfliktthematik sollte<br />

sich nicht um gr<strong>und</strong>sätzliche Wertorientierungen, gr<strong>und</strong>legende Rechte oder bloße Ja/<br />

Ne<strong>in</strong>-Entscheidungen drehen (vgl. 2002, S. 20).<br />

In der Analyse dieser Mediationsfälle bestätigten sich bezüglich der Konfliktparteien vor<br />

allem die negativen Auswirkungen des Fehlens wichtiger Personen <strong>und</strong> die Forderungen<br />

bezüglich des Machtgleichgewichts <strong>und</strong> der psychischen Verfassung. Schon <strong>in</strong> der<br />

Konfliktanalyse wurde die E<strong>in</strong>engung der <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten <strong>durch</strong> rechtliche Gege-<br />

111


Gründe für Scheitern oder Erfolg der Mediation<br />

benheiten deutlich, welche sich zusammen mit mangelnden räumlichen Ausweichmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> mangelnden f<strong>in</strong>anziellen Mitteln als h<strong>in</strong>derlich für das F<strong>in</strong>den von <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten<br />

erwiesen. Desweiteren konnte die Bereitschaft der Parteien, wirklich<br />

von <strong>ihre</strong>r Position abzurücken nicht erreicht werden. Auch die Suche nach kreativen<br />

Möglichkeiten, die sich eventuell trotz der genannten E<strong>in</strong>schränkungen hätten f<strong>in</strong>den<br />

lassen können, führte zu ke<strong>in</strong>em Ergebnis (Gaststätte) oder fand nicht statt (JuZ).<br />

Die folgende Übersicht fasst die Handlungen oder E<strong>in</strong>stellungen zusammen, die sich aus<br />

den Analysen der drei Mediationsfälle als zu e<strong>in</strong>em Gel<strong>in</strong>gen oder Scheitern der Mediationen<br />

beitragend, ergaben.<br />

Positive Wirkung Negative Wirkung<br />

Gründliche Analyse<br />

Gute Ausbildung der Mediatoren<br />

Erfahrung der Mediatoren im Bereich<br />

<strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong><br />

Autorität der Mediatoren<br />

Geme<strong>in</strong>sames Interesse der Parteien<br />

Zukunftspläne mit weiterh<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer<br />

Nachbarschaft<br />

<strong>Lösung</strong>sorientierung der Parteien<br />

Möglichkeit räumlicher Verlagerung<br />

E<strong>in</strong>flussbereich der Mediatoren<br />

E<strong>in</strong>flussbereich der Parteien<br />

Sonstige Faktoren<br />

Mangelnde Erfahrung der Mediatoren<br />

Möglichkeiten der Tandembildung<br />

nicht optimal genutzt<br />

Mangelnde E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung wichtiger<br />

Personen<br />

Konzentration auf Problemnachbarn<br />

Geme<strong>in</strong>same Gespräche zu früh<br />

angesetzt<br />

Falsche Erwartungen an Mediation/<br />

Mediatoren<br />

Psychische Voraussetzungen<br />

Mangelndes Interesse der Parteien<br />

Mangelnde Ausweichmöglichkeiten<br />

Rechtliche Machtposition auf Seiten<br />

jeweils e<strong>in</strong>er Partei<br />

Frustration über lange Konfliktdauer<br />

<strong>und</strong> E<strong>in</strong>schränkungen<br />

Mangelndes Faktenwissen<br />

Nebenkonflikte<br />

Komplexe Konfliktlage<br />

Sich widersprechende Bedürfnisse<br />

Tab. 10: E<strong>in</strong>flussfaktoren auf den Erfolg der Mediationen<br />

Durch die geme<strong>in</strong>same Betrachtung aller Fälle treten manche Punkte <strong>in</strong> Gegensatzpaaren<br />

auf, so dass sich e<strong>in</strong> breites Spektrum von Faktoren, jedoch vor allem denen mit<br />

negativer Wirkung, ergibt. Dies liegt wohl daran, dass zwei Mediationen zu ke<strong>in</strong>em<br />

konkreten Ergebnis kamen.<br />

Die meisten der <strong>in</strong> der Übersicht dargestellten Schlüsse erklären sich aus den vorherigen<br />

Ausführungen. Drei Punkte sollen im nächsten Abschnitt jedoch noch differenzierter<br />

erläutert werden. So zeigte sich, wie oben erwähnt, dass e<strong>in</strong>ige Gr<strong>und</strong>voraussetzungen<br />

112


Gründe für Scheitern oder Erfolg der Mediation<br />

vorlagen, unter denen die Mediationen kaum gel<strong>in</strong>gen konnten. Es muss zum e<strong>in</strong>en am<br />

wirklichen Interesse mancher Parteien an e<strong>in</strong>er Mediation gezweifelt werden. Zum<br />

anderen erwiesen sich die strukturellen Voraussetzungen der Konfliktsituation als so<br />

unumgänglich, dass für die gegensätzlichen Bedürfnisse der Parteien kaum e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong><br />

gef<strong>und</strong>en werden konnte.<br />

Mangelndes Interesse der Parteien<br />

Mangelndes Interesse aufgr<strong>und</strong> der rechtlichen Verhältnisse<br />

Breidenbach stellt fest, dass e<strong>in</strong>er Konfliktpartei, die das Recht auf <strong>ihre</strong>r Seite hat,<br />

zunächst nichts näher liegt, als dieses Recht <strong>durch</strong>zusetzen (vgl. 1995, S. 67). Es stellt<br />

sich auch <strong>in</strong> diesen Beispielfällen die Frage, ob bei den Parteien wirkliches Interesse an<br />

e<strong>in</strong>er Konsenslösung bestand, die e<strong>in</strong>e w<strong>in</strong>-w<strong>in</strong> <strong>Lösung</strong> für beide Seiten hätte bedeuten<br />

können. Für die Partei, welche die Rechtsnorm auf <strong>ihre</strong>r Seite hat, gibt es vere<strong>in</strong>facht<br />

dargestellt zwei Überlegungen, die bewirken könnten, dass sie auf ihr Recht verzichtet.<br />

Dies kann e<strong>in</strong>erseits geschehen, wenn sich ihr selbst Vorteile bieten oder Möglichkeiten,<br />

<strong>durch</strong> Mediation schneller oder günstiger zu e<strong>in</strong>er ebenso zufriedenstellenden <strong>Lösung</strong> zu<br />

kommen. Andererseits könnte die Partei mitunter aufgr<strong>und</strong> altruistischer Motive, also<br />

wenn sich e<strong>in</strong> Verständnis für die Problematik der anderen Seite entwickelt hat, dazu<br />

bereit se<strong>in</strong>, von <strong>ihre</strong>m Recht abzuweichen. Im Gr<strong>und</strong>e sche<strong>in</strong>t es <strong>in</strong> den Mediationen<br />

(Gaststätte, JuZ) nicht gelungen zu se<strong>in</strong>, soviel Verständnis für die andere Partei zu<br />

erreichen. Zum anderen waren die denkbaren <strong>Lösung</strong>en, die positive Effekte für beide<br />

gehabt hätten, sehr e<strong>in</strong>geengt. Am deutlichsten zeigt sich diese Problematik im Jugendzentrumsfall,<br />

wo von den Konfliktnachbarn ke<strong>in</strong>e Bereitschaft vorhanden ist, an e<strong>in</strong>er<br />

Mediation teilzunehmen. In den beiden anderen Fällen zeigen sich die Parteien lösungsorientiert<br />

<strong>und</strong> machen von sich aus Vorschläge. Letztlich sche<strong>in</strong>t sich Frau Demir jedoch<br />

aus verschiedenen Gründen nicht auf den Aushandlungsprozess e<strong>in</strong>lassen zu können.<br />

Nicht umsonst wird also das wirkliche Interesse an e<strong>in</strong>er Konfliktlösung als e<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>voraussetzung<br />

für e<strong>in</strong>e Mediation angesehen (vgl. Kap. 4.4.1). Wie dargestellt wirkt sich<br />

auch die Zukunftsorientierung der Parteien auf die Lösbarkeit des Konflikts aus bzw. ist<br />

die Existenz e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samen Ziels für die Verbesserung der Beziehungen wichtig<br />

(vgl. Häußermann/Siebel 2001, S. 53).<br />

Mangelndes Interesse <strong>durch</strong> f<strong>in</strong>anzielle <strong>und</strong> psychische Überforderung<br />

Die Mediatoren des Gaststättenfalls s<strong>in</strong>d der Me<strong>in</strong>ung, das bei Frau Demir die persönliche<br />

Problematik im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> dazu geführt habe, dass sie die Mediation nicht annehmen<br />

konnte. „Wenn Du wirklich so ´ne schwierige Familiensituation hast, dann kämpfst<br />

Du ums Überleben <strong>und</strong> kämpfst um jeden Tag, aber hast nicht die langfristige oder<br />

mittelfristige Perspektive. Die brauchst Du für so was“, me<strong>in</strong>t der Mediator <strong>und</strong> die<br />

Mediator<strong>in</strong> ergänzt: „Sie hat sicher verstandesmäßig verstanden, um was es geht, aber<br />

gefühlsmäßig die Konsequenz nicht an sich ran lassen. Die war ja, dass sie auch was<br />

dazu tun muss, um den Konflikt zu lösen, das glaub ich, wollt sie nicht wahrhaben.“<br />

Sie beurteilen im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> den Fall als richtig, kommen jedoch zu dem<br />

Ergebnis, dass unter den gegebenen Umständen e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong> nicht möglich ist <strong>und</strong> nicht<br />

den Leistungsmöglichkeiten e<strong>in</strong>er Mediation entspricht. Frau Demir bräuchte also<br />

zunächst sowohl f<strong>in</strong>anzielle wie psychologische Unterstützung, um mit der Multiproblematik<br />

<strong>ihre</strong>r Situation zurecht zu kommen.<br />

113


Gründe für Scheitern oder Erfolg der Mediation<br />

Auch im Jugendzentrumsfall deutet sich aufgr<strong>und</strong> der Aussagen der übrigen Nachbarn,<br />

die ebenso <strong>durch</strong> die Beschwerden der Nachbar<strong>in</strong> Frau Scheuch betroffen s<strong>in</strong>d, an, dass<br />

es dieser aufgr<strong>und</strong> <strong>ihre</strong>r persönlichen psychischen Situation nicht möglich ist, sich auf<br />

e<strong>in</strong>en konstruktiven Verständigungsprozess e<strong>in</strong>zulassen.<br />

Frustration über lange Konfliktdauer<br />

In allen drei Fällen zeigt sich, dass die Parteien auch <strong>durch</strong> die lange Dauer des Konflikts<br />

demotiviert s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> die Bereitschaft gesunken ist, <strong>ihre</strong> Positionen aufzugeben. Die<br />

Aufweichung verhärteter Positionen wird oft als e<strong>in</strong>e Leistung von Mediation genannt<br />

(vgl. u.a. Haumersen/ Liebe 1998, S. 138) <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Beispielfällen gel<strong>in</strong>gt dies auch e<strong>in</strong><br />

Stück weit. Ist allerd<strong>in</strong>gs, wie im Jugendzentrumsfall, die Frustration so hoch, dass ke<strong>in</strong><br />

Interesse mehr daran besteht, an e<strong>in</strong>em Konfliktlösungsprozess teilzunehmen, so<br />

schränkt das die Möglichkeiten beträchtlich e<strong>in</strong>. In diesem Fall wirkt sich zum e<strong>in</strong>en die<br />

Problematik e<strong>in</strong>er vielfachen Zuständigkeit von öffentlichen Stellen bzw. des Wechsels<br />

von zuständigen Personen auf die Dauer des Konflikts aus <strong>und</strong> zum anderen restr<strong>in</strong>giert<br />

das Gerichtsurteil die Möglichkeiten e<strong>in</strong>er Konfliktlösung weiterh<strong>in</strong> <strong>und</strong> schränkt das<br />

Interesse der an der Klage beteiligten Personen e<strong>in</strong>, sich erneut auf Diskussionen<br />

e<strong>in</strong>zulassen.<br />

Sich gegenseitig ausschließende Bedürfnisse<br />

Für Interessenkonflikte lassen sich <strong>in</strong> der Mediation möglicherweise w<strong>in</strong>-w<strong>in</strong>-<strong>Lösung</strong>en<br />

f<strong>in</strong>den, die beiden Parteien entgegenkommen. Ist dies nicht möglich, so bleibt oft noch<br />

e<strong>in</strong>e Kompromissmöglichkeit. Nach E<strong>in</strong>schätzung der Mediatoren erfordert aber die<br />

Sachlage sowohl im Jugendzentrums- wie auch im Gaststättenfall „die Quadratur des<br />

Kreises“, um e<strong>in</strong>e für alle zufriedenstellende <strong>Lösung</strong> zu f<strong>in</strong>den. „Denn was Familie<br />

Demirs f<strong>in</strong>anzielles Überleben gesichert hat <strong>in</strong> dem Haus, war für die anderen die<br />

Belastung. Was für die anderen ´ne Reduzierung der Belastung ist, reduziert das<br />

f<strong>in</strong>anzielle Überleben <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>kommensstruktur.“ Vorgeschlagene <strong>Lösung</strong>en s<strong>in</strong>d, wie<br />

z.B. die E<strong>in</strong>schränkung der Außenaktivitäten im Jugendzentrumsfall, immer Kompromisslösungen,<br />

die zum<strong>in</strong>dest für e<strong>in</strong>e Seite nicht befriedigend s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> im Fall „Ezgi“ auch<br />

nicht e<strong>in</strong>gehalten werden.<br />

E<strong>in</strong>erseits zeigt sich hier e<strong>in</strong>e gewisse Ratlosigkeit der Mediatoren, die <strong>in</strong> mangelnder<br />

Erfahrung begründet se<strong>in</strong> kann, es deutet sich jedoch auch e<strong>in</strong>e Grenze der Mediationsmöglichkeiten<br />

an: Mediation mag zwar <strong>in</strong> den komplexesten Fällen zu <strong>Lösung</strong>en führen,<br />

stehen sich jedoch gr<strong>und</strong>legende Bedürfnisse e<strong>in</strong>schränkend gegenüber, so kann ohne<br />

e<strong>in</strong>e Veränderung der Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen kaum e<strong>in</strong>e für alle zufriedenstellende<br />

