2003 Russlanddeutsche zwischen Herkunft und Ankunft ... - ORNIS
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Rosa Nesterova aus Malinovka,<br />
Kasachstan<br />
Роза Нестерова из Малиновки,<br />
Казахстан<br />
Julia Schmidt aus Irkutsk<br />
Юлия Шмидт из Иркутска<br />
Ludmilla Arnautova aus Pawlodar<br />
Людмила Арнаутова из Павлодара<br />
Zuwanderung | Иммиграция<br />
Auswanderer oder Aussiedler –<br />
wer seine Heimat verlässt, um<br />
sich in einem anderen Land niederzulassen<br />
<strong>und</strong> dort zu bleiben, hat<br />
meist nicht viele Habseligkeiten,<br />
die ihn auf der Reise begleiten. Fast<br />
alle aber haben Dinge bei sich, die<br />
für sie von sehr persönlicher Bedeutung<br />
sind: Abschiedsgeschenke,<br />
Fotos der Daheimgebliebenen,<br />
Gegenstände, die mit besonderen<br />
Erinnerungen verb<strong>und</strong>en sind,<br />
Liebgewordenes zumeist ohne bedeutenden<br />
materiellen Wert. Um<br />
solche Gegenstände haben junge<br />
Wissenschaftler der Universität<br />
Tübingen Menschen gebeten, die<br />
aus zahlreichen Ländern nach<br />
Deutschland gekommen sind.<br />
„Bewegliche Habe“ hieß die<br />
Ausstellung im Schloss Hohentübingen,<br />
die das kulturwissenschaftlicheLudwig-Uhland-Institut<br />
gestaltet hat. Mehrere Monate<br />
lang hatten Projektmitarbeiter zuvor<br />
Zuwanderer im Raum Tübingen<br />
besucht, intensive Gespräche<br />
geführt <strong>und</strong> den gesammelten Objekten<br />
Portraits der Interviewpartner<br />
hinzugefügt. Unter den so Vorgestellten<br />
sind auch sieben Spätaussiedler<br />
– fünf Frauen <strong>und</strong> zwei<br />
Männer. Zum Beispiel Rosa Nesterova,<br />
die im vergangenen Jahr aus<br />
Malinovka in Kasachstan nach<br />
Deutschland gekommen war. Für<br />
sie sind ihre beiden Ohrringe von<br />
besonderer Bedeutung, obwohl sie<br />
sie erst in Deutschland von Frauen<br />
ihres Sprachkurses zum 40. Geburtstag erhalten hat.<br />
Mit diesem kleinen Luxus beweist sich Rosa, dass die<br />
Entscheidung zu einem neuen Leben in Deutschland<br />
für sie richtig war.<br />
Als Julia Schmidt <strong>und</strong> ihr dreijähriger Sohn Anfang<br />
2002 ihrem Mann nach Deutschland folgten, lebte<br />
dieser schon seit längerem in der Stadt Reutlingen.<br />
Die zurückhaltende Frau aus Irkutsk telefoniert oft mit<br />
ihren Angehörigen in Sibirien, in Reutlingen hat sie<br />
InfoDienst 44-<strong>2003</strong><br />
Schätze der Erinnerung<br />
Ausstellung präsentiert Objekte von Zuwanderern<br />
sich noch nicht recht eingelebt. Für sie zählt das goldene<br />
Diadem, das sie zur Hochzeit als Brautschmuck getragen<br />
hat, zu den liebsten Dingen. In der immer noch<br />
fremden Umgebung ist nämlich Friedrich, ihr Mann,<br />
der wichtigste Halt im Leben – <strong>und</strong> vielleicht die kleine<br />
Plüschfigur mit den aufgeklebten Fotos ihrer besten<br />
Fre<strong>und</strong>innen in Irkutsk: „Wir haben zusammen gelernt<br />
<strong>und</strong> gearbeitet, zehn Jahre.“<br />
Auf ihre beiden Bilder wollte Ludmilla Arnautova<br />
nicht verzichten: Sie zeigen Winterlandschaften mit<br />
schneebedeckten Häusern <strong>und</strong> Kirchtürmen, so wie<br />
man sie im kasachischen Pawlodar eher selten sieht.<br />
Dennoch: Ludmilla fühlt sich beim Anblick der Bilder<br />
zurückversetzt in ihre Heimatstadt, wo die Winter<br />
eiskalt <strong>und</strong> schneereich sein können. Die Bilder sind<br />
ein Geschenk der Schwägerin zu ihrem 25. Geburtstag.<br />
Damals hatte sie bereits ihren Ausreiseantrag gestellt<br />
<strong>und</strong> sich darauf vorbereitet, mit ihrem russischen<br />
Mann Konstantin <strong>und</strong> dem kleinen Sohn<br />
Pawel nach Deutschland zu gehen.<br />
Kaum jemand wird je von dem Dorf Jaschalta – unweit<br />
der kalmykischen Hauptstadt Elista – gehört haben.<br />
Hier lebte Alexander Gaus bis zu seiner Ausreise.<br />
Seinen Beruf als Geschichtslehrer konnte er nicht<br />
ausüben, stattdessen arbeitete er als Heizungswärter.<br />
Am liebsten würde er demnächst ein Studium an der<br />
Kunstakademie in Stuttgart beginnen. Ihn erinnern<br />
zwei Messer an wichtige Stationen seines Lebens. Das<br />
eine stammt von einem Fre<strong>und</strong>, mit dem er aufgewachsen<br />
ist, das andere ist das selbst gefertigte Abschiedsgeschenk<br />
eines Offiziers zum Ende des Militärdienstes<br />
im Ural.<br />
Noch leben Maria <strong>und</strong> Alexander Fischer in einem<br />
Wohnheim in Tübingen. Der ehemalige Busfahrer<br />
aus Krasnojarsk <strong>und</strong> seine Frau sind im vergangenen<br />
Jahr der jüngsten Tochter gefolgt, die bereits<br />
seit 1996 in Deutschland lebt. Genau wie in ihrer<br />
früheren Wohnung in Krasnojarsk hat Alexander ein<br />
kleines Podest gebastelt, auf dem in einer Zimmerecke<br />
zwei Ikonen lehnen. Ein Andachtsbild ist das Abschiedsgeschenk<br />
einer Tochter, das andere ist seit Generation<br />
im Familienbesitz. So ist die Verbindung wiederhergestellt<br />
zu früheren Zeiten, als die Familie noch<br />
an einem Ort wohnte <strong>und</strong> zwölf Personen zählte.<br />
Ihr größter Wunsch blieb bisher unerfüllt: Irena<br />
Besgans würde am liebsten Dolmetscherin werden,<br />
doch sie hat keinen Studienplatz erhalten. „Man muss<br />
optimistisch bleiben“, sagt sie. Vor knapp zwei Jahren