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2003 Russlanddeutsche zwischen Herkunft und Ankunft ... - ORNIS

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Wie sehen sich <strong>Russlanddeutsche</strong>? Welches Selbstbild haben<br />

Aussiedler in Deutschland? Betrachten sie sich als<br />

Deutsche, als Russen, oder als Bevölkerungsgruppe mit Anteilen<br />

beider Nationen? Nicht selten wird in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

diese Frage gestellt – auch deshalb, weil sie sehr eng mit dem<br />

Thema Integration verb<strong>und</strong>en ist. Und in den <strong>Herkunft</strong>sgebieten<br />

in Russland <strong>und</strong> Kasachstan entscheidet das Identitätsgefühl<br />

auch darüber, wie gemeinschaftsfördernde Begegnungszentren<br />

oder Fortbildungshilfen gestaltet werden. Soeben ist an<br />

der Universität Münster im B<strong>und</strong>esland Nordrhein-Westfalen<br />

eine Studie erschienen, die sich mit dieser Frage beschäftigt.<br />

Unter dem Titel „<strong>Russlanddeutsche</strong> Identitäten <strong>zwischen</strong><br />

<strong>Herkunft</strong> <strong>und</strong> <strong>Ankunft</strong>“ hat der Politikwissenschaftler Karsten<br />

Roesler untersucht, wie <strong>Russlanddeutsche</strong> im Gebiet von Kaliningrad,<br />

im kasachischen Pawlodar, im Deutschen Nationalen<br />

Rayon Asowo in Westsibirien sowie als Spätaussiedler im norddeutschen<br />

Landkreis Cloppenburg die eigene Situation einschätzen.<br />

Der Autor stellt sich zu Anfang die Frage, ob russlanddeutsche<br />

Selbstsicht wesentlich vom „Gefühl der Heimatlosigkeit,<br />

der Entwurzelung <strong>und</strong> der Orientierungslosigkeit“ bestimmt<br />

sei: „Sitzen diese Menschen wirklich ›<strong>zwischen</strong> allen<br />

Stühlen‹, befinden sie sich noch immer auf der Suche – auf einer<br />

Odyssee?“ Und schließlich: Hat diese Suche mit der <strong>Ankunft</strong> in<br />

Deutschland etwa ihre Erfüllung gef<strong>und</strong>en?<br />

Roesler hat für seine Studie insgesamt 3.150 Fragebögen in<br />

den vier Untersuchungsgebieten verteilt, von denen nahezu 80<br />

Prozent ausgefüllt zurückkamen. 2.000 Fragebögen wertete er<br />

schließlich aus. Anders als in Russland <strong>und</strong> Kasachstan haben<br />

sich in Deutschland ebenso viele Frauen wie Männer an der Befragung<br />

beteiligt, in den <strong>Herkunft</strong>sgebieten waren die Männer<br />

zurückhaltender. 58 Prozent aller Antworten aus dieser Region<br />

stammten von Frauen.<br />

Gr<strong>und</strong>lage ihrer Identität als <strong>Russlanddeutsche</strong> sind für die<br />

Befragten die deutsche Sprache,<br />

das gemeinsame historische<br />

Schicksal der Deportation im Jahr<br />

1941 sowie Religion <strong>und</strong> Kultur –<br />

verstanden als Pflege der Traditionen<br />

<strong>und</strong> Begegnung mit Gleichgesinnten<br />

etwa bei Kirchenfesten.<br />

Knapp 95 Prozent der Befragten in<br />

Russland <strong>und</strong> Kasachstan stimmten<br />

zu, dass „unsere Kultur eine<br />

wichtige Bedeutung für unsere<br />

russlanddeutsche Identität hat“. Im<br />

deutschen Landkreis Cloppenburg<br />

<strong>Russlanddeutsche</strong> Identität | Идентичность российских немцев<br />

Zwischen <strong>Herkunft</strong> <strong>und</strong> <strong>Ankunft</strong><br />

Was bestimmt russlanddeutsche Identität?<br />

Der Autor <strong>und</strong> zwei Mitarbeiterinnen des deutschen Museums<br />

Alexandrowka<br />

Автор и две сотрудницы немецкого музея в<br />

Александровке<br />

InfoDienst 44-<strong>2003</strong><br />

sahen das nur noch 72 Prozent der Aussiedler so.<br />

Um die Bedeutung der deutschen Sprache („Muttersprache“)<br />

zu unterstreichen, gab r<strong>und</strong> ein Drittel der Befragten an,<br />

sehr gut oder gut deutsch zu sprechen. Doch da überschätzten<br />

sich die Meisten wohl, denn der Autor <strong>und</strong> seine Helfer stellten<br />

fest, dass in Wirklichkeit die Sprachkenntnisse durchweg eher<br />

schlecht waren. Und die Frage, ob es zur Bewahrung der russlanddeutschen<br />

Identität darauf ankomme, auch einen deutschstämmigen<br />

Partner zu heiraten, fand bei der Hälfte aller Befragten<br />

Zustimmung. Im eigenen Leben spielte das für die Meisten<br />

allerdings eine untergeordnete Rolle.<br />

Am stärksten weckt offenbar das Schicksal der Deportation<br />

das Gemeinschaftsgefühl der <strong>Russlanddeutsche</strong>n. R<strong>und</strong> 92 Prozent<br />

der Befragten in Russland <strong>und</strong> Kasachstan sowie 88 Prozent<br />

der befragten Spätaussiedler in Deutschland sehen Deportation,<br />

Trudarmee <strong>und</strong> die Zerstörung der Familien als besonders<br />

dramatisch für die Bevölkerungsgruppe an. Angesichts<br />

dessen überrascht allerdings, dass jugendliche Aussiedler mehrheitlich<br />

nichts über die Geschichte ihres Volkes wissen, also<br />

auch nicht die Einschätzung von Eltern <strong>und</strong> Großeltern teilen<br />

dürften.<br />

Über die Hälfte der Befragten (57 Prozent) gab an, dass<br />

Deutschland als „alte Heimat“ große Bedeutung für sie hat. Unter<br />

den jungen Spätaussiedlern im Landkreis Cloppenburg wollten<br />

das allerdings nur noch ein Drittel so sehen. Auch hier stellte<br />

der Autor eine Kluft <strong>zwischen</strong> subjektivem Empfinden <strong>und</strong><br />

dem Blick des Einzelnen auf die Bevölkerungsgruppe fest: So<br />

überwog deutlich die Zahl derer, die dem Land ihrer Vorfahren<br />

zwar große Bedeutung für die Volksgruppe beimaßen, für sich<br />

persönlich allerdings weniger. Damit wird nach Ansicht Roeslers<br />

klar, dass die „eigentlichen Triebkräfte“ der Ausreiseentscheidung<br />

kaum in einer Sehnsucht nach der alten Heimat begründet<br />

liegen. Hauptgründe seien vielmehr die Zusammengehörigkeit<br />

der Familie <strong>und</strong> die<br />

schlechte wirtschaftliche Lage in<br />

den <strong>Herkunft</strong>sgebieten.<br />

Das Bild, das sich viele <strong>Russlanddeutsche</strong><br />

im Deutschen Nationalen<br />

Rayon Asowo, in Kaliningrad<br />

<strong>und</strong> im Gebiet Pawlodar von<br />

Deutschland machen, dürfte heute<br />

wirklichkeitsnäher sein als noch zu<br />

Beginn der neunziger Jahre. Dennoch<br />

fühlen sich in Asowo nicht<br />

einmal 20 Prozent der Befragten<br />

gut informiert über die B<strong>und</strong>esre-

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