<strong>Lösung</strong> gef<strong>und</strong>en werden.<br />

Mangelndes Faktenwissen<br />

Um e<strong>in</strong>e Mediation erfolgreich <strong>durch</strong>zuführen, ist es essentiell, dass zunächst die Fakten<br />

<strong>und</strong> rechtlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen bekannt s<strong>in</strong>d. Besonders im Gaststättenfall wirkte<br />

sich dies auf die <strong>Lösung</strong>sf<strong>in</strong>dung aus. So fehlten wichtige Informationen zum Mietvertrag<br />

der Pächter, den diese bis zuletzt vorenthielten. E<strong>in</strong> weiterer Eckpunkt, der aufgr<strong>und</strong><br />

subjektiv unterschiedlicher Me<strong>in</strong>ungen nicht entschieden werden konnte, war das<br />

tatsächliche Ausmaß der Musiklautstärke aus der Gaststätte <strong>in</strong> Borcherts Wohnung.<br />

Zusätzlich wäre es unter Umständen s<strong>in</strong>nvoll gewesen, <strong>in</strong> der <strong>Lösung</strong>sphase e<strong>in</strong>en<br />

F<strong>in</strong>anzberater h<strong>in</strong>zuzuziehen, um die Machbarkeit möglicher <strong>Lösung</strong>en besser e<strong>in</strong>schätzen<br />

zu können. Hier zeigt sich zum e<strong>in</strong>en wieder die Bedeutung der Bereitschaft der<br />

Parteien, <strong>ihre</strong>n Teil zur <strong>Lösung</strong>sf<strong>in</strong>dung beizutragen. Zum anderen wird auch deutlich,<br />

114


Gründe für Scheitern oder Erfolg der Mediation<br />

dass Mediationslösungen <strong>durch</strong> Fakten abgesichert se<strong>in</strong> sollten, die nicht <strong>durch</strong> andere<br />

Personen, wie weitere Nachbarn aufgr<strong>und</strong> der Rechtslage anzweifelbar s<strong>in</strong>d.<br />

Nebenkonflikte / Stellung im System<br />

Zeigen sich, wie <strong>in</strong> allen drei Beispielfällen, weitere <strong>Konflikte</strong> zwischen anderen Akteuren,<br />

so lässt dies darauf schließen, dass im gesamten Beziehungssystem dieser Nachbarschaft<br />

komplexe, teilweise problematische Beziehungen bestehen. Ist der bearbeitete<br />

Konflikt nur e<strong>in</strong>er von vielen oder nur e<strong>in</strong> Symptom für <strong>in</strong> anderen Bereichen liegende<br />

Probleme, so ist es schwer, <strong>durch</strong> e<strong>in</strong>e Mediation e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong> <strong>und</strong> Stabilisierung des<br />

Gesamtsystems zu erreichen (Faller). Daher ist es wichtig, bei der Analyse der <strong>Konflikte</strong><br />

auf solche Verb<strong>in</strong>dungen zu achten <strong>und</strong> im bearbeiteten Fall alle entscheidenden Personen<br />

e<strong>in</strong>zubeziehen. E<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong> für mehrere Nebenkonflikte zu erreichen ist jedoch <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Mediation sehr diffizil.<br />

Andererseits kann aber die Bearbeitung e<strong>in</strong>es Problems, an dem sich viele <strong>Konflikte</strong><br />

entzündet haben, diese lösen <strong>und</strong> die Gesamtatmosphäre verbessern. Das zeigt sich<br />

zum Beispiel an der ersten Unterkunft, <strong>in</strong> der Renaldo Seeger wohnte. So waren auch<br />

unter den übrigen Bewohnern Streitigkeiten über ihn entstanden, die sich nach Aussage<br />

der Mediator<strong>in</strong>, die weitere Personen <strong>in</strong> dieser Anlage betreute, nach der Umsiedlung<br />

der S<strong>in</strong>tifamilie erübrigten <strong>und</strong> wieder Frieden e<strong>in</strong>kehrte.<br />

Die Rolle der Mediatoren<br />

Verbesserungsvorschläge <strong>und</strong> Kritikpunkte von Seiten der Mediatoren<br />

Interessant ist die relativ positive Bewertung des Mediationsverfahrens <strong>durch</strong> die<br />

Mediatoren, obwohl die Erfolge nicht besonders umfassend waren. So wird <strong>in</strong> allen<br />

Fällen die <strong>durch</strong> die Mediation erreichte Deeskalation betont <strong>und</strong> die Mediator<strong>in</strong> des<br />

Unterkunftsfalls hebt vor allem die schnelle <strong>Lösung</strong> des schon lange h<strong>in</strong>schwelenden<br />

Konflikts hervor.<br />

Desweiteren s<strong>in</strong>d sich alle Mediatoren e<strong>in</strong>ig, dass es sehr wichtig war, diese Erfahrungen<br />

zu sammeln <strong>und</strong> sie aus dem Anwenden der Instrumente gelernt haben. Sie gestehen<br />

selbstkritisch e<strong>in</strong>, dass sie im Rückblick vielleicht manches anders gemacht hätten. Im<br />

Folgenden sollen die wichtigsten Verbesserungsvorschläge dargestellt werden.<br />

Im Jugendzentrumsfall wurde vor allem diskutiert, ob e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>bezug weiterer Nachbarn,<br />

zum Beispiel e<strong>in</strong>e Befragung, wie sie im Rahmen dieser Diplomarbeit <strong>durch</strong>geführt<br />

wurde, offensiver von Seiten der Mediatoren hätte geschehen sollen. Es herrscht<br />

allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>igkeit darüber, ob dies die Aufgabe der Mediatoren se<strong>in</strong> sollte, da<br />

Mediation ja auf der freiwilligen Teilnahme der Parteien beruht. E<strong>in</strong> solches Vorgehen<br />

wäre allerd<strong>in</strong>gs hilfreich gewesen, um die Gesamtsituation <strong>und</strong> die vere<strong>in</strong>zelte Stellung<br />

der Konfliktnachbarn zu erkennen, so die Leiter<strong>in</strong> der Koord<strong>in</strong>ierungsstelle Frau Attari.<br />

E<strong>in</strong>e Mediator<strong>in</strong> führt auch an, dass sie aufgr<strong>und</strong> mangelnder Erfahrung die Vorgespräche<br />

<strong>in</strong> der Anfangsphase „relativ unsystematisch <strong>und</strong> auch so ausm Bauch raus“ geführt<br />

hätte. Auch die Telefonate mit verschiedenen Akteuren bewertet sie im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> als<br />

„fachlich nicht gut“, da wichtige Akteure da<strong>durch</strong> nicht richtig e<strong>in</strong>bezogen worden seien.<br />

Im Gaststättenfall überlegen die Mediatoren weiterh<strong>in</strong>, welche Möglichkeiten sich ihnen<br />

<strong>in</strong> der komplizierten Situation noch geboten hätten. Der Mediator resümiert: „Bei Demirs<br />

wär’s ganz wichtig gewesen, (...) sehr deutlich zu fordern, dass sie den rechtlichen<br />

Rahmen e<strong>in</strong>halten. Das man nur weitermacht, wenn der Mietvertrag e<strong>in</strong>gebracht wird,<br />

wenn sie sich bewegen <strong>in</strong> Richtung <strong>ihre</strong>r rechtlichen Möglichkeiten. (...) Es hätte genügt<br />

115


Gründe für Scheitern oder Erfolg der Mediation<br />

an Demirs Seite stärker zu arbeiten, was geht da, was ist möglich <strong>und</strong> was gibt’s noch<br />

für Optionen. Und dann zu schauen, ist überhaupt die Bereitschaft da, auf die rechtlichen<br />

Vorgaben e<strong>in</strong>zugehen, die unveränderbar s<strong>in</strong>d aus me<strong>in</strong>er Sicht.“<br />

E<strong>in</strong> weiterer Punkt der Selbstkritik ist auch das Fehlen des Vermieters Aschauer <strong>in</strong> den<br />

Mediationsverhandlungen, wo<strong>durch</strong> sich noch e<strong>in</strong>mal komplett neue Perspektiven hätten<br />

ergeben können.<br />

Sie weisen darauf h<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> größerer Erfahrungsschatz hilfreich gewesen wäre, um<br />

die Situation <strong>und</strong> die Ursachen der Verhaltensweisen besser e<strong>in</strong>schätzen zu können.<br />

Auch wäre der Fall vielleicht anders abgelaufen, wenn das Mediatorentandem anders<br />

zusammengesetzt wäre, also zum Beispiel e<strong>in</strong>e türkische Mediator<strong>in</strong> teilgenommen<br />

hätte. Haumersen plädiert für e<strong>in</strong> möglichst heterogen zusammengesetztes Team, da sie<br />

davon ausgeht, dass dies auch e<strong>in</strong>e größtmögliche Neutralität der Mediatoren gewährleistet<br />

(vgl. 1999, S. 180). In den bearbeiteten Fällen lässt sich feststellen, dass die<br />

Zusammensetzung der Tandems bezüglich der kulturellen Heterogenität nicht optimal<br />

ausgenutzt wurde. Dies ist aber wohl mitunter darauf zurückzuführen, dass die Fälle<br />

noch <strong>in</strong> der Ausbildungsphase stattfanden <strong>und</strong> sich die Verteilung der Mediatoren auf die<br />

Fälle noch e<strong>in</strong>spielen musste.<br />

Weitere Kritikpunkte am Vorgehen der Mediatoren<br />

Neben den schon von den Mediatoren selbst erwähnten Personen, die noch e<strong>in</strong>bezogen<br />

hätten werden müssen, wirkte sich me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach im Fall Gaststätte negativ aus,<br />

dass Frau Demir an der Sitzung, <strong>in</strong> der die <strong>Lösung</strong>ssuche stattfand, nicht teilnahm. Auch<br />

wenn sie Herrn Yildirim <strong>ihre</strong> Vollmacht gegeben hatte, hätte diese Phase der Mediation<br />

<strong>ihre</strong> Akzeptanz für die vorgeschlagenen <strong>Lösung</strong>en steigern können <strong>und</strong> unter Umständen<br />

<strong>ihre</strong> Sichtweise für bestehende Möglichkeiten erweitert. So ergab sich die Situation, dass<br />

Frau Demir e<strong>in</strong>en Brief mit der zu unterzeichnenden Vere<strong>in</strong>barung erhielt, sich jedoch<br />

nur aufgr<strong>und</strong> von Erzählungen mit dem Inhalt vertraut fühlte <strong>und</strong> zudem sah, dass das<br />

E<strong>in</strong>halten dieser Abmachungen sich schlecht auf das Geschäft auswirken würde. Der<br />

weitere Verlauf war letztlich vorhersehbar. Der Mediator schildert die Reaktion von Frau<br />

Demir wie folgt: “Ich hab sie angerufen, hab sie gefragt, warum sie’s nicht macht. Sie<br />

hat gesagt, sie macht’s nicht, weil die Polizei kam. Dann hab ich sie gefragt, ja wann<br />

kam denn die Polizei <strong>und</strong> wieso? Ja, die Polizei kam, weil sie über die Zeit war. Aber sie<br />

sagt nicht, ich hab mich nicht dran gehalten, sondern ich mach’s nicht, weil der schickt<br />

uns schon wieder die Polizei. Also dann machst Du mühsam ´ne Vere<strong>in</strong>barung <strong>und</strong> sie<br />

hält sich wieder nicht genau an die Zeit. Und der Borchert hat das halt so verstanden, 11<br />

Uhr ist 11 Uhr. Und um 11 ist Ruhe <strong>und</strong> da war nicht Ruhe <strong>und</strong> dann hat er gesagt, <strong>in</strong><br />

fünf M<strong>in</strong>uten ruf ich die Polizei. Und dann hat er’s gemacht. Der hat das Wort für Wort<br />

ernst genommen <strong>und</strong> Demirs haben dann schon wieder e<strong>in</strong>en auszudehnenden Bereich<br />

draus gemacht.“<br />

Inwiefern für diese Nichte<strong>in</strong>haltung auch kulturelle Faktoren, also unterschiedlicher<br />

Umgang mit Regeln, anderes Zeitverständnis oder die vorhergenannten Probleme beim<br />

Zustande kommen der Vere<strong>in</strong>barung e<strong>in</strong>e Rolle gespielt haben, ist nicht e<strong>in</strong>deutig zu<br />

klären. Die Mediatoren führen das Scheitern hauptsächlich auf die Situation von Frau<br />

Demir <strong>und</strong> <strong>ihre</strong> psychische Überlastung zurück <strong>und</strong> sehen auf dieser Basis ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Weiterführung der Mediation. Inwiefern dies jedoch kritisch h<strong>in</strong>terfragt werden<br />

muss <strong>und</strong> die Mediatoren mit Hilfe anderer Mittel wie zum Beispiel weiteren E<strong>in</strong>zelgesprächen<br />

mit der Seite der Pächter die Mediation hätten fortführen können, muss zur<br />

Diskussion gestellt werden.<br />

116


Gründe für Scheitern oder Erfolg der Mediation<br />

6.5.2 Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen von Mediation <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Nachbarschaftskonflikten<br />

Die auf den vorangegangenen Seiten dargestellten Faktoren, die zu e<strong>in</strong>em Gel<strong>in</strong>gen oder<br />

Scheitern der Mediationen beigetragen haben, führen abstrahiert zur Überlegung der<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen der Mediation <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten.<br />

Möglichkeiten der<br />

Mediation<br />

Deeskalation<br />

Gründliche Konfliktanalyse<br />

Verständnis für andere<br />

Partei erzeugen<br />

Erarbeitung von<br />

<strong>Lösung</strong>svorschlägen<br />

Begrenzung der<br />

<strong>Lösung</strong>smöglichkeiten<br />

<strong>durch</strong> unveränderliche<br />

strukturelle Aspekte<br />

psychischer, sozialer oder<br />

f<strong>in</strong>anzieller Art<br />

räumliche Gegebenheiten<br />

e<strong>in</strong>deutige Rechtsvorteile<br />

e<strong>in</strong>er Partei<br />

Tab. 11: Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen <strong>in</strong>terkultureller Mediation <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong><br />

Durch Mediation ist es möglich, die Konfliktsituation zu deeskalieren <strong>und</strong> Gesprächsbereitschaft<br />

zwischen den Parteien herzustellen. Auch gelang es teilweise, e<strong>in</strong>en Perspektivenwechsel<br />

zu erreichen <strong>und</strong> da<strong>durch</strong> das Verständnis für die Lage der anderen Partei<br />

zu fördern. Auf dieser Basis können <strong>in</strong> der Mediation geme<strong>in</strong>same <strong>Lösung</strong>svorschläge<br />

erarbeitet werden. Ob diese angenommen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>gehalten werden, hängt jedoch von<br />

den genannten Faktoren (z.B. psychosoziale Verfassung) ab.<br />

An den Beispielfällen verdeutlichte sich, dass Mediation <strong>in</strong> <strong>Konflikte</strong>n, die <strong>durch</strong> strukturelle<br />

Probleme wie die räumliche Lage, ökonomische Zwänge oder psychosoziale Faktoren<br />

bed<strong>in</strong>gt s<strong>in</strong>d, kaum zu e<strong>in</strong>er w<strong>in</strong>-w<strong>in</strong>-<strong>Lösung</strong> beitragen kann, wenn diese Gr<strong>und</strong>bed<strong>in</strong>gungen<br />

nicht verändert werden können. Wenn die Rechtslage e<strong>in</strong>deutig auf Seiten<br />

e<strong>in</strong>er Partei ist, kann nur deren Bereitschaft zu Zugeständnissen e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong> auf den<br />

Weg br<strong>in</strong>gen. Ist es möglich, die strukturellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu verändern <strong>und</strong><br />

s<strong>in</strong>d die Parteien an e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen Zukunft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen <strong>Lösung</strong> für beide<br />

Seiten <strong>in</strong>teressiert <strong>und</strong> auch fähig, sich auf diesen Prozess e<strong>in</strong>zulassen, so kann e<strong>in</strong>e<br />

Mediationslösung gel<strong>in</strong>gen.<br />

117


Resümee <strong>und</strong> Ausblick


7 Resümee <strong>und</strong> Ausblick<br />

Resümee <strong>und</strong> Ausblick<br />

Mediation <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten<br />

Es wurde gezeigt, dass <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen Nachbarschaftskonflikten e<strong>in</strong>ige Besonderheiten<br />

bei der Konfliktanalyse <strong>und</strong> im Mediationsdesign beachtet werden müssen, um<br />

kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen <strong>und</strong> ebenfalls den rechtlichen <strong>und</strong> räumlichen<br />

Aspekten des Konflikts gerecht zu werden.<br />

Bedeutung kultureller Unterschiede<br />

In den Beispielfällen zeigten sich zwar kulturelle Unterschiede <strong>und</strong> deren Instrumentalisierung,<br />

ich komme jedoch zu dem Schluss, dass die Mediationen nicht an kulturellen<br />

Differenzen oder der mangelnden Anpassung des Verfahrens daran gescheitert s<strong>in</strong>d.<br />

Vielmehr sche<strong>in</strong>en sich von kulturellen Faktoren unabhängige strukturelle Bed<strong>in</strong>gungen<br />

ausgewirkt zu haben. Andere Beispielfälle, bei denen Diskrim<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong> deutlichere<br />

kulturell begründete Werte- <strong>und</strong> Verhaltensunterschiede e<strong>in</strong>e größere Rolle spielen,<br />

hätten unter Umständen andere Problematiken aufgeworfen <strong>und</strong> weitere Rückschlüsse<br />

auf das Mediationsverfahren nahegelegt. Es war festzustellen, dass e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutig<br />

kausaler Zusammenhang zwischen kultureller Herkunft <strong>und</strong> Verhaltensweisen nur<br />

schwer nachzuweisen ist <strong>und</strong> generell der E<strong>in</strong>fluss von Kultur auf Nachbarschaftskonflikte<br />

schwer von anderen E<strong>in</strong>flüssen getrennt betrachtet werden kann. Die Anwendung<br />

vere<strong>in</strong>fachender Kulturmodelle konnte diesbezüglich Erklärungsmöglichkeiten (wie z.B.<br />

kulturell unterschiedliches Lärmempf<strong>in</strong>den als Konfliktursache) geben <strong>und</strong> Tendenzen für<br />

die <strong>in</strong>terkulturelle Mediation aufzeigen (u.U. Bedarf nach e<strong>in</strong>em stärker schiedsrichterlich<br />

e<strong>in</strong>greifenden Mediator).<br />

An dieser Stelle muss noch e<strong>in</strong>mal betont werden, dass bei der Betrachtung kultureller<br />

E<strong>in</strong>flüsse <strong>in</strong> der Mediation e<strong>in</strong> Mittelweg gef<strong>und</strong>en werden muss, der diese weder<br />

zugunsten anderer Aspekte ignoriert, noch Verhalten lediglich <strong>durch</strong> Kultur determ<strong>in</strong>iert<br />

sieht <strong>und</strong> diese so überbewertet. Nur e<strong>in</strong> ausgewogenes Vorgehen kann letztlich zu<br />

e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen <strong>Lösung</strong> beitragen.<br />

Bedeutung der Nachbarschaft<br />

Das räumlich nahe Zusammenleben spielt bei Nachbarschaftskonflikten zwangsläufig<br />

e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende, oft konfliktverstärkende Rolle. Anhand der Beispielfälle zeigte sich,<br />

dass der Standortwechsel e<strong>in</strong>er der Streitparteien e<strong>in</strong>e mögliche <strong>Lösung</strong> se<strong>in</strong> kann (Fall<br />

Unterkunft). Um e<strong>in</strong>e Dauerhaftigkeit solcher <strong>Lösung</strong>swege zu gewährleisten, müssen<br />

jedoch weitere Überlegungen e<strong>in</strong>bezogen werden: Ist das Problem mitunter <strong>durch</strong><br />

psychische oder soziale Ursachen bed<strong>in</strong>gt, wird die Umsiedlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Nachbarschaft<br />

auch die <strong>Konflikte</strong> lediglich umverlagern. Solche <strong>Lösung</strong>en können w<strong>in</strong>-w<strong>in</strong><br />

Situationen darstellen, sie widersprechen allerd<strong>in</strong>gs dem Ziel von Mediation, gesteigertes<br />

gegenseitiges Verständnis für e<strong>in</strong> weiteres Zusammenleben herzustellen.<br />

Gr<strong>und</strong>legende Konfliktursachen wie Planungsfehler bezüglich der Standortentscheidungen<br />

(Fälle Jugendzentrum <strong>und</strong> Gaststätte) oder die gegen e<strong>in</strong>e Partei sprechende<br />

Rechtslage können die <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten stark e<strong>in</strong>schränken. Kommen dann räumliche<br />

Ausweichmöglichkeiten aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>geschränkter f<strong>in</strong>anzieller Mittel oder fehlender<br />

Ersatzstandorte nicht <strong>in</strong> Betracht, so wird das Erreichen e<strong>in</strong>er für beide Seiten gew<strong>in</strong>nbr<strong>in</strong>genden<br />

<strong>Lösung</strong> äußerst unwahrsche<strong>in</strong>lich.<br />

118


Resümee <strong>und</strong> Ausblick<br />

Bedeutung der Akteure <strong>in</strong> der Mediation<br />

Die richtige E<strong>in</strong>schätzung von Konfliktkonstellationen <strong>und</strong> die Fähigkeit, Parteien zu<br />

Verständnis <strong>und</strong> engagierter <strong>Lösung</strong>ssuche zu bewegen, hängt stark vom Erfahrungswissen<br />

der Mediatoren ab. Besonders <strong>in</strong> Bezug auf kulturelle Unterschiede ist <strong>in</strong> der<br />

praktischen Anwendung e<strong>in</strong> ständiges kritisches H<strong>in</strong>terfragen des Vorgehens nötig, um<br />

problematische Verhaltensweisen der Parteien nicht vorschnell zu <strong>in</strong>terpretieren. Der<br />

Mediator erweist sich letztlich als die zentrale Figur <strong>in</strong> der Mediation. Wachsende Erfahrung,<br />

Supervisionen <strong>und</strong> die Auswertung jeder Mediation tragen dazu bei, sie qualitativ<br />

zu sichern <strong>und</strong> aus Fehlern zu lernen. Zudem könnte <strong>durch</strong> detaillierte Evaluation der<br />

Mediationsfälle <strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong> Betrag geleistet werden, herauszuf<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> welcher Weise<br />

das Mediationsdesign weiter an die unterschiedlichen Konfliktkulturen angepasst werden<br />

kann.<br />

Als entscheidende Voraussetzung für den Verlauf e<strong>in</strong>er Mediation ist e<strong>in</strong>deutig das<br />

Interesse aller Parteien an e<strong>in</strong>er <strong>Lösung</strong> <strong>und</strong> Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen<br />

hervorzuheben.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der <strong>in</strong> dieser Untersuchung gemachten Beobachtungen lässt sich also folgern,<br />

dass “the promise of mediation (…) that both or all the parties, by reta<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

´ownership´ of the process, can br<strong>in</strong>g themselves to agreements (…) that satisfy all<br />

their concerns and that only these sorts of agreements will endure without the need to<br />

<strong>in</strong>voke or re<strong>in</strong>voke externally based measures of compliance” (Avruch 1998, S. 83) sehr<br />

schwer e<strong>in</strong>zuhalten ist. Der Erfolg <strong>in</strong>terkultureller Mediation <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong> muss <strong>in</strong><br />

Abhängigkeit von verschiedensten Faktoren gesehen werden, deren komplexe Wirkungszusammenhänge<br />

<strong>in</strong> Zukunft weiter erforscht <strong>und</strong> auf verschiedensten Ebenen<br />

bearbeitet werden sollten.<br />

Weitere Möglichkeiten zur Bearbeitung <strong>in</strong>terkultureller<br />

Nachbarschaftskonflikte<br />

Die Ursachen für <strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftskonflikte liegen nicht nur bei den Parteien,<br />

sondern oft <strong>in</strong> der Gesamtsituation begründet. Sie können mitunter aufgr<strong>und</strong><br />

räumlicher Fehlplanung oder <strong>durch</strong> soziale <strong>und</strong> kulturelle Disparitäten, die <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />

nicht aufgearbeitet werden, entstehen. Dem Erfolg von Mediation s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>Konflikte</strong>n,<br />

die aus solchen gr<strong>und</strong>legenden strukturellen Differenzen resultieren, Grenzen<br />

gesetzt.<br />

Insofern ist es zunächst wichtig, e<strong>in</strong>e Konfliktanalyse zu erstellen, die möglichst umfassend<br />

alle Bereiche berücksichtigt. Darauf basierend sollte kritisch geprüft werden,<br />

<strong>in</strong>wieweit die Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e Mediation erfüllt werden <strong>und</strong> ob sie ohne den<br />

E<strong>in</strong>bezug weiterer Entscheidungsträger s<strong>in</strong>nvoll ist. Werden die Voraussetzungen für<br />

e<strong>in</strong>e Mediation nicht erfüllt, so können andere Instrumente zum E<strong>in</strong>satz kommen. Zu<br />

nennen ist hier zum Beispiel Konfliktcoach<strong>in</strong>g, wobei e<strong>in</strong>e Seite beraten wird, wie sie<br />

besser mit der Konfliktsituation umgehen kann. Auch die Anwendung stärker <strong>durch</strong><br />

<strong>Lösung</strong>svorgaben e<strong>in</strong>greifender Schlichtungsverfahren kann angebracht se<strong>in</strong>.<br />

Oft liegt das Problem auch dar<strong>in</strong>, dass den Konfliktparteien zuständige Stellen nicht<br />

bekannt s<strong>in</strong>d. Denn mitunter ist e<strong>in</strong>e Geschäfts- oder Schuldenberatung, Aufklärung<br />

über die rechtliche Lage oder e<strong>in</strong>e psychologische Betreuung zunächst s<strong>in</strong>nvoller als e<strong>in</strong>e<br />

Mediation <strong>und</strong> kann helfen, <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten aufzuzeigen. E<strong>in</strong>e wirkungsvolle<br />

Vernetzung derartiger Beratungse<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> konfliktbearbeitender Angebote sollte<br />

unbed<strong>in</strong>gt gefördert werden, auch wenn <strong>in</strong> der beruflichen Realität solche Vernetzungs-<br />

119


Resümee <strong>und</strong> Ausblick<br />

ziele häufig <strong>durch</strong> <strong>in</strong>terpersonale Probleme <strong>und</strong> Kompetenzstreitigkeiten oder Arbeitsüberlastung<br />

<strong>und</strong> Unüberschaubarkeit der Angebote gefährdet s<strong>in</strong>d.<br />

Es kann also festgehalten werden, dass Mediation bei der <strong>Lösung</strong> <strong>in</strong>terkultureller Nachbarschaftskonflikte<br />

nicht als der Königsweg betrachtet werden darf, sondern als e<strong>in</strong><br />

Instrument von vielen, deren Wahl <strong>durch</strong> die Erfordernisse der Situation bestimmt<br />

werden sollte. Dafür s<strong>in</strong>d fachliche Qualifikation <strong>und</strong> <strong>in</strong>terkulturelle Sensibilität sowie<br />

e<strong>in</strong>e umfassende Konfliktanalyse von entscheidender Bedeutung.<br />

Ausblick<br />

Im städtischen Zusammenleben gilt kulturelle Vielfalt als konstitutiv für Urbanität. In<br />

<strong>in</strong>terkulturellen <strong>Nachbarschaften</strong> treten jedoch unterschiedliche Lebensgewohnheiten<br />

<strong>und</strong> Vorstellungen vom Zusammenleben auf, die sich – häufig gepaart mit sozioökonomischen<br />

Problemlagen - zu <strong>Konflikte</strong>n entwickeln. Als Folge problematischer <strong>Nachbarschaften</strong>,<br />

<strong>in</strong> denen oft auch <strong>in</strong>terkulturelle <strong>Konflikte</strong> vorkommen, kann e<strong>in</strong>e Stigmatisierung<br />

des Wohnviertels mit vermehrten Vorurteilen den Bewohnern gegenüber entstehen.<br />

In den Medien, der Stadtpolitik <strong>und</strong> der öffentlichen Me<strong>in</strong>ung werden solche<br />

Problemlagen häufig kulturalisiert.<br />

Es besteht diesbezüglich e<strong>in</strong> Bedarf an Projekten, die e<strong>in</strong>en konstruktiven Umgang mit<br />

<strong>Konflikte</strong>n fördern <strong>und</strong> deren Implementierung sollte <strong>in</strong> Zukunft verstärkt unterstützt<br />

werden. Gerade im Bezug auf die räumliche Nähe ist zu betonen, dass das Konfliktpotenzial<br />

<strong>durch</strong> entsprechende planerische Überlegungen, wie zum Beispiel bezüglich<br />

Wohnungszuschnitten oder Schallschutz gesenkt werden könnte. Übergeordnet sollte<br />

bezüglich der Wohnlage von Migranten das Ziel se<strong>in</strong>, freiwillige ethnische Segregation<br />

nicht zu verdammen, unfreiwillige Ghettoisierung jedoch zu verh<strong>in</strong>dern.<br />

Deutschland ist e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wanderungsland. Aus dieser Tatsache ergeben sich viele Herausforderungen,<br />

mit denen <strong>in</strong> Zukunft auf unterschiedlichsten Ebenen umgegangen werden<br />

muss.<br />

Ob man nun e<strong>in</strong>en positiven Blick beispielsweise auf die multikulturelle Gastronomie<br />

wirft oder sich über die Erweiterungspläne der Moschee ärgert - im Zusammenleben<br />

wird oft das Besondere, Fremde, das mit der e<strong>in</strong>heimischen Kultur Unvere<strong>in</strong>bare herausgestellt.<br />

Diese Instrumentalisierung von Kultur, ob nun <strong>durch</strong> Deutsche oder Migranten<br />

selbst, birgt die Gefahr e<strong>in</strong>er weiteren Verstärkung von Vorurteilen <strong>und</strong> der zunehmenden<br />

Empf<strong>in</strong>dung von Differenzen. Um diesen Vorgängen <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>enem<br />

Konfliktpotenzial entgegenzuwirken, ist es me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach <strong>in</strong> Zukunft unerlässlich,<br />

auf beiden Seiten e<strong>in</strong>en gleichberechtigten, offenen Umgang zu fördern. Der verstärkte<br />

E<strong>in</strong>bezug von Migranten <strong>in</strong> Konfliktlösungse<strong>in</strong>richtungen, Beratungsstellen <strong>und</strong> auch <strong>in</strong><br />

öffentlichen Stellen wie der Planung könnte dies unterstützen.<br />

120


Literatur<br />

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Literatur<br />

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Zilleßen, Horst (Hrsg.) 1998: Mediation. Kooperatives Konfliktmanagement <strong>in</strong> der Umweltpolitik,<br />

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Zeitungsartikel<br />

Süddeutsche Zeitung, 2004: Die Familie als Wertm<strong>in</strong>derung. 12.5.04, S. 41.<br />

Süddeutsche Zeitung, 2004: Der Amokläufer von Nymphenburg ist tot. 28.7.04, S. 34.<br />

Süddeutsche Zeitung, 2004: „E<strong>in</strong>e Moschee passt nicht <strong>in</strong>s Viertel“. 12.10.04, S. 47.<br />

Süddeutsche Zeitung, 2004: Globalisierung des Hasses. Parallelgesellschaften <strong>und</strong> Multi-Kulti-<br />

Träume. 20./21.11.04, S. 13.<br />

Süddeutsche Zeitung, 2004: Unter Verdacht. Parallelgesellschaften <strong>und</strong> Anti-Islamismus.<br />

20./21.11.04, S. 13.<br />

Vorträge <strong>und</strong> Tagungen<br />

Unveröffentlichtes Manuskript zur Fortbildung „Mediation <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Konflikte</strong>n“; Nürnberg<br />

2000/2001, Deymsoden consult<strong>in</strong>g, Schönau, S. 12.<br />

Fachtagung: <strong>Interkulturelle</strong> Verständigung. Leben <strong>und</strong> Wohnen <strong>in</strong> München. Sozialreferat der<br />

Landeshauptstadt München, Stelle für <strong>in</strong>terkulturelle Arbeit<br />

am 11. Oktober 2004:<br />

Dr. Albrecht Göschel, Deutsches Institut für Urbanistik, Berl<strong>in</strong><br />

Prof. Barbara John, Berl<strong>in</strong><br />

am 18. Oktober 2004:<br />

Prof. Dr. Peter Hansen, Hannover<br />

128


Glossar<br />

Glossar<br />

Assimilation<br />

Assimilation <strong>und</strong> Integration werden oft begrifflich gleichgestellt oder verwechselt. Es<br />

handelt sich aber um zwei verschiedene Prozesse, die unterschiedliche Auswirkungen<br />

haben. Assimilation ist die allgeme<strong>in</strong>e Bezeichnung für e<strong>in</strong> Ähnlichwerden aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es<br />

Angleichungs- oder Anpassungsprozesses, wie es zum Beispiel die amerikanische Melt<strong>in</strong>g<br />

pot-Ideologie bee<strong>in</strong>haltet (vgl. Treibel 1999, S. 92ff).<br />

Assimilation ist die Beschreibung e<strong>in</strong>es Zustandes, während der Prozess der Angleichung<br />

als Akkulturation bezeichnet wird (vgl. Pristl 2001, S. 77).<br />

Ausländer<br />

Die Begriffe Migrant<strong>in</strong>, Migrant oder Migration haben sich zwar <strong>in</strong> der öffentlichen<br />

Diskussion <strong>durch</strong>gesetzt, s<strong>in</strong>d aber zur statistischen Verwendung ungeeignet, weil sich<br />

damit ke<strong>in</strong> def<strong>in</strong>ierter Status der Menschen erfassen lässt. Dieser richtet sich nach dem<br />

Gesetz, wobei das Ausländergesetz den Status der Menschen aus dem Ausland def<strong>in</strong>iert.<br />

Die Angaben über Ausländer stammen von der Ausländerbehörde <strong>und</strong> beziehen sich auf<br />

alle Personen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen <strong>und</strong> <strong>in</strong> Deutschland<br />

melderechtlich erfasst s<strong>in</strong>d. H<strong>in</strong>zu kommen Personen, die nicht Deutschen gleichgestellt<br />

s<strong>in</strong>d (Art. 116, Abs. 1 Gr<strong>und</strong>gesetz), also Personen mit fremder, bzw. ungeklärter<br />

Staatsangehörigkeit (Flüchtl<strong>in</strong>ge, Geduldete, Asylbewerber, anerkannte Asylbewerber)<br />

<strong>und</strong> die Inhaber des Nansen-Passes (Ausweis für Staatenlose).<br />

Ethnie<br />

Ethnie (aus dem Griech. Volk, Volksstamm) bedeutet i.e.S. Volk als Abstammungsgeme<strong>in</strong>schaft,<br />

i.w.S. e<strong>in</strong>e Gruppe von Menschen, die <strong>durch</strong> verschiedene geme<strong>in</strong>same<br />

Eigenschaften wie Sprache, Tradition, Religion, verb<strong>und</strong>en ist bzw. sich verb<strong>und</strong>en fühlt,<br />

die e<strong>in</strong> bestimmtes Geme<strong>in</strong>schaftsbewusstse<strong>in</strong> besitzt <strong>und</strong> die sowohl <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>r Selbst- als<br />

auch <strong>in</strong> der Fremdwahrnehmung <strong>durch</strong> andere als kulturell unterscheidbar gilt. Bei<br />

ethnischen Gruppen handelt es sich i.d.R. um Teilbevölkerungen <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Staates,<br />

die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zahlenmäßigen M<strong>in</strong>derheitenposition bef<strong>in</strong>den. Der Begriff wird<br />

heute häufig anstelle des Begriffs „Rasse“ gebraucht, er ist jedoch nicht m<strong>in</strong>der problematisch,<br />

um die Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er historisch <strong>und</strong> brauchtümlich abgrenzbaren <strong>und</strong><br />

sich als eigenständig def<strong>in</strong>ierenden Bevölkerungsgruppe zu erklären.<br />

(Humboldt Universität Berl<strong>in</strong>, Lehrstuhl für Recht <strong>und</strong> Geschlechterstudien. Onl<strong>in</strong>e im<br />

Internet (Stand: 05.11.2004): http://lms.hu-berl<strong>in</strong>.de/cgi-b<strong>in</strong>/glossar_recht.pl?Ethnie)<br />

Justiziabler Konflikt<br />

E<strong>in</strong> justiziabler Konflikt ist e<strong>in</strong> gerichtlich entscheidbarer Konflikt. Wird e<strong>in</strong> Sachverhalt<br />

vom Tatbestand e<strong>in</strong>er bestimmten Rechtsnorm erfasst <strong>und</strong> ist der Rechtsweg zu den<br />

Gerichten eröffnet, handelt es sich um e<strong>in</strong>en justiziablen Konflikt.<br />

(Lothar Gündl<strong>in</strong>g: Glossar juristischer Fachbegriffe, In: Montada/Kals 2001, S. 252ff)<br />

Beim Recht ist zwischen objektivem <strong>und</strong> subjektivem Recht zu unterscheiden.<br />

Das objektive Recht kann damit als die Rechtsordnung bezeichnet werden.<br />

Unter objektivem Recht ist die Gesamtheit der Rechtnormen zu verstehen, welche<br />

die Verhaltensweisen von e<strong>in</strong>zelnen Menschen <strong>und</strong> gesamten Gesellschaften zue<strong>in</strong>ander<br />

regelt. Se<strong>in</strong>e rechtliche Geltungsanforderung kann notfalls mit staatlichem Zwang<br />

<strong>durch</strong>gesetzt werden.<br />

Das subjektive Recht ist demgegenüber das e<strong>in</strong>er natürlichen oder juristischen Person<br />

zustehende konkrete Recht e<strong>in</strong>er anderen natürlichen oder juristischen Person gegenüber;<br />

der praktisch häufigste Fall ist e<strong>in</strong> Anspruch.<br />

Dieser ist das Recht, von e<strong>in</strong>em anderen e<strong>in</strong> Tun (d.h. jede mögliche Handlung, Abgabe<br />

e<strong>in</strong>er Willenserklärung, Leistung usw.) oder e<strong>in</strong> Unterlassen (auch Dulden) zu verlangen


Glossar<br />

(§194 Absatz 1 BGB). Wesentliches Merkmal des Anspruchs ist die Möglichkeit se<strong>in</strong>er<br />

gerichtlichen Durchsetzung im Wege e<strong>in</strong>er Klage.<br />

Kulturrelativismus<br />

Ethnozentrische Reaktionen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> jeder Kultur per se angelegt <strong>und</strong> somit schwer zu<br />

vermeiden. Doch sie widersprechen dem „Konzept von der Gleichheit aller Menschen<br />

(...), das heute –zum<strong>in</strong>dest als Zielvorstellung – der gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen<br />

Ethik zugr<strong>und</strong>e liegt“ (Maletzke 1996, S. 26). Der Kulturrelativismus fordert als Gegenentwurf<br />

zum Ethnozentrismus „den Verzicht auf vorschnelle Urteile, wenn man mit<br />

Gruppen oder Gesellschaften zu tun hat, die sich von der eigenen unterscheiden“<br />

(Hofstede 1993, S. 21). Er betont also die Pluralität von Kulturen <strong>und</strong> postuliert, dass<br />

Kulturen nicht verglichen oder aus dem Blickw<strong>in</strong>kel e<strong>in</strong>er anderen Kultur bewertet<br />

werden können.<br />

Methodenkenntnis <strong>in</strong> der Mediation<br />

„Das Verfahren berücksichtigt (...) die Erkenntnisse der Psychologie <strong>und</strong> Konfliktforschung,<br />

nach denen Gefühle, E<strong>in</strong>stellungen, Beziehungen <strong>und</strong> Kommunikation als<br />

wesentliche Faktoren des Konflikts begriffen <strong>und</strong> <strong>in</strong> den <strong>Lösung</strong>sprozeß e<strong>in</strong>bezogen<br />

werden müssen“ (Besemer 2002, S. 36; vgl auch Montada/ Kals 2001, S. 33/34). Zum<br />

Handwerkszeug von Mediatoren gehören neben verschiedene Formen der Moderation<br />

auch die im Folgenden genannten Kommunikationsmethoden:<br />

Aktives Zuhören:<br />

bedeutet, die Sicht der anderen Person voll <strong>und</strong> ganz zu verstehen. Hierzu gehört auch<br />

das sogenannte Spiegeln (d.h. das Gesagte zu wiederholen oder zusammenzufassen).<br />

Da<strong>durch</strong> wird oft deutlich, wo noch nicht erkannte Bedeutungsunterschiede liegen.<br />

Ich-Botschaften:<br />

jeder redet von se<strong>in</strong>en eigenen Erfahrungen <strong>und</strong> Gefühlen <strong>und</strong> versteckt sich nicht<br />

h<strong>in</strong>ter Allgeme<strong>in</strong>plätzen oder Beschuldigungen.<br />

E<strong>in</strong>zelgespräche:<br />

s<strong>in</strong>d s<strong>in</strong>nvoll <strong>und</strong> notwendig, wenn e<strong>in</strong>zelne Aspekte nur ohne Druck der Gegenseite<br />

angesprochen werden können.<br />

Bra<strong>in</strong>storm<strong>in</strong>g:<br />

ist e<strong>in</strong>e kreative Ideensammlung, bei der alle Vorschläge unkommentiert gesammelt<br />

<strong>und</strong> die brauchbarsten zur Weiterarbeit verwendet werden<br />

(vgl. Besemer 2002, S. 19/20; S. 116ff).<br />

Multikulturalismus<br />

Die dem Multikulturalismus zugr<strong>und</strong>eliegende Zielvorstellung be<strong>in</strong>haltet ebenso wie das<br />

Assimilationskonzept e<strong>in</strong>e sozio-ökonomische Integration der Migranten. Diese sollen<br />

jedoch <strong>ihre</strong> kulturelle Eigenständigkeit beibehalten, <strong>in</strong> das gesellschaftliche Leben des<br />

Aufnahmelandes e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> dessen Kulturelle Traditionen bereichern.<br />

Vere<strong>in</strong>facht gesagt kann man das Ziel des Multikulturalismus auch Integration ohne<br />

Assimilation nennen. Verb<strong>und</strong>en ist damit der Gedanke soziale Gerechtigkeit zu sichern.<br />

Voraussetzung für das Funktionieren dieses Konzepts ist e<strong>in</strong>e plurale, heterogene<br />

Gesellschaft, <strong>in</strong> die Zuwandernde auch bei Wahrung von Unterschieden <strong>in</strong>tegriert<br />

werden können. Als Gefahr wird jedoch gesehen, dass unterschiedliche Lebensformen<br />

<strong>und</strong> als unverzichtbar angesehene Normen nicht kompatibel se<strong>in</strong> könnten (vgl. Pristl<br />

2001, S. 83ff).<br />

Rasse<br />

Der Begriff der Rasse bezeichnet <strong>in</strong> der Biologie e<strong>in</strong>e Gruppe von Lebewesen, die sich<br />

<strong>durch</strong> <strong>ihre</strong> geme<strong>in</strong>samen Erbanlagen von anderen Artangehörigen unterscheiden. Im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert begannen Wissenschaftler, diesen Begriff auch auf Menschen anzuwenden.<br />

Heute ist anerkannt, dass es menschliche Rassen so nicht gibt, sondern damit meist<br />

Rassismen e<strong>in</strong>hergehen. Dann werden soziale Aspekte mit biologischen Fakten gleichge-


Glossar<br />

setzt. Als Unterscheidungsmerkmale dienen dann Haut-, Haar- <strong>und</strong> Augenfarbe sowie<br />

Körper- <strong>und</strong> Gesichtsformen.<br />

Rassismus bezeichnet sowohl E<strong>in</strong>stellungen wie auch Handlungen, welche die Verachtung,<br />

Benachteiligung, Ausgrenzung <strong>und</strong> Unterdrückung von Menschen da<strong>durch</strong> legitimieren,<br />

dass sie e<strong>in</strong>e Auswahl vorhandener körperlicher Merkmale zu „Rassenmerkmalen“<br />

zusammenstellen <strong>und</strong> diese meist negativ bewerten. Oft besteht e<strong>in</strong> deutlicher<br />

Zusammenhang zwischen ideologischer Diskrim<strong>in</strong>ierung <strong>und</strong> ökonomischer Ausbeutung.<br />

(vgl. Humboldt Universität Berl<strong>in</strong>, Lehrstuhl für Recht <strong>und</strong> Geschlechterstudien.<br />

Onl<strong>in</strong>e im Internet (Stand: 05.11.2004):<br />

http://lms.hu-berl<strong>in</strong>.de/cgi-b<strong>in</strong>/glossar_recht.pl?Rasse )<br />

S<strong>in</strong>ti<br />

S<strong>in</strong>ti s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Untergruppe der Roma. Sie haben Indien vor ungefähr tausend Jahren<br />

verlassen, <strong>ihre</strong> Sprache ist dem Sanskrit verwandt.<br />

Unter anderem aufgr<strong>und</strong> der Verfolgungen <strong>in</strong> der Zeit des Nationalsozialismus s<strong>in</strong>d die<br />

S<strong>in</strong>ti e<strong>in</strong>e eher „unsichtbare“ M<strong>in</strong>derheit <strong>und</strong> werden kaum als eigenständige ethnische<br />

Gruppe wahrgenommen (vgl. Weyrauch 2002)<br />

Die S<strong>in</strong>ti haben trotz <strong>ihre</strong>s langen Aufenthalts <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>e beträchtliche kulturelle<br />

Eigenständigkeit bewahrt, darunter oft noch die eigene Sprache, das so genannte<br />

S<strong>in</strong>titikes. Darüber h<strong>in</strong>aus gibt es viele Bräuche, die sogar noch auf <strong>ihre</strong> nord<strong>in</strong>dische<br />

Heimat zurückgehen (vgl. Wikipedia, freie Enzyklopädie. Onl<strong>in</strong>e im Internet:<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/S<strong>in</strong>ti)<br />

S<strong>in</strong>tirecht<br />

S<strong>in</strong>ti haben e<strong>in</strong> eigenes recht strenges Gesetz („Tschatschepen“), an das sich jeder<br />

halten muss, der nicht von der Geme<strong>in</strong>schaft abgeschnitten werden will („paletschido“).<br />

Über dieses Gesetz wachen eigens dafür bestimmte Personen („Tschatschepaskeri“) <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>terne Gerichte (Kris) oder Ältestenräte. Ihre Rechtsordnung beruht auf mündlicher<br />

Überlieferung. Sie bezweckt, e<strong>in</strong>en Zustand der Ausgeglichenheit <strong>und</strong> Re<strong>in</strong>heit herzustellen<br />

<strong>und</strong> zu schützen.<br />

Diese autonomen, ungeschriebenen Überlieferungen s<strong>in</strong>d faktisch wirksam, obwohl sie<br />

<strong>durch</strong> das geschriebene Recht überschattet werden. Es wird die Auffassung vertreten,<br />

dass das geschriebene Recht ohne diese mündlichen Rechtstraditionen nicht auskommen<br />

kann (vgl. Weyrauch 2002).<br />

Transmigration<br />

Br<strong>in</strong>gt zum Ausdruck, dass viele Migranten nicht die Brücken zur Heimat abbrechen <strong>und</strong><br />

sich <strong>in</strong> der Fremde neu akklimatisieren, assimilieren oder resozialisieren, sondern <strong>in</strong><br />

mehreren Gesellschaften gleichzeitig, also transnational, leben. Denkt man diese These<br />

weiter, so würde irgendwann Migration nicht mehr als auf Dauer angelegter oder<br />

dauerhaft werdender Wechsel zu verstehen se<strong>in</strong>, sondern Migranten wären als an<br />

mehreren Orten Verwurzelte zu begreifen (vgl. Treibel 1999, S. 236).


Anhang<br />

1) Individualismus – Kollektivismus der Kulturen <strong>in</strong> München<br />

2) Der Ablauf e<strong>in</strong>er Mediation<br />

3) Städte <strong>und</strong> Landkreise mit den höchsten Ausländeranteilen (Stand: 2001)<br />

4) Zuzug nach Deutschland von 1990 bis 2001 nach Arten der Zuwanderung<br />

5) Programmgebiete „Soziale Stadt“ <strong>in</strong> München<br />

6) Bevölkerungsprognosen 2002 der Landeshauptstadt München<br />

7) Sozialwohnungsanteile <strong>in</strong> den Münchner Stadtbezirksteilen (Stand 2002)<br />

8) Die Ausländer <strong>in</strong> den Stadtbezirken nach ausgewählten Nationalitäten am 31.12.2003<br />

9) Altersverteilung der Münchner Bevölkerung am 31.12. 2003<br />

10) Süddeutsche Zeitung, 20./21.11.2004<br />

11) Beispielleitfaden Experten<br />

12) Beispielleitfaden Mediatoren<br />

13) Beispielleitfaden Konfliktparteien<br />

14) Fragebogen Nachbarschaftsbefragung Fall Jugendzentrum<br />

15) Auswertung Nachbarschaftsbefragung<br />

16) Konzepte <strong>und</strong> Rezepte


1) Individualismus – Kollektivismus der Kulturen <strong>in</strong> München<br />

Individualismus<strong>in</strong>dexwert<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Individualismus<strong>in</strong>dex ausgewählter Nationalitäten<br />

<strong>in</strong> München<br />

Anhang<br />

Jugoslawien Griechenland Türkei Österreich Deutschland Italien USA<br />

Individualismus<strong>in</strong>dex nach Hofstede; Eigene Darstellung<br />

Quelle: Hofstede 1993, S. 69<br />

E<strong>in</strong> hoher Wert auf der Skala bedeutet e<strong>in</strong>e eher <strong>in</strong>dividualistische Nationalität, niedrige<br />

Werte werden eher kollektivistischen Kulturen zugerechnet. Die Punktezahlen markieren die<br />

relative Position des jeweiligen Landes.<br />

Hofstede def<strong>in</strong>iert die Dimension Individualismus - Kollektivismus folgendermaßen:<br />

„Individualismus beschreibt Gesellschaften, <strong>in</strong> denen die B<strong>in</strong>dungen zwischen den Individuen<br />

locker s<strong>in</strong>d: man erwartet von jedem, dass er für sich selbst <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e unmittelbare Familie<br />

sorgt. Se<strong>in</strong> Gegenstück, der Kollektivismus, beschreibt Gesellschaften, <strong>in</strong> denen der Mensch<br />

von Geburt an <strong>in</strong> starke, geschlossene Wir-Gruppen <strong>in</strong>tegriert ist, die ihn e<strong>in</strong> Leben lang<br />

schützen <strong>und</strong> dafür bed<strong>in</strong>gungslose Loyalität verlangen“ (vgl. 1993, S. 67).<br />

Es zeigt sich e<strong>in</strong> starkes Gefälle zwischen den <strong>in</strong> München lebenden Kulturen, wobei<br />

Deutschland im Verhältnis eher als <strong>in</strong>dividualistische Kultur gesehen werden kann, Jugoslawien,<br />

die Türkei <strong>und</strong> Griechenland eher als kollektivistisch. Überraschend s<strong>in</strong>d die relativ<br />

große Distanz zwischen Österreich <strong>und</strong> Deutschland <strong>und</strong> der hohe Individualismuswert von<br />

Italien, das Stereotypen zufolge als besonders familienfre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> gruppenorientiert gilt.<br />

Inwiefern diese Punkteergebnisse <strong>durch</strong> andere Faktoren zu erklären s<strong>in</strong>d oder aber Hofstedes<br />

Modell <strong>in</strong> Frage gestellt werden sollte, kann <strong>in</strong> diesem Rahmen nicht geklärt werden.<br />

In der Grafik ist neben den Punktewerten der fünf häufigsten Migrantengruppen <strong>in</strong> München<br />

<strong>und</strong> dem deutschen Individualismus<strong>in</strong>dexwert auch der Wert für die USA dargestellt. Da viele<br />

Mediationsmodelle aus der US-Amerikanischen Perspektive entstanden s<strong>in</strong>d, ist es s<strong>in</strong>nvoll,<br />

die Differenzen zwischen deutscher <strong>und</strong> nordamerikanischer Kultur bezüglich des angenommenen<br />

Individualismusgrads <strong>in</strong> Relation zu setzen. Die Abbildung zeigt, dass die von Hofstede<br />

angenommenen Individualismuswerte stark differieren, demzufolge bei


Anhang<br />

Überlegungen zur Mediation, die solche Kulturmodelle verwenden, das eher <strong>in</strong>dividualistische<br />

Verhalten von Deutschen nicht e<strong>in</strong>fach mit dem Nordamerikanischen gleichgesetzt werden<br />

kann.<br />

Es sei nochmals betont, dass dieses Schema dazu herangezogen werden kann, mögliche<br />

kulturbed<strong>in</strong>gte Differenzen herauszuarbeiten. Diese Punktewerte können nur Relationen<br />

zue<strong>in</strong>ander anzeigen; generell wird die Kultur <strong>und</strong> das Verhalten von Personen jedoch von<br />

weitaus mehr Faktoren bestimmt.<br />

Hofstedes Modell entstand <strong>in</strong>duktiv aus e<strong>in</strong>er umfassenden Studie <strong>in</strong> der IBM Mitarbeiter aus<br />

50 verschiedenen Ländern befragt wurden. Dabei messen die Ergebnisse zunächst deren<br />

Orientierung bezüglich <strong>ihre</strong>s Arbeitsstils, wie die Fragestellungen zeigen (vgl. Hofstede 1993,<br />

S. 67f). Aus Fragen, nach z.B. der Wichtigkeit, genügend Zeit für Privat- <strong>und</strong> Familienleben<br />

zu haben oder der Bedeutung von Herausforderungen im Arbeitsalltag leitet Hofstede e<strong>in</strong><br />

Punkteschema ab, <strong>in</strong> dem sich <strong>in</strong> der Relation der Länder bestimmte Muster zeigen. Neben<br />

der oben dargestellten Dimension leitet Hofstede auch Aspekte ab, die er Machtdistanz,<br />

Unsicherheitsvermeidung <strong>und</strong> Fem<strong>in</strong><strong>in</strong>ität/Maskul<strong>in</strong>ität nennt. Er stellt auf dieser Basis zum<br />

Beispiel auch e<strong>in</strong>e Relation zwischen nationalem Reichtum e<strong>in</strong>es Landes <strong>und</strong> dem Grad an<br />

Individualismus <strong>in</strong> dessen Kultur fest.


2) Der Ablauf e<strong>in</strong>er Mediation<br />

Quelle: B<strong>und</strong>esverband Mediation 2004a, S.4f<br />

Vorphase:<br />

Mediatoren br<strong>in</strong>gen die Konfliktparteien an e<strong>in</strong>en Tisch. Im Idealfall<br />

wünschen alle Beteiligten, dass der Konflikt <strong>durch</strong> Mediation gelöst<br />

wird. Zumeist ergreift jedoch am Anfang nur e<strong>in</strong>e Konfliktpartei die<br />

Initiative, so dass der Mediator Kontakt zu den übrigen Beteiligten<br />

sucht. Voraussetzung für e<strong>in</strong>e erfolgversprechende Mediation ist,<br />

dass alle Beteiligten bereit s<strong>in</strong>d, freiwillig an dem Prozess teilzunehmen.<br />

Phase 1: E<strong>in</strong>leitung<br />

Mediationsgespräche f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er angenehmen, vertrauensfördernden<br />

Atmosphäre statt, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>e gleichwertige Kommunikation<br />

möglich ist. Alle Beteiligten werden (noch e<strong>in</strong>mal) darüber <strong>in</strong>formiert,<br />

wie das Gespräch abläuft, dass der Mediator den Ablauf gestaltet, die<br />

Konfliktparteien selbst jedoch die Experten für den Konflikt s<strong>in</strong>d, die<br />

selber entscheiden, ob <strong>und</strong> wie dieser gelöst wird. Unverzichtbare<br />

Gr<strong>und</strong>regeln s<strong>in</strong>d u.a.:<br />

• sich gegenseitig ausreden lassen,<br />

• nicht beleidigend oder gar handgreiflich werden,<br />

• verantwortlich für das Gespräch s<strong>in</strong>d die Mediatoren, die ggf. <strong>in</strong> das<br />

Gespräch e<strong>in</strong>greifen. Die Beteiligten können weitere Regeln geme<strong>in</strong>sam<br />

vere<strong>in</strong>baren <strong>und</strong> äußern <strong>ihre</strong> Bereitschaft, sich auf die Regeln<br />

e<strong>in</strong>zulassen.<br />

Phase 2: Sichtweise der Betroffenen<br />

Die Kontrahenten stellen hier <strong>ihre</strong> Sicht des Konflikts dar - ohne dass<br />

die Gegenpartei sie unterbricht. Der Mediator hört aktiv zu <strong>und</strong> stellt<br />

ggf. Verständnisfragen. Alle wichtigen Informationen werden<br />

gesammelt.<br />

Phase 3: <strong>Konflikte</strong>rhellung:<br />

Verborgene Gefühle, Interessen <strong>und</strong> H<strong>in</strong>tergründe aufdecken.<br />

Jetzt werden die mit dem Konflikt verb<strong>und</strong>enen Gefühle ausgedrückt<br />

<strong>und</strong> mit Unterstützung des Mediators Wünsche <strong>und</strong> Interessen<br />

herausgearbeitet. Kernsätze zum Verständnis des Konflikts werden<br />

von der jeweiligen Gegenseite zusammengefasst <strong>und</strong> damit Missverständnisse<br />

vermieden werden, gespiegelt. So wird der Weg von den<br />

Positionen zu den Wünschen <strong>und</strong> Bedürfnissen der Parteien gef<strong>und</strong>en.<br />

Phase 4: <strong>Lösung</strong>smöglichkeiten sammeln <strong>und</strong><br />

entwickeln<br />

Alle Beteiligten überlegen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kreativen Prozess geme<strong>in</strong>sam,<br />

wie sie <strong>ihre</strong> Me<strong>in</strong>ungsverschiedenheiten beilegen wollen. Für die<br />

<strong>Lösung</strong> tragen alle geme<strong>in</strong>sam die Verantwortung.<br />

Phase 5: Übere<strong>in</strong>kunft<br />

Die Konfliktparteien e<strong>in</strong>igen sich auf die <strong>Lösung</strong>svorschläge, die<br />

ihnen am meisten zusagen. Bei Bedarf hält der Mediator die Vere<strong>in</strong>barungen<br />

schriftlich fest <strong>und</strong> lässt sie von allen Betroffenen unterschreiben.<br />

Die Umsetzung wird geregelt, u.U. e<strong>in</strong> Folgegespräch<br />

vere<strong>in</strong>bart.<br />

Umsetzungsphase<br />

Im Anschluss an die Mediation wird überprüft, ob die Konfliktlösung<br />

tauglich war. Ggf. werden Korrekturen vorgenommen.<br />

Anhang<br />

Ziel der Vorphase: Bereitschaft<br />

der Parteien wecken, sich<br />

auf den Prozess der Mediation<br />

e<strong>in</strong>zulassen <strong>und</strong> die Parteien<br />

gr<strong>und</strong>legend <strong>in</strong>formieren.<br />

Ziel der Phase 1: e<strong>in</strong>en<br />

sicheren Rahmen für das<br />

Gespräch zu schaffen.<br />

Ziel der Phase 2:<br />

Alle Beteiligten haben sich<br />

gegenseitig zugehört, sie haben<br />

<strong>durch</strong> die Spiegelung die Sicht<br />

auf den Konflikt neu gehört <strong>und</strong><br />

erste Motive s<strong>in</strong>d sichtbar<br />

geworden. Der „Dampf ist<br />

abgelassen“.<br />

Ziel der Phase 3:<br />

Allseitige Klarheit über Bedarf<br />

<strong>und</strong> Bedürfnisse zu schaffen.<br />

Den Überblick zu behalten.<br />

Ziel der Phase 4:<br />

Auch zuerst uns<strong>in</strong>nig ersche<strong>in</strong>ende<br />

Ideen tragen häufig den<br />

Kern der <strong>Lösung</strong> <strong>in</strong> sich – Ideen<br />

dürfen unbegrenzt geäußert<br />

werden; Begrenzungen erfolgen<br />

erst <strong>in</strong> der Diskussion <strong>und</strong><br />

Formulierung der Vere<strong>in</strong>barung.<br />

Ziel der Phase 5:<br />

Nachhaltige <strong>und</strong> verlässliche<br />

<strong>Lösung</strong>en zu sichern.


3) Städte <strong>und</strong> Landkreise mit den höchsten Ausländeranteilen (Stand: 2001)<br />

Quelle: Isoplan consult. Onl<strong>in</strong>e im Internet (Stand: 20.10.2004):<br />

http://www.isoplan.de/aid/2002-3/k2002-3.pdf<br />

4) Zuzug nach Deutschland von 1990 bis 2001 nach Arten der Zuwanderung<br />

Quelle: B<strong>und</strong>esamt für Migration <strong>und</strong> Flüchtl<strong>in</strong>ge. Onl<strong>in</strong>e im Internet (Stand: 12.11.2004):<br />

http://www.bafl.de/template/<strong>in</strong>dex_migration.htm<br />

Anhang<br />

Die Grafik <strong>und</strong> die Tabelle stellen die verschiedenen Formen der legalen Zuwanderung dar.<br />

Der Anteil der Asylbewerber an der Gesamtzahl der Zuwanderer betrug ca. 20 %. Von 1991<br />

bis 2000 s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt ca. 10,4 Millionen Menschen nach Deutschland zugezogen. Gleichzeitig<br />

haben im selben Zeitraum mehr als 7,1 Millionen Personen Deutschland verlassen.<br />

Mehr als drei Viertel des Zuwanderungsgeschehens der letzten Jahre bestimmten Personen<br />

mit ausländischer Staatsangehörigkeit, was auch bedeutet, dass immerh<strong>in</strong> fast e<strong>in</strong> Viertel der<br />

Zuwanderer Deutsche waren.


5) Programmgebiete „Soziale Stadt“ <strong>in</strong> München<br />

Quelle: Landeshauptstadt München, Programm Soziale Stadt.<br />

Onl<strong>in</strong>e im Internet (Stand: 04.11.2004):<br />

http://www.soziale-stadt-muenchen.de/programmgebiete/karte.html<br />

Anhang


6) Bevölkerungsprognosen 2002 der Landeshauptstadt München<br />

Quelle: LH München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung:<br />

Bevölkerungsprognosen 2002 der Landeshauptstadt München<br />

Bekanntgabe <strong>in</strong> der Sitzung des Ausschusses für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung<br />

vom 04.12.2002, S.4.<br />

Anhang<br />

7) Sozialwohnungsanteile <strong>in</strong> den Münchner Stadtbezirksteilen (Stand 2002)<br />

Quelle:<br />

Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung <strong>und</strong> Bauordnung 2004: Bericht zur<br />

Wohnungssituation <strong>in</strong> München 2002 – 2003. München, S. 49.


8) Die Ausländer <strong>in</strong> den Stadtbezirken nach ausgewählten Nationalitäten am 31.12.2003<br />

Quelle: LH München, Statistisches Amt 2004<br />

Stadtbezirk<br />

zusammen Griechenland<br />

EU-Staaten<br />

darunter<br />

Italien Österreich<br />

Bosnien-<br />

Herze-<br />

gow<strong>in</strong>a<br />

Kroatien<br />

Serbien<br />

<strong>und</strong><br />

Montenegro<br />

Türkei Sonstige Ausländer-<br />

<strong>in</strong>sgesamt<br />

1 Altstadt - Lehel 1.758 289 404 438 163 375 260 267 1.355 4.178<br />

2 Ludwigsvorstadt - Isarvorstadt 4.879 1.615 1.008 993 902 1.611 1.061 1.228 3.612 13.293<br />

3 Maxvorstadt 4.007 845 971 889 438 858 703 742 3.561 10.309<br />

4 Schwab<strong>in</strong>g - West 4.579 1.200 952 1.070 543 909 750 827 4.352 11.960<br />

5 Au - Haidhausen 4.500 1.077 1.166 985 509 1.541 1.002 1.557 3.650 12.759<br />

6 Sendl<strong>in</strong>g 2.999 964 736 642 668 973 912 1.092 2.381 9.025<br />

7 Sendl<strong>in</strong>g - Westpark 3.259 690 857 943 729 965 861 1.434 3.772 11.020<br />

8 Schwanthalerhöhe 3.050 1.671 446 430 907 1.600 1.118 1.373 2.128 10.176<br />

9 Neuhausen - Nymphenburg 5.206 1.274 1.227 1.334 1.162 1.658 1.776 1.874 6.027 17.703<br />

10 Moosach 2.763 993 680 629 815 983 1.338 1.869 3.336 11.104<br />

11 Milbertshofen - Am Hart 5.470 2.561 1.009 975 1.177 1.456 2.207 3.997 6.847 21.154<br />

12 Schwab<strong>in</strong>g - Freimann 4.742 963 1.050 1.047 436 739 869 1.705 5.750 14.241<br />

13 Bogenhausen 4.845 608 1.162 1.548 359 760 629 987 5.074 12.654<br />

14 Berg am Laim 2.511 532 855 568 665 849 785 1.949 2.760 9.519<br />

15 Truder<strong>in</strong>g - Riem 2.657 335 759 854 193 391 484 685 3.083 7.493<br />

16 Ramersdorf - Perlach 6.508 1.394 2.224 1.548 1.128 1.934 1.835 6.850 8.075 26.330<br />

17 Obergies<strong>in</strong>g 3.471 1.284 785 675 669 1.136 985 2.526 3.691 12.478<br />

18 Untergies<strong>in</strong>g - Harlach<strong>in</strong>g 3.097 780 665 882 452 889 739 1.059 2.913 9.149<br />

19 Thalkirchen - O'sdlg. - Forstenried -<br />

Fürstenried - Solln 4.472 742 955 1.590 1.049 1.386 1.180 1.458 4.780 14.325<br />

20 Hadern 1.876 280 558 597 432 818 649 1.701 2.888 8.364<br />

21 Pas<strong>in</strong>g - Obermenz<strong>in</strong>g 2.825 512 688 840 575 758 1.213 1.265 3.758 10.394<br />

22 Aub<strong>in</strong>g - Lochhausen - Langwied 1.534 305 496 455 257 440 636 1.722 2.150 6.739<br />

23 Allach - Untermenz<strong>in</strong>g 1.184 317 288 334 300 332 627 869 1.138 4.450<br />

24 Feldmoch<strong>in</strong>g - Hasenbergl 3.120 1.370 754 572 812 985 1.635 3.107 3.726 13.385<br />

25 Laim 2.772 705 689 749 746 913 1.063 1.456 3.076 10.026<br />

nicht zuzuordnen - - - - - - - - 1 1<br />

München zusammen am 31.12.2003 88.084 23.306 21.384 21.587 16.086 25.259 25.317 43.599 93.884 292.229<br />

Anhang


9) Altersverteilung der Münchner Bevölkerung am 31.12. 2003<br />

Quelle: LH München, Statistisches Amt 2004<br />

Männer<br />

Alter <strong>in</strong> Jahren<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Frauen<br />

Anhang


10) Süddeutsche Zeitung, 20./21.11.2004<br />

Anhang


11) Beispielleitfaden Experten<br />

Gespräch mit Anja Huber, Quartiersbezogene Bewohnerarbeit<br />

LH München, Sozialreferat, Amt für Wohnen <strong>und</strong> Migration<br />

1. Was s<strong>in</strong>d die Aufgaben der Quartiersbezogenen Bewohnerarbeit?<br />

Anhang<br />

2. <strong>Interkulturelle</strong> Konfliktfelder <strong>in</strong> München<br />

Welche Anzeichen für Spannungen, zwischen E<strong>in</strong>heimischen <strong>und</strong> Migranten<br />

oder von Migranten untere<strong>in</strong>ander nehmen sie bei der Arbeit <strong>in</strong> den Quartieren<br />

wahr?<br />

Welche Art von <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Konflikte</strong>n treten im Bereich Wohnen auf?<br />

Aufgr<strong>und</strong> welcher kulturellen Unterschiede im Alltagsleben entstehen Ihrer<br />

Erfahrung nach solche <strong>Konflikte</strong> <strong>in</strong> <strong>Nachbarschaften</strong>/ Stadtteilen?<br />

Welche (räumlichen) Auswirkungen haben <strong>ihre</strong>r Erfahrung nach <strong>in</strong>terkulturelle<br />

<strong>Konflikte</strong> auf die Entwicklung <strong>und</strong> das Zusammenleben <strong>in</strong> Stadtteilen/ <strong>Nachbarschaften</strong>?<br />

3. <strong>Lösung</strong>en für <strong>in</strong>terkulturelle Nachbarschaftskonflikte<br />

Wie werden solche Nachbarschafts-, Stadtteilstreitigkeiten <strong>in</strong> der Regel gelöst?<br />

Mit welchen Kosten / Personalaufwand ist dies verb<strong>und</strong>en?<br />

Wie schätzen sie die Akzeptanz dieser Konfliktregelungsmechanismen gerade<br />

<strong>in</strong> <strong>in</strong>terkulturellen <strong>Konflikte</strong>n e<strong>in</strong>?<br />

Welche Akteure s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den <strong>in</strong>terkulturellen Konfliktfeldern beteiligt (Melde-,<br />

Schiedsstellen, Betroffene)?<br />

Wo werden Daten zu Konfliktfällen archiviert? Gibt es Statistiken?<br />

Haben Sie Erfahrungen mit Mediation zur <strong>Lösung</strong> solcher <strong>Konflikte</strong> gemacht?


12) Beispielleitfaden Mediatoren<br />

Fall Unterkunft<br />

MEDIATION<br />

Was heißt für Dich <strong>in</strong>terkulturelle Mediation?<br />

Was bedeutet dieser Ansatz für Dich?<br />

Anhang<br />

ABLAUF<br />

Wer waren die Konfliktparteien?<br />

Was war der Konflikt? Wie ist er De<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach entstanden?<br />

Welche Rolle spielten De<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach kulturelle oder soziale Unterschiede als<br />

tieferliegende Ursachen für den Konflikt?<br />

Welche Rolle spielte die räumliche Nähe bzw. die Lage der Wohnung <strong>in</strong> der Nachbarschaft?<br />

Wie ist der Fall abgelaufen? Welche Art der Mediation wurde angewendet?<br />

PARTEIEN<br />

Was waren die Ziele der Parteien?<br />

Welche Interessen standen De<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach dah<strong>in</strong>ter?<br />

Verfolgten die Parteien bestimmte Handlungsstrategien während der Mediation?<br />

MEDIATOREN<br />

Wie war die Stimmung während der Mediationsgespräche?<br />

Welche Strategien hast Du als Mediator<strong>in</strong> angewendet?<br />

Was waren die Punkte an denen Du angesetzt hast <strong>in</strong> der Vermittlung?<br />

KULTUR<br />

Welche Rolle spielte Kultur <strong>in</strong> der Mediation?<br />

Wie bist Du als Mediator<strong>in</strong> mit den unterschiedlichen kulturellen H<strong>in</strong>tergründen umgegangen?<br />

Wie s<strong>in</strong>d die Parteien damit umgegangen?<br />

Gab es unterschiedliche kulturbed<strong>in</strong>gte Strategien?<br />

Welche Rolle spielte die Sprache bei der Bearbeitung des Konflikts?<br />

Welche Rolle spielten Machtasymmetrien?<br />

EFFIZIENZ / WIRKUNGEN<br />

Was hat zur Konfliktlösung beigetragen?<br />

Welche Bed<strong>in</strong>gungen haben die Konfliktlösung erschwert/ beh<strong>in</strong>dert?<br />

War das Verfahren De<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach für diesen Konflikt geeignet?<br />

Welche Möglichkeit wäre besser gewesen?<br />

Was war für Dich als Mediator<strong>in</strong> das Ziel der Mediation?<br />

Welche Ergebnisse wurden erreicht?<br />

Wie hat die Mediation De<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach die Wahrnehmung des Konflikts <strong>und</strong> der<br />

Gegenpartei bee<strong>in</strong>flusst?<br />

Wie hat die Mediation De<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach das Handeln der Parteien bee<strong>in</strong>flusst?<br />

Welche Prozesse wurden ausgelöst?<br />

Wie schätzt Du die Dauerhaftigkeit der Mediationsergebnisse e<strong>in</strong>?<br />

Was passiert jetzt wohl weiter <strong>in</strong> dieser Nachbarschaft?<br />

Hast Du Dich gut vorbereitet gefühlt?


13) Beispielleitfaden Konfliktparteien<br />

Fall Gaststätte - Mieter Borchert<br />

Anhang<br />

Wie lange wohnen Sie hier schon?<br />

Warum s<strong>in</strong>d sie hierher gezogen?<br />

Was schätzen Sie an der Wohnlage hier? Was gefällt Ihnen daran, <strong>in</strong> der XXStraße zu<br />

wohnen?<br />

Was bedeutet für Sie gutes nachbarschaftliches Zusammenleben?<br />

Erfassung der Konfliktbiographie<br />

Was war denn der Konflikt? Wie ist er Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach entstanden?<br />

Welche Rolle spielte die bauliche Lage der Gaststätte hier im Haus <strong>und</strong> generell <strong>in</strong> der<br />

XXStraße <strong>ihre</strong>r Me<strong>in</strong>ung nach?<br />

Wie entscheidend war es Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach für die Entstehung <strong>und</strong> den Verlauf des<br />

Konflikts, dass die meisten Nachbarn Deutsche s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Demirs aus der Türkei kommen?<br />

Mediation<br />

Wie kam es zur Mediation? Ich me<strong>in</strong>e, wie haben Sie davon erfahren <strong>und</strong> warum haben<br />

Sie sich dazu entschlossen mitzumachen?<br />

Was haben sie sich von der Mediation erhofft?<br />

Und wie ist die Mediation abgelaufen?<br />

Was war das Ziel, das Sie erreichen wollten?<br />

Was hat zur Konfliktlösung beigetragen?<br />

Welche Bed<strong>in</strong>gungen haben die Konfliktlösung erschwert/ beh<strong>in</strong>dert?<br />

Wie haben Sie die Stimmung während der Mediationsgespräche erlebt?<br />

Gab es Momente, wo Sie das Gefühl hatten, sie können e<strong>in</strong>fach nicht nachvollziehen,<br />

warum Familie Demir sich so verhält?<br />

Hat es <strong>in</strong> den Mediationsgesprächen <strong>ihre</strong>r Me<strong>in</strong>ung nach irgende<strong>in</strong>en Unterschied<br />

gemacht, dass es e<strong>in</strong>en kulturellen Unterschied gibt?<br />

War die Sprache e<strong>in</strong> Problem bei der Bearbeitung des Konflikts?<br />

Wirkung der Mediation<br />

Hat sich <strong>durch</strong> die Mediation für Sie etwas geändert?<br />

Hätten Sie im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> das Problem anders gelöst? Wie?<br />

Warum haben sie nicht schon eher den Gerichtsweg e<strong>in</strong>geschlagen?<br />

Haben Sie sich von den Mediatoren verstanden gefühlt?<br />

Waren die Mediatoren Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach neutral?<br />

S<strong>in</strong>d Sie froh, dass Sie bei der Mediation mitgemacht haben?<br />

Sehen Sie Familie Celik jetzt mit anderen Augen?<br />

Wie gehen Sie jetzt mite<strong>in</strong>ander um?<br />

Wirkungen<br />

Was waren <strong>ihre</strong> Gedanken, als Frau Demir die Vere<strong>in</strong>barung nicht unterzeichnen wollte?<br />

Wie haben sie sich dann bis jetzt weiter arrangiert?<br />

Wie stellen Sie sich die Zukunft vor?<br />

Wie stellt sich <strong>ihre</strong>r Me<strong>in</strong>ung nach Familie Demir die Zukunft vor?


14) Fragebogen Nachbarschaftsbefragung Fall Jugendzentrum<br />

Anhang<br />

Hallo!<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Anne Ritz<strong>in</strong>ger, ich b<strong>in</strong> Geographiestudent<strong>in</strong> an der Ludwigs-Maximilians-<br />

Universität München <strong>und</strong> forsche <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Diplomarbeit über Nachbarschaftskonflikte<br />

<strong>und</strong> mögliche <strong>Lösung</strong>en.<br />

Seit e<strong>in</strong>iger Zeit gibt es e<strong>in</strong>en Konflikt zwischen Anwohnern <strong>und</strong> dem Jugendzentrum XX.<br />

Um e<strong>in</strong> breites Me<strong>in</strong>ungsbild der Nachbarschaft über das Jugendzentrum zu erhalten,<br />

würde ich Ihnen gerne kurz e<strong>in</strong> paar Fragen stellen. Selbstverständlich werden alle<br />

Angaben, die Sie machen vertraulich behandelt.<br />

1. Wofür ist Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach das Jugendzentrum (JuZ) XX an der<br />

XX-Straße da? (Mehrfachnennungen möglich)<br />

□ Hausaufgabenbetreuung □ Freizeittreff für Jugendliche abends<br />

□ Freizeittreff für K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche tagsüber<br />

□ sonstiges:<br />

________________________________________________________<br />

2. Haben Sie persönlich das JuZ schon e<strong>in</strong>mal als störend empf<strong>und</strong>en?<br />

□ noch nie □ etwa e<strong>in</strong>mal im Jahr □ alle paar Monate<br />

□ mehrmals im Monat □ täglich<br />

(weiter mit Frage 5)<br />

3. Was hat Sie dann besonders gestört?<br />

(Mehrfachnennungen möglich)<br />

a) □ Aktivitäten draußen □ Aktivitäten dr<strong>in</strong>nen<br />

b) □ Lautstärke der Musik □ Grillen/ Feiern<br />

□ Sportliche Aktivitäten □ Lautstärke der Stimmen<br />

□ _________________________________________<br />

c) Um welche Tageszeit trat die Störung auf?<br />

□ vormittags □ mittags (12-14 Uhr) □ nachmittags<br />

□ abends (18 bis 21) □ nachts (nach 21 Uhr)<br />

4. Haben Sie schon e<strong>in</strong>mal versucht, etwas gegen diese Störung zu<br />

unternehmen?<br />

□ Ne<strong>in</strong> □ Ja Was denn? (Mehrfachnennungen möglich)<br />

□ JuZ MitarbeiterInnen angesprochen<br />

□ Jugendliche angesprochen<br />

□ Polizei angerufen<br />

□ an die Stadt München gewandt<br />

□ _________________________________________<br />

5. Was war Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach der Gr<strong>und</strong> für die Errichtung e<strong>in</strong>es<br />

Jugendzentrums <strong>in</strong> der XX- Straße?<br />

_________________________________________________________________<br />

_________________________________________________________________


Anhang<br />

6. Was könnten Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach mögliche <strong>Lösung</strong>en se<strong>in</strong>, mit<br />

denen beide Seiten, das heißt Anwohner <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der/ Jugendliche,<br />

zufrieden wären?<br />

_________________________________________________________________<br />

_________________________________________________________________<br />

7. Wussten Sie, dass mit dem Konfliktvermittlungsprojekt KiK versucht<br />

wird, e<strong>in</strong>e <strong>Lösung</strong> für <strong>Konflikte</strong> um das Jugendzentrum zu f<strong>in</strong>den, mit<br />

der alle Beteiligten zufrieden s<strong>in</strong>d?<br />

□ Ne<strong>in</strong> □ Ja Woher? (Mehrfachnennungen möglich)<br />

□ Gespräche mit Nachbarn<br />

□ Gespräche mit JuZ MitarbeiterInnen<br />

□ Gespräche mit Jugendlichen<br />

□ _________________________________________<br />

8. Bitte beantworten Sie jetzt noch kurz e<strong>in</strong>ige Fragen zu Ihrer Person:<br />

a) Wie lange wohnen Sie schon hier bzw. <strong>in</strong> der Nähe des JuZ?<br />

□ bis 1 Jahr □ 1 bis 3 Jahre □ 4 bis 6 Jahre □ seit mehr als 6 Jahren<br />

b) Wie alt s<strong>in</strong>d Sie?<br />

□ 18-30 □ 31-45 □ 46-55 □ 56-65 □ 66 <strong>und</strong> älter<br />

□ Männlich □ Weiblich<br />

c) Welcher ist Ihr höchster Abschluss?<br />

□ Hochschulabschluss □ Abitur/ Fachabitur □ Realschulabschluss<br />

□ Hauptschulabschluss □ Ke<strong>in</strong> Abschluss<br />

□ Anderer Abschluss: ____________________________________________<br />

d) S<strong>in</strong>d Sie berufstätig?<br />

□ Ja □ Ne<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> zwar als:______________________ sondern:______________________<br />

e) S<strong>in</strong>d Sie oder Ihre Eltern im Ausland geboren?<br />

□ Ne<strong>in</strong> □ Ja, ich selbst □ Ja, e<strong>in</strong> oder beide Eltern<br />

f) Ich habe ____ (Anzahl) K<strong>in</strong>d(er)<br />

□ Me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der nutzen auch das JuZ<br />

Vielen Dank für Ihr Interesse!<br />

- In welchem Land? ___________________________<br />

- Wie lange leben Sie schon <strong>in</strong> Deutschland?<br />

_____ Jahre


15) Auswertung Nachbarschaftsbefragung<br />

Fall Jugendzentrum<br />

Anhang<br />

In diesem Fall konnten nicht, wie bei den anderen beiden Fällen, zwei streitende<br />

Parteien befragt werden: <strong>in</strong> der Mediation fehlte die Gegenseite der Nachbarn,<br />

da e<strong>in</strong>e bisher kurz <strong>in</strong> die Mediationsvorgespräche e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>ene Nachbar<strong>in</strong><br />

verstarb <strong>und</strong> die übrigen direkt am Konflikt beteiligten Nachbarn sich weigerten<br />

teilzunehmen.<br />

Ziel der Befragung war es, die Me<strong>in</strong>ung der direkt anwohnenden Nachbarn über<br />

das JuZ zu erfahren. Dabei versuchte ich neben den Häusern mit 1, 5, 4 Haushalten<br />

(vgl. Abbildung) aus dem gegenüberliegenden Mehrfamilienhaus die<br />

Parteien zu erreichen, deren Wohnung zum Jugendzentrum ausgerichtet ist.<br />

Von den sechzehn relevanten Haushalten erreichte ich bei drei Befragungsterm<strong>in</strong>en<br />

zwölf <strong>und</strong> erhielt davon e<strong>in</strong>e Verweigerung (aus dem 5-Haushalte Haus) mit<br />

der Begründung, dass die Person dabei sei, auszuziehen. Die übrigen Nachbarn<br />

waren bei ke<strong>in</strong>em der Versuche zu Hause.<br />

Anzahl der befragten Personen an den Gesamthaushalten<br />

im jeweiligen Haus<br />

Es war generell e<strong>in</strong>e hohe Fluktuation <strong>in</strong> der Nachbarschaft festzustellen: e<strong>in</strong>e<br />

weitere Wohnung im 5-Haushalte-Haus stand leer <strong>und</strong> e<strong>in</strong> anderer Bewohner<br />

dieses Hauses erwähnte <strong>in</strong> der Befragung, bald auszuziehen. Leider gehörte e<strong>in</strong>e<br />

bekannte Konfliktnachbar<strong>in</strong> zu den Haushalten, die ich <strong>in</strong> den drei Versuchen<br />

nicht erreichen konnte. Ich hatte jedoch den E<strong>in</strong>druck, dass jemand zu Hause<br />

war <strong>und</strong> die Tür nicht öffnete. Andere Nachbarn aus dem Haus me<strong>in</strong>ten, dass<br />

diese Person nie die Türe öffne.<br />

Die übrigen elf Gespräche fanden mit acht Frauen, zwei Männern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Ehepaar statt. Die Befragten waren überwiegend Deutsche. Ich befragte aber<br />

auch e<strong>in</strong>en Italiener, e<strong>in</strong>e Kroat<strong>in</strong> <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Türk<strong>in</strong>. Das Interesse der Nachbarn<br />

war groß <strong>und</strong> die Beantwortung erfolgte mitunter weit umfassender als <strong>durch</strong> die<br />

Teilstandardisierung vorgegeben.<br />

Der Großteil der Befragten lag <strong>in</strong> der Alterskategorie 31 bis 45 Jahre, e<strong>in</strong> Befragter<br />

war jünger als 30 Jahre, zwei Befragte <strong>in</strong> der Gruppe der 46 bis 55-Jährigen<br />

<strong>und</strong> das Ehepaar war über 66 Jahre alt. Die meisten Befragten hatten Realschul-


Anhang<br />

abschluss <strong>und</strong> alle bis auf das Rentnerehepaar <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e weitere Frau waren<br />

berufstätig.<br />

Nur zwei der Befragten hatten selbst ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der. Die K<strong>in</strong>der waren jedoch alle<br />

ke<strong>in</strong>e Nutzer des JuZ, schienen größtenteils allerd<strong>in</strong>gs auch nicht <strong>in</strong> der entsprechenden<br />

Altersgruppe zu se<strong>in</strong>.<br />

Nur zwei Befragte wohnten erst seit bis zu e<strong>in</strong>em Jahr dort, e<strong>in</strong>e Person bis zu 3<br />

Jahren, e<strong>in</strong>e weitere bis zu sechs Jahren <strong>und</strong> die übrigen lebten alle schon seit<br />

mehr als sechs Jahren <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>r Wohnung, hatten also die Aufstellung des Conta<strong>in</strong>ers<br />

von Anfang an miterlebt. Leider stellte ich <strong>in</strong> der Befragung nicht explizit<br />

fest, wie viele Haushalte dort <strong>in</strong> Miete leben <strong>und</strong> wie viele auch Eigentümer <strong>ihre</strong>r<br />

Wohnung s<strong>in</strong>d. Mehrere erwähnten aber, nur zur Miete dort zu wohnen. Nur e<strong>in</strong>e<br />

Person erklärte, an der Klage gegen das JuZ teilgenommen zu haben. Die übrigen<br />

Kläger sche<strong>in</strong>en Eigentümer von umliegenden Wohnungen zu se<strong>in</strong>, aber<br />

selbst nicht dort zu wohnen, was auch Aussagen des Jugendpflegers <strong>und</strong> der<br />

Zentrumsleiter<strong>in</strong> bestätigen. Ke<strong>in</strong>er der Befragten wusste von den Mediationsversuchen<br />

des KiK Projekts.<br />

Haben Sie persönlich das JuZ schon e<strong>in</strong>mal als störend empf<strong>und</strong>en?<br />

Auf diese Frage zeigten sich fünf Befragte ungestört von Jugendzentrum, weitere<br />

fünf fühlten sich alle paar Monate, also mäßig gestört <strong>und</strong> nur e<strong>in</strong>e Person gab<br />

an, sich oft vom Jugendzentrum gestört zu fühlen.<br />

Besonders störten Aktivitäten draußen mit vier Nennungen <strong>und</strong> die Lautstärke<br />

der Musik mit drei Nennungen. Desweiteren wurden Aktivitäten dr<strong>in</strong>nen mit zwei<br />

Nennungen, Lautstärke der Stimmen, Grillen/ Feiern <strong>und</strong> sportliche Aktivitäten<br />

mit jeweils e<strong>in</strong>er Nennung als störend empf<strong>und</strong>en. Als offene Antworten wurden<br />

auch als Ärgernisse Jugendliche, die vor dem JuZ auf der Straße stehen <strong>und</strong><br />

Jugendliche, die D<strong>in</strong>ge auf den Balkon, Äpfel über den Zaun werfen, genannt.<br />

Die Nachbarn versuchten sich gegen die Störung zu wehren, <strong>in</strong>dem sie entweder<br />

nichts unternahmen (2 Nennungen), JuZ Mitarbeiter (1 mal) oder die Jugendlichen<br />

ansprachen (2 mal) oder sich an die Stadt wandten (1 mal).<br />

Im folgenden werden Ausschnitte aus den Antworten der Nachbarn gegeben <strong>und</strong><br />

damit die verschiedenen Me<strong>in</strong>ungsbilder deutlicher dargestellt:


Anhang<br />

Was war Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach der Gr<strong>und</strong> für die Errichtung des Jugendzentrums?<br />

Treffpunkt, damit die Jugendlichen nicht auf der Straße rumlungern, gute<br />

Idee, viele, die nach der Schule ke<strong>in</strong>e weiteren Aufgaben haben.<br />

hängt mit XX-Schule zusammen, ist e<strong>in</strong> sozialer Brennpunkt, viele ausländische<br />

K<strong>in</strong>der. Schlechte Informationen , wer betreut wird, welches Alter<br />

etc. (wohnt seit 1 Jahr dort), hat das Gefühl dass ausländische K<strong>in</strong>der lauter<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Gr<strong>und</strong>stück gehört der Stadt München, Bedarf ist da weil <strong>in</strong> der angrenzenden<br />

Siedlung mehr K<strong>in</strong>der wohnen.<br />

Ke<strong>in</strong>e Ahnung, vielleicht aus Platzgründen.<br />

Stadt hat ke<strong>in</strong> Geld, deshalb nur Conta<strong>in</strong>er. K<strong>in</strong>der schreien nun mal, kann<br />

man nicht ändern, dafür s<strong>in</strong>d sie ja dort, damit sie e<strong>in</strong>e verständnisvolle<br />

Behandlung bekommen. Es s<strong>in</strong>d vor allem Ausländerk<strong>in</strong>der, v.a. Türken.<br />

Das s<strong>in</strong>d Problemk<strong>in</strong>der, die haben nicht so e<strong>in</strong>e gute Betreuung zu Hause.<br />

Betreuung von K<strong>in</strong>dern während Eltern arbeiten. Ist für K<strong>in</strong>der wichtig, es<br />

gibt wenig Spielraum <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der brauchen Platz.<br />

Lage war vielleicht günstig, Platz seit Jahren leer<br />

Ursprünglich Hausaufgabenbetreuung von K<strong>in</strong>dern, die derzeitige Nutzung<br />

ist nicht klar.<br />

Damit die Jugendlichen aufgeräumt s<strong>in</strong>d, Gr<strong>und</strong>stück gehört der Stadt.<br />

Was könnten Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach mögliche <strong>Lösung</strong>en se<strong>in</strong>, mit denen<br />

beide Seiten, das heißt Anwohner <strong>und</strong> K<strong>in</strong>der/ Jugendliche, zufrieden<br />

wären?<br />

Jugendliche sollen sich nicht nur dr<strong>in</strong>nen, sondern auch draußen benehmen,<br />

gewisse Uhrzeiten. Es gab mal e<strong>in</strong> Fest, sie war nicht da.<br />

K<strong>in</strong>der müssen sich <strong>in</strong> bestimmter Lautstärke verhalten, ruhigere Spiele<br />

wie Badm<strong>in</strong>ton machen.<br />

Momentan ist’s okay, nicht so wie erwartet, man gewöhnt sich dran. Sie<br />

s<strong>in</strong>d nur Mieter, solange es im Rahmen bleibt kann man ja mit den Erziehern<br />

reden. Vor dem Bau wurde mehr Panik gemacht, es ist erstaunlich<br />

ruhig, oft schon um 17 Uhr Ruhe.<br />

Ich krieg auch abends nicht viel mit, vielleicht b<strong>in</strong> ich nicht so lärmempf<strong>in</strong>dlich,<br />

es wohnen tendenziell eher Ältere im Haus. Wäre schade, wenn<br />

das JuZ zumachen müsste, nur weil sich e<strong>in</strong> paar beschweren. Das s<strong>in</strong>d<br />

vielleicht die, die direkt angrenzen.<br />

Kläger haben verloren, gegen K<strong>in</strong>der kommt man nicht an. Würde sie <strong>in</strong>teressieren,<br />

ob JuZ auf Freifläche gebaut wird, ist überall problematisch im<br />

Wohngebiet.<br />

Ruhezeiten abends e<strong>in</strong>halten.<br />

Jugendliche müssen auch irgendwoh<strong>in</strong>, wenn’s vernünftige Uhrzeiten s<strong>in</strong>d<br />

ist das ke<strong>in</strong> Problem. Jung <strong>und</strong> Alt sollen mite<strong>in</strong>ander auskommen, es<br />

muss e<strong>in</strong>e Möglichkeit gef<strong>und</strong>en werden. Mich persönlich stört es nicht,<br />

f<strong>in</strong>de, dass sich die melden sollten, die es stört <strong>und</strong> sie bereit se<strong>in</strong> sollten


Anhang<br />

an e<strong>in</strong>em r<strong>und</strong>en Tisch teilzunehmen. Habe ke<strong>in</strong> Verständnis für die Beschwerden.<br />

Viele Jugendliche <strong>in</strong> der Gegend haben ke<strong>in</strong>e besonders gute<br />

Betreuung <strong>durch</strong> die Eltern.<br />

Jeder e<strong>in</strong>zelne sollte se<strong>in</strong>en Frieden f<strong>in</strong>den, die Leute regen sich zu viel<br />

auf. Nachbarschaft mehr e<strong>in</strong>beziehen: wofür ist das JuZ da, was haben<br />

wir <strong>in</strong> diesem Jahr erreicht? Die Nachbarn, die sich beschweren sollten ignoriert<br />

werden, die beschweren sich über alles. Die Jugendlichen brauchen<br />

das, damit sie e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Beschäftigung <strong>und</strong> Förderung haben,<br />

Grade zwischen Ausländern <strong>und</strong> Deutschen ist die Gruppenbildung<br />

schlecht. Ich würde an jeder Ecke e<strong>in</strong> Jugendzentrum h<strong>in</strong>stellen!<br />

Anderes Gr<strong>und</strong>stück, nicht im Wohngebiet, andere Freiflächen, <strong>Konflikte</strong><br />

gehören gelöst, Stadt hat das JuZ e<strong>in</strong>fach vor die Nase gesetzt.<br />

Beide Seiten müssen aufe<strong>in</strong>ander zugehen, die Jugendlichen s<strong>in</strong>d eh nicht<br />

unverschämt. Ich f<strong>in</strong>d es richtig, dass die da s<strong>in</strong>d, war auch beim Sommerfest<br />

e<strong>in</strong>geladen, verstehe mich gut mit der Leiter<strong>in</strong>.<br />

Fazit<br />

Die Befragung zeigte, dass das Jugendzentrum von der Nachbarschaft sehr<br />

differenziert wahrgenommen wird. Starke <strong>Konflikte</strong> mit dem JuZ sche<strong>in</strong>en nur<br />

wenige Nachbarn zu haben, diese gehören teilweise auch zu den früheren<br />

Klägern. Die Nachbarschaft sche<strong>in</strong>t untere<strong>in</strong>ander une<strong>in</strong>ig zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> auch dort<br />

gibt es persönliche Animositäten. So sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e von der JuZ-Leiter<strong>in</strong> als Konfliktnachbar<br />

benannte Person (<strong>in</strong> der Arbeit als Frau Scheuch pseudonymisiert),<br />

die leider nicht befragt werden konnte, auch der übrigen Nachbarschaft vor allem<br />

<strong>durch</strong> Beschwerden bekannt zu se<strong>in</strong>. Die Ergebnisse der Befragung erweitern das<br />

Bild <strong>in</strong>sofern, als ansche<strong>in</strong>end die Beschwerden von e<strong>in</strong>zelnen Nachbarn die<br />

E<strong>in</strong>schränkung vieler Aktivitäten des JuZ erreicht haben <strong>und</strong> die übrigen Nachbarn<br />

tendenziell die Aktivitäten befürworten. Es zeigen sich aber auch Tendenzen<br />

zum „NIMBY-Verhalten“, <strong>in</strong>dem e<strong>in</strong>ige Anwohner zwar akzeptieren, dass es<br />

dr<strong>in</strong>gend E<strong>in</strong>richtungen für Jugendliche geben muss, diese allerd<strong>in</strong>gs nur unter<br />

E<strong>in</strong>schränkungen bereit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>ihre</strong>r Nachbarschaft zu erdulden. Bezüglich der<br />

Konfliktanalyse lässt sich aus den Erfahrungen folgern, dass vielen Nachbarn e<strong>in</strong>e<br />

kulturelle Komponente deutlich bewusst ist, <strong>und</strong> es für sie e<strong>in</strong>e Rolle zu spielen<br />

sche<strong>in</strong>t, dass vor allem Migrantenk<strong>in</strong>der das JuZ nutzen. Es wird als positiv<br />

angesehen, dass es e<strong>in</strong>e solche E<strong>in</strong>richtung gibt, die wenigsten haben allerd<strong>in</strong>gs<br />

von sich aus Interesse gezeigt, mehr über das JuZ zu erfahren. Zwei Nachbarn<br />

äußerten sich auch eher negativ über das im JuZ verkehrende Publikum <strong>und</strong><br />

machten deutlich, dass ke<strong>in</strong> Interesse bestehe, die eigenen K<strong>in</strong>der dorth<strong>in</strong> zu<br />

schicken oder mehr mit den Jugendlichen zu tun zu haben.<br />

Die Situation könnte <strong>durch</strong> weiteres offenes Zugehen des JuZ auf die Nachbarschaft<br />

verbessert werden. Durch die hohe Fluktuation kann eventuell mit e<strong>in</strong>igen<br />

Nachbarn von Anfang an e<strong>in</strong>e gute Beziehung aufgebaut werden. Bezüglich<br />

Nachbarschaftsmediationen zeigt sich als e<strong>in</strong> wichtiger Punkt, wie vielschichtig<br />

solche <strong>Konflikte</strong> ablaufen können <strong>und</strong> <strong>in</strong>wieweit E<strong>in</strong>zelne Macht ausüben können.<br />

Um die Situation differenzierte e<strong>in</strong>schätzen zu können s<strong>in</strong>d derartige Befragungen<br />

e<strong>in</strong> gutes Mittel, e<strong>in</strong>e Durchführung muss jedoch vom jeweiligen Fall, der<br />

Aufgabenstellung <strong>und</strong> dem Zeitbudget der Mediatoren abhängig gemacht werden.


Erklärung<br />

Erklärung<br />

Ich versichere gemäß § 12. Abs. 6, der Satzung der LMU zur Übernahme des<br />

Diplomstudiengangs Geographie der Technischen Universität München vom 13.1.2003,<br />

dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig verfasst <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>e anderen als die<br />

angegebenen Hilfsmittel <strong>und</strong> Quellen verwendet habe.<br />

München, im Dezember 2004<br />

Anne Ritz<strong>in</strong>ger

